L 9 U 2454/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 6656/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 2454/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 19. November 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die die Feststellung von weiteren Folgen des Arbeitsunfalls vom 10.8.1995 sowie die Gewährung von Verletztenrente.

Der am 21.2.1956 geborene Kläger erlitt am 10.8.1995 bei seiner Tätigkeit als Kraftfahrer einen Unfall, als bei einem Stau ein anderer LKW auf seinen LKW auffuhr. Hierbei zog er sich ein Halswirbelsäulen-(HWS)-Schleudertrauma zu. Der Arzt für Allgemeinmedizin K. stellte am 11.8.1995 beim Kläger eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung der HWS ohne neurologische Ausfallserscheinungen fest und bescheinigte Arbeitsunfähigkeit vom 11.8. bis 19.8.1995 (Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und ärztliche Unfallmeldung vom 11.8.1995). Unter dem 10.12.1995 teilte der Arzt K. mit, die Verletzung sei ohne Komplikationen und Folgeerscheinungen ausgeheilt. Die Behandlung sei am 15.9.1995 abgeschlossen worden. Arbeitsunfähigkeit habe vom 10.8. bis 26.8.1995 bestanden.

Am 16.1.1996 suchte der Kläger die Durchgangsärzte Dr. W. und Dr. T. auf und gab Parästhesien im Bereich des Kleinhandballens der linken Hand, Nackenschmerzen sowie ein Flimmern im Bereich des linken Augenwinkels an. Die Ärzte stellten eine Hyperästhesie im Bereich des Kleinhandballens sowie eine Schwiele im Bereich des 4. und 5. Fingers der linken Hand sowie eine Verspannung der paravertebralen HWS-Muskulatur mit schmerzhafter Vorwärtsneigung der HWS fest. Bei unauffälligen Röntgenbefunden veranlassten sie ein neurologisches Konzil zur Frage, ob ein Kausalzusammenhang mit dem Auffahrunfall bestehe (DA-Bericht vom 16.1.1996).

Der Neurologe und Psychiater Dr. W. diagnostizierte beim Kläger aufgrund einer Untersuchung vom 29.1.1996 eine Wurzelirritation C8 links bei fraglichem Bandscheibenvorfall C7 oder C8 links und hielt einen traumatischen Bandscheibenvorfall für unwahrscheinlich.

Nachdem der Kläger mit Schriftsatz vom 21.10.1996 geltend gemacht hatte, wegen des Arbeitsunfalls vom 10.8.1995 sei er nicht mehr arbeitsfähig, zog die Beklagte (damals Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft - BG - nunmehr BG Handel und Warendistribution) Leistungsauszüge der A. B. vom 22.1.1997 bei und holte Auskünfte bei den behandelnden Ärzten ein.

Dr. W. erklärte am 4.11.1996, seit der Untersuchung vom 29.1.1996 habe er den Kläger nicht mehr gesehen. Der Neurologe und Psychiater Dr. S. berichtete unter dem 20.2.1997, er habe den Kläger am 11.4. und 22.4.1996 behandelt. Der Kläger habe eine HWS-Distorsion 1986 in Australien angegeben. Es sei dort eine Discographie durchgeführt worden. Bei der neurologischen Untersuchung habe er neben einer deutlichen muskulären Verspannung eine endgradige Blockierung der HWS erhoben. Der gesamte neurologische Status sei sowohl peripher wie zentral, bis auf eine Hyperpathie der Füße und im Medianusgebiet beidseits bei einem Hoffmann-Tinel-Zeichen über den Karpaltunnel beidseits, völlig unauffällig gewesen. Von der psychischen Seite her bestehe eine vermehrte Selbstbeobachtung bei Persönlichkeitsstörung. In der Kernspintomographie der HWS zeige sich eine linksseitige knöcherne Foramenein-engung im Segment C4/5 sowie eine Bandscheibenprotrusion C5/6 ohne Kompressionswirkung. Ein Bandscheibenvorfall und eine Myelopathie lägen nicht vor.

Die Beklagte ließ den Kläger auf unfallchirurgischem und nervenärztlichem Gebiet begutachten.

