Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 51 SO 3150/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 SO 231/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides, mit dem der Beklagte Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem Bundessozialhilfegesetz - BSHG bzw. des Siebten Kapitels des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - SGB XII - von der Klägerin zurückfordert.
Die 1919 geborene Klägerin bezog in der hier streitigen Zeit neben ihrer Altersrente Wohngeld. Am 16. Juni 2001 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Gewährung von Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem BSHG. Die Frage nach vorhandenem Vermögen im Antragsvordruck verneinte sie. In einer Erklärung vom 1. Februar 2002 gab die Klägerin darüber hinaus an, kein Sparkonto zu besitzen und nur über ein Girokonto zu verfügen. Mit Bescheid vom 2. April 2002 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen der Hilfe zur Pflege nach den §§ 68 ff des BSHG als Sachleistung für die Zeit vom 21. Mai 2001 bis zum 30. April 2003 für einen monatlichen durchschnittlichen Gesamtaufwand i. H. v. 164,15 Euro. Mit Bescheid vom 10. April 2003 wurde Hilfe zur Pflege nach den §§ 68 ff BSHG als Sachleistung für die Zeit vom 1. Mai 2003 bis zum 30. April 2005 und mit Bescheid vom 18. April 2005 Hilfe zur Pflege nach den §§ 61 ff des SGB XII für die Zeit vom 1. Mai 2005 bis zum 31. März 2007 jeweils für einen monatlich durchschnittlichen Gesamtaufwand i. H. v. 156,91 Euro gewährt. Aus dem Einkommen der Klägerin wurde jeweils kein Kostenanteil gefordert.
Am 29. August 20005 erhielt der Beklagte eine Mitteilung über Zinseinnahmen der Klägerin im Jahr 2004 bei der Deutschen Bank i. H. v. 259,- Euro und der Landesbank Berlin i. H. v. 161,- Euro. Mit Schreiben vom 21. September 2005 forderte der Beklagte die Klägerin auf, weitere Angaben zu ihrem Vermögen unter Vorlage geeigneter Nachweise zu machen. Hierauf legte der Sohn der Klägerin am 17. Oktober 2005 Unterlagen über ein Depotkonto, sowie ein Sparbuch bei der Deutschen Bank und ein Sparkonto bei der Berliner Sparkasse vor. Er gab an, dass das Guthaben auf dem Konto der Deutschen Bank zu seinem Vermögen zähle. Mit Bescheid vom 13. April 2006 "stellte" der Beklagte die der Klägerin gewährten Leistungen der Hilfe zur Pflege mit Wirkung zum 1. Mai 2006 "ein". Ein Widerspruch wurde gegen diesen Bescheid nicht erhoben. Mit Schreiben vom 13. April 2006 teilte der Beklagte der Klägerin zudem mit, dass beabsichtigt sei, die in der Zeit vom 1. Mai 2001 bis zum 30. April 2006 geleistete Hilfe zur Pflege zurückzufordern, weil die Klägerin vorhandenes Vermögen verschwiegen habe. Die Klägerin gab daraufhin an, das Depotkonto bei der Deutschen Bank gehöre ihrem Sohn und sei nur von ihr verwaltet worden, weil sich ihr Sohn ständig auf Montage befunden habe.
Mit Bescheid vom 23. Mai 2006 hob der Beklagte die Bewilligungsbescheide vom 2. April 2002, vom 10. April 2003 und vom 18. April 2005 für die Zeit vom 21. Mai 2001 bis zum 30. April 2006 i. H. v. 8.732,41 Euro auf. Zur Begründung führte der Beklagte aus, die Klägerin sei ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen, weil sie vorhandenes Vermögen verschwiegen habe. Es werde davon ausgegangen, dass die Klägerin über Vermögen verfügte, dass ihr ein Leben unabhängig von Sozialhilfeleistungen ermöglicht habe. Dem öffentlichen Interesse an der rückblickenden Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes müsse der Vorrang eingeräumt werden, gegenüber dem privaten Interesse der Klägerin, die hier rechtswidrig erhaltenen Leistungen zu behalten, durch die sie eigene Mittel in gleicher Höhe erspart habe (§ 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X). Der zu Unrecht erhaltene Betrag von 8.732,41 Euro werde zurückgefordert.
