L 1 KR 149/10

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 12 KR 3/09
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 149/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 9/12 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 24. März 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die bei der Beklagten versicherte Klägerin begehrt die Versorgung mit einer beidseitigen Mamma-Augmentationsplastik.

Die 1949 geborene Klägerin wurde seit März 2005 aufgrund einer Mann-zu-Frau Transsexualität mit gegengeschlechtlichen Hormonen behandelt.

Mit Anträgen bzw. Verordnung vom 3. März 2006 und 30. November 2006 begehrte die Klägerin u.a. eine geschlechtsangleichende Operation, eine Epilationsbehandlung sowie eine beidseitige Mamma-Augmentationsplastik.

Mit Bescheid vom 28. Juni 2007 bewilligte die Beklagte die Kostenübernahme einer genitalangleichenden Operation in einem Vertragskrankenhaus und lehnte u.a. die Kosten eines Brustaufbaus ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass es von Natur aus völlig unterschiedliche Entwicklungsumfänge der Brust gäbe. Ein kleiner Brustumfang entspreche ebenso wie ein großer Brustumfang dem Leitbild einer Frau. Möglicherweise bestehende medizinische Leitvorstellungen vom Umfang der weiblichen Brust seien für den Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung ebenso unerheblich wie eine von der Versicherten entwickelte subjektive Vorstellung.

Der hiergegen gerichtete Widerspruch ist am 5. Juli 2007 bei der Beklagten eingegangen. Bereits im Rahmen der Krankenhauseinweisung sei die Notwendigkeit eines Brustaufbaus im Zusammenhang mit einer geschlechtsangleichenden Operation dokumentiert worden. Es gehe nicht um den Wunsch nach Vergrößerung einer bestehenden weiblichen Brust, sondern um das erstmalige Bilden einer weiblichen Brust. Die gegenwärtig noch vorhandene männliche Brust habe nichts mit dem Leitbild einer Frau zu tun. Die Versicherte habe nicht den Wunsch nach einer besonders großen Brust. Wenn die entscheidenden Geschlechtsmerkmale nicht in die Operation miteinbezogen werden würden, sei der Erfolg der gesamten Operation infrage gestellt. Die Klägerin verwies auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 19. Oktober 2004 – B 1 KR 3/03, wonach Dysmorphophobie, auf die sich der Medizinische Dienst der Krankenversicherung in Hessen (MDK) in dem im Widerspruchsverfahren eingeholten Gutachten bezogen habe, nicht mit der Transsexualität vergleichbar sei. Es sei vielmehr eine Veränderung der äußeren Geschlechtsmerkmale zu verlangen, was auch § 8 des Transsexuellengesetzes (TSG) zeige.

Ein Widerspruch gegen die Ablehnung der Durchführung der Operation in einer Privatklinik wurde zwischenzeitlich nicht weiterverfolgt. Bei der Klägerin wurde im Zeitraum vom 1. Oktober bis 24. Oktober 2007 eine geschlechtsangleichende Operation der Genitalien entsprechend der Bewilligung im Bescheid vom 28. Juni 2007 im Universitätsklinikum C-Stadt durchgeführt.

Die Beklagte konsultierte im Rahmen des Widerspruchsverfahrens den MDK zur Frage der medizinischen Voraussetzungen der Leistungsgewährung in Gestalt einer MammaAugmentationsplastik. In seinem sozialmedizinischen Gutachten vom 15. Februar 2008 führte Dr. E. aus, dass in einigen wenigen ausgesuchten Fällen eine medizinische Indikation zur Durchführung einer Mamma-Augmentationsplastik bestehen könne. Dies sei dann der Fall, wenn dem Befund aufgrund seiner Funktionenbeeinträchtigung ein Krankheitswert beigemessen werden könne, etwa bei einem Befund nach operativer Versorgung eines tumorösen Geschehens unter weitgehender Organerhaltung mit entsprechender Defektbildung. Eine vergleichbare Konstellation liege hier nicht vor. Insbesondere seien keine biometrischen Daten bezüglich des Erfolges der Hormontherapie den vorgelegten Unterlagen zu entnehmen. Dies gelte auch für eine Angabe hinsichtlich der Dauer der durchgeführten Hormonbehandlung. Erhebliche soziale Beeinträchtigungen durch den Befund stellten sich in den vorgelegten medizinischen Unterlagen nicht dar. Nach Vorlage einer Dokumentation über die Hormonbehandlung führte Dr. E. im Gutachten vom 9. August 2008 aus, dass erhebliche funktionelle Beeinträchtigungen nach wie vor nicht dargestellt seien. Den Unterlagen sei nicht zu entnehmen, welche Hormonpräparate zum Einsatz gebracht worden seien. Weiterhin sei nicht zu entnehmen, ob die im Laborjournal angegebenen Normalwerte als Grenzbereich zu interpretieren seien. Hinsichtlich der zeitlichen Dauer der Hormontherapie seien den vorgelegten Unterlagen ebenfalls keine sachdienlichen Hinweise zu entnehmen. Gegebenenfalls sei eine Anpassung der medikamentösen Behandlung denkbar.

