L 2 SF 385/11 B

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 31 SF 938/11
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 SF 385/11 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
wegen Ablehnung des ärztlichen Sachverständigen
Nach §§ 118 Abs.1 SGG, 406 Abs.1 Satz 1, 42 Abs.1 und 2 ZPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen. Kein Ablehnungsgrund ist hierbei eine scharfe Reaktion, die durch massive Angriffe eines Beteiligten gegen Leistung und Person des Gutachters provoziert wurde.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom
6. Oktober 2011 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:


I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Besorgnis der Befangenheit gegenüber dem Sachverständigen Dr.S. begründet ist.

Der 1972 geborene Kläger und Beschwerdeführer wendet sich in dem Verfahren S 31 SB 1255/09 gegen den Bescheid des Beklagten vom 27.07.2009 in Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 05.11.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.11.2009. Danach beträgt der Grad der Behinderung (GdB) ab 30.07.2009 nur mehr 40 v.H. Das Sozialgericht (SG) ernannte mit Beweisanordnung vom 09.03.2010 den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr.S. zum ärztlichen Sachverständigen. Dieser kam in seinem Gutachten vom 06.05.2010 zum Ergebnis, dass der GdB mit 40 angemessen sei. Als Behinderung liege eine gemischte schizo-affektive Störung mit bepolar-affektiver Komponente vor, die derzeit weitgehend remitiert sei.

Mit Schreiben vom 20.05.2010 übersandte das SG das Gutachten dem Klägerbevollmächtigten zur Kenntnis und Stellungnahme bis 17.06.2010. Am 16.06.2010 ging bei Gericht die Stellungnahme des Klägerbevollmächtigten zum Gutachten ein. Er formulierte hierin mehrere Fragen, u.a., ob Auskünfte/Unterlagen des langjährig behandelnden Psychiaters Dr.M. nach dem 15.11.2007 eingeholt worden seien. Des Weiteren stellte er Fragen hinsichtlich der Kenntnis des Sachverständigen über die Arbeitsplatzsituation des Klägers und das Ausgabeverhalten des Klägers.

Mit Schreiben vom 22.02.2011 leitete das SG dem Sachverständigen das Schreiben vom 15.06.2010 mit der Bitte um ergänzende Stellungnahme zu seinem Gutachten zu. Am 01.03.2011 erstellte Dr.S. diese Stellungnahme. Er führte u.a. aus, dass ihm der Kläger in der Untersuchung erklärt habe, seit mehreren Jahren nur noch routinemäßig einmal im Quartal zu Dr.M. zu gehen und keine Medikation verabreicht zu bekommen. Deshalb habe er keinen Handlungsbedarf gesehen, zumal der Kläger ja auch noch durch Rechtsanwalt und Betreuer vertreten sei. Entsprechend den Anhaltspunkten solle der GdB nicht spezielle berufliche Benachteiligungen, sondern Behinderungen im täglichen Leben und im Alltag ausgleichen. Etwaige Gehaltseinbußen seien deshalb nicht Gegenstand der Bewertung im GdB, zumal der Kläger noch vollschichtig seiner Arbeit nachgehen könne. Gegenteiliges sei bei der Untersuchung auf Nachfrage nicht vorgetragen worden. Ein höherer GdB wäre angemessen, wenn ein aktueller Einwilligungsvorbehalt zu Finanzgeschäften vorläge. Diese Stellungnahme wurde dem Klägerbevollmächtigten mit Schreiben vom 17.03.2011 zugeleitet. Am 22.03.2011, eingegangen am 23.03.2011, führte der Bevollmächtigte aus, dass der Sachverständige offenbar davon ausgehe, die Unterlagen hätten durch den Betreuer eingeholt werden können. Die Betreuung umfasse jedoch nicht die Gesundheitsfürsorge. Deshalb könnten ärztliche Befundberichte nicht beigebracht werden. Weiterhin sei es befremdlich, dass der Sachverständige aus dem Unterlassen gerichtlicher Anordnungen auf den Gesundheitszustand des Klägers schließe (statt umgekehrt).

Das SG holte daraufhin einen Befundbericht bei Dr.M. ein. Dr.S. erstellte hierzu eine weitere ergänzende Stellungnahme am 17.05.2011. Der Befundbericht des Dr.M. habe gezeigt, dass das Einholen zum Begutachtungszeitraum entbehrlich gewesen sei. Diese Stellungnahme wurde dem Bevollmächtigten am 23.05.2011 übersandt. Am 26.05.2011 stellte der Bevollmächtigte daraufhin Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen Dr.S. wegen Besorgnis der Befangenheit. Der Sachverständige habe in seiner ergänzenden Stellungnahme die Ansicht vertreten, dass der Betreuer die ihm zugewiesenen Aufgaben nicht erfüllt habe. Es liege nahe, dass sich der Kläger in der Folge veranlasst sehen müsse, Regressansprüche gegen den Betreuer prüfen und gegebenenfalls geltend machen zu lassen, wodurch das Vertrauensverhältnis zwischen Kläger und Betreuer, insbesondere bezüglich der Vertretung in dem vorliegenden Rechtsstreit, tiefgreifend beeinträchtigt werde. Die Ausführungen seien somit geeignet, das Misstrauen des Klägers zu rechtfertigen.

Am 14.07.2011 ist Beschluss des Amtsgerichts A-Stadt über die Erweiterung der Betreuung und die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes ergangen. Laut Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 17.07.2011 zeige dies, dass der Sachverständige das Krankheitsbild des Klägers bagatellisiert habe. Mit Beschluss vom 06.10.2011 hat das SG München den Ablehnungsantrag des Klägers gegen den ärztlichen Sachverständigen Dr.S. zurückgewiesen. Es reiche für die Annahme einer Besorgnis der Befangenheit nicht aus, wenn der Sachverständige Ausführungen rechtlicher Art zu der Frage mache, ob dem Klägervertreter und Betreuer des Klägers die Beiziehung ärztlicher Unterlagen möglich gewesen wäre. Diese Äußerungen mögen das Vertrauensverhältnis zwischen Kläger und Betreuer beeinflussen, jedoch nicht das Vertrauensverhältnis zum Sachverständigen.

Gegen den Beschluss des SG München hat die Betreuer des Klägers am 08.11.2011 Beschwerde eingelegt. Die Äußerung des Sachverständigen sei geeignet gewesen, dem Klägervertreter das Vertrauen des Klägers zu entziehen und habe sich damit gravierend auf die Erfolgsaussichten der Prozessführung des Klägers ausgewirkt. Deshalb könne der Kläger dem Sachverständigen vernünftigerweise nur noch mit Misstrauen begegnen. Bestärkt werde das Misstrauen des Klägers zudem durch die Zurückweisung des von Klägerseite überhaupt nicht erhobenen Vorwurfs der Despektierlichkeit im Hinblick auf die Wendung "von eher behäbiger Natur".

Die Beklagte wurde hierzu angehört.

I.

Die statthafte und zulässige Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz
- SGG -) ist unbegründet.

Nach § 118 Abs.1 SGG sind im sozialgerichtlichen Verfahren über die Ablehnung eines Sachverständigen die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) anzuwenden. Nach §§ 406 Abs.2 Satz 1, 411 Abs.1 ZPO ist der Ablehnungsantrag bei dem Gericht oder dem Richter, von dem der Sachverständige ernannt ist, zwei Wochen nach Verkündung der Zustellung des Beschlusses über die Ernennung zu stellen - zu einem späteren Zeitpunkt nach § 406 Abs.2 Satz 2 ZPO nur dann, wenn der Antragsteller Gründe nennen kann, dass er die Befangenheit ohne sein Verschulden erst zu einem späteren Zeitpunkt geltend machen konnte. Das ist in der Regel dann der Fall, wenn erst aus dem schriftlich abgefassten Gutachten der Ablehnungsgrund ersichtlich wird. In diesem Fall endet die Frist für den Ablehnungsantrag mit dem Ablauf der Frist, die das Gericht den Beteiligten zur Stellungnahme zum Gutachten eingeräumt hat. Zweck dieser Regelung ist die Beschleunigung des gerichtlichen Verfahrens. Das am 26.05.2011 eingegangene Ablehnungsgesuch ist deshalb nur insoweit fristgemäß, als es die Befangenheit aus der ergänzenden Stellungnahme vom 17.05.2011 geltend macht.

Nach §§ 406 Abs.1 Satz 1, 42 Abs.1 und 2 ZPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen. Der Grund, der das Misstrauen rechtfertigt, muss bei objektiver und vernünftiger Würdigung vom Standpunkt der Partei aus vorliegen.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des SG München wird im Wesentlichen damit begründet, dass die Äußerungen des Sachverständigen nicht nur das Verhältnis zwischen Kläger und Klägerbevollmächtigtem belasten, sondern auch die Prozessführung beeinflussen. Allerdings kann die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Dr.S. nicht ohne die vorher im Verfahren erstellten Gutachten bzw. ergänzende Stellungnahme gewertet werden. Zunächst äußerte der Klägerbevollmächtigte in seinem Schreiben vom 15.06.2010 inhaltliche Kritik am Gutachten. U.a. wollte er vom Sachverständigen wissen, ob es nicht notwendig gewesen wäre, weitere Auskünfte beim behandelnden Arzt des Klägers einzuholen. In seiner ergänzenden Stellungnahme verwies der Sachverständige dann darauf, dass es hierfür keinen Anhaltspunkt gegeben hatte. Außerdem erlaubte er sich die Bemerkung, dass der Kläger ja durch den Bevollmächtigten, der gleichzeitig sein Betreuer ist, vertreten ist. Der Sachverständige rechtfertigte damit seine Entscheidung, nicht weitere Befundberichte einzuholen. Genau dies hatte der Klägerbevollmächtigte von ihm jedoch verlangt. Dass dem Klägerbevollmächtigten die Stellungnahme des Sachverständigen nicht genehm war, ist nachvollziehbar. Denn sie könnte beim Kläger den Eindruck hervorrufen, der Bevollmächtigte und Betreuer erfülle seine Aufgaben nicht zuverlässig. Dies ist jedoch der Schluss, den der Betreuer aus der Antwort des Sachverständigen zieht. Eine Besorgnis der Befangenheit lässt sich hieraus nicht ableiten. Nicht nachvollziehbar ist insbesondere, dass diese Äußerung des Sachverständigen dazu dienen sollte, auf die Prozessführung Einfluss zu nehmen. Dem Sachverständigen ging es bei seiner ersten ergänzenden Stellungnahme und auch bei der daraus resultierenden zweiten Stellungnahme allein darum, seine Entscheidung, keinen weiteren Befundbericht einzuholen, zu erklären. Genau dies wollte der Klägerbevollmächtigte von ihm wissen.

Im Ergebnis hat der Bevollmächtigte durch sein zweimaliges Nachfragen die Antwort des Sachverständigen provoziert.

Der weitere Vortrag zum Befangenheitsantrag bezieht sich auf mögliche inhaltliche Mängel des Gutachtens. Derartige Gründe rechtfertigen für sich allein nicht die Ablehnung eines Sachverständigen wegen Befangenheit. Eventuelle Unzulänglichkeiten dieser Art treffen beide Parteien und können lediglich dazu führen, die Rechte des Prozessrechts in Anspruch zu nehmen, insbesondere ein neues Gutachten einzuholen (vgl. § 412 ZPO). Die inhaltliche Bewertung eines Gutachtens obliegt dem entscheidenden Richter im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs.1 Satz 1 SGG) und kann nicht in ein Verfahren wegen Besorgnis der Befangenheit vorgezogen werden. Insofern ist es auch für das Beschwerdeverfahren ohne Belang, ob ein anderer Gutachter zu einem für den Kläger günstigeren Gutachtensergebnis gelangt ist. Dies gilt um so mehr, als das Gutachten des Dr.M. vom 06.06.2011 in einem völlig anderen Verfahren erstellt worden ist. Dies beweist nicht im Umkehrschluss, dass der Sachverständige Dr.S. bei der Erstellung seines Gutachtens zum Nachteil des Beschwerdeführers agiert hat bzw. dessen Behinderungen bagatellisiert hat.

Das SG hat damit zutreffend den Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen Dr.S. zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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