Der Neurologe und Psychiater B. führte im nervenärztlichen Zusatzgutachten vom 18.9.1997 aus, die Muskulatur sei an den Extremitäten, am Rumpf und im Kopf-Hals-Bereich normoton gewesen. Die MER an den Armen und Beinen seien seitengleich und physiologisch auslösbar gewesen. Die Beweglichkeit von Kopf und HWS sei endgradig nach allen Richtungen schmerzhaft eingeschränkt gewesen. Druckschmerz habe über der Paravertebralmuskulatur entlang der gesamten HWS beidseits bestanden, etwas betont über der unteren HWS. Er diagnostizierte beim Kläger rezidivierende und flüchtig auftretende Parästhesien C8 links ohne bleibendes neurologisches oder elektrophysiologisches Defizit. Aus nervenärztlicher Sicht bestehe keine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE).

Prof. Dr. W., Ärztlicher Direktor der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik L., hat im zusammen mit Oberarzt Dr. H. erstatteten Gutachten vom 19.7.1997 (gemeint wohl: 19.9.1997) ausgeführt, bis auf eine primär festgestellte Bewegungseinschränkung der HWS seien im weiteren Verlauf zu keinem Zeitpunkt substanzielle Traumafolgen festgestellt worden. Bis zum Abschluss der Behandlung am 15.9.1995 seien keinerlei neurologische Ausfälle dokumentiert. Beim Kläger lägen eine knöcherne Einengung des Neuroforamens C4/5 links, eine Osteochondrose C5/6 mit Hypermobilität sowie mäßige degenerative Veränderungen der HWS vor. Die Veränderungen im Bereich der HWS seien nicht unfallbedingt; es handele sich hierbei vielmehr um schicksalhafte Gesundheitsstörungen. Das Ereignis vom 10.8.1995 habe allenfalls zu einer Zerrung der Halsweichteile mit einer hausärztlich dokumentierten Behandlungsbedürftigkeit bis zum 15.9.1995 und Arbeitsunfähigkeit bis zum 26.8.1995 geführt. Nach Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit habe keine MdE aufgrund der Unfallfolgen bestanden.

Mit Bescheid vom 18.2.1998 lehnte die Beklagte die Gewährung von Rente ab, da der Arbeitsunfall vom 10.8.1995 keine MdE in rentenberechtigendem Grade über die 13. Woche hinaus hinterlassen habe. Als Folge des Arbeitsunfalls wurde anerkannt: "Folgenlos verheilte Zerrung der Halsweichteile ohne neurologische Ausfälle". Als Folge des Arbeitsunfalls wurde u.a. nicht anerkannt: "Erkrankung im Bereich des linken Kniegelenkes (1996)". Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.6.1998 zurück. Die hiergegen erhobene Klage wies das Sozialgericht (SG) Freiburg mit Urteil vom 29.4.1999 (S 9 U 2062/98) ab. Die Berufung wies das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Urteil vom 12.1.2000 (L 2 U 3007/99) zurück.

Mit Schreiben vom 6.6.2006 teilte der Kläger, vertreten durch einen Rechtsanwalt, mit, er beabsichtige einen Antrag auf Gewährung von "Rente wegen Erwerbsminderung" zu stellen. Mit Schreiben vom 18.12.2006 beantragte der Kläger die Durchführung eines erneuten Verfahrens wegen des Arbeitsunfalls vom 10.8.1995. Zur Begründung trug er vor, im Gutachten von Dr. W. vom 19.7.1997 sei nicht berücksichtigt worden, dass er bei dem Unfall Verletzungen an beiden Kniegelenken erlitten habe. Nach dem Unfall seien die Knie angeschwollen. Die Schwellung habe sich dann wieder zurückgebildet, sei aber immer wieder aufgetreten. Wegen starker Schwellungen habe das linke Knie im Dezember 1996 und das rechte Knie ca. ein halbes Jahr später operiert werden müssen. Ca. zwei Wochen vor dem Unfall vom 10.8.1995 habe er in Südfrankreich bei seiner Tätigkeit für denselben Arbeitgeber einen Unfall erlitten, wobei er sich lediglich Schnittverletzungen zugezogen habe. Aus diesem Anlass seien Röntgenbilder der HWS angefertigt worden, die bestätigten, dass damals keine Verletzungen an der HWS eingetreten seien. Bis heute leide er unter erheblichen Beschwerden an beiden Kniegelenken und an der Wirbelsäule.

