Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 17 SB 5379/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 668/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 28. Januar 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) für die Zeit vom 01.03.2004 bis 17.01.2007.
Die 1949 geborene Klägerin stellte erstmals am 11.09.2001 einen Antrag nach dem Schwerbehindertengesetz.
Mit Bescheid vom 11.12.2001 stellte das Versorgungsamt F. den GdB mit 20 seit 11.09.2001 fest. Die Prüfung der ärztlichen Unterlagen habe ergeben, dass folgende Funktionsbeeinträchtigungen vorlägen: Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule; Bandscheibenschaden; Harninkontinenz. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 14.03.2002 zurückgewiesen.
Mit Schriftsatz vom 18.01.2007 stellte der Bevollmächtigte der Klägerin Antrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf Überprüfung des bindenden Bescheides vom 11.12.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2002. Eine Begründung hierfür wurde trotz Aufforderung des Landratsamts B.-H. - Versorgungsamt - (VA) vom Bevollmächtigten der Klägerin nicht abgegeben.
Mit gleichem Schreiben vom 18.01.2007 stellte der Klägerbevollmächtigte einen Verschlimmerungsantrag und machte als weitere Erkrankungen "Leber-CA und Bandscheibenvorfall mit Operation 2005" geltend. Als behandelnde Ärztin gab er die Ärztin für Allgemeinmedizin S. an.
Das Landratsamt B.-H. - Versorgungsamt - (VA) holte den Befundbericht der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. S. ein, die verschiedene Facharztberichte beifügte.
Nach Einholung der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 05.07.2007 hob das VA mit Bescheid vom 23.07.2007 den Bescheid vom 11.12.2001 gemäß § 48 SGB X auf, da in den tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlass dieses Bescheides vorgelegen hätten, eine wesentliche Änderung eingetreten sei. Die Prüfung der ärztlichen Unterlagen habe ergeben, dass folgende Funktionsbeeinträchtigungen vorlägen: Lebererkrankung (in Heilungsbewährung), Teilverlust der Leber, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, operierter Bandscheibenschaden, Harninkontinenz. Der GdB wurde mit 100 seit 18.01.2007 festgestellt.
Mit Bescheid vom 24.07.2007 entsprach das VA dem am 18.01.2007 eingegangenen Antrag auf Erteilung des Rücknahmebescheides nach § 44 SGB X nicht. Zur Begründung wurde ausgeführt, mit Bescheid vom 11.12.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2002 sei ein GdB von 20 festgestellt worden. Mit Antrag vom 18.01.2007 sei um Überprüfung dieses Bescheides gebeten worden. Die Überprüfung habe ergeben, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Rücknahmebescheides nach § 44 SGB X nicht erfüllt seien.
Mit Schriftsatz vom 26.07.2007 legte der Bevollmächtigte der Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 24.07.2007 ein, der trotz Erinnerung nicht begründet wurde. Mit Widerspruchsbescheid vom 28.11.2007 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Dagegen erhob der Bevollmächtigte der Klägerin Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG, S 10 SB 6260/07). Das Verfahren ruht.
Mit weiterem Schriftsatz vom 26.07.2007 stellte der Bevollmächtigte der Klägerin den hier streitigen Antrag nach § 48 SGB X dahingehend, dass die Verhältnisse, die dem Bescheid vom 11.12.2001 zugrunde gelegt hätten, sich zu einem späteren Zeitpunkt wesentlich geändert hätten. Eine weitere Begründung hierzu wurde nicht abgegeben.
