L 1 U 3951/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 11 U 1447/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 3951/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 3. August 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Anerkennung des Ereignisses vom 17. November 2010 als Arbeitsunfall.

Die 1954 geborene Klägerin ist als Bürokraft auf Basis geringfügiger Beschäftigung im Architekturbüro ihres Mannes tätig. Dieses befindet sich im Dachgeschoss der auch als Wohnhaus der Familie genutzten Doppelhaushälfte. Das Dachgeschoss und das Erdgeschoss, in dem sich die Wohnung der Klägerin und ihres Mannes befindet, sind durch ein vom Wohn- und Bürobereich abgeschlossenes Treppenhaus verbunden.

Am 17. November 2010 ging die Klägerin nach dem Ende ihrer Tätigkeit im Architekturbüro die Treppe hinunter, schaute sich am unteren Ende der Treppe im Erdgeschoss nochmals um, um sich zu vergewissern, dass das Licht im Besprechungszimmer ausgeschaltet ist, und übersah im Weitergehen 2-3 Treppenstufen. Sie kam auf dem Podest im Erdgeschoss auf und zog sich bei diesem Sturz eine Trimalleolarfraktur am linken oberen Sprunggelenk (OSG) zu (Durchgangsarztbericht Prof. Dr. W., 18. November 2010; Unfallanzeige des Ehemanns der Klägerin vom 24. November bzw. 2. Dezember 2010 sowie Planzeichnungen des Gebäudes).

Mit Schreiben vom 3. Januar 2011 teilte die Beklagte den behandelnden Ärzten mit, dass keine Behandlung zu ihren Lasten mehr durchgeführt werden solle, da kein versicherter Arbeitsunfall vorliege. Mit Bescheid vom 12. Januar 2011 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Sturzes vom 17. November 2010 als Arbeitsunfall gegenüber der Klägerin ab. Der Gang von der Arbeitsstätte zum privaten Bereich sei nicht versichert, wenn Wohnung und Arbeitsstätte im selben Gebäude liegen würden. Der Versicherungsschutz bestehe nur in den Arbeitsräumen und ende mit dem Verlassen dieser.

Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch und brachte vor, Wohnung und Dachgeschoss seien getrennte Einheiten, die von einem separaten Treppenhaus aus erschlossen würden. Beide Einheiten könnten darüber unabhängig voneinander betreten werden. Der Unfall habe sich unmittelbar nach Arbeitsende ereignet und nicht im privaten Bereich. Ergänzend wurde vorgetragen, dass der Ehemann der Klägerin im Jahr 2003 auf eben dieser Treppe sich den rechten Fuß umgeknickt habe (Unfallanzeige vom 20. März 2003 war beigefügt), die Beklagte die Behandlungskosten aber damals übernommen habe. Deshalb sei man davon ausgegangen, dass auch für künftige Ereignisse im Treppenhaus Versicherungsschutz bestehe. Der während des Widerspruchsverfahrens eingeschaltete Bevollmächtigte der Klägerin führte darüber hinaus aus, es gebe keinen wegeunfallfreien Raum. Im Übrigen verpflichte § 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I), die Rechte der versicherten Personen möglichst weitgehend zu verwirklichen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28. April 2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Das Bundessozialgericht (BSG) habe den Begriff des Wegeunfalls ausgeschlossen, wenn Wohnung und Arbeitsstätte im selben Haus liegen würden. Versicherungsschutz sei auf die Räume des Hauses beschränkt, die der Ausübung der versicherten Tätigkeit unmittelbar dienten. Dazu zähle das Treppenhaus nicht. Der Versicherungsschutz ende mit dem Durchschreiten der Bürotür des Dachgeschosses, wenn wie im Fall der Klägerin die berufliche Tätigkeit mit dem Verlassen des Büros beendet worden sei.

Dagegen hat die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten am 1. Juni 2011 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben mit der Begründung, § 8 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) gelte für die unmittelbaren Wege von und zur Arbeit, was im Fall der Klägerin vorliegen würde. § 8 Abs. 2 SGB VII müsse im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB I ausgelegt werden. Das Gegenteil sei allerdings der Fall, wenn das BSG in unzutreffender Anwendung des § 8 Abs. 2 SGB VII das Recht der Rechtsuchenden verkürze. Dies sei nicht hinnehmbar. Alle wesentlichen Entscheidungen treffe im Übrigen bei einem Gesetz der Gesetzgeber und nicht etwa die Rechtsprechung.

Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 3. August 2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Bei einem Wegeunfall beginne nach ständiger Rechtsprechung des BSG der Versicherungsschutz mit dem Durchschreiten der Außentür des Gebäudes; entsprechendes gelte, wenn von der Wohnung des Beschäftigten aus ein Betriebsweg angetreten werde. Es liege auch keine der besonderen Konstellationen vor, in denen ausnahmsweise Versicherungsschutz angenommen werden könne, z.B. wenn ein Bereich weder eindeutig der Privatwohnung noch der Betriebsstätte zugeordnet werden könne. Auch befänden sich im Dachgeschoss ausweislich der vorgelegten Pläne zwei nicht beruflich genutzte Räume (Abstellräume). Es habe auch keine besonders dringliche Situation vorgelegen, die ein Handeln der Klägerin erforderlich gemacht habe, wie es z.B. bei einer Rufbereitschaft der Fall sein könne. Die Klägerin habe vielmehr nach eigenem Bekunden ihre Arbeit bereits beendet gehabt, als sie gestürzt sei. Das Hochschauen nach dem Licht im Besprechungszimmer begründe keinen ausreichenden inneren Zusammenhang mit der beruflichen Verrichtung. Einen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht gebe es - mit Blick auf den Unfall des Ehemanns der Klägerin im Jahr 2003 - nicht.

Gegen das den Klägerbevollmächtigten am 10. August 2011 zugestellte Urteil haben diese für die Klägerin am 12. September 2011, einem Montag, Berufung eingelegt und zur Begründung den bisherigen Vortrag wiederholt und vertieft. Die Klägerin begehre die gleiche Auslegung des Rechts wie im Jahr 2003 gegenüber ihrem Ehemann. Das BSG habe einen vergleichbaren Fall noch nicht entschieden. Es erschließe sich auch nicht, welche Bedeutung der Hinweis auf zwei Abstellräume im Dachgeschoss habe.

Der Klägerbevollmächtigte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 3. August 2011 sowie den Bescheid vom 12. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. April 2011 aufzuheben und das Ereignis vom 17. November 2010 als Wegeunfall festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist zur Begründung im Wesentlichen auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen und führt ergänzend aus, Versicherte, deren Betriebsstätte sich im gleichen Gebäude befinde wie die Wohnung würden mit den übrigen Versicherten gleich behandelt, wenn der Arbeitsweg erst nach dem Durchschreiten der Außentür beginne. Ein Betriebsweg scheide aus, da die Klägerin ihre betriebliche Tätigkeit im Unfallzeitpunkt bereits beendet habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Die Beklagte hat ohne Rechtsfehler die Feststellung eines versicherten Arbeitsunfalls abgelehnt.

Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch [SGB VII]). Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten in Folge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeiten (versicherte Tätigkeiten). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 SGB VII). Gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII ist versicherte Tätigkeit auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Hintergrund der Einbeziehung des Wegeunfalls in den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung war die Überlegung, dass alle Versicherten, um zu ihrer Arbeit zu gelangen, einen außerhalb der Wohnung und der Betriebsstätte gelegenen Arbeitsweg zurücklegen müssen. Diese Überlegung, zusammen mit den mit dem Weg verbundenen Gefahren, hat den Gesetzgeber bereits im Jahr 1925 aus sozialpolitischer Sicht heraus bewogen, den Arbeitsweg in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung einzubeziehen und damit über die reine Ablösung der Unternehmerhaftpflicht hinauszugehen.

Der Arbeitsweg beginnt regelmäßig mit dem Verlassen des (unversicherten) häuslichen Bereichs. Dieser beginnt bei einem Mehrfamilienhaus mit dem Durchschreiten der abgeschlossenen Wohnungstür (BSG vom 23. Februar 1966, 2 RU 45/65 = BSGE 24, 243) bzw. der Außenhaustür des vom Versicherten bewohnten Einfamilienhauses, selbst dann, wenn der Versicherte, z.B. weil er etwas vergessen hat, kurz danach in die Wohnung zurückkehrt, um den vergessenen Gegenstand zu holen. In diesem Fall ist er mit dem – erneuten – Durchschreiten der Wohnungstür nicht mehr versichert. Der Weg endet mit dem Erreichen des Betriebsbereichs, nicht erst mit dem Erreichen des Arbeitsplatzes.

