Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 6 R 203/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 1 R 903/09
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsminderung.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München
vom 27. August 2009 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1960 geborene Kläger hat eine Berufsausbildung als Bäcker von 1975 bis 1978 erfolgreich absolviert. Diesen Beruf hat er nach seinen Angaben bis 1979 ausgeübt, dann wurde er für ca. ein Jahr Schicht/Fabrikarbeiter (Herstellung von Kunststofffensterrahmen), danach verrichtete er einen 2-jährigen Dienst bei der Bundeswehr. Von 1983 ab war er bis zur Kündigung zum Mai 1992 Kraftfahrer (Benzintankwagenfahrer). Von 1992 bis 1998 war er selbstständig tätig als Messevertreter und Tauchlehrer auf den Philippinen im saisonalen Wechsel. Von 1998 bis Juni 2006 übte er erneut - unterbrochen durch Zeiten der Krankheit und Arbeitslosigkeit - Tätigkeiten als Kraftfahrer im Baustellenverkehr/Nahverkehr bei verschiedenen Firmen aus; zuletzt war er im August 2006 als "Kampagnenmitarbeiter" bei der Firma S. tätig.
Der Kläger absolvierte vom 16.01.2007 bis 27.02.2007 eine Reha in der Klinik B ... Der Entlassungsbericht nennt als Diagnosen insbesondere kombinierte Persönlichkeitsstörung, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Hypertonie, Tinnitus, Adipositas. In dem Bericht heißt es u.a., dass der Kläger mit dem versteckten Wunsch nach Gewährung von Rente in die Reha gekommen sei. Grundsätzlich wolle er nicht in Deutschland leben. Er sei in einer selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung gefangen, aus der er nur durch Betreuung herausfinde. Zum Zeitpunkt der Entlassung seien die psychischen und sozialkommunikativen Handicaps so stark ausgeprägt, dass die Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufgehoben sei.
Daraufhin ließ die Beklagte den Kläger von dem Nervenarzt Dr. G. am 28.03.2007 begutachten. Der Gutachter diagnostizierte eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen, aber auch narzisstischen bzw. psychasthenischen Zügen und eine somatoforme Schmerzstörung. Der Kläger sei leistungsbereit und willensstark. Es bestehe keine schwerere Depression. Nach dem Untersuchungseindruck sei weiterhin von einem vollschichtigen Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten und auch für die Tätigkeit als LKW-Fahrer auszugehen. Dem Kläger sei es trotz der Störung möglich, aktiv an einer Behandlung und Wiedereingliederung mitzuarbeiten. Es seien berufliche Reha-Leistungen im Sinne einer beruflichen Wiedereingliederungsmaßnahme angezeigt.
Die Allgemeinärztin R. stellte in einem Gutachten vom 26.04.2007 fest, dass im Vordergrund der Gesundheitsstörungen die Persönlichkeitsstörung mit der Schmerzstörung stehe. Aus Sicht der Gutachterin bestand sowohl für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als LKW-Fahrer als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine vollschichtige Leistungsfähigkeit für leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten.
Am 16.07.2007 stellte der Kläger einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung und gab an, dass er sich seit 2002 wegen einer kombinierten Persönlichkeitsstörung, anhaltender somatoformer Schmerzstörung, Tinnitus, phobischer und rez. depressiver Störung für erwerbsgemindert halte.
Nach Einholung eines Befundberichts des Psychiaters Dr. T. vom 23.07.2007 mit Arztbrief des Neurologen Dr. P. vom 09.05.2007 (Ausschluss von Radikulopathie im Zervikalbereich, Ausschluss von CTS) und eines MDK-Gutachtens vom 19.03.2007 wurde der Antrag mit Bescheid vom 31.07.2007 abgelehnt.
Mit dem Widerspruch vom 23.08.2007 wurde auf die massive Persönlichkeitsstörung mit generalisiertem Schmerzsyndrom in Verbindung mit Tinnitus und Schlafstörungen hingewiesen.
In einer auf Wunsch des Klägers gefertigten Stellungnahme vom 16.10.2007 befürwortete der Psychiater T. eine Berentung. Zuletzt seien Zwangsrituale (Waschzwang) hinzugetreten. Seit kurzem sei der Kläger bereit, antidepressive Medikamente einzunehmen. Es bestünden keine kognitiven Ressourcen.
Die Beklagte ließ eine orthopädische Begutachtung durch Dr. P. am 04.12.2007 durchführen. Dieser diagnostizierte degenerative Veränderungen der HWS und LWS mit linksseitiger Lumboischialgie und rechtsseitigem C5/C6 Syndrom, eine Beinverkürzung links mit thorakolumbaler Skoliose, Senk- und Spreizfüße. Insgesamt habe sich kein schwerwiegender Befund ergeben. Unter orthopädischen Gesichtspunkten könne der Kläger als Kraftfahrer tätig sein sowie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig leichte bis mittelschwere Tätigkeiten verrichten.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid 09.01.2008 zurückgewiesen. Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch leichte Tätigkeiten zu ebener Erde, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne Überkopfarbeiten, ohne besonderen Zeitdruck (z.B. Akkord, Fließband) und ohne Schicht- und Nachtdienst mindestens sechs Stunden täglich ausüben. Die letzte Tätigkeit als Kraftfahrer sei in die Gruppe der ungelernten Arbeiter einzuordnen, so dass der Kläger auf alle ungelernten Tätigkeiten verwiesen werden könne.
Im nachfolgenden Klageverfahren (S 6 R 203/08) vor dem Sozialgericht München hat der Kläger eine sozialmedizinische Stellungnahme der Agentur für Arbeit vom 05.05.2008 vorgelegt. Darin wird unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des Psychiaters T. angegeben, dass der Kläger nicht in der Lage sei, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen.
Das SG hat die Schwerbehindertenakte beigezogen und eine Auskunft des letzten Arbeitgebers, der Firma S., eingeholt. Der Kläger verrichtete demnach einfache ungelernte Tätigkeiten (Reinigungsarbeiten) eines Hilfsarbeiters.
Aktenkundig sind auch Befundberichte/Arztbriefe des praktischen Arztes Dr. H. vom Juni 2008, des HNO-Arztes Dr. R. vom 23.06.2008, der Orthopäden Dr. W. vom 26.06.2008, Dr. F. vom 20.03.2007, Dr. W. vom 20.12.2006, Dr. W. vom 25.02.2008 und Dr. B. vom 12.07.2007.
Zur Aufklärung des Sachverhalts hat das Sozialgericht ein Gutachten bei der Nervenärztin Dr. P. in Auftrag gegeben. Diese hat den Kläger am 09.10.2008 untersucht und folgende Diagnosen gestellt:
- Anhaltende somatoforme Schmerzstörung, gemischte Angststörung, Zwangshandlungen bei kombinierter Persönlichkeitsstörung,
- Tinnitus bei Hochtonschwerhörigkeit,
- Hypertonie,
- degenerative Veränderungen HWS, LWS, Schultersteife rechts.
Bei der neurologischen Untersuchung seien keine Besonderheiten aufgefallen. Seit der letzten Begutachtung seien die Zwangshandlungen deutlicher. Wegen der degenerativen Veränderungen des Bewegungsapparates seien nur noch überwiegend leichte Tätigkeiten zumutbar ohne schweres Heben und Tragen, häufiges Bücken und Zwangshaltungen. Wegen des Tinnitus seien Tätigkeiten unter Lärmeinflüssen, mit ständigen Anforderungen an gutes Hörvermögen und häufiger Publikumsverkehr zu vermeiden. Durch die Schmerzen seien die nervliche Belastbarkeit, Ausdauer, Konzentrationsvermögen unterschiedlich eingeschränkt. Daher seien keine Tätigkeiten unter Zeitdruck, Akkord oder Fließbandbedingungen möglich. Die Tätigkeit als Kraftfahrer sollte deshalb nicht mehr ausgeübt werden.
Wegen der Ängste und Kontrollzwänge und der Neigung zu zwischenmenschlichen Konflikten sei eine geregelte Erwerbstätigkeit nur grenzwertig möglich. Dennoch habe der Kläger über Jahre hinweg im Erwerbsleben gestanden. Angesichts des Aktionsradius im Alltagsleben scheine eine sechsstündige Tätigkeit möglich. Dies gelte umso mehr als die Behandlungsmaßnahmen noch nicht ausgeschöpft seien, zB verhaltenstherapeutische Begleitung zur Angst- und Schmerzbewältigung. Auch der nochmalige Versuch einer Medikation sei sinnvoll. Insgesamt lasse sich derzeit noch nicht feststellen, dass eine leichte Tätigkeit zu Lasten der Restgesundheit gehen würde.
Auf Antrag des Klägers ist der Psychiater Dr. W. mit der Erstellung eines Gutachtens nach § 109 SGG beauftragt worden. Der Kläger gab dort u.a. an, dass er ca. drei Emails pro Tag bekomme. An sozialen Kontakten unterhalte er nur noch einen.
