L 9 U 4870/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 4 U 3614/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 4870/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 30. September 2009 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte dem Kläger die Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 30 v.H. ab 1. April 2008 zu gewähren hat.

Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Höhe der Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls des Klägers vom 10.5.2005.

Der 1951 geborene Kläger erlitt am 10.5.2005 bei seiner Tätigkeit als Maschinenführer im Straßenbau einen Unfall, als er beim Ausmachen des Asphaltkochers mit dem rechten Zeigefinger an einem Keilriemen hängen blieb. Hierbei zog er sich eine Zeigefingerendgliedteil-amputation mit Nagelbeteiligung und Quetschung rechts zu. Der amputierte Fingerkuppenanteil wurde zunächst replantiert (DA-Bericht von PD Dr. E., Chefarzt der Unfall- und Wiederherstellungschirurgie Donauklinik N.-U., vom 11.5.2005). Nachfolgend kam es zu einer Nekrosebildung im Bereich des Replantats mit erheblichen anhaltenden Schmerzen im Bereich des Endglieds. Am 7.10.2005 wurde in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik (BGU) Ludwigshafen eine Endgliedamputation D2 rechts durch Exartikulation des distalen Interphanlangealgelenks durchgeführt.

Aufgrund anhaltender Beschwerden bei instabiler Narbe erfolgte am 13.1.2006 eine Nachamputation in der Unfallchirurgischen Abteilung des Städtischen Klinikums K ... Nachdem auch hierdurch keine wesentliche Besserung eingetreten war, stellte sich der Kläger in der Orthopädischen Universitätsklinik H. vor, wo am 16.6.2006 eine Ringbandverdickung des A1-Ringsbandes D2 rechts und am 20.7.2006 eine A1-Ringbandspaltung D2 rechts sowie eine Synovialektomie und eine Tenosynovialektomie der Beugesehne D2 der Hohlhand erfolgten.

Mit Schreiben vom 5.10.2006 teilte die Beklagte dem Kläger mit, da mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit in der bisher ausgeübten Tätigkeit nicht mehr zu rechnen sei und qualifizierte Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zu erbringen seien, ende das Verletztengeld mit Ablauf der 78. Woche, gerechnet vom Beginn der Arbeitsunfähigkeit. Sie beabsichtige deswegen, die Verletztengeldzahlung zum 6.11.2006 einzustellen.

Der Arzt für Chirurgie, Plastische Chirurgie und Handchirurgie Dr. K. führte im Gutachten vom 21.11.2006 aus, der Zeigefinger rechts sei in der Mitte des Mittelgliedes amputiert, wobei die Haut trophisch gestört sei. Im Bereich des Stumpfes zeigten sich leichte Blutumlaufstörungen im Sinne einer lividen Verfärbung mit Glanzhaut. Der Stumpf sei äußerst berührungsempfindlich. Im PIP-Gelenk sei der Zeigefinger steif, im Grundgelenk nur bedingt abbeugbar; es handle sich somit um einen schmerzhaften Störfinger. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage ab 6.11.2006 auf Dauer 20 v.H. Er empfehle weitere operative Maßnahmen (Amputation des Zeigefingers in Höhe des Grundgliedes oder des Grundgelenks und gegebenenfalls eine Handverschmälerung mit Strahlresektion 2 nach Adelmann).

Mit Bescheid vom 22.1.2007 gewährte die Beklagte dem Kläger wegen der Folgen seines Arbeitsunfalls vom 10.5.2005 eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 20 v.H. ab 7.11.2006. Den Widerspruch hiergegen wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 16.5.2007 zurück. Dieser Bescheid wurde bindend.

Unter dem 5.2.2007 teilte der Nervenarzt Dr. U. mit, er habe beim Kläger ein komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS) und ein minimales Karpaltunnelsyndrom (CTS) rechts diagnostiziert.

