Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 1546/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 1723/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 17.03.2011 und der Bescheid der Beklagten vom 07.01.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.04.2009 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.10.2008 bis 30.09.2014 sowie eine unbefristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01.10.2008 bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze zu gewähren.
Im Übrigen werden die Berufungen des Klägers und der Beklagten zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.
Der am 04.08.1953 in der früheren UdSSR geborene Kläger erlernte in seinem Herkunftsland den Beruf eines Rundfunk- und Fernsehtechnikers, wobei er wegen der Abberufung zum Wehrdienst die Ausbildung nicht abschließen konnte. Nach dem Ende seines Wehrdienstes arbeitete er 17 Jahre lang in einer Rüstungsfabrik als Lasertechniker. Im August 1988 siedelte er in die Bundesrepublik Deutschland über. Hier arbeitete er von 1989 bis 1999 bei der Firma W. GmbH Werkzeugbau zunächst als Säger und Rohmaterialverwalter und später als Elektrotechniker, sodass er im Dezember 1997 in die Tariflohngruppe 5 (bisher 3) eingruppiert wurde. Zu seinem Tätigkeitsfeld zählte die elektrische Instandhaltung bzw Reparatur der Anlagen. Von 1999 bis 2001 nahm er nach eigenen Angaben an einer Umschulung der Agentur für Arbeit teil. Im Anschluss daran war er von 2001 bis September 2005 als Elektriker bei der Firma B.-t. GmbH beschäftigt. Nach Arbeitslosigkeit nahm er dann ab dem Jahr 2007 eine Tätigkeit bei einer Zeitarbeitsfirma auf, die ihn bei einer Medizintechnikfirma als Elektriker einsetzte. Seit Februar 2008 ist der Kläger - nach eigenen Angaben aufgrund eines Schlaganfalls - arbeitsunfähig erkrankt, weshalb er vom 24.07. bis 31.10.2008 Krankengeld bezog. In den Jahren zuvor erlitt er bereits durch einen Motorradunfall einen fünffachen Schädelbruch und durch ein Trauma eine Mittelgesichtsfraktur. In der Zeit vom 06.10.2003 bis 07.10.1008 wurden mehr als drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder aufgrund des Bezugs von Lohnersatzleistungen im Sinne des § 3 Satz 1 Nr 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) entrichtet; insgesamt sind Beitragszeiten von mehr als fünf Jahren vorhanden.
Vom 25.06. bis 23.07.2008 nahm er an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in der Reha-Klinik K. teil. Dr D. gab im Entlassungsbericht vom 24.07.2008 folgende Diagnosen an: Verdacht auf Zustand nach Ischämie im Hirnstammbereich (05./06.02.2008), dringender Verdacht auf somatisierte Depression und Angststörung, Verdacht auf dekompensierte Esophorie (Siccasyndrom beidseits), Zustand nach schwerem SHT und Contusio cerebri 1994 mit Residualsymptom, Zustand nach Contusio cerebri 1980, OSG-Arthrose rechts, Knick-Senk-Füße beidseits, Fettstoffwechselstörung und Adipositas. Die Tätigkeit als Betriebselektriker könne der Kläger nur noch unter drei Stunden täglich verrichten. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts könne er unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen sechs Stunden und mehr täglich verrichten. Der Kläger habe über Schwindel, Doppelbilder und unspezifische Gesichtsfeldeinschränkungen geklagt. Er habe jedoch angegeben, abends an fünf Tagen in der Woche für zwei bis drei Stunden am Laptop zu sitzen, um nach beruflichen Informationen im Internet zu recherchieren. Er wurde zunächst als arbeitsunfähig entlassen.
Am 07.10.2008 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung gab er an, er sei seit dem 06.02.2008 erwerbsgemindert. Er leide an einem schweren Tinnitus rechts, an Konzentrationsschwierigkeiten, an Sehkraftverlust, an starkem Schwindel, seine rechte Gesichtshälfte sei taub bzw steif. Die linke Gesichtshälfte sei überempfindlich und teilweise gelähmt, er sehe Doppelbilder und habe starke Kopfschmerzen. Die Beklagte ließ den Kläger fachärztlich untersuchen und holte das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie G. vom 16.12.2008 ein. Dieser gab an, das Gangbild sei einschließlich erschwerter Gangproben völlig sicher und frei gewesen. Der Kläger habe ausgeführt, dass sein Hobby der Garten sei und er auch kleine Strecken mit seinem Auto selbst fahre. Der Gutachter gelangte für den Kläger zu folgenden Diagnosen: Somatisierungsstörung, Angabe von Doppelbildern bei Verdacht auf dekompensierte Esophorie und Abducensparese links unklarer Genese, Verdacht auf Zustand nach Ischämie im Hirnstammbereich (Februar 02/2008), Zustand nach angegebenem Schädelhirntrauma (Unfall als Beifahrer 1975) und Hörminderung rechts mit wechselndem Tinnitus. Als Betriebselektriker könne der Kläger nur noch drei bis unter sechs Stunden täglich arbeiten. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten könne der Kläger ohne besonderen Zeitdruck, ohne besondere Beanspruchung des Hörvermögens, ohne besondere Beanspruchung des Sehvermögens, ohne überwiegend einseitige Körperhaltung, ohne Absturzgefahr, ohne häufiges Heben, Tragen oder Bewegen schwerer Lasten und ohne Belastung durch Zugluft und Lärm sechs Stunden und mehr täglich verrichten. Innerbetriebliche Erleichterungen sollten geprüft werden. Zudem seien Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben angezeigt. Mit Bescheid vom 07.01.2009 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab. Mit dem vorhandenen Leistungsvermögen könne der Kläger im erlernten Beruf als Betriebselektriker Tätigkeiten im Umfang von mindestens drei bis unter sechs Stunden täglich sowie in einer zumutbaren Verweisungstätigkeit als Prüffeld- und Montageelektriker im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich ausüben. Da der Arbeitsmarkt nicht verschlossen sei, liege weder eine volle noch eine teilweise Erwerbsminderung bzw Berufsunfähigkeit vor. Die übrigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien hingegen erfüllt.
Hiergegen legte der Kläger am 14.01.2009 Widerspruch ein, den die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr M. dahingehend begründete, dass der Kläger "es nicht aushalte", wenn zwei bis drei Menschen um ihn seien. Bei leichten Geräuschen träten verstärkt Kopfschmerzen auf. Er klage über eine Hörminderung, ein Taubheitsgefühl der rechten Gesichtshälfte, eine Sehstörung, ein Gefühl als "ob das Gehirn lose sei", Konzentrationsstörungen sowie über Tinnitus mit Ein- und Durchschlafstörungen. Die Situation habe sich in letzter Zeit verschlechtert. Eine stationäre Behandlung vom 15.09. bis 05.11.2008 in der Psychiatrie des Krankenhauses F. sei ohne Erfolg gewesen, weshalb auch eine Erwerbstätigkeit nicht vorstellbar sei. Nachdem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie G. nochmals am 27.02.2009 Stellung genommen hatte, wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch des Klägers zurück (Widerspruchsbescheid vom 22.04.2009). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger könne als Betriebselektriker drei bis unter sechs Stunden täglich arbeiten. Leichte bis mittelschwere Arbeiten könne er unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Gleiches gelte für die Verweisungstätigkeiten als Prüffeld- und Montageelektriker. Auch Berufsunfähigkeit liege daher nicht vor.
Hiergegen hat der Kläger am 13.05.2009 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, ihm sei ständig schwindlig. Der Schwindel verstärke sich, sobald er sich auch nur leicht konzentrieren müsse. Daher sei es ihm kaum möglich, sich mit seinem Rechtsanwalt zu besprechen. Sobald er sich konzentrieren müsse, bekomme er starke Kopfschmerzen und verliere an Sehkraft. Deshalb könne er auch die von der Beklagten genannten Verweisungstätigkeiten nicht mehr ausüben. Außerdem sei er durch seine häufigen Schmerzen im Fuß sehr beeinträchtigt. Er leide immer wieder an Lähmungsgefühlen im Fuß. Seine Wegefähigkeit sei daher deutlich eingeschränkt. Auch träten am Fuß immer wieder schwarze Flecken auf, deren Ursache bis heute nicht habe festgestellt werden können. Nach dem Klinikaufenthalt in F. habe sich sein Gesundheitszustand deutlich verschlechtert. Inzwischen sei auch seine rechte Gesichtshälfte gelähmt. Aus diesem Grund trete immer wieder unkontrolliert Speichel aus seinem Mund. Darüber hinaus sei er im Hinblick auf das Mehrstufenschema des Bundessozialgerichts (BSG) als Facharbeiter einzuordnen, da er jahrelang als Betriebselektriker gearbeitet habe.