Das VA teilte der Ärztin für Allgemeinmedizin S. mit, es sei eine Überprüfung des früheren Bescheides beantragt worden, weshalb um eine Befundbeschreibung für die Zeit ab 2001 gebeten werde. Hierzu teilte die Ärztin am 07.08.2008 mit, die Patientin sei wegen des LWS-Syndroms bei Skoliose und Osteochondrose im Alltag nie ohne Beschwerden gewesen. Belastungen wie langes Stehen und schweres Heben hätten die Symptome verschlimmert. Im Oktober 2001 sei die Diagnose eines Bandscheibenvorfalls gestellt worden. Im Juni 2003 seien HWS-Beschwerden mit ausgeprägten Myogelosen in diesem Bereich und mit Paraesthesien in beiden Händen aufgetreten. Die Diagnose einer rheumatischen Erkrankung sei ihres Wissens nie gestellt worden. Im Januar 2001 hätten Miktionsbeschwerden bei Zustand nach Hysterektomie wegen Descensus und Uterus myomatosus bestanden. Die Inkontinenz sei in erster Linie stressbedingt und bestehe erfreulicherweise nicht ständig. Sie fügte Facharztberichte des Orthopäden M. vom 13.03.2011 und vom 07.10.2003, des Prof. Dr. M. von der Ambulanz der Neurochirurgischen Universitätsklinik F. vom 02.10.2001, des Urologen Dr. K. vom 16.01.2002 und vom Institut für diagnostische Radiologie F. vom 31.12.2003 und vom 04.08.2004, der H. R. Klinik B. vom 08.04.2005 sowie vom 04.11.2005, des Dr. T. W., B. K. vom 26.05.2006 und von der Orthopädischen Gemeinschaftspraxis Dres. L., N. & Partner, F. vom 04.04.2007 bei. Diese wurden mit der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 22.09.2008 ausgewertet.
Mit Bescheid vom 29.01.2009 hob das VA den Bescheid vom 11.12.2001 gemäß § 48 SGB X insoweit auf, als für die Zeit vom 01.03.2004 bis 17.01.2007 der GdB mit 30 (statt 20) festgestellt wurde. Eine wesentliche Änderung sei insoweit eingetreten, als sich der Gesundheitszustand der Klägerin wesentlich verschlechtert habe.
Der hiergegen vom Bevollmächtigten der Klägerin eingelegte Widerspruch, der trotz Erinnerung nicht begründet wurde, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.09.2009 zurückgewiesen.
Dagegen erhob der Bevollmächtigte der Klägerin am 26.10.2009 Klage zum SG (S 17 SB 5379/09) und beantragte für die Klägerin, den GdB auf wenigstens 50 für den Zeitraum vom 01.03.2004 bis 17.01.2007 festzustellen. Der GdB von 30 sei nicht nachvollziehbar. Aus dem Befundbericht der Klinik Z. in F. vom 02.02.2007 ergebe sich, dass ein chronisches Schmerzsyndrom Grad III nach Gerbershagen vorliege. Des Weiteren sei die Harninkontinenz mit 10 % GdB bagatellisierend bewertet worden. Eine Harninkontinenz sei, da sie doch auch den Bereich des Schamgefühls betreffe, eine äußert unangenehme Angelegenheit und zwinge zu plötzlichem Aufsuchen von Toiletten und führe zu einer psychischen Beeinträchtigung beim "sich Bewegen in der Öffentlichkeit". Hier sei ein GdB von wenigstens 20 % in Ansatz zu bringen. Zur weiteren Begründung wurde der Bericht der Fachärztin für Allgemeinmedizin G. S. vom 28.06.2007 vorgelegt, den diese im Rentenverfahren (S 13 R 2973/06) dem SG als sachverständige Zeugin schriftlich erstattet hatte. Am 18.12.2009 wurde eine vom Bevollmächtigten der Klägerin unterschriebene Klageschrift eingereicht.
Mit Urteil vom 28.01.2011 wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf die Feststellung eines GdB von 50 für den Zeitraum vom 01.03.2004 bis 17.01.2007, da die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt seien. Im Bereich der Lendenwirbelsäule handele es sich bei der Klägerin um einen Wirbelsäulenschaden mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt, die mit einem GdB von 30 zu bewerten seien. Ausgangspunkt sei der orthopädische Bericht vom 17.10.2007, in welchem von einem HWS-Syndrom mit gelegentlichen Kreuzschmerzen die Rede sei. Im Befundbericht von Dr. W. vom 17.01.2005 sei hinsichtlich der LWS von gebesserten Beschwerden seit zwei Reha-Verfahren (1997 und 2000) die Rede. Seit März 2004 bestünden aber wieder zunehmende Beschwerden im Sitzen. Vor diesem Hintergrund sei am 31.03.2005 die Operation im Bereich der Lendenwirbelsäule erfolgt. Zuletzt sei berichtet worden, dass postoperativ sich die Bein- und Rückenschmerzen gebessert hätten. Das geltend gemachte Fibromyalgiesyndrom sei erst seit April 2007 - und damit außerhalb des vorliegend streitigen Zeitraums - ärztlich dokumentiert. Für den hier umstrittenen Zeitraum sei lediglich ein gewisses Schmerzsyndrom mit depressiver Überlagerung aktenkundig. Zu einer nervenfachärztlichen Mitbehandlung sei es aber nicht gekommen, so dass eine psychische Erkrankung mit echt behinderndem Charakter nicht nachgewiesen sei. Die Beschwerden hinsichtlich der Harninkontinenz ergeben sich aus dem Befundbericht von Dr. K. vom 22.11.2000, in welchem von einem Urinverlust beim Husten die Rede sei. Dies rechtfertige einen GdB von 10. Insgesamt ergebe sich ein GdB von 30.