Die Beklagte zog einen Arztbrief der Chirurgischen Abteilung des Kreiskrankenhauses "St. B." in O. vom 26.11.1996 (stationäre Behandlung vom 20.11. bis 21.11.1996 wegen seit zwei Monaten bestehender rezidivierender Beschwerden am linken Kniegelenk lateral und am unteren Patellarand; in der Nacht vor der für den 21.11.1996 vorgesehenen Arthroskopie verließ der Kläger das Krankenhaus).

Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 7.2.2007 mitgeteilt hatte, es sei unverständlich, weshalb der Bescheid vom 18.2.1998 fehlerhaft sein soll, keine Hinweise für eine Verschlechterung der Unfallfolgen vorlägen und eine Begutachtung derzeit nicht beabsichtigt sei, erhob der Kläger am 10.5.2007 Untätigkeitsklage zum SG (S 9 U 2589/07), die er nach Erlass des Bescheides vom 24.10.2007 für erledigt erklärte.

Die Beklagte zog Arztbriefe der St. J. O. vom 13.6.2001 (stationäre Behandlung vom 8.6. bis 12.6.2001, arthroskopische Hinterhornresektion lateral links unter ITN am 8.6.2001) und vom 24.8.2001 (stationäre Behandlung vom 22.8. bis 24.8.2001; Diagnose: Verdacht auf Innenmeniskusläsion rechts; diagnostische Arthroskopie, Gelenklavage und Punktion des linken Kniegelenks).

Mit Bescheid vom 24.10.2007 teilte die Beklagte dem Kläger mit, ein Anspruch auf Rente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 10.8.1995 bestehe weiterhin nicht. Als Folge des Arbeitsunfalls werde anerkannt: "Folgenlos verheilte Zerrung der Halsweichteile ohne neurologische Ausfälle". Als Folgen des Arbeitsunfalls wurden unter anderem nicht anerkannt: "Erkrankung im Bereich des linken Kniegelenks (1996 und 2001) sowie Erkrankung im Bereich des rechten Kniegelenks 2001". Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13.12.2007 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 28.12.2007 Klage zum SG (S 9 U 6656/07) erhoben, mit der er die Feststellung einer Bewegungseinschränkung und Funktionsminderung im Bereich des linken und rechten Kniegelenks als Unfallfolgen und die Gewährung einer Verletztenrente begehrte.

Das SG hat Prof. Dr. L., Arzt für Orthopädie und Unfallchirurgie in O., mit der Begutachtung des Klägers beauftragt. Dieser hat im Gutachten vom 10.4.2008 ausgeführt, im Bereich der unteren Extremitäten, insbesondere im Bereich der Kniegelenke, seien keine Folgen eines Unfallereignisses feststellbar. Der klinische und röntgenologische Befund an beiden Kniegelenken sei nahezu seitengleich. Es handele sich beidseits um eine schicksalhafte Verschleißerkrankung. Hinweise auf Folgen von knöchernen Verletzungen fehlten und fänden sich auch nach Aktenlage nicht.

Nach Vorlage eines Auszugs aus der Patientenakte des Klägers der Universitätsklinik F. (Chirurgie und Ambulanz Chirurgie), die Zeit vom 8.6.2001 bis 27.8.2008 betreffend, hat Prof. Dr. L. in der ergänzenden Stellungnahme vom 14.9.2008 die Ansicht vertreten, die nachgereichten Unterlagen stützten die Annahme einer schicksalhaften Verschleißerkrankung des Innenmeniskus.