Das SG hat zunächst Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung von sachverständigen Zeugen. Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr W. hat mitgeteilt (Auskunft vom 14.08.2009), der Kläger beschreibe ein komplexes psychosomatisches Beschwerdebild. Er leide an einer Somatisierungsstörung und an einem Zustand nach Hirnstammischämie. Er habe den Kläger allerdings nur einmal untersucht. Er könne sich nicht vorstellen, dass der Kläger eine gewinnbringende Tätigkeit von mehr als sechs Stunden pro Tag verrichten könne. Dr M. hat angegeben (Auskunft vom 14.08.2009), der Kläger sei am 06.02.2008 mit der akuten Symptomatik von Doppelbildern, Verschwommensehen, schmerzhafter linker Kopfhälfte und Übelkeit erschienen. Er sei dann notfallmäßig in der Augenklinik vorgestellt worden, wo der Verdacht einer dekompensierten Esophorie geäußert worden sei. Eine Belastbarkeit für sechs Stunden täglich liege nicht vor. Dr M. hat ihrer Auskunft zahlreiche Arztbriefe beigefügt. Facharzt für Orthopädie Dr S. hat mitgeteilt (Auskunft vom 18.08.2009), alleine wegen der Funktionsbehinderung im Bereich des rechten Sprunggelenkes bestehe keine Einschränkung für eine leichte überwiegend sitzende Tätigkeit. Facharzt für Neurologie und Psychiatrie G. hat ausgeführt (Auskunft vom 01.09.2009), der Kläger leide an einer Somatisierungsstörung. Aus seiner Sicht bestünden keine Bedenken gegen die Beurteilung, der Kläger könne noch leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich verrichten.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das SG das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr M. vom 13.03.2010 eingeholt. Die orientierende allgemeine neurologische Untersuchung habe multiple Hirnnervenausfälle mit Doppelbildern, eine komplexe Okulomotorikstörung und eine inkomplette Gesichtslähmung rechts erbracht. Auch sei das Gehör rechts deutlich gemindert und die rechte Hand zeige eine Atrophie der kleinen Handmuskulatur mit deutlicher Schwäche und Gefühlsstörung im Ulnarisversorgungsgebiet. Die Beweglichkeit im Sprunggelenk rechts sei aufgehoben und die Beweglichkeit der Wirbelsäule reduziert. Es habe sich eine ataktische Gangstörung bei reduziertem Hackengang rechts gezeigt. Eine Störung des Sehens sei klinisch jedoch nicht nachweisbar gewesen. Das Gangbild sei "unsicher und flüssig" gewesen. Eine leichte Tendenz zur Verdeutlichung sei nachzuweisen und erscheine kulturell geprägt. Zusammenfassend liege aktuell eine leichte hirnorganische Störung mit Antriebsminderung, leichte Verhaltensauffälligkeiten mit haftendem, teils distanzlosem Verhalten sowie eine ausgeprägte Tendenz zur Somatisierung von Krankheitswert vor. Der Kläger leide mithin auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet an einem leichten hirnorganischen Syndrom und Wesensänderung nach Verkehrsunfall mit rechtsparietalem Defekt, Doppelbildern und Verschwommensehen beim Blick nach rechts und oben bei Abduktionsschwäche des rechten Auges, Hörminderung rechts, Gesichtsentstellung mit inkompletter Fazialisparese rechts, Gefühlsminderung linke Gesichtshälfte, Gebrauchsminderung der rechten mit Atrophie der kleinen Handmuskulatur, Kraftminderung und Gefühlsstörung bei operiertem Sulcus-Ulnaris-Syndrom mit Defektheilung, Bewegungseinschränkung der LWS mit Fingerbodenabstand von 40 cm, Bewegungseinschränkung des Sprunggelenks rechts mit gemindertem Hackengang und ataktischer Gangstörung mit Fallneigung bei komplexen Gangstörungen. Der Kläger könne nur noch unter drei Stunden täglich arbeiten. Hierbei handle es sich um einen Dauerzustand. Eine Tätigkeit als Betriebselektriker könne definitiv ausgeschlossen werden.
Für die Beklagte hat Neurologe Dr W. am 29.03.2010 zu dem Gutachten Stellung genommen. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 26.06.2010 hat Dr M. ausgeführt, der Kläger könne auch die Verweisungstätigkeit als Pförtner an der Nebenpforte nicht mehr ausüben. Hierzu hat die Beklagte die Stellungnahme des Dr W. vom 09.07.2010 vorgelegt.
Mit Urteil vom 17.03.2011 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 07.01.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.04.2009 verurteilt, dem Kläger unbefristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die Zeit ab 01.10.2008, längstens bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, sowie befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.10.2008 bis 30.09.2011 zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, beim Kläger liege dauerhaft nur noch ein Leistungsvermögen von drei bis unter sechs Stunden für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vor. Der Kläger leide an einem komplexen psychosomatischen Beschwerdebild. Auch leichte Tätigkeiten als Pförtner, Mitarbeiter einer Poststelle oder als Bürohilfskraft könne er nicht mehr vollschichtig ausüben. Den Ausführungen des Dr M., wonach der Kläger nur noch unter drei Stunden täglich arbeiten könne, überzeugten nicht. Im Wege der Beweiswürdigung komme einer tatsächlich ausgeübten beruflichen Tätigkeit grundsätzlich ein hoher Beweiswert zu. Der Kläger habe bis ins Jahr 2008 trotz der glaubhaft geschilderten Einschränkungen des Seh-, Konzentrations- und Hörvermögens einer geregelten vollschichtigen Arbeit als Betriebselektriker nachgehen können. Auch wenn der Kläger die Beschwerden über lange Zeit kompensiert habe, könne von einem vollständig aufgehobenen Leistungsvermögen im Zeitpunkt der Rentenantragstellung nicht ausgegangen werden. Ein objektivierbarer Nachweis für eine zwischenzeitlich eingetretene wesentliche Befundänderung auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet sei den vorliegenden Unterlagen nicht zu entnehmen. Allerdings sei davon auszugehen, dass eine Verbesserung des festgestellten Leistungsvermögens nicht mehr eintreten könne. Die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sei daher unbefristet zu gewähren. Es sei davon auszugehen, dass das Leistungsvermögen beim Kläger zumindest seit dem erstmaligen Eintritt der Doppelbilder gemindert sei. Nach seinen eigenen Angaben habe der Kläger erstmals am 05. bzw 06.02.2008 bei der Fahrt zur Arbeit Doppelbilder gesehen. Dieser Zeitpunkt gelte als Leistungsfall. Da vorliegend die konkrete Arbeitsmarktsituation zu berücksichtigen und davon auszugehen sei, dass der allgemeine Arbeitsmarkt verschlossen sei, schlage die teilweise Erwerbsminderung in eine volle Erwerbsminderung auf Zeit durch. Aufgrund des § 102 Abs 2 SGB VI sei die volle Erwerbsminderungsrente zeitlich zu befristen. Da der Kläger bereits nach § 43 SGBVI Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung habe, könne offenbleiben, ob der Kläger als Facharbeiter einzustufen und damit Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI habe.
Gegen das der Beklagten am 14.04.2011 und der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 18.04.2011 zugestellte Urteil haben die Beklagte am 28.04.2011 und der Kläger am 10.05.2011 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt.
Die Beklagte trägt zur Begründung vor, dem Sozialgericht fehle die erforderliche Sachkunde, um medizinische, insbesondere nervenärztliche Sachverhalte, zutreffend beurteilen zu können, was einen Verstoß gegen § 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG) darstelle. Dem Rehabilitationsbericht der Klinik K. sei zu entnehmen, dass bei der dort veranlassten augenfachärztlichen Verlaufsuntersuchung sämtliche Augenabschnitte unauffällig gewesen seien. Es seien zwar Doppelbilder beim Blick nach rechts oben angegeben worden, allerdings seien Stand und Gang sicher und das Gangbild flüssig gewesen. Zu jener Zeit habe der Kläger angegeben, an fünf Tagen in der Woche für zwei bis drei Stunden am Laptop zu sitzen, um nach beruflichen Informationen im Internet zu recherchieren. Auch bei der Untersuchung durch den Gutachter G. sei das Gangbild einschließlich erschwerter Gangproben völlig sicher und frei gewesen. Was die Kopfschmerzen beträfen, so sei im Bericht des Universitätsklinikums T. vom 22.02.2008 mitgeteilt worden, dass sich die Kopfschmerzen unter einer konsequenten Applikation von Tränenersatzmitteln deutlich gebessert hätten. Dr W. habe in seinen Stellungnahmen ausführlich und überzeugend dargelegt, weshalb dem Gutachten des Dr M. nicht zu folgen sei. Darüber hinaus sei im Hinblick auf das Mehrstufenschema des BSG darauf hingewiesen, dass aus der vom Kläger vorgelegten Entgeltbescheinigung zu entnehmen sei, dass er als "Elektrikerhelfer" beschäftigt worden sei. Dabei handle es sich nicht um eine qualifizierte Tätigkeit.
Die Beklagte beantragt - sachdienlich ausgelegt -,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 17.03.2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt - sachdienlich ausgelegt -,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 17.03.2011 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.10.2008 zu gewähren sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Zur Begründung trägt der Kläger vor, das SG habe die bei ihm bestehenden Gesundheitsbeschwerden nicht ausreichend berücksichtigt. Dr M. sei in seinem Gutachten zu dem eindeutigen Ergebnis gelangt, dass er nur noch unter drei Stunden täglich arbeiten könne. Die Tatsache, dass er trotz der bestehenden Beschwerden noch bis Februar 2008 gearbeitet habe, könne nicht als Indiz dafür gesehen werden, dass die Beschwerden nicht bestanden hätten. Außerdem sei er seit Februar 2008 ununterbrochen arbeitsunfähig. Durch das Gutachten des Dr M. sei eindeutig bewiesen, dass sein Restleistungsvermögen unter drei Stunden liege. Zur weiteren Begründung hat der Kläger die Tätigkeitsfelddefinition der Firma W. GmbH Werkzeugbau vom 03.12.1997, das Zeugnis der Firma B.-t. GmbH vom 26.09.2005 und ein russisches Arbeitszeugnis über seine Tätigkeiten von 1974 bis 1988 vorgelegt. Hinsichtlich des Inhalts wird auf Bl 19 bis 21 der LSG-Akte Bezug genommen.
Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr R. vom 17.10.2011. Zum Tagesablauf des Klägers hat der Gutachter festgehalten, der Kläger richte sich morgens selbstständig sein Frühstück und laufe nach dem Frühstück in der Wohnung oder auf der Terrasse umher. Lesen könne er kaum noch. Für die Einkäufe sei seine Frau zuständig. Er selbst meide Menschenmengen und die Öffentlichkeit. Er habe mittlerweile auch keinen Computer mehr. Er sehe jedoch mehrere Stunden am Tag fern und verfolge gerne Nachrichtensendungen. Allerdings höre er eigentlich nur zu und sehe kaum noch hin. Sein Hobby, sich mit elektrischen Geräten zu beschäftigen, könne er nicht mehr ausüben. Zuletzt sei er im Jahr 2007 im Urlaub gewesen. Im Hinblick auf den Befund hat Dr R. angegeben, bis auf die Gesichtslähmung rechts und eine Abduktionsschwäche des Kleinfingers rechts vom Kraftgrad 4 lägen Paresen nicht vor. Beim Seiltänzergang wirke er unsicher und benötige Ausweichschritte nach links und rechts. Der Hacken- und der Fersengang könnten ohne Probleme demonstriert werden. Während der mehrstündigen Exploration sei der Eindruck einer zunehmenden Erschöpftheit entstanden. Die Antriebslage sei hingegen nur geringgradig vermindert. Auch lägen nur leichte Hinweise für eine depressive Störung vor. Der Kläger leide an einer Pseudoneurasthenie (organische, emotional-labile asthenische Störung), an einer leichten zentralen Innervationsstörung der rechten Körperhälfte, an einem operierten Sulcus-Ulnaris-Syndrom rechts und an einer Anakusis (Taubheit) rechts. Zum jetzigen Zeitpunkt lasse sich nicht sicher klären, ob die beim Kläger vorliegende Symptomatik auf eine Pseudoneurasthenie oder auf eine Somatisierungsstörung zurückführbar sei. In jedem Fall liege jedoch eine mittelgradige Störung vor, die einen Einfluss auf die berufliche Leistungsfähigkeit habe. Die zentrale Innervationsstörung mit einer Gesichtslähmung rechts, einer Steigerung der Muskeleigenreflexe rechts, einer Bradydiadochokinese rechts (verlangsamte Folgebewegung der Hand) und die Gangunsicherheit wiesen auf eine wahrscheinlich linkshirnige Schädigung hin. Der Kläger sei nicht mehr in der Lage, mittelschwere oder schwere körperliche Arbeiten durchzuführen. Akkord- oder Nachtarbeit müsse wegen der Gefahr einer Zunahme der im psychischen Befund erhobenen Störungen bzw der berichteten Schlafstörungen unterbleiben. Auch körperlich stark belastende Tätigkeiten, wie die überwiegende oder dauerhafte Einnahme von Zwangshaltungen (häufiges Bücken oder kniende Tätigkeiten) seien zu vermeiden. Gleiches gelte für Tätigkeiten in Kälte, unter Wärmeeinfluss bzw unter Einwirkungen von Staub, Gasen, Dämpfen oder Nässe. Arbeiten im Freien seien nicht grundsätzlich, sondern nur unter ungünstigen Witterungsbedingungen zu vermeiden. Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sollten angesichts der Gangstörungen nicht mehr durchgeführt werden. Treppensteigen sei jedoch zumutbar. Eine besondere geistige Beanspruchung mit erhöhter oder hoher Verantwortung könne dem Kläger aufgrund der erhöhten Ablenkbarkeit nicht mehr auferlegt werden. Der Kläger könne daher ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit nur noch leichte körperliche Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis zu ca zehn kg überwiegend im Stehen, Gehen oder ständig im Sitzen verrichten. Auch könne er noch Schichtarbeit ausüben. Gesundheitliche Einschränkungen hinsichtlich des Sprechvermögens bestünden nicht. Da bei der jetzigen Untersuchung eine Taubheit rechts festgestellt worden sei, dürfe die Tätigkeit auch keine Beanspruchung des Gehörs mehr erfordern. Publikumsverkehr sei jedoch zumutbar. Im Bezug auf Arbeiten an Schreib- oder Büromaschinen könnten diese dann durchgeführt werden, wenn keine überdurchschnittliche Beanspruchung an die Feingeschicklichkeit der rechten Hand gestellt würden. Auch eine besondere Beanspruchung des Sehvermögens komme nicht mehr in Betracht, da es dem Kläger nicht gelinge, den Blick vollständig nach rechts zu wenden. Insofern solle die Tätigkeit nicht das Führen von Fahrzeugen beinhalten. Der Kläger sei nicht mehr in der Lage, ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche auszuüben. Vielmehr könne er nur noch leichte Tätigkeiten drei bis unter sechs Stunden unter Beachtung der genannten qualitativen Leistungseinschränkungen täglich verrichten. Grund hierfür seien die vorzeitige Erschöpfbarkeit und die kognitiven Störungen. Hinsichtlich des Arbeitsweges sei davon auszugehen, dass der Kläger gut in der Lage sei, 500 m am Stück in einem Zeitraum von weniger als 17 bis 20 Minuten zurückzulegen. Die Einschränkung der Leistungsfähigkeit bestehe wohl seit dem 06.02.2008. Sowohl bei der Pseudoneurasthenie als auch bei einer alternativ in Frage kommenden Somatisierungsstörung handle es sich um Krankheiten, die üblicherweise einen chronischen Verlauf nähmen. Insoweit sei nicht davon auszugehen, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers so nachhaltig bessere, dass die angegebenen Leistungseinschränkungen voraussichtlich ganz oder teilweise entfielen.
Für die Beklagte hat Dr W. am 14.11.2011 Stellung genommen und darauf hingewiesen, dass Dr R. die Hinweise einer mangelnden Motivation und Anstrengungsbereitschaft nicht genügend berücksichtigt habe. Außerdem bestünden Zweifel an der Individualität der Gutachtenserstellung.
In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 07.12.2011 hat Dr R. ausgeführt, die von ihm festgestellte mangelnde Anstrengungsbereitschaft sei nicht gleichzusetzen mit einer Simulation. Vielmehr könne sie eine Folge einer hirnorganischen Schädigung oder auch einer Depression sein und damit Ausdruck entweder der Unfähigkeit oder des Unwillens, unter maximaler Willensanstrengung eine Leistung zu vollbringen. Auch unter Berücksichtigung der Einwände des Dr W. verbleibe er bei seiner Einschätzung, wonach der Kläger nur noch leichte Tätigkeiten zwischen drei bis unter sechs Stunden täglich verrichten könne.
Zu der ergänzenden Stellungnahme des Dr R. hat die Beklagte die weitere Stellungnahme des Dr W. vom 09.01.2012 vorgelegt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten und auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegten Berufungen des Klägers und der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten nach §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, sind statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Die Entscheidung des SG war lediglich insofern abzuändern, als die befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung (Arbeitsmarktrente) wegen bereits eingetretenen Fristablaufs über den 30.09.2011 hinaus bis zum 30.09.2014 zu gewähren ist. Der Kläger hat hingegen keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer. Denn er ist noch in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen drei bis unter sechs Stunden täglich auszuüben.
Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 SGB VI in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).
Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben nach § 240 Abs 1 SGB VI bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Erreichung der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Art 1 Nr 61 des RV-Altergrenzenanpassungsgesetzes vom 20. April 2007, BGBl I, 554) auch Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach dem die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs unter besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Der Kläger hat nach dem Versicherungsverlauf vom 07.01.2009 (vgl Anlage 2 des Bescheids vom 07.01.2009) - worüber zwischen den Beteiligten auch kein Streit besteht - nicht nur die allgemeine Wartezeit, sondern bei einem Leistungsfall im Februar 2008 (dazu weiter unten) auch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung erfüllt (§ 43 Abs 1 Satz 1 Nr 2, Abs 2 Satz 2 Nr 2 SGB VI). Darüber hinaus ist der Kläger ab Februar 2008 teilweise erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI.
Nach dem Ergebnis der im Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger seit Februar 2008 nur noch in der Lage ist, leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in einem Umfang von nur noch drei bis unter sechs Stunden täglich zu verrichten. Im Vordergrund stehen beim Kläger Gesundheitsbeschwerden auf nervenärztlichem Fachgebiet. Er leidet an einer Pseudoneurasthenie (organische, emotional-labile asthenische Störung), an einer leichten zentralen Innervationsstörung der rechten Körperhälfte, an einem operierten Sulcus-Ulnaris-Syndrom rechts und an einer Anacusis (Taubheit) rechts. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Dr R. vom 17.10.2011. Dabei hat Dr R. nachvollziehbar dargestellt, dass sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sicher klären lässt, ob die beim Kläger vorliegende Symptomatik auf eine Pseudoneurasthenie oder - wie etwa von dem Neurologen G. in seinem Gutachten vom 16.12.2008 angenommen - auf eine Somatisierungsstörung zurückzuführen ist. Dies ist jedoch im Ergebnis unerheblich, denn in jedem Fall handelt es sich um eine mittelgradige Störung, die - wie noch auszuführen ist - einen Einfluss auf die berufliche Leistungsfähigkeit des Klägers hat. Darüber hinaus deutet die zentrale Innervationsstörung der rechten Körperhälfte mit einer Gesichtslähmung rechts, einer Steigerung der Muskeleigenreflexe rechts, der Bradydiadochokinese rechts (verlangsamte Folgebewegung der Hand) und die Gangunsicherheit auf eine wahrscheinlich linkshirnige Schädigung hin. Dr M. spricht in seinem Gutachten vom 13.03.2010 in diesem Zusammenhang von einem leichten hirnorganischen Syndrom mit Wesensänderung.
Die Innervationsstörung führt dazu, dass der Kläger nicht mehr in der Lage ist, den Blick vollständig nach rechts zu wenden. Aufgrund der Pseudoneurasthenie kommt es zudem zu leichten Gangstörungen. Auch dies ergibt sich aus dem Gutachten des Dr R. vom 17.10.2011. Entsprechende Gangstörungen wurden auch schon von Dr M. in dessen Gutachten angegeben. In diesem Zusammenhang weist der Senat aber darauf hin, dass die festgestellten Gangstörungen nicht dazu führen, dass die Wegefähigkeit des Kläger eingeschränkt ist. Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht konkret angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm möglich sein muss - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel sowie vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege zurücklegen muss. Erwerbsfähigkeit setzt voraus, Wegstrecken von mehr als 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand zu Fuß bewältigen und zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (zB Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (BSG 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90, SozR 3-2200 § 1247 Nr 10, S 30 ff; 19.11.1997, 5 RJ 16/97, SozR 3-2600 § 44 Nr 10; 30.01.2002, B 5 RJ 36/01 R, juris). Dazu gehört zB auch die zumutbare Benutzung eines eigenen, ggf im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 16 SGB VI, § 33 Abs 3 Nr 1, Abs 8 Nr 1 SGB IX) subventionierten Kraftfahrzeugs (vgl BSG 19.11.1997, aaO). Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes steht nach der von Dr R. durchgeführten Ganganalyse fest, dass der Kläger gut in der Lage ist, 500 m am Stück in einem angemessenen Zeitraum von weniger als 17 bis 20 Minuten zurückzulegen. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Gutachten von Dr M ... Dieser hat zwar angegeben, dass "Bewegungseinschränkungen von Wirbelsäule und Sprunggelenk rechts sowie der ataktische Gang" zu einer Einschränkung der Mobilität des Klägers führten. Eine konkrete Ganganalayse hat er - im Gegensatz zu Dr R. - jedoch nicht durchgeführt. Auch hat er keine Befunde (wie etwa Muskelatrophien oder fehlende Fußbeschwielung) erhoben, die gegen eine ausreichende Wegefähigkeit sprechen.
Aufgrund der genannten Gesundheitsstörungen ist der Kläger nicht mehr in der Lage, mittelschwere oder schwere körperliche Arbeiten durchzuführen. Akkord- oder Nachtarbeit muss wegen der Gefahr einer Zunahme der psychischen Störungen und der vom Kläger angegebenen Schlafstörungen vermieden werden. Auch körperlich stark belastende Tätigkeiten, wie die überwiegende oder dauerhafte Einnahme von Zwangshaltungen (häufiges Bücken oder kniende Tätigkeiten) müssen vermieden werden, da dadurch die vorzeitige Erschöpfbarkeit des Klägers verstärkt wird. Gleiches gilt für Tätigkeiten in Kälte, unter Wärmeeinfluss bzw unter Einwirkungen von Staub, Gasen, Dämpfen oder Nässe. Arbeiten im Freien sind nur unter ungünstigen Witterungsbedingungen zu vermeiden. Arbeiten auf Leitern und Gerüsten dürfen angesichts der Gangstörungen nicht mehr durchgeführt werden. Treppensteigen ist jedoch noch zumutbar. Eine besondere geistige Beanspruchung mit erhöhter oder hoher Verantwortung kann dem Kläger aufgrund der Gefahr einer erhöhten Ablenkbarkeit nicht mehr auferlegt werden. Der Kläger kann mithin nur noch leichte körperliche Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis zu ca zehn kg, abwechselnd im Stehen, Gehen oder Sitzen verrichten. Hierbei ist er auch in der Lage, während des Tages Schichtarbeiten auszuüben. Arbeiten, die keine überdurchschnittliche Beanspruchung an die Feingeschicklichkeit der rechten Hand stellen, sind ebenfalls zumutbar. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aufgrund der von Dr R. in seinem Gutachten genannten qualitativen Leistungseinschränkungen, die der Senat aufgrund der gesundheitlichen Erkrankungen des Klägers für nachvollziehbar und schlüssig hält.
Aufgrund der Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Fachgebiet ist das Leistungsvermögen des Klägers dauerhaft auf drei bis unter sechs Stunden täglich eingeschränkt. Der Senat folgt auch insoweit der Leistungseinschätzung des Dr R. in dessen Gutachten vom 17.10.2011. Dieser hat seine Leistungsbeurteilung für den Senat schlüssig und nachvollziehbar begründet. Denn aus seinem Gutachten ergibt sich, dass der Kläger aufgrund der vorhandenen Gesundheitsstörungen nur eingeschränkt quantitativ belastbar ist. Grund hierfür ist die vorzeitige Erschöpfbarkeit und die bei ihm vorliegenden kognitiven Störungen. Dr R. hat in diesem Zusammenhang nachvollziehbar dargelegt, dass während der Untersuchung durch ihn eine deutliche und im Verlauf der Exploration zunehmende Störung der kognitiven Funktionen auftrat, sodass es zwischenzeitlich zu einer Verschlechterung des psychischen Befundes gekommen ist. So kam es bereits nach der ca zweistündigen Exploration zu einem Nachlassen der Auffassungsgabe, der Konzentrationsfähigkeit und der Aufmerksamkeit. Dr R. hat in diesem Zusammenhang in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 07.12.2011 auch nachvollziehbar dargelegt, dass sein standardisiertes Verfahren, nämlich die Wiederholung der Befundung unter Leistungsaspekten, vorliegend deutlich gezeigt hat, dass eine vorzeitige Erschöpfbarkeit im Sinne einer mittelgradigen psychischen Störung besteht. Der Senat teilt auch die Auffassung von Dr R., dass gerade durch die Standardisierung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens die subjektive Wahrnehmung reduziert werden kann, um die Befunderhebung und die Bewertung der Befunde zu objektivieren. Insofern überzeugt den Senat die von Dr W. in seinen Stellungnahmen vom 29.03.2010 und 09.07.2010 geäußerte Kritik an dem Gutachten von Dr R. nicht. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die von Dr W. kritisierte (fehlende) Berücksichtigung der mangelnden Motivation und Anstrengungsbereitschaft des Klägers - wie von Dr R. nachvollziehbar ausgeführt - nicht mit einer Simulation gleichzusetzen ist, sondern vielmehr als eine Folge der hirnorganischen Schädigung bzw einer Depression gewertet werden kann.
Der Senat konnte sich jedoch nicht davon überzeugen, dass die Leistungsfähigkeit des Klägers in zeitlicher Hinsicht unter drei Stunden täglich gesunken ist. Der diesbezüglichen Leistungseinschätzung des Dr M. ist mit dem SG entgegenzuhalten, dass der Kläger zum einen noch bis Februar 2008 in der Lage war, seine Tätigkeit als Betriebselektriker vollschichtig auszuüben. Aber auch für die Zeit danach (dh ab Februar 2008) lässt sich das von Dr M. diagnostizierte leichte hirnorganische Syndrom nicht mit seiner zeitlichen Leistungseinschätzung in Übereinstimmung bringen. Denn weder aus der Anamnese- noch aus der Befunderhebung lassen sich Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass das Leistungsvermögen im Hinblick auf leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts auf unter drei Stunden täglich gesunken ist. So hat Dr M. nicht angegeben, dass der Kläger überhaupt nicht in der Lage war, sich zu konzentrieren und die Auffassungsgabe durchgängig eingeschränkt war. Vielmehr hat er ausgeführt, dass der Kläger teils "etwas spitzbübisch" wirkte und auch "einmal lachen und einen humorigen Beitrag" leisten konnte. Darüber hinaus war der Kläger sehr bemüht, kooperativ in der Untersuchung mitzuarbeiten. Anhaltspunkte dafür, dass das Leistungsvermögen in zeitlicher Hinsicht unter drei Stunden gesunken ist, lassen sich dem Gutachten des Dr M. mithin nicht überzeugend entnehmen. Soweit Dr W. in seiner Auskunft vom 14.08.2009 und Dr M. in ihrer Auskunft vom 14.08.2009 die Auffassung vertraten, dass der Kläger nicht mehr in der Lage ist, sechs Stunden am Tag zu arbeiten, wurde diese Leistungseinschätzung durch Dr R. bestätigt. Die Leistungseinschätzung des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie G. in seinem Gutachten vom 16.12.2008 überzeugt den Senat hingegen nicht, weil dieser die mit der Pseudoneurasthenie bzw dem hirnorganischen Syndrom einhergehenden Gesundheitsstörungen nicht hinreichend genug berücksichtigt hat.
Dabei geht der Senat davon aus, dass seit Februar 2008 durchgehend ein Leistungsvermögen von drei bis unter sechs Stunden besteht. Der Senat folgt auch diesbezüglich der Einschätzung des Dr R ... Für dieses Ergebnis spricht zum einen der Umstand, dass der Kläger noch bis Februar 2008 in der Lage war, seine Tätigkeit als Betriebselektriker vollschichtig auszuüben, und zum anderen, dass erst im Februar 2008 die vom Kläger geschilderten Doppelbilder und Schwindelattacken aufgetreten sind.
Der Kläger hat Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer. Nach § 102 Abs 2 Satz 1 SGB VI in der seit 01.01.2001 geltenden Fassung des Art 1 Nr 29 des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Zeit geleistet. Die Befristung erfolgt längstens für drei Jahre nach Rentenbeginn (Satz 2). Sie kann verlängert werden; dabei verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn (Satz 3). Verlängerungen erfolgen für längstens drei Jahre nach dem Ablauf der vorherigen Frist (Satz 4). Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann; hiervon ist nach einer Gesamtdauer der Befristung von neun Jahren auszugehen (Satz 5). Vorliegend ist es unwahrscheinlich, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit beim Kläger behoben werden kann. Hiervon ist auszugehen, wenn schwerwiegende medizinische Gründe gegen eine - rentenrechtlich relevante - Besserungsaussicht sprechen, sodass ein Dauerzustand vorliegt. Von solchen Gründen kann ausgegangen werden, wenn alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind und auch hiernach ein aufgehobenes Leistungsvermögen besteht. Hiervon ist der Senat mit Dr R. überzeugt. Dieser hat - in Übereinstimmung mit Dr M. - dargelegt, dass es sich bei den beim Kläger vorliegenden Erkrankungen um Gesundheitsstörungen mit üblicherweisem chronischen Verlauf handelt, sodass nicht von einer Besserung des Leistungsvermögens auszugehen ist. Im Übrigen hat auch Dr M. in ihrer Auskunft vom 14.08.2009 angegeben, dass bislang alle Therapieversuche erfolglos geblieben sind.
Da die Rente am 07.10.2008 beantragt wurde, ist sie ab dem 01.10.2008 (Antragsmonat) zu gewähren. Denn eine Rente aus eigener Versicherung wird gemäß § 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI von dem Monat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird (Satz 2). Da vorliegend die Rente erst am 07.10.2008 beantragt wurde, beginnt die unbefristete Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab dem 01.10.2008. Sie ist gemäß § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze zu gewähren.
Der Kläger hat zudem auch Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit. Da dem Kläger aufgrund des festgestellten eingeschränkten Leistungsvermögens nur noch der Teilzeitarbeitsmarkt zur Verfügung steht, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur sog konkreten Betrachtungsweise die derzeitige Arbeitsmarktsituation zu berücksichtigen (vgl Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19.12.1996, SozR 3-2600 § 44 Nr 8), weshalb die teilweise Erwerbsminderung in eine volle Erwerbsminderung durchschlägt. Dieser Rechtsprechung des BSG ist auch nach der Neuregelung des § 43 SGB VI zum 01.01.2001 durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (BGBl I, S 1827) zu folgen. Denn der Gesetzgeber hat nunmehr in § 43 Abs 3 Halbsatz 2 SGB VI ausdrücklich normiert, dass die konkrete Arbeitsmarktlage nur bei einer Erwerbsfähigkeit von mindestens sechs Stunden nicht zu berücksichtigen ist (so auch Reinhardt in LPK-SGB VI, § 43 RdNr 11). Die sog Arbeitsmarktrente wird jedoch nur auf Zeit gewährt (Umkehrschluss aus § 102 Abs 2 Satz 5 SGB VI).
Als befristete Rente ist die Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 101 Abs 1 SGB VI erst mit Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit zuzusprechen. Gemäß § 99 Abs 1 Satz 2 SGB VI war die Rente gleichermaßen erst ab dem 01.10.2008 zu gewähren. Nach § 102 Abs 2 Satz 2 SGB VI erfolgt die Befristung für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn. Da die Frist von drei Jahren (ab dem 01.10.2008) bereits abgelaufen ist (30.09.2011), die Befristung jedoch verlängert werden kann, erachtet es der Senat für sachgerecht, die Befristung für weitere drei Jahre zu verlängern und auf den 30.09.2014 zu begrenzen. Insofern war das Urteil des SG abzuändern.
Nachdem der Kläger bereits gemäß § 43 Abs 1 SGB VI einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer hat und der Rentenartfaktor bei Renten wegen teilweiser Erwerbsminderung - unabhängig, ob diese gemäß § 43 Abs 1 oder gemäß § 240 SGB VI wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren ist) - stets 0,5 beträgt (§ 67 Nr 2 SGB VI), konnte der Senat die Frage offen lassen, ob der Kläger gemäß § 240 SGB VI auch teilweise erwerbsgemindert wegen Berufungsfähigkeit ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Hierbei wurde berücksichtigt, dass keiner der Beteiligten in der Berufungsinstanz obsiegt hat und die Entscheidung des SG nur wegen des zwischenzeitlich eingetretenen Fristablaufs abgeändert wurde.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Im Übrigen werden die Berufungen des Klägers und der Beklagten zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.
Der am 04.08.1953 in der früheren UdSSR geborene Kläger erlernte in seinem Herkunftsland den Beruf eines Rundfunk- und Fernsehtechnikers, wobei er wegen der Abberufung zum Wehrdienst die Ausbildung nicht abschließen konnte. Nach dem Ende seines Wehrdienstes arbeitete er 17 Jahre lang in einer Rüstungsfabrik als Lasertechniker. Im August 1988 siedelte er in die Bundesrepublik Deutschland über. Hier arbeitete er von 1989 bis 1999 bei der Firma W. GmbH Werkzeugbau zunächst als Säger und Rohmaterialverwalter und später als Elektrotechniker, sodass er im Dezember 1997 in die Tariflohngruppe 5 (bisher 3) eingruppiert wurde. Zu seinem Tätigkeitsfeld zählte die elektrische Instandhaltung bzw Reparatur der Anlagen. Von 1999 bis 2001 nahm er nach eigenen Angaben an einer Umschulung der Agentur für Arbeit teil. Im Anschluss daran war er von 2001 bis September 2005 als Elektriker bei der Firma B.-t. GmbH beschäftigt. Nach Arbeitslosigkeit nahm er dann ab dem Jahr 2007 eine Tätigkeit bei einer Zeitarbeitsfirma auf, die ihn bei einer Medizintechnikfirma als Elektriker einsetzte. Seit Februar 2008 ist der Kläger - nach eigenen Angaben aufgrund eines Schlaganfalls - arbeitsunfähig erkrankt, weshalb er vom 24.07. bis 31.10.2008 Krankengeld bezog. In den Jahren zuvor erlitt er bereits durch einen Motorradunfall einen fünffachen Schädelbruch und durch ein Trauma eine Mittelgesichtsfraktur. In der Zeit vom 06.10.2003 bis 07.10.1008 wurden mehr als drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder aufgrund des Bezugs von Lohnersatzleistungen im Sinne des § 3 Satz 1 Nr 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) entrichtet; insgesamt sind Beitragszeiten von mehr als fünf Jahren vorhanden.
Vom 25.06. bis 23.07.2008 nahm er an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in der Reha-Klinik K. teil. Dr D. gab im Entlassungsbericht vom 24.07.2008 folgende Diagnosen an: Verdacht auf Zustand nach Ischämie im Hirnstammbereich (05./06.02.2008), dringender Verdacht auf somatisierte Depression und Angststörung, Verdacht auf dekompensierte Esophorie (Siccasyndrom beidseits), Zustand nach schwerem SHT und Contusio cerebri 1994 mit Residualsymptom, Zustand nach Contusio cerebri 1980, OSG-Arthrose rechts, Knick-Senk-Füße beidseits, Fettstoffwechselstörung und Adipositas. Die Tätigkeit als Betriebselektriker könne der Kläger nur noch unter drei Stunden täglich verrichten. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts könne er unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen sechs Stunden und mehr täglich verrichten. Der Kläger habe über Schwindel, Doppelbilder und unspezifische Gesichtsfeldeinschränkungen geklagt. Er habe jedoch angegeben, abends an fünf Tagen in der Woche für zwei bis drei Stunden am Laptop zu sitzen, um nach beruflichen Informationen im Internet zu recherchieren. Er wurde zunächst als arbeitsunfähig entlassen.
Am 07.10.2008 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung gab er an, er sei seit dem 06.02.2008 erwerbsgemindert. Er leide an einem schweren Tinnitus rechts, an Konzentrationsschwierigkeiten, an Sehkraftverlust, an starkem Schwindel, seine rechte Gesichtshälfte sei taub bzw steif. Die linke Gesichtshälfte sei überempfindlich und teilweise gelähmt, er sehe Doppelbilder und habe starke Kopfschmerzen. Die Beklagte ließ den Kläger fachärztlich untersuchen und holte das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie G. vom 16.12.2008 ein. Dieser gab an, das Gangbild sei einschließlich erschwerter Gangproben völlig sicher und frei gewesen. Der Kläger habe ausgeführt, dass sein Hobby der Garten sei und er auch kleine Strecken mit seinem Auto selbst fahre. Der Gutachter gelangte für den Kläger zu folgenden Diagnosen: Somatisierungsstörung, Angabe von Doppelbildern bei Verdacht auf dekompensierte Esophorie und Abducensparese links unklarer Genese, Verdacht auf Zustand nach Ischämie im Hirnstammbereich (Februar 02/2008), Zustand nach angegebenem Schädelhirntrauma (Unfall als Beifahrer 1975) und Hörminderung rechts mit wechselndem Tinnitus. Als Betriebselektriker könne der Kläger nur noch drei bis unter sechs Stunden täglich arbeiten. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten könne der Kläger ohne besonderen Zeitdruck, ohne besondere Beanspruchung des Hörvermögens, ohne besondere Beanspruchung des Sehvermögens, ohne überwiegend einseitige Körperhaltung, ohne Absturzgefahr, ohne häufiges Heben, Tragen oder Bewegen schwerer Lasten und ohne Belastung durch Zugluft und Lärm sechs Stunden und mehr täglich verrichten. Innerbetriebliche Erleichterungen sollten geprüft werden. Zudem seien Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben angezeigt. Mit Bescheid vom 07.01.2009 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab. Mit dem vorhandenen Leistungsvermögen könne der Kläger im erlernten Beruf als Betriebselektriker Tätigkeiten im Umfang von mindestens drei bis unter sechs Stunden täglich sowie in einer zumutbaren Verweisungstätigkeit als Prüffeld- und Montageelektriker im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich ausüben. Da der Arbeitsmarkt nicht verschlossen sei, liege weder eine volle noch eine teilweise Erwerbsminderung bzw Berufsunfähigkeit vor. Die übrigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien hingegen erfüllt.
Hiergegen legte der Kläger am 14.01.2009 Widerspruch ein, den die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr M. dahingehend begründete, dass der Kläger "es nicht aushalte", wenn zwei bis drei Menschen um ihn seien. Bei leichten Geräuschen träten verstärkt Kopfschmerzen auf. Er klage über eine Hörminderung, ein Taubheitsgefühl der rechten Gesichtshälfte, eine Sehstörung, ein Gefühl als "ob das Gehirn lose sei", Konzentrationsstörungen sowie über Tinnitus mit Ein- und Durchschlafstörungen. Die Situation habe sich in letzter Zeit verschlechtert. Eine stationäre Behandlung vom 15.09. bis 05.11.2008 in der Psychiatrie des Krankenhauses F. sei ohne Erfolg gewesen, weshalb auch eine Erwerbstätigkeit nicht vorstellbar sei. Nachdem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie G. nochmals am 27.02.2009 Stellung genommen hatte, wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch des Klägers zurück (Widerspruchsbescheid vom 22.04.2009). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger könne als Betriebselektriker drei bis unter sechs Stunden täglich arbeiten. Leichte bis mittelschwere Arbeiten könne er unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Gleiches gelte für die Verweisungstätigkeiten als Prüffeld- und Montageelektriker. Auch Berufsunfähigkeit liege daher nicht vor.
Hiergegen hat der Kläger am 13.05.2009 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, ihm sei ständig schwindlig. Der Schwindel verstärke sich, sobald er sich auch nur leicht konzentrieren müsse. Daher sei es ihm kaum möglich, sich mit seinem Rechtsanwalt zu besprechen. Sobald er sich konzentrieren müsse, bekomme er starke Kopfschmerzen und verliere an Sehkraft. Deshalb könne er auch die von der Beklagten genannten Verweisungstätigkeiten nicht mehr ausüben. Außerdem sei er durch seine häufigen Schmerzen im Fuß sehr beeinträchtigt. Er leide immer wieder an Lähmungsgefühlen im Fuß. Seine Wegefähigkeit sei daher deutlich eingeschränkt. Auch träten am Fuß immer wieder schwarze Flecken auf, deren Ursache bis heute nicht habe festgestellt werden können. Nach dem Klinikaufenthalt in F. habe sich sein Gesundheitszustand deutlich verschlechtert. Inzwischen sei auch seine rechte Gesichtshälfte gelähmt. Aus diesem Grund trete immer wieder unkontrolliert Speichel aus seinem Mund. Darüber hinaus sei er im Hinblick auf das Mehrstufenschema des Bundessozialgerichts (BSG) als Facharbeiter einzuordnen, da er jahrelang als Betriebselektriker gearbeitet habe.
Das SG hat zunächst Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung von sachverständigen Zeugen. Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr W. hat mitgeteilt (Auskunft vom 14.08.2009), der Kläger beschreibe ein komplexes psychosomatisches Beschwerdebild. Er leide an einer Somatisierungsstörung und an einem Zustand nach Hirnstammischämie. Er habe den Kläger allerdings nur einmal untersucht. Er könne sich nicht vorstellen, dass der Kläger eine gewinnbringende Tätigkeit von mehr als sechs Stunden pro Tag verrichten könne. Dr M. hat angegeben (Auskunft vom 14.08.2009), der Kläger sei am 06.02.2008 mit der akuten Symptomatik von Doppelbildern, Verschwommensehen, schmerzhafter linker Kopfhälfte und Übelkeit erschienen. Er sei dann notfallmäßig in der Augenklinik vorgestellt worden, wo der Verdacht einer dekompensierten Esophorie geäußert worden sei. Eine Belastbarkeit für sechs Stunden täglich liege nicht vor. Dr M. hat ihrer Auskunft zahlreiche Arztbriefe beigefügt. Facharzt für Orthopädie Dr S. hat mitgeteilt (Auskunft vom 18.08.2009), alleine wegen der Funktionsbehinderung im Bereich des rechten Sprunggelenkes bestehe keine Einschränkung für eine leichte überwiegend sitzende Tätigkeit. Facharzt für Neurologie und Psychiatrie G. hat ausgeführt (Auskunft vom 01.09.2009), der Kläger leide an einer Somatisierungsstörung. Aus seiner Sicht bestünden keine Bedenken gegen die Beurteilung, der Kläger könne noch leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich verrichten.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das SG das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr M. vom 13.03.2010 eingeholt. Die orientierende allgemeine neurologische Untersuchung habe multiple Hirnnervenausfälle mit Doppelbildern, eine komplexe Okulomotorikstörung und eine inkomplette Gesichtslähmung rechts erbracht. Auch sei das Gehör rechts deutlich gemindert und die rechte Hand zeige eine Atrophie der kleinen Handmuskulatur mit deutlicher Schwäche und Gefühlsstörung im Ulnarisversorgungsgebiet. Die Beweglichkeit im Sprunggelenk rechts sei aufgehoben und die Beweglichkeit der Wirbelsäule reduziert. Es habe sich eine ataktische Gangstörung bei reduziertem Hackengang rechts gezeigt. Eine Störung des Sehens sei klinisch jedoch nicht nachweisbar gewesen. Das Gangbild sei "unsicher und flüssig" gewesen. Eine leichte Tendenz zur Verdeutlichung sei nachzuweisen und erscheine kulturell geprägt. Zusammenfassend liege aktuell eine leichte hirnorganische Störung mit Antriebsminderung, leichte Verhaltensauffälligkeiten mit haftendem, teils distanzlosem Verhalten sowie eine ausgeprägte Tendenz zur Somatisierung von Krankheitswert vor. Der Kläger leide mithin auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet an einem leichten hirnorganischen Syndrom und Wesensänderung nach Verkehrsunfall mit rechtsparietalem Defekt, Doppelbildern und Verschwommensehen beim Blick nach rechts und oben bei Abduktionsschwäche des rechten Auges, Hörminderung rechts, Gesichtsentstellung mit inkompletter Fazialisparese rechts, Gefühlsminderung linke Gesichtshälfte, Gebrauchsminderung der rechten mit Atrophie der kleinen Handmuskulatur, Kraftminderung und Gefühlsstörung bei operiertem Sulcus-Ulnaris-Syndrom mit Defektheilung, Bewegungseinschränkung der LWS mit Fingerbodenabstand von 40 cm, Bewegungseinschränkung des Sprunggelenks rechts mit gemindertem Hackengang und ataktischer Gangstörung mit Fallneigung bei komplexen Gangstörungen. Der Kläger könne nur noch unter drei Stunden täglich arbeiten. Hierbei handle es sich um einen Dauerzustand. Eine Tätigkeit als Betriebselektriker könne definitiv ausgeschlossen werden.