Nichts anderes gilt in dem Fall, dass zwar kein Mehrfamilienhaus vorliegt, sich aber betrieblicher Bereich und privater Bereich in einem Gebäude, getrennt durch ein Treppenhaus, befinden. Mit dem Verlassen des betrieblich genutzten Teil des Gebäudes beginnt der unversicherte private Bereich, auch wenn sich der Versicherte, wie hier die Klägerin, auf dem Weg von der Arbeit in ihre Wohnung befunden hat. Durch das Umwenden der Klägerin aus einer betrieblichen Motivationslage heraus (Nachsehen, ob das Licht im Besprechungszimmer ausgeschaltet ist) wird kein Versicherungsschutz auf dem an sich unversicherten Weg begründet. Es ist bereits zweifelhaft, ob der Klägerin eine Neubegründung des Versicherungsschutzes mit dem Umwenden nach Oben hilfreich wäre, denn die Verletzung hat sich die Klägerin nicht beim Umwenden selbst, also der - insoweit unterstellt - betriebsdienlichen Tätigkeit zugezogen, sondern bei der Fortsetzung des unversicherten Wegs. Erst beim Weitergehen hat die Klägerin Treppenstufen übersehen und ist gestürzt. Denn auch dann, wenn man das aus betriebsdienlicher Motivation heraus geschehene Umdrehen isoliert betrachten und als unfallbringend unterstellen würde, kann daraus Versicherungsschutz nicht abgeleitet werden. Wie im umgekehrten Fall einer in einen versicherten Weg eingeschobenen privaten Verrichtung ("gelegentlich des versicherten Wegs"), die den Versicherungsschutz nicht unterbricht, ist eine nur gelegentlich eines unversicherten Wegs eingeschobene betriebliche Verrichtung (das Umdrehen und nach Oben schauen) nicht geeignet, den Beurteilungszusammenhang zu unterbrechen und Versicherungsschutz zu begründen. Zur Frage der Unterbrechung des versicherten Wegs durch eine eigenwirtschaftliche Verrichtung hat das BSG zuletzt in seiner Entscheidung vom 9. Dezember 2003 (B 2 U 23/03 R) = SozR 4-2700 § 8 Nr. 3 folgende Kriterien formuliert: "Ganz kurze und geringfügige Unterbrechungen beseitigen den Zusammenhang des Weges mit der Betriebstätigkeit selbst dann nicht, wenn sie eigenwirtschaftlicher Natur sind. Um solche rechtlich nicht ins Gewicht fallenden Ereignisse handelt es sich, wenn der in Rede stehende Vorgang bei natürlicher Betrachtungsweise zeitlich und räumlich noch als Teil des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit in seiner Gesamtheit anzusehen ist oder, anders gewendet, wenn die Besorgung hinsichtlich ihrer zeitlichen Dauer und der Art ihrer Erledigung keine erhebliche Zäsur in der Fortbewegung in Richtung auf die Arbeitsstätte darstellt, wobei als Beurteilungsmaßstab die allgemeine Verkehrsauffassung zugrunde zu legen ist (BSG SozR Nr. 5 und Nr. 28 zu § 543 RVO aF; BSG Urteil vom 31. Juli 1985 - 2 RU 63/84 - USK 85252). Geringfügig ist eine Unterbrechung nach diesen Kriterien, wenn die private Besorgung unmittelbar im Bereich der Straße und ohne nennenswerte zeitliche Verzögerung, also gleichsam "im Vorbeigehen", erledigt werden kann (vgl. etwa BSG SozR Nr 28 zu § 543 RVO: Besorgen von Zigaretten aus einem Automaten am Straßenrand; BSG SozR 2200 § 539 Nr. 21: Hilfeleistung beim Öffnen einer Straßenbahntür; Urteil des BSG vom 31. Januar 1974 - 2 RU 165/72 - USK 7405 = Die Leistungen 1975, 123: Hilfe beim Hineinheben eines Kinderwagens in den Autobus)."

Diese Grenzziehung zwischen einer nur gelegentlich eines versicherten Wegs verrichteten privaten Tätigkeit gilt nach Auffassung des Senats auch in dem hier zur Beurteilung stehenden umgekehrten Fall.

Anlass, von dieser Grenzziehung im vorliegenden Fall abzuweichen, bestand nicht. Die Rechtsprechung des BSG ist eindeutig und grenzt zutreffend die dem privaten und damit unversicherten Bereich zuzuordnenden Risiken von den Risiken ab, die dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung unterliegen. Solange der Versicherte die Außentür des Gebäudes noch nicht durchschritten hat, ist er keinen von ihm nicht kalkulierbaren Risiken auf dem Weg von und zur Arbeit ausgesetzt.

