L 2 U 526/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 41 U 282/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 526/10
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Nach den Kriterien der internationalen Kopfschmerzgesellschaft erfordert die Diagnose posttraumatischer Kopfschmerzen Bewusstseinsverlust, posttraumatische Amnesie (Erinnerungslücke von mehr als zehn Minuten) und mindestens zwei Untersuchungen.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 21. Juli 2010 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Gründe:


I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger wegen der Folgen des Unfalls vom 31.01.2001 Verletztenrente zu gewähren ist.

Der 1948 geborene Kläger erlitt am 31.01.2001 auf dem Nach-Hause-Weg von seiner Gastwirtschaft einen Verkehrsunfall. Er war bei Eisglätte ins Schleudern gekommen, auf die Gegenfahrbahn geraten und an einen Baum gefahren. Der Durchgangsarzt Prof.Dr.C. vom Kreiskrankenhaus A-Stadt stellte ein Schädel-Hirn-Trauma mit Kalottenimpressionsfraktur rechts-temporo-parietal und Platzwunde rechts-frontal bei Verdacht auf Alkoholeinfluss, eine intracerebrale Blutung im Stammganglienbereich rechts, eine Querfortsatzfraktur rechts LWK 1 sowie eine Thoraxkontusion links und fraglich eine knöcherne Absprengung links am medialen Femurcondylus bei Zustand nach Tibiakopffraktur fest.

Am 12.04.2001 wurde der Kläger in stationäre Behandlung aufgenommen wegen des umschriebenen cerebralen Hämatoms, einer leichten kognitiven Störung, eines Schwindels zentralen Ursprungs sowie benignem paroxysmalen Schwindel. Am 09.05.2001 berichtete der praktische Arzt Dr.W. der Beklagten, dass bis zum 05.04.2001 die Folgen des Schädel-Hirn-Traumas weitgehend abgeklungen seien, so dass Arbeitsfähigkeit von Seiten der Kopfverletzung ab 06.04.2001 bestanden habe. Vom 17.04.2001 bis 19.04.2001 habe sich der Kläger wegen eines degenerativen Kniegelenksleidens links in stationärer Behandlung befunden.

Die Beklagte hatte zunächst mit Bescheid vom 07.06.2001 einen Arbeitsunfall abgelehnt, da der Unfall auf alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit zurückzuführen sei. Diese Entscheidung wurde im Widerspruchsverfahren revidiert. Am 16.10.2002 stellte der Kläger daraufhin Antrag auf Unfallrente, da er immer noch Beschwerden (Schwindel, Kopfschmerzen) habe. Die Beklagte beauftragte daraufhin die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr.M. mit einem Gutachten. Diese kam am 22.07.2003 zum Ergebnis, dass zu keinem Zeitpunkt neurologische Ausfallserscheinungen oder psychoorganische Veränderungen, abgesehen von Angaben über Vergesslichkeit und Gedächtnisstörungen, festgestellt worden seien. Der Kläger habe eine stationäre Maßnahme oder Nachbehandlung zur testpsychologischen Abklärung abgelehnt. Die geklagten Drehschwindelerscheinungen, die bewegungs- und lageabhängig seit dem Unfall bestünden, seien eindeutig cervikogener Genese im Sinne eines benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels. Bei den geklagten Kopfschmerzen handele es sich um cervikogene Cephalgien bei bestehenden degenerativen Veränderungen der HWS und bestehender Skoliose. Bei dem Unfall sei es auch durch Gewalteinwirkung auf den Schädel zu einer Wirbelsäulenprellung gekommen, wodurch Schwindel und Kopfschmerzen erstmals ausgelöst worden seien, jedoch unfallbedingt längstens abgeklungen seien. Bezüglich der Vergesslichkeit bzw. Gedächtnisstörungen könne man davon ausgehen, dass es sich um unfallunabhängige Beeinträchtigungen des Gedächtnisses handelt. Neurologischerseits liege die MdE unter 10 v.H. Der Facharzt für Orthopädie Dr.F. erstellte am 13.10.2003 ein weiteres Gutachten. Auch er verneinte wesentliche Unfallfolgen. Die vom Kläger geklagten Beschwerden seien auf vorbestehende posttraumatische sowie schicksalhaft degenerative Gesundheitsstörungen zurückzuführen.