Aus den Selbsteinschätzungsskalen (Beck-Depressionsinventar, SASS, PHQ-D ) ergaben sich Hinweise für das Vorliegen einer schweren depressiven Symptomatik und Hinweise auf reduzierte soziale Aktivität. Im Untersuchungsbefund berichtet der Gutachter, dass die Wahrnehmung und Aufmerksamkeit herabgesetzt gewesen seien. Das Konzentrationsvermögen und der Antrieb seien reduziert gewesen. Der Kläger sei umstellungserschwert. Es liege diagnostisch eine mittelgradige depressive Episode ohne psychotische Symptome vor. Die Schmerzen und Somatisierungsstörungen seien bei Vorliegen einer mittelschweren Form der depressiven Störung inkludiert. Aufgrund von Defiziten der Aufmerksamkeit und Konzentration sei das Leistungsvermögen eingeschränkt. Inhaltliche Denkstörungen sowie ein gestörtes Selbstvertrauen, depressive Stimmung und Antriebsstörungen würden Leistungseinschränkungen begründen. Die Fähigkeiten Anpassung an Routine und Tagesstruktur, Flexibilität, Kompetenz, Durchhaltevermögen, Selbstbehauptung, Teilnahme an öffentlichen Rollen, die Kontaktfähigkeit zu Dritten seien gestört, so dass der Kläger nur noch drei bis unter sechs Stunden arbeiten könne. Es lägen Funktionseinbußen sowohl im beruflichen wie privaten Bereich vor. Der Kläger brauche mehrfach am Tag Pausen. Mit einer Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit sei nicht innerhalb von sechs Monaten zu rechnen.
Es habe eine verständliche Verdeutlichungstendenz des Klägers vorgelegen, die das Ergebnis eines fokussierten Symptombereichs sei.
Die Beklagte hat die sozialmedizinische Beurteilung des Psychiaters Dr. Sch. vorgelegt, wonach sich der Kläger angesichts der im Gutachten geschilderten Alltagsaktivitäten und Kompetenzen im Bereich durchschnittlicher Leistungsfähigkeit bewege.
Die neu ins Verfahren eingetretene Prozessbevollmächtigte hat u.a. auf eine rapide Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers hingewiesen und insoweit den Abhilfe-Bescheid im Schwerbehindertenverfahren (GdB 50) vom 11.12.2007 vorgelegt.
Die Klage ist mit Urteil auf die mündliche Verhandlung vom 27.08.2009 abgewiesen worden. Das Sozialgericht hat sich insbesondere auf die Aussagen des Klägers bei der Begutachtung durch Dr. P. bezogen, aus denen ein durchaus gutes körperliches Leistungsvermögen hervorgegangen sei. Auch wenn die Aussagen in der Verhandlung bestritten worden seien, seien diese glaubhaft. Auf die Frage der Gutachterin, was denn gegen leichte Sortier- und Montierarbeiten spreche, habe der Kläger entgegnet, er könne nicht in geschlossenen Räumen verweilen, sondern brauche Bewegung. Dies spreche für die Einschätzung, dass der Kläger noch leichte Arbeiten sechs Stunden und mehr verrichten könne. Der Kläger habe sich aus nichtgesundheitlichen Gründen von dem Beruf des Bäckers gelöst und sei zuletzt mit ungelernten Tätigkeiten beschäftigt gewesen, so dass er auf sämtliche Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden könne.
Zur Begründung der fristgerecht eingelegten Berufung hat sich der Kläger auf das Gutachten des Dr. W. berufen. Soweit sich das SG auf die Aussage stütze, er könne 500 m schwimmen und 30 km Radfahren, so stimme dies nicht. Er gehe zwar ins Hallenbad, verweile aber nur im Wasser zur Milderung seiner Beschwerden und "schwimme" nicht.
Der Senat hat ein Gutachten bei der Nervenärztin Dr. C. nach § 106 SGG in Auftrag gegeben. Diese hat den Kläger am 12.10.2010 untersucht. Dort hat der Kläger u.a. angegeben, dass er im Sommer 2009 von einem Tag auf den anderen seine ganze Kraft verloren habe.
Die Gutachterin hat festgehalten, dass die Muskulatur des Klägers insgesamt sehr kräftig ausgebildet gewesen sei. An den Händen hätten sich deutliche Arbeitsspuren gefunden. Der Kläger sei rotgesichtig als Folge von Frischluftexposition gewesen. Es habe eine deutliche Aggravation bestanden, die an Simulation gegrenzt habe. Angaben über eine Halbseitenstörung und eine Hyperpathie hätten nicht der Innervation entsprochen. Der Kläger habe nicht depressiv gewirkt. Er habe Ängste und Zwangshaftigkeit geschildert. Die vom Kläger geschilderte Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses habe sich in der Untersuchung nicht bestätigen lassen.
Die Gutachterin hat eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung bei einer Persönlichkeit mit emotional instabilen und demonstrativen Zügen, phobische Störung, Zwangsstörung und einen beidseitigen Tinnitus und Hochton-Schwerhörigkeit diagnostiziert. Auf neurologischem Gebiet habe ein HWS-Syndrom ohne Nachweis von radikulären Läsionen bestanden. Als Fremdbefund liege eine arterielle Hypertonie vor.
Die Beeinträchtigungen in Bezug auf die Schmerzstörung schätzt die Gutachterin als leicht- bis mittelgradig ein. Der Kläger könne nur noch leichte Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen bei wünschenswertem Haltungswechsel im Freien und in geschlossenen Räumen verrichten. Arbeiten unter Zeitdruck, im Akkord und in Wechselschicht sollten vermieden werden wie auch Arbeiten mit Zwangshaltungen, Überkopfarbeiten, im Bücken, im Knien und auf Leitern und Gerüsten. Die Gebrauchsfähigkeit der Hände sei nicht beeinträchtigt. Arbeiten bei starken Temperaturschwankungen sollten vermieden werden. Auch Publikumsverkehr sollte dem Kläger wegen mangelnder affektiver Steuerung nicht zugemutet werden. Die Wegefähigkeit sei erhalten. Die Ausdauer sei gut gewesen. Nervliche Belastbarkeit und Stresstoleranz seien vermindert. Die Auffassung und Merkfähigkeit seien bei der Untersuchung nicht vermindert gewesen. Bei der Prüfung der selektiven Aufmerksamkeit habe sich eine starke Verlangsamung gezeigt, die Ausdruck innerer Anspannung dh Ausdruck der Aggravationstendenz gewesen sei. Das Konzentrationsvermögen könne durch die verminderte affektive Steuerung vermindert sein. Die Verlangsamung sei durch zumutbare Willensanpassung überwindbar. Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit seien nicht eingeschränkt. Vom Kläger könne erwartet werden, dass er die psychischen Störungen aus eigener Kraft überwinde. Die dazu erforderliche Willensanpassung sei zumutbar.
Leichte Tätigkeiten könne er sechs Stunden am Tag verrichten. Es sei wenig wahrscheinlich, dass die Minderung behoben werden könne. Eine Besserung des Leistungsvermögens sei durch pharmakologische Behandlung möglich; diese lehne der Kläger aber ab.
Im neuropsychologischen Zusatzgutachten der Diplom-Psychologin T. vom 15.02.2010 sind die Ergebnisse testpsychologischer Verfahren geschildert. Zusammenfassend habe sich eine wenig spontane Arbeitsweise, deutliche Verlangsamung, negative Leistungserwartung und antizipierte Überforderung gezeigt. Selbstbeurteilte psychische Beschwerden seien überall stark bis extrem ausgeprägt gewesen. Das sehr auffällige Beschwerdeprofil deute auf eine Betonung bestehender psychischer Beschwerden hin. Vergleichbare Ergebnisse lägen auch aus dem Jahr 2004 vor (Klinik A.).
Die Bevollmächtigte des Klägers hat einzelne Angaben des Gutachtens kritisiert und die Sachverständige als voreingenommen bezeichnet. Der Kläger erkläre sich bereit, sich zum Beweis fehlenden Muskelaufbaus von einem Sportarzt untersuchen zu lassen.
Auf Antrag des Klägers ist ein weiteres nervenärztliches Gutachten nach § 109 SGG bei Dr. H. eingeholt worden (Gutachten vom 05.10.2010, Untersuchung vom 01.10.2010). Der Gutachter hat folgende Diagnosen gestellt:
- WS-Syndrom mit Betonung im Bereich der HWS und LWS ohne neurologische Ausfälle,
- Tinnitus,
- Neurotische Entwicklung mit depressiver Verstimmung und Angst und begleitenden psychosomatischen Beschwerden in Form einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung bei kombinierter Persönlichkeitsstörung.
Ein Wirbelsäulensyndrom der HWS und LWS habe nicht zu neurologischen Ausfällen geführt. Die Parästhesien am rechten Arm seien wohl Ausdruck einer Wurzelreizsymptomatik, ein CTS sei jedenfalls nicht nachweisbar. Die Muskeltrophik beschrieb der Gutachter als auffällig kräftig.
Es habe sich kein Hinweis auf eine hirnorganische Erkrankung als Ursache des Tinnitus ergeben. Bei der Untersuchung habe sich ein dysphorisch depressives Syndrom mit innerer Anspannung und Angstsymptomatik gezeigt. Diese Diagnose werde durch testpsychologische Untersuchungen der Vorgutachter gestützt. Mnestische Störungen seien nicht fassbar gewesen. Das dysphorische depressive Syndrom sei etwas deutlicher ausgeprägt als von Dr. P. angenommen, aber nicht ausgeprägter als bei Dr. W ...