Dr. K. führte unter dem 24.4.2007 aus, die Hand des Klägers weise deutliche Zeichen eines CRPS auf. Die trophischen Störungen beträfen nicht nur den Zeigefinger; die Hand schwitze und schmerze diffus. Das von Dr. Uebe nachgewiesene CTS sehe er im Rahmen der trophischen Störungen; es sei damit unfallabhängig. Am 14.5.2007 erfolgte eine weitere Nachamputation des Zeigefingerstumpfes rechts durch Dr. K ... Der Kläger gab weiterbestehende Narbenbeschwerden sowohl an der CTS-Narbe als auch am Stumpf an. Dr. K. berichtete unter dem 5.7.2007, am Montag, dem 2.7.2007, habe die Arbeitserprobung begonnen, die Schmerztherapie beginne am 5.7.2007. Der Kläger gebe eine Berührungsempfindlichkeit der Narbe am Handgelenk an. Dr. K. bescheinigte Arbeitsfähigkeit ab 6.8.2007.

Zur Feststellung der Rente auf unbestimmte Zeit ließ die Beklagte den Kläger auf neuro-psychiatrischem und chirurgischem Gebiet begutachten.

Der Neurologe Dr. S. führte im Gutachten vom 22.11.2007 aus, beim Kläger liege ein auf das Trauma und unter Umständen auf die wiederholten Operationen zurückzuführendes chronisches regionales Schmerzsyndrom der rechten Hand und des rechten Armes vor. Dieses bedinge signifikante Funktionseinschränkungen der rechten Hand. Die Feinmotorik sei aufgrund der Schmerzen und des störenden Stumpfes eingeschränkt; bei Kraftarbeiten könne die Hand weniger gut eingesetzt werden. Die MdE sei (wie bereits von chirurgisch-orthopädischer Seite) mit 20 v.H. einzuschätzen. Im Rahmen der Schmerzsymptomatik und des komplikationsbehafteten Verlaufs sowie zu vermutender psychosozialer und finanzieller Konsequenzen seien leichte Anpassungsstörungen mit Verstimmungszuständen aufgetreten. Die MdE hierfür sei auf deutlich unter 10 v.H. zu schätzen. Bei integrierender Gesamtschau ergebe sich unter Berücksichtigung der orthopädisch-chirurgischen Stellungnahme eine Gesamt-MdE von 20 v.H.

Dr. K. schätzte die MdE unter Mitberücksichtigung des neurologischen Zusatzgutachtens von Dr. S. im Gutachten vom 14.1.2008 auf insgesamt 20 v.H.

In der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 20.2.2008 führte der Neurologe und Psychiater Prof. Dr. S. aus, dem Gutachten von Dr. S. könne gefolgt werden. Beim Kläger liege auf nervenärztlichem Fachgebiet ein chronisches regionales Schmerzsyndrom der rechten Hand in diskreter Ausprägung vor. Die Unfallfolgen seien im unfallchirurgischen Gutachten vollständig erfasst und mit einer MdE um 20 v.H. richtig bewertet.

Mit Bescheid vom 17.3.2008 gewährte die Beklagte dem Kläger anstelle der bisher gewährten Rente als vorläufige Entschädigung eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 20 v.H. Als Unfallfolgen an der rechten Hand berücksichtigte sie dabei: "Minderung der groben Kraft, operative Amputation des Zeigefingers in Höhe des Mittelgliedes mit Berührungsempfind-lichkeit im Bereich des Stumpfes, Versteifung des Zeigefingers im Grundgelenk mit Sensibilitätsstörungen körperfern des Grundgelenkes, chronisches Schmerzsyndrom diskreter Ausprägung nach traumatischer Endgliedteilamputation des Zeigefingers".

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.7.2008 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 15.8.2008 Klage zum Sozialgericht (SG) Karlsruhe erhoben, mit der er die Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 50 v.H. und zuletzt nach einer MdE um 30 v.H. begehrt hat.

Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen gehört und danach ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten eingeholt.

Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie sowie Schmerztherapie PD Dr. W. hat unter dem 17.10.2008 berichtet, er habe den Kläger erstmals am 20.3.2008 untersucht und danach wegen der Folgen des Arbeitsunfalls behandelt. Er habe ein chronisches posttraumatisches Schmerzsyndrom nach dem Arbeitsunfall vom 10.5.2005 mit vier nachfolgenden Operationen sowie eine leichtgradige Läsion des Nervus medianus mit diskreten sympathico-reflektorischen Veränderungen der rechten Hand festgestellt. In psychischer Hinsicht habe sich eine missmutig-traurige Verstimmung verbunden mit Einengung von Erlebnisfähigkeit und Interessen sowie Schlaflosigkeit als Folge des chronischen Schmerzerlebens, ein sog. algogenes Psychosyndrom, eingestellt.

Dr. K. hat unter dem 28.10.2008 über die Untersuchungen und Behandlungen des Klägers berichtet. Durch das CRPS-Syndrom, den schmerzhaften Amputationsstumpf mit ausgeprägten Stumpfschmerzen, die Minderung der groben Kraft der rechten Hand und die Änderungen der Griffformen der rechten Hand mit Einschränkungen der Feinmotorik sei die MdE unter Berücksichtigung sämtlicher Unfallfolgen - auch unter Einbeziehung der neurologischen Beurteilung - mit 20 v.H. einzuschätzen.

Dr. W., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, hat beim Kläger im Gutachten vom 8.2.2009 ein komplexes regionales Schmerzsyndrom Typ I sowie ein Karpaltunnelsyndrom rechts diagnostiziert. Das komplexe regionale Schmerzsyndrom sei mit Wahrscheinlichkeit durch den Arbeitsunfall verursacht worden. Das Karpaltunnelsyndrom sei nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen. Die Operation des Karpaltunnels rechts sei jedoch aufgrund der unfallbedingten Beschwerden durchgeführt worden, so dass die daraus resultierenden Störungen am Ringfinger rechts mittelbar dem Arbeitsunfall zuzurechnen seien. Die MdE für das komplexe regionale Schmerzsyndrom schätze er auf 30 v.H. Die durch die Unfallfolgen bedingte Funktionsstörung entspreche in ihren funktionellen Auswirkungen einer Teilamputation von Zeige- und Ringfinger oder einer distalen Medianus-Schädigung, wofür allein eine MdE von etwa 20 bis 25 v.H. zu veranschlagen wäre. Beim Kläger komme zur funktionellen Einschränkung eine Schmerzsymptomatik hinzu, die nicht nur bei Benutzung der Hand, sondern auch in Ruhe bestehe. Die MdE sei deswegen höher als bei einem Verlust des Zeige- und Ringfingers einzuschätzen.

Nachdem Prof. Dr. S. in einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 12.3.2009 die Ansicht vertreten hatte, das im Wesentlichen rückgebildete regionale Schmerzsyndrom sei bereits von unfallchirurgischer Seite erfasst und bewertet worden, der MdE-Einschätzung von Dr. W. könne nicht gefolgt werden, hat Dr. W. in der ergänzenden Stellungnahme vom 4.6.2009 ausgeführt, der sensible Ausfall des Nervus medianus (mit daraus resultierender Taubheit der Fingerkuppen 1 - 4 unter Betonung der Fingerkuppen 2 und 3) werde bereits mit einer MdE um 20 v.H. veranschlagt. Die Schmerzsymptomatik beim Kläger gehe aber über das reine Taubheitsgefühl hinaus, so dass eine MdE um 20 v.H. die Beschwerden des Klägers nicht ausreichend abbilden würde. Dementsprechend werde ein komplexes regionales Schmerzsyndrom mit schweren trophischen Störungen mit einer MdE um 60 v.H. deutlich höher angesetzt als eine komplette Lähmung des ganzen Medianusnerven mit daraus resultierender erheblicher Lähmung der Beugefähigkeit von Finger und Hand sowie Lähmung bestimmter Umwendbewegungen des Unterarms. Dies zeige, dass gerade eine Schmerzproblematik höher zu bewerten sei als der reine motorische Ausfall wie z.B. durch Verlust des Zeige- und Ringfingers. Dieser im Vergleich zur reinen sensiblen Medianusläsion zusätzlichen schmerzbedingten Beeinträchtigung sei daher seines Erachtens durch eine MdE von 30 v.H. Rechnung zu tragen.