Mit Bescheid vom 13.11.2003 erkannte die Beklagte daraufhin als Folgen des Arbeitsunfalls an: "Folgenlos ausgeheiltes Schädel-Hirn-Trauma mit operativ versorgter Ka-lottenimpressionsfraktur temporal sowie intracerebraler Blutung im Stammganglienbereich rechts, folgenlos ausgeheilte Querfortsatzfraktur des 1. Lendenwirbelkörpers rechts." Ein Anspruch auf Verletztenrente und Heilbehandlung bestehe nicht. Der hiergegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 20.04.2004).

Hiergegen legte der Kläger am 29.04.2004 Klage beim Sozialgericht München (SG) ein. Zur Aufklärung des Sachverhalts holte das SG ein Gutachten bei dem Orthopäden Dr.G., M., ein. Dieser kam am 02.07.2005 zum Ergebnis, dass keine Unfallfolgen in rentenberechtigendem Grade verblieben seien. Die Schädelkalottenimpressionsfraktur und dadurch bedingte Kontusionssymptomatik bzw. intracerebrale Blutung im Stammganglienbereich habe keine neurologischen Störungen hinterlassen. Die erlittene Querfortsatzfraktur LWK 1 rechtsseitig sei klinisch stumm. Es überwögen die degenerativen Veränderungen in den Segmenten LWK 4/5 sowie LWK 5/SWK 1 mit radiologisch bestehender Facettenarthrose. Die geklagten Kniebeschwerden linksseitig seien im Wesentlichen bereits vorbestehend und zurückzuführen auf einen erlittenen Tibiakopfbruch im Jahre 1975. Die zeitnah zum Unfall durchgeführte CT-Untersuchung des linken Kniegelenkes vom 12.02.2001 sowie die Kniegelenksarthroskopie vom April 2001 zeigten länger bestehende, degenerative, posttraumatische Veränderungen im Sinne einer medialen aktivierten Gonarthrose. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit bestehe nicht.

Auf Antrag des Klägers erstellte der Facharzt für Chirurgie Dr.R. ein weiteres Gutachten vom 17.01.2006. Er kam darin zum gleichen Ergebnis wie Dr.G ... Auf weiteren Antrag des Klägers erstellte der Nervenarzt Dr.K., M., ein nervenärztliches Gutachten vom 10.07.2008 mit testpsychologischem Gutachten des Dipl.-Psych. K. vom 22.10.2007. Dr.K. stellte als Unfallfolgen fest: "Posttraumatische Cephalgie bei Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma am 31.01.2001 mit Kalottenimpressionsfraktur rechts temporo-parietal, intracerebraler Blutung im Stammganglienbereich rechts, epidoralem Hämatom rechts-temporal sowie kleineren Kontusionen im Temporallappen rechts und Blutung im Thalamus-/Hypothalamusgebiet rechts bei Kontusionsblutung, des weiteren einen benignen Lagerungsschwindel bei Otolithenabriss bei Schädel-Hirn-Trauma und eine kognitive Leistungsstörung im Bereich von Kurzzeitgedächtnis, Konzentrationsausdauer und Aufmerksamkeit. Die MdE schätzte er auf 20 v.H. ein.

Die Beklagte legte daraufhin eine beratungsärztliche Stellungnahme auf nervenärztlichem Fachgebiet des Dr.N. vom 27.10.2008 vor. Insgesamt seien die unfallbedingten Verletzungen für die beklagte Kopfschmerzsymptomatik nicht wesentlich, d.h. dass die un-fallunabhängigen krankhaften und bildgebend objektiverten Befundtatsachen (degenerative Veränderungen der HWS, Nebenhöhlenentzündung) ursächlich seien.

Dr.K. blieb in einer Stellungnahme vom 20.04.2010 bei seiner Meinung. Daraufhin legte die Beklagte eine weitere beratungsärztliche Stellungnahme von Dr.N. vom 15.06.2010 vor.

Mit Urteil vom 21.07.2010 wies das SG die Klage ab. Es berief sich im Wesentlichen auf die im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten sowie die Gutachten des Dr.G., Dr.R. und die beratungsärztliche Stellungnahme des Dr.N ...

Hiergegen hat der Kläger am 26.11.2010 Berufung eingelegt. Diese hat er am 03.01.2012 begründet. Mit Schreiben vom 23.11.2011 wurde den Beteiligten mitgeteilt, dass eine Entscheidung durch Beschluss beabsichtigt sei.

Der Kläger beantragte,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 21.07.2010 und den Bescheid der Beklagten vom 13.11.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.04.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 31.01.2001 eine Teilrente in Höhe von 20 v.H. der Vollrente für die Zeit ab 17.04.2001 auf unbestimmte Dauer zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung weiterer Unfallfolgen sowie Verletztenrente.

Der Antrag des Klägers vom 26.11.2010 ist dahingehend auszulegen, dass er neben Verletztenrente die Feststellung weiterer Unfallfolgen - insbesondere wie von Dr.K. festgestellt - gemäß § 55 Abs.1 Nr.3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beantragt. Es handelt sich insoweit um eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs.4 SGG.

Der Senat kann durch Beschluss gemäß § 153 Abs.4 SGG entscheiden, da er die Berufung einstimmig für unbegründet hält. Die Beteiligten wurden zur beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss angehört.

Der Senat verzichtet gemäß § 153 Abs.2 SGG auf eine weitere Darstellung der Entscheidungsgründe, da er die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass weder auf orthopädischem noch auf neurologischem Fachgebiet Unfallfolgen in rentenberechtigendem Grade verblieben sind. Hinsichtlich der orthopädischen Folgen ist hier auf die übereinstimmenden Gutachten des Dr.G. und des Dr.R. zu verweisen. Hinsichtlich neurologischer Unfallfolgen liegt zum einen ein Gutachten der Neurologin Dr.M. vom 22.07.2003 vor. Dieses ist in Zusammenschau mit den beratungsärztlichen Stellungnahmen des Dr.N. im gerichtlichen Verfahren überzeugend. Dagegen kann das Gutachten des auf Antrag des Klägers benannten Sachverständigen Dr.K., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, nicht überzeugen. Unstreitig hat der Kläger bei dem Unfall ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten. Dieses ist jedoch folgenlos ausgeheilt. Der Kläger hat bei der Gutachterin Dr.M. morgentliche Drehschwindelerscheinungen nach links beim Aufstehen angegeben, die nach Gymnastik abklingen, selten auch bewegungsabhängig tagsüber auftreten können, wobei manchmal leichte Übelkeit besteht. Des Weiteren habe er seit dem Unfall öfters Hinterkopfschmerzen mit Ausstrahlung bis zur Stirn, dabei auch leichte Nackenbeschwerden. Seit dem Unfall sei er vergesslich, habe insbesondere ein schlechtes Namensgedächtnis, müsse sich viel aufschreiben. Er sei auch häufig müde; tagsüber im Stehen, komme es manchmal für ein paar Sekunden zu einem plötzlichen Einschlafen. Frau Dr.M. weist darauf hin, dass sich zu keinem Zeitpunkt neurologische Ausfallerscheinungen oder psychoorganische Veränderungen, abgesehen von den Angaben über Vergesslichkeit und Gedächtnisstörungen, gezeigt hätten. Diese sollten zeitnah nach dem Unfall testpsychologisch untersucht werden, wozu der Kläger jedoch nicht bereit war. Sie weist darauf hin, dass die geklagten Drehschwindelerscheinungen, die bewegungs- und lageabhängig seit dem Unfall bestehen, eindeutig cervikogener Genese im Sinne eines benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels sind. Desgleichen handelt es sich um cervikogene Cephalgien bei degenerativen Veränderungen der HWS und bestehender Skoliose. Bei ihrer Exploration ergaben sich keine Hinweise für eine Hirnleistungsstörung oder eine Beeinträchtigung der mnestischen Funktionen.

Dr.K. kommt dann in seinem Gutachten zu einem anderen Ergebnis, dem jedoch nicht gefolgt werden kann. Damit sind auch die von ihm festgestellten Gesundheitsstörungen nicht als Unfallfolge anzuerkennen. Dr.K. bezieht sich in seinem Gutachten vor allem auf die Beschwerdeschilderung des Klägers und verzichtet auf eine kritische Würdigung der eigenen Befundstellungen und Feststellungen von Voruntersuchern. So geht Dr.K. davon aus, dass die Kopfschmerzen mit bedingt seien durch die stattgehabte Hirnblutung im Stammganglienbereich rechts mit Blutung im Thalamus und Hypothalamusbereich. Hier ist die beratungsärztliche Stellungnahme des Dr.N. heranzuziehen. Dieser weist darauf hin, dass es sich bei dem Thalamusschmerz um eine schwerwiegende Beeinträchtigung durch ein neurogenes Schmerzsyndrom handelt. Der Schmerz ist durch einen spontanen brennenden Dauerschmerz gekennzeichnet. Dieser wird üblicherweise in einem großen Areal empfunden, welches den Reiz auch nicht unbedingt einschließen muss. Unter Berücksichtigung dieser Schmerzcharakteristika liegt beim Kläger kein Thalusschmerz vor.

Dr.K. hat weiter darauf verwiesen, dass die Stirnkopfschmerzen bei dem Kläger noch im Kontext mit einer Sinusitis frontalis gesehen werden können, zumal sie beidseits vorhanden waren. Dem stimmt Dr.N. zu. Insgesamt kann damit die beklagte Kopfschmerzsymptomatik nicht wesentlich auf die unfallbedingten Verletzungen zurückgeführt werden.

Des Weiteren hat Dr.K. nicht berücksichtigt, dass der Kläger ein nicht steroidales Antiphlogistikum einnimmt. Berücksichtigt man die unfallunabhängigen bedeutsamen Veränderungen im rechten Kniegelenk, so erscheint es laut Dr.N. wahrscheinlich, dass der Kläger dieses Medikament wegen der Kniegelenkbeschwerden einnimmt. Der Kläger hat im Rahmen einer Untersuchung vom 09.12.1999 dargelegt, dass er ohne Analgetika nicht beschwerdefrei ist und dass er zudem auch unter Lendenwirbelsäulenbeschwerden zu leiden hat. In der roten Liste wird dargelegt, dass es bei diesem Medikament u.a. zu Kopfschmerzen, Müdigkeit und Schwindelerscheinungen kommen kann. Es ist darauf zu verweisen, dass beim Kläger bereits seit langen Jahren ein chronisches Schmerzsyndrom im Bereich des Kniegelenkes und des Achsenorgans besteht, wobei derartige Schmerzsyndrome bekanntermaßen zu Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit führen, ohne dass eine zentrale organneurologische Ursache besteht.

Das Ergebnis der testpsychologischen Untersuchung wurde von dem Sachverständigen Dr.K. im Ergebnis auch als depressive Störung interpretiert. Bei sehr ausgeprägten Störungen dieser Art spricht man laut Dr.N. aufgrund derartiger kognitiver Einbußen sogar von einer Pseudodemenz.

Im Ergebnis legt Dr.N. überzeugend dar, dass dem Gutachten des Dr.K. nicht gefolgt werden kann. Eine weitere Beweisanordnung, die der Kläger angeregt hat, ist deshalb nicht erforderlich.

Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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