L 6 SF 1586/11 E

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 SF 1586/11 E
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Kostenbeschluss
Leitsätze
1. Zu den Voraussetzungen für die Anerkennung eines Zeitaufwands für ein Literaturstudium eines medizinischen Sachverständigen.

2. Eine zeitlich lange Vorgeschichte begründet allein keinen Ansatz für ein Literaturstudium.
Die Vergütung für das Gutachten des Erinnerungsführers vom 31. August 2011 wird auf 1.497,97 Euro festgesetzt. Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.

Gründe:

I.

In dem Berufungsverfahren A. K .../. Deutsche Rentenversicherung Bund (Az.: L 6 R 539/07) ordnete die Berichterstatterin des 6. Senats des Thüringer Landessozialgerichts mit Beweisanordnung vom 5. August 2011 die Einholung eines Gutachtens nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bei dem Erinnerungsführer, einem Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, an. Übersandt wurden ihm 934 Blatt Akten.

Der Erinnerungsführer fertigte unter dem 31. August 2011 sein Gutachten aufgrund einer ambulanten Untersuchung am 15. August 2011 auf insgesamt 10 Blatt. In seiner Kostenrechnung vom 2. September 2011 machte er insgesamt 1.907,97 Euro geltend (28 Stunden Zeitaufwand zu einem Stundendensatz von 60,00 Euro, besondere Leistungen 245,47 Euro, Schreibauslagen 12,50 Euro, Porto 10,00 Euro). Bezüglich der Einzelheiten wird auf Blatt 50 des Kostenhefts verwiesen. Mit Verfügung vom 9. September 2011 kürzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UKB) die Vergütung auf 1.497,97 Euro: 20,1 aufgerundet 20,5 Stunden x 60,00 Euro (Honorargruppe M2) 1.230,00 Euro besondere Leistungen 245,47 Euro Schreibauslagen/Kopien 12,50 Euro Porto 10,00 Euro Gesamtbetrag 1.497,97 Euro

Am 26. September 2011 hat sich der Erinnerungsführer gegen die Festsetzung gewandt und vorgetragen, er akzeptiere zwar die leichte Stundenreduzierung auf 20,5 Stunden, sehe aber nicht ein, dass sein Ansatz für das Literaturstudium (4 Stunden zu 50,00 Euro) gestrichen werde. Es sei bekannt, dass das Verfahren langjährig laufe und aus verschiedenen Fachgebieten unterschiedlich aufwendige Gutachten erstellt wurden. Er habe zwar nur zwei Literaturstellen zitiert, sich aber mit der infrage kommenden Fachliteratur wirklich auseinander gesetzt.

Der Erinnerungsführer beantragt sinngemäß,

die Vergütung für das Gutachten vom 31. August 2011 auf 1.907,97 Euro festzusetzen.

Der Erinnerungsgegner beantragt,

die Vergütung für das Gutachten vom 8. September 2011 auf 1.497,97 Euro festzusetzen.

Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen der UKB.

Diese hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 28. September 2011) und sie dem erkennenden Senat vorgelegt. Der Senatsvorsitzende hat das Verfahren am 23. Dezember 2011 dem Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung übertragen.

II.

Nach § 4 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und –entschädigungsgesetz (JVEG)) erfolgt die Festsetzung der Vergütung durch gerichtlichen Beschluss, wenn der Berechtigte oder die Staatskasse die gerichtliche Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen erachtet. Zuständig ist das Gericht, von dem der Berechtigte herangezogen worden ist (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 JVEG). Der Erinnerungsführer ist Berechtigter im Sinne dieser Vorschrift.

Bei der Erinnerung sind alle für die Bemessung der Vergütung maßgeblichen Umstände zu überprüfen, unabhängig davon, ob sie angegriffen werden (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Beschlüsse vom 1. Dezember 2011 - Az.: L 6 SF 1617/11 E, 8. September 2009 - Az.: L 6 SF 49/08, 4. April 2005 – Az.: L 6 SF 83/05 in MedSach 2005, 137 ff., Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (VGH), Beschluss vom 10. Oktober 2005 – Az.: 1 B 97.1352, nach juris). Insofern kommt es nicht darauf an, dass der Erinnerungsführer sich vor allem gegen die Ablehnung seines Ansatzes für das Literaturstudium wendet. Bei der Festsetzung ist der Senat weder an die Höhe der Einzelansätze noch an den Stundenansatz oder die Gesamthöhe der Vergütung in der Festsetzung durch die UKB oder den Antrag der Beteiligten gebunden; er kann lediglich nicht mehr festsetzen als beantragt. Die Erinnerung ist kein Rechtsbehelf; insofern gilt nach herrschender Meinung (h.M.) das Verschlechterungsverbot (sog. "reformatio in peius") bei der erstmaligen richterlichen Festsetzung nicht (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. September 2009 - Az.: L 6 SF 49/08, 13. April 2005 - Az.: L 6 SF 2/05, 16. September 2002 - Az.: L 6 B 51/01 SF; Meyer/Höver/Bach, Die Vergütung und Entschädigung von Sachverständigen, Zeugen, Dritten und von ehrenamtlichen Richtern nach dem JVEG, 25. Auflage 2011, § 4 Rdnr. 4.3; Hartmann in Kostengesetze, 40. Auflage 2010, § 4 JVEG Rdnr. 10).

Nach § 8 Abs. 1 JVEG erhalten Sachverständige als Vergütung 1. ein Honorar für ihre Leistungen (§§ 9 bis 11 JVEG), 2. Fahrtkostenersatz (§ 5 JVEG), 3. Entschädigung für Aufwand (§ 6 JVEG) sowie 4. Ersatz für sonstige und besondere Aufwendungen (§§ 7 und 12 JVEG). Soweit das Honorar nach Stundensätzen zu bemessen ist, wird es nach § 8 Abs. 2 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten gewährt (Satz 1); die letzte bereits begonnene Stunde wird voll gerechnet, wenn mehr als 30 Minuten für die Erbringung der Leistung erforderlich war (Satz 2 Halbs. 1).

Das Honorar der Sachverständigen errechnet sich nach den §§ 9 Abs. 1 S. 1, 8 Abs. 2 JVEG nach der erforderlichen Zeit. Es kommt nicht darauf an, wie viele Stunden tatsächlich aufgewendet wurden, sondern welchen Zeitaufwand ein Sachverständiger mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung bei sachgemäßer Auftragserledigung und durchschnittlicher Arbeitsintensität benötigt (vgl. u.a. Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 16. Dezember 2003 – Az.: X ZR 206/98, nach juris; Senatsbeschluss vom 15. März 2010 - Az.: L 6 B 209/09 SF; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. September 2008 - Az.: I 10 W 60/08, 10 W 60/08,.; Hartmann in Kostengesetze, 40. Auflage 2010, § 8 JVEG Rdnr. 35).

Die Aufteilung der Sachverständigenleistung erfolgt entsprechend dem Thüringer "Merkblatt über die Entschädigung von medizinischen Sachverständigen" grundsätzlich in fünf Bereichen: a) Aktenstudium und vorbereitende Arbeiten, b) Erhebung der Vorgeschichte, c) notwendige Untersuchungen, d) Abfassung der Beurteilung, e) Diktat sowie Durchsicht des Gutachtens.

Für das Gutachten vom 31. August 2011 war angesichts der übersandten Unterlagen und unter Berücksichtigung der üblichen Erfahrungswerte ein Zeitaufwand von allenfalls 20,2 (nicht: 20,1) Stunden, aufgerundet 20,5 Stunden erforderlich. Die zusätzliche Vergütung eines Zeitansatzes für ein Literaturstudium kommt nicht in Betracht.

Für das Aktenstudium kommt - entsprechend dem Ansatz der UKB - ein Arbeitsaufwand von 11,6 Stunden in Betracht. Der Senat unterstellt in ständiger Rechtsprechung, dass ein Sachverständiger für das Aktenstudium und vorbereitende Maßnahmen einschließlich der Fertigung von Notizen und Exzerpten einen Zeitaufwand von etwa einer Stunde für etwa 80 Blatt mit ca. 1/4 medizinischem Inhalt benötigt (vgl. u. a. Beschlüsse vom 19. Dezember 2007 - Az.: L 6 B 172/07 SF und 11. Februar 2003 - Az.: L 6 B 6/03 SF). Nachdem die Beteiligten keine Bedenken gegen den zuerkannten Zeitansatz für die Erhebung der Vorgeschichte und die Untersuchung (6 Stunden) vortragen, sieht der Senat keinen Anlass für eine Abänderung oder eine weitergehende Auseinandersetzung.

