Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 1 KR 652/10
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 75/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 1/12 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 21. Juni 2011 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt auch die Kosten der Berufungsinstanz. Die Revision wird zugelassen. Der Streitwert wird auf 1.007,10 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über Krankenhausbehandlungskosten in Höhe von 1.007,10 EUR. Dabei geht es um die Frage, ob die Klägerin berechtigt war, Kosten nachzuberechnen.
Die 1931 geborene und bei der Beklagten versicherte B. K. (Versicherte) wurde vom 20. bis 29. Juli 2006 im S. E-Krankenhaus L., einer Klinik der Klägerin, stationär behandelt. Mit Rechnung vom 31. Juli 2006 machte sie hierfür einen Betrag von 1.780,94 EUR geltend, den die Beklagte am 15. August 2006 ausglich. Mit Schreiben vom 20. Februar 2007 teilte die Klägerin der Beklagten mit, anlässlich einer internen Überprüfung sei festgestellt worden, dass für die Abrechnung des Behandlungsfalles relevante Nebendiagnosen nicht kodiert worden seien. Sie übersandte die korrigierte Rechnung vom 20. Februar 2007, mit der sie nunmehr 2.788,04 EUR verlangte. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 22. Februar 2007 mit der Begründung ab, dass eine Rechnungskorrektur und Nachberechnung nach Ausgleich der Schlussrechnung vertraglich nicht vereinbart und daher auch nicht mehr möglich sei.
Die Klägerin hat am 20. März 2007 Klage beim Sozialgericht Lübeck auf Zahlung der Differenz von 1.007,10 EUR erhoben und zur Begründung vorgetragen: Nach der Entscheidung des 3. Se¬nats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. Dezember 2009 in dem Verfahren B 3 KR 12/08 R sei sie von der Nachberechnung nicht ausgeschlossen, da diese zu einer Rechnungsänderung in Höhe von 56,5 % des ursprünglichen Rechnungsbetrages geführt habe. Die Nachberechnung sei auch zeitnah innerhalb von fünf Monaten nach der ersten Rechnungsstellung erfolgt. Dem stehe insbesondere nicht die von der Beklagten angeführte Entscheidung des 1. Senats des BSG in dem Verfahren B 1 KR 11/09 R entgegen. Diese habe einen Einzelfall betroffen, der vor der Neufassung des § 275 Abs. 1c Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V) zu beurteilen gewesen sei. Auf diese Vorschrift habe sich der 3. Senat des BSG zur Entwicklung seiner Bagatellgrenze gestützt und die Rechtsprechung des 1. Senats verfeinert. Das Haushaltsjahr der Krankenkasse spiele danach keine Rolle. Soweit ihr von der Beklagten eine regelmäßige und planmäßige Rechnungsoptimierung vorgeworfen werde, sei dem entgegenzuhalten, dass sie im Jahr 2006 ca. 16.000,00 EUR in 16 Fällen gegenüber der Beklagten nachberechnet habe. Bezogen auf die Gesamtfallzahl im Jahr 2006 in Höhe von 4.852 Fällen bedeute dies einen Anteil von 0,3 %; bezogen auf das Erlösbudget von ca. 10.500.000,00 EUR entspreche die Nachberechnungssumme einem Anteil von 0,15 %. Von einer systematischen Rechnungsoptimierung könne daher keine Rede sein.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.007,10 EUR nebst zwei Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz hierauf seit dem 8. März 2007 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, die Nachberechnung stünde im Widerspruch zu den landesvertraglichen Regelungen, aus denen unabhängig von der Verjährungsfrist ein Einwendungsausschluss und somit auch ein Ausschluss der Korrekturmöglichkeit abzuleiten sei, wenn diese nicht zeitnah innerhalb von spätestens 14 Tagen nach Rechnungslegung erfolge. Nach der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG im Verfahren B 1 KR 11/09 R müssten Krankenkassen nicht hinnehmen, dass Krankenhäuser trotz erteilter Schlussrechnung durch Nachberechnungen ihre Abrechnung nachträglich optimierten. Von einer unzulässigen planmäßigen Rechnungsoptimierung durch Nachkodierungen sei hier auszugehen. Im Jahr 2006 seien allein ihr – der Beklagten – gegenüber in 16 Fällen Nachberechnungen erfolgt. Es sei zwar nicht bekannt, in welchem Umfang Nachkodierungen gegenüber anderen Krankenkassen vorgenommen worden seien. Anhand einer Hochrechnung auf Basis der Belegungsanteile der Beklagten lasse sich die Anzahl der Rechnungsoptimierungen im Hause der Klägerin mit mindestens 42 bis 45 Fällen pro Jahr und einem Mehrerlös von 110.000,00 EUR fiktiv für alle Kassen beziffern. Der genaue Umfang müsse durch das Gericht ermittelt werden. Hier sei auch zu berücksichtigen, dass die Nachforderung nicht mehr innerhalb des Haushaltsjahres geltend gemacht worden sei, in dem die Krankenhausbehandlung und die erste Rechnungsstellung erfolgten. Dies stehe einer Rechnungskorrektur nach der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ebenfalls entgegen. Auch der 3. Senat des BSG habe im Terminbericht zum Urteil vom 17. Dezember 2009 in dem Verfahren B 3 KR 12/08 noch erheblich strengere Kriterien aufgestellt, als dies in den schriftlichen Entscheidungsgründen zum Ausdruck gekommen sei. Hier bestehe daher Klärungsbedarf.
Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 21. Juni 2011 stattgegeben und zur Begründung ausgeführt: Der Klagforderung stehe nicht entgegen, dass der Abrechnungsfall durch die Zahlung der Beklagten zunächst abgeschlossen war. So wie die Krankenkasse auch nach Bezahlung der Krankenhausrechnung eine nachträgliche Korrektur vornehmen dürfe, sei ebenso das Krankenhaus auch noch nach Rechnungsstellung grundsätzlich zur Nachforderung einer offenen Vergütung berechtigt. Der Nachforderung stehe allein der Vorbehalt von Treu und Glauben entgegen. Mit dem daraus entwickelten Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme sei die nachträgliche Korrektur einer geprüften und bezahlten Rechnung dann unvereinbar, wenn das Interesse des Krankenhauses am Ausgleich seines Rechnungsfehlbetrages weniger schutzwürdig sei als das Interesse der Krankenkasse an der Vermeidung des Zusatzaufwands für die erneute Rechnungsprüfung. Diese Verhältnismäßigkeitsprüfung sei grundsätzlich vorzunehmen, wenn eine Frist von sechs Wochen verstrichen sei und die nachgeforderte Summe entweder den Betrag der Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V in Höhe von zunächst 100,00 EUR und ab 25. März 2009 in Höhe von 300,00 EUR oder 5 % des Ausgangsrechnungswertes nicht erreiche. Diese Voraussetzungen erfülle die Klägerin. Auf das vom 1. Senat des BSG herangezogene Haushaltsjahr, innerhalb dessen die Nachforderung zu erfolgen habe, komme es nach der Entscheidung des 3. Senats nicht mehr an. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin regelmäßig und geplant Nachberechnungen im Rahmen einer Rechnungsoptimierung erstelle.