Hinsichtlich der Schmerzen sei von einem hohen psychosomatischen Anteil auszugehen, daher sei in Übereinstimmung mit den Vorgutachtern die Diagnose einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung zu stellen. Die Störungen des Klägers dürften auch durch ein mehr oder minder unbewusstes Streben nach sekundärem Krankheitsgewinn durch Rentengewährung aufrecht erhalten werden. Der Gesundheitszustand habe sich gegenüber den Vorgutachten nicht wesentlich geändert. Eine Antriebsstörung, die die Aufnahme einer Berufstätigkeit verhindern könne, sei nicht objektiv fassbar. Auch die kognitive Leistungsfähigkeit sei ausreichend für mindestens sechs Stunden. Bezüglich der depressiven Verstimmung könne sich durch eine Beschäftigung sogar eine Besserung ergeben. Bei der Bewertung der Leistungsfähigkeit bei chronischen Schmerzerkrankungen seien auch die Angaben zur üblichen Lebensgestaltung zu berücksichtigen. Die Schilderungen des Tagesablaufs würden gegenüber denen bei Dr. P. deutlich anders ausfallen. Der Kläger habe nun über weitgehende Inaktivität berichtet. Der Kläger habe aber wohl im Laufe der Begutachtungen erfahren, dass diese Gesichtspunkte einfließen würden. Von den objektivierbaren Untersuchungsbefunden ausgehend halte er eine Minderung der zeitlichen Leistungsfähigkeit auf weniger als sechs Stunden täglich für nicht belegbar. Der Gutachter Dr. W. sei zu seiner anderen Einschätzung wohl deshalb gekommen, weil er die eigenen Angaben des Klägers stärker gewertet habe wie auch aufgrund schwer objektivierbarer testpsychologischer Diagnostik.
Besonderen Anforderungen an das Verantwortungsbewusstsein und die Gewissenhaftigkeit seien nicht möglich. Die Ausdauer sei vermindert, so dass keine überlangen Arbeitszeiten zumutbar seien. Übliche Anmarschwege seien zumutbar. Zusätzliche Pausen seien nicht erforderlich. Die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit seien gegeben. Der Kläger sei in der Lage, seine psychischen Hemmungen gegen eine Arbeitsleistung mit zumutbarer Willensanspannung und ärztlicher Hilfe zu überwinden.
In einem Bericht des Bezirkskrankenhauses K-Stadt über den stationären Aufenthalt des Klägers vom 17.03. bis zum 04.04.2011 werden an Diagnosen angegeben:
- Rezidivierende depressive Störung,
- Somatoforme Schmerzstörung,
- Kombinierte Persönlichkeitsstörung.
In einem weiteren Entlassungsbericht des Bezirkskrankenhauses - Abteilung D. - über den Aufenthalt vom 04.04.2011 bis 06.04.2011 wird u.a. die Angabe des Klägers mitgeteilt, dass er nun eine Wohnung in A-Stadt habe, aber es ihm dort nicht gefalle, da seine ganzen Freunde in B-Stadt seien. Der Kläger habe einen unklaren Ganzkörperschmerz angegeben, dies wirke objektiv äußerst unglaubwürdig, da er sich völlig unauffällig bewege, keine genauere Schmerzbeschreibung geben könne und auch die Mimik nicht dafür spreche. Die kognitiv-mnestischen Funktionen seien regelrecht. Schon zu Beginn der Behandlung sei aufgefallen, dass das Verhalten des Patienten nicht zu den beklagten Symptomen passe.
Der Senat hat bei den vom Kläger benannten Arbeitgebern (Fa. I., Fa. B., Fa. D.), bei denen dieser seit 1997 tätig war, Auskünfte eingeholt. Darin werden Tätigkeiten als LKW-Fahrer und Tankwagenfahrer mit Anlernzeiten von 3 Monaten genannt.
In der mündlichen Verhandlung am 30. November 2011, in der der Kläger persönlich anwesend war, hat der Klägerbevollmächtigte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 27. August 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 31. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Januar 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
Die Vertreterin der Beklagten hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Akten des gerichtlichen Verfahrens verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat zu Recht die Klage gegen den Bescheid vom 31.07.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2008 abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den 1960 geborenen Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1, 2 SGB VI zu. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI ist nicht begründet, da der Kläger auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar ist.
Teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs bzw. drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Der Kläger ist nach den überzeugenden Bewertungen der Dr. P., der Dr. C. mit Zusatzgutachten T. und des Dr. H. noch in der Lage, eine sechsstündige Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Auch die im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten des Nervenarztes Dr. G., der Allgemeinärztin R. und des Orthopäden Dr. P., die im Rahmen des Urkundsbeweises herangezogen werden können, sprechen für diese Einschätzung
Dagegen folgt der Senat nicht der abweichenden Einschätzung der Reha-Klinik B., in der sich der Kläger vom 16.01.2007 bis 27.02.2007 aufgehalten hat, und auch nicht dem Gutachten des Dr. W ...
Der Schwerpunkt der Erkrankungen liegt nach der Beweiserhebung auf nervenärztlichem Gebiet; dort ist insbesondere die Diagnose der somatoformen Schmerzstörung einzuordnen.
Die Störungen der Wirbelsäule stellen nach fachärztlicher Einschätzung durch den Orthopäden Dr. P., der auch radiologische Befunde auswertete, keinen schwerwiegenden Befund dar. Weder bei der neurologischen Untersuchung der Dr. P. noch bei Dr. C. wurden Nervenschäden, Paresen oder objektiv belegbare Sensibilitätsstörungen festgestellt. Sie sah außerdem eine freie Beweglichkeit der HWS - wie zuvor auch Dr. W. - und diagnostizierte ein HWS-Syndrom ohne Nachweis radikulärer Läsionen. Bei Dr. H. waren die Bewegungen der HWS in allen Richtungen schmerzhaft eingeschränkt, auch er bestätigte aber, dass das Wirbelsäulensyndrom mit Betonung im Bereich der HWS und der LWS nach den Untersuchungen nicht zu neurologischen Ausfällen geführt hat. Die körperlichen Erkrankungen wie das Wirbelsäulensyndrom sind nach schlüssig dargestellter Ansicht des Gutachters nicht so ausgeprägt, dass sich hieraus eine ausreichende Erklärung der Schmerzsymptomatik ergeben würde.
Die Schulterbeschwerden des Klägers haben offenbar wechselnden Charakter und verursachen keine gravierenden funktionellen Auswirkungen. So hat der Orthopäde Dr. W. im Arztbrief vom Februar 2008 festgehalten, dass die Schulter frei beweglich war. Der Orthopäde Dr. F. hat am 20.03.2007 erklärt, dass die rechte Schulter trotz Beschwerden einen unauffälligen Befund zeigte. Auch Dr. P. sah eine freie Beweglichkeit der Gelenke der oberen und unteren Extremitäten.
Die vom Kläger bei Dr. P. angegebene Sensibilitätsminderung der gesamten rechten Hand ließ sich keiner organischen Läsion zuordnen. Die Angaben einer Halbseitenstörung und einer Hypalgesie am rechten Unterarm sah die Gutachterin Dr. C. vielmehr als psychogen an. Dr. H. erwähnt ausdrücklich, dass normale Gebrauchsfähigkeit der Hände gegeben ist.
Dr. P. sah den Kläger überzeugend noch in der Lage, leichte bis mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben und hielt ihn aus orthopädischer Sicht auch noch für fähig, den Beruf des Kraftfahrers weiter auszuüben.
Aufgrund der Störungen am Bewegungsapparat erscheint es plausibel, dass ein Wechsel der Körperhaltungen nötig und kein schweres Heben und Tragen, kein häufiges Bücken und keine Zwangshaltungen zumutbar sind. Soweit Dr. C. darunter auch Arbeiten auf Leitern und Gerüsten fasst, ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Kläger nach Dr. H. den üblichen Anforderungen an den Gleichgewichtssinn durchaus gewachsen ist.
Auch bei dem Tinnitus des Klägers ist offenbar eine psychosomatische Komponente gegeben. Eine hirnorganische Erkrankung konnte als Ursache ausgeschlossen werden. Der behandelnde HNO-Arzt Dr. R. hat in einem Bericht vom 06.12.2007 darauf hingewiesen, dass eine deutliche Diskrepanz zwischen objektivem Hörbefund und subjektivem Leidensdruck durch den Tinnitus besteht. Bezüglich der Schwerhörigkeit hat Dr. H. darauf hingewiesen, dass die sprachliche Verständigung über etwa 2 bis 3 m gut möglich war.
Die Gutachter leiten aus dem Tinnitus und der Hochtonschwerhörigkeit nachvollziehbar eine Leistungseinschränkung für Tätigkeiten mit starker Lärmbelastung ab.
Soweit beim Kläger auch ein erhöhter Blutdruck aktenkundig ist, nimmt er deshalb jedenfalls keine Tabletten ein. Der Kläger selbst hat Dr. H. hierzu mitgeteilt, dass der Blutdruck nach Auffassung seines Hausarztes von seiner psychischen Verfassung abhänge.
An weiteren Störungen sind noch Zähneknirschen und ein Exzem aktenkundig. Letzteres hat der Kläger zunächst ausdrücklich bestritten. Erst als Dr. C. Arbeitsspuren an den Händen bemerkt hat, hat er sich selbst zur Erklärung auf ein Ekzem berufen.
Beim psychischen Befund besteht bei den Gutachtern Einigkeit über die Diagnose einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit Angst und Zwangshandlungen und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Unterschiedliche Auffassungen liegen über das Vorhandensein und den Schweregrad einer Depression vor. Nach Überzeugung des Senats erreichen die psychischen Beeinträchtigungen jedenfalls kein solches Ausmaß, dass daraus eine quantitative Leistungseinschränkung abzuleiten wäre.
Er folgt insoweit nicht der Einschätzung des Gutachters Dr. W., der eine Tätigkeit lediglich im Umfang von drei bis sechs Stunden für möglich gehalten hat. Der Sachverständige hat dieser Bewertung insbesondere Selbsteinschätzungsskalen des Klägers zugrunde gelegt, bei denen sich Hinweise für das Vorliegen einer schweren depressiven Symptomatik ergaben. Dr. H. hat hierzu überzeugend hingewiesen, dass diese Art der Diagnostik schwer objektivierbar ist. Im Zusatzgutachten der Diplompsychologin Dr. T. wird außerdem ausgeführt, dass die extreme Ausprägung der selbstbeurteilten psychischen Beschwerden auf eine Betonung bestehender Beschwerden hindeutet. Es ist dabei auch nicht auszuschließen, dass der Kläger sich bei seinen Angaben an einem überdurchschnittlich hohen Maßstab betreffend Antrieb und Leistungsfähigkeit ausgerichtet hat. Hierauf hat Dr. Sch. hingewiesen; der Kläger war nach eigenen Angaben früher sehr sportlich und hat verschiedene Berufe zum Teil im Ausland ausgeübt.
Zu berücksichtigen ist nach Dr. H. auch, dass ein mehr oder minder unbewusstes Streben nach sekundärem Krankheitsgewinn eine Rolle bei der Aufrechterhaltung und Beschreibung von Symptomen spielen kann. Dr. G. stellte bei seiner Begutachtung im März fest, dass der Kläger leistungsbereit und willensstark wirke, und vermutete, dass die negative Bestärkung seitens verschiedener Therapeuten den Kläger darin unsicher werden ließ.
Auch im Entlassungsbericht der Rehaklinik in B. wird ausdrücklich erklärt, dass die Perspektive einer Rentengewährung beim Kläger in den Fokus geraten sei.
Die subjektiven Angaben zum Ausmaß der Beeinträchtigungen kommt daher keine ausschlaggebende Bedeutung zu.
Dr. P. hat insoweit darauf hingewiesen, dass der Kläger trotz der bereits seit Kindheit entwickelten Persönlichkeitsstörung immerhin in der Lage gewesen sei, über Jahre hinweg im Erwerbsleben zu stehen.
Auch die Angaben des Klägers zu seinen Alltagsaktivitäten sprechen gegen eine quantitative Leistungseinschränkung. Es ist u.a. von Cafe- und Kneipenbesuchen, dem regelmäßige Besuch des Hallenbads, Radfahren, dem Halten von Schlangen oder dem Besuch einer Schlangebörse die Rede. Der Kläger hat zwar diese Angaben zum Teil bestritten oder relativiert. Die Angaben über die Strecke von 30 km Fahrradfahren und den Besuch des Hallenbads mit der Angabe von einer maximalen Schwimmstrecke von 500 m finden sich aber sowohl bei Dr. P. als auch bei Dr. W ... Auch bei Dr. W. hat der Kläger eine durchaus gewöhnliche Tagesstruktur und Aktivitäten (Einkauf von Putzmitteln, Bankbesuch, Information über Parkplätze im Internet, Frühstück und selbst zubereitetes Abendessen) beschrieben, die die Wertung des Gutachters, es bestünden Schwierigkeiten, häusliche Aktivitäten durchzuführen und eine gestörte Fähigkeit, sich an eine Tagesstruktur anzupassen, gerade nicht in gravierendem Ausmaß belegen.
Bei Dr. C. erklärte der Kläger, dass er seit Sommer 2009 nur noch herumsitze. Diese Angaben alleine belegen jedoch nicht, dass es bei dem Kläger zu einer gravierenden Verschlimmerung gekommen wäre. Eine gravierende Verschlimmerung des psychopathologischen Befunds in der Untersuchungssituation haben weder Dr. C. noch Dr. H. gesehen. Dr. C. hat insbesondere auch auf die kräftige Muskulatur, deren Beschreibung sich auch in anderen Gutachten findet, hingewiesen. Eine völlige Inaktivität hätte eine Muskelatrophie zur Folge haben müssen. Auch gab sie an, dass der Kläger eine Gesichtsfarbe habe, für die Exposition von Frischluft spreche.
Auch die Angaben des Klägers zu seinen sozialen Kontakten erscheinen nicht stringent und plausibel. Dr. W. ging von der Angabe des Klägers aus, dieser unterhalte nur noch einen sozialen Kontakt, und nahm deshalb eine gestörte Kontaktfähigkeit an. Allerdings hat sich der Kläger selbst bei Dr. H. als eher introvertiert, aber doch noch kontaktfähig beschrieben. In den Gutachten und Berichten werden auch immer wieder Personen aus dem Umfeld des Klägers genannt.
Insbesondere enthält auch der Bericht des BKH D. über den Aufenthalt des Klägers vom 04.04.2011 bis 06.04.2011 die Angabe, dass der Kläger guten Kontakt zu den Mitpatienten aufgenommen habe und in deren Runde entspannt gewirkt habe. Außerdem heißt es darin, dass es dem Kläger in A-Stadt nicht gefalle, da seine ganzen Freunde in B-Stadt seien.
Der o.g. Bericht stellt darüber hinaus auch die Schmerzstörung und die Depressivität des Klägers in Frage. Der Kläger wird darin als "vital" beschrieben, Psychomotorik und Antrieb waren unauffällig. Die Angabe des Ganzkörperschmerzes wird deutlich als objektiv unglaubwürdig bewertet.
Eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens steht daher nicht zur Überzeugung des Senats fest.
Aus den psychischen Störungen können lediglich qualitative Leistungseinschränkungen abgeleitet werden. So mögen Arbeiten unter Zeitdruck, Akkord- oder Fließbandbedingungen und generell psychisch belastende Tätigkeiten ausgeschlossen sein. Wegen des Tinnitus ist auch häufiger Publikumsverkehr nicht zumutbar. Der Ausschluss jeglichen Publikumsverkehrs erscheint aber angesichts der verbliebenen Kontaktfähigkeit nicht nachvollziehbar.
Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden allgemeinen Arbeitsmarktes keine Tätigkeit finden würde. Denn bei ihm liegen weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung (vgl. BSGE 80, 24) vor.
Als solche schwere Einschränkungen gelten etwa besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz (BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 104, 117), solche sind aber nach der Beweislage nicht anzunehmen. Dr. H. sieht ausreichende Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit.
Auch ein Anspruch nach § 240 SGB VI ist nicht gegeben. Zwar ist der Kläger noch vor dem darin enthaltenen Stichtag des 02.01.1961 geboren. Ihm steht aber nach den letzten Arbeitgeberberichten kein Berufsschutz zu.
Der Kläger hat seinen erlernten Beruf als Bäcker bereits frühzeitig vor Ausbruch seiner Gesundheitsstörungen aufgegeben. Zuletzt war er als LKW-Fahrer bei verschiedenen Firmen eingesetzt. Wie sich aus den klägerischen Angaben bei Dr. G. ergibt, verfügt der Kläger über keine spezielle Ausbildung auf diesem Gebiet. Die bei den angegebenen Arbeitgebern erhältlichen Auskünfte nennen einfache Transporttätigkeiten und eine Anlernzeit von 3 Monaten.
Selbst wenn aufgrund der früheren langjährigen Tätigkeit als LKW-Fahrer auch im Gefahrgutbereich ein Berufsschutz als oberer Angelernter zugestanden würde, so wären dem Kläger nach Auffassung des Senats jedenfalls noch mindestens sechs Stunden täglich Tätigkeiten als Registrator zumutbar. Wie in den Entscheidungen des BayLSG v. 6. Oktober 2010 (L 13 R 596/09) und v. 30. März 2011 (L 13 R 144/09, juris) dargelegt ist, ist die Tätigkeit eines Registrators als körperlich leichte Tätigkeit zu qualifizieren, welche bereits aus arbeitsorganisatorischen Gründen im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen verrichtet wird. Schweres Heben und Tragen wird nicht gefordert, da in den Registraturen die erforderlichen Hilfsmittel (Registraturwagen, Ablagemöglichkeiten etc.) in der Regel vorhanden sind. Unerheblich ist, dass in Einzelfällen das Heben und Tragen von Lasten bis zu 5 kg anfallen, Arbeiten auf Stehleitern und Zwangshaltungen wie Überkopfarbeiten anfallen könnten. Die körperlichen Belastungen hängen insoweit weitgehend von der jeweiligen Arbeitsplatzgestaltung und der Arbeitsplatzorganisation ab; folglich sind das Handhaben schwerer Aktenvorgänge, Zwangshaltungen und das Arbeiten auf Leitern nicht generell mit der Tätigkeit eine Registraturkraft verbunden.
Angesichts der geringen tatsächlichen orthopädischen Störungen des Klägers erscheinen derartige Verrichtungen möglich. Der Senat hat auch keinen Zweifel, dass sich der Kläger auf Tätigkeiten als Registrator innerhalb von drei Monaten einarbeiten kann. Dies entspricht der Einarbeitungszeit für eine Registraturkraft, wobei Vorkenntnisse weitgehend ohne Bedeutung sind. An die geistigen Anforderungen einer Tätigkeit als Registraturkraft werden keine über das normal übliche Maß hinausgehende Ansprüche gestellt. Soweit der Arbeitsplatz mit einem vernetzten PC ausgestattet ist, können sich auch Beschäftigte ohne Vorkenntnisse die erforderlichen grundlegenden Kenntnisse innerhalb der Einarbeitungszeit aneignen (vgl. BayLSG, a.a.O.). Hier hat der Kläger selbst angegeben, dass er einen PC hat und ihn bedienen kann. Bei Arbeitsplätzen in der Registratur handelt es sich auch nicht um typische Schonarbeitsplätze, für die der Arbeitsmarkt als verschlossen anzusehen wäre; solche Arbeitsplätze sind in nennenswertem Umfang vorhanden und auch zu besetzen (vgl. BayLSG, a.a.O.).