Mit Gerichtsbescheid vom 19.11.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, da sich der Unfall vor dem 1. Januar 1997 und damit vor Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) ereignet habe, seien für den geltend gemachten Anspruch auf Rente die Vorschriften der bis dahin geltenden Reichsversicherungsordnung (RVO) maßgeblich. Die Klage habe jedoch keinen Erfolg, da beim Kläger keine Gesundheitsstörungen im Bereich der unteren Extremitäten vorlägen, die ursächlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen seien und der Unfall keine MdE in rentenberechtigendem Grade hinterlassen habe. Das SG stütze seine Überzeugung auf das schlüssige und wohl begründete Sachverständigengutachten von Prof. Dr. L ... Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen den Gerichtsbescheid, dessen Zustellung zunächst fehlgeschlagen und am 1.12.2009 erneut veranlasst worden ist, hat der Kläger am 29.12.2009 sinngemäß Berufung eingelegt und vorgetragen, zu Unrecht sei das Gutachten von Prof. Dr. W. Grundlage der Entscheidung geworden, obwohl von diesem notwendige Untersuchungen nicht vorgenommen worden seien. Die anfangs von den behandelnden Ärzten gestellte Diagnose "Knieprellung" sei falsch gewesen. Die Erkrankung bzw. Verletzung an den Kniegelenken sei erst zu spät festgestellt worden; sie sei aber als Folge des Arbeitsunfalls anzusehen. Sein früherer Anwalt habe am 27.10.2008 die mündliche Erläuterung des Gutachtens beantragt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts F. vom 19. Novem- ber 2009 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Okto-ber 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 2007 abzuändern, eine Bewegungseinschränkung und Funktionsminderung im Bereich des linken und rechten Kniegelenks als Folgen des Arbeitsunfalls vom 10. August 1995 festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Verletztenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, Grundlage der Entscheidung des SG sei das Sachverständigengutachten von Prof. Dr. L. vom 10.4.2008 gewesen. Das Gutachten von Prof. Dr. W. vom 19.7.1997 sei nur im Tatbestand des Gerichtsbescheids erwähnt worden.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung weiterer Unfallfolgen und auf Gewährung einer Verletztenrente wegen des Arbeitsunfalls vom 10.8.1995 hat.

Vorliegend kann letztlich dahingestellt bleiben, ob sich der vom Kläger geltend gemachte Anspruch nach dem ab 1. Januar 1997 in Kraft getretenen SGB VII oder nach dem bis dahin geltenden Vorschriften der RVO richtet. Denn sowohl nach den Rechtsvorschriften der RVO als auch nach dem SGB VII hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung von Bewegungseinschränkung und Funktionsminderung im Bereich des linken und rechten Kniegelenkes als Folgen des Arbeitsunfalls und auf Gewährung einer Verletztenrente.

Grundsätzlich gilt das SGB VII gem. § 212 SGB VII für Versicherungsfälle, die nach dem 31.12.1996 eingetreten sind, und somit nicht für den Arbeitsunfall des Klägers vom 10.8.1995. Eine Ausnahme hiervon ist jedoch unter anderem in § 214 Abs. 3 SGB VII vorgesehen. Danach gelten die Vorschriften über Renten, Beihilfe, Abfindungen und Mehrleistungen auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens des SGB VII zum 1. Januar 1997 eingetreten sind, wenn diese Leistungen nach dem Inkrafttreten des SGB VII erstmals festzusetzen sind. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sind Leistungen zu dem Zeitpunkt "erstmals festzusetzen" im Sinne des § 214 Abs. 3 Satz 1 SGB VII, zu dem die Voraussetzungen des jeweiligen Anspruchs erfüllt sind und der Versicherte daher einen Anspruch auf Feststellung des Leistungsrechts hat. Hingegen ist es unerheblich, ob und wann dieses Recht durch Verwaltungsakt festgesetzt wird (BSG, Urteil vom 21.9.2010 - B 2 U 3/10 R - in SozR 4-2700 § 14 Nr. 1 und in Juris m.w.N.). Dies bedeutet letztlich, dass das SGB VII - hier bezüglich der Rente - dann anzuwenden ist, wenn ein Leistungsanspruch auf Rente nach dem 31.12.1996 erstmals besteht. Dies ist vorliegend nicht der Fall, weswegen lediglich die Vorschriften der RVO wiedergegeben werden.

Ein Arbeitsunfall ist nach § 548 RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (versicherte Tätigkeit). Ein solcher Arbeitsunfall liegt mit dem Ereignis vom 10.8.1995 vor und wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 18.2.1998 auch anerkannt.