Gegen das ihr am 8. Juli 2011 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, die am 1. August 2011 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist. Zur Begründung wiederholt die Beklagte im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen und stützt sich ergänzend auf den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 21. Juni 2011 in dem Verfahren S 14 KR 65/11. Soweit die Klägerin den Vorwurf der Rechnungsoptimierung zurückweise, seien ihre Darlegungen unschlüssig. Der Belegungsanteil der Beklagten im Hause der Klägerin betrage 38,12 %, damit seien im Jahr 2006 1.850 Versicherte der Beklagten behandelt worden. Folglich betrage der Anteil der Rechnungskorrekturen 0,8 % und sei nicht mehr als marginal zu bezeichnen. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Lübeck entbehre zudem der vom BSG vorgenommenen Interessenabwägung. Es sei davon auszugehen, dass das Interesse der Krankenkassen und das durch die von den Krankenkassen verfolgte Gemeinwohlinteresse an einem sozialverträglichen Beitragssatz sowie der Vermeidung von Zusatzbeiträgen und damit eine verantwortungsvolle Betreuung und Verwendung der Mitgliedsbeiträge das Interesse des Krankenhauses an der nachträglichen Rechnungslegung überwiege. Dies zumal es dem Krankenhaus durch eine pflichtgemäße und gewissenhafte Rechnungserstellung im Rahmen der landesvertraglich eingeräumten Frist von 14 Tagen bis auf wenige Ausnahmefälle möglich sein sollte, fehlerfreie Rechnungen zu erstellen. Der 3. Senat des BSG habe in der zitierten Entscheidung festgestellt, eine Nachforderung sei nicht mehr zeitnah, wenn diese nicht innerhalb von sechs Wochen nach Erstrechnungslegung erfolge. Die vorgenommene kalkulatorische Grenzziehung von 100,00 bzw. 300,00 EUR sowie 5 % des Ausgangsrechnungsbetrages für eine berechtigte Nachforderung sei nicht mehr maßgeblich, wenn zwischen Erstrechnung und Nachkodierung drei Monate lägen. Je länger die Zeitspanne zwischen diesen beiden Zeiträumen sei und je näher das Ende des Haushaltsjahres rücke, desto gefestigter sei das ohnehin durch das Übersenden einer Schlussrechnung entstandene Vertrauen in die endgültige Erledigung des Falles. Bei der hier vorliegenden zeitlichen Differenz sei ein grober Vertragsverstoß anzunehmen, der ohne "Wenn und Aber" zu einem endgültigen Einwendungsausschluss, d. h. einem Nachberechnungsverbot, führe. Die Wiederaufnahme des Falles bei ihr führe zu Kosten, die in keinem Verhältnis zu den 100,00 EUR bzw. 300,00 EUR oder in der Regel auch zu den 5 % des Ausgangsrechnungsbetrages stünden. Im Gegensatz zum Krankenhaus, dessen Aufwand auch durch § 275 Abs. 1c SGB V pauschal bestimmt werde, sei eine Krankenkasse von Gesetzes wegen gehalten, den MDK beratend hinzuzuziehen. Anders als Krankenhausträger würden nicht nur Mitarbeiter der Krankenkasse gebunden, sondern auch MDK-Mitarbeiter, die zusätzlich zu finanzieren seien. Insoweit sei die Beurteilung des BSG einseitig und berücksichtige die Interessen der Krankenkassen, deren Verwaltungsaufwand unter den genannten Gesichtspunkten weitaus höher sei als der des Krankenhauses, nicht hinreichend. Auch sei die Anlehnung der Rechtsprechung des BSG an die Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1c SGB V bereits unter dem Gesichtspunkt der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift fragwürdig. Es erschließe sich nicht, dass den Krankenhäusern im Falle einer ausbleibenden Rechnungsminderung die Aufwandspauschale zugestanden werde, indessen werde keine entsprechende Sanktion mit einer fehlerhaften Abrechnung des Krankenhauses verbunden, obwohl den Krankenkassen ein finanzieller Aufwand, der aufgrund der Gesamtumstände höher sei als der des Krankenhauses, entstehe. Der Anspruch der Klägerin scheitere auch bereits daran, dass die Rechnungskorrektur außerhalb des Haushaltsjahres der Beklagten, das dem Kalenderjahr gemäß § 67 Sozialgesetzbuch, Viertes Buch (SGB IV) entspreche, erfolgt sei. Werde mit dem BSG davon ausgegangen, dass eine Nachberechnung ohne Ausnahme innerhalb von sechs Wochen grundsätzlich möglich sei, seien auch die schutzwürdigen Interessen der Krankenhäuser gewahrt. Insoweit stütze sie die Beklagte – sich auf die Ausführungen von Rechtsanwalt van der Ploeg in MedR 2010, 805, 808. Die Bedeutung der Vorhersehbarkeit, Kalkulierbarkeit, sowie das Angewiesensein auf tragfähige Berechnungsgrundlagen werde verstärkt durch die Vorschrift des § 77 SGB IV. Der Wortlaut der Bestimmung sei weitgehend an § 252 Handelsgesetzbuch angelehnt. Dies führe dazu, dass zukünftig Forderungen, die gegen Krankenhäuser geltend gemacht würden (Verpflichtungen), bewertet und mit dem entsprechenden Risiko grundsätzlich passiviert werden müssten. Damit seien Rückstellungen in entsprechender Höhe in der Jahresrechnung vorzuhalten. Die Bildung entsprechender Rückstellungen sei jedoch in den Fällen nicht möglich, in denen bereits vorbehaltlose Schlussrechnungen erteilt worden seien. Zu berücksichtigen sei, dass es sich bei den Aufwendungen für Krankenhausbehandlungen um einen der größten Blöcke der Leistungsausgaben im System des SGB V handele. Bei einer Krankenkasse von ihrer Größenordnung würden beispielsweise Nachforderungen in einer Größenordnung von 1 % der Krankenhausabrechnungen im zweistelligen Millionenbereich liegen. Insoweit möge zwar der Prozentsatz der aus ihrer Sicht systematischen Nachkodierungen im Hause der Klägerin von fast 1 % auf den ersten Blick marginal erscheinen, habe jedoch für sie eine grundlegende beitragssatzrelevante Bedeutung. Inhaltliche Einwände im Hinblick auf die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit der Versicherten und die Kodierung bestünden nicht.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 21. Juni 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Klägerin macht geltend, die Beklagte habe das Haushaltsjahr 2006 erst Ende Februar 2007 abgeschlossen, so dass sie – die Beklagte - durchaus in der Lage gewesen sei, die Forderungskorrektur vom 20. Februar 2007 noch zu berücksichtigen. Letztendlich komme es darauf jedoch nicht an. Aus den Urteilsgründen der zitierten Entscheidung des 1. Senats des BSG vom 8. September 2009 könne nicht entnommen werden, dass in jedem Fall eine Nachforderung ausscheide, wenn diese außerhalb des Haushaltsjahres der Krankenkasse geltend gemacht werde. Das Abstellen auf das Haushaltsjahr sei auch nicht sachgerecht, da Krankenhäuser, die Anfang des Jahres ihre Rechnungen korrigierten, noch ausreichend Zeitvorlauf hätten, während Krankenhäuser, deren Rechnungen erst Ende des Jahres korrigiert würden, mit dem entsprechenden Betrag ausfielen. Deshalb sei der Rechtsprechung des 3. Senats des BSG in der zitierten Entscheidung vom 17. Dezember 2009 zu folgen, die die Rechtsprechung des 1. Senats verfeinert und eine so genannte Bagatellgrenze eingeführt habe, bei der das Haushaltsjahr irrelevant sei.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten Bezug genommen. Diese haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat der Klägerin zu Recht einen weiteren Zahlungsanspruch über 1.007,10 EUR zuerkannt. Zu der streitigen Korrektur ihrer Schlussrechnung war die Klägerin auch nach mehr als sechs Monaten nach (erster) Rechnungsstellung noch befugt. Insbesondere steht - selbst unter Berücksichtigung des zusätzlichen Verwaltungsaufwands der Beklagten für die erneute Rechnungsprüfung einerseits und des Werts des Fehlbetrages andererseits - der Grundsatz von Treu und Glauben der Nachberechnung nicht entgegen.