Hiergegen legte die Klägerin am 26. Juli 2006 Widerspruch ein, mit dem sie um eine Aufstellung durch den Beklagten bat, wie sich die zurückgeforderte Summe zusammensetzt, da sie diese nicht nachvollziehen könne. Zudem legte die Klägerin ihre aktuellen Einkommensverhältnisse dar. Sie begründete ihren Widerspruch weiter damit, dass die Sparkonten ihr und ihrem Sohn gehörten. Mit dem Widerspruchsbescheid vom 29. November 2006 reduzierte der Beklagte die Erstattung auf einen Betrag von 4.929,02 Euro und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Zur Begründung führte der Beklagte aus, die Klägerin habe in der Zeit vom 21. Mai 2001 bis zum 30. April 2006 über Vermögen i. H. v. 7.529,02 Euro verfügt. Die Klägerin habe durch die fehlende Mitteilung über dieses Vermögen mehr Sozialhilfeleistungen erhalten, als sie beanspruchen konnte. Vertrauensschutz sei für die Klägerin nicht zu berücksichtigen, weil sie aufgrund der unterlassenen Angabe ihres Vermögens die Rechtswidrigkeit des Bescheides herbeigeführt habe. Der Erstattungsanspruch ergebe sich aus dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Dem öffentlichen Interesse an der rückblickenden Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes sei der Vorrang einzuräumen gegenüber dem privaten Interesse, öffentliche Sozialleistungen zu behalten. Der Ersatzanspruch werde auf 4.929,02 Euro beschränkt, weil der Vermögensfreibetrag von 2.600,- Euro von dem vorhandenen Gesamtvermögen abzuziehen sei.
Hiergegen hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben (Klageeingang am 22. Dezember 2006). Zur Begründung hat sie vorgetragen, alle Konten gehörten ihrem Sohn, für den sie dieses Vermögen lediglich verwaltet habe, auch wenn sie alleinige Kontoinhaberin gewesen sei und ihr Sohn über ein eigenes Konto für seine laufenden Gehaltszahlungen verfügt habe. Sie hat erstinstanzlich beantragt, den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid aufzuheben. Der Beklagte hat sich auf die Begründung der angefochtenen Bescheide gestützt. Das Sozialgericht hat den Sohn der Klägerin als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Vernehmung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 20. Oktober 2010 Bezug genommen.
Mit Urteil vom 20. Oktober 2010 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2006 aufgehoben. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, dass zwar die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Rücknahme der aufgehobenen Bewilligungsbescheide vorgelegen haben mögen, dass die angefochtenen Bescheide jedoch wegen fehlender Ermessensausübung rechtswidrig und aufzuheben seien. § 45 Abs. 1 SGB X räume auf der Rechtsfolgeseite Ermessen ein. Ausführungen über eine Betätigung des nach § 45 SGB X eingeräumten Ermessens enthalte der angefochtene Bescheid vom 23. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2006 jedoch nicht. Es liege ein Ermessensnichtgebrauch vor. Auch bei Bösgläubigkeit des Betroffenen sei eine Ermessensbetätigung im Rahmen von § 45 SGB X nicht von vornherein ausgeschlossen. Anderenfalls bedürfe es keiner einschränkenden Spezialregelung wie etwa des § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III), wonach im Fall der Bösgläubigkeit eine gebundene Rücknahmeentscheidung für die Vergangenheit vorzunehmen ist. Es sei auch nicht anzunehmen, dass der Beklagte von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgegangen sei, da etwaige Gründe für die Annahme einer solchen Ermessensreduzierung durch den Beklagten in dem Rücknahmebescheid nicht dargelegt seien. Im Hinblick auf das hohe Lebensalter und die aktuellen Einkommensverhältnisse der Klägerin hätte auch eine nur teilweise Rücknahme der Bewilligungsbescheide gerechtfertigt sein können. Die Reduktion der Erstattungsforderung im Widerspruchsbescheid sei auch nicht auf eine Ermessensausübung zurückzuführen, sondern dem Umstand geschuldet, dass der Beklagte zunächst die gesamten von ihm im Rahmen der Hilfe zur Pflege geleisteten Zahlungen zurückfordern wollte und später auf die Höhe des bis zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhandenen Vermögens abzüglich des dann geltenden Vermögensfreibetrages für die Rückforderung abgestellt habe.
Gegen das am 24. November 2010 dem Beklagten zugestellte Urteil wendet sich dieser mit der am 17. Dezember 2010 beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangenen Berufung. Zur Begründung er aus, dass er nach allen Feststellungen zu seiner vollsten Überzeugung eine anderweitige Entscheidung als die getroffene für rechtsfehlerfrei ausgeschlossen ansehe und mithin hier das Ermessen auf Null reduziert sei. Unter den gegebenen Umständen sei eine andere Entscheidung als die Rücknahme in dem getroffenen Umfang nicht mit dem Gesetz vereinbar. Es fehle schlicht an geeigneten Tatsachen. Da es sich um Mittel der Solidargemeinschaft handele, könne allein die Herstellung des rechtmäßigen Zustands Priorität besitzen. Damit habe sich die Behörde in ihrem Widerspruchsbescheid erkennbar beschäftigt. Im festgestellten Sachverhalt sei der Klägerin bewusst gewesen, dass sie ihr Vermögen einsetzen müsse. Daher habe sie dieses verschwiegen und nach Bekanntwerden versucht, dieses Vermögen ihrem nichthilfebedürftigen Sohn zuzuschreiben. Der Vortrag der Klägerin bleibe insoweit alles andere als glaubhaft. Das Sozialgericht habe außer Acht gelassen, dass die Erwägungen des Beklagten nur in strenger Bindung an die Ziele des Gesetzes, in dessen Vollzug er handele, zu orientieren sei, was durchaus geschehen sei. Die Solidargemeinschaft dürfte das Urteil des Sozialgerichts beanstanden, als die Begründung eine Würdigung des Sachverhalts vornehme, ohne die Entscheidung in den Gesamtkontext der zuvor gewonnenen Erkenntnisse zu stellen. Das Gericht habe den Versuch der Täuschung sowohl des Gerichts als auch der Behörde zu Unrecht unberücksichtigt gelassen. Die Ermessensausübung verkomme bei dieser Entscheidungspraxis zum formalen Selbstzweck. Eine unterlassene Abwägung sei zudem auch von der Gegenseite nicht eingewandt worden.
Der Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Oktober 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie stützt sich zur Begründung auf die Ausführungen im Urteil des Sozialgerichts Berlin. Sie habe Vermögen nicht vorsätzlich verschwiegen und schon gar nicht versucht, wie es der Beklagte in der Berufungsschrift darstelle, Vermögen ihrem Sohn zuzuschreiben.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach – und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten, die Gegenstand der Beratung waren, Bezug genommen.
II.
Der Senat konnte nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der Beklagte hatte die Möglichkeit, sich im Rahmen der erstinstanzlich durchgeführten mündlichen Verhandlung zu äußern; das zweitinstanzliche Vorbringen lässt keine Notwendigkeit einer erneuten Verhandlung erkennen.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht Berlin hat zu Recht den Bescheid vom 20. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2006 (soweit er Gegenstand des Rechtstreits war) aufgehoben. Der Senat sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da er der angefochtenen Entscheidung folgt und die Berufung aus diesen Gründen für unbegründet hält (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Beklagte zu Unrecht davon ausgeht, es liege eine Ermessensreduktion auf Null vor. Dies wäre nur dann der Fall, wenn jede andere Entscheidung als die über eine vollumfängliche Aufhebung rechtswidrig gewesen wäre. Das Sozialgericht hat hierzu bereits zutreffend ausgeführt, dass bei Vorliegen einer Bösgläubigkeit im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht regelmäßig von einer Ermessensreduktion auf Null auszugehen ist. Andernfalls wäre die Regelung des § 330 Abs. 2 SGB III zur gebundenen Aufhebung von Verwaltungsakten in Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X überflüssig. Deren entsprechende Anwendung sieht zwar § 40 Abs. 2 Nr. 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – SGB II – vor, nicht jedoch das SGB XII.
Soweit der Beklagte die Auffassung vertritt, das Sozialgericht müsse alle Umstände des Einzelfalls in eine Abwägung einfließen lassen, ersetzt das nicht eine Ermessensausübung des Beklagten, wie sie gesetzlich durch § 45 Abs. 1 SGB X vorgesehen ist. § 39 Abs. 1 SGB I bestimmt, dass eine Behörde das ihr eingeräumte Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten hat; auf pflichtgemäße Ermessensausübung durch die Behörde besteht ein Anspruch. Den Gerichten ist es dagegen verwehrt, eigene Ermessensentscheidungen an der Stelle der Behörde, der das Ermessen eingeräumt ist, zu treffen.
Die fehlende Ermessensausübung ist schließlich auch nicht nach § 41 SGB X geheilt worden, indem die Gründe für die Entscheidung durch den Beklagten dargestellt wurden. Nachholbar nach § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X ist nur die Begründung eines Verwaltungsakts, nicht aber die unterlassene Betätigung von Ermessen. Die fehlende Ermessensausübung führt bei belastenden Verwaltungsakten zur Rechtswidrigkeit und zur Aufhebung der betroffenen Bescheide unabhängig davon, ob die getroffene Entscheidung bei einer unterstellten ordnungsgemäßen Ermessensausübung rechtmäßig wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG bestehen nicht.
Der Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides, mit dem der Beklagte Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem Bundessozialhilfegesetz - BSHG bzw. des Siebten Kapitels des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - SGB XII - von der Klägerin zurückfordert.
Die 1919 geborene Klägerin bezog in der hier streitigen Zeit neben ihrer Altersrente Wohngeld. Am 16. Juni 2001 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Gewährung von Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem BSHG. Die Frage nach vorhandenem Vermögen im Antragsvordruck verneinte sie. In einer Erklärung vom 1. Februar 2002 gab die Klägerin darüber hinaus an, kein Sparkonto zu besitzen und nur über ein Girokonto zu verfügen. Mit Bescheid vom 2. April 2002 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen der Hilfe zur Pflege nach den §§ 68 ff des BSHG als Sachleistung für die Zeit vom 21. Mai 2001 bis zum 30. April 2003 für einen monatlichen durchschnittlichen Gesamtaufwand i. H. v. 164,15 Euro. Mit Bescheid vom 10. April 2003 wurde Hilfe zur Pflege nach den §§ 68 ff BSHG als Sachleistung für die Zeit vom 1. Mai 2003 bis zum 30. April 2005 und mit Bescheid vom 18. April 2005 Hilfe zur Pflege nach den §§ 61 ff des SGB XII für die Zeit vom 1. Mai 2005 bis zum 31. März 2007 jeweils für einen monatlich durchschnittlichen Gesamtaufwand i. H. v. 156,91 Euro gewährt. Aus dem Einkommen der Klägerin wurde jeweils kein Kostenanteil gefordert.
Am 29. August 20005 erhielt der Beklagte eine Mitteilung über Zinseinnahmen der Klägerin im Jahr 2004 bei der Deutschen Bank i. H. v. 259,- Euro und der Landesbank Berlin i. H. v. 161,- Euro. Mit Schreiben vom 21. September 2005 forderte der Beklagte die Klägerin auf, weitere Angaben zu ihrem Vermögen unter Vorlage geeigneter Nachweise zu machen. Hierauf legte der Sohn der Klägerin am 17. Oktober 2005 Unterlagen über ein Depotkonto, sowie ein Sparbuch bei der Deutschen Bank und ein Sparkonto bei der Berliner Sparkasse vor. Er gab an, dass das Guthaben auf dem Konto der Deutschen Bank zu seinem Vermögen zähle. Mit Bescheid vom 13. April 2006 "stellte" der Beklagte die der Klägerin gewährten Leistungen der Hilfe zur Pflege mit Wirkung zum 1. Mai 2006 "ein". Ein Widerspruch wurde gegen diesen Bescheid nicht erhoben. Mit Schreiben vom 13. April 2006 teilte der Beklagte der Klägerin zudem mit, dass beabsichtigt sei, die in der Zeit vom 1. Mai 2001 bis zum 30. April 2006 geleistete Hilfe zur Pflege zurückzufordern, weil die Klägerin vorhandenes Vermögen verschwiegen habe. Die Klägerin gab daraufhin an, das Depotkonto bei der Deutschen Bank gehöre ihrem Sohn und sei nur von ihr verwaltet worden, weil sich ihr Sohn ständig auf Montage befunden habe.
Mit Bescheid vom 23. Mai 2006 hob der Beklagte die Bewilligungsbescheide vom 2. April 2002, vom 10. April 2003 und vom 18. April 2005 für die Zeit vom 21. Mai 2001 bis zum 30. April 2006 i. H. v. 8.732,41 Euro auf. Zur Begründung führte der Beklagte aus, die Klägerin sei ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen, weil sie vorhandenes Vermögen verschwiegen habe. Es werde davon ausgegangen, dass die Klägerin über Vermögen verfügte, dass ihr ein Leben unabhängig von Sozialhilfeleistungen ermöglicht habe. Dem öffentlichen Interesse an der rückblickenden Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes müsse der Vorrang eingeräumt werden, gegenüber dem privaten Interesse der Klägerin, die hier rechtswidrig erhaltenen Leistungen zu behalten, durch die sie eigene Mittel in gleicher Höhe erspart habe (§ 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X). Der zu Unrecht erhaltene Betrag von 8.732,41 Euro werde zurückgefordert.
Hiergegen legte die Klägerin am 26. Juli 2006 Widerspruch ein, mit dem sie um eine Aufstellung durch den Beklagten bat, wie sich die zurückgeforderte Summe zusammensetzt, da sie diese nicht nachvollziehen könne. Zudem legte die Klägerin ihre aktuellen Einkommensverhältnisse dar. Sie begründete ihren Widerspruch weiter damit, dass die Sparkonten ihr und ihrem Sohn gehörten. Mit dem Widerspruchsbescheid vom 29. November 2006 reduzierte der Beklagte die Erstattung auf einen Betrag von 4.929,02 Euro und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Zur Begründung führte der Beklagte aus, die Klägerin habe in der Zeit vom 21. Mai 2001 bis zum 30. April 2006 über Vermögen i. H. v. 7.529,02 Euro verfügt. Die Klägerin habe durch die fehlende Mitteilung über dieses Vermögen mehr Sozialhilfeleistungen erhalten, als sie beanspruchen konnte. Vertrauensschutz sei für die Klägerin nicht zu berücksichtigen, weil sie aufgrund der unterlassenen Angabe ihres Vermögens die Rechtswidrigkeit des Bescheides herbeigeführt habe. Der Erstattungsanspruch ergebe sich aus dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Dem öffentlichen Interesse an der rückblickenden Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes sei der Vorrang einzuräumen gegenüber dem privaten Interesse, öffentliche Sozialleistungen zu behalten. Der Ersatzanspruch werde auf 4.929,02 Euro beschränkt, weil der Vermögensfreibetrag von 2.600,- Euro von dem vorhandenen Gesamtvermögen abzuziehen sei.
