L 8 SB 3370/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 10 SB 1363/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 3370/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 19. Juli 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 26.10.2010 zu Recht als unzulässig, da verspätet, mit Widerspruchsbescheid vom 09.02.2010 zurückgewiesen hat.

Mit Bescheid vom 26.10.2010 lehnte der Beklagte den Antrag des Bevollmächtigten des Klägers vom 19.09.2008 auf Erteilung eines Rücknahmebescheides nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ab. Dieser Antrag war erforderlich geworden, da der Bevollmächtigte des Klägers den Widerspruch gegen den Bescheid vom 14.07.2008 (Ablehnung beantragter Merkzeichen "G" und "RF" sowie Erhöhung des GdB von 70 auf 80) verspätet eingelegt hatte. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.01.2009 war der Widerspruch als unzulässig, da verspätet, zurückgewiesen worden. Klage auf Erteilung der Merkzeichen (S 10 SB 965/09, SG Freiburg) und Berufung (L 6 SB 5960/09, LSG Baden-Württemberg) waren erfolglos.

Gegen den Bescheid vom 26.10.2010 legte der Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 03.12.2010 - per Fax - am 03.12.2010 Widerspruch ein.

Mit Schreiben vom 07.12.2010 teilte der Beklagte dem Bevollmächtigten des Klägers mit, der angefochtene Bescheid vom 26.10.2010 sei am 27.10.2010 zur Post gegeben worden und gelte somit mit dem 30.10.2010 als bekanntgegeben. Der Widerspruch des Bevollmächtigten des Klägers sei erst am 03.12.2010, also nach Ablauf der Widerspruchsfrist, die am 30.11.2010 geendet habe, eingereicht worden.

Mit Schreiben vom 27.01.2011 teilte der Bevollmächtigte dem Beklagten mit, der Bescheid vom 26.10.2010 trage bei ihm den Eingangsstempel 03.11.2010. Er sei der Auffassung, der Beklagte habe zu beweisen, dass der Zugang am 30.10.2010 erfolgt sei. Der bei ihm angebrachte Eingangsstempel laute auf den 03.11.2010. Korrigiert sei nur die Monatsangabe.

Der Beklagte holte die Auskunft von "arriva" - Briefe und Service - S. vom 06.12.2010 ein. Darin ist ausgeführt, die Sendung sei am 27.10. auf die genannte Adresse erfasst und am 28.10.2010 in die Zustellung gegeben worden. Laut ihren Sendungsdaten sei die Sendung am 28.10.2010 zugestellt worden. Der Auskunft war der am 06.12.2010 erhobene Sendungsstatus beigefügt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.02.2011 wurde der Widerspruch als unzulässig zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, nach § 37 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gelte ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches übermittelt werde, mit dem 3. Tag nach Aufgabe zur Post als bekanntgegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen sei. Der angefochtene Bescheid vom 26.10.2010 sei der Briefversandfirma "arriva" zur Beförderung übergeben worden. Nach den Sendungsdaten von "arriva" sei der Brief am 28.10.2010 zugestellt worden. Die mit "arriva" versandten Briefe seien mit einem Strichcode und einer sogenannten Sendungsnummer versehen. Anhand dieser Merkmale könne der Versandverlauf verfolgt und das Zustellungsdatum ermittelt werden. Nach der erteilten Auskunft von "arriva" vom 03.02.2011 bestünden keine Zweifel, dass der angefochtene Bescheid am 28.10.2010 zugestellt worden sei. Der interne Eingangsstempel der Kanzlei des Bevollmächtigten des Klägers, der im Übrigen korrigiert worden sei, ändere nicht die von "arriva" dokumentierte Zustellung. Selbst wenn die 3-tägige Zugangsvermutung unterstellt würde, wäre die Widerspruchsfrist am 30.11.2010 abgelaufen. Der Widerspruch sei aber erst am 03.12.2010 per Fax erhoben worden. Zu diesem Zeitpunkt sei die Widerspruchsfrist bereits abgelaufen. Darüber hinaus seien Gründe, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglicherweise rechtfertigen könnten, nicht vorgetragen. Solche seien auch nicht ersichtlich. Aufgrund dessen sei der Widerspruch ohne sachliche Prüfung zurückzuweisen.

Die dagegen vom Bevollmächtigten des Klägers am 16.03.2011 zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhobene Klage wurde mit Gerichtsbescheid vom 19.07.2011 als unzulässig verworfen, da ihr Streitgegenstand nicht hinreichend bestimmt sei und das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers nicht erkennbar sei. Nicht mehr entscheidungserheblich sei damit, dass die Klage auch unbegründet sei, da der eingelegte Widerspruch vom 03.12.2010 nach Ablauf der Monatsfrist verspätet eingelegt worden sei.

Gegen den - dem Bevollmächtigten des Klägers gegen Empfangsbekenntnis am 23.07.2011 zugestellten - Gerichtsbescheid hat der Bevollmächtigte des Klägers am 09.08.2011 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er geltend gemacht, es sei bis heute nicht bewiesen, wann der Brief eingegangen sei. Er betone ausdrücklich, dass die Behörde dies beweisen müsse.

Einen Antrag hat der Bevollmächtigte des Klägers trotz Fristsetzung unter Hinweis auf § 106a SGG (Frist bis zum 31.12.2011) nicht gestellt.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten, der Akten des SG Freiburg und der Senatsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der am 30.01.2012 eingegangene Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten gibt dem Senat keinen Anlass, von der Zustellung der getroffenen Entscheidung abzusehen und wieder in das vorbereitende Verfahren einzutreten.