Der Arzt für Nervenheilkunde Dr. Dr. W. hat in einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 30.6.2009 empfohlen, den Kläger nochmals ergänzend vom Gerichtsgutachter untersuchen zu lassen und Messergebnisse der Mittelhandumfänge und sonstige Angaben in Bezug auf gegebenenfalls vorliegende atrophische Störungen der Daumenballen- und Handmuskulatur zu erheben.

Mit Urteil vom 30.9.2009 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 17.3.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.7.2008 abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit ab 1.3.2008 Verletztenrente auf der Grundlage einer MdE um 30 v.H. in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, das SG folge der Feststellung des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. W. im Gutachten vom 8.2.2009 und in seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 4.6.2009. Dr. W. begründe seine MdE-Einschät-zung folgerichtig und nachvollziehbar. Seine Beurteilung habe darüber hinaus den Vorteil, dass er den Kläger persönlich untersucht habe. Soweit die Beklagte im gerichtlichen Verfahren weitere Prüfungen und Messungen verlange, die Dr. W. pflichtwidrig unterlassen habe, stelle das Gericht fest, dass Dr. W. sämtliche notwendigen Untersuchungen durchgeführt und auch hinreichend dokumentiert habe. Soweit die Beklagte hier mehr fordere, müsse sie sich zugleich fragen lassen, warum sie selbst im Verwaltungsverfahren im Rahmen der von ihr veranlassten neurologisch-psychiatrischen Untersuchung des Klägers durch Dr. S. die jetzt für nötig gehaltenen Test nicht angeordnet habe. Den abweichenden MdE-Beurteilungen nach Aktenlage von Prof. Dr. S. und Dr. Dr. W. sowie der Beurteilung im Gutachten von Dr. S. folge das SG nicht. Die Beurteilung von Dr. W. decke sich in der Sache mit der Befunderhebung des den Kläger behandelnden Neurologen und Psychiaters PD Dr. W., der den Kläger seit März 2008 durchgehend regelmäßig - einmal monatlich - schmerztherapeutisch behandle. Auch und gerade diese recht hochfrequente Behandlungsnachsuche des Klägers zeige, dass dem unfallabhängigen komplexen regionalen Schmerzsyndrom, an dem der Kläger leide, eigenständige Bedeutung zukomme. Es sei damit eben nicht bereits von unfallchirurgischer Seite erfasst und bewertet. Auch aus dem Standardwerk von Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, Seite 313 heiße es zur Schmerzbewertung nach Amputationen ausdrücklich, dass das grundsätzliche Verneinen einer Berentung von schweren Phantomschmerzen über den Rahmen der üblichen Prozentsätze für Amputierte nicht bedenkenfrei sei. In Abhängigkeit von der Schwere der Schmerzen werde eine eigenständige Schmerzberücksichtigung für erforderlich gehalten. Eben diese eigenständige Berücksichtigung habe Dr. W. vorgenommen. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 8.10.2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 22.10.2009 Berufung eingelegt und vorgetragen, die Ausführungen des SG in den Entscheidungsgründen des Urteils vermögen sie nicht zu überzeugen. Insbesondere sei für sie nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, dass das beim Kläger bestehende Schmerzsyndrom zu einer Höherbewertung der MdE führe. Im Hinblick auf § 73 SGB VII halte sie auch den vom SG im Urteil gewählten Zeitpunkt der Erhöhung der Rente mit einer MdE um 30 v.H. für fraglich.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 30. September 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erwidert, das SG sei zutreffend davon ausgegangen, dass die MdE 30 v.H. betrage. Es habe von den nachvollziehbaren und folgerichtigen Feststellungen des Dr. W. ausgehen dürfen. Darüber hinaus stünden die Feststellung des Dr. W. im Einklang mit den Befunden von Dr. W., der ihn über einen längeren Zeitraum monatlich einmal gesehen und behandelt habe.