Für die Beklagte hat Neurologe Dr W. am 29.03.2010 zu dem Gutachten Stellung genommen. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 26.06.2010 hat Dr M. ausgeführt, der Kläger könne auch die Verweisungstätigkeit als Pförtner an der Nebenpforte nicht mehr ausüben. Hierzu hat die Beklagte die Stellungnahme des Dr W. vom 09.07.2010 vorgelegt.
Mit Urteil vom 17.03.2011 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 07.01.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.04.2009 verurteilt, dem Kläger unbefristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die Zeit ab 01.10.2008, längstens bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, sowie befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.10.2008 bis 30.09.2011 zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, beim Kläger liege dauerhaft nur noch ein Leistungsvermögen von drei bis unter sechs Stunden für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vor. Der Kläger leide an einem komplexen psychosomatischen Beschwerdebild. Auch leichte Tätigkeiten als Pförtner, Mitarbeiter einer Poststelle oder als Bürohilfskraft könne er nicht mehr vollschichtig ausüben. Den Ausführungen des Dr M., wonach der Kläger nur noch unter drei Stunden täglich arbeiten könne, überzeugten nicht. Im Wege der Beweiswürdigung komme einer tatsächlich ausgeübten beruflichen Tätigkeit grundsätzlich ein hoher Beweiswert zu. Der Kläger habe bis ins Jahr 2008 trotz der glaubhaft geschilderten Einschränkungen des Seh-, Konzentrations- und Hörvermögens einer geregelten vollschichtigen Arbeit als Betriebselektriker nachgehen können. Auch wenn der Kläger die Beschwerden über lange Zeit kompensiert habe, könne von einem vollständig aufgehobenen Leistungsvermögen im Zeitpunkt der Rentenantragstellung nicht ausgegangen werden. Ein objektivierbarer Nachweis für eine zwischenzeitlich eingetretene wesentliche Befundänderung auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet sei den vorliegenden Unterlagen nicht zu entnehmen. Allerdings sei davon auszugehen, dass eine Verbesserung des festgestellten Leistungsvermögens nicht mehr eintreten könne. Die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sei daher unbefristet zu gewähren. Es sei davon auszugehen, dass das Leistungsvermögen beim Kläger zumindest seit dem erstmaligen Eintritt der Doppelbilder gemindert sei. Nach seinen eigenen Angaben habe der Kläger erstmals am 05. bzw 06.02.2008 bei der Fahrt zur Arbeit Doppelbilder gesehen. Dieser Zeitpunkt gelte als Leistungsfall. Da vorliegend die konkrete Arbeitsmarktsituation zu berücksichtigen und davon auszugehen sei, dass der allgemeine Arbeitsmarkt verschlossen sei, schlage die teilweise Erwerbsminderung in eine volle Erwerbsminderung auf Zeit durch. Aufgrund des § 102 Abs 2 SGB VI sei die volle Erwerbsminderungsrente zeitlich zu befristen. Da der Kläger bereits nach § 43 SGBVI Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung habe, könne offenbleiben, ob der Kläger als Facharbeiter einzustufen und damit Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI habe.
Gegen das der Beklagten am 14.04.2011 und der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 18.04.2011 zugestellte Urteil haben die Beklagte am 28.04.2011 und der Kläger am 10.05.2011 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt.
Die Beklagte trägt zur Begründung vor, dem Sozialgericht fehle die erforderliche Sachkunde, um medizinische, insbesondere nervenärztliche Sachverhalte, zutreffend beurteilen zu können, was einen Verstoß gegen § 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG) darstelle. Dem Rehabilitationsbericht der Klinik K. sei zu entnehmen, dass bei der dort veranlassten augenfachärztlichen Verlaufsuntersuchung sämtliche Augenabschnitte unauffällig gewesen seien. Es seien zwar Doppelbilder beim Blick nach rechts oben angegeben worden, allerdings seien Stand und Gang sicher und das Gangbild flüssig gewesen. Zu jener Zeit habe der Kläger angegeben, an fünf Tagen in der Woche für zwei bis drei Stunden am Laptop zu sitzen, um nach beruflichen Informationen im Internet zu recherchieren. Auch bei der Untersuchung durch den Gutachter G. sei das Gangbild einschließlich erschwerter Gangproben völlig sicher und frei gewesen. Was die Kopfschmerzen beträfen, so sei im Bericht des Universitätsklinikums T. vom 22.02.2008 mitgeteilt worden, dass sich die Kopfschmerzen unter einer konsequenten Applikation von Tränenersatzmitteln deutlich gebessert hätten. Dr W. habe in seinen Stellungnahmen ausführlich und überzeugend dargelegt, weshalb dem Gutachten des Dr M. nicht zu folgen sei. Darüber hinaus sei im Hinblick auf das Mehrstufenschema des BSG darauf hingewiesen, dass aus der vom Kläger vorgelegten Entgeltbescheinigung zu entnehmen sei, dass er als "Elektrikerhelfer" beschäftigt worden sei. Dabei handle es sich nicht um eine qualifizierte Tätigkeit.
Die Beklagte beantragt - sachdienlich ausgelegt -,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 17.03.2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt - sachdienlich ausgelegt -,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 17.03.2011 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.10.2008 zu gewähren sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Zur Begründung trägt der Kläger vor, das SG habe die bei ihm bestehenden Gesundheitsbeschwerden nicht ausreichend berücksichtigt. Dr M. sei in seinem Gutachten zu dem eindeutigen Ergebnis gelangt, dass er nur noch unter drei Stunden täglich arbeiten könne. Die Tatsache, dass er trotz der bestehenden Beschwerden noch bis Februar 2008 gearbeitet habe, könne nicht als Indiz dafür gesehen werden, dass die Beschwerden nicht bestanden hätten. Außerdem sei er seit Februar 2008 ununterbrochen arbeitsunfähig. Durch das Gutachten des Dr M. sei eindeutig bewiesen, dass sein Restleistungsvermögen unter drei Stunden liege. Zur weiteren Begründung hat der Kläger die Tätigkeitsfelddefinition der Firma W. GmbH Werkzeugbau vom 03.12.1997, das Zeugnis der Firma B.-t. GmbH vom 26.09.2005 und ein russisches Arbeitszeugnis über seine Tätigkeiten von 1974 bis 1988 vorgelegt. Hinsichtlich des Inhalts wird auf Bl 19 bis 21 der LSG-Akte Bezug genommen.
Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr R. vom 17.10.2011. Zum Tagesablauf des Klägers hat der Gutachter festgehalten, der Kläger richte sich morgens selbstständig sein Frühstück und laufe nach dem Frühstück in der Wohnung oder auf der Terrasse umher. Lesen könne er kaum noch. Für die Einkäufe sei seine Frau zuständig. Er selbst meide Menschenmengen und die Öffentlichkeit. Er habe mittlerweile auch keinen Computer mehr. Er sehe jedoch mehrere Stunden am Tag fern und verfolge gerne Nachrichtensendungen. Allerdings höre er eigentlich nur zu und sehe kaum noch hin. Sein Hobby, sich mit elektrischen Geräten zu beschäftigen, könne er nicht mehr ausüben. Zuletzt sei er im Jahr 2007 im Urlaub gewesen. Im Hinblick auf den Befund hat Dr R. angegeben, bis auf die Gesichtslähmung rechts und eine Abduktionsschwäche des Kleinfingers rechts vom Kraftgrad 4 lägen Paresen nicht vor. Beim Seiltänzergang wirke er unsicher und benötige Ausweichschritte nach links und rechts. Der Hacken- und der Fersengang könnten ohne Probleme demonstriert werden. Während der mehrstündigen Exploration sei der Eindruck einer zunehmenden Erschöpftheit entstanden. Die Antriebslage sei hingegen nur geringgradig vermindert. Auch lägen nur leichte Hinweise für eine depressive Störung vor. Der Kläger leide an einer Pseudoneurasthenie (organische, emotional-labile asthenische Störung), an einer leichten zentralen Innervationsstörung der rechten Körperhälfte, an einem operierten Sulcus-Ulnaris-Syndrom rechts und an einer Anakusis (Taubheit) rechts. Zum jetzigen Zeitpunkt lasse sich nicht sicher klären, ob die beim Kläger vorliegende Symptomatik auf eine Pseudoneurasthenie oder auf eine Somatisierungsstörung zurückführbar sei. In jedem Fall liege jedoch eine mittelgradige Störung vor, die einen Einfluss auf die berufliche Leistungsfähigkeit habe. Die zentrale Innervationsstörung mit einer Gesichtslähmung rechts, einer Steigerung der Muskeleigenreflexe rechts, einer Bradydiadochokinese rechts (verlangsamte Folgebewegung der Hand) und die Gangunsicherheit wiesen auf eine wahrscheinlich linkshirnige Schädigung hin. Der Kläger sei nicht mehr in der Lage, mittelschwere oder schwere körperliche Arbeiten durchzuführen. Akkord- oder Nachtarbeit müsse wegen der Gefahr einer Zunahme der im psychischen Befund erhobenen Störungen bzw der berichteten Schlafstörungen unterbleiben. Auch körperlich stark belastende Tätigkeiten, wie die überwiegende oder dauerhafte Einnahme von Zwangshaltungen (häufiges Bücken oder kniende Tätigkeiten) seien zu vermeiden. Gleiches gelte für Tätigkeiten in Kälte, unter Wärmeeinfluss bzw unter Einwirkungen von Staub, Gasen, Dämpfen oder Nässe. Arbeiten im Freien seien nicht grundsätzlich, sondern nur unter ungünstigen Witterungsbedingungen zu vermeiden. Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sollten angesichts der Gangstörungen nicht mehr durchgeführt werden. Treppensteigen sei jedoch zumutbar. Eine besondere geistige Beanspruchung mit erhöhter oder hoher Verantwortung könne dem Kläger aufgrund der erhöhten Ablenkbarkeit nicht mehr auferlegt werden. Der Kläger könne daher ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit nur noch leichte körperliche Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis zu ca zehn kg überwiegend im Stehen, Gehen oder ständig im Sitzen verrichten. Auch könne er noch Schichtarbeit ausüben. Gesundheitliche Einschränkungen hinsichtlich des Sprechvermögens bestünden nicht. Da bei der jetzigen Untersuchung eine Taubheit rechts festgestellt worden sei, dürfe die Tätigkeit auch keine Beanspruchung des Gehörs mehr erfordern. Publikumsverkehr sei jedoch zumutbar. Im Bezug auf Arbeiten an Schreib- oder Büromaschinen könnten diese dann durchgeführt werden, wenn keine überdurchschnittliche Beanspruchung an die Feingeschicklichkeit der rechten Hand gestellt würden. Auch eine besondere Beanspruchung des Sehvermögens komme nicht mehr in Betracht, da es dem Kläger nicht gelinge, den Blick vollständig nach rechts zu wenden. Insofern solle die Tätigkeit nicht das Führen von Fahrzeugen beinhalten. Der Kläger sei nicht mehr in der Lage, ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche auszuüben. Vielmehr könne er nur noch leichte Tätigkeiten drei bis unter sechs Stunden unter Beachtung der genannten qualitativen Leistungseinschränkungen täglich verrichten. Grund hierfür seien die vorzeitige Erschöpfbarkeit und die kognitiven Störungen. Hinsichtlich des Arbeitsweges sei davon auszugehen, dass der Kläger gut in der Lage sei, 500 m am Stück in einem Zeitraum von weniger als 17 bis 20 Minuten zurückzulegen. Die Einschränkung der Leistungsfähigkeit bestehe wohl seit dem 06.02.2008. Sowohl bei der Pseudoneurasthenie als auch bei einer alternativ in Frage kommenden Somatisierungsstörung handle es sich um Krankheiten, die üblicherweise einen chronischen Verlauf nähmen. Insoweit sei nicht davon auszugehen, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers so nachhaltig bessere, dass die angegebenen Leistungseinschränkungen voraussichtlich ganz oder teilweise entfielen.
Für die Beklagte hat Dr W. am 14.11.2011 Stellung genommen und darauf hingewiesen, dass Dr R. die Hinweise einer mangelnden Motivation und Anstrengungsbereitschaft nicht genügend berücksichtigt habe. Außerdem bestünden Zweifel an der Individualität der Gutachtenserstellung.
In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 07.12.2011 hat Dr R. ausgeführt, die von ihm festgestellte mangelnde Anstrengungsbereitschaft sei nicht gleichzusetzen mit einer Simulation. Vielmehr könne sie eine Folge einer hirnorganischen Schädigung oder auch einer Depression sein und damit Ausdruck entweder der Unfähigkeit oder des Unwillens, unter maximaler Willensanstrengung eine Leistung zu vollbringen. Auch unter Berücksichtigung der Einwände des Dr W. verbleibe er bei seiner Einschätzung, wonach der Kläger nur noch leichte Tätigkeiten zwischen drei bis unter sechs Stunden täglich verrichten könne.
Zu der ergänzenden Stellungnahme des Dr R. hat die Beklagte die weitere Stellungnahme des Dr W. vom 09.01.2012 vorgelegt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten und auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegten Berufungen des Klägers und der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten nach §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, sind statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Die Entscheidung des SG war lediglich insofern abzuändern, als die befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung (Arbeitsmarktrente) wegen bereits eingetretenen Fristablaufs über den 30.09.2011 hinaus bis zum 30.09.2014 zu gewähren ist. Der Kläger hat hingegen keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer. Denn er ist noch in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen drei bis unter sechs Stunden täglich auszuüben.
Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 SGB VI in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).
Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben nach § 240 Abs 1 SGB VI bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Erreichung der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Art 1 Nr 61 des RV-Altergrenzenanpassungsgesetzes vom 20. April 2007, BGBl I, 554) auch Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach dem die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs unter besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Der Kläger hat nach dem Versicherungsverlauf vom 07.01.2009 (vgl Anlage 2 des Bescheids vom 07.01.2009) - worüber zwischen den Beteiligten auch kein Streit besteht - nicht nur die allgemeine Wartezeit, sondern bei einem Leistungsfall im Februar 2008 (dazu weiter unten) auch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung erfüllt (§ 43 Abs 1 Satz 1 Nr 2, Abs 2 Satz 2 Nr 2 SGB VI). Darüber hinaus ist der Kläger ab Februar 2008 teilweise erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI.
Nach dem Ergebnis der im Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger seit Februar 2008 nur noch in der Lage ist, leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in einem Umfang von nur noch drei bis unter sechs Stunden täglich zu verrichten. Im Vordergrund stehen beim Kläger Gesundheitsbeschwerden auf nervenärztlichem Fachgebiet. Er leidet an einer Pseudoneurasthenie (organische, emotional-labile asthenische Störung), an einer leichten zentralen Innervationsstörung der rechten Körperhälfte, an einem operierten Sulcus-Ulnaris-Syndrom rechts und an einer Anacusis (Taubheit) rechts. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Dr R. vom 17.10.2011. Dabei hat Dr R. nachvollziehbar dargestellt, dass sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sicher klären lässt, ob die beim Kläger vorliegende Symptomatik auf eine Pseudoneurasthenie oder - wie etwa von dem Neurologen G. in seinem Gutachten vom 16.12.2008 angenommen - auf eine Somatisierungsstörung zurückzuführen ist. Dies ist jedoch im Ergebnis unerheblich, denn in jedem Fall handelt es sich um eine mittelgradige Störung, die - wie noch auszuführen ist - einen Einfluss auf die berufliche Leistungsfähigkeit des Klägers hat. Darüber hinaus deutet die zentrale Innervationsstörung der rechten Körperhälfte mit einer Gesichtslähmung rechts, einer Steigerung der Muskeleigenreflexe rechts, der Bradydiadochokinese rechts (verlangsamte Folgebewegung der Hand) und die Gangunsicherheit auf eine wahrscheinlich linkshirnige Schädigung hin. Dr M. spricht in seinem Gutachten vom 13.03.2010 in diesem Zusammenhang von einem leichten hirnorganischen Syndrom mit Wesensänderung.
Die Innervationsstörung führt dazu, dass der Kläger nicht mehr in der Lage ist, den Blick vollständig nach rechts zu wenden. Aufgrund der Pseudoneurasthenie kommt es zudem zu leichten Gangstörungen. Auch dies ergibt sich aus dem Gutachten des Dr R. vom 17.10.2011. Entsprechende Gangstörungen wurden auch schon von Dr M. in dessen Gutachten angegeben. In diesem Zusammenhang weist der Senat aber darauf hin, dass die festgestellten Gangstörungen nicht dazu führen, dass die Wegefähigkeit des Kläger eingeschränkt ist. Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht konkret angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm möglich sein muss - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel sowie vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege zurücklegen muss. Erwerbsfähigkeit setzt voraus, Wegstrecken von mehr als 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand zu Fuß bewältigen und zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (zB Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (BSG 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90, SozR 3-2200 § 1247 Nr 10, S 30 ff; 19.11.1997, 5 RJ 16/97, SozR 3-2600 § 44 Nr 10; 30.01.2002, B 5 RJ 36/01 R, juris). Dazu gehört zB auch die zumutbare Benutzung eines eigenen, ggf im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 16 SGB VI, § 33 Abs 3 Nr 1, Abs 8 Nr 1 SGB IX) subventionierten Kraftfahrzeugs (vgl BSG 19.11.1997, aaO). Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes steht nach der von Dr R. durchgeführten Ganganalyse fest, dass der Kläger gut in der Lage ist, 500 m am Stück in einem angemessenen Zeitraum von weniger als 17 bis 20 Minuten zurückzulegen. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Gutachten von Dr M ... Dieser hat zwar angegeben, dass "Bewegungseinschränkungen von Wirbelsäule und Sprunggelenk rechts sowie der ataktische Gang" zu einer Einschränkung der Mobilität des Klägers führten. Eine konkrete Ganganalayse hat er - im Gegensatz zu Dr R. - jedoch nicht durchgeführt. Auch hat er keine Befunde (wie etwa Muskelatrophien oder fehlende Fußbeschwielung) erhoben, die gegen eine ausreichende Wegefähigkeit sprechen.
Aufgrund der genannten Gesundheitsstörungen ist der Kläger nicht mehr in der Lage, mittelschwere oder schwere körperliche Arbeiten durchzuführen. Akkord- oder Nachtarbeit muss wegen der Gefahr einer Zunahme der psychischen Störungen und der vom Kläger angegebenen Schlafstörungen vermieden werden. Auch körperlich stark belastende Tätigkeiten, wie die überwiegende oder dauerhafte Einnahme von Zwangshaltungen (häufiges Bücken oder kniende Tätigkeiten) müssen vermieden werden, da dadurch die vorzeitige Erschöpfbarkeit des Klägers verstärkt wird. Gleiches gilt für Tätigkeiten in Kälte, unter Wärmeeinfluss bzw unter Einwirkungen von Staub, Gasen, Dämpfen oder Nässe. Arbeiten im Freien sind nur unter ungünstigen Witterungsbedingungen zu vermeiden. Arbeiten auf Leitern und Gerüsten dürfen angesichts der Gangstörungen nicht mehr durchgeführt werden. Treppensteigen ist jedoch noch zumutbar. Eine besondere geistige Beanspruchung mit erhöhter oder hoher Verantwortung kann dem Kläger aufgrund der Gefahr einer erhöhten Ablenkbarkeit nicht mehr auferlegt werden. Der Kläger kann mithin nur noch leichte körperliche Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis zu ca zehn kg, abwechselnd im Stehen, Gehen oder Sitzen verrichten. Hierbei ist er auch in der Lage, während des Tages Schichtarbeiten auszuüben. Arbeiten, die keine überdurchschnittliche Beanspruchung an die Feingeschicklichkeit der rechten Hand stellen, sind ebenfalls zumutbar. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aufgrund der von Dr R. in seinem Gutachten genannten qualitativen Leistungseinschränkungen, die der Senat aufgrund der gesundheitlichen Erkrankungen des Klägers für nachvollziehbar und schlüssig hält.