Rechtsgrundlage des zulässig mit der (echten) Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG verfolgten restlichen Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V in Verbindung mit § 7 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen – Krankenhausentgeltgesetz -KHEntgG – (hier anzuwenden in der Fassung von Art. 2 Nr. 5 Buchst. a 2. Fallpauschalenänderungsgesetz vom 15. Dezember 2004, Bundesgesetzblatt I, 3429) und der Pflegesatzvereinbarung für das Jahr 2006 sowie – im Hinblick auf den Sitz des Krankenhauses in R. und nicht dem der Klägerin in S. (vgl. BSG SozR 4-2500 § 109 Nr. 1 Rdnr. 8 m.w.N.) - dem Vertrag über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung zwischen der Krankenhausgesellschaft R. e.V. und den Landesverbänden der Krankenkassen in der Fassung des Schiedsspruchs vom 19. November 1999 unter Berücksichtigung des Urteils des LSG vom 12. Dezember 2002 (Krankenhausbehandlungsvertrag – nachfolgend: KBV) und dem Vertrag zur Überprüfung der Notwendigkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung zwischen der Krankenhausgesellschaft R. e.V. und den Landesverbänden der Krankenkassen vom 25. März 1991 (Krankenhausüberprüfungsvertrag – KÜV). Danach entsteht die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse – unab¬hängig von einer Kostenzusage – unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist. Der Behandlungspflicht zugelassener Krankenhäuser im Sinne des § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, der auf der Grundlage der gesetzlichen Ermächtigung in §§ 16, 17 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) in der Pflegesatzvereinbarung zwischen Krankenkasse und Krankenhausträger festgelegt wird (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 3 KR 12/08 R – m.w.N., veröffentlicht in juris).
Zutreffend hat das Sozialgericht entschieden, dass der restliche Vergütungsanspruch der Klägerin von 1.007,10 EUR durch die Zahlung des zuerst abgerechneten Betrages von 1.780,94 EUR nicht erloschen ist. Durch eine mit den maßgeblichen Vorschriften im Einklang stehende Versorgung erwirbt das Krankenhaus einen gesetzlichen Vergütungsanspruch, dessen Höhe gemäß § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V nach Maßgabe des KHG, des KHEntgG und, sofern das Krankenhaus nicht in das DRG-Vergütungssystem einbezogen ist, der Bundespflegesatzverordnung (vgl. dort § 1 Abs. 1) vertraglich abschließend festgelegt wird. Maßgebend für den Vergütungsanspruch ist danach der Fallpauschalen-Kata¬log nach § 7 in Verbindung mit § 17b Abs. 1 Satz 10 KHEntgG (hier in der Fassung von Art. 2 Nr. 4 Buchst. a Doppelbuchst. aa und bb des Gesetzes zur Einführung des diagnose-orientier¬ten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser – Fallpauschalen¬gesetz – vom 23. April 2002, Bundesgesetzblatt I, 1412), der Bindungswirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG in Verbindung mit § 18 Abs. 2 KHG entfaltet (§ 11 KHEntgG i.V.m. § 18 Abs. 2 KHG: Krankenhausträger und Sozialleistungsträger) und streng nach dem Wortlaut einschließlich der Operationen- und Prozedurenschlüssel sowie der Kodierrichtlinien auszulegen ist (BSG, a.a.O.). Insoweit gewährt der Fallpauschalenkatalog kein Bestimmungsrecht, dessen Ausübung das Krankenhaus abschließend binden und den Zahlungsanspruch auf den zunächst geforderten Betrag beschränken würde. So wie die Krankenkasse auch nach Zahlung der Krankenhausrechnung nachträgliche Korrekturen vornehmen darf, ist ebenso das Krankenhaus auch noch nach Rechnungsstellung grundsätzlich zur Nachforderung einer offenen Vergütung berechtigt (übereinstimmende Rechtsprechung des 1. und 3. Senats des BSG in den Urteilen vom 8. September 2009 – B 1 KR 11/09 – SozR 4 2500 § 109 Nr. 19 und vom 17. De¬zember 2009 B 3 KR 12/08 R – SozR 4 2500 § 109 Nr. 20).
Dies ist zwischen den Beteiligten letztlich nicht streitig. Von der Beklagten werden auch keine materiell rechtlichen Einwände gegen die nachträgliche Rechnungskorrektur unter dem Gesichtspunkt der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit oder einer fehlerhaften Kodierung geltend gemacht. Sie hält der Nachforderung des restlichen Vergütungsanspruchs vielmehr den Vorbehalt von Treu und Glauben entgegen, der über § 69 SGB V (hier § 69 Satz 3 in der Fassung von Art. 1 Nr. 26 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 GKV–Gesundheitsreformgesetz 2000 – vom 22. Dezember 1999, BGBl. I, 2626) gemäß dem Rechtsgedanken des § 242 Bürgerliches Gesetzbuch auf die Rechtsbeziehungen der Beteiligten einwirkt. Insoweit ist durch höchstrichterliche Rechtsprechung bereits entschieden, dass eine Krankenkasse nach Treu und Glauben mit Einwendungen ausgeschlossen sein kann, wenn sie das zu deren Klärung vorgesehene Verfahren nicht rechtzeitig einleitet (vgl. BSGE 89, 104, 110 "Berliner Fälle"). Umgekehrt hat der 1. Senat des BSG ausgesprochen, dass ein Krankenhaus nach dem Grundsatz von Treu und Glauben an der Korrektur einer fehlerhaften Abrechnung gehindert sein kann, wenn sie mehr als zwei Jahre nach Rechnungsstellung und damit außerhalb des laufenden Haushaltsjahres der Krankenkasse vorgenommen wird und dafür keine besondere Rechtfertigung besteht (Urteil vom 8. September 2009, a.a.O.). Insoweit hat der 1. Senat darauf hingewiesen, dass die dauerhaften Vertragsbeziehungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichten und diese Sonderbeziehung die Befugnis zur nachträglichen Rechnungskorrektur begrenzt (a.a.O., Rdnr. 16). Diesem Ansatz folgt auch der 3. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 17. Dezember 2009 (a.a.O.), indem er Korrekturen einer Schlussrechnung durch ein Krankenhaus innerhalb von sechs Wochen seit Rechnungsstellung grundsätzlich für möglich hält, anschließend nach Treu und Glauben – von offensichtlichen Schreib- und Rechenfehlern abgesehen – aber nur, wenn die Nachforderung über 100,00 EUR (ab 25. März 2009: über 300,00 EUR) liegt und zumindest 5 % des Ausgangsrechnungswerts erreicht. Diesem Ansatz des 3. Senats und der überzeugenden Begründung dafür schließt sich der erkennende Senat nach eigener Überprüfung an. Auf der einen Seite ist es nachvollziehbar, dass die Krankenkasse zur Kalkulation ihrer Ausgaben und damit einhergehend ihrer Beitragsgestaltung, soweit noch möglich, sich auf Schlussrechnungen von Krankenhäusern verlassen kann. Auch muss berücksichtigt werden, wer die Fehlerkorrektur verursacht hat und ob der mit der Korrektur verursachte Verwaltungsaufwand in einem angemessenen Verhältnis zu der Höhe des Ausgleiches steht. Auf der anderen Seite kann die Höhe des Nachforderungsbetrages und damit die Einbußen des Krankenhauses es bei einer Interessenabwägung notwendig machen, dass eine Fehlerkorrektur vorzunehmen ist. In dem Fall hat die Krankenkasse ihre Interessen zurückzustellen. Steht hingegen der Aufwand der Nachprüfung gegenüber dem Fehlbetrag außer Verhältnis, hat das Krankenhaus seine Interessen zurückzustellen.