Der Kläger hat einen Arztbrief von PD Dr. W. vom 2.3.2010 vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass der Kläger bei Vorstellungen im Januar und Februar 2010 eine verstärkte Ausprägung seiner Handschmerzen und eine Ausstrahlung in den Arm mit Missempfindungen D3 und D4 angegeben hat.

Der Senat hat die Renten- und Reha-Akten des Klägers von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg beigezogen, in denen sich ein Entlassungsbericht der Rehaklinik Ü. vom 16.12.2009 und ein Rentengutachten des MD L. vom 19.3.2010 mit Zusatzgutachten auf chirurgisch-unfallchirurgischem Gebiet von Dr. Walzel vom 15.3.2010 und neurologisch-psychiatrischem Gebiet von Dr. Schifferer vom 14.3.2007 befinden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats und die beigezogenen Akten der Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung der Beklagten ist im Wesentlichen unbegründet, da der Kläger Anspruch auf eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 30 v.H. hat.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier vom Kläger beanspruchte (höhere) Verletztenrente auf unbestimmte Zeit - §§ 56 und 62 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) - dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass er Anspruch auf eine Verletztenrente nach einer MdE um 30 v.H. hat. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung und unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren uneingeschränkt an, sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurück.

Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass auch der Senat zu der Überzeugung gelangt ist, dass das komplexe regionale Schmerzsyndrom mit einer MdE um 30 v.H. einzuschätzen ist. Bei den gutachterlichen Untersuchungen hat der Kläger über ein anhaltendes unangenehmes und schmerzhaftes Ziehen bzw. schmerzhaftes Klopfen der gesamten rechten Hand mit Ausstrahlung in den rechten Arm geklagt, wobei der Schmerz in der Hohlhand und über der Kuppe des amputierten Fingers am stärksten ausgeprägt sei. Manchmal habe er das Gefühl, als wenn die ganze Hand weg sei. Die Schmerzsymptomatik verstärke sich, wenn er die Hand benutze oder schwer hebe. In der Nacht komme es immer wieder vor, dass er aufgrund von Schmerzen mit einem eingeschlafenen Gefühl in der ganzen Hand aufwache. Die Hand sei unbeweglich und steif, Kraft und Geschicklichkeit hätten erheblich nachgelassen. Er könne deswegen nur zwei bis fünf Minuten schreiben, dann müsse er die Hand entlasten. Er könne nicht einmal richtig essen; es komme häufig vor, dass ihm etwas aus der Hand falle; für Kraftarbeiten sei die Hand kaum zu gebrauchen. Die Schmerzen würden bei Kälte stärker und wenn er die Hand herunter hängen lasse. Seit dem Unfall sei er nervöser und unzufriedener als früher; er sei reizbar und es komme häufig zu Auseinandersetzungen mit seiner Frau. Wegen der Schmerzen könne er nicht richtig einschlafen und denke dann immer wieder daran, wie es zu dem Unfall habe kommen können. Zweifel an den Beschwerdeangaben des Klägers bestehen nicht, zumal er Schmerzmedikamente einnimmt und sich wegen des Schmerzsyndroms in schmerztherapeutische Behandlung zu PD Dr. W. begeben hat, die anfangs dreimal monatlich und später ein- bis zweimal monatlich erfolgte. Darüber hinaus haben weder Dr. S. noch Dr. W. während ihren gutachterlichen Untersuchungen irgendwelche Beobachtungen gemacht und beschrieben, die Zweifel an den Beschwerdeangaben des Klägers aufkommen lassen würden.