Keine andere Beurteilung ist unter Berücksichtigung der Entscheidung des BSG vom 27. Oktober 1987 - 2 RU 32/87 - geboten. Darin ist das BSG nicht von der og. Rechtsprechung abgewichen, sondern hat wie in den vorangegangenen und nachfolgenden Entscheidungen betont, dass Versicherungsschutz in den Fällen, in denen Wohnung und Betriebsstätte in einem Haus gelegen sind, Versicherungsschutz erst mit dem Erreichen der Betriebsstätte beginne und auf dem Weg dorthin regelmäßig kein Versicherungsschutz bestehe. Dann, wenn ein Teil der Räume des Wohnhauses sowohl privaten als auch betrieblichen Zwecken diene, bestehe Versicherungsschutz nur, wenn sie nicht nur selten oder gelegentlich, sondern wesentlich zu betrieblichen Zwecken genutzt würden. Insbesondere bei Räumlichkeiten, die wie bei landwirtschaftlichen Gebäuden üblich, eigenwirtschaftlichen Zwecken zu dienen bestimmt seien, aber zugleich auch betrieblich genutzt würden, komme der Häufigkeit der Benutzung maßgebliche Bedeutung bei. Anders als von den Bevollmächtigten der Klägerin interpretiert, verhilft diese Entscheidung der Klägerin nicht zu Versicherungsschutz im sowohl privat als auch betrieblich genutzten Treppenhaus, denn die betriebsdienlichen und die dem ausschließlich persönlichen Bereich zuordenbaren Räume sind im vorliegenden Fall gerade klar getrennt (DG: Büro, EG und 1. OG: Wohnen). Auch wenn die Treppe im Haus der Klägerin und ihres Mannes jedenfalls auch betrieblichen Zwecken zu dienen bestimmt ist, weil nur über diese Treppe, auf der sich der Sturz ereignet hatte, die Arbeitsräume im Dachgeschoss des Hauses erreichbar waren, wäre notwendige Bedingung für die Bejahung von Versicherungsschutz, dass die Klägerin im Unfallzeitpunkt die Treppe aus betrieblichen Zwecken betreten hat, was aber nicht der Fall ist. Die Klägerin hatte ihre betriebliche Tätigkeit mit dem Verlassen der Büroräume beendet. Der Umstand, dass sich die Klägerin auf dem unteren Treppenteil nochmals ungewandt hatte, um nach dem Licht im Besprechungsraum zu sehen, genügt nicht, um von einer wesentlich betrieblichen Zwecken dienenden Tätigkeit der Klägerin im Unfallzeitpunkt auszugehen. Jede andere Auslegung würde die vom Bundessozialgericht (z.B. auch in den Entscheidungen vom 5. März 2002 - B 2 U 9/01 R, vom 7. November 2000 - B 2 U 39/99 R; vom 12. Dezember 2006 - B 2 U 28/05 R und B 2 U 1/06 R oder vom 14. Dezember 1999 - B 2 U 3/99 R) geforderte und in ständiger Rechtsprechung betonte Abgrenzung der Risikobereiche nach objektiven Gesichtspunkten unterlaufen. Der häusliche Bereich ist für den Versicherten als Gefahrenquelle für Unfallrisiken beherrschbar, im Gegensatz zu dem außerhalb des privaten Bereichs zurückzulegenden Wegs zur Arbeit. Dieser Gedanke gilt gleichermaßen für die Abgrenzung von Risikosphären, wenn Arbeitsstelle und Wohnung im gleichen Haus liegen.

Die Ablehnung von Versicherungsschutz im Treppenhaus der Klägerin sichert zusätzlich die Gleichbehandlung mit Versicherten, die auf ihrem - versicherten - Arbeitsweg außerhalb des Hauses umkehren, weil sie ein für die versicherte Tätigkeit notwendiges Hilfsmittel, z.B. die Aktentasche oder Arbeitsunterlagen, zu Hause vergessen haben und sich im - erneut - unversicherten privaten Bereich verletzen. Denn in beiden Fällen lassen die dem Verhalten des Versicherten zugrunde liegenden betrieblichen Motive (hier: Umdrehen, um nach dem Licht zu sehen, dort: Rückkehr wegen vergessener Arbeitsunterlagen) die Abgrenzung der Risikosphären unberührt.