Die gemäß §§ 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Berufung bestehen insofern, als der Bevollmächtigte des Klägers einen Antrag nicht gestellt hat. Mit gerichtlichem Schreiben vom 08.11.2011 ist der Bevollmächtigte des Klägers darauf hingewiesen worden, dass zu diesem Zeitpunkt ein Antrag und auch eine Begründung noch nicht vorlagen. Unter Hinweis auf § 106a SGG hat der Bevollmächtigte des Klägers Frist bis zum 31.12.2011 erhalten, einen Antrag zu stellen und die Berufung zu begründen. Mit Schriftsatz vom 22.12.2011 hat der Bevollmächtigte neben Ausführungen, die rechtlich für den vorliegenden Fall nicht maßgeblich sind, seine Auffassung mitgeteilt, es sei nicht bewiesen, wann der Brief eingegangen sei und dass seiner Auffassung nach die Behörde dies zu beweisen habe. Sein Antrag auf Zurückverweisung nach § 131 Abs. 5 SGG habe das SG übergangen. Hieraus entnimmt der Senat das Begehren des Klägers, nämlich den Gerichtsbescheid des SG vom 19.07.2011 und den Widerspruchsbescheid vom 09.02.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über den Widerspruch des Klägers und seinen Zugunstenantrag nach § 44 SGB X sachlich zu entscheiden. Aufgrund dessen sieht der Senat die Berufung des Klägers als zulässig an.

In der Sache ist die Berufung des Klägers jedoch unbegründet. Zu Recht hat der Beklagte mit dem angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 09.02.2011 entschieden, dass der Widerspruch verspätet eingegangen ist. Der mit der Berufung angefochtene, der Klage nicht stattgebende Gerichtsbescheid des SG ist daher auch nicht zu beanstanden.

Nach § 84 Abs. 1 SGG ist der Widerspruch binnen 1 Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes schriftlich oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Nach § 37 Abs. 2 SGB X gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post im Geltungsbereich dieses Gesetzes übermittelt wird, mit dem 3. Tag nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Im vorliegenden Fall hat der Beklagte den Bescheid vom 26.10.2010 der Briefversandfirma "arriva" am 27.10.2010 zur Beförderung übergeben. Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X gilt damit der Bescheid vom 26.10.2010 mit dem 3. Tag nach Aufgabe zur Post - mithin am 30.10.2010, einem Samstag - als bekanntgegeben. Nach der Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 SGB X gilt der mit einfachem Brief übersandte Bescheid mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bekanntgegeben, und zwar selbst dann, wenn der Zugang tatsächlich früher erfolgt ist (von Wulffen, Kommentar zum SGB X, Rdnr.12 zu § 37 SGB X). Bei der Bestimmung des dritten Tages ist nicht entscheidend, ob dieser Tag ein Sonntag, gesetzlicher Feiertag oder ein Samstag ist, denn nach § 26 Abs. 3 SGB X ist dies nur für den Ablauf einer Frist von Bedeutung (von Wulffen aaO, Rdnr. 12 sowie die dort zitierte Rspr.).

Eine Ausnahme hiervon könnte sich dann ergeben, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Anhaltspunkte dafür, dass der Bescheid nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist, liegen nicht vor.

Soweit der Bevollmächtigte des Klägers geltend macht, der Brief bzw. der Bescheid vom 26.10.2010 habe bei ihm den Eingangsstempel vom 03.11.2010 erhalten, ist dies rechtlich unerheblich. Wann der Eingangsstempel des Empfängers auf dem Schriftstück angebracht wurde, ist rechtlich nicht bedeutsam, denn dem Vorbringen des rechtskundigen Klägerbevollmächtigten ist nicht zu entnehmen, weshalb die Stempelung des eingegangenen Bescheids nicht erst nach dem Zugangszeitpunkt erfolgt sein kann. Zugegangen ist ein Schriftstück zu dem Zeitpunkt, zu dem der Zustellungsadressat über das Schriftstück hätte verfügen können, also zu dem es beispielsweise im Briefkasten zu normalen Geschäftszeiten eingeworfen worden war. Da durch die Sendungsdaten der Firma "arriva" auch zur Überzeugung des Senats der Nachweis geführt ist, dass der Bescheid vom 26.10.2010 am Donnerstag, den 27.10.2010 ausgeliefert worden ist, sind damit die Voraussetzungen erfüllt, um die 3-tägige Zugangsvermutung zu unterstellen. Der Bescheid vom 26.10.2010, der vom Beklagten am 27.10.2010 zur Post - hier der Firma "arriva" - übergeben worden ist, gilt damit als am 3. Tag nach Aufgabe zur Post als zugegangen, mithin am 30.10.2010. Die 1-monatige Widerspruchsfrist endete damit am Dienstag, den 30.11.2011.

Der vom Bevollmächtigten des Klägers am 03.12.2010 eingereichte Widerspruch war damit verspätet. Wiedereinsetzungsgründe für die versäumte Widerspruchsfrist sind nicht geltend gemacht worden. Ein solcher Wiedereinsetzungsantrag wäre nach Wegfall des Hindernisses mit Kenntniserlangung der Fristversäumung mittlerweile auch verspätet (§ 67 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die gegen den Widerspruchsbescheid vom 09.02.2011 erhobene Klage konnte mithin keinen Erfolg haben, da der Widerspruchsbescheid vom 09.02.2011 rechtmäßig ist. Demzufolge war die Klage unbegründet. Dadurch, dass das SG die Klage als unzulässig abgewiesen hat, da der Streitgegenstand nicht hinreichend bestimmt sei, ist der Kläger nicht beschwert.

Nach alledem konnte die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben und sie war mit der Kostenentscheidung aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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