L 7 AL 29/11

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 19 AL 179/06
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 29/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 96/11 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 13. Januar 2011 wird zurückgewiesen.

II. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Berücksichtigung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung bei der Bemessung seines Arbeitslosengeldes (Alg).

Der 1941 geborene Kläger meldete sich am 28.06.2004 zum 01.11.2004 arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. Gleichzeitig reichte er eine Bestätigung der AOK Hessen ein, wonach er ab dem 01.11.2004 von der Krankenversicherungspflicht befreit war.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 18.01.2005 Arbeitslosengeld ab dem 01.11.2004 in Höhe von 350,07 Euro wöchentlich. Gegen die Bewilligungsentscheidung legte der Kläger Widerspruch ein, weil das Leistungsentgelt unter Abzug von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung ermittelt worden sei, obwohl er nicht Mitglied einer Krankenkasse sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 23.02.2006 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie insbesondere aus, dass das Arbeitslosengeld gem. § 129 SGB III 60% des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt) betrage (allgemeiner Leistungssatz). Das Leistungsentgelt ergebe sich aus dem im Bemessungszeitraum erzielten Bruttoentgelt (Bemessungsentgelt). Leistungsentgelt sei das um die gesetzlichen Entgeltabzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderte Bemessungsentgelt. Entgeltabzüge seien Steuern, die Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung sowie die sonstigen gewöhnlich anfallenden Abzüge, die zu Beginn des Kalenderjahres maßgeblich seien (§ 136 SGB III in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung). Der Bemessungszeitraum umfasse die Entgeltzeiträume vom 01.11.2003 bis 31.10.2004. In diesem Zeitraum sei in 52 Wochen ein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt von insgesamt 61.309,80 Euro erzielt worden. Hieraus ergebe sich ein durchschnittliches wöchentliches Entgelt (Bemessungsentgelt) von 1.179,03 Euro (§ 132 Abs. 3 SGB III). Entsprechend den Eintragungen in der Steuerkarte bestehe ein Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem allgemeinen Leistungssatz in der Leistungsgruppe A in Höhe von wöchentlich 350,07 Euro (§§ 128, 137 SGB III in Verbindung mit der nach § 151 Nr. 2 SGB III ergangenen Leistungsentgeltverordnung). Die Höhe des Arbeitslosengeldes richte sich also nach einem pauschalierten und nicht nach dem tatsächlich erzielten Nettoarbeitsentgelt. Daher blieben die individuellen Sozialversicherungsbeiträge (z. B. Beitragssatz der Krankenversicherung) und Steuerverhältnisse (z. B. Steuerfreibeträge, Kirchensteuerfreiheit) außer Betracht.

Hiergegen hat der Kläger am 06.03.2006 Klage bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben. Er hat vorgetragen, die Sozialversicherungspauschale von 21% habe zumindest auf die Beiträge zur Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung mit 13% und dann die restlichen 8% für die Krankenversicherung aufgeteilt werden müssen. Der Abzug der Krankenversicherungsbeiträge stelle eine Zweckentfremdung dar. Der Kläger hat beantragt, den Bescheid vom 18.01.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2006 aufzuheben bzw. abzuändern und festzustellen, dass er nicht verpflichtet ist, Krankenkassen- und Pflegeversicherungsbeiträge zu zahlen, da er nicht in einer solchen Versicherung angemeldet ist, sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm aus diesem Grund noch 6.837,10 Euro auszuzahlen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13. Januar 2011 abgewiesen. Der vom Kläger gestellte Feststellungsantrag sei unzulässig, weil es dem Kläger hierfür an dem nach § 55 SGG erforderlichen berechtigten Interesse an der baldigen Feststellung fehle. Die Beteiligten seien sich darüber einig, dass der Kläger nicht verpflichtet sei, Krankenkassen- und Pflegeversicherungsbeiträge zu zahlen, weshalb die Beklagte während des Leistungsbezugs des Klägers auch keine Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung abgeführt habe. Im Übrigen sei die Klage unbegründet. Das Gericht hat auf die Begründung im Widerspruchsbescheid verwiesen (§ 136 Abs. 3 SGG). Ergänzend hat es ausgeführt, dass die vom Kläger in seiner Klagebegründung in Bezug genommene "Sozialversicherungspauschale von 21%" Bestandteil der erst am 01.01.2005 in Kraft getretenen Regelung über das Leistungsentgelt in § 133 SGB III neuer Fassung sei, während für vor dem 01.01.2005 begonnene Leistungszeiträume die im Widerspruchsbescheid zutreffend wiedergegebene Regelung des § 136 SGB III alter Fassung in Verbindung mit der aufgrund der Ermächtigung in § 151 SGB III erlassenen SGB Ill Leistungsentgeltverordnung 2004 vom 22.12.2003 (BGBl. I, 3100) anzuwenden sei. Unter Zugrundelegung der pauschalierenden Regelung des § 136 SGB III habe der Verordnungsgeber in der Leistungsentgeltverordnung u. a. zugrunde gelegt für die Lohnsteuer die Steuer, die sich nach der für den Arbeitslosen maßgeblichen Leistungsgruppe ergebe, für die Kirchensteuer die Steuer nach dem im Vorjahr in den Ländern geltenden niedrigsten Kirchensteuer-Hebesatz, für die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung die Hälfte des gewogenen Mittels der am 1. Juli des Vorjahres geltenden allgemeinen Beitragssätze, für die Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung die Hälfte des geltenden Beitragssatzes und als Leistungsbemessungsgrenze die für den Beitrag zur Arbeitsförderung geltende Beitragsbemessungsgrenze. Aufgrund der auf der Lohnsteuerkarte des Klägers für das Jahr 2004 eingetragenen Steuerklasse eins habe die Beklagte den Kläger zutreffend der Leistungsgruppe A zugeordnet. Hieraus ergebe sich insgesamt zutreffend bei einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von gerundet 1.180,00 Euro ein Leistungsentgelt von 583,47 Euro wöchentlich und somit nach dem allgemeinen Leistungssatz von 60% ein Anspruch auf Arbeitslosengeld in Höhe von 350,07 Euro wöchentlich. Da nach § 136 Abs. 1 SGB III das Leistungsentgelt unter Berücksichtigung der gesetzlichen Entgeltabzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, bestimmt werde, bestehe gesetzlich kein Raum für das Begehren des Klägers, derartige in seinem Einzelfall nicht anfallende Abzüge zu seinen Gunsten zu berücksichtigen.