Für die Abfassung der Beurteilung kann angesichts der Schreibweise allenfalls 1 Stunde berücksichtigt werden. Sie umfasst die Beantwortung der vom Gericht gestellten Beweisfragen und die nähere Begründung, also den Teil des Gutachtens, den das Gericht bei seiner Entscheidung verwerten kann, um ohne medizinischen Sachverstand seine Entscheidung begründen zu können, also die eigentlichen Ergebnisse des Gutachtens einschließlich ihrer argumentativen Begründung. Bei einem durchschnittlichen Sachverständigen ist nach der ständigen Senatsrechtsprechung ein Zeitaufwand von in der Regel 3 Seiten pro Stunde angemessen (vgl. u.a. Senatsbeschluss vom 19. Dezember 2007 - Az.: L 6 B 172/07 SF m.w.N.). Hier erstreckt sich die Beurteilung von Blatt 7 (unten) bis Blatt 10. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Blatt 9 und Teile von Blatt 10 abstrakte Ausführungen zur Somatisierungsstörung und chronischen Fehlentwicklung ("aus der Sicht gutachterlicher Literatur an zwei Beispielen") ohne erkennbaren konkreten Bezug zur Beurteilung der Klägerin enthalten. Der Erinnerungsführer selbst hat insoweit einen Bezug nur über "Hauptstichwörter" hergestellt. Deren inhaltliche Bedeutung kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben.

Für Diktat, Durchsicht und Korrektur des Gutachtens wird ein zeitlicher Aufwand von 1,6 Stunden akzeptiert. Erfahrungsgemäß ist für 5 bis 6 Blatt ein Zeitaufwand von ca. 1 Stunde notwendig, wobei der Gesamtumfang und die Schreibweise des Gutachtens zu berücksichtigen sind (vgl. Senatsbeschluss vom 1. August 2003 - Az.: L 6 SF 220/03 in MedSach 2004, 102). Hier ist zu berücksichtigen, dass die "einleitenden Worte" auf Blatt 1 und zu Anfang von Blatt 2 nicht Teil eines Gutachtens und insofern nicht zu vergüten sind.

Nicht zu vergüten ist der beantragte zusätzliche Zeitaufwand für das Literaturstudium. Hier geht der Senat von folgenden Grundsätzen aus: Ein allgemeines Literaturstudium wird nicht vergütet, denn von einem medizinischen Sachverständigen wird erwartet, dass er sich durch Einsicht in die einschlägige Literatur auf dem Laufenden hält (h.M., vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. Dezember 2011 - Az.: L 6 SF 1516/10 E, 20. Februar 2008 - Az.: L 6 B 186/07 SF m.w.N., 14. November 2002 – Az.: L 6 B 26/02 SF, 29. Juni 1999 - Az.: L 6 B 8/98 SF; Bayerisches LSG, Beschluss vom 30. November 2011 - Az.: L 15 SF 97/11 m.w.N., nach juris; Sächsisches OVG, Beschluss vom 31. August 2004 - Az.: 1 B 4411/98.A, nach juris; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Auflage 2007, Rdnr. 848; Hartmann in Kostengesetze, 40. Auflage 2010, § 8 JVEG Rdnr. 38). Ausnahmen kommen nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht, z.B. wenn zur Erfüllung des Auftrags das Lesen von neuer und bisher nicht diskutierter Literatur erforderlich ist (vgl. Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Auflage 2007, Rdnr. 848; bejaht hinsichtlich der Literatur von DIN-Normen durch einen medizinischen Sachverständigen im Senatsbeschluss vom 14. Dezember 2011 - Az.: L 6 SF 1516/11 E) oder bei ganz speziellen Beweisfragen (vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom 30. November 2011 - Az.: L 15 SF 97/11, nach juris). Dann muss im Gutachten allerdings eine kritische Auseinandersetzung erfolgt sein (vgl. Senatsbeschluss vom 20. Februar 2008 - Az.: L 6 B 186/07 SF). Die Vergütung einer Literaturrecherche ohne genaue Zitierung der Fundstellen kommt nicht in Betracht.