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten (§ 193 SGG).
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
vom 27. August 2009 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1960 geborene Kläger hat eine Berufsausbildung als Bäcker von 1975 bis 1978 erfolgreich absolviert. Diesen Beruf hat er nach seinen Angaben bis 1979 ausgeübt, dann wurde er für ca. ein Jahr Schicht/Fabrikarbeiter (Herstellung von Kunststofffensterrahmen), danach verrichtete er einen 2-jährigen Dienst bei der Bundeswehr. Von 1983 ab war er bis zur Kündigung zum Mai 1992 Kraftfahrer (Benzintankwagenfahrer). Von 1992 bis 1998 war er selbstständig tätig als Messevertreter und Tauchlehrer auf den Philippinen im saisonalen Wechsel. Von 1998 bis Juni 2006 übte er erneut - unterbrochen durch Zeiten der Krankheit und Arbeitslosigkeit - Tätigkeiten als Kraftfahrer im Baustellenverkehr/Nahverkehr bei verschiedenen Firmen aus; zuletzt war er im August 2006 als "Kampagnenmitarbeiter" bei der Firma S. tätig.
Der Kläger absolvierte vom 16.01.2007 bis 27.02.2007 eine Reha in der Klinik B ... Der Entlassungsbericht nennt als Diagnosen insbesondere kombinierte Persönlichkeitsstörung, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Hypertonie, Tinnitus, Adipositas. In dem Bericht heißt es u.a., dass der Kläger mit dem versteckten Wunsch nach Gewährung von Rente in die Reha gekommen sei. Grundsätzlich wolle er nicht in Deutschland leben. Er sei in einer selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung gefangen, aus der er nur durch Betreuung herausfinde. Zum Zeitpunkt der Entlassung seien die psychischen und sozialkommunikativen Handicaps so stark ausgeprägt, dass die Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufgehoben sei.
Daraufhin ließ die Beklagte den Kläger von dem Nervenarzt Dr. G. am 28.03.2007 begutachten. Der Gutachter diagnostizierte eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen, aber auch narzisstischen bzw. psychasthenischen Zügen und eine somatoforme Schmerzstörung. Der Kläger sei leistungsbereit und willensstark. Es bestehe keine schwerere Depression. Nach dem Untersuchungseindruck sei weiterhin von einem vollschichtigen Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten und auch für die Tätigkeit als LKW-Fahrer auszugehen. Dem Kläger sei es trotz der Störung möglich, aktiv an einer Behandlung und Wiedereingliederung mitzuarbeiten. Es seien berufliche Reha-Leistungen im Sinne einer beruflichen Wiedereingliederungsmaßnahme angezeigt.
Die Allgemeinärztin R. stellte in einem Gutachten vom 26.04.2007 fest, dass im Vordergrund der Gesundheitsstörungen die Persönlichkeitsstörung mit der Schmerzstörung stehe. Aus Sicht der Gutachterin bestand sowohl für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als LKW-Fahrer als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine vollschichtige Leistungsfähigkeit für leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten.
Am 16.07.2007 stellte der Kläger einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung und gab an, dass er sich seit 2002 wegen einer kombinierten Persönlichkeitsstörung, anhaltender somatoformer Schmerzstörung, Tinnitus, phobischer und rez. depressiver Störung für erwerbsgemindert halte.
Nach Einholung eines Befundberichts des Psychiaters Dr. T. vom 23.07.2007 mit Arztbrief des Neurologen Dr. P. vom 09.05.2007 (Ausschluss von Radikulopathie im Zervikalbereich, Ausschluss von CTS) und eines MDK-Gutachtens vom 19.03.2007 wurde der Antrag mit Bescheid vom 31.07.2007 abgelehnt.
Mit dem Widerspruch vom 23.08.2007 wurde auf die massive Persönlichkeitsstörung mit generalisiertem Schmerzsyndrom in Verbindung mit Tinnitus und Schlafstörungen hingewiesen.
In einer auf Wunsch des Klägers gefertigten Stellungnahme vom 16.10.2007 befürwortete der Psychiater T. eine Berentung. Zuletzt seien Zwangsrituale (Waschzwang) hinzugetreten. Seit kurzem sei der Kläger bereit, antidepressive Medikamente einzunehmen. Es bestünden keine kognitiven Ressourcen.
Die Beklagte ließ eine orthopädische Begutachtung durch Dr. P. am 04.12.2007 durchführen. Dieser diagnostizierte degenerative Veränderungen der HWS und LWS mit linksseitiger Lumboischialgie und rechtsseitigem C5/C6 Syndrom, eine Beinverkürzung links mit thorakolumbaler Skoliose, Senk- und Spreizfüße. Insgesamt habe sich kein schwerwiegender Befund ergeben. Unter orthopädischen Gesichtspunkten könne der Kläger als Kraftfahrer tätig sein sowie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig leichte bis mittelschwere Tätigkeiten verrichten.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid 09.01.2008 zurückgewiesen. Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch leichte Tätigkeiten zu ebener Erde, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne Überkopfarbeiten, ohne besonderen Zeitdruck (z.B. Akkord, Fließband) und ohne Schicht- und Nachtdienst mindestens sechs Stunden täglich ausüben. Die letzte Tätigkeit als Kraftfahrer sei in die Gruppe der ungelernten Arbeiter einzuordnen, so dass der Kläger auf alle ungelernten Tätigkeiten verwiesen werden könne.
Im nachfolgenden Klageverfahren (S 6 R 203/08) vor dem Sozialgericht München hat der Kläger eine sozialmedizinische Stellungnahme der Agentur für Arbeit vom 05.05.2008 vorgelegt. Darin wird unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des Psychiaters T. angegeben, dass der Kläger nicht in der Lage sei, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen.
Das SG hat die Schwerbehindertenakte beigezogen und eine Auskunft des letzten Arbeitgebers, der Firma S., eingeholt. Der Kläger verrichtete demnach einfache ungelernte Tätigkeiten (Reinigungsarbeiten) eines Hilfsarbeiters.
Aktenkundig sind auch Befundberichte/Arztbriefe des praktischen Arztes Dr. H. vom Juni 2008, des HNO-Arztes Dr. R. vom 23.06.2008, der Orthopäden Dr. W. vom 26.06.2008, Dr. F. vom 20.03.2007, Dr. W. vom 20.12.2006, Dr. W. vom 25.02.2008 und Dr. B. vom 12.07.2007.
Zur Aufklärung des Sachverhalts hat das Sozialgericht ein Gutachten bei der Nervenärztin Dr. P. in Auftrag gegeben. Diese hat den Kläger am 09.10.2008 untersucht und folgende Diagnosen gestellt:
- Anhaltende somatoforme Schmerzstörung, gemischte Angststörung, Zwangshandlungen bei kombinierter Persönlichkeitsstörung,
- Tinnitus bei Hochtonschwerhörigkeit,
- Hypertonie,
- degenerative Veränderungen HWS, LWS, Schultersteife rechts.
Bei der neurologischen Untersuchung seien keine Besonderheiten aufgefallen. Seit der letzten Begutachtung seien die Zwangshandlungen deutlicher. Wegen der degenerativen Veränderungen des Bewegungsapparates seien nur noch überwiegend leichte Tätigkeiten zumutbar ohne schweres Heben und Tragen, häufiges Bücken und Zwangshaltungen. Wegen des Tinnitus seien Tätigkeiten unter Lärmeinflüssen, mit ständigen Anforderungen an gutes Hörvermögen und häufiger Publikumsverkehr zu vermeiden. Durch die Schmerzen seien die nervliche Belastbarkeit, Ausdauer, Konzentrationsvermögen unterschiedlich eingeschränkt. Daher seien keine Tätigkeiten unter Zeitdruck, Akkord oder Fließbandbedingungen möglich. Die Tätigkeit als Kraftfahrer sollte deshalb nicht mehr ausgeübt werden.
Wegen der Ängste und Kontrollzwänge und der Neigung zu zwischenmenschlichen Konflikten sei eine geregelte Erwerbstätigkeit nur grenzwertig möglich. Dennoch habe der Kläger über Jahre hinweg im Erwerbsleben gestanden. Angesichts des Aktionsradius im Alltagsleben scheine eine sechsstündige Tätigkeit möglich. Dies gelte umso mehr als die Behandlungsmaßnahmen noch nicht ausgeschöpft seien, zB verhaltenstherapeutische Begleitung zur Angst- und Schmerzbewältigung. Auch der nochmalige Versuch einer Medikation sei sinnvoll. Insgesamt lasse sich derzeit noch nicht feststellen, dass eine leichte Tätigkeit zu Lasten der Restgesundheit gehen würde.
Auf Antrag des Klägers ist der Psychiater Dr. W. mit der Erstellung eines Gutachtens nach § 109 SGG beauftragt worden. Der Kläger gab dort u.a. an, dass er ca. drei Emails pro Tag bekomme. An sozialen Kontakten unterhalte er nur noch einen.