Der Kläger hat gegen den ihm am 29.01.2011 zugestellten Gerichtsbescheid am 07.02.2011 Berufung beim Sozialgericht Frankfurt am Main eingelegt und auf sein vorheriges Vorbringen verwiesen. Die Berechnung im Widerspruchsbescheid und im Gerichtsbescheid sei fehlerhaft. Es sei die falsche Beitragsbemessungsgrenze zu Grunde gelegt worden und Berechnungsfehler eingetreten. Er hält die zugrundeliegenden Vorschriften für verfassungswidrig.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 13.01.2011 aufzuheben und den Bescheid vom 18.01.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2006 abzuändern und ihm einen höheren Anspruch auf Arbeitslosengeld von noch 6.837,10 Euro zu gewähren und auszuzahlen. Außerdem festzustellen, dass er nicht verpflichtet ist, Krankenkassen- und Pflegeversicherungsbeiträge zu zahlen, da er nicht in einer solchen Versicherung angemeldet ist.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beklagte hat die genaue Berechnung des Arbeitslosengeldes unter Angabe der Rechtsgrundlagen mit Schriftsatz vom 26.05.2011 noch einmal detailliert dargelegt und sich im Übrigen auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren berufen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berichterstatterin konnte zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheiden, da der Senat die Berufung mit Beschluss vom 01.04.2011 auf die Berichterstatterin übertragen hat, § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt, § 155 Abs. 3, 4 und § 124 Abs. 2 SGG.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn dem Kläger steht ab dem 01.11.2004 kein höheres Arbeitslosengeld zu. Der Senat verweist auf die Darstellung der Entscheidungsgründe im Urteil des SG, insbesondere zur Berechnung der Höhe des Arbeitslosengeldes und schließt sich den Ausführungen in vollem Umfang an, § 153 Abs. 2 SGG.

Bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes kommt es nicht auf die individuellen Verhältnisse des einzelnen Arbeitslosen an. Nach §§ 129 ff., 136 Abs. 1 SGB III (die den früheren Regelungen zum Arbeitsförderungsgesetz (AFG), insb. § 111 weitgehend entsprechen), ist Grundlage für die Leistungshöhe das Nettoarbeitsentgelt, das sich errechnet aus dem zugrunde zu legenden Bruttoarbeitsentgelt, "vermindert um die Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen". Mit dieser Formulierung macht der Gesetzgeber deutlich, dass es sich um Abzüge handeln muss, die "üblicherweise", "in der Regel" vorzunehmen sind (BSG v. 24.07.1997, 11 RAr 45/96 = SozR 3-4100 § 136 Nr. 7; BSGE 51, 10, 16 = SozR 3-4100 § 111 Nr. 4; BSGE 76, 207, 210f = SozR 3-4100 § 136 Nr. 4; bestätigend Bundesverfassungsgericht SozR 3-4100 § 136 Nr. 5; BSGE 79, 14, 19f = SozR 3-4100 § 111 Nr. 14). Dies gilt im Rahmen der Pauschalierung für die Nichtberücksichtigung der Befreiung von der Krankenversicherungspflicht ebenso wie bei anderen individuellen Begünstigungen (LSG Niedersachsen v. 28.10.1999, L 8 AL 126/99).

Verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Pauschalierung und die fehlende Berücksichtigung individueller Steuerbegünstigungen z.B. hinsichtlich der Kirchensteuer sind das Bundesverfassungsgericht und das BSG nicht gefolgt. Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an und sieht durch die generalisierte Berechnung keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Die pauschalierte Betrachtung ist gerechtfertigt, denn eine noch stärker auf den Einzelfall abstellende Berechnung von Arbeitslosengeld widerspräche dem System einer insgesamt von dem individuellen Bedarf und der individuellen Situation des Arbeitslosen losgelösten Berechnung und damit der Eigenart des zu regelnden Sachbereichs (Beschluss v. 4.7.2007, B 11a AL 191/06 B; BSG SozR 4100 § 111 Nr. 14 S. 57 mN aus der Rechtsprechung des BVerfG). Dabei im Einzelfall ggf. eintretende systemimmanente Härten hat der Gesetzgeber - und mit ihm die Rechtsprechung - in Kauf genommen. Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 90, 226, 236f = SozR 3-4100 § 111 Nr. 6) hat ausgeführt, dass es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, wenn im Rahmen dieses Systems ein gesetzlicher Abzug, der "gewöhnlich" (d.h. bei der Mehrzahl der Arbeitnehmer) anfällt, in die Berechnung des maßgeblichen Nettoarbeitsentgelts auch bei solchen Arbeitslosen einfließt, die nach ihren individuellen Gegebenheiten keinen entsprechenden Abzug vom Bruttolohn hätten, falls sie in einem Arbeitsverhältnis stünden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch weicht sie von einer Entscheidung von oberster gerichtlicher Rechtsprechung ab (vgl. Nichtzulassungsbeschluss des BSG vom 31.01.2000 B 11 AL 271/99 B).
Rechtskraft
Aus
Saved