Voraussetzung für die Berücksichtigung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalles bei der Bemessung der MdE ist u.a. ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) und dem Gesundheitserstschaden und der fortdauernden Gesundheitsstörung (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen - neben der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis - der Gesundheitserstschaden und die eingetretenen fortdauernden Gesundheitsstörungen gehören, mit einem der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein. Für die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen Einwirkung und dem Gesundheitserstschaden sowie dem Gesundheitserstschaden und fortdauernden Gesundheitsstörungen gilt im Bereich in der gesetzlichen Unfallversicherung die Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung". Diese hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob das Ereignis nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Auf Grund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden. Bei mehreren konkurrierenden Ursachen muss die rechtlich wesentliche Bedingung nicht "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig" sein. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Kommt einer der Ursachen gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist sie allein wesentliche Ursache und damit allein Ursache im Rechtssinn (vgl. hierzu das grundlegende Urteil des BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 = BSGE 96, 196-209).

Die hier vorzunehmende Kausalitätsbeurteilung hat im Übrigen auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Dies schließt die Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet war, eine bestimmte körperliche Störung hervorzurufen (BSG, Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - aaO).

Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung wird gemäß § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO in der dem Grad der Erwerbsminderung entsprechenden Höhe gewährt, wenn und solange ein Verletzter infolge des Arbeitsunfalls in seiner Erwerbsfähigkeit um wenigstens ein Fünftel gemindert ist und diese Minderung der Erwerbsfähigkeit über die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus andauert (§ 580 Abs. 1 RVO). Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch einen früheren Versicherungsfall Anspruch auf Rente (§ 581 Abs. 3 Satz 1 RVO). Die Folgen eines Arbeitsunfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern (§ 581 Abs. 3 Satz 2 RVO). Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (so jetzt ausdrücklich § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII, mit dessen Inkrafttreten die früheren Kriterien zur Bemessung der MdE nach der RVO übernommen worden sind, vgl. BSG, Urteil vom 18.3.2003 - B 2 U 31/02 R -).

Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.6. 2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Bei dem Arbeitsunfall vom 10.8.1995 hat sich der Kläger ein HWS-Schleudertrauma zugezogen, wie der Senat der ärztlichen Unfallmeldung des Arztes K. vom 11.8.1995 entnimmt. Dieser stellte bei der Untersuchung des Klägers am 11.8.1995 eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung der HWS ohne neurologische Ausfälle fest und bescheinigte Arbeitsunfähigkeit. Die durch das HWS-Schleudertrauma bedingten Beschwerden waren am 15.9.1995 ohne Komplikationen und Folgeerscheinungen ausgeheilt, wie der Arzt K. unter dem 10.12.1995 (10.11.1995) bescheinigt hat. Zu diesem Zeitpunkt war die unfallbedingte Behandlung abgeschlossen und Arbeitsfähigkeit schon zuvor am 27.8.1995 wieder eingetreten.

Einen Knieschaden – bzw. eine Knieprellung – hat der Arzt K. beim Kläger nicht festgestellt und auch diesbezügliche Beschwerden des Klägers nicht erwähnt. Damit ist ein Erstschaden an den Knien schon nicht nachgewiesen. Gegenüber den Durchgangsärzten Dr. W. und Dr. T. hat der Kläger am 16.1.1996 ebenfalls keinen Knieschaden angegeben, und auch nicht gegenüber dem Neurologen und Psychiater Dr. W. Bei den gutachterlichen Untersuchungen durch den Neurologen und Psychiater B. und insbesondere durch Prof. Dr. W. und Dr. H. (gutachterliche Untersuchung vom 17.9.1997), bei der der Kläger den Unfallhergang detailliert geschildert hat, hat er eine Verletzung im Bereich der Knie nicht geschildert, sondern erklärt, beim Unfall habe er zunächst keine Beschwerden gehabt. Erst auf dem Weg nach Hause hätten sich Beschwerden eingestellt, weswegen er am nächsten Tag seinen Hausarzt K. aufgesucht habe. Dieser hat aber lediglich eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung der HWS und keinerlei Gesundheitsstörungen im Bereich der Knie festgestellt. Gegen einen beim Unfall am 10.8.1995 erlittenen Knieschaden sprechen auch die Angaben der Ärzte des Kreiskrankenhauses "St. B." im Arztbrief vom 26.11.1996, wonach der Kläger bei der stationären Aufnahme im Krankenhaus über seit ca. zwei Monaten bestehende rezidivierende Beschwerden am linken Kniegelenk lateral und am unteren Patellarand geklagt hat, und nicht über seit dem Unfall bestehende Beschwerden.