Aufgrund der Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Fachgebiet ist das Leistungsvermögen des Klägers dauerhaft auf drei bis unter sechs Stunden täglich eingeschränkt. Der Senat folgt auch insoweit der Leistungseinschätzung des Dr R. in dessen Gutachten vom 17.10.2011. Dieser hat seine Leistungsbeurteilung für den Senat schlüssig und nachvollziehbar begründet. Denn aus seinem Gutachten ergibt sich, dass der Kläger aufgrund der vorhandenen Gesundheitsstörungen nur eingeschränkt quantitativ belastbar ist. Grund hierfür ist die vorzeitige Erschöpfbarkeit und die bei ihm vorliegenden kognitiven Störungen. Dr R. hat in diesem Zusammenhang nachvollziehbar dargelegt, dass während der Untersuchung durch ihn eine deutliche und im Verlauf der Exploration zunehmende Störung der kognitiven Funktionen auftrat, sodass es zwischenzeitlich zu einer Verschlechterung des psychischen Befundes gekommen ist. So kam es bereits nach der ca zweistündigen Exploration zu einem Nachlassen der Auffassungsgabe, der Konzentrationsfähigkeit und der Aufmerksamkeit. Dr R. hat in diesem Zusammenhang in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 07.12.2011 auch nachvollziehbar dargelegt, dass sein standardisiertes Verfahren, nämlich die Wiederholung der Befundung unter Leistungsaspekten, vorliegend deutlich gezeigt hat, dass eine vorzeitige Erschöpfbarkeit im Sinne einer mittelgradigen psychischen Störung besteht. Der Senat teilt auch die Auffassung von Dr R., dass gerade durch die Standardisierung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens die subjektive Wahrnehmung reduziert werden kann, um die Befunderhebung und die Bewertung der Befunde zu objektivieren. Insofern überzeugt den Senat die von Dr W. in seinen Stellungnahmen vom 29.03.2010 und 09.07.2010 geäußerte Kritik an dem Gutachten von Dr R. nicht. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die von Dr W. kritisierte (fehlende) Berücksichtigung der mangelnden Motivation und Anstrengungsbereitschaft des Klägers - wie von Dr R. nachvollziehbar ausgeführt - nicht mit einer Simulation gleichzusetzen ist, sondern vielmehr als eine Folge der hirnorganischen Schädigung bzw einer Depression gewertet werden kann.
Der Senat konnte sich jedoch nicht davon überzeugen, dass die Leistungsfähigkeit des Klägers in zeitlicher Hinsicht unter drei Stunden täglich gesunken ist. Der diesbezüglichen Leistungseinschätzung des Dr M. ist mit dem SG entgegenzuhalten, dass der Kläger zum einen noch bis Februar 2008 in der Lage war, seine Tätigkeit als Betriebselektriker vollschichtig auszuüben. Aber auch für die Zeit danach (dh ab Februar 2008) lässt sich das von Dr M. diagnostizierte leichte hirnorganische Syndrom nicht mit seiner zeitlichen Leistungseinschätzung in Übereinstimmung bringen. Denn weder aus der Anamnese- noch aus der Befunderhebung lassen sich Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass das Leistungsvermögen im Hinblick auf leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts auf unter drei Stunden täglich gesunken ist. So hat Dr M. nicht angegeben, dass der Kläger überhaupt nicht in der Lage war, sich zu konzentrieren und die Auffassungsgabe durchgängig eingeschränkt war. Vielmehr hat er ausgeführt, dass der Kläger teils "etwas spitzbübisch" wirkte und auch "einmal lachen und einen humorigen Beitrag" leisten konnte. Darüber hinaus war der Kläger sehr bemüht, kooperativ in der Untersuchung mitzuarbeiten. Anhaltspunkte dafür, dass das Leistungsvermögen in zeitlicher Hinsicht unter drei Stunden gesunken ist, lassen sich dem Gutachten des Dr M. mithin nicht überzeugend entnehmen. Soweit Dr W. in seiner Auskunft vom 14.08.2009 und Dr M. in ihrer Auskunft vom 14.08.2009 die Auffassung vertraten, dass der Kläger nicht mehr in der Lage ist, sechs Stunden am Tag zu arbeiten, wurde diese Leistungseinschätzung durch Dr R. bestätigt. Die Leistungseinschätzung des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie G. in seinem Gutachten vom 16.12.2008 überzeugt den Senat hingegen nicht, weil dieser die mit der Pseudoneurasthenie bzw dem hirnorganischen Syndrom einhergehenden Gesundheitsstörungen nicht hinreichend genug berücksichtigt hat.
Dabei geht der Senat davon aus, dass seit Februar 2008 durchgehend ein Leistungsvermögen von drei bis unter sechs Stunden besteht. Der Senat folgt auch diesbezüglich der Einschätzung des Dr R ... Für dieses Ergebnis spricht zum einen der Umstand, dass der Kläger noch bis Februar 2008 in der Lage war, seine Tätigkeit als Betriebselektriker vollschichtig auszuüben, und zum anderen, dass erst im Februar 2008 die vom Kläger geschilderten Doppelbilder und Schwindelattacken aufgetreten sind.
Der Kläger hat Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer. Nach § 102 Abs 2 Satz 1 SGB VI in der seit 01.01.2001 geltenden Fassung des Art 1 Nr 29 des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Zeit geleistet. Die Befristung erfolgt längstens für drei Jahre nach Rentenbeginn (Satz 2). Sie kann verlängert werden; dabei verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn (Satz 3). Verlängerungen erfolgen für längstens drei Jahre nach dem Ablauf der vorherigen Frist (Satz 4). Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann; hiervon ist nach einer Gesamtdauer der Befristung von neun Jahren auszugehen (Satz 5). Vorliegend ist es unwahrscheinlich, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit beim Kläger behoben werden kann. Hiervon ist auszugehen, wenn schwerwiegende medizinische Gründe gegen eine - rentenrechtlich relevante - Besserungsaussicht sprechen, sodass ein Dauerzustand vorliegt. Von solchen Gründen kann ausgegangen werden, wenn alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind und auch hiernach ein aufgehobenes Leistungsvermögen besteht. Hiervon ist der Senat mit Dr R. überzeugt. Dieser hat - in Übereinstimmung mit Dr M. - dargelegt, dass es sich bei den beim Kläger vorliegenden Erkrankungen um Gesundheitsstörungen mit üblicherweisem chronischen Verlauf handelt, sodass nicht von einer Besserung des Leistungsvermögens auszugehen ist. Im Übrigen hat auch Dr M. in ihrer Auskunft vom 14.08.2009 angegeben, dass bislang alle Therapieversuche erfolglos geblieben sind.
Da die Rente am 07.10.2008 beantragt wurde, ist sie ab dem 01.10.2008 (Antragsmonat) zu gewähren. Denn eine Rente aus eigener Versicherung wird gemäß § 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI von dem Monat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird (Satz 2). Da vorliegend die Rente erst am 07.10.2008 beantragt wurde, beginnt die unbefristete Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab dem 01.10.2008. Sie ist gemäß § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze zu gewähren.
Der Kläger hat zudem auch Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit. Da dem Kläger aufgrund des festgestellten eingeschränkten Leistungsvermögens nur noch der Teilzeitarbeitsmarkt zur Verfügung steht, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur sog konkreten Betrachtungsweise die derzeitige Arbeitsmarktsituation zu berücksichtigen (vgl Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19.12.1996, SozR 3-2600 § 44 Nr 8), weshalb die teilweise Erwerbsminderung in eine volle Erwerbsminderung durchschlägt. Dieser Rechtsprechung des BSG ist auch nach der Neuregelung des § 43 SGB VI zum 01.01.2001 durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (BGBl I, S 1827) zu folgen. Denn der Gesetzgeber hat nunmehr in § 43 Abs 3 Halbsatz 2 SGB VI ausdrücklich normiert, dass die konkrete Arbeitsmarktlage nur bei einer Erwerbsfähigkeit von mindestens sechs Stunden nicht zu berücksichtigen ist (so auch Reinhardt in LPK-SGB VI, § 43 RdNr 11). Die sog Arbeitsmarktrente wird jedoch nur auf Zeit gewährt (Umkehrschluss aus § 102 Abs 2 Satz 5 SGB VI).
Als befristete Rente ist die Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 101 Abs 1 SGB VI erst mit Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit zuzusprechen. Gemäß § 99 Abs 1 Satz 2 SGB VI war die Rente gleichermaßen erst ab dem 01.10.2008 zu gewähren. Nach § 102 Abs 2 Satz 2 SGB VI erfolgt die Befristung für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn. Da die Frist von drei Jahren (ab dem 01.10.2008) bereits abgelaufen ist (30.09.2011), die Befristung jedoch verlängert werden kann, erachtet es der Senat für sachgerecht, die Befristung für weitere drei Jahre zu verlängern und auf den 30.09.2014 zu begrenzen. Insofern war das Urteil des SG abzuändern.
Nachdem der Kläger bereits gemäß § 43 Abs 1 SGB VI einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer hat und der Rentenartfaktor bei Renten wegen teilweiser Erwerbsminderung - unabhängig, ob diese gemäß § 43 Abs 1 oder gemäß § 240 SGB VI wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren ist) - stets 0,5 beträgt (§ 67 Nr 2 SGB VI), konnte der Senat die Frage offen lassen, ob der Kläger gemäß § 240 SGB VI auch teilweise erwerbsgemindert wegen Berufungsfähigkeit ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Hierbei wurde berücksichtigt, dass keiner der Beteiligten in der Berufungsinstanz obsiegt hat und die Entscheidung des SG nur wegen des zwischenzeitlich eingetretenen Fristablaufs abgeändert wurde.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
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