L 6 U 29/07

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 8 U 157/04
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 29/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Ruptur der Supraspinatussehne als mittelbare Folge eines anerkannten Arbeitsunfalls und die Gewährung einer Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 vom Hundert (vH).

Der 1960 geborene Kläger erlitt am 11. November 1982 während der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit in der ehemaligen DDR beim Sprung von der Ladefläche eines Lkw eine Verstauchung des linken Kniegelenks und zog sich eine Ruptur der Seitenbänder und des vorderen Kreuzbandes links mit Meniskusläsion sowie einen Kniegelenkserguss zu. Der FDGB-Kreisvorstand erkannte den Unfall als Arbeitsunfall an und gewährte dem Kläger eine Unfallrente. Nachdem die Rechtsvorgängerin der Beklagten (nachfolgend einheitlich Beklagte genannt) den Versicherungsfall als zuständige Berufsgenossenschaft übernommen hatte, zahlte sie dem Kläger bis zum 28. Februar 1995 eine Verletztenrente nach einer MdE um 30 vH und anschließend nach einer MdE um 20 vH.

Zur Verbesserung der aus dem anerkannten Arbeitsunfall herrührenden Unfallfolgen veranlasste die Beklagte im Zeitraum vom 31. März bis 26. April 2003 eine "Berufsgenossenschaftliche stationäre Weiterbehandlung" (BGSW) des Klägers in dem Krankenhaus B. in H ... Am 11. April 2003 verletzte sich der Kläger während einer Therapieübung den rechten Arm. In dem Entlassungsbericht des Krankenhauses vom 25. April 2003 teilte der Oberarzt der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie Dr. L. mit, der Kläger habe sich den rechten Arm im Schultergelenk gezerrt. Die Röntgenkontrolle habe einen Normalbefund gezeigt; sonographisch habe sich kein Anhalt für eine Läsion der Rotatorenmanschette ergeben. Die Anfertigung eines Magnetresonanztomogramms (MRT) habe der Kläger abgelehnt. Die Beweglichkeit des Armes sei eingeschränkt.

Auf Veranlassung der Beklagten erstattete der Chefarzt der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie des Städtischen Klinikums M. Privatdozent (PD) Dr. D. das Rentengutachten vom 30. Mai 2003. Darin führte er aus, die Betastung des rechten Schultergelenks sei druckschmerzhaft und die Bewegung durch einen schmerzhaften Bogen zwischen 50 und 100 Grad gekennzeichnet. Darüber hinaus sei die Beweglichkeit nur gering eingeschränkt. Als Folgen des Unfalls aus dem Jahr 1982 gab er Hautnarben am linken Bein, eine deutliche Knieinstabilität links, eine Verschmächtigung der linksseitigen Ober- und Unterschenkelmuskulatur, deutliche Gangstörungen mit erheblicher Einschränkung der Gehstrecke, die Notwendigkeit der Verwendung von zwei Unterarm-Gehstützen und eine geringe Einschränkung der Beweglichkeit des rechten Schultergelenks an. Im Vergleich zu den Vorbefunden sei es zu einer Verschlechterung des Unfallfolgezustandes gekommen; der Kläger könne jetzt nur noch 10 Minuten ohne Schmerzen im Kniegelenk gehen. Zudem sei er auf die Verwendung von zwei Unterarm-Gehstützen angewiesen. Das linke Knie sei trotz einer implantierten Knieprothese instabil. Die erlittene Zerrung im Arm habe keine nachhaltigen Folgen. Er schätzte die MdE auf 40 vH.

Die Beklagte erhielt den Durchgangsarztbericht von Prof. Dr. O. vom 28. April 2003, der eine Zerrung der rechten Schulter diagnostiziert und als Unfallhergang angegeben hatte, der Kläger habe beim therapeutischen Wasserball den gestreckten Arm nach vorne geführt und sei bei ca. 40 Grad mit der Hand an einer Haltestange hängen geblieben.

Der Kläger suchte den Chefarzt der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie des Klinikums M. L. Dr. H. auf, der unter dem 17. Juni und 8. Juli 2003 berichtete, die Sonographie des rechten Schultergelenks habe eine partielle Ruptur der Rotatorenmanschette ergeben. Der liftup-Test sei positiv. Der Kläger könne die rechte Schulter aktiv um 40 Grad nach außen und um 60 Grad nach vorn bewegen; Innen- und Außenrotation seien hochgradig schmerzhaft und behindert. Bei ruckartigen Bewegungen oder Schüttelbewegungen habe der Kläger erhebliche Schmerzen im rechten Schultergelenk.

Mit Bescheid vom 28. Juli 2003 bewilligte die Beklagte dem Kläger unter Hinweis auf das Gutachten von PD Dr. D. ab dem 1. Juni 2003 eine Verletztenrente nach einer MdE um 40 vH.

Nach Erteilung des Bescheides erhielt die Beklagte den Operationsbericht von Dr. H. vom 23. Juli 2003, der darin vermerkt hatte, die Rotatorenmanschette sei an typischer Stelle gerissen und habe schon narbige Veränderungen aufgewiesen. Anhand des intraoperativen Befundes liege ein Unfallfolgeschaden am Schultergelenk vor. Es bestünden schwere Degenerationen der Bizepssehne bei intakter Subscapularissehne. Das Glenoid werde mit chondropathischen Veränderungen zweiten Grades dargestellt.

Am 20. August 2003 erhob der Kläger gegen den Bescheid vom 28. Juli 2003 Widerspruch und führte aus, er sei mit der Höhe der MdE nicht einverstanden. Zudem sei er an der Schulter operiert worden. Diese Verletzung habe die Beklagte bei der Bemessung der MdE nicht berücksichtigt.

Die Beklage erhielt den Befundbericht des Pathologen Dr. M. vom 24. Juli 2003 über die makroskopisch-histologische Untersuchung des rupturierten Gewebes aus der Rotatorenmanschette. Dieser hatte eine subchronische, partiell vernarbte traumatische Sehnenruptur im Bereich der Rotatorenmanschette, vereinbar mit dem klinischerseits angegebenen Traumaereignis vor ca. drei Monaten, diagnostiziert. Zeichen einer vorbestehenden Sehnenerkrankung bestünden nicht.

Die Beklagte erreichte der Befundbericht des Facharztes für Radiologie Dr. R. mit der Auswertung der Röntgenaufnahmen vom 19. Mai 2003. Es lägen keine Zeichen einer markanten Omarthrose vor. Es bestehe ein diskreter Tiefstand des glatt berandeten Humeruskopfes in Bezug zum regelrecht konfigurierten Glenoid. Das AC-Gelenk sei ohne Zeichen markanter Degeneration altersentsprechend konfiguriert.

Die Beklagte veranlasste den Unfallchirurgen des Krankenhauses B.-M. Prof. Dr. E. mit der Erstattung des Gutachtens vom 6. Januar 2004 und der Stellungnahme vom 7. Juni 2004. Dieser führte aus, aus biomechanischer Sicht sei das Unfallereignis nicht geeignet gewesen, einen Riss der Supraspinatussehne hervorzurufen, da weder eine Verwindung noch eine Verrenkung noch ein Sturz auf den nach hinten und innen gehaltenen Arm vorgelegen habe. Die trophische Perforation der Rotatorenmanschette, wie sie beim Kläger vorliege, sei eine ab der 4. Lebensdekade häufig nachweisbare Schadensanlage. Der Gesundheitsschaden an der rechten Schulter sei daher nicht auf den Unfall zurückzuführen. Die unfallbedingte leichte Stauchung des rechten Schultergelenks heile normalerweise innerhalb von zwei Wochen folgenlos aus. Treffe ein solches Ereignis auf ein vorgeschädigtes Gelenk, wie im vorliegenden Fall, verlängere sich die Ausheilungszeit der Unfallfolgen auf maximal sechs Wochen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 1. September 2004 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch des Klägers zurück und führte aus, bei dem Unfall am 11. April 2003 sei es zu einer leichten Stauchung des rechten Schultergelenks mit einer Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit von sechs Wochen gekommen. Die weiteren Schäden seien wesentlich auf degenerative Veränderungen ursächlich zurückzuführen. Die Verletztenrente sei daher nicht zu erhöhen.

Mit der am 24. September 2004 vor dem Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage hat der Kläger die Anerkennung der Ruptur der Supraspinatussehne rechts als Folge des Unfalls vom 11. April 2003 und die Zahlung einer Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 50 vH weiter verfolgt und vorgetragen, bei dem Versuch, einen über ihm fliegenden Wasserball zu erreichen, habe er den weit ausgeholten rechten Arm ruckartig nach vorne gezogen und mit diesem an die Unterseite des am Beckenrand befindlichen Geländers bzw. Handlaufs geschlagen. Er habe sofort einen Schmerz in der Schulter verspürt und ein Geräusch vernommen, welches ihn daran erinnert habe, als wenn etwas reiße. Dabei habe es sich um ein Verrenkungsereignis gehandelt. Infolge des Unfalls im Jahr 1982 gehe er seit 2001 an Unterarmgehstützen. Seither seien die Schultergelenke einer besonderen Belastung ausgesetzt. Diese Situation habe das rechte Schultergelenk vielleicht zuvor derart belastet, dass die Folgen des Unfalls vom 11. April 2003 forcierter hätten eintreten können.

Der Kläger hat das Gutachten von dem Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie Dr. M. vom 4. Mai 2005 vorgelegt. Dieser hat ausgeführt, die aktive Elevation des rechten Armes betrage zur Seite und nach vorn 100 sowie nach hinten 45 Grad. Die Außenrotation sei aufgehoben, die Innenrotation frei. Die Handbeschwielung sei beidseits sehr gering, die Umfangsmaße der Arme seien seitengleich. Die histologische Bewertung von Sehnengewebe spreche eindeutig dafür, dass die Ruptur der Rotatorenmanschette Traumafolge sei. Das Unfallereignis sei eindeutig geeignet gewesen, den Riss der Supraspinatussehne hervorzurufen. Auch die Tatsache, dass der Kläger sofort die Therapie wegen erheblicher Schmerzen eingestellt habe, spreche für die traumatische Genese der Rotatorenmanschette. Die MdE betrage hinsichtlich des rechten Armes zum gegenwärtigen Zeitpunkt 20 vH.

Das Sozialgericht hat den Arzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. S. mit der Erstattung des Gutachtens vom 31. Mai 2006 nach Untersuchung des Klägers am 18. Mai 2006 beauftragt. Dieser hat ausgeführt, der vom Kläger gegenüber dem Sozialgericht geschilderte Ereignishergang sei nicht geeignet gewesen, zu einer unmittelbaren Verletzung der Rotatorenmanschette zu führen. Die Rotatorenmanschette sei bei dem beschriebenen Hergang nicht vorrangig belastet gewesen. Auch wenn man von einem Anstoß der Hand an den Handlauf des Schwimmbades ausgehe, sei eine primäre Verletzung einer voll belastbaren Sehne der Rotatorenmanschette nicht wahrscheinlich. Das Anschlagen am Handlauf stelle keine, die Rotatorenmanschette unmittelbar belastende Einwirkung dar. Vielmehr komme es durch den plötzlichen Bewegungsstop zu einer Entlastung. Dem Operationsbericht und dem histologischen Befund seien vorbestehende degenerative Veränderungen der Sehnen und Weichteilstrukturen der rechten Seite des Schultergürtels zu entnehmen. Die Auffaserungen der langen Bizepssehne in der Nähe ihres Ursprungs stellten ein typisch degeneratives Schadensbild dar, jedoch keine Folgen einer äußeren Einwirkung. Bei genauer Auswertung des histologischen Befundes bestehe eine relativ breite Nekroseauflagerung, welche Beleg für Gewebsuntergänge sei, die überwiegend für eine degenerative Ursache sprächen. Die degenerativen Veränderungen als schicksalhafte Veränderungen seien wesentliche Teilursache des Schadens. Das Beschwerdebild hätte zu jedem Zeitpunkt zeitnah ohne das Unfallereignis manifest werden können. Im Übrigen sei nicht gesichert, dass der Riss der Rotatorenmanschette überhaupt bei dem Ereignis am 11. April 2003 aufgetreten sei. Er könne im Unfallzeitpunkt bereits bestanden haben oder zwischen dem 11. April und 23. Juli 2003 aufgetreten sein.

Mit Urteil vom 6. Februar 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und ausgeführt, die Ruptur der Supraspinatussehne sei nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis vom 11. April 2003 zurückzuführen. Der Unfallhergang sei nicht geeignet gewesen, einen solchen Gesundheitsschaden an einer gesunden Sehne herbeizuführen. Es fehle an einer Zugbeanspruchung der Sehne, denn der Kläger sei nicht auf den nach hinten und innen gehaltenen Arm gestürzt. Nach den Ausführungen der Gutachter Prof. Dr. E. und Dr. S. sei die Sehne bei diesem Vorgang nicht vorrangig belastet gewesen. Ferner bestünden bei dem Kläger an der Schulter degenerative Veränderungen. Insoweit sei die Ausführung von Dr. M., es läge keine Vorerkrankung der Sehne vor, nicht zutreffend. Im Übrigen habe PD Dr. D. die Höhe der MdE in seinem Gutachten zutreffend bewertet.

Gegen das ihm am 16. Februar 2007 zugegangene Urteil hat der Kläger am 14. März 2007 Berufung eingelegt und sein bisheriges Vorbringen vertieft. Nach der Diagnose von Dr. M. sei das Schadensbild mit einem Traumaereignis drei Monate zuvor vereinbar. Zeichen einer vorbestehenden Sehnenerkrankung bestünden nicht. Dr. H. habe nachvollziehbar erklärt, die Vernarbungen seien möglicherweise das Resultat der zeitlichen Abfolge nach dem Unfall. Dr. M. weise darauf hin, dass die histologische Bewertung eindeutig dafür spreche, dass die Ruptur der Rotatorenmanschette Traumafolge sei. Der Unfallhergang sei auch geeignet gewesen, die Ruptur hervorzurufen. So sei laut Dr. M. nach den Vorgaben des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften die Heranführung des Armes bei muskulärer Vorspannung - wie im vorliegenden Fall - ein geeigneter Vorgang für eine Zusammenhangstrennung der Sehne. Die Ausführungen von Dr. S. hierzu seien nur lapidar. Vor dem Unfall sei er beschwerdefrei gewesen. Auch wenn man mit Dr. S. von einer Verschlimmerung eines krankhaften Zustands ausgehe, seien sowohl der Unfall als auch der Vorschaden kausal für die Ruptur gewesen. Schließlich sei es möglich, dass die jahrelange Benutzung von Unterarmgehstützen zu einer erheblichen Vorschädigung des Schultergelenks geführt habe. Dies habe Dr. B. in seinem für das Landessozialgericht nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstatteten Gutachten bestätigt. Der Einriss der Supraspinatussehne sei daher zu 50 % auf den Unfall und zu 50 % auf degenerative Veränderungen, die wiederum Folge des Arbeitsunfalls aus dem Jahr 1982 seien, zurückzuführen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 6. Februar 2007 aufzuheben,

den Bescheid der Beklagten vom 28. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. September 2004 abzuändern,

festzustellen, dass die Ruptur der Supraspinatussehne im rechten Schultergelenk Folge des Arbeitsunfalls vom 11. November 1982 ist, und

die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 1. Juni 2003 eine entsprechend höhere Verletztenrente nach einer MdE um 50 vH zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Gutachten von Prof. Dr. E. und Dr. S ... Demgegenüber gehe Dr. B. von einem falschen Sachverhalt aus. Der Kläger habe ihm gegenüber den Unfallhergang anders geschildert, als er es früher gegenüber den Gutachtern oder Beteiligten getan habe. Zudem widerspreche sich der Gutachter, indem er den Unfallmechanismus für das Schlüsselereignis halte, andererseits aber meine, es sei nicht erforderlich, den Beweis zu führen, inwieweit eine Gewalteinwirkung als Unfallmechanismus ausreichend sei.

Auf Antrag des Klägers hat das Landessozialgericht nach § 109 SGG den Facharzt für Chirurgie Dr. B. mit der Erstattung des Gutachtens vom 29. September 2008 beauftragt. Dr. B. hat ausgeführt, die Bewertung, ob eine Zusammenhangstrennung der Supraspinatussehne vorliege, sei schwierig. In der Erstuntersuchung fehlten sämtliche Tests, um eine Zusammenhangstrennung der Rotatorenmanschette nachzuweisen; die Sonographie habe keinen Anhalt für eine Läsion der Rotatorenmanschette ergeben. Frische und degenerative Verletzungen zeigten in der Schmerz- und Funktionssymptomatik ähnliche klinische Bilder. Das Unfallereignis könne den Einriss der Supraspinatussehne hervorgerufen haben. Der aktuelle Zustand sei nicht allein Ursache oder Folge des Ereignisses, sondern auch durch degenerative Veränderungen beeinflusst. Die Zentrierung des Oberarmkopfes, gewöhnlich durch eine intakte Rotatorenmanschette, sei durch degenerative Veränderungen der Muskulatur eingeschränkt worden. Nach Operation am Kniegelenk habe der Kläger mit Unterarmgehstützen mobilisiert werden müssen. Aufgrund des Körpergewichts von ca. 100 kg müsse davon ausgegangen werden, dass die Belastung der Rotatorenmanschette, ebenso wie die Belastung aller Arm- und Schultermuskeln, sehr stark gewesen sei. Es sei zur Ermüdung der Muskeln gekommen. Dies erkläre die degenerativen Veränderungen der Bizepssehnen sowie die Chondropathie des Glenoidalis. Es sei davon auszugehen, dass die körperliche Aktivität mittels Unterarmstützen eine vorhandene Gesundheitsstörung hervorgerufen habe, welche richtungsgebend gewesen sei, bei dem Unfall die Verletzung der Supraspinatussehne hervorrufen zu können. Das fortgeschrittene Alter und der untrainierte Zustand des Klägers hätten zu dem unfallunabhängigen Anteil, welcher später zur Voraussetzung einer Verletzung geworden sei, geführt. Der Unfallhergang und die degenerativen Veränderungen seien als gleichwertige Ursachen für den Riss der Supraspinatussehne und den Folgezustand anzusehen. Die Funktionseinschränkung des rechten Armes betrage 10 vH. Hiervon sei der unfallbedingte Anteil mit der Hälfte zu bewerten.

Das Landessozialgericht hat die Behandlungsunterlagen des Krankenhauses B. zu dem Unfallereignis vom 11. April 2003 beigezogen. Das Krankenhaus hat mitgeteilt, Aufnahmen über die durchgeführte Sonographie lägen nicht mehr vor.

Die Verwaltungsakten der Beklagten mit dem Az. haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung des Senats.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 Abs. 1 SGG) sowie auch ansonsten zulässige Berufung ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 28. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. September 2004 beschwert den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 SGG. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung des Risses der Supraspinatussehne als Folge des Arbeitsunfalls vom 11. November 1982 und auf Gewährung einer Verletztenrente ab dem 1. Juni 2003 nach einer MdE um 50 vH.

Der Kläger hat sich unstreitig am 11. April 2003 während der Heilbehandlung des linken Kniegelenks an der rechten Schulter verletzt. Während dieser Heilbehandlung war er nicht Versicherter im Sinne der §§ 2 ff. des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII), denn er hat weder auf Kosten einer Krankenkasse, eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder einer landwirtschaftlichen Alterskasse stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten (§ 2 Abs. 1 Nr. 15 a SGB VII) noch auf Kosten eines Unfallversicherungsträgers an vorbeugenden Maßnahmen nach § 3 BKV teilgenommen (§ 2 Abs. 1 Nr. 15 c SGB VII). Der geltend gemachte Gesundheitsschaden kommt damit nur nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII als mittelbare Folge des anerkannten Arbeitsunfalls vom 11. November 1982 in Betracht, dessen Behandlung die am 11. April 2003 durchgeführte Therapiemaßnahme diente.

Die bei dem Kläger aus dem Unfall vom 11. November 1982 ab dem 1. Juni 2003 verbliebenen Unfallfolgen ergeben keinen höheren Grad der MdE, als ihn die Beklagte mit 40 vH festgesetzt hat.

Nach § 215 Abs. 6 SGB VII in Verbindung mit § 1154 Reichsversicherungsordnung richtet sich die Höhe der Verletztenrente vorliegend nach § 56 SGB VII. Ein Anspruch auf Verletztenrente setzt gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII voraus, dass die Erwerbsfähigkeit des Versicherten infolge des Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um mindestens 20 vH gemindert ist. Nach § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII richtet sich die Höhe der MdE nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens. Die Bemessung des Grades der MdE ist eine Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung unter Berücksichtigung der in Rechtsprechung und im einschlägigen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze trifft, die in Form von Tabellenwerten oder Empfehlungen zusammengefasst sind (siehe etwa bei Kranig in: Hauck/Noftz, SGB VII, Stand März 2011, K § 56, Anhang V). Diese sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend. Sie bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und sind die Basis für den Vorschlag, den der medizinische Sachverständige dem Gericht zur Höhe der MdE unterbreitet (vgl. nur Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 18. März 2003 – B 2 U 31/02 R – Breithaupt 2003, 565 ff.; Urteil vom 22. Juni 2004 – B 2 U 14/03 RSozR 4-2700 § 56 Nr. 1).

Ausgehend hiervon ist es nicht zu beanstanden, dass die Beklagte dem Kläger ab dem 1. Juni 2003 eine Verletztenrente nach einer MdE um 40 vH bewilligt hat. Aus der Verletzung des Kniegelenks lässt sich eine MdE über 40 vH nicht rechtfertigen (unten 1.). Die Verletzung der rechten Schulter hat demgegenüber keine unfallbedingte MdE hinterlassen (unten 2.).

1.

Nach den allgemeinen Erfahrungssätzen ist eine Restbeweglichkeit des Kniegelenks von 0/0/90 Grad nach einer MdE um 15 vH (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit 8. Auflage 2010, Abschnitt 8.10.11, S. 654; Bereiter-Hahn/ Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Juli 2010, Anhang 12, J 032) bzw. 20 vH (Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 12. Auflage, S. 164) und von 0/0/120 Grad um 10 vH (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Abschnitt 8.10.11, S. 654; Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O., Anhang 12, J 032; Mehrhoff/Meindl/Muhr, a.a.O, S. 164) einzuschätzen. Ein muskulär kompensiertes Wackelknie rechtfertigt eine MdE um 10 vH, ein muskulär nicht kompensiertes Wackelknie um 20 vH. Bei einer gelockerten Endoprothese am Knie ist die MdE zwischen 40 vH und 60 vH einzuschätzen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Abschnitt 8.10.11, S. 654; Bereiter-Hahn/ Mehrtens, a.a.O., Anhang 12, J 032; Mehrhoff/Meindl/Muhr, a.a.O., S. 164). PD Dr. D. hat bei der Untersuchung des Klägers am 19. Mai 2003 bei der Streckung und Beugung des Kniegelenks links 0/0/100 und rechts 0/0/140 Grad gemessen. Die linke Oberschenkelmuskulatur war gegenüber rechts um bis zu 5 cm und die linke Unterschenkelmuskulatur zu rechts um bis zu 1 cm verschmächtigt. Die hieraus ersichtliche Bewegungseinschränkung des linken Kniegelenks rechtfertigt danach lediglich eine MdE zwischen 10 und 15 vH. Aufgrund des Wackelknies ohne Kompensation beträgt die MdE 20 vH. Eine gelockerte Endoprothese des linken Kniegelenks hat demgegenüber keiner der Ärzte oder Gutachter festgestellt. Unter Berücksichtigung der von PD Dr. D. festgestellten Notwendigkeit der Verwendung von Unterarm-Gehstützen und einer Belastbarkeit von 10 Geh-Minuten ist eine Erhöhung der MdE um weitere 20 vH, wie sie PD Dr. D. vorgeschlagen hat, nicht zu beanstanden. Denn die Funktionsbeeinträchtigung des linken Kniegelenks des Klägers kommt einer gelockerten Totalendoprothese nahe. Die Beklagte ist dieser Einschätzung gefolgt.

2.

Weitere Unfallfolgen aus dem Unfall vom 11. November 1982 liegen bei dem Kläger nicht vor. Es ist nicht hinreichend wahrscheinlich, dass sich der Kläger den Riss der Supraspinatussehne der rechten Schulter am 11. April 2003 zugezogen hat. Der Senat folgt insoweit den überzeugenden Ausführungen von Dr. S., die im Ergebnis mit der Beurteilung durch Prof. Dr. E. übereinstimmen.

Für die Beurteilung des Kausalzusammenhangs zwischen einem Unfall und der geltend gemachten Gesundheitsstörung gilt der Maßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Dies bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller Umstände, insbesondere unter Berücksichtigung der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung, mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Die bloße Möglichkeit einer Verursachung genügt nicht.

Es kann zu Gunsten des Klägers unterstellt werden, dass der Unfallmechanismus am 11. April 2003 geeignet war, einen Riss der Supraspinatussehne zu verursachen. Es spricht jedoch mehr gegen einen ursächlichen Zusammenhang des Risses zum Arbeitsunfall als dafür. Denn der Riss der Supraspinatussehne ist nicht zeitnah zum Unfall vom 11. April 2003 durch klinische und bildgebende Befunde gesichert.

Bei der Beurteilung von Schäden am Schultergelenk kommt neben dem MRT und den Röntgenaufnahmen (Ludolph in Ludolph/Schürmann/Gaidzik, Kursbuch der ärztlichen Begutachtung, Stand November 2005, S. 15) der Schultersonographie maßgebliche Bedeutung zu. Die Sonographie ist das geeignete Mittel, um Veränderungen an den Gleitschichten, an den Oberflächen der Rotatorenmanschette und innerhalb des Sehnengewebes sowie Teilrupturen zu erkennen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Abschnitt 8.2.5.4, S. 415). Dr. L. hat in seinem Entlassungsbericht vom 25. April 2003 in Auswertung der vier Tage nach dem Unfallereignis gefertigten Röntgenaufnahmen des rechten Schultergelenks die Stellung des Humeruskopfes als regelrecht ohne Einengung des Subacromialraumes bei unauffälligem Weichteilmantel beschrieben und dies als einen altersentsprechenden Normalbefund bezeichnet. Auch die von ihm durchgeführte Sonographie hat nach seinen Ausführungen keinen Anhalt für eine Läsion der Rotatorenmanschette ergeben. Er hat als Folge des Unfallereignisses vom 11. April 2003 lediglich eine Muskelzerrung des rechten Oberarmes diagnostiziert. Diese Diagnose entspricht auch der des Durchgangsarztes Prof. Dr. O. vom 28. April 2003. Nach dessen Ausführungen hat die Sonographie wenig Flüssigkeit im Verlauf der langen Bizepssehne gezeigt. Einen Riss der Supraspinatussehne hat auch er nicht beschrieben.

Erstmals hat Dr. H. in Auswertung der Kontrollsonographie vom 19. Mai 2003 eine partielle Ruptur der Rotatorenmanschette beschrieben. Inwieweit die bildgebenden Befunde der Sonographie vom 19. Mai 2003 denen der unmittelbar nach dem Unfall durchgeführten Sonographie entsprechen, vermag der Senat nicht mehr zu klären. Ein Vergleich dieser bildgebenden Befunde ist nicht mehr möglich, weil von dem Krankenhaus Bergmannstrost keine Unterlagen zu der dort durchgeführten Sonographie zu erlangen waren. Damit ist unfallnah ein Riss der Supraspinatussehne nicht mehr zu sichern.

Zudem fehlt es an typischen Hinweisen auf eine traumatische Verletzung der Supraspinatussehne zeitnah zum Unfallgeschehen. Eine knöcherne Verletzung der rechten Schulter ist nicht dokumentiert und aus den Röntgenaufnahmen nicht ersichtlich. Dies hat auch Dr. B. so gesehen. Einen Normalbefund hatte auch Dr. L. aufgenommen und ein Hämatom nicht beschrieben. Dabei wäre ein Bluterguss ein starker Hinweis für eine traumatische Verletzung der Schulter gewesen; demgegenüber fehlen Einblutungen in aller Regel bei einer degenerativen Veränderung im Bereich der Rotatorenmanschette (Ludolph in Ludolph/Schürmann/Gaidzik, Kursbuch der ärztlichen Begutachtung, Stand Oktober 2009, VI-1.2.3, S. 17). Einblutungen sind auch im Bericht über die am 23. Juli 2003 durchgeführte Arthroskopie nicht vermerkt.

Dem steht der makroskopisch-histologische Befund von Dr. M. vom 24. Juli 2003 nicht entgegen. Dr. M. hat eine subchondrische, partiell vernarbte Sehnenruptur vorgefunden, die mit einem vor drei Monaten erfolgten Traumaereignis vereinbar sei. Dieser Befund belegt nicht eine traumatische Ruptur der Sehne am 11. April 2003. Vielmehr kann sich der Kläger den Riss der Rotatorenmanschette auch zwischen dem 11. April und 7. Juni 2003 anderweitig zugezogen haben. Hierauf hat Dr. S. hingewiesen. Die im histologischen Befund beschriebene breite Nekroseauflagerung ist ein Beleg für einen Gewebsuntergang. Über den Zeitpunkt des Gewebsuntergangs sagt die histologische Untersuchung demgegenüber nichts aus. Die weiter beschriebenen Reparationsvorgänge sind nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. S. unspezifisch und können sowohl nach einer verletzungsbedingten als auch nach einer degenerativ bedingten Veränderung der Sehne auftreten. Die Zusammenhangsfrage zum Unfallereignis lässt sich mit der histologischen Untersuchung von Gewebe, welches knapp dreieinhalb Monate nach dem Unfallereignis entnommen worden ist, nicht klären. Insoweit folgt der Senat den überzeugenden Ausführungen von Dr. S ...

Aus den genannten Gründen vermag der Senat den Ausführungen von Dr. M. nicht zu folgen, der wegen der erheblichen Schmerzen des Klägers, die sich sofort eingestellt haben sollen, eine traumatische Genese der Ruptur der Rotatorenmanschette für gegeben hält. Derartige erhebliche Schmerzen, wie sei Dr. M. beschreibt, sind aber nicht dokumentiert. Der Durchgangsarzt Prof. Dr. O. hat angegeben, der Kläger äußere Schmerzen bei ruckartigen Bewegungen der Schulter über der Schulterhöhe. Allgemeine, erhebliche Schmerzen hat er demgegenüber nicht beschrieben.

Ebenso wenig überzeugt Dr. B., der den Riss der Rotatorenmanschette zum einen auf das Unfallereignis und zum anderen auf degenerative Veränderungen zurückführt hat, die durch die Verwendung von Unterarmgehstützen eingetreten sein sollen. Dr. S. hat an der linken Schulter des Klägers anlässlich der Untersuchung am 18. Mai 2006 keine der rechten Schulter entsprechenden Veränderungen festgestellt. Dies wäre aber zu erwarten gewesen, wenn die Benutzung der Unterarmgehstützen zu einem vorzeitigen Verschleiß geführt hätte. Auch spricht die von Dr. M. beschriebene, beidseits anzutreffende sehr geringe Handbeschwielung nicht für einen den Körper übermaßen belastenden Gebrauch der Unterarmgehstützen. Zudem ist die bei dem Kläger vorgefundene "trophische Perforation" der Rotatorenmanschette nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. E. ab der 4. Lebensdekade eine häufig nachweisbare Schadenslage, u.a. bedingt durch die Rarefizierung kleiner kapillärer Gefäße in den Sehnenansätzen. Das Schadensbild des rechten Schultergelenks ist somit alterstypisch.

Da der Riss der Rotatorenmanschette nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich auf den Unfall vom 11. April 2003 zurückzuführen ist, verbleibt für die Bemessung der MdE ab dem 1. Juni 2003 lediglich der Knieschaden mit einer MdE um 40 vH und die am 11. April 2003 erlittene Prellung an der rechten Schulter. Diese führte jedoch nicht - auch nicht zeitanteilig - zu einer Erhöhung der MdE. Nach § 73 Abs. 3 SGB VII wirken sich wesentliche Veränderungen in der Höhe der MdE lediglich dann aus, wenn sie länger als drei Monate andauern. Das aber war bei der Prellung der rechten Schulter nicht der Fall. Diese war spätesten nach sechs Wochen ausgeheilt. Hier folgt der Senat den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. E ...

Nach alledem konnte die Klage auf Gewährung einer höheren Verletztenrente daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Voraussetzungen nach § 160 Abs. 2 SGG, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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