Bei den beim Kläger im Arztbrief vom 26.11.1996 beschriebenen Befunden am linken Kniegelenk handelt es sich um keine auf ein Unfallereignis und erst recht nicht auf den Unfall vom 10.8.1995 zurückzuführende Befunde, sondern um typische Verschleißerscheinungen. Die Kniegelenksspiegelung rechts im Jahr 2001 ergab ebenfalls keinen unfallbedingten Schaden, wie Prof. Dr. L. im Gutachten vom 10.4.2008 dargelegt hat. Bei den nunmehr beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen an den Knien (leichte bis mittelschwere Kniegelenksarthrose rechts innenseitig und an der Kniescheibenrückseite betont sowie leichte bis mittelschwere Kniegelenksarthrose links mit Beteiligung des inneren und äußeren Gelenkspaltes sowie der Kniescheibenrückseite) handelt es sich um typische Erscheinungen einer schicksalhaften Verschleißerkrankung, wie Prof. Dr. L. für den Senat nachvollziehbar und überzeugend im Gutachten vom 10.4.2008 und in der ergänzenden Stellungnahme vom 14.9.2008 ausgeführt hat.

Eine mündliche Erläuterung des Gutachtens von Professor Dr. Locher ist schon deswegen nicht erforderlich, weil ein sog. Erstschaden an den Knien des Klägers nicht nachgewiesen ist. Ausweislich der Angaben der A. B. vom 22.1.1997 bestand erstmals vom 14.11.1996 bis 15.12.1996, und damit über ein Jahr nach dem Arbeitsunfall, eine Arbeitsunfähigkeit wegen einer Kniegelenksschädigung (Luxation des Knies links). Die Kniebeschwerden traten – nach den zeitnahen Angaben des Klägers während seines stationären Aufenthaltes im Kreiskrankenhaus "St. B." vom 20.11.1996 bis 21.11.1996 - vor ca. zwei Monaten, d.h. seit September 1996, und damit über ein Jahr nach dem Arbeitsunfall, auf. Soweit der Kläger ursprünglich vorgetragen hat, wegen starker Schwellungen habe das linke Knie im Dezember 1996 und das rechte Knie ca. ein halbes Jahr später operiert werden müssen, hat er sich auch geirrt. Die ursprünglich im November 1996 vorgesehene Arthroskopie fand nämlich nicht statt. Die operativen Eingriffe bzw. Arthroskopien erfolgten vielmehr im Juni 2001 (linkes Knie) und August 2001 (rechtes Knie).

Die Zerrung der HWS hat zu keinen bleibenden Gesundheitsstörungen führt, wie der Senat dem Gutachten von Prof. Dr. W. entnimmt und wie auch schon der 2. Senat des LSG im Urteil vom 12.1.2000 (L 2 U 3007/99) dargelegt hat. Dieser hat zu einer Behandlungsbedürftigkeit bis 15.9.1995 und einer Arbeitsunfähigkeit bis 26.8.1995 geführt und war bei Abschluss der Behandlung folgenlos ausgeheilt, wie der Hausarzt K. unter denen 10.12.1995 mitgeteilt hat. Bei der gutachterlichen Untersuchung vom 17.9.1997 konnte Prof. Dr. W. keine Unfallfolgen im Bereich der HWS feststellen. Die mäßigen degenerativen Veränderungen im Bereich der HWS, die Osteochondrose C5/6 mit Hypermobilität sowie die knöcherne Einengung des Neuroforamens C4/5 links sind unfallunabhängig.

Da unfallbedingte Gesundheitsstörungen beim Kläger nicht (mehr) nachweisbar sind, können diese auch keine Minderung der Erwerbsfähigkeit bedingen, so dass ein Anspruch auf Verletztenrente nicht bestehen kann.

Nach alledem ist die angefochtene Entscheidung des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved