L 2 R 143/10

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 13 R 363/09
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 143/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
ohne
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. Januar 2010 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über den Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der 1957 geborene Kläger leidet von Geburt an an einer Epispadie mit Harnröhrenverengung. Er ist ausgebildeter Elektroinstallateur. Nach seiner Gesellenprüfung am 25. Januar 1980 übte er bis März 1981 eine versicherungspflichtige Beschäftigung in einem Baumarkt aus. Im Anschluss daran war der Kläger nach seinen eigenen Angaben in den unterschiedlichsten Bereichen selbstständig erwerbstätig (u.a. im Groß- und Einzelhandel mit Autoteilen, als Immobilienmakler, mit einer Baufirma). Von März 1993 bis März 1996 war er als Projektleiter angestellt. Vom 3. April 1996 bis 31. Januar 1998 war der Kläger arbeitslos gemeldet und bezog Arbeitslosengeld. Sein Rentenversicherungskonto weist nach diesem Zeitpunkt keine rentenrechtlichen Zeiten mehr auf. Diverse selbstständige Tätigkeiten übte der Kläger auch noch nach 1998 aus (Büro für Baumanagement, später für Baumontagevermittlungen, Hausverwaltung, Restaurantbetrieb).

Am 18. April 2008 beantragte der Kläger die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Dabei gab er an, sich wegen der Nieren- und Harnleiterentfernung (rechts), Bandscheibenvorfällen und Funktionsstörungen der Wirbelsäule sowie Fibromyalgie seit dem 14. Mai 1996 für erwerbsgemindert zu halten. Dazu legte er zwei Arztbriefe aus den Jahren 1972 und 2004 und den Bescheid des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales LW. vom 14. März 2008 mit der Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 90 vor.

Im Rahmen der Sachermittlungen von Amts wegen zog die Beklagte Sachverständigengutachten auf orthopädischem, internistischem und neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet bei.

Mit den Feststellungen einer Lumboischialgie links bei degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule und mitgeteilten lumbalen Bandscheibenvorfällen ohne neurologische Ausfälle, Thorakomyalgie bei degenerativen Veränderungen der Brustwirbelsäule, beginnender Cox- und Rhizarthrose beidseits sowie leichter Handgelenksarthrose links traute der Orthopäde Dr. QQ. dem Kläger nach Exploration am 11. Juni 2008 in seiner Expertise vom gleichen Tage noch die Ausübung leichter körperlicher Tätigkeiten im Wechsel von Sitzen, Gehen und Stehen, ohne Heben und Tragen von Lasten über 10 kg und ohne Arbeiten in der körperlichen Zwangshaltungen im Umfang von drei bis sechs Stunden täglich ebenso zu wie die von ihm zuletzt ausgeführte selbstständige Tätigkeit in der Bauleitung und Projektsteuerung. Seine sozialmedizinische Leistungsbeurteilung knüpfte er dabei an den Untersuchungstag an. Zu dem gleichen Restleistungsvermögen gelangte der Internist WW. für die Zeit ab Februar 2008 in seinem Gutachten vom 24. Juni 2008 aufgrund urologischer und nephrologischer Gesundheitsstörungen sowie einer Hypertonie. Den internistischen Erkrankungen maß er dabei keine wesentlichen Funktionseinschränkungen bei, wies aber auf eine abklärungsbedürftige depressive Komponente und Schmerzsymptomatik im Sinne eines Fibromyalgiesyndromes hin. Mit den Diagnosen eines reaktiven Verstimmungs- und Versagenszustandes sah die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. EE. den Kläger sowohl auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als auch in der Tätigkeit eines Baumarktleiters für mehr als sechs Stunden täglich als leistungsunfähig an (Gutachten vom 16. Juli 2008).

Gestützt auf diese Expertisen lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 15. August 2008 ab. Zur Begründung führte sie aus, dass nach ihren Feststellungen seit dem 18. April 2008 auf unbestimmte Dauer eine teilweise Erwerbsminderung bestehe, zu diesem Zeitpunkt die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen jedoch nicht mehr erfüllt seien. Die Feststellung einer Leistungseinschränkung bereits im Jahre 1996 habe aus den vorhandenen medizinischen Unterlagen nicht nachvollzogen werden können.

In seinem Widerspruch hiergegen behauptete der Kläger unter Hinweis auf die seinerzeit stattgehabten Operationen (Entfernung von rechter Niere und Harnleiter) weiterhin einen Leistungsfall im Jahre 1996. Nach Beiziehung diverser medizinischer Unterlagen (Befundbericht Prof. Dr. C., Urologe, vom 19. Januar 2009, sozialmedizinisches Gutachten des MDK in Hessen vom 28. März 2003, Reha-Entlassungsbericht vom 7. August 2002) und auch einer Arbeitgeberselbstauskunft des Klägers über seine selbstständige Tätigkeit vom 13. Dezember 2008 mit Einkommensnachweisen (Steuerbescheide der Jahre 2004 bis 2007) wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 7. Mai 2009 zurück. Darin führte sie aus, dass die für einen Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung erforderlichen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nur bis zum 31. Januar 2000 vorlägen, sich eine überdauernde Leistungsminderung bis zu diesem Datum nach Auswertung der medizinischen Unterlagen jedoch nicht feststellen lasse.

In dem sich anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main wiederholte und vertiefte der Kläger sein bisheriges Vorbringen. Mit Urteil vom 14. Januar 2010 wies das Gericht die Klage mangels Fehlen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ab. Ergänzend bemerkte es, dass der Kläger im Jahre 1998 noch eine neue Firma für Baumanagement gegründet, erfolgreich aufgebaut und erst im Jahr 2001 krankheitsbedingt aufgegeben habe. Bis zu dem Beginn der nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeitszeiten (ab dem 11. November 2001) sei er vollschichtig tätig gewesen. Dem Gesichtspunkt, dass der Kläger bis über den Zeitpunkt des letztmaligen Vorliegens der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen hinaus beruflich erfolgreich tätig gewesen sei, sei im Rahmen der Beweiswürdigung ein erhebliches Gewicht beizumessen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass keine gutachterlichen Äußerungen dafür sprächen, dass bereits vor dem 31. Januar 2000 eine rentenrechtlich relevante Erwerbsminderung eingetreten sei. Vielmehr ergäbe sich aus der diesem Zeitpunkt zeitnächsten medizinischen Stellungnahme, dem Reha-Entlassungsbericht vom 7. August 2002, noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen.

Gegen das ihm am 10. März 2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29. März 2010 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Er hält daran fest, bereits 1996 erwerbsgemindert gewesen zu sein.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichtes Frankfurt am Main vom 14. Januar 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15. August 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Mai 2009 zu verurteilen, ihm ab 1. April 2008 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Vom Ergebnis her verteidigt sie die erstinstanzliche Entscheidung. Mit Blick auf das Ergebnis der im Berufungsverfahren durchgeführten medizinischen Beweiserhebung konzediert sie eine relevante Nierenerkrankung bereits vor und nach 1999 mit der Folge häufiger Arbeitsunfähigkeitszeiten. Es sei jedoch die selbstständig bis Ende 2001 ausgeübte Tätigkeit zu beachten sowie das nach mehrwöchiger Beobachtung festgestellte Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr täglich nach der Entlassung aus der Rehabilitationsmaßnahme 2002.

Im Rahmen der Sachermittlungen von Amts wegen hat der Senat Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers Prof. Dr. C. vom 23. März 2010, Dr. RR. (Internist/Rheumatologe) vom 11. Mai 2010, Dr. D. (Internistin) vom 4. August 2010 wie auch einen aktuellen Versicherungsverlauf nebst Probeberechnung beigezogen.

Auf den Antrag des Klägers nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat der Senat den von ihm benannten Arzt für Urologie Prof. Dr. C. gutachtlich gehört. In dem Sachverständigengutachten vom 19. Juli 2011 diagnostiziert dieser bei dem Kläger rückbezogen auf Februar 2000 eine Harnleiter-Darm-Implantation mit Einzelniere links, konsekutiv eine Niereninsuffizienz, eine erektile Dysfunktion, ein Halswirbelsäulensyndrom, Hypertonie, Fibromyalgie, rezidivierende hypokaliämische, hypochlorämische Azidose, rezidivierende Pyelonephritiden, einen Narbenbruch sowie narbige Verwachsungen nach multiplen Operationen. Sämtlichen dieser Leiden wies er einen erwerbsmindernden Dauereinfluss zu. Der Arzt führte aus, dass für die Arbeitsfähigkeit keine retrospektiven Erhebungen vorlägen. De facto habe allerdings eine Niereninsuffizienz mit erhöhten Kreatininwerten und eine Anämie bestanden, dazu seien rezidivierend azidotische Schübe aufgetreten. Durch alle drei Phänomene sei die Leistungsfähigkeit eingeschränkt (gewesen). In den Phasen der akuten Entzündung sei der Kläger sicherlich nicht in der Lage gewesen, einer regelmäßigen kontinuierlichen Tätigkeit nachzugehen; außerhalb dieser Phasen sei er wahrscheinlich in der Lage gewesen, zwischen zwei und vier Stunden täglich zu arbeiten. Bis Februar 2000 habe der Kläger allenfalls leichte Arbeiten im Sitzen ausführen können. Aufgrund der multiplen Vorerkrankungen und Operationen, insbesondere auch der Narbensituation, sei er nicht in der Lage gewesen, schwerere Arbeiten durchzuführen. Eine eindeutige Einschränkung des Leistungsvermögens habe 1996 bestanden, es sei dann jedoch eine zwischenzeitliche Besserung eingetreten. Ab Januar 1999 sei eine gravierende Einschränkung der Erwerbsfähigkeit durch entsprechende Komplikationen der Erkrankung festzustellen. Diese ergäbe sich aus den multiplen, auch stationären Behandlungen.

Zur Erhaltung der Nierenfunktion und für die wegen dieser Erkrankung erforderliche regelmäßige Flüssigkeitszufuhr habe der Kläger auch schon bis Ende Februar 2000 halbstündlich bis stündlich zehn- bis fünfzehnminütige Pausen einlegen müssen. Daneben sei er wegen der Urinableitung durch den Darm auf die betriebliche Möglichkeit des jederzeitigen Toilettenganges angewiesen gewesen.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der Gerichts- und Rentenakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143, 144 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage durch das Urteil vom 14. Januar 2010 zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 15. August 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Mai 2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Ein Anspruch auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung besteht nicht.

Nach § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Erwerbsgemindert ist aber nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Der für den Nachweis der sog. Vorversicherungszeit im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI maßgebliche Fünfjahreszeitraum verlängert sich gemäß § 43 Abs. 4 und § 241 Abs. 1 SGB VI um die im Gesetz im Einzelnen aufgeführten sog. Aufschubzeiten. Gemäß § 43 Abs. 5 SGB VI ist eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren nicht erforderlich, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit der Vorschrift des § 53 SGB VI zufolge (z.B. wegen eines Arbeitsunfalls) vorzeitig erfüllt ist. Nach der Sonderregelung des § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI sind Pflichtbeitragszeiten vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit außerdem nicht erforderlich für Versicherte, die vor dem 1. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 1. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit mit den im Gesetz im Einzelnen aufgeführten sog. Anwartschaftserhaltungszeiten belegt ist oder wenn die Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit vor dem 1. Januar 1984 eingetreten ist. Für Kalendermonate, für die eine Beitragseinzahlung noch zulässig ist, bedarf es gemäß § 241 Abs. 2 Satz 2 SGB VI keiner Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten. Die für eine Rente wegen Erwerbsminderung erforderliche allgemeine Wartezeit im Sinne des § 43 Abs. 1 und 2 Nr. 3 SGB VI ist gemäß § 50 Abs. 1 SGB VI erfüllt, wenn vor Eintritt der Erwerbsminderung eine Versicherungszeit von fünf Jahren zurückgelegt ist.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, weil seine Erwerbsfähigkeit jedenfalls bis zum 31. Januar 2000 als dem letzten Tag, zu dem die gesetzliche Vorversicherungszeit im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI erfüllt gewesen ist, nicht in rentenrechtlich relevantem Maße herabgemindert war. Für die Zeit ab dem 1. Februar 2000 liegen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr vor. Wie lange der Kläger letztlich noch über ein hinreichendes, den geltend gemachten Rentenanspruch ausschließendes Restleistungsvermögen verfügte, brauchte vom Senat deshalb nicht mehr entschieden zu werden.

Der Eintritt des Leistungsfalles bereits zeitlich vor dem 1. Februar 2000 bzw. schon im Jahre 1996 - wie der Kläger behauptet - ist nicht mit der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, die es für eine positive Bescheidung seines Begehrens bedürfte.

Für den Senat steht fest, dass der Kläger trotz der bei ihm bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen noch in der Lage war, seine zuletzt versicherungspflichtig ausgeübte Tätigkeit als Projekt- und Bauleiter - wenn auch mit gewissen qualitativen Einschränkungen - im Umfang von sechs Stunden täglich auszuüben, ebenso Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.

Der Senat stützt seine Überzeugung dabei im Wesentlichen auf die von der Beklagten im Verwaltungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten der Dres. QQ., WW. und EE., die übereinstimmend jedenfalls bis Anfang des Jahres 2008 kein Leistungsvermögen von weniger als sechs Stunden pro Arbeitstag festgestellt haben. Die Gutachtenlage präsentiert sich auch in ihrer Zusammenschau mehr als eineindeutig.

Alle als Sachverständige tätig gewordenen Ärzte haben sorgfältig Befunde erhoben und in nachvollziehbarer Weise sozialmedizinisch bewertet. Sofern orthopädischerseits ab April 2008 bzw. internistischerseits ab Februar 2008 ein arbeitstägliches Restleistungsvermögen von drei bis unter sechs Stunden bescheinigt wurde, indiziert dies zwar – möglicherweise – rein medizinisch betrachtet das Vorliegen einer teilweisen Erwerbsminderung. Mangels Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vermag es aber gleichwohl keinen Rentenanspruch zu begründen. Dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für den geltend gemachten Rentenanspruch nur für Leistungsfälle bis zum 31. Januar 2000 erfüllt sind, ist zwischen den Beteiligten im Übrigen auch unstreitig.

Aus den vorliegenden zahlreichen medizinischen Unterlagen, insbesondere den Befundberichten der behandelnden Ärzte und den Sachverständigengutachten ergibt sich, dass die Gesundheit des Klägers primär durch die seit Geburt bestehende Epispadie resp. aufgrund der Folgen der wegen dieser Erkrankung in einer Vielzahl notwendig gewesenen operativen Eingriffe eingeschränkt ist.

Nach den Ausführungen des internistischen Sachverständigen aus dem Rentenverfahren, Herrn WW., bedingen diese jedoch keine wesentlichen Funktionseinschränkungen und stehen einer leichten Bürotätigkeit nicht entgegen. Für die Zeit ab Februar 2008 traut er dem Kläger eine solche allerdings gleichwohl und ohne nähere Begründung nur noch im zeitlichen Umfang von drei Stunden arbeitstäglich bzw. halbtags zu. Subjektiv vermittelt bemerkt er eine Verschlechterung der gesundheitlichen Situation nach der Anlage eines Ileumkonduits 2001. Ab diesem Zeitpunkt habe der Kläger (erst) seine berufliche Tätigkeit eingeschränkt. Soweit Herr WW. in seiner Expertise fachfremd auf eine allgemeine Schmerzsymptomatik im Sinne einer Fibromyalgie, d.h. auf eine depressive Komponente hinweist, ist eine psychische Störung mit rentenrechtlicher Relevanz nicht zu belegen. Eine fachärztliche Behandlung hat weder vor Februar 2000, noch zeitlich danach stattgefunden. Von der Sachverständigen Dr. EE. wurde im Juli 2008 ein reaktiver Verstimmungs- und Versagenszustand, eine depressive Episode mit Somatisierung, diagnostiziert, die sich erst – 2001 nach der Firmeninsolvenz und der stattgehabten Operation entwickelt habe und keine quantitativen Leistungseinschränkungen bedinge. Die im Bereich der Wirbelsäule, der unteren Extremitäten und der Hände liegenden degenerativen Veränderungen haben, wie der Vortrag des Klägers belegt, offenbar auch für ihn selbst nur eine untergeordnete Bedeutung. Bezogen auf den hier maßgeblichen Zeitpunkt bis Januar 2000 sind keine auf orthopädischem Fachgebiet gründenden Leistungseinschränkungen zu objektivieren. Bei der Untersuchung durch Dr. QQ. im Juni 2008 hat der Kläger lediglich auf die seit 1996 bestehenden Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule hingewiesen. Eine kontinuierliche fachärztliche Behandlung hat (seinerzeit) nicht stattgefunden. Bei dem im Berufungsverfahren gehörten Orthopäden Dr. F. (Befundbericht vom 6. Mai 2010) ist der Kläger erst seit Februar 2007 in gelegentlicher Behandlung. Wegen der Schmerzsymptomatik hat der Kläger bei Bedarf (nur) Schmerzmittel eingenommen.

Nach alledem schließt sich der Senat dem Ergebnis der plausiblen und frappierend übereinstimmenden Sachverständigengutachten aus dem Rentenverfahren wie auch der erstinstanzlichen Entscheidung an. Dies auch, wenn gewisse Zweifel dahin bestehen, ob die bei dem Kläger bereits seit Geburt bestehende und sich kontinuierlich verschlechternde urologische Erkrankung nicht bereits einen zeitlich deutlich vor der Rentenantragstellung liegenden Leistungsfall begründen könnte. Denn letztlich liegen keine sicheren Erkenntnisse, auf die der Senat seine Überzeugung stützen könnte, darüber vor, ob bei dem Kläger spätestens im Januar 2000 Gesundheitsstörungen in einer rentenrechtlich relevanten Intensität bestanden haben. Nach § 128 Abs. 1 SGG urteilt das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die erforderliche Überzeugung liegt dabei in der Regel dann vor, wenn eine Tatsache mit einem besonders hohen Grad an Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist, die an Gewissheit grenzt. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens nach allgemeiner Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSGE 45, 1, 9; BSGE 7, 103, 106 sowie 19, 52, 53).

Eine subjektive Beweisführungslast wie im Zivilprozess gibt es im sozialrechtlichen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren auf Grund des Untersuchungsgrundsatzes nicht (Leitherer in Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 103 Rz. 19). Jedoch ist nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast die sog. materielle Feststellungslast anerkannt, derzufolge derjenige die Folgen der Nichtfeststellbarkeit einer Tatsache trägt, der aus dieser Tatsache ein Recht oder einen Vorteil herleiten will (BSGE 6, 70, 72; BSGE 19, 52, 53). Dies ist für die anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit grundsätzlich der Versicherte. Allenfalls bei rechtsvernichtenden oder rechtshindernden Tatsachen, die sich aus Gegennormen ergeben, ist dies hingegen der Sozialversicherungsträger. Im vorliegenden Fall ist es daher der Kläger, der die volle Beweislast dafür trägt, dass bei ihm die medizinischen Voraussetzungen der Erwerbsminderung spätestens am 31. Januar 2000 vorgelegen haben. Der Nachweis im Sinne des erforderlichen Vollbeweises für das Absinken der quantitativen Leistungsfähigkeit auf unter drei bzw. unter sechs Stunden bis zu diesem Zeitpunkt ist indes nicht erbracht. Diese Nichterweislichkeit geht nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten des Klägers.

Eine andere Beurteilung rechtfertigt insbesondere nicht das von dem langjährig behandelnden Urologen Prof. Dr. C. am 23. März 2010 nach § 109 SGG aufgrund einer "Befundlage" und Untersuchung des Klägers erstellte Sachverständigengutachten. Die Expertise leidet unter schwerwiegenden methodischen Schwächen und Mängeln, ist aus diesem Grund für das vorliegende Verfahren nur eingeschränkt bzw. gar nicht verwertbar. Die Anamnese der medizinischen Daten ist dürftig und erschöpft sich in einer Darstellung der bis November 2001 durchgeführten Behandlungen; eine biografische Anamnese fehlt völlig, ebenso eine solche der Arbeits- wie auch Sozialsituation des angefragten Zeitraumes bis Februar 2000. Die mitgeteilten Diagnosen sind ausnahmslos der - noch vorhandenen medizinischen Dokumentation - entnommen, in weiten Teilen fachfremd. Eine Epikrise findet sich nicht. Gerade mit Blick auf die bereits vorhandenen drei medizinischen Sachverständigengutachten hätte es einer kritischen Auseinandersetzung mit den dortigen - letztlich abweichenden - Leistungseinschätzungen bedurft. Die von Prof. Dr. C. abgegebene sozialmedizinische Leistungsbeurteilung ist nicht nachvollziehbar. Dass und aus welchen Gründen demnach die Leistungsfähigkeit des Klägers bereits ab Januar 1999 außerhalb von "Phasen der akuten Entzündung" auf zwei bis vier Stunden täglich gesunken gewesen sein solle, erschließt sich nicht.

Der pauschale Hinweis auf Krankheitskomplikationen aus multiplen, auch stationären Behandlungen und durchgeführter Operationen ist als Erklärung insoweit nicht ausreichend. Bereits der Sprachgebrauch des Sachverständigen bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Klägers zeigt, dass er nicht mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit von einem verminderten Leistungsvermögen des Klägers zu dem von ihm rückdatierten Zeitpunkt ausgeht. Die von ihm gewählte Formulierungen "sicherlich" und "wahrscheinlich" deuten insoweit mehr auf eine mit Blick auf die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ergebnisorientierte Festlegung des Leistungsfalles hin. Dies um so mehr, als Prof. Dr. C. keine Anknüpfungstatsachen für die Rückdatierung des Leistungsfalles benamt hat. Schließlich verwechselt der Arzt die für das vorliegende Verfahren allein entscheidende Begrifflichkeit der Erwerbsfähigkeit offensichtlich mit der der Arbeitsfähigkeit. Die Ausführungen sind insgesamt weder plausibel noch nachvollziehbar und vermögen den erforderlichen Vollbeweis eines verminderten Leistungsvermögens des Klägers schon im Jahre 1999 resp. vor Februar 2000 daher nicht zu erbringen. Nicht zuletzt indiziert auch der Umstand, dass der Kläger bis Anfang 2001 in Vollzeit eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, keine zeitlich überdauernd eingeschränkte Leistungsfähigkeit. Hierauf hat bereits das Sozialgericht in seinem Urteil vom 14. Januar 2010 zu Recht hingewiesen. Ebenso auf die letztlich erst ab November 2001 dokumentierten Zeiten der Arbeitsunfähigkeit. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die zutreffenden Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs. 2 SGG verwiesen. Dem steht letztlich nicht entgegen bzw. vermag daran nichts zu ändern, dass der Kläger sich ab 1996 bereits zeitweilig an den Grenzen seiner persönlichen Belastungsfähigkeit gesehen hat. Vielmehr sprechen auch seine Selbsteinschätzung und die im Laufe des gesamten Verfahrens von ihm zu seiner Erwerbssituation gemachten Angaben gegen die Annahme einer außerordentlichen bereits vor Februar 2000 bestehenden Leistungsminderung. Bei Antragstellung hat der Kläger erklärt, von Februar 2001 bis März 2006 ein Restaurant, ab April 2006 ein Planungsbüro, betrieben zu haben. Gegenüber der Sachverständigen Dr. EE. hat er angegeben nach der Insolvenz 2001 in der Arbeitslosigkeit mehr als 120 Bewerbungen geschrieben zu haben. Trotz des beruflichen Rückschlages und der temporären Arbeitsunfähigkeit war der Kläger daraus folgend bestrebt, wieder Fuß zu fassen; die im Jahre 2001 und 2006 erfolgten Firmenneugründungen belegen klar, dass er selbst noch von seiner beruflichen Leistungsfähigkeit ausging.

Gegen einen bis zum 31. Januar 2000 eingetretenen Leistungsfall sprechen zudem auch die Feststellungen der behandelnden Ärzte der Rehabilitationseinrichtung.