Die vom 3. Senat des BSG in diesem Zusammenhang aufgestellten Kriterien überzeugen. So findet der Zeitrahmen von sechs Wochen seine Grundlage in der Prüfungsfrist des § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V und die Grenze der berechtigten Nachforderung in der Aufwandspauschale des § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V, beides Vorschriften, die mit der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Krankenhausbehandlung in engem Zusammenhang stehen.
Gemessen an den vorgenannten Maßstäben ist die Klägerin mit der Korrektur ihrer Schlussrechnung durch die Nachforderung vom 20. Februar 2007 nach Treu und Glauben nicht ausgeschlossen. Zwar war die Schlussrechnung weder mit einem ausdrücklichen oder sinngemäßen Vorbehalt versehen noch diente die Rechnungsänderung der Korrektur eines offen zutage liegenden Schreib- oder Rechenfehlers. Auch erfolgte die korrigierende Nachforderung nicht mehr "zeitnah" innerhalb von sechs Wochen, sondern erst nach Ablauf von mehr als sechs Monaten. Dennoch war die Klägerin zur Korrektur befugt, weil der Nachforderungsbetrag über dem Wert der Aufwandspauschale in der bis zum Inkrafttreten des KHRG am 25. März 2009 geltenden Fassung des GKV-WSG von 100,00 EUR lag und mindestens 5 % des ursprünglichen Rechnungsbetrages erreicht hatte. Bei dieser Sachlage kommt dem Rechnungsjahr entgegen der vom 1. Senat des BSG im Urteil vom 8. September 2009 (a.a.O.) vertretenen Rechtsauffassung für die Beurteilung nachträglicher Rechnungskorrekturen keine streitentscheidende Bedeutung mehr zu. Eine überzeugende Begründung, warum die Abrechnung im laufenden Haushaltsjahr wesentliches Kriterium für die Zulässigkeit einer nachträglichen Rechnungskorrektur sein soll, lässt sich der zitierten Entscheidung nicht entnehmen. Der Hinweis auf die jahresmäßige Kalkulation greift nach Auffassung des erkennenden Senats schon deshalb nicht, weil damit jegliche Abrechnung, also auch die erstmalige, außerhalb des Behandlungsjahres auszuschließen wäre. Hinsichtlich nachträglicher Rechnungskorrekturen ergäbe sich zudem die nicht hinnehmbare Konsequenz, dass Korrekturmöglichkeiten bei Behandlungen, die am Ende eines Jahres erfolgen, gegenüber Rechnungskorrekturen bei Behandlungen zu dessen Beginn faktisch ausgeschlossen wären. Selbst die vom 3. Senat des BSG eingeräumte Sechs-Wochen-Frist würde bei Behandlungen am Ende eines Jahres eingeschränkt werden, wenn das laufende Haushaltsjahr als zeitliche Grenze für Rechnungskorrekturen anzusehen wäre. Demgegenüber nimmt der 3. Senat mit der von ihm vertretenen Rechtsauffassung eine sachgerechte und in der Praxis auch handhabbare Interessenabwägung zwischen dem Aufwand der Krankenkassen und dem Nutzen der Krankenhäuser bei ursprünglich fehlerhaften Schlussrechnungen vor, indem er darauf abstellt, in welchem zeitlichen Abstand die Korrektur erfolgt und um welchen Betrag die alte Rechnung erweitert wird.
Dem Einwand der Beklagten, hier sei ein Verstoß gegen Treu und Glauben zu erwägen, weil die Klägerin in einer Vielzahl von Fällen Rechnungskorrekturen vorgenommen habe und dies dem Sinn und Zweck des beschleunigten Abrechnungsverfahrens widerspreche, vermag der erkennende Senat ebenfalls nicht zu folgen. Insbesondere entbehrt der Vorwurf der Beklagten, die Klägerin nutze die Möglichkeit der Nachberechnung planmäßig zur nachträglichen Rechnungsoptimierung, jeglicher Grundlage. Die Beklagte hat für das Jahr 2006 fünfzehn und für das Jahr 2007 einen Nachberechnungsfall aufgelistet, die Klägerin hat sechzehn Nachberechnungsfälle gegenüber der Beklagten für das Jahr 2006 eingeräumt. Der Belegungsanteil der Beklagten betrug 2006 im Hause der Klägerin 38,12 % der Gesamtfallzahl von 4.852. Im Jahr 2006 wurden demnach 1.850 Versicherte der Beklagten im S. E.-Krankenhaus L. behandelt. Bei 1.850 Schlussrechnungen beträgt der Prozentsatz der fehlerhaften Rechnungen also lediglich 0,86 %. Dieser Prozentsatz rechtfertigt es nicht, eine planmäßige zielgerichtete Rechnungsoptimierung zu unterstellen, die mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht mehr zu vereinbaren ist. Dabei ist überdies zu berücksichtigen, dass die Abrechnung der Krankenhausbehandlung nach DRG erst einige Jahre vorher eingeführt wurde, zudem jährlich verändert wird und damit noch erhebliche Unsicherheiten in seiner Umsetzung bestanden. In diesem Zusammenhang kann nach Auffassung des Senats nicht von gezielt einfach strukturierten Abrechnungsbestimmungen im Verhältnis Krankenhaus – Krankenkasse gesprochen werden (so aber der 1. Senat des BSG im Urteil vom 8. September 2009, a.a.O.). Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es für die Beurteilung des hier zu entscheidenden Rechtsstreits nicht auf die Anzahl der Rechnungskorrekturen gegenüber anderen Krankenkassen an. Selbst wenn der Klägerin in diesen Rechtsbeziehungen mangelnde Rücksichtnahme vorzuwerfen wäre, ließe dies keinen Rückschluss auf ihr Verhalten der Beklagten gegenüber zu. Bereits aus diesem Grunde war dem Antrag der Beklagten, der Klägerin analog § 421 Zivilprozessordnung (ZPO) aufzuerlegen, die entsprechenden Daten offenzulegen, nicht zu entsprechen. Indizien für mangelnde Rücksichtnahme mit der Folge des Ausschlusses der Nachforderung nach Treu und Glauben können nur aus der Rechtsbeziehung der jeweils Beteiligten gewonnen werden. Deshalb ist allein auf den Anteil der nachberechneten Fälle am Gesamtbelegungsanteil der Beklagten und nicht auf die Summe der Gesamtzahl im Verhältnis zu allen betroffenen Krankenkassen abzustellen. Aus der Summe der Nachforderungsbeträge lässt sich ohnehin nicht schließen, ob sich die Klägerin treuwidrig verhält. Sie gibt keinen Aufschluss über die Anzahl der fehlerhaften Rechnungen, die allein eine bewusste Nachlässigkeit der Klägerin zu Lasten der Beklagten belegen könnten. Nur wenn Fehler bei der Diagnoseerfassung und Codierung tatsächlich gehäuft auftreten, wäre aber die Erwägung gerechtfertigt, die Klägerin nutze ihre Verwaltungsorganisation zunächst einmal vorrangig dazu, zügig Schlussrechnungen zu erstellen, um zeitnah Abschlagszahlungen zu erhalten, und nehme deren Fehlerhaftigkeit vor dem Hintergrund später ohnehin noch beabsichtigter Rechnungskorrekturen bewusst in Kauf.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Der Senat hat im Hinblick auf die Abweichung vom Urteil des 1. Senats des BSG vom 8. September 2009 (a.a.O.) und die scheinbar divergierenden Entscheidungen des 1. und des 3. Senats des BSG vom 8. September 2009 und vom 17. Dezember 2009 die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zugelassen.