Mit Bescheid vom 14. August 2008 lehnte die Beklagte nochmals die begehrte Leistung ab. Auch hiergegen wurde Widerspruch eingelegt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 2008 wies die Beklagte die Widersprüche zurück. Nach der Rechtsprechung komme nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit Krankheitswert im Rechtssinne zu. Die Voraussetzungen für die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht seien dahingehend präzisiert worden, dass eine Krankheit nur vorliege, wenn der Versicherte in der Körperfunktion beeinträchtigt werde oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirke. Die Brustgröße stelle keinen regelwidrigen Körperzustand dar. Eine psychische Erkrankung bzw. Störung vermöge eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für einen operativen Mammaaufbau nicht zu begründen. Hinsichtlich der Brustgröße der Versicherten könne nicht von einem regelwidrigen Körperzustand ausgegangen werden, weil es von Natur aus völlig unterschiedliche Entwicklungsumfänge gäbe. Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung dienten nicht der Verwirklichung von "ideal", "schön" oder als "angemessen" empfundenen Körperformen. Auch eine Kostenübernahme wegen des geltend gemachten psychischen Leidensdruckes sei beim operativen Brustaufbau nicht begründet. Auch wenn die operative Maßnahme die einzige Möglichkeit darstelle, die psychische Erkrankung zu beheben, habe die Beklagte diese Kosten nicht zu tragen. Die von der Beklagten geschuldete Krankenbehandlung erfasse grundsätzlich nur solche Maßnahmen, die unmittelbar an der eigentlichen Krankheit ansetzten. Demgemäß möge eine Behandlung mit Mitteln der Psychiatrie bzw. Psychotherapie angezeigt sein. Operative Eingriffe seien selbst dann ausgeschlossen, wenn sogar wegen einer krankheitsbedingten Ablehnung einer Psychotherapie durch den Versicherten keine andere Möglichkeit der ärztlichen Hilfe bestehe. Auch aus dem von der Klägerin erwähnten Urteil des Bundessozialgerichts lasse sich der streitige Leistungsanspruch nicht ableiten, zumal dort ausgeführt werde, dass bei einer transsexuellen Versicherten auch nicht jegliche Art von geschlechtsangleichenden operativen Maßnahmen im Sinne einer möglichst großen Annäherung an ein vermeintliches Idealbild zuzusprechen seien, wie sich gerade am Beispiel der Brustvergrößerung zeige. Auch der Hinweis auf § 8 TSG greife nicht, nachdem die Klägerin zwischenzeitlich einen weiblichen Vornamen führe. Die Beklagte verwies ferner auf das Wirtschaftlichkeitsgebot.