Keine abweichende Beurteilung ist mit Blick auf § 2 Abs. 2 SGB I geboten, den die Bevollmächtigten der Klägerin als weiteres Argument zur Stützung ihrer Auffassung herangezogen haben. Gemäß § 2 Abs. 2 SGB I sind die dieser Vorschrift nachfolgenden soziale Rechte im SGB I bei der Auslegung der Vorschriften dieses Gesetzbuchs und bei der Ausübung von Ermessen zu beachten; dabei ist sicher zu stellen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden. Daher gilt schon seinem Wortlaut nach § 2 Abs. 2 SGB I nur als Auslegungs- und Ermessensregel für die Rechte, die in den §§ 3-10 SGB I normiert sind. Schon deshalb ist aus § 2 Abs. 2 SGB I i.V.m. §§ 3 - 10 SGB I eine rechtsfehlerhafte Auslegung des § 8 Abs. 2 SGB VII durch das BSG hinsichtlich der Frage eines versicherten Arbeitsweges nicht abzuleiten, anders als der Klägerbevollmächtigte vorbringt. Zu Fragen der Unfallversicherung findet sich im SGB I lediglich in § 22 SGB I eine Regelung; aus den allgemeinen Vorschriften des SGB I lassen sich für die Frage, wie der Begriff des Wegeunfalls in § 8 Abs. 2 SGB VII auszulegen ist, wenn sich Betriebsstätte und Wohnung in einem Haus befinden, keine Auslegungsgesichtspunkte herleiten. Es lag auch kein versicherter Betriebsweg vor.

Betriebswege sind Bestandteil der versicherten Tätigkeit nach § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII. Ein Betriebsweg ist ein Weg, der in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt wird, Teil der versicherten Tätigkeit ist und damit der Betriebsarbeit gleichsteht (BSG vom 07. November 2003, B 2 U 39/99 R = SozR 3-2700 Nr. 3 zu § 8 SGB VII = SGb 2001, 398 ff. m. Anm. Jung). Anders als der Weg nach dem Ort der Tätigkeit nach § 8 Abs. 2 SGB VII wird er im unmittelbaren Betriebsinteresse unternommen und geht nicht lediglich der versicherten Tätigkeit voran oder nach.

Sind Wohnung und Betriebsstätte im gleichen Gebäude, aber räumlich getrennt, z.B. der Handwerksbetrieb oder die Büroräume wie hier eines Architekten im Obergeschoss, die Wohnung im Erdgeschoss, und ereignet sich ein Unfall im Treppenhaus auf dem Weg von der Wohnung zur Betriebsstätte, reicht die bloße Absicht, die betriebliche Tätigkeit aufnehmen zu wollen oder der Umstand, diese gerade beendet zu haben, nicht für die Annahme eines versicherten Betriebswegs aus (BSG vom 07. November 2000, B 2 U 39/99 R = SozR 3-2700 § 8 Nr. 3; BSG vom 25. Februar 1993, 2 RU 12/92 = NJW 1993, 2070). Der Weg ist, wenn nicht ein überwiegend betrieblich veranlasster Weg vorliegt und dieser also schon Bestandteil der versicherten Tätigkeit ist (BSG 26.06.1985, 2 RU 71/84, SozR 2200 § 548 Nr. 72; BSG 30.11.1972, 2 RU 24/71, SozR 2200 Nr. 38 zu § 548 RVO – Breith. 1973, 359), dem unversicherten privaten Bereich zuzuordnen. Innerhalb des persönlichen, grundsätzlich unversicherten Wohnbereichs, in dem sich der Versicherte gerade unabhängig von betrieblichen Gründen aufhält, hat die Beziehung zu diesem Lebensbereich regelmäßig das ausschlaggebende Gewicht für die Beurteilung des Gesamtcharakters des Weges (BSG vom 29. Januar 1960, 2 RU 265/56 = BSGE 11, 267). Eine andere Betrachtung würde die Personen, deren Arbeitsstätte außerhalb des Wohnhauses liegt, schlechter behandeln, da deren Versicherungsschutz erst beim Durchschreiten der Außentür beginnt. Die häusliche Privatsphäre wird erst dann verlassen, wenn die Außentür des Hauses durchschritten wird.

Die Klägerin hatte ihre betriebliche Tätigkeit beendet und befand sich kurz vor der Eingangstür im Erdgeschoss zur Privatwohnung. Daher lag kein überwiegend betrieblich veranlasster Weg vor, der die Klägerin zum Erdgeschoss des Hauses führte, so dass auch kein versicherter Betriebsweg vorlag.

Der Umstand, dass im Jahr 2003 der Sturz ihres Ehemanns im Treppenhaus als versicherter Arbeitsunfall angesehen worden ist, steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Es handelt sich um getrennt zu bewertende Lebenssachverhalte, die durchaus auch zu einer unterschiedlichen rechtlichen Bewertung führen können. War der Ehemann der Kläger beispielsweise aus überwiegend betrieblichen Gründen im Treppenhaus unterwegs, wäre die damalige Entscheidung unter dem Gesichtspunkt eines versicherten Betriebswegs nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, bestanden nicht, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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