Aus den Selbsteinschätzungsskalen (Beck-Depressionsinventar, SASS, PHQ-D ) ergaben sich Hinweise für das Vorliegen einer schweren depressiven Symptomatik und Hinweise auf reduzierte soziale Aktivität. Im Untersuchungsbefund berichtet der Gutachter, dass die Wahrnehmung und Aufmerksamkeit herabgesetzt gewesen seien. Das Konzentrationsvermögen und der Antrieb seien reduziert gewesen. Der Kläger sei umstellungserschwert. Es liege diagnostisch eine mittelgradige depressive Episode ohne psychotische Symptome vor. Die Schmerzen und Somatisierungsstörungen seien bei Vorliegen einer mittelschweren Form der depressiven Störung inkludiert. Aufgrund von Defiziten der Aufmerksamkeit und Konzentration sei das Leistungsvermögen eingeschränkt. Inhaltliche Denkstörungen sowie ein gestörtes Selbstvertrauen, depressive Stimmung und Antriebsstörungen würden Leistungseinschränkungen begründen. Die Fähigkeiten Anpassung an Routine und Tagesstruktur, Flexibilität, Kompetenz, Durchhaltevermögen, Selbstbehauptung, Teilnahme an öffentlichen Rollen, die Kontaktfähigkeit zu Dritten seien gestört, so dass der Kläger nur noch drei bis unter sechs Stunden arbeiten könne. Es lägen Funktionseinbußen sowohl im beruflichen wie privaten Bereich vor. Der Kläger brauche mehrfach am Tag Pausen. Mit einer Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit sei nicht innerhalb von sechs Monaten zu rechnen.
Es habe eine verständliche Verdeutlichungstendenz des Klägers vorgelegen, die das Ergebnis eines fokussierten Symptombereichs sei.
Die Beklagte hat die sozialmedizinische Beurteilung des Psychiaters Dr. Sch. vorgelegt, wonach sich der Kläger angesichts der im Gutachten geschilderten Alltagsaktivitäten und Kompetenzen im Bereich durchschnittlicher Leistungsfähigkeit bewege.
Die neu ins Verfahren eingetretene Prozessbevollmächtigte hat u.a. auf eine rapide Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers hingewiesen und insoweit den Abhilfe-Bescheid im Schwerbehindertenverfahren (GdB 50) vom 11.12.2007 vorgelegt.
Die Klage ist mit Urteil auf die mündliche Verhandlung vom 27.08.2009 abgewiesen worden. Das Sozialgericht hat sich insbesondere auf die Aussagen des Klägers bei der Begutachtung durch Dr. P. bezogen, aus denen ein durchaus gutes körperliches Leistungsvermögen hervorgegangen sei. Auch wenn die Aussagen in der Verhandlung bestritten worden seien, seien diese glaubhaft. Auf die Frage der Gutachterin, was denn gegen leichte Sortier- und Montierarbeiten spreche, habe der Kläger entgegnet, er könne nicht in geschlossenen Räumen verweilen, sondern brauche Bewegung. Dies spreche für die Einschätzung, dass der Kläger noch leichte Arbeiten sechs Stunden und mehr verrichten könne. Der Kläger habe sich aus nichtgesundheitlichen Gründen von dem Beruf des Bäckers gelöst und sei zuletzt mit ungelernten Tätigkeiten beschäftigt gewesen, so dass er auf sämtliche Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden könne.
Zur Begründung der fristgerecht eingelegten Berufung hat sich der Kläger auf das Gutachten des Dr. W. berufen. Soweit sich das SG auf die Aussage stütze, er könne 500 m schwimmen und 30 km Radfahren, so stimme dies nicht. Er gehe zwar ins Hallenbad, verweile aber nur im Wasser zur Milderung seiner Beschwerden und "schwimme" nicht.
Der Senat hat ein Gutachten bei der Nervenärztin Dr. C. nach § 106 SGG in Auftrag gegeben. Diese hat den Kläger am 12.10.2010 untersucht. Dort hat der Kläger u.a. angegeben, dass er im Sommer 2009 von einem Tag auf den anderen seine ganze Kraft verloren habe.
Die Gutachterin hat festgehalten, dass die Muskulatur des Klägers insgesamt sehr kräftig ausgebildet gewesen sei. An den Händen hätten sich deutliche Arbeitsspuren gefunden. Der Kläger sei rotgesichtig als Folge von Frischluftexposition gewesen. Es habe eine deutliche Aggravation bestanden, die an Simulation gegrenzt habe. Angaben über eine Halbseitenstörung und eine Hyperpathie hätten nicht der Innervation entsprochen. Der Kläger habe nicht depressiv gewirkt. Er habe Ängste und Zwangshaftigkeit geschildert. Die vom Kläger geschilderte Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses habe sich in der Untersuchung nicht bestätigen lassen.
Die Gutachterin hat eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung bei einer Persönlichkeit mit emotional instabilen und demonstrativen Zügen, phobische Störung, Zwangsstörung und einen beidseitigen Tinnitus und Hochton-Schwerhörigkeit diagnostiziert. Auf neurologischem Gebiet habe ein HWS-Syndrom ohne Nachweis von radikulären Läsionen bestanden. Als Fremdbefund liege eine arterielle Hypertonie vor.
Die Beeinträchtigungen in Bezug auf die Schmerzstörung schätzt die Gutachterin als leicht- bis mittelgradig ein. Der Kläger könne nur noch leichte Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen bei wünschenswertem Haltungswechsel im Freien und in geschlossenen Räumen verrichten. Arbeiten unter Zeitdruck, im Akkord und in Wechselschicht sollten vermieden werden wie auch Arbeiten mit Zwangshaltungen, Überkopfarbeiten, im Bücken, im Knien und auf Leitern und Gerüsten. Die Gebrauchsfähigkeit der Hände sei nicht beeinträchtigt. Arbeiten bei starken Temperaturschwankungen sollten vermieden werden. Auch Publikumsverkehr sollte dem Kläger wegen mangelnder affektiver Steuerung nicht zugemutet werden. Die Wegefähigkeit sei erhalten. Die Ausdauer sei gut gewesen. Nervliche Belastbarkeit und Stresstoleranz seien vermindert. Die Auffassung und Merkfähigkeit seien bei der Untersuchung nicht vermindert gewesen. Bei der Prüfung der selektiven Aufmerksamkeit habe sich eine starke Verlangsamung gezeigt, die Ausdruck innerer Anspannung dh Ausdruck der Aggravationstendenz gewesen sei. Das Konzentrationsvermögen könne durch die verminderte affektive Steuerung vermindert sein. Die Verlangsamung sei durch zumutbare Willensanpassung überwindbar. Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit seien nicht eingeschränkt. Vom Kläger könne erwartet werden, dass er die psychischen Störungen aus eigener Kraft überwinde. Die dazu erforderliche Willensanpassung sei zumutbar.
Leichte Tätigkeiten könne er sechs Stunden am Tag verrichten. Es sei wenig wahrscheinlich, dass die Minderung behoben werden könne. Eine Besserung des Leistungsvermögens sei durch pharmakologische Behandlung möglich; diese lehne der Kläger aber ab.
Im neuropsychologischen Zusatzgutachten der Diplom-Psychologin T. vom 15.02.2010 sind die Ergebnisse testpsychologischer Verfahren geschildert. Zusammenfassend habe sich eine wenig spontane Arbeitsweise, deutliche Verlangsamung, negative Leistungserwartung und antizipierte Überforderung gezeigt. Selbstbeurteilte psychische Beschwerden seien überall stark bis extrem ausgeprägt gewesen. Das sehr auffällige Beschwerdeprofil deute auf eine Betonung bestehender psychischer Beschwerden hin. Vergleichbare Ergebnisse lägen auch aus dem Jahr 2004 vor (Klinik A.).
Die Bevollmächtigte des Klägers hat einzelne Angaben des Gutachtens kritisiert und die Sachverständige als voreingenommen bezeichnet. Der Kläger erkläre sich bereit, sich zum Beweis fehlenden Muskelaufbaus von einem Sportarzt untersuchen zu lassen.
Auf Antrag des Klägers ist ein weiteres nervenärztliches Gutachten nach § 109 SGG bei Dr. H. eingeholt worden (Gutachten vom 05.10.2010, Untersuchung vom 01.10.2010). Der Gutachter hat folgende Diagnosen gestellt:
- WS-Syndrom mit Betonung im Bereich der HWS und LWS ohne neurologische Ausfälle,
- Tinnitus,
- Neurotische Entwicklung mit depressiver Verstimmung und Angst und begleitenden psychosomatischen Beschwerden in Form einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung bei kombinierter Persönlichkeitsstörung.
Ein Wirbelsäulensyndrom der HWS und LWS habe nicht zu neurologischen Ausfällen geführt. Die Parästhesien am rechten Arm seien wohl Ausdruck einer Wurzelreizsymptomatik, ein CTS sei jedenfalls nicht nachweisbar. Die Muskeltrophik beschrieb der Gutachter als auffällig kräftig.
Es habe sich kein Hinweis auf eine hirnorganische Erkrankung als Ursache des Tinnitus ergeben. Bei der Untersuchung habe sich ein dysphorisch depressives Syndrom mit innerer Anspannung und Angstsymptomatik gezeigt. Diese Diagnose werde durch testpsychologische Untersuchungen der Vorgutachter gestützt. Mnestische Störungen seien nicht fassbar gewesen. Das dysphorische depressive Syndrom sei etwas deutlicher ausgeprägt als von Dr. P. angenommen, aber nicht ausgeprägter als bei Dr. W ...