Die hiergegen gerichtete Klage ist am 8. Januar 2009 bei dem Sozialgericht Kassel eingegangen. Die Klägerin hat unter Wiederholung und Vertiefung des Tatsachenvorbringens aus dem Widerspruchsverfahren vorgetragen, dass die von der Beklagten vorgenommene isolierte Betrachtung einzelner Körperteile nicht weiterführend sei. Aufgrund der Eigenart der Transsexualität, der vollständigen psychischen Identifikation mit dem anderen Geschlecht, sei insbesondere auf das jeweilige Erscheinungsbild abzustellen. Auch wenn es Frauen mit äußerst geringen Brustumfängen gäbe, so sei das typische Erscheinungsbild der Frau doch ein solches mit einer zumindest sichtbaren Brust. Unter Bezugnahme auf die Befunde der regelmäßig durchgeführten laborärztlichen Untersuchungen im Rahmen der Hormonbehandlung trägt die Klägerin vor, dass sich keine Brust ausgebildet habe, die dem weiblichen Erscheinungsbild entspreche. Sogar für die Körbchengröße A benötige die Klägerin Einlagen. Ohne die Einlagen wäre nicht einmal diese geringstmögliche Größe tragbar. Mit einer Besserung sei nicht zu rechnen, da die Klägerin bereits seit Jahren Hormone einnehme. Ihre derzeitige Brust entspreche in Bezug auf Ausbildung, Größe und Form mehr einer männlichen Brust, keinesfalls aber auch nur ansatzweise einer weiblichen Brust. In einem Bikini oder Badeanzug sei eine fraulich ausgebildete Brust nicht zu erkennen. Für die Änderung des männlichen Vornamens in einen weiblichen sei aber gemäß § 8 TSG gerade Voraussetzung, dass sich die betreffende Person einem die äußeren Geschlechtsmerkmale veränderten operativen Eingriff unterzogen habe, durch den eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts erreicht worden sei. Daher hielten auch die Frauenärzte nach der Verordnung vom 30. November 2006 eine Mamma-Augmentation für erforderlich. Die Klägerin hat die Rechtsauffassung vertreten, dass der Maßstab nicht mit dem einer Brustvergrößerung einer geborenen Frau vergleichbar sei und verweist insoweit auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 19. Oktober 2004 – B 1 KR 3/03 R. Maßgeblich sei, ob aus der Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annäherung an das weibliche Erscheinungsbild eingetreten sei, so auch das Sächsische Landessozialgericht im Urteil vom 3. Februar 1999 – L 1 KR 31/98. Die Beklagte hat vorgetragen, dass es bei der von der Klägerin als zu klein empfundenen Brust keine rechtlich erheblichen Mängel im Sinne einer Beeinträchtigung der Körperfunktionen gebe. Auch äußerliche Entstellungen, die sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglicher Situation bemerkbar machen würden, lägen nicht vor. Auch ein psychischer Leidensdruck rechtfertige keinen operativen Eingriff. Die Beklagte hat ergänzend auf die Gutachten des MDK zur Empfehlung der Kostenübernahme für eine genitalangleichende Operation sowie zur Ablehnung der streitgegenständlichen Leistung Bezug genommen. Die Beklagte vertritt die Rechtsauffassung, dass nach der von der Klägerin zitierten Rechtsprechung auch einer transsexuellen Versicherten nicht jeder Art von operativen Maßnahmen zur Annäherung an ein vermeintliches Idealbild zugesprochen werden könne. Da die rechtliche Namensänderung vollzogen worden sei, seien auch die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 4 TSG erfüllt. Das Sozialgericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts Befundberichte und Unterlagen des Dr. med F., des Versorgungsamtes A-Stadt und des MDK beigezogen. Durch Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 14. März 2010 ist die Klage abgewiesen worden. Das Urteil ist der Klägerin am 23. April 2010 zugestellt worden. Zur Begründung wurde auf die Ausführungen der Beklagten in den streitgegenständlichen Bescheiden und im gerichtlichen Verfahren Bezug genommen und ergänzend ausgeführt, dass die Größe des Brustvolumens einer Frau kein Funktionsdefizit darstelle. Die außerordentliche Vielfalt in Form und Größe der weiblichen Brust sei zu berücksichtigen, so dass mit dem Bundessozialgericht selbst bei einer Versicherten mit dem Befund einer "weitgehenden Fehlanlage der Brust in Form zweier flacher Hautmäntel mit ganz wenig Drüsengewebe" die Bewertung dieses Zustandes als Entstellung mit dem Krankheitsbegriff nach dem SGB V nicht in Einklang zu bringen sei.

Die hiergegen gerichtete Berufung zum Hessischen Landessozialgericht ist am 21. Mai 2010 bei dem Sozialgericht Kassel eingelegt worden.