Die Streitwertentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz. Danach ist der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass sich die Berufungsklägerin mit ihrer Berufung gegen die Verurteilung zur Zahlung von 1.007,10 EUR wendet.
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Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über Krankenhausbehandlungskosten in Höhe von 1.007,10 EUR. Dabei geht es um die Frage, ob die Klägerin berechtigt war, Kosten nachzuberechnen.
Die 1931 geborene und bei der Beklagten versicherte B. K. (Versicherte) wurde vom 20. bis 29. Juli 2006 im S. E-Krankenhaus L., einer Klinik der Klägerin, stationär behandelt. Mit Rechnung vom 31. Juli 2006 machte sie hierfür einen Betrag von 1.780,94 EUR geltend, den die Beklagte am 15. August 2006 ausglich. Mit Schreiben vom 20. Februar 2007 teilte die Klägerin der Beklagten mit, anlässlich einer internen Überprüfung sei festgestellt worden, dass für die Abrechnung des Behandlungsfalles relevante Nebendiagnosen nicht kodiert worden seien. Sie übersandte die korrigierte Rechnung vom 20. Februar 2007, mit der sie nunmehr 2.788,04 EUR verlangte. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 22. Februar 2007 mit der Begründung ab, dass eine Rechnungskorrektur und Nachberechnung nach Ausgleich der Schlussrechnung vertraglich nicht vereinbart und daher auch nicht mehr möglich sei.
Die Klägerin hat am 20. März 2007 Klage beim Sozialgericht Lübeck auf Zahlung der Differenz von 1.007,10 EUR erhoben und zur Begründung vorgetragen: Nach der Entscheidung des 3. Se¬nats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. Dezember 2009 in dem Verfahren B 3 KR 12/08 R sei sie von der Nachberechnung nicht ausgeschlossen, da diese zu einer Rechnungsänderung in Höhe von 56,5 % des ursprünglichen Rechnungsbetrages geführt habe. Die Nachberechnung sei auch zeitnah innerhalb von fünf Monaten nach der ersten Rechnungsstellung erfolgt. Dem stehe insbesondere nicht die von der Beklagten angeführte Entscheidung des 1. Senats des BSG in dem Verfahren B 1 KR 11/09 R entgegen. Diese habe einen Einzelfall betroffen, der vor der Neufassung des § 275 Abs. 1c Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V) zu beurteilen gewesen sei. Auf diese Vorschrift habe sich der 3. Senat des BSG zur Entwicklung seiner Bagatellgrenze gestützt und die Rechtsprechung des 1. Senats verfeinert. Das Haushaltsjahr der Krankenkasse spiele danach keine Rolle. Soweit ihr von der Beklagten eine regelmäßige und planmäßige Rechnungsoptimierung vorgeworfen werde, sei dem entgegenzuhalten, dass sie im Jahr 2006 ca. 16.000,00 EUR in 16 Fällen gegenüber der Beklagten nachberechnet habe. Bezogen auf die Gesamtfallzahl im Jahr 2006 in Höhe von 4.852 Fällen bedeute dies einen Anteil von 0,3 %; bezogen auf das Erlösbudget von ca. 10.500.000,00 EUR entspreche die Nachberechnungssumme einem Anteil von 0,15 %. Von einer systematischen Rechnungsoptimierung könne daher keine Rede sein.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.007,10 EUR nebst zwei Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz hierauf seit dem 8. März 2007 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, die Nachberechnung stünde im Widerspruch zu den landesvertraglichen Regelungen, aus denen unabhängig von der Verjährungsfrist ein Einwendungsausschluss und somit auch ein Ausschluss der Korrekturmöglichkeit abzuleiten sei, wenn diese nicht zeitnah innerhalb von spätestens 14 Tagen nach Rechnungslegung erfolge. Nach der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG im Verfahren B 1 KR 11/09 R müssten Krankenkassen nicht hinnehmen, dass Krankenhäuser trotz erteilter Schlussrechnung durch Nachberechnungen ihre Abrechnung nachträglich optimierten. Von einer unzulässigen planmäßigen Rechnungsoptimierung durch Nachkodierungen sei hier auszugehen. Im Jahr 2006 seien allein ihr – der Beklagten – gegenüber in 16 Fällen Nachberechnungen erfolgt. Es sei zwar nicht bekannt, in welchem Umfang Nachkodierungen gegenüber anderen Krankenkassen vorgenommen worden seien. Anhand einer Hochrechnung auf Basis der Belegungsanteile der Beklagten lasse sich die Anzahl der Rechnungsoptimierungen im Hause der Klägerin mit mindestens 42 bis 45 Fällen pro Jahr und einem Mehrerlös von 110.000,00 EUR fiktiv für alle Kassen beziffern. Der genaue Umfang müsse durch das Gericht ermittelt werden. Hier sei auch zu berücksichtigen, dass die Nachforderung nicht mehr innerhalb des Haushaltsjahres geltend gemacht worden sei, in dem die Krankenhausbehandlung und die erste Rechnungsstellung erfolgten. Dies stehe einer Rechnungskorrektur nach der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ebenfalls entgegen. Auch der 3. Senat des BSG habe im Terminbericht zum Urteil vom 17. Dezember 2009 in dem Verfahren B 3 KR 12/08 noch erheblich strengere Kriterien aufgestellt, als dies in den schriftlichen Entscheidungsgründen zum Ausdruck gekommen sei. Hier bestehe daher Klärungsbedarf.
Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 21. Juni 2011 stattgegeben und zur Begründung ausgeführt: Der Klagforderung stehe nicht entgegen, dass der Abrechnungsfall durch die Zahlung der Beklagten zunächst abgeschlossen war. So wie die Krankenkasse auch nach Bezahlung der Krankenhausrechnung eine nachträgliche Korrektur vornehmen dürfe, sei ebenso das Krankenhaus auch noch nach Rechnungsstellung grundsätzlich zur Nachforderung einer offenen Vergütung berechtigt. Der Nachforderung stehe allein der Vorbehalt von Treu und Glauben entgegen. Mit dem daraus entwickelten Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme sei die nachträgliche Korrektur einer geprüften und bezahlten Rechnung dann unvereinbar, wenn das Interesse des Krankenhauses am Ausgleich seines Rechnungsfehlbetrages weniger schutzwürdig sei als das Interesse der Krankenkasse an der Vermeidung des Zusatzaufwands für die erneute Rechnungsprüfung. Diese Verhältnismäßigkeitsprüfung sei grundsätzlich vorzunehmen, wenn eine Frist von sechs Wochen verstrichen sei und die nachgeforderte Summe entweder den Betrag der Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V in Höhe von zunächst 100,00 EUR und ab 25. März 2009 in Höhe von 300,00 EUR oder 5 % des Ausgangsrechnungswertes nicht erreiche. Diese Voraussetzungen erfülle die Klägerin. Auf das vom 1. Senat des BSG herangezogene Haushaltsjahr, innerhalb dessen die Nachforderung zu erfolgen habe, komme es nach der Entscheidung des 3. Senats nicht mehr an. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin regelmäßig und geplant Nachberechnungen im Rahmen einer Rechnungsoptimierung erstelle.