Hiergegen hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben (Klageeingang am 22. Dezember 2006). Zur Begründung hat sie vorgetragen, alle Konten gehörten ihrem Sohn, für den sie dieses Vermögen lediglich verwaltet habe, auch wenn sie alleinige Kontoinhaberin gewesen sei und ihr Sohn über ein eigenes Konto für seine laufenden Gehaltszahlungen verfügt habe. Sie hat erstinstanzlich beantragt, den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid aufzuheben. Der Beklagte hat sich auf die Begründung der angefochtenen Bescheide gestützt. Das Sozialgericht hat den Sohn der Klägerin als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Vernehmung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 20. Oktober 2010 Bezug genommen.
Mit Urteil vom 20. Oktober 2010 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2006 aufgehoben. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, dass zwar die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Rücknahme der aufgehobenen Bewilligungsbescheide vorgelegen haben mögen, dass die angefochtenen Bescheide jedoch wegen fehlender Ermessensausübung rechtswidrig und aufzuheben seien. § 45 Abs. 1 SGB X räume auf der Rechtsfolgeseite Ermessen ein. Ausführungen über eine Betätigung des nach § 45 SGB X eingeräumten Ermessens enthalte der angefochtene Bescheid vom 23. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2006 jedoch nicht. Es liege ein Ermessensnichtgebrauch vor. Auch bei Bösgläubigkeit des Betroffenen sei eine Ermessensbetätigung im Rahmen von § 45 SGB X nicht von vornherein ausgeschlossen. Anderenfalls bedürfe es keiner einschränkenden Spezialregelung wie etwa des § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III), wonach im Fall der Bösgläubigkeit eine gebundene Rücknahmeentscheidung für die Vergangenheit vorzunehmen ist. Es sei auch nicht anzunehmen, dass der Beklagte von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgegangen sei, da etwaige Gründe für die Annahme einer solchen Ermessensreduzierung durch den Beklagten in dem Rücknahmebescheid nicht dargelegt seien. Im Hinblick auf das hohe Lebensalter und die aktuellen Einkommensverhältnisse der Klägerin hätte auch eine nur teilweise Rücknahme der Bewilligungsbescheide gerechtfertigt sein können. Die Reduktion der Erstattungsforderung im Widerspruchsbescheid sei auch nicht auf eine Ermessensausübung zurückzuführen, sondern dem Umstand geschuldet, dass der Beklagte zunächst die gesamten von ihm im Rahmen der Hilfe zur Pflege geleisteten Zahlungen zurückfordern wollte und später auf die Höhe des bis zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhandenen Vermögens abzüglich des dann geltenden Vermögensfreibetrages für die Rückforderung abgestellt habe.
Gegen das am 24. November 2010 dem Beklagten zugestellte Urteil wendet sich dieser mit der am 17. Dezember 2010 beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangenen Berufung. Zur Begründung er aus, dass er nach allen Feststellungen zu seiner vollsten Überzeugung eine anderweitige Entscheidung als die getroffene für rechtsfehlerfrei ausgeschlossen ansehe und mithin hier das Ermessen auf Null reduziert sei. Unter den gegebenen Umständen sei eine andere Entscheidung als die Rücknahme in dem getroffenen Umfang nicht mit dem Gesetz vereinbar. Es fehle schlicht an geeigneten Tatsachen. Da es sich um Mittel der Solidargemeinschaft handele, könne allein die Herstellung des rechtmäßigen Zustands Priorität besitzen. Damit habe sich die Behörde in ihrem Widerspruchsbescheid erkennbar beschäftigt. Im festgestellten Sachverhalt sei der Klägerin bewusst gewesen, dass sie ihr Vermögen einsetzen müsse. Daher habe sie dieses verschwiegen und nach Bekanntwerden versucht, dieses Vermögen ihrem nichthilfebedürftigen Sohn zuzuschreiben. Der Vortrag der Klägerin bleibe insoweit alles andere als glaubhaft. Das Sozialgericht habe außer Acht gelassen, dass die Erwägungen des Beklagten nur in strenger Bindung an die Ziele des Gesetzes, in dessen Vollzug er handele, zu orientieren sei, was durchaus geschehen sei. Die Solidargemeinschaft dürfte das Urteil des Sozialgerichts beanstanden, als die Begründung eine Würdigung des Sachverhalts vornehme, ohne die Entscheidung in den Gesamtkontext der zuvor gewonnenen Erkenntnisse zu stellen. Das Gericht habe den Versuch der Täuschung sowohl des Gerichts als auch der Behörde zu Unrecht unberücksichtigt gelassen. Die Ermessensausübung verkomme bei dieser Entscheidungspraxis zum formalen Selbstzweck. Eine unterlassene Abwägung sei zudem auch von der Gegenseite nicht eingewandt worden.