Die Klägerin trägt vor, dass das Besondere an jeder Form der Transsexualität wie auch im Falle der Klägerin sei, dass sich die jeweilige Person vollständig psychisch mit dem anderen Geschlecht identifiziere und hierbei insbesondere auf das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts abstelle. Alles, was sichtbar an das angeborene Geschlecht erinnere, werde daher verändert. Die männliche Behaarung werde unterdrückt oder entfernt, ebenso das Genital. Es komme also nicht auf Funktion oder Fehlfunktion des Körpers oder einzelner Körperteile an, bedeutend und ausschlaggebend sei allein das sichtbare Erscheinungsbild. Kennzeichen des komplexen Krankheitsbildes der Transsexualität sei, dass der Transsexuelle seine Erscheinung, seine Geschlechtsorgane und Merkmale als Irrtum der Natur und als nicht zu dem erfühlten Geschlecht passend empfinde. Die einzige Behandlungsmöglichkeit bestehe daher in geschlechtsanpassenden oder umwandelnden Maßnahmen mit dem Ziel der Ausbildung weiblicher Körperformen, nicht aber der Körperfunktionen. Zum Erscheinungsbild einer Frau gehöre aber unzweifelhaft eine entsprechende weibliche Brust, zumindest aber eine überhaupt im Ansatz erkennbar ausgebildete Brust. Die Klägerin ist der Rechtsauffassung, dass der rechtliche Maßstab, der zur Brustvergrößerung einer genuinen Frau herausgearbeitet worden sei, nicht auf den Fall der Transsexualität übertragbar sei. Die Klägerin wendet sich gegen die eingeholten Befundberichte. Prof. Dr. C. könne sich offensichtlich nicht mehr an die Klägerin erinnern. Die ablehnende Haltung von Dr. D. beruhe offensichtlich auf neben der Sache liegenden Umständen. Sie beantragt, ein Sachverständigengutachten zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass bei der Klägerin im Blick auf ihre Transsexualität ein Leidensdruck vorhanden ist, verbunden mit dem noch nicht erfüllten Wunsch nach einer entsprechend weiblich ausgeformten und erkennbaren Brust.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 24. März 2010 sowie die Bescheide der Beklagten vom 28. Juni 2007 und vom 14. August 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin im Rahmen einer vollstationären Krankenhausbehandlung mit einer beidseitigen Mamma-Augmentationsplastik zu versorgen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, dass aufgrund der vom Senat eingeholten Befundberichte insgesamt von einer deutlichen Annäherung an das Erscheinungsbild einer Frau ausgegangen werden könne. Die Beklagte ist der Rechtsauffassung, dass es sich bei dem operativen Brustaufbau grundsätzlich um eine primär kosmetische Operation handele, so dass beim Mann-zu-Frau Transsexuellen - auch vor dem Hintergrund des Gleichheitssatzes - die gleichen Kriterien wie bei biologischen Frauen gelten würden. Der Behandlungserfolg im Bereich der Transsexualität, für den die Krankenkasse einzustehen habe, bemesse sich dabei auch bei einem bestehenden Leidensdruck wegen des inneren Konfliktes zwischen äußerem Erscheinungsbild und seelischem Empfinden nicht nach den subjektiven Vorstellungen der betroffenen Person. Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung dienten eben nicht der Verwirklichung von als "ideal" oder "angemessen" empfundenen Körperformen. Maßgeblich sei vielmehr, ob aus der Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eingetreten ist.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten von Prof. Dr. C. (Bericht vom 21. Juni 2011) und Dr. D. (Bericht vom 6. Juli 2007) sowie durch Augenschein. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Befundberichte und die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 8. Dezember 2010 verwiesen. Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (1 Band) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die Entscheidung des Sozialgerichts ist in der Sache zutreffend, da die Klägerin keinen Anspruch auf die begehrte Leistung hat.

Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung setzt nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V eine Krankheit voraus. Damit wird in der Rechtsprechung ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand umschrieben, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (BSGE 85, 36, 38 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11 S 38; BSGE 72, 96, 98 = SozR 3-2200 § 182 Nr 14 S 64 jeweils mwN). Indem § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V neben der Heilung ausdrücklich auch die Linderung von Krankheitsbeschwerden zu den möglichen Zielen einer Krankenbehandlung zählt, macht das Gesetz keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Krankheiten im engeren Sinne, bei denen die Betonung auf dem regelmäßig nur vorübergehenden Charakter einer als überwindbar angesehenen Gesundheitsbeeinträchtigung liegt, und Behinderungen, die als weitgehend unabänderlich vor allem unter dem Gesichtspunkt des Ausgleichs für eine dauerhaft regelwidrige Körperfunktion die Leistungspflicht begründen können (vgl auch § 2 Abs 1 SGB IX). Bereits zu den Parallelvorschriften der Reichsversicherungsordnung hat das Bundessozialgericht im Falle der Transsexualität entschieden, dass der Krankheitsbegriff nicht nur einen regelwidrigen, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichenden Körper- oder Geisteszustand erfasst, sondern darüber hinaus auch einen Leidensdruck, durch den sich die Regelwidrigkeit erst zur eigentlichen Krankheit qualifiziert; eine Linderung des krankhaften Leidensdruckes durch eine geschlechtsumwandelnde Operation reicht als anspruchsbegründender Umstand in dem Sinne aus, als diese Operation nicht eine Heilung erwarten zu lassen braucht (BSG, Urteil vom 6. August 1987 - 3 RK 15/86). Auch nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben die Krankenkassen die Kosten für eine geschlechtsangleichende Operation zu tragen, wenn psychiatrische und psychotherapeutische Mittel das aus der Transsexualität folgende Spannungsverhältnis nicht zu lindern oder zu beseitigen vermögen (vgl. Sächs. LSG, Urteil vom 3. Februar 1999 - L 1 KR 31/98 - juris). Die hieraus folgende Leistungspflicht dem Grunde nach ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Hinsichtlich der die Anspruchsberechtigung dem Grunde nach tragenden Tatsachen verweist der Senat auf das Gutachten des MDK vom 18. Mai 2007 (Dr. G.).

Zu entscheiden war vielmehr die Frage, welchen Behandlungsumfang und Behandlungserfolg die geschlechtsumwandelnden Maßnahmen insgesamt als Rechtsfolge des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V aufweisen müssen. Aus der oben geschilderten Besonderheit der Transsexualität als Krankheit im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V folgt zunächst, dass die Kriterien für kosmetische Brustvergrößerungen oder –verkleinerungen nicht ohne Modifikation auf Behandlungen im Bereich der Transsexualität übertragen werden können. Der behandlungsbedürftige regelwidrige Körper- oder Geisteszustand besteht gerade im Leidensdruck, der aus dem Wunsch folgt, als Angehöriger des anderen Geschlechtes zu leben und anerkannt zu werden (vgl. ICD-10 F64.0). Entsprechend weist die Klägerin zu Recht darauf hin, dass es nicht auf Funktion oder Fehlfunktion des Körpers oder einzelner Körperteile ankomme, bedeutend und ausschlaggebend sei allein das sichtbare Erscheinungsbild. Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 2011 - 1 BvR 3295/07 - wird insoweit zum medizinischen Hintergrund ausgeführt: "Mit der Entwicklung geschlechtsanpassender Operationen in den 1960er Jahren wurde Transsexualität als Leiden am falschen Körper definiert und die Behandlung auf somatische Eingriffe fokussiert (vgl. Becker, in: Kockott/Fahrner, Sexualstörungen, 2004, S. 153 (153 ff.)). Die daraus abgeleitete Auffassung, alle Transsexuelle würden nach einer geschlechtsanpassenden Operation streben, hat sich inzwischen als unrichtig erwiesen (vgl. BVerfGE 115, 1 (5)). Ein Operationswunsch allein wird von Gutachtern nicht mehr als zuverlässiger diagnostischer Indikator angesehen, da der Wunsch nach einer "Geschlechtsumwandlung" auch eine Lösungsschablone für psychotische Störungen, Unbehagen mit etablierten Geschlechtsrollenbildern oder für die Ablehnung einer homosexuellen Orientierung sein kann (Pichlo, in: Groß/Neuschaefer-Grube/Steinmetzer, Transsexualität und Intersexualität, Medizinische, ethische, soziale und juristische Aspekte, 2008, S. 39, 121 f.). Vielen Transsexuellen verschafft eine geschlechtsanpassende Operation eine erhebliche Erleichterung ihres Leidensdrucks, die manche schon vorher durch Selbstverstümmelung und Selbstkastration zu erreichen versuchen. Jedoch verbleiben zwischen 20 und