Hinsichtlich der Schmerzen sei von einem hohen psychosomatischen Anteil auszugehen, daher sei in Übereinstimmung mit den Vorgutachtern die Diagnose einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung zu stellen. Die Störungen des Klägers dürften auch durch ein mehr oder minder unbewusstes Streben nach sekundärem Krankheitsgewinn durch Rentengewährung aufrecht erhalten werden. Der Gesundheitszustand habe sich gegenüber den Vorgutachten nicht wesentlich geändert. Eine Antriebsstörung, die die Aufnahme einer Berufstätigkeit verhindern könne, sei nicht objektiv fassbar. Auch die kognitive Leistungsfähigkeit sei ausreichend für mindestens sechs Stunden. Bezüglich der depressiven Verstimmung könne sich durch eine Beschäftigung sogar eine Besserung ergeben. Bei der Bewertung der Leistungsfähigkeit bei chronischen Schmerzerkrankungen seien auch die Angaben zur üblichen Lebensgestaltung zu berücksichtigen. Die Schilderungen des Tagesablaufs würden gegenüber denen bei Dr. P. deutlich anders ausfallen. Der Kläger habe nun über weitgehende Inaktivität berichtet. Der Kläger habe aber wohl im Laufe der Begutachtungen erfahren, dass diese Gesichtspunkte einfließen würden. Von den objektivierbaren Untersuchungsbefunden ausgehend halte er eine Minderung der zeitlichen Leistungsfähigkeit auf weniger als sechs Stunden täglich für nicht belegbar. Der Gutachter Dr. W. sei zu seiner anderen Einschätzung wohl deshalb gekommen, weil er die eigenen Angaben des Klägers stärker gewertet habe wie auch aufgrund schwer objektivierbarer testpsychologischer Diagnostik.
Besonderen Anforderungen an das Verantwortungsbewusstsein und die Gewissenhaftigkeit seien nicht möglich. Die Ausdauer sei vermindert, so dass keine überlangen Arbeitszeiten zumutbar seien. Übliche Anmarschwege seien zumutbar. Zusätzliche Pausen seien nicht erforderlich. Die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit seien gegeben. Der Kläger sei in der Lage, seine psychischen Hemmungen gegen eine Arbeitsleistung mit zumutbarer Willensanspannung und ärztlicher Hilfe zu überwinden.
In einem Bericht des Bezirkskrankenhauses K-Stadt über den stationären Aufenthalt des Klägers vom 17.03. bis zum 04.04.2011 werden an Diagnosen angegeben:
- Rezidivierende depressive Störung,
- Somatoforme Schmerzstörung,
- Kombinierte Persönlichkeitsstörung.
In einem weiteren Entlassungsbericht des Bezirkskrankenhauses - Abteilung D. - über den Aufenthalt vom 04.04.2011 bis 06.04.2011 wird u.a. die Angabe des Klägers mitgeteilt, dass er nun eine Wohnung in A-Stadt habe, aber es ihm dort nicht gefalle, da seine ganzen Freunde in B-Stadt seien. Der Kläger habe einen unklaren Ganzkörperschmerz angegeben, dies wirke objektiv äußerst unglaubwürdig, da er sich völlig unauffällig bewege, keine genauere Schmerzbeschreibung geben könne und auch die Mimik nicht dafür spreche. Die kognitiv-mnestischen Funktionen seien regelrecht. Schon zu Beginn der Behandlung sei aufgefallen, dass das Verhalten des Patienten nicht zu den beklagten Symptomen passe.
Der Senat hat bei den vom Kläger benannten Arbeitgebern (Fa. I., Fa. B., Fa. D.), bei denen dieser seit 1997 tätig war, Auskünfte eingeholt. Darin werden Tätigkeiten als LKW-Fahrer und Tankwagenfahrer mit Anlernzeiten von 3 Monaten genannt.
In der mündlichen Verhandlung am 30. November 2011, in der der Kläger persönlich anwesend war, hat der Klägerbevollmächtigte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 27. August 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 31. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Januar 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
Die Vertreterin der Beklagten hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Akten des gerichtlichen Verfahrens verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat zu Recht die Klage gegen den Bescheid vom 31.07.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2008 abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den 1960 geborenen Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1, 2 SGB VI zu. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI ist nicht begründet, da der Kläger auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar ist.
Teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs bzw. drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Der Kläger ist nach den überzeugenden Bewertungen der Dr. P., der Dr. C. mit Zusatzgutachten T. und des Dr. H. noch in der Lage, eine sechsstündige Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Auch die im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten des Nervenarztes Dr. G., der Allgemeinärztin R. und des Orthopäden Dr. P., die im Rahmen des Urkundsbeweises herangezogen werden können, sprechen für diese Einschätzung
Dagegen folgt der Senat nicht der abweichenden Einschätzung der Reha-Klinik B., in der sich der Kläger vom 16.01.2007 bis 27.02.2007 aufgehalten hat, und auch nicht dem Gutachten des Dr. W ...
Der Schwerpunkt der Erkrankungen liegt nach der Beweiserhebung auf nervenärztlichem Gebiet; dort ist insbesondere die Diagnose der somatoformen Schmerzstörung einzuordnen.
Die Störungen der Wirbelsäule stellen nach fachärztlicher Einschätzung durch den Orthopäden Dr. P., der auch radiologische Befunde auswertete, keinen schwerwiegenden Befund dar. Weder bei der neurologischen Untersuchung der Dr. P. noch bei Dr. C. wurden Nervenschäden, Paresen oder objektiv belegbare Sensibilitätsstörungen festgestellt. Sie sah außerdem eine freie Beweglichkeit der HWS - wie zuvor auch Dr. W. - und diagnostizierte ein HWS-Syndrom ohne Nachweis radikulärer Läsionen. Bei Dr. H. waren die Bewegungen der HWS in allen Richtungen schmerzhaft eingeschränkt, auch er bestätigte aber, dass das Wirbelsäulensyndrom mit Betonung im Bereich der HWS und der LWS nach den Untersuchungen nicht zu neurologischen Ausfällen geführt hat. Die körperlichen Erkrankungen wie das Wirbelsäulensyndrom sind nach schlüssig dargestellter Ansicht des Gutachters nicht so ausgeprägt, dass sich hieraus eine ausreichende Erklärung der Schmerzsymptomatik ergeben würde.
Die Schulterbeschwerden des Klägers haben offenbar wechselnden Charakter und verursachen keine gravierenden funktionellen Auswirkungen. So hat der Orthopäde Dr. W. im Arztbrief vom Februar 2008 festgehalten, dass die Schulter frei beweglich war. Der Orthopäde Dr. F. hat am 20.03.2007 erklärt, dass die rechte Schulter trotz Beschwerden einen unauffälligen Befund zeigte. Auch Dr. P. sah eine freie Beweglichkeit der Gelenke der oberen und unteren Extremitäten.
Die vom Kläger bei Dr. P. angegebene Sensibilitätsminderung der gesamten rechten Hand ließ sich keiner organischen Läsion zuordnen. Die Angaben einer Halbseitenstörung und einer Hypalgesie am rechten Unterarm sah die Gutachterin Dr. C. vielmehr als psychogen an. Dr. H. erwähnt ausdrücklich, dass normale Gebrauchsfähigkeit der Hände gegeben ist.
Dr. P. sah den Kläger überzeugend noch in der Lage, leichte bis mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben und hielt ihn aus orthopädischer Sicht auch noch für fähig, den Beruf des Kraftfahrers weiter auszuüben.
Aufgrund der Störungen am Bewegungsapparat erscheint es plausibel, dass ein Wechsel der Körperhaltungen nötig und kein schweres Heben und Tragen, kein häufiges Bücken und keine Zwangshaltungen zumutbar sind. Soweit Dr. C. darunter auch Arbeiten auf Leitern und Gerüsten fasst, ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Kläger nach Dr. H. den üblichen Anforderungen an den Gleichgewichtssinn durchaus gewachsen ist.
Auch bei dem Tinnitus des Klägers ist offenbar eine psychosomatische Komponente gegeben. Eine hirnorganische Erkrankung konnte als Ursache ausgeschlossen werden. Der behandelnde HNO-Arzt Dr. R. hat in einem Bericht vom 06.12.2007 darauf hingewiesen, dass eine deutliche Diskrepanz zwischen objektivem Hörbefund und subjektivem Leidensdruck durch den Tinnitus besteht. Bezüglich der Schwerhörigkeit hat Dr. H. darauf hingewiesen, dass die sprachliche Verständigung über etwa 2 bis 3 m gut möglich war.
Die Gutachter leiten aus dem Tinnitus und der Hochtonschwerhörigkeit nachvollziehbar eine Leistungseinschränkung für Tätigkeiten mit starker Lärmbelastung ab.
Soweit beim Kläger auch ein erhöhter Blutdruck aktenkundig ist, nimmt er deshalb jedenfalls keine Tabletten ein. Der Kläger selbst hat Dr. H. hierzu mitgeteilt, dass der Blutdruck nach Auffassung seines Hausarztes von seiner psychischen Verfassung abhänge.
An weiteren Störungen sind noch Zähneknirschen und ein Exzem aktenkundig. Letzteres hat der Kläger zunächst ausdrücklich bestritten. Erst als Dr. C. Arbeitsspuren an den Händen bemerkt hat, hat er sich selbst zur Erklärung auf ein Ekzem berufen.
Beim psychischen Befund besteht bei den Gutachtern Einigkeit über die Diagnose einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit Angst und Zwangshandlungen und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Unterschiedliche Auffassungen liegen über das Vorhandensein und den Schweregrad einer Depression vor. Nach Überzeugung des Senats erreichen die psychischen Beeinträchtigungen jedenfalls kein solches Ausmaß, dass daraus eine quantitative Leistungseinschränkung abzuleiten wäre.