Nach Bruchlückenverschluß bei Bauchwandhernie befand sich der Kläger vom 17. Juli 2002 bis 7. August 2002 zur Anschlussheilbehandlung in der (Reha-) Klinik TT. in HW. Aus der Maßnahme war er zwar arbeitsunfähig entlassen worden, jedoch trauten ihm die Ärzte ausweislich des Entlassungsberichtes vom 7. August 2002 die Ausübung der zuvor ausgeübten Tätigkeit als Bautechniker nach Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit und Sanierung der noch bestehenden urodynamisch-relevanten Abflussbehinderung wie auch eine solche des allgemeinen Arbeitsmarktes wieder im Umfang von sechs Stunden und mehr pro Arbeitstag zu. Auch nach dem sozialmedizinischen Gutachten des MDK in Hessen vom 28. März 2003 ergibt sich Ähnliches. Ausgegangen wird auch dort lediglich von einer im Untersuchungszeitpunkt bestehenden Arbeitsunfähigkeit und (rehabilitiver) Behandlungsbedürftigkeit. Prospektiv wird dort von einer vollschichtigen Leistungsfähigkeit für leichte körperliche Arbeiten mit gewissen Einschränkungen ausgegangen.

Ein Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung folgt hier auch nicht wegen Verschlossenheit des Arbeitsmarktes. Hinweise darauf, dass ein Fall der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder des Vorliegens einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG vom 27. Februar 1980 - 1 RJ 32/79 -) vor Februar 2000 vorgelegen haben könnte, wegen der von der Beklagten eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen gewesen wäre, finden sich nicht und werden vom Kläger auch nicht behauptet. Bei einem auf das allgemeine Arbeitsfeld verweisbaren Versicherten bedarf es nur dann der konkreten Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit, wenn der Kläger selbst leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nur noch mit vielfältigen und / oder erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen ausführen kann. Dies ist jedoch nicht der Fall. Insbesondere mussten ihm keine betriebsunüblichen Pausen gewährt werden. Die Ausführungen von Prof. Dr. C. zu diesem Punkt sind ebenfalls nicht nachvollziehbar. So geht der Sachverständige von der Notwendigkeit von halbstündlich bis stündlichen Pausen von 10 bis 15 Minuten zur Flüssigkeitszufuhr aus. Zunächst ist es unverständlich und erscheint lebensfern, dass für das Trinken eines nicht alkoholischen, am Arbeitsplatz aufbewahrbaren Getränkes eine derart lange Zeitdauer notwendig ist. Aber selbst die Notwendigkeit der Flüssigkeitsaufnahme im halb- bis stündlichen Turnus vermag nicht die Annahme zu begründen, der Kläger könne nur noch mit betriebsunüblichen Pausen arbeiten. Nicht jede kurze Unterbrechung der Arbeit stellt eine Pause, d.h. eine Ruhezeit in Bezug auf die Arbeitsverrichtung, dar.

Erforderlich ist vielmehr eine gewisse Dauer. Diese ist dann nicht gegeben, wenn die Arbeitsverrichtung überhaupt nicht oder nur für wenige Sekunden, Minuten unterbrochen werden muss. Bei der Flüssigkeitszufuhr ist dies nicht der Fall. In weiten, annähernd allen Bereichen der Arbeitswelt ist es ohne weiteres möglich, auch außerhalb offizieller Pausen Zwischenmahlzeiten und Getränke einzunehmen. Auch die von dem Sachverständigen angesprochene Toilettennähe erfordert im Übrigen keine zusätzlichen Pausen. Denn auch die Benutzung einer Toilette ist bei einer Vielzahl denkbarer Tätigkeiten jederzeit möglich.

Nach allem ist der Eintritt einer rentenanspruchsbegründenden Erwerbsminderung bei dem Kläger bis zum 31. Januar 2000 als dem letzten Tag, an dem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI noch vorgelegen haben, nicht objektivierbar.

Bei dieser Sachlage konnte die Berufung insgesamt keinen Erfolg haben.

Sie war daher mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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