L 1 AS 3844/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AS 3509/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 AS 3844/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 24. August 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Rechtmäßigkeit der Anrechnung einer Steuerrückerstattung aus dem Jahr 2009 auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit von Mai bis Juli 2010.

Der Kläger bezog Leistungen nach dem SGB II. Seit 1. Mai 2011 steht der Kläger in einem Beschäftigungsverhältnis und nicht mehr im Leistungsbezug.

Seinem Antrag auf Weiterbewilligung von Leistungen vom 22. März 2010, betreffend den Leistungszeitraum ab 1. Mai 2010, war eine Übersicht über sein Girokonto für die Zeit vom 21. Dezember 2009 bis 21. März 2010 beigefügt. Daraus ist ersichtlich, dass dem Kläger am 11. März 2010 855,48 EUR vom Finanzamt E. aus der Einkommenssteuerveranlagung 2009 gutgeschrieben worden sind.

Mit Bescheid vom 8. April 2010 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Juli 2010 in Höhe von monatlich 103,84 EURund für die Zeit vom 1. August bis 31. Oktober 2010 von monatlich 359,- EUR. Zur Begründung war ausgeführt, dass die Steuerrückerstattung aus dem Jahr 2009 in Höhe von 855,48 EUR mit Zufluss des Geldes im Monat März 2010, um lückenlosen Krankenversicherungsschutz zu gewährleisten, in drei Monatsraten à 285,16 EUR (abzüglich einer Pauschale von 30,- EUR monatlich) ab 1. Mai 2010 auf die Regelleistung unter sonstigem Einkommen angerechnet worden sei.

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und führte aus, für ihn stelle die Steuerrückerstattung kein Einkommen, sondern Vermögen dar, so dass der Bescheid fehlerhaft sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 5. August 2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die während des Bedarfszeitraums zugeflossene Einkommenssteuererstattung stelle auch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II dar und nicht Vermögen. Die Steuererstattung sei als einmalige Einnahme nach § 2 Abs. 4 der Arbeitslosengeld-II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) auf einen angemessenen Zeitraum verteilt anzurechnen. Dies sei ab Mai geschehen, da Leistungen für den Zuflussmonat März und den nachfolgenden Monat April bereits erbracht worden seien. Die Verteilung der Anrechnung auf drei Monate sei nicht zu beanstanden.

Dagegen hat der Kläger am 23. August 2010 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und zur Begründung ausgeführt, das Sozialgericht Stuttgart habe in einem Beschluss (Beschluss vom 26. Juni 2007 - S 20 AS 4654/07 ER) festgestellt, dass es sich bei der Steuererstattung um Vermögen und nicht um Einkommen handele. Auch das Finanzamt behandle die Erstattung nicht wie Einkommen, sondern Vermögen/Restguthaben, das an ihn zurückfließe. Denn die Werbungskosten, wegen derer ihm nunmehr Steuer erstattet würde, habe er aus seinem Vermögen, nicht aus dem Einkommen bezahlt. Würde es sich um Einkommen handeln, müsste er dieses bei der nächsten Steuererklärung nochmals versteuern, was nicht nachvollziehbar sei. Verschiedene Behörden könnten nicht ein und denselben Geldzufluss unterschiedlich behandeln.

Nach Anhörung hat der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 24. August 2011 abgewiesen. Bei der Einkommenssteuererstattung handele es sich um Einkommen und nicht um Vermögen. Entscheidend für die Abgrenzung sei, wann der Geldbetrag dem Leistungsberechtigten zufließe. Geschehe dies während des Leistungsbezugs, handele es sich um Einkommen, ansonsten um Vermögen. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Steuererstattung für einen bereits abgelaufenen Zeitraum, nämlich das Jahr 2009, erfolge. Der Beklagte habe auch rechtsfehlerfrei die Steuerrückerstattung in Höhe von 855,48 EUR auf drei Monate verteilt auf die Leistungen zum Lebensunterhalt angerechnet (§ 4 Satz 1 i.V.m. § 2 Abs. 4 Alg II-VO), beginnend ab Mai 2010.

