S 5 R 1540/06

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Meiningen (FST)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Meiningen (FST)
Aktenzeichen
S 5 R 1540/06
Datum
-
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 R 1366/10 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Bezieht ein Antragsteller bereits eine Regelaltersrente, scheidet eine einstweilige Anordnung auf Zuerkennung einer höheren als der vorläufig zuerkannten Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auch unter Geltung des § 86b Abs. 2 SGG grundsätzlich aus; ein ausreichender Rechtsschutz wird durch das Hauptsacheverfahren gewährleistet (vgl. BSG, Beschluss vom 26. November 1993 – Az.: 4 RA 17/93; Thüringer LSG, Beschluss vom 22. April 1994 – Az.: L 3 An 59/94 - A-).
Der Antrag des Antragstellers vom 18. Oktober 2010 auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung, wie bereits im Hauptsacheverfahren, eine höhere Regelaltersrente ab dem 1. Juli 2005 unter Anrechnung von in den USA im Zeitraum von 1957 bis 1965 zurückgelegten Beschäftigungszeiten, weil die Antragsgegnerin nach seiner Ansicht "völlig untätig" sei und ihm ein weiteres Zuwarten nicht zuzumuten sei.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Dabei gelten folgende Grundsätze: Ist die Klage im Hauptsacheverfahren offensichtlich unzulässig oder unbegründet, existiert kein Recht, das geschützt werden müsste; der Antrag auf eine einstweilige Anordnung ist, auch wenn ein Anordnungsgrund vorliegt, abzulehnen (vgl. Senatsbeschluss vom 2. April 2002 – Az.: L 6 KR 145/02 ER in: Breithaupt 2002, 684; LSG Rheinland-Pfalz vom 15. Februar 2005 – Az.: L 5 ER 5/05 KR, nach juris). Ist die Klage im Hauptsacheverfahren offensichtlich zulässig und begründet, vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen vom 20. Oktober 2003 – Az.: L 15 AL 23/03 ER in: SGb 2004, 44) und dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist in der Regel stattzugeben (vgl. Senatsbeschluss vom 2. April 2002, a.a.O.; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 13. Auflage 2003, § 123 Rdnr. 25 m.w.N.); allerdings kann auch dann nicht völlig auf das Vorliegen eines Anordnungsgrundes verzichtet werden. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist eine Interessenabwägung erforderlich, so dass die einstweilige Anordnung dann erlassen wird, wenn dem Antragsteller unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten nicht zuzumuten ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten (vgl. LSG Rheinland-Pfalz vom 15. Februar 2005, a.a.O.; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 8. Auflage 2005, § 86b Rdnr. 29).

Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung erfordern allerdings, dass das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon im vollen Umfang, wenn auch nur auf beschränkte Zeit und unter dem Vorbehalt einer entsprechenden Entscheidung in der Hauptsache, das gewähren darf, was er sonst nur mit der Hauptsacheklage erreichen könnte (sog. Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache; vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 123 Rdnr. 13 sowie Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, § 86b Rdnr. 31). Dabei ist unter Vorwegnahme der Hauptsache auch die "vorläufige" Vorwegnahme zu verstehen, bei der die Entscheidung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nach der Hauptsache¬entscheidung wieder rückgängig gemacht werden kann, d.h. wenn damit keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden (h.M. in der Rechtsprechung; vgl. die Nachweise bei Kopp/ Schenke, a.a.O., § 123 Rdnr. 14b, dort insbesondere Fn. 57, sowie bei Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 86b Rdnr. 31). Der Ansicht, die nur die vollendete Tatsachen schaffende Anordnung als Vorwegnahme der Hauptsache verstanden wissen will (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 86b Rdnr. 31), ist nicht zu folgen, da auch die vorläufige Vorwegnahme entgegen dem Rechtscharakter der einstweiligen Anordnung die Hauptsache¬entscheidung vorwegnimmt. Den Unterschieden zwischen der vorläufigen und der endgültigen Vorwegnahme ist vielmehr mit der Rechtssprechung bei der Zulassung von Verbotsausnahmen und damit bei den an den Anordnungsanspruch und den Anordnungsgrund zu stellenden Anforderungen Rechnung zu tragen (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 123 Rdnr. 14b am Ende).

Im vorliegenden Fall begehrt der Antragsteller die Verpflichtung der Antrags¬gegnerin zur – wenn auch vorläufigen – Gewährung der begehrten höheren Regelaltersrente. Sein Rechtsschutzziel in der Hauptsache deckt sich damit – mit Ausnahme der Vorläufigkeit – völlig mit dem des einstweiligen Anord¬nungsverfahrens. Dieses ist damit auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet. Die rechtlichen und tatsächlichen Folgen, die mit dem Erlass der begehrten Anordnung verbunden sind, können zwar bei einem für den Antragsteller nachteiligen Ausgang des parallelen Hauptsacheverfahrens durch eine Rückzahlung der überzahlten Regelaltersrente an die Antragsgegnerin nachträglich, gegebenenfalls auch im Wege der Raten¬zahlung, wieder besei¬tigt werden, so dass die Vorwegnahme der Hauptsache als vorläufig zu bezeichnen ist. Gleichwohl fällt sie unter das grundsätzliche Verbot, so dass erhöhte Anforderungen an das Vorliegen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes gestellt werden.

Letztlich kann hier stehen, ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, denn jedenfalls hat der Antragsteller mit seinen Ausführungen zum Anordnungsgrund ("Dauer des Verfahrens", "Notlage wegen einer Rente in Höhe von 271 Euro") nicht ansatzweise glaubhaft gemacht, dass es ihm unzumutbar sei, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Sie belegen nicht die Gefahr, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Klägers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nachdem der Antragsteller zudem eine Regelaltersrente bezieht, scheidet eine einstweilige Anordnung auf Zuerkennung einer höheren als der vorläufig zuerkannten Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auch unter Geltung des § 86b Abs. 2 SGG grundsätzlich aus; ein ausreichender Rechtsschutz wird durch das Hauptsacheverfahren gewährleistet (vgl. BSG vom 26. November 1993 – Az.: 4 RA 17/93; Thüringer LSG vom 22. April 1994 – Az.: L 3 An 59/94 - A-).

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Antragsteller nicht darlegt, dass er im Vertrauen auf die Erhöhung seiner Regelaltersrente bereits Vermögensdispositionen getroffen hat, die nicht wieder rückgängig zu machen sind und ihn - wie behauptet - in eine wirtschaftliche Existenznot bringen. Auch die Angabe der Höhe seiner derzeit bezogenen Rente (271 Euro) genügt hierfür nicht, denn es ergibt sich daraus nicht, dass er über keine anderen Einkünfte oder über Vermögen verfügt. Im Übrigen ist der Senat davon überzeugt, dass der Antragsteller, der seit Jahren mit dieser Rente offenbar auskommt, über andere Einkünfte bzw. über sonstiges Vermögen verfügt. Dies folgt letztlich bereits daraus, dass er nach eigenen Angaben ergänzend Sozialleistungen beantragt hat. Dies ist dem Antragsteller auch zumutbar und schließt eine eventuell erforderliche Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) mit ein.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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