Er folgt insoweit nicht der Einschätzung des Gutachters Dr. W., der eine Tätigkeit lediglich im Umfang von drei bis sechs Stunden für möglich gehalten hat. Der Sachverständige hat dieser Bewertung insbesondere Selbsteinschätzungsskalen des Klägers zugrunde gelegt, bei denen sich Hinweise für das Vorliegen einer schweren depressiven Symptomatik ergaben. Dr. H. hat hierzu überzeugend hingewiesen, dass diese Art der Diagnostik schwer objektivierbar ist. Im Zusatzgutachten der Diplompsychologin Dr. T. wird außerdem ausgeführt, dass die extreme Ausprägung der selbstbeurteilten psychischen Beschwerden auf eine Betonung bestehender Beschwerden hindeutet. Es ist dabei auch nicht auszuschließen, dass der Kläger sich bei seinen Angaben an einem überdurchschnittlich hohen Maßstab betreffend Antrieb und Leistungsfähigkeit ausgerichtet hat. Hierauf hat Dr. Sch. hingewiesen; der Kläger war nach eigenen Angaben früher sehr sportlich und hat verschiedene Berufe zum Teil im Ausland ausgeübt.
Zu berücksichtigen ist nach Dr. H. auch, dass ein mehr oder minder unbewusstes Streben nach sekundärem Krankheitsgewinn eine Rolle bei der Aufrechterhaltung und Beschreibung von Symptomen spielen kann. Dr. G. stellte bei seiner Begutachtung im März fest, dass der Kläger leistungsbereit und willensstark wirke, und vermutete, dass die negative Bestärkung seitens verschiedener Therapeuten den Kläger darin unsicher werden ließ.
Auch im Entlassungsbericht der Rehaklinik in B. wird ausdrücklich erklärt, dass die Perspektive einer Rentengewährung beim Kläger in den Fokus geraten sei.
Die subjektiven Angaben zum Ausmaß der Beeinträchtigungen kommt daher keine ausschlaggebende Bedeutung zu.
Dr. P. hat insoweit darauf hingewiesen, dass der Kläger trotz der bereits seit Kindheit entwickelten Persönlichkeitsstörung immerhin in der Lage gewesen sei, über Jahre hinweg im Erwerbsleben zu stehen.
Auch die Angaben des Klägers zu seinen Alltagsaktivitäten sprechen gegen eine quantitative Leistungseinschränkung. Es ist u.a. von Cafe- und Kneipenbesuchen, dem regelmäßige Besuch des Hallenbads, Radfahren, dem Halten von Schlangen oder dem Besuch einer Schlangebörse die Rede. Der Kläger hat zwar diese Angaben zum Teil bestritten oder relativiert. Die Angaben über die Strecke von 30 km Fahrradfahren und den Besuch des Hallenbads mit der Angabe von einer maximalen Schwimmstrecke von 500 m finden sich aber sowohl bei Dr. P. als auch bei Dr. W ... Auch bei Dr. W. hat der Kläger eine durchaus gewöhnliche Tagesstruktur und Aktivitäten (Einkauf von Putzmitteln, Bankbesuch, Information über Parkplätze im Internet, Frühstück und selbst zubereitetes Abendessen) beschrieben, die die Wertung des Gutachters, es bestünden Schwierigkeiten, häusliche Aktivitäten durchzuführen und eine gestörte Fähigkeit, sich an eine Tagesstruktur anzupassen, gerade nicht in gravierendem Ausmaß belegen.
Bei Dr. C. erklärte der Kläger, dass er seit Sommer 2009 nur noch herumsitze. Diese Angaben alleine belegen jedoch nicht, dass es bei dem Kläger zu einer gravierenden Verschlimmerung gekommen wäre. Eine gravierende Verschlimmerung des psychopathologischen Befunds in der Untersuchungssituation haben weder Dr. C. noch Dr. H. gesehen. Dr. C. hat insbesondere auch auf die kräftige Muskulatur, deren Beschreibung sich auch in anderen Gutachten findet, hingewiesen. Eine völlige Inaktivität hätte eine Muskelatrophie zur Folge haben müssen. Auch gab sie an, dass der Kläger eine Gesichtsfarbe habe, für die Exposition von Frischluft spreche.
Auch die Angaben des Klägers zu seinen sozialen Kontakten erscheinen nicht stringent und plausibel. Dr. W. ging von der Angabe des Klägers aus, dieser unterhalte nur noch einen sozialen Kontakt, und nahm deshalb eine gestörte Kontaktfähigkeit an. Allerdings hat sich der Kläger selbst bei Dr. H. als eher introvertiert, aber doch noch kontaktfähig beschrieben. In den Gutachten und Berichten werden auch immer wieder Personen aus dem Umfeld des Klägers genannt.
Insbesondere enthält auch der Bericht des BKH D. über den Aufenthalt des Klägers vom 04.04.2011 bis 06.04.2011 die Angabe, dass der Kläger guten Kontakt zu den Mitpatienten aufgenommen habe und in deren Runde entspannt gewirkt habe. Außerdem heißt es darin, dass es dem Kläger in A-Stadt nicht gefalle, da seine ganzen Freunde in B-Stadt seien.
Der o.g. Bericht stellt darüber hinaus auch die Schmerzstörung und die Depressivität des Klägers in Frage. Der Kläger wird darin als "vital" beschrieben, Psychomotorik und Antrieb waren unauffällig. Die Angabe des Ganzkörperschmerzes wird deutlich als objektiv unglaubwürdig bewertet.
Eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens steht daher nicht zur Überzeugung des Senats fest.
Aus den psychischen Störungen können lediglich qualitative Leistungseinschränkungen abgeleitet werden. So mögen Arbeiten unter Zeitdruck, Akkord- oder Fließbandbedingungen und generell psychisch belastende Tätigkeiten ausgeschlossen sein. Wegen des Tinnitus ist auch häufiger Publikumsverkehr nicht zumutbar. Der Ausschluss jeglichen Publikumsverkehrs erscheint aber angesichts der verbliebenen Kontaktfähigkeit nicht nachvollziehbar.
Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden allgemeinen Arbeitsmarktes keine Tätigkeit finden würde. Denn bei ihm liegen weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung (vgl. BSGE 80, 24) vor.
Als solche schwere Einschränkungen gelten etwa besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz (BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 104, 117), solche sind aber nach der Beweislage nicht anzunehmen. Dr. H. sieht ausreichende Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit.
Auch ein Anspruch nach § 240 SGB VI ist nicht gegeben. Zwar ist der Kläger noch vor dem darin enthaltenen Stichtag des 02.01.1961 geboren. Ihm steht aber nach den letzten Arbeitgeberberichten kein Berufsschutz zu.
Der Kläger hat seinen erlernten Beruf als Bäcker bereits frühzeitig vor Ausbruch seiner Gesundheitsstörungen aufgegeben. Zuletzt war er als LKW-Fahrer bei verschiedenen Firmen eingesetzt. Wie sich aus den klägerischen Angaben bei Dr. G. ergibt, verfügt der Kläger über keine spezielle Ausbildung auf diesem Gebiet. Die bei den angegebenen Arbeitgebern erhältlichen Auskünfte nennen einfache Transporttätigkeiten und eine Anlernzeit von 3 Monaten.
Selbst wenn aufgrund der früheren langjährigen Tätigkeit als LKW-Fahrer auch im Gefahrgutbereich ein Berufsschutz als oberer Angelernter zugestanden würde, so wären dem Kläger nach Auffassung des Senats jedenfalls noch mindestens sechs Stunden täglich Tätigkeiten als Registrator zumutbar. Wie in den Entscheidungen des BayLSG v. 6. Oktober 2010 (L 13 R 596/09) und v. 30. März 2011 (L 13 R 144/09, juris) dargelegt ist, ist die Tätigkeit eines Registrators als körperlich leichte Tätigkeit zu qualifizieren, welche bereits aus arbeitsorganisatorischen Gründen im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen verrichtet wird. Schweres Heben und Tragen wird nicht gefordert, da in den Registraturen die erforderlichen Hilfsmittel (Registraturwagen, Ablagemöglichkeiten etc.) in der Regel vorhanden sind. Unerheblich ist, dass in Einzelfällen das Heben und Tragen von Lasten bis zu 5 kg anfallen, Arbeiten auf Stehleitern und Zwangshaltungen wie Überkopfarbeiten anfallen könnten. Die körperlichen Belastungen hängen insoweit weitgehend von der jeweiligen Arbeitsplatzgestaltung und der Arbeitsplatzorganisation ab; folglich sind das Handhaben schwerer Aktenvorgänge, Zwangshaltungen und das Arbeiten auf Leitern nicht generell mit der Tätigkeit eine Registraturkraft verbunden.
Angesichts der geringen tatsächlichen orthopädischen Störungen des Klägers erscheinen derartige Verrichtungen möglich. Der Senat hat auch keinen Zweifel, dass sich der Kläger auf Tätigkeiten als Registrator innerhalb von drei Monaten einarbeiten kann. Dies entspricht der Einarbeitungszeit für eine Registraturkraft, wobei Vorkenntnisse weitgehend ohne Bedeutung sind. An die geistigen Anforderungen einer Tätigkeit als Registraturkraft werden keine über das normal übliche Maß hinausgehende Ansprüche gestellt. Soweit der Arbeitsplatz mit einem vernetzten PC ausgestattet ist, können sich auch Beschäftigte ohne Vorkenntnisse die erforderlichen grundlegenden Kenntnisse innerhalb der Einarbeitungszeit aneignen (vgl. BayLSG, a.a.O.). Hier hat der Kläger selbst angegeben, dass er einen PC hat und ihn bedienen kann. Bei Arbeitsplätzen in der Registratur handelt es sich auch nicht um typische Schonarbeitsplätze, für die der Arbeitsmarkt als verschlossen anzusehen wäre; solche Arbeitsplätze sind in nennenswertem Umfang vorhanden und auch zu besetzen (vgl. BayLSG, a.a.O.).
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten (§ 193 SGG).
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
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