Gegen das ihr am 8. Juli 2011 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, die am 1. August 2011 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist. Zur Begründung wiederholt die Beklagte im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen und stützt sich ergänzend auf den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 21. Juni 2011 in dem Verfahren S 14 KR 65/11. Soweit die Klägerin den Vorwurf der Rechnungsoptimierung zurückweise, seien ihre Darlegungen unschlüssig. Der Belegungsanteil der Beklagten im Hause der Klägerin betrage 38,12 %, damit seien im Jahr 2006 1.850 Versicherte der Beklagten behandelt worden. Folglich betrage der Anteil der Rechnungskorrekturen 0,8 % und sei nicht mehr als marginal zu bezeichnen. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Lübeck entbehre zudem der vom BSG vorgenommenen Interessenabwägung. Es sei davon auszugehen, dass das Interesse der Krankenkassen und das durch die von den Krankenkassen verfolgte Gemeinwohlinteresse an einem sozialverträglichen Beitragssatz sowie der Vermeidung von Zusatzbeiträgen und damit eine verantwortungsvolle Betreuung und Verwendung der Mitgliedsbeiträge das Interesse des Krankenhauses an der nachträglichen Rechnungslegung überwiege. Dies zumal es dem Krankenhaus durch eine pflichtgemäße und gewissenhafte Rechnungserstellung im Rahmen der landesvertraglich eingeräumten Frist von 14 Tagen bis auf wenige Ausnahmefälle möglich sein sollte, fehlerfreie Rechnungen zu erstellen. Der 3. Senat des BSG habe in der zitierten Entscheidung festgestellt, eine Nachforderung sei nicht mehr zeitnah, wenn diese nicht innerhalb von sechs Wochen nach Erstrechnungslegung erfolge. Die vorgenommene kalkulatorische Grenzziehung von 100,00 bzw. 300,00 EUR sowie 5 % des Ausgangsrechnungsbetrages für eine berechtigte Nachforderung sei nicht mehr maßgeblich, wenn zwischen Erstrechnung und Nachkodierung drei Monate lägen. Je länger die Zeitspanne zwischen diesen beiden Zeiträumen sei und je näher das Ende des Haushaltsjahres rücke, desto gefestigter sei das ohnehin durch das Übersenden einer Schlussrechnung entstandene Vertrauen in die endgültige Erledigung des Falles. Bei der hier vorliegenden zeitlichen Differenz sei ein grober Vertragsverstoß anzunehmen, der ohne "Wenn und Aber" zu einem endgültigen Einwendungsausschluss, d. h. einem Nachberechnungsverbot, führe. Die Wiederaufnahme des Falles bei ihr führe zu Kosten, die in keinem Verhältnis zu den 100,00 EUR bzw. 300,00 EUR oder in der Regel auch zu den 5 % des Ausgangsrechnungsbetrages stünden. Im Gegensatz zum Krankenhaus, dessen Aufwand auch durch § 275 Abs. 1c SGB V pauschal bestimmt werde, sei eine Krankenkasse von Gesetzes wegen gehalten, den MDK beratend hinzuzuziehen. Anders als Krankenhausträger würden nicht nur Mitarbeiter der Krankenkasse gebunden, sondern auch MDK-Mitarbeiter, die zusätzlich zu finanzieren seien. Insoweit sei die Beurteilung des BSG einseitig und berücksichtige die Interessen der Krankenkassen, deren Verwaltungsaufwand unter den genannten Gesichtspunkten weitaus höher sei als der des Krankenhauses, nicht hinreichend. Auch sei die Anlehnung der Rechtsprechung des BSG an die Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1c SGB V bereits unter dem Gesichtspunkt der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift fragwürdig. Es erschließe sich nicht, dass den Krankenhäusern im Falle einer ausbleibenden Rechnungsminderung die Aufwandspauschale zugestanden werde, indessen werde keine entsprechende Sanktion mit einer fehlerhaften Abrechnung des Krankenhauses verbunden, obwohl den Krankenkassen ein finanzieller Aufwand, der aufgrund der Gesamtumstände höher sei als der des Krankenhauses, entstehe. Der Anspruch der Klägerin scheitere auch bereits daran, dass die Rechnungskorrektur außerhalb des Haushaltsjahres der Beklagten, das dem Kalenderjahr gemäß § 67 Sozialgesetzbuch, Viertes Buch (SGB IV) entspreche, erfolgt sei. Werde mit dem BSG davon ausgegangen, dass eine Nachberechnung ohne Ausnahme innerhalb von sechs Wochen grundsätzlich möglich sei, seien auch die schutzwürdigen Interessen der Krankenhäuser gewahrt. Insoweit stütze sie die Beklagte – sich auf die Ausführungen von Rechtsanwalt van der Ploeg in MedR 2010, 805, 808. Die Bedeutung der Vorhersehbarkeit, Kalkulierbarkeit, sowie das Angewiesensein auf tragfähige Berechnungsgrundlagen werde verstärkt durch die Vorschrift des § 77 SGB IV. Der Wortlaut der Bestimmung sei weitgehend an § 252 Handelsgesetzbuch angelehnt. Dies führe dazu, dass zukünftig Forderungen, die gegen Krankenhäuser geltend gemacht würden (Verpflichtungen), bewertet und mit dem entsprechenden Risiko grundsätzlich passiviert werden müssten. Damit seien Rückstellungen in entsprechender Höhe in der Jahresrechnung vorzuhalten. Die Bildung entsprechender Rückstellungen sei jedoch in den Fällen nicht möglich, in denen bereits vorbehaltlose Schlussrechnungen erteilt worden seien. Zu berücksichtigen sei, dass es sich bei den Aufwendungen für Krankenhausbehandlungen um einen der größten Blöcke der Leistungsausgaben im System des SGB V handele. Bei einer Krankenkasse von ihrer Größenordnung würden beispielsweise Nachforderungen in einer Größenordnung von 1 % der Krankenhausabrechnungen im zweistelligen Millionenbereich liegen. Insoweit möge zwar der Prozentsatz der aus ihrer Sicht systematischen Nachkodierungen im Hause der Klägerin von fast 1 % auf den ersten Blick marginal erscheinen, habe jedoch für sie eine grundlegende beitragssatzrelevante Bedeutung. Inhaltliche Einwände im Hinblick auf die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit der Versicherten und die Kodierung bestünden nicht.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 21. Juni 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Klägerin macht geltend, die Beklagte habe das Haushaltsjahr 2006 erst Ende Februar 2007 abgeschlossen, so dass sie – die Beklagte - durchaus in der Lage gewesen sei, die Forderungskorrektur vom 20. Februar 2007 noch zu berücksichtigen. Letztendlich komme es darauf jedoch nicht an. Aus den Urteilsgründen der zitierten Entscheidung des 1. Senats des BSG vom 8. September 2009 könne nicht entnommen werden, dass in jedem Fall eine Nachforderung ausscheide, wenn diese außerhalb des Haushaltsjahres der Krankenkasse geltend gemacht werde. Das Abstellen auf das Haushaltsjahr sei auch nicht sachgerecht, da Krankenhäuser, die Anfang des Jahres ihre Rechnungen korrigierten, noch ausreichend Zeitvorlauf hätten, während Krankenhäuser, deren Rechnungen erst Ende des Jahres korrigiert würden, mit dem entsprechenden Betrag ausfielen. Deshalb sei der Rechtsprechung des 3. Senats des BSG in der zitierten Entscheidung vom 17. Dezember 2009 zu folgen, die die Rechtsprechung des 1. Senats verfeinert und eine so genannte Bagatellgrenze eingeführt habe, bei der das Haushaltsjahr irrelevant sei.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten Bezug genommen. Diese haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat der Klägerin zu Recht einen weiteren Zahlungsanspruch über 1.007,10 EUR zuerkannt. Zu der streitigen Korrektur ihrer Schlussrechnung war die Klägerin auch nach mehr als sechs Monaten nach (erster) Rechnungsstellung noch befugt. Insbesondere steht - selbst unter Berücksichtigung des zusätzlichen Verwaltungsaufwands der Beklagten für die erneute Rechnungsprüfung einerseits und des Werts des Fehlbetrages andererseits - der Grundsatz von Treu und Glauben der Nachberechnung nicht entgegen.