Gegen das - dem Bevollmächtigten der Klägerin am 09.02.2011 zugestellte - Urteil hat der Bevollmächtigte der Klägerin am 15.02.2011 Berufung eingelegt. Er verfolgt das Begehren der Klägerin weiter, einen GdB von 50 für die Zeit vom 01.03.2004 bis 17.01.2007 festzustellen. Verkannt werde im Ganzen, dass die Klägerin chronische Schmerzpatientin sei, ungeachtet ihrer plötzlich unerwartet aufgetretenen karzinogenen Lebererkrankung. Die Fibromyalgie sei in unzulässiger Weise nach der versorgungsärztlichen Stellungnahme beim operierten Bandscheibenschaden in Ansatz gebracht worden. Dies sei unzutreffend und die Fibromyalgie sei mit einem höchsteigenständigen Teil-GdB zu bewerten. Der Teil-GdB bei der Wirbelsäulenerkrankung sei mit 30 deutlichst untersetzt. Er könnte unter Berücksichtigung, dass die Klägerin ein Korsett lange Zeit getragen habe, gerade in diesem Zeitraum seinerzeit, durchaus bei 50 % als Teil-GdB liegen. Die Schilderungen von Fr. S. im Rentenverfahren seien eindringlich genug. Außerdem sei es vielleicht angezeigt, nochmals Fr. S. anzuschreiben und entsprechende Ermittlungen zu tätigen.
Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 28. Januar 2011 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 29. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2009 zu verurteilen, bei der Klägerin einen GdB von 50 für die Zeit vom 01.03.2004 bis 17.01.2007 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Mit gerichtlicher Verfügung vom 31.03.2011 ist dem Bevollmächtigten der Klägerin mitgeteilt worden, dass die Einholung eines Befundberichtes von der Ärztin für Allgemeinmedizin G. S. nicht für erforderlich gehalten werde, da ein Befundbericht vom 07.08.2008 (Bl. 102 der Bekl.-Akten) schon vorliege. Ergänzend werde um Mitteilung gebeten, ob und gegebenenfalls bei wem die Klägerin wegen "degenerativer Veränderung der Wirbelsäulenabschnitte, operiertem Bandscheibenschaden, Fibromyalgiesyndrom und Harninkontinenz" fachärztlich behandelt worden sei und ob das Rentenverfahren inzwischen abgeschlossen sei.
Hierzu hat der Bevollmächtigte der Klägerin mitgeteilt, das Rentenverfahren sei abgeschlossen, die Klägerin beziehe Rente.
Die Rentenakten der DRV B.-W. sind vom Senat beigezogen worden. Danach bezieht die Klägerin ab 01.05.2007 Rente wegen voller Erwerbsminderung. Ärztliche Unterlagen für die hier streitige Zeit (01.03.2004 bis 17.01.2007) sind in den beigezogenen Rentenakten nicht vorhanden.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 26.09.2011 hat der Bevollmächtigte der Klägerin unter Hinweis auf § 106 a SGG Gelegenheit bis 31. Oktober 2011 erhalten, die Berufung näher zu begründen. In diesem Zusammenhang ist er auch daraufhin gewiesen worden, dass das Gericht Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der Frist vorgebracht werden, zurückweisen kann und ohne weitere Ermittlungen entscheiden kann, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und der Beteiligten die Verspätung nicht genügend entschuldige.
Eine Antwort hierauf ist vom Bevollmächtigten der Klägerin nicht eingegangen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten, der Akten des SG Freiburg und der Senatsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist der Bescheid des Beklagten vom 29.01.2009, mit dem der Beklagte auf den Verschlimmerungsantrag der Klägerin vom 26.07.2007 über eine wesentliche Änderung im Sinne einer Verschlimmerung entschieden hat. Danach hat der Beklagte entschieden, dass der GdB für die Zeit ab 01.03.2004 bis 17.01.2007 30 beträgt. Für die Zeit ab 18.01.2007 ist der GdB mit Bescheid vom 23.07.2007 mit 100 festgestellt worden. Die Klägerin begehrt die rückwirkende Feststellung eines höheren GdB’s als 30, nämlich 50 für die Zeit vom 01.03.2004 bis 17.01.2007.
Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Neufeststellung eines höheren GdB ist § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Er soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse - auch rückwirkend - aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X). Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen - welche ihrerseits nicht zum sogenannten Verfügungssatz des Bescheides gehören - zugrunde gelegten Teil-GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG, Urteil vom 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 - BSGE 81, 50 bis 54). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Teil-GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustandes mit dem bindend festgestellten - früheren - Behinderungszustand ermittelt werden.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB-Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend.
Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Diese sind somit auf den hier streitigen Zeitraum noch anzuwenden.
Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Teil A Nr. 3 Seite 10 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP).
Hiervon ausgehend hat der Beklagte es zu Recht abgelehnt, bei der Klägerin einen GdB von mehr als 30 für den streitigen Zeitraum vom 01.03.2004 bis 17.01.2007 festzustellen. Zu Recht hat daher das SG mit Urteil vom 28.01.2011 die Klage abgewiesen. Das SG hat in der angefochtenen Entscheidung die für den Rechtsstreit maßgeblichen Rechtsvorschriften und Grundsätze vollständig und zutreffend dargestellt. Es hat weiter ausführlich begründet, dass bei der Klägerin ein höherer GdB als 30 für den streitigen Zeitraum nicht gerechtfertigt ist. Der Senat schließt sich nach eigener Überprüfung zur Begründung seiner Entscheidung den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils des SG Freiburg vom 28.01.2011 an, auf die er zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend und im Hinblick auf das Berufungsvorbringen bleibt auszuführen:
Soweit der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 14.02.2011 beantragt hat, bei der Ärztin für Allgemeinmedizin G. S. einen Befundbericht über den Gesundheitszustand der Klägerin in der Zeit vom 01.03.2004 bis 17.01.2007 einzuholen, hält dies der Senat nicht für erforderlich. Der Beweisantrag war abzulehnen, weil die Beweiserhebung offenkundig überflüssig ist (zu diesem Ablehnungsgrund vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 103 Rdnr. 8), da zu diesem Beweisthema der Befundbericht der Ärztin für Allgemeinmedizin G. S. vom 07.08.2008 - und damit zeitnah zu dem hier streitigen Zeitpunkt - vorliegt und der von ihr auf Anfrage des VA erstattet worden ist. Dieser ist im Verwaltungsverfahren vom Beklagten ausgewertet und bei seiner Entscheidung vom 29.01.2009 berücksichtigt worden. Eine für die wiederholende Beweisaufnahme unter Beweis gestellte Tatsachengrundlage, die von der vorhergehenden Beweisaufnahme abweicht und durch den aktenkundigen Bericht vom 07.08.2008 nicht beantwortet ist, ist vom Klägerbevollmächtigten weder konkretisiert dargelegt worden noch für den Senat ersichtlich. Ob die Klägerin wegen der von ihr geltend gemachten Beschwerden (degenerative Veränderungen der Wirbelsäulenabschnitte, operierter Bandscheibenschaden, Fibromyalgiesyndrom und Harninkontinenz) fachärztlich behandelt worden ist, entzieht sich der Kenntnis des Senats, da es der Bevollmächtigte der Klägerin versäumt hat, hierzu Stellung zu nehmen. Er ist mit gerichtlichem Schreiben von 31.03.2011 gebeten worden, hierzu Angaben zu machen und hat, nachdem er hierauf nicht geantwortet hat, unter Hinweis auf § 106a SGG Gelegenheit bis zum 31.10.2011 erhalten, dies nachzuholen, was aber nicht erfolgt ist. Da der Bevollmächtigte der Klägerin sich somit hierzu nicht (innerhalb der ihm eingeräumten Frist) geäußert hat, ist es dem Senat nicht möglich, weitere Ermittlungen zu tätigen, etwa durch Vernehmung der die Klägerin behandelnden Fachärzte als sachverständige Zeugen.
Nach alledem konnte die Berufung der Klägerin keinen Erfolg haben und sie war mit der Kostenentscheidung aus § 193 SGG zurückzuweisen.