Davon ausgehend scheidet hier der begehrte Ansatz aus. Die Honorierung eines Literaturstudiums ohne Niederschlag im Gutachten kommt nicht in Betracht. Soweit der Erinnerungsführer dort 2 Literaturstellen zur Definition von Somatisierungsstörungen und chronischer Schmerzfehlentwicklung zitiert (Sozialmedizinische Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung, hrs. vom VDR und Hausotter, Begutachtung somatoformer und funktioneller Störungen), handelt es sich bei diagnostischen Kriterien von Somatisierungsstörungen und chronischer Schmerzfehlentwicklung für ein nervenärztliches Gutachten um gängige Literatur zu gängigen Gesichtspunkten. Eine kritische Auseinandersetzung ist nicht ersichtlich. Eine zeitlich lange Vorgeschichte begründet allein keinen Ansatz für ein Literaturstudium und eine Auseinandersetzung mit Gutachten auf fachfremden Gebieten ist für einen Sachverständigen nicht angebracht (und hier auch nicht erfolgt).

Die Schreibauslagen werden nach § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 JVEG ersetzt. Sie und die Portokosten sind nicht streitig.

Vermutlich durch einen Zahlendreher hat die UKB die besondern Leistungen nach der GOÄ auf Blatt 3 des Kürzungsschreibens zu hoch angesetzt (254,47 Euro statt 245,47 Euro), dies bei der Gesamtaddition allerdings zu Recht nicht berücksichtigt.

Die Vergütung erfolgt - wie beantragt - nach der Honorargruppe M2 (§ 9 Abs. 1 JVEG). Sie wird wie folgt definiert: Beschreibende (Ist-Zustands-)Begutachtung nach standardisiertem Schema ohne Erörterung spezieller Kausalzusammenhänge mit einer medizinischer Verlaufsprognose und mit durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad, z.B. Gutachten in Verfahren nach dem SchwbG oder zur Minderung der Erwerbsfähigkeit und zur Invalidität. Die Honorargruppe M3 erfordert Gutachten mit hohem Schwierigkeitsgrad (Begutachtungen spezieller Kausalitätszusammenhänge und/oder differentialdiagnostischer Probleme und/oder Beurteilungen der Prognose und/oder Beurteilung strittiger Kausalitätsfragen), z.B. zum Kausalzusammenhang mit problematischen Verletzungsfolgen oder in Verfahren nach dem Opferentschädigungsgesetz. In den Beispielen beider Honorargruppen werden Gutachten zur Überprüfung der Erwerbsminderung nicht genannt. Deshalb erfolgt die Zuordnung nach billigem Ermessen (§ 9 Abs. 1 S. 3 2. Halbs. JVEG). Zustandsgutachten - wie hier - ordnet die h.M. im Regelfall der Honorargruppe M2 zu (vgl. Senatsbeschlüsse vom 1. Juni 2011 - Az.: L 6 SF 277/11 B, 27. August 2008 - Az.: L 6 SF 36/08; 19. Dezember 2007 – Az.: L 6 B 172/07 SF, 21. Dezember 2006 Az.: L 6 B 22/06 SF in MedSach 2007, 180 f., Bayerisches LSG, Beschluss vom 23. September 2009 - Az.: L 15 SF 188/09; Hessisches LSG, Beschluss vom 11. April 2005 – Az.: L 2/9 SF 82/04, beide nach juris; Reyels in jurisPR-SozR 18/2010 Anm. 6); es handelt sich um typische Gutachten mit durchschnittlicher Schwierigkeit (vgl. Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Auflage 2007, Rdnr. 872).

Damit errechnet sich die Vergütung des Erinnerungsführers wie folgt: 20,5 Stunden x 60,00 Euro (Honorargruppe M2) 1.230,00 Euro besondere Leistungen 245,47 Euro Schreibauslagen 12,50 Euro Porto 10,00 Euro Gesamtbetrag 1.497,97 Euro

Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 4 Abs. 4 S. 3 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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