Rechtsgrundlage des zulässig mit der (echten) Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG verfolgten restlichen Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V in Verbindung mit § 7 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen – Krankenhausentgeltgesetz -KHEntgG – (hier anzuwenden in der Fassung von Art. 2 Nr. 5 Buchst. a 2. Fallpauschalenänderungsgesetz vom 15. Dezember 2004, Bundesgesetzblatt I, 3429) und der Pflegesatzvereinbarung für das Jahr 2006 sowie – im Hinblick auf den Sitz des Krankenhauses in R. und nicht dem der Klägerin in S. (vgl. BSG SozR 4-2500 § 109 Nr. 1 Rdnr. 8 m.w.N.) - dem Vertrag über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung zwischen der Krankenhausgesellschaft R. e.V. und den Landesverbänden der Krankenkassen in der Fassung des Schiedsspruchs vom 19. November 1999 unter Berücksichtigung des Urteils des LSG vom 12. Dezember 2002 (Krankenhausbehandlungsvertrag – nachfolgend: KBV) und dem Vertrag zur Überprüfung der Notwendigkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung zwischen der Krankenhausgesellschaft R. e.V. und den Landesverbänden der Krankenkassen vom 25. März 1991 (Krankenhausüberprüfungsvertrag – KÜV). Danach entsteht die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse – unab¬hängig von einer Kostenzusage – unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist. Der Behandlungspflicht zugelassener Krankenhäuser im Sinne des § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, der auf der Grundlage der gesetzlichen Ermächtigung in §§ 16, 17 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) in der Pflegesatzvereinbarung zwischen Krankenkasse und Krankenhausträger festgelegt wird (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 3 KR 12/08 R – m.w.N., veröffentlicht in juris).
Zutreffend hat das Sozialgericht entschieden, dass der restliche Vergütungsanspruch der Klägerin von 1.007,10 EUR durch die Zahlung des zuerst abgerechneten Betrages von 1.780,94 EUR nicht erloschen ist. Durch eine mit den maßgeblichen Vorschriften im Einklang stehende Versorgung erwirbt das Krankenhaus einen gesetzlichen Vergütungsanspruch, dessen Höhe gemäß § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V nach Maßgabe des KHG, des KHEntgG und, sofern das Krankenhaus nicht in das DRG-Vergütungssystem einbezogen ist, der Bundespflegesatzverordnung (vgl. dort § 1 Abs. 1) vertraglich abschließend festgelegt wird. Maßgebend für den Vergütungsanspruch ist danach der Fallpauschalen-Kata¬log nach § 7 in Verbindung mit § 17b Abs. 1 Satz 10 KHEntgG (hier in der Fassung von Art. 2 Nr. 4 Buchst. a Doppelbuchst. aa und bb des Gesetzes zur Einführung des diagnose-orientier¬ten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser – Fallpauschalen¬gesetz – vom 23. April 2002, Bundesgesetzblatt I, 1412), der Bindungswirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG in Verbindung mit § 18 Abs. 2 KHG entfaltet (§ 11 KHEntgG i.V.m. § 18 Abs. 2 KHG: Krankenhausträger und Sozialleistungsträger) und streng nach dem Wortlaut einschließlich der Operationen- und Prozedurenschlüssel sowie der Kodierrichtlinien auszulegen ist (BSG, a.a.O.). Insoweit gewährt der Fallpauschalenkatalog kein Bestimmungsrecht, dessen Ausübung das Krankenhaus abschließend binden und den Zahlungsanspruch auf den zunächst geforderten Betrag beschränken würde. So wie die Krankenkasse auch nach Zahlung der Krankenhausrechnung nachträgliche Korrekturen vornehmen darf, ist ebenso das Krankenhaus auch noch nach Rechnungsstellung grundsätzlich zur Nachforderung einer offenen Vergütung berechtigt (übereinstimmende Rechtsprechung des 1. und 3. Senats des BSG in den Urteilen vom 8. September 2009 – B 1 KR 11/09 – SozR 4 2500 § 109 Nr. 19 und vom 17. De¬zember 2009 B 3 KR 12/08 R – SozR 4 2500 § 109 Nr. 20).
Dies ist zwischen den Beteiligten letztlich nicht streitig. Von der Beklagten werden auch keine materiell rechtlichen Einwände gegen die nachträgliche Rechnungskorrektur unter dem Gesichtspunkt der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit oder einer fehlerhaften Kodierung geltend gemacht. Sie hält der Nachforderung des restlichen Vergütungsanspruchs vielmehr den Vorbehalt von Treu und Glauben entgegen, der über § 69 SGB V (hier § 69 Satz 3 in der Fassung von Art. 1 Nr. 26 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 GKV–Gesundheitsreformgesetz 2000 – vom 22. Dezember 1999, BGBl. I, 2626) gemäß dem Rechtsgedanken des § 242 Bürgerliches Gesetzbuch auf die Rechtsbeziehungen der Beteiligten einwirkt. Insoweit ist durch höchstrichterliche Rechtsprechung bereits entschieden, dass eine Krankenkasse nach Treu und Glauben mit Einwendungen ausgeschlossen sein kann, wenn sie das zu deren Klärung vorgesehene Verfahren nicht rechtzeitig einleitet (vgl. BSGE 89, 104, 110 "Berliner Fälle"). Umgekehrt hat der 1. Senat des BSG ausgesprochen, dass ein Krankenhaus nach dem Grundsatz von Treu und Glauben an der Korrektur einer fehlerhaften Abrechnung gehindert sein kann, wenn sie mehr als zwei Jahre nach Rechnungsstellung und damit außerhalb des laufenden Haushaltsjahres der Krankenkasse vorgenommen wird und dafür keine besondere Rechtfertigung besteht (Urteil vom 8. September 2009, a.a.O.). Insoweit hat der 1. Senat darauf hingewiesen, dass die dauerhaften Vertragsbeziehungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichten und diese Sonderbeziehung die Befugnis zur nachträglichen Rechnungskorrektur begrenzt (a.a.O., Rdnr. 16). Diesem Ansatz folgt auch der 3. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 17. Dezember 2009 (a.a.O.), indem er Korrekturen einer Schlussrechnung durch ein Krankenhaus innerhalb von sechs Wochen seit Rechnungsstellung grundsätzlich für möglich hält, anschließend nach Treu und Glauben – von offensichtlichen Schreib- und Rechenfehlern abgesehen – aber nur, wenn die Nachforderung über 100,00 EUR (ab 25. März 2009: über 300,00 EUR) liegt und zumindest 5 % des Ausgangsrechnungswerts erreicht. Diesem Ansatz des 3. Senats und der überzeugenden Begründung dafür schließt sich der erkennende Senat nach eigener Überprüfung an. Auf der einen Seite ist es nachvollziehbar, dass die Krankenkasse zur Kalkulation ihrer Ausgaben und damit einhergehend ihrer Beitragsgestaltung, soweit noch möglich, sich auf Schlussrechnungen von Krankenhäusern verlassen kann. Auch muss berücksichtigt werden, wer die Fehlerkorrektur verursacht hat und ob der mit der Korrektur verursachte Verwaltungsaufwand in einem angemessenen Verhältnis zu der Höhe des Ausgleiches steht. Auf der anderen Seite kann die Höhe des Nachforderungsbetrages und damit die Einbußen des Krankenhauses es bei einer Interessenabwägung notwendig machen, dass eine Fehlerkorrektur vorzunehmen ist. In dem Fall hat die Krankenkasse ihre Interessen zurückzustellen. Steht hingegen der Aufwand der Nachprüfung gegenüber dem Fehlbetrag außer Verhältnis, hat das Krankenhaus seine Interessen zurückzustellen.
Die vom 3. Senat des BSG in diesem Zusammenhang aufgestellten Kriterien überzeugen. So findet der Zeitrahmen von sechs Wochen seine Grundlage in der Prüfungsfrist des § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V und die Grenze der berechtigten Nachforderung in der Aufwandspauschale des § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V, beides Vorschriften, die mit der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Krankenhausbehandlung in engem Zusammenhang stehen.
Gemessen an den vorgenannten Maßstäben ist die Klägerin mit der Korrektur ihrer Schlussrechnung durch die Nachforderung vom 20. Februar 2007 nach Treu und Glauben nicht ausgeschlossen. Zwar war die Schlussrechnung weder mit einem ausdrücklichen oder sinngemäßen Vorbehalt versehen noch diente die Rechnungsänderung der Korrektur eines offen zutage liegenden Schreib- oder Rechenfehlers. Auch erfolgte die korrigierende Nachforderung nicht mehr "zeitnah" innerhalb von sechs Wochen, sondern erst nach Ablauf von mehr als sechs Monaten. Dennoch war die Klägerin zur Korrektur befugt, weil der Nachforderungsbetrag über dem Wert der Aufwandspauschale in der bis zum Inkrafttreten des KHRG am 25. März 2009 geltenden Fassung des GKV-WSG von 100,00 EUR lag und mindestens 5 % des ursprünglichen Rechnungsbetrages erreicht hatte. Bei dieser Sachlage kommt dem Rechnungsjahr entgegen der vom 1. Senat des BSG im Urteil vom 8. September 2009 (a.a.O.) vertretenen Rechtsauffassung für die Beurteilung nachträglicher Rechnungskorrekturen keine streitentscheidende Bedeutung mehr zu. Eine überzeugende Begründung, warum die Abrechnung im laufenden Haushaltsjahr wesentliches Kriterium für die Zulässigkeit einer nachträglichen Rechnungskorrektur sein soll, lässt sich der zitierten Entscheidung nicht entnehmen. Der Hinweis auf die jahresmäßige Kalkulation greift nach Auffassung des erkennenden Senats schon deshalb nicht, weil damit jegliche Abrechnung, also auch die erstmalige, außerhalb des Behandlungsjahres auszuschließen wäre. Hinsichtlich nachträglicher Rechnungskorrekturen ergäbe sich zudem die nicht hinnehmbare Konsequenz, dass Korrekturmöglichkeiten bei Behandlungen, die am Ende eines Jahres erfolgen, gegenüber Rechnungskorrekturen bei Behandlungen zu dessen Beginn faktisch ausgeschlossen wären. Selbst die vom 3. Senat des BSG eingeräumte Sechs-Wochen-Frist würde bei Behandlungen am Ende eines Jahres eingeschränkt werden, wenn das laufende Haushaltsjahr als zeitliche Grenze für Rechnungskorrekturen anzusehen wäre. Demgegenüber nimmt der 3. Senat mit der von ihm vertretenen Rechtsauffassung eine sachgerechte und in der Praxis auch handhabbare Interessenabwägung zwischen dem Aufwand der Krankenkassen und dem Nutzen der Krankenhäuser bei ursprünglich fehlerhaften Schlussrechnungen vor, indem er darauf abstellt, in welchem zeitlichen Abstand die Korrektur erfolgt und um welchen Betrag die alte Rechnung erweitert wird.
Dem Einwand der Beklagten, hier sei ein Verstoß gegen Treu und Glauben zu erwägen, weil die Klägerin in einer Vielzahl von Fällen Rechnungskorrekturen vorgenommen habe und dies dem Sinn und Zweck des beschleunigten Abrechnungsverfahrens widerspreche, vermag der erkennende Senat ebenfalls nicht zu folgen. Insbesondere entbehrt der Vorwurf der Beklagten, die Klägerin nutze die Möglichkeit der Nachberechnung planmäßig zur nachträglichen Rechnungsoptimierung, jeglicher Grundlage. Die Beklagte hat für das Jahr 2006 fünfzehn und für das Jahr 2007 einen Nachberechnungsfall aufgelistet, die Klägerin hat sechzehn Nachberechnungsfälle gegenüber der Beklagten für das Jahr 2006 eingeräumt. Der Belegungsanteil der Beklagten betrug 2006 im Hause der Klägerin 38,12 % der Gesamtfallzahl von 4.852. Im Jahr 2006 wurden demnach 1.850 Versicherte der Beklagten im S. E.-Krankenhaus L. behandelt. Bei 1.850 Schlussrechnungen beträgt der Prozentsatz der fehlerhaften Rechnungen also lediglich 0,86 %. Dieser Prozentsatz rechtfertigt es nicht, eine planmäßige zielgerichtete Rechnungsoptimierung zu unterstellen, die mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht mehr zu vereinbaren ist. Dabei ist überdies zu berücksichtigen, dass die Abrechnung der Krankenhausbehandlung nach DRG erst einige Jahre vorher eingeführt wurde, zudem jährlich verändert wird und damit noch erhebliche Unsicherheiten in seiner Umsetzung bestanden. In diesem Zusammenhang kann nach Auffassung des Senats nicht von gezielt einfach strukturierten Abrechnungsbestimmungen im Verhältnis Krankenhaus – Krankenkasse gesprochen werden (so aber der 1. Senat des BSG im Urteil vom 8. September 2009, a.a.O.). Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es für die Beurteilung des hier zu entscheidenden Rechtsstreits nicht auf die Anzahl der Rechnungskorrekturen gegenüber anderen Krankenkassen an. Selbst wenn der Klägerin in diesen Rechtsbeziehungen mangelnde Rücksichtnahme vorzuwerfen wäre, ließe dies keinen Rückschluss auf ihr Verhalten der Beklagten gegenüber zu. Bereits aus diesem Grunde war dem Antrag der Beklagten, der Klägerin analog § 421 Zivilprozessordnung (ZPO) aufzuerlegen, die entsprechenden Daten offenzulegen, nicht zu entsprechen. Indizien für mangelnde Rücksichtnahme mit der Folge des Ausschlusses der Nachforderung nach Treu und Glauben können nur aus der Rechtsbeziehung der jeweils Beteiligten gewonnen werden. Deshalb ist allein auf den Anteil der nachberechneten Fälle am Gesamtbelegungsanteil der Beklagten und nicht auf die Summe der Gesamtzahl im Verhältnis zu allen betroffenen Krankenkassen abzustellen. Aus der Summe der Nachforderungsbeträge lässt sich ohnehin nicht schließen, ob sich die Klägerin treuwidrig verhält. Sie gibt keinen Aufschluss über die Anzahl der fehlerhaften Rechnungen, die allein eine bewusste Nachlässigkeit der Klägerin zu Lasten der Beklagten belegen könnten. Nur wenn Fehler bei der Diagnoseerfassung und Codierung tatsächlich gehäuft auftreten, wäre aber die Erwägung gerechtfertigt, die Klägerin nutze ihre Verwaltungsorganisation zunächst einmal vorrangig dazu, zügig Schlussrechnungen zu erstellen, um zeitnah Abschlagszahlungen zu erhalten, und nehme deren Fehlerhaftigkeit vor dem Hintergrund später ohnehin noch beabsichtigter Rechnungskorrekturen bewusst in Kauf.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Der Senat hat im Hinblick auf die Abweichung vom Urteil des 1. Senats des BSG vom 8. September 2009 (a.a.O.) und die scheinbar divergierenden Entscheidungen des 1. und des 3. Senats des BSG vom 8. September 2009 und vom 17. Dezember 2009 die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zugelassen.
Die Streitwertentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz. Danach ist der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass sich die Berufungsklägerin mit ihrer Berufung gegen die Verurteilung zur Zahlung von 1.007,10 EUR wendet.
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