Bei den Untersuchungen fand sich am Zeigefinger der rechten Hand ein Zustand nach Amputation des End- und Mittelgliedes. Der Zeigefingerstumpf war rötlich-bläulich bzw. livide verfärbt und leicht geschwollen; die Haut über der Kuppe war etwas gespannt. Die rechte Hand hielt der Kläger immer in leichter Schonhaltung. Bei Greiffunktionen mit der rechten Hand setzte der Kläger überwiegend den Daumen und den Mittelfinger ein. Beim Ausziehen der Schuhe (Reißverschluss) wurde die rechte Hand nicht eingesetzt; vielmehr erfolgte das Öffnen mit der linken Hand. Die feinmotorischen Bewegungen der rechten Hand wurden im Seitenvergleich verlangsamt und verzögert durchgeführt. Der Faustschluss war rechts schmerzbedingt schwächer ausgeprägt als links, der Zeigefinger wurde beim kompletten Faustschluss gestreckt gehalten. Es fand sich eine handschuhförmige Hypalgesie und Thermhypästhesie der rechten Hand mit Betonung des 2. und 4. Fingers. Berührungsreize und Druck über der Zeigefingerkuppe rechts waren schmerzhaft.

Für den Senat nachvollziehbar und überzeugend hat Dr. W. ausgeführt, dass die funktionellen Auswirkungen des komplexen regionalen Schmerzsyndroms denjenigen einer Teilamputation von Zeige- und Ringfinger bzw. einer distalen Medianus-Schädigung entsprechen, wofür eine MdE von 20 bis 25 v.H. vorgesehen ist. Bei dem Kläger besteht aufgrund des Schmerzsyndroms nicht nur eine funktionelle Einschränkung bei Benutzung der rechten Hand, sondern dieses beeinträchtigt ihn auch in Ruhe und bei Tätigkeiten ohne Einsatz der rechten Hand (z.B. Überwachungstätigkeiten), führt darüber hinaus zu Schlafstörungen und psychischen Beeinträchtigungen. Für die erhebliche Beeinträchtigung des Klägers durch das komplexe regionale Schmerzsyndrom spricht auch die regelmäßige Inanspruchnahme von Schmerztherapie (monatlich ein- bis dreimal) seit März 2008.

Darüber hinaus hat Dr. W. auch zu Recht darauf hingewiesen, dass ein komplexes regionales Schmerzsyndrom mit schweren trophischen Störungen mit einer MdE um 60 v.H. deutlich höher angesetzt wird als eine komplette Lähmung des ganzen Medianusnerven mit daraus resultierender erheblichster Lähmung der Beugefähigkeit von Finger und Hand sowie Lähmung bestimmter Umwendbewegungen des Unterarms (Pronation). Daraus folgert er nachvollziehbar, dass gerade eine Schmerzproblematik höher zu bewerten sei als der reine motorische Ausfall, wie er z.B. durch den Verlust des Zeige- und Ringerfingers verursacht würde.

Die Berufung der Beklagten ist lediglich insoweit begründet, als dem Kläger die Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 30 v.H. erst ab 1.4.2008, und nicht schon ab 1.3.2008, zusteht. Denn der Bescheid vom 17.3.2008, mit dem über die Gewährung einer Verletztenrente auf unbestimmte Zeit entschieden wurde, ist dem Kläger im März 2008 per Einschreiben zugestellt worden. Nach § 73 Abs. 1 SGB VII wird die Rente in neuer Höhe nach Ablauf des Monats geleistet, in dem die Änderung wirksam geworden ist, wenn sich aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Voraussetzungen für die Höhe einer Rente nach ihrer Feststellung ändern. Da der Bescheid über die die Gewährung von Rente auf unbestimmte Zeit - anstelle der Rente als vorläufige Entschädigung - erst im März 2008 zugestellt wurde, kommt als Beginn der (höheren) Dauerrente bzw. Rente auf unbestimmte Zeit erst der 1.4.2008 in Betracht.

Nach alledem war die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass dem Kläger die Verletztenrente auf unbestimmte Zeit ab 1.4.2008 zu gewähren ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Berufung der Beklagten im Wesentlichen keinen Erfolg hatte.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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