Gegen den mit Postzustellungsurkunde am 29. August 2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 6. September 2011 Berufung eingelegt und zur Begründung sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 24. August 2011 aufzuheben und den Bescheid vom 8. April 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. August 2010 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Monate Mai, Juni und Juli 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Anrechnung der Steuerrückerstattung als Einkommen in Höhe von monatlich 359,- EUR zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist zur Begründung im Wesentlichen auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen und die zur Anrechnung von zugeflossenen Geldmitteln ergangenen Urteile des BSG.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind nicht rechtsfehlerhaft.

Leistungen erhalten gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähiger Hilfebedürftiger). Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhält (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II). Als Einkommen sind zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert, als Vermögen alle verwertbaren Gegenstände (§ 11 Abs. 1 Satz 1, § 12 Abs. 1 SGB II).

Die Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen nimmt das SGB II selbst nicht vor. Wie die für das SGB II zuständigen Senate des BSG bereits entschieden haben, ist Einkommen iS des § 11 Abs. 1 SGB II grundsätzlich alles das, das jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits hatte (vgl. nur BSG, Urteil vom 30. Juli 2008 - B 14 AS 26/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr. 17 und BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr. 15; siehe auch Urteil vom 28. Oktober 2009 - B 14 AS 62/08 R). Auszugehen ist vom tatsächlichen Zufluss, es sei denn, rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt. Nicht entscheidend ist das Schicksal der Forderung (vgl. zuletzt BSG vom 24. Februar 2011 - B 14 AS 45/09 R).

Dem entsprechend hat das SG rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die dem Kläger im März 2010 und damit während des Leistungsbezugs zugeflossene Steuerrückerstattung zu Recht vom Beklagten als Einkommen auf die Leistungen zur Grundsicherung angerechnet worden ist, sich seine Hilfebedürftigkeit damit um die um den Freibetrag von 30,- EUR monatlich geminderte und ohne Rechtsfehler auf drei Monate verteilte Einkommenssteuererstattung verringerte und der Umstand, dass ab Mai 2010 ein neuer Bewilligungsabschnitt begonnen hat, auf die Qualifizierung des Geldzuflusses als Einkommen oder Vermögen keinen Einfluss hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat deshalb nach eigener Prüfung auf die zutreffenden Ausführungen auf Seiten 4 und 5 der Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids und macht sich diese zu eigen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Das Vorbringen des Klägers im SG- und im Berufungsverfahren rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.

Soweit der Kläger vorbringt, die Steuererstattung sei schon deshalb als Vermögen anzusehen und daher anrechnungsfrei, weil diese aus Leistungen resultiere (Werbungskosten), die er aus seinem Vermögen bezahlt habe und nunmehr rückerstattet bekomme, verkennt er, dass die Herkunft des zugeflossenen Geldes, also das Schicksal der zugrunde liegenden Forderung, für die rechtliche Qualifizierung der Mittel ohne Bedeutung ist. Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung eine lediglich zeitliche Trennlinie zur Differenzierung von Einkommen und Vermögen gezogen, die eine klare und für die Betroffenen rechtssichere Abgrenzung erlaubt. Von Belang ist also nicht, aus welchem Grund das Geld zufließt, sondern nur wann. Da dies im vorliegenden Fall während des laufenden Leistungsbezugs nach dem SGB II war, erfolgte deshalb auch zu Recht die Qualifizierung als Einkommen.

Ob und welche rechtliche Qualifikation die Finanzbehörden der Steuerrückerstattung zuschreiben, spielt für die im Sozialrecht vorzunehmende Bewertung keine Rolle. Im SGB II steht insoweit allein die Frage im Raum, ob der Leistungsbezieher sein soziokulturelles Existenzminimum aus eigenen, bereiten Mitteln bestreiten kann oder ob staatliche Leistungen zur Sicherstellung dessen erforderlich sind. Die steuerrechtliche Bewertung der Rückerstattung steht dazu in keiner inhaltlichen oder rechtlichen Verbindung. Der vom Kläger vor diesem Hintergrund gerügte Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz (GG) liegt daher nicht vor. Im Übrigen hat der Kläger die Steuerrückerstattung in der Berufungsbegründung selbst - zu Recht - als "Überschusseinkünfte" bezeichnet, und nicht als "Überschussvermögen", so dass auch bei laienhafter Bewertung offenbar die Qualifizierung als Einkommen näher liegt als die als Vermögen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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