Der Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Oktober 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie stützt sich zur Begründung auf die Ausführungen im Urteil des Sozialgerichts Berlin. Sie habe Vermögen nicht vorsätzlich verschwiegen und schon gar nicht versucht, wie es der Beklagte in der Berufungsschrift darstelle, Vermögen ihrem Sohn zuzuschreiben.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach – und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten, die Gegenstand der Beratung waren, Bezug genommen.
II.
Der Senat konnte nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der Beklagte hatte die Möglichkeit, sich im Rahmen der erstinstanzlich durchgeführten mündlichen Verhandlung zu äußern; das zweitinstanzliche Vorbringen lässt keine Notwendigkeit einer erneuten Verhandlung erkennen.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht Berlin hat zu Recht den Bescheid vom 20. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2006 (soweit er Gegenstand des Rechtstreits war) aufgehoben. Der Senat sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da er der angefochtenen Entscheidung folgt und die Berufung aus diesen Gründen für unbegründet hält (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Beklagte zu Unrecht davon ausgeht, es liege eine Ermessensreduktion auf Null vor. Dies wäre nur dann der Fall, wenn jede andere Entscheidung als die über eine vollumfängliche Aufhebung rechtswidrig gewesen wäre. Das Sozialgericht hat hierzu bereits zutreffend ausgeführt, dass bei Vorliegen einer Bösgläubigkeit im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht regelmäßig von einer Ermessensreduktion auf Null auszugehen ist. Andernfalls wäre die Regelung des § 330 Abs. 2 SGB III zur gebundenen Aufhebung von Verwaltungsakten in Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X überflüssig. Deren entsprechende Anwendung sieht zwar § 40 Abs. 2 Nr. 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – SGB II – vor, nicht jedoch das SGB XII.
Soweit der Beklagte die Auffassung vertritt, das Sozialgericht müsse alle Umstände des Einzelfalls in eine Abwägung einfließen lassen, ersetzt das nicht eine Ermessensausübung des Beklagten, wie sie gesetzlich durch § 45 Abs. 1 SGB X vorgesehen ist. § 39 Abs. 1 SGB I bestimmt, dass eine Behörde das ihr eingeräumte Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten hat; auf pflichtgemäße Ermessensausübung durch die Behörde besteht ein Anspruch. Den Gerichten ist es dagegen verwehrt, eigene Ermessensentscheidungen an der Stelle der Behörde, der das Ermessen eingeräumt ist, zu treffen.
Die fehlende Ermessensausübung ist schließlich auch nicht nach § 41 SGB X geheilt worden, indem die Gründe für die Entscheidung durch den Beklagten dargestellt wurden. Nachholbar nach § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X ist nur die Begründung eines Verwaltungsakts, nicht aber die unterlassene Betätigung von Ermessen. Die fehlende Ermessensausübung führt bei belastenden Verwaltungsakten zur Rechtswidrigkeit und zur Aufhebung der betroffenen Bescheide unabhängig davon, ob die getroffene Entscheidung bei einer unterstellten ordnungsgemäßen Ermessensausübung rechtmäßig wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG bestehen nicht.
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