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) für die Zeit vom 01.03.2004 bis 17.01.2007.
Die 1949 geborene Klägerin stellte erstmals am 11.09.2001 einen Antrag nach dem Schwerbehindertengesetz.
Mit Bescheid vom 11.12.2001 stellte das Versorgungsamt F. den GdB mit 20 seit 11.09.2001 fest. Die Prüfung der ärztlichen Unterlagen habe ergeben, dass folgende Funktionsbeeinträchtigungen vorlägen: Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule; Bandscheibenschaden; Harninkontinenz. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 14.03.2002 zurückgewiesen.
Mit Schriftsatz vom 18.01.2007 stellte der Bevollmächtigte der Klägerin Antrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf Überprüfung des bindenden Bescheides vom 11.12.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2002. Eine Begründung hierfür wurde trotz Aufforderung des Landratsamts B.-H. - Versorgungsamt - (VA) vom Bevollmächtigten der Klägerin nicht abgegeben.
Mit gleichem Schreiben vom 18.01.2007 stellte der Klägerbevollmächtigte einen Verschlimmerungsantrag und machte als weitere Erkrankungen "Leber-CA und Bandscheibenvorfall mit Operation 2005" geltend. Als behandelnde Ärztin gab er die Ärztin für Allgemeinmedizin S. an.
Das Landratsamt B.-H. - Versorgungsamt - (VA) holte den Befundbericht der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. S. ein, die verschiedene Facharztberichte beifügte.
Nach Einholung der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 05.07.2007 hob das VA mit Bescheid vom 23.07.2007 den Bescheid vom 11.12.2001 gemäß § 48 SGB X auf, da in den tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlass dieses Bescheides vorgelegen hätten, eine wesentliche Änderung eingetreten sei. Die Prüfung der ärztlichen Unterlagen habe ergeben, dass folgende Funktionsbeeinträchtigungen vorlägen: Lebererkrankung (in Heilungsbewährung), Teilverlust der Leber, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, operierter Bandscheibenschaden, Harninkontinenz. Der GdB wurde mit 100 seit 18.01.2007 festgestellt.
Mit Bescheid vom 24.07.2007 entsprach das VA dem am 18.01.2007 eingegangenen Antrag auf Erteilung des Rücknahmebescheides nach § 44 SGB X nicht. Zur Begründung wurde ausgeführt, mit Bescheid vom 11.12.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2002 sei ein GdB von 20 festgestellt worden. Mit Antrag vom 18.01.2007 sei um Überprüfung dieses Bescheides gebeten worden. Die Überprüfung habe ergeben, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Rücknahmebescheides nach § 44 SGB X nicht erfüllt seien.
Mit Schriftsatz vom 26.07.2007 legte der Bevollmächtigte der Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 24.07.2007 ein, der trotz Erinnerung nicht begründet wurde. Mit Widerspruchsbescheid vom 28.11.2007 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Dagegen erhob der Bevollmächtigte der Klägerin Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG, S 10 SB 6260/07). Das Verfahren ruht.
Mit weiterem Schriftsatz vom 26.07.2007 stellte der Bevollmächtigte der Klägerin den hier streitigen Antrag nach § 48 SGB X dahingehend, dass die Verhältnisse, die dem Bescheid vom 11.12.2001 zugrunde gelegt hätten, sich zu einem späteren Zeitpunkt wesentlich geändert hätten. Eine weitere Begründung hierzu wurde nicht abgegeben.
Das VA teilte der Ärztin für Allgemeinmedizin S. mit, es sei eine Überprüfung des früheren Bescheides beantragt worden, weshalb um eine Befundbeschreibung für die Zeit ab 2001 gebeten werde. Hierzu teilte die Ärztin am 07.08.2008 mit, die Patientin sei wegen des LWS-Syndroms bei Skoliose und Osteochondrose im Alltag nie ohne Beschwerden gewesen. Belastungen wie langes Stehen und schweres Heben hätten die Symptome verschlimmert. Im Oktober 2001 sei die Diagnose eines Bandscheibenvorfalls gestellt worden. Im Juni 2003 seien HWS-Beschwerden mit ausgeprägten Myogelosen in diesem Bereich und mit Paraesthesien in beiden Händen aufgetreten. Die Diagnose einer rheumatischen Erkrankung sei ihres Wissens nie gestellt worden. Im Januar 2001 hätten Miktionsbeschwerden bei Zustand nach Hysterektomie wegen Descensus und Uterus myomatosus bestanden. Die Inkontinenz sei in erster Linie stressbedingt und bestehe erfreulicherweise nicht ständig. Sie fügte Facharztberichte des Orthopäden M. vom 13.03.2011 und vom 07.10.2003, des Prof. Dr. M. von der Ambulanz der Neurochirurgischen Universitätsklinik F. vom 02.10.2001, des Urologen Dr. K. vom 16.01.2002 und vom Institut für diagnostische Radiologie F. vom 31.12.2003 und vom 04.08.2004, der H. R. Klinik B. vom 08.04.2005 sowie vom 04.11.2005, des Dr. T. W., B. K. vom 26.05.2006 und von der Orthopädischen Gemeinschaftspraxis Dres. L., N. & Partner, F. vom 04.04.2007 bei. Diese wurden mit der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 22.09.2008 ausgewertet.
Mit Bescheid vom 29.01.2009 hob das VA den Bescheid vom 11.12.2001 gemäß § 48 SGB X insoweit auf, als für die Zeit vom 01.03.2004 bis 17.01.2007 der GdB mit 30 (statt 20) festgestellt wurde. Eine wesentliche Änderung sei insoweit eingetreten, als sich der Gesundheitszustand der Klägerin wesentlich verschlechtert habe.
Der hiergegen vom Bevollmächtigten der Klägerin eingelegte Widerspruch, der trotz Erinnerung nicht begründet wurde, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.09.2009 zurückgewiesen.
Dagegen erhob der Bevollmächtigte der Klägerin am 26.10.2009 Klage zum SG (S 17 SB 5379/09) und beantragte für die Klägerin, den GdB auf wenigstens 50 für den Zeitraum vom 01.03.2004 bis 17.01.2007 festzustellen. Der GdB von 30 sei nicht nachvollziehbar. Aus dem Befundbericht der Klinik Z. in F. vom 02.02.2007 ergebe sich, dass ein chronisches Schmerzsyndrom Grad III nach Gerbershagen vorliege. Des Weiteren sei die Harninkontinenz mit 10 % GdB bagatellisierend bewertet worden. Eine Harninkontinenz sei, da sie doch auch den Bereich des Schamgefühls betreffe, eine äußert unangenehme Angelegenheit und zwinge zu plötzlichem Aufsuchen von Toiletten und führe zu einer psychischen Beeinträchtigung beim "sich Bewegen in der Öffentlichkeit". Hier sei ein GdB von wenigstens 20 % in Ansatz zu bringen. Zur weiteren Begründung wurde der Bericht der Fachärztin für Allgemeinmedizin G. S. vom 28.06.2007 vorgelegt, den diese im Rentenverfahren (S 13 R 2973/06) dem SG als sachverständige Zeugin schriftlich erstattet hatte. Am 18.12.2009 wurde eine vom Bevollmächtigten der Klägerin unterschriebene Klageschrift eingereicht.
Mit Urteil vom 28.01.2011 wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf die Feststellung eines GdB von 50 für den Zeitraum vom 01.03.2004 bis 17.01.2007, da die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt seien. Im Bereich der Lendenwirbelsäule handele es sich bei der Klägerin um einen Wirbelsäulenschaden mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt, die mit einem GdB von 30 zu bewerten seien. Ausgangspunkt sei der orthopädische Bericht vom 17.10.2007, in welchem von einem HWS-Syndrom mit gelegentlichen Kreuzschmerzen die Rede sei. Im Befundbericht von Dr. W. vom 17.01.2005 sei hinsichtlich der LWS von gebesserten Beschwerden seit zwei Reha-Verfahren (1997 und 2000) die Rede. Seit März 2004 bestünden aber wieder zunehmende Beschwerden im Sitzen. Vor diesem Hintergrund sei am 31.03.2005 die Operation im Bereich der Lendenwirbelsäule erfolgt. Zuletzt sei berichtet worden, dass postoperativ sich die Bein- und Rückenschmerzen gebessert hätten. Das geltend gemachte Fibromyalgiesyndrom sei erst seit April 2007 - und damit außerhalb des vorliegend streitigen Zeitraums - ärztlich dokumentiert. Für den hier umstrittenen Zeitraum sei lediglich ein gewisses Schmerzsyndrom mit depressiver Überlagerung aktenkundig. Zu einer nervenfachärztlichen Mitbehandlung sei es aber nicht gekommen, so dass eine psychische Erkrankung mit echt behinderndem Charakter nicht nachgewiesen sei. Die Beschwerden hinsichtlich der Harninkontinenz ergeben sich aus dem Befundbericht von Dr. K. vom 22.11.2000, in welchem von einem Urinverlust beim Husten die Rede sei. Dies rechtfertige einen GdB von 10. Insgesamt ergebe sich ein GdB von 30.
Gegen das - dem Bevollmächtigten der Klägerin am 09.02.2011 zugestellte - Urteil hat der Bevollmächtigte der Klägerin am 15.02.2011 Berufung eingelegt. Er verfolgt das Begehren der Klägerin weiter, einen GdB von 50 für die Zeit vom 01.03.2004 bis 17.01.2007 festzustellen. Verkannt werde im Ganzen, dass die Klägerin chronische Schmerzpatientin sei, ungeachtet ihrer plötzlich unerwartet aufgetretenen karzinogenen Lebererkrankung. Die Fibromyalgie sei in unzulässiger Weise nach der versorgungsärztlichen Stellungnahme beim operierten Bandscheibenschaden in Ansatz gebracht worden. Dies sei unzutreffend und die Fibromyalgie sei mit einem höchsteigenständigen Teil-GdB zu bewerten. Der Teil-GdB bei der Wirbelsäulenerkrankung sei mit 30 deutlichst untersetzt. Er könnte unter Berücksichtigung, dass die Klägerin ein Korsett lange Zeit getragen habe, gerade in diesem Zeitraum seinerzeit, durchaus bei 50 % als Teil-GdB liegen. Die Schilderungen von Fr. S. im Rentenverfahren seien eindringlich genug. Außerdem sei es vielleicht angezeigt, nochmals Fr. S. anzuschreiben und entsprechende Ermittlungen zu tätigen.
Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 28. Januar 2011 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 29. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2009 zu verurteilen, bei der Klägerin einen GdB von 50 für die Zeit vom 01.03.2004 bis 17.01.2007 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Mit gerichtlicher Verfügung vom 31.03.2011 ist dem Bevollmächtigten der Klägerin mitgeteilt worden, dass die Einholung eines Befundberichtes von der Ärztin für Allgemeinmedizin G. S. nicht für erforderlich gehalten werde, da ein Befundbericht vom 07.08.2008 (Bl. 102 der Bekl.-Akten) schon vorliege. Ergänzend werde um Mitteilung gebeten, ob und gegebenenfalls bei wem die Klägerin wegen "degenerativer Veränderung der Wirbelsäulenabschnitte, operiertem Bandscheibenschaden, Fibromyalgiesyndrom und Harninkontinenz" fachärztlich behandelt worden sei und ob das Rentenverfahren inzwischen abgeschlossen sei.
Hierzu hat der Bevollmächtigte der Klägerin mitgeteilt, das Rentenverfahren sei abgeschlossen, die Klägerin beziehe Rente.
Die Rentenakten der DRV B.-W. sind vom Senat beigezogen worden. Danach bezieht die Klägerin ab 01.05.2007 Rente wegen voller Erwerbsminderung. Ärztliche Unterlagen für die hier streitige Zeit (01.03.2004 bis 17.01.2007) sind in den beigezogenen Rentenakten nicht vorhanden.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 26.09.2011 hat der Bevollmächtigte der Klägerin unter Hinweis auf § 106 a SGG Gelegenheit bis 31. Oktober 2011 erhalten, die Berufung näher zu begründen. In diesem Zusammenhang ist er auch daraufhin gewiesen worden, dass das Gericht Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der Frist vorgebracht werden, zurückweisen kann und ohne weitere Ermittlungen entscheiden kann, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und der Beteiligten die Verspätung nicht genügend entschuldige.
Eine Antwort hierauf ist vom Bevollmächtigten der Klägerin nicht eingegangen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten, der Akten des SG Freiburg und der Senatsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist der Bescheid des Beklagten vom 29.01.2009, mit dem der Beklagte auf den Verschlimmerungsantrag der Klägerin vom 26.07.2007 über eine wesentliche Änderung im Sinne einer Verschlimmerung entschieden hat. Danach hat der Beklagte entschieden, dass der GdB für die Zeit ab 01.03.2004 bis 17.01.2007 30 beträgt. Für die Zeit ab 18.01.2007 ist der GdB mit Bescheid vom 23.07.2007 mit 100 festgestellt worden. Die Klägerin begehrt die rückwirkende Feststellung eines höheren GdB’s als 30, nämlich 50 für die Zeit vom 01.03.2004 bis 17.01.2007.
Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Neufeststellung eines höheren GdB ist § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Er soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse - auch rückwirkend - aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X). Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen - welche ihrerseits nicht zum sogenannten Verfügungssatz des Bescheides gehören - zugrunde gelegten Teil-GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG, Urteil vom 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 - BSGE 81, 50 bis 54). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Teil-GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustandes mit dem bindend festgestellten - früheren - Behinderungszustand ermittelt werden.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB-Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend.
Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Diese sind somit auf den hier streitigen Zeitraum noch anzuwenden.
Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Teil A Nr. 3 Seite 10 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP).
Hiervon ausgehend hat der Beklagte es zu Recht abgelehnt, bei der Klägerin einen GdB von mehr als 30 für den streitigen Zeitraum vom 01.03.2004 bis 17.01.2007 festzustellen. Zu Recht hat daher das SG mit Urteil vom 28.01.2011 die Klage abgewiesen. Das SG hat in der angefochtenen Entscheidung die für den Rechtsstreit maßgeblichen Rechtsvorschriften und Grundsätze vollständig und zutreffend dargestellt. Es hat weiter ausführlich begründet, dass bei der Klägerin ein höherer GdB als 30 für den streitigen Zeitraum nicht gerechtfertigt ist. Der Senat schließt sich nach eigener Überprüfung zur Begründung seiner Entscheidung den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils des SG Freiburg vom 28.01.2011 an, auf die er zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend und im Hinblick auf das Berufungsvorbringen bleibt auszuführen:
Soweit der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 14.02.2011 beantragt hat, bei der Ärztin für Allgemeinmedizin G. S. einen Befundbericht über den Gesundheitszustand der Klägerin in der Zeit vom 01.03.2004 bis 17.01.2007 einzuholen, hält dies der Senat nicht für erforderlich. Der Beweisantrag war abzulehnen, weil die Beweiserhebung offenkundig überflüssig ist (zu diesem Ablehnungsgrund vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 103 Rdnr. 8), da zu diesem Beweisthema der Befundbericht der Ärztin für Allgemeinmedizin G. S. vom 07.08.2008 - und damit zeitnah zu dem hier streitigen Zeitpunkt - vorliegt und der von ihr auf Anfrage des VA erstattet worden ist. Dieser ist im Verwaltungsverfahren vom Beklagten ausgewertet und bei seiner Entscheidung vom 29.01.2009 berücksichtigt worden. Eine für die wiederholende Beweisaufnahme unter Beweis gestellte Tatsachengrundlage, die von der vorhergehenden Beweisaufnahme abweicht und durch den aktenkundigen Bericht vom 07.08.2008 nicht beantwortet ist, ist vom Klägerbevollmächtigten weder konkretisiert dargelegt worden noch für den Senat ersichtlich. Ob die Klägerin wegen der von ihr geltend gemachten Beschwerden (degenerative Veränderungen der Wirbelsäulenabschnitte, operierter Bandscheibenschaden, Fibromyalgiesyndrom und Harninkontinenz) fachärztlich behandelt worden ist, entzieht sich der Kenntnis des Senats, da es der Bevollmächtigte der Klägerin versäumt hat, hierzu Stellung zu nehmen. Er ist mit gerichtlichem Schreiben von 31.03.2011 gebeten worden, hierzu Angaben zu machen und hat, nachdem er hierauf nicht geantwortet hat, unter Hinweis auf § 106a SGG Gelegenheit bis zum 31.10.2011 erhalten, dies nachzuholen, was aber nicht erfolgt ist. Da der Bevollmächtigte der Klägerin sich somit hierzu nicht (innerhalb der ihm eingeräumten Frist) geäußert hat, ist es dem Senat nicht möglich, weitere Ermittlungen zu tätigen, etwa durch Vernehmung der die Klägerin behandelnden Fachärzte als sachverständige Zeugen.
Nach alledem konnte die Berufung der Klägerin keinen Erfolg haben und sie war mit der Kostenentscheidung aus § 193 SGG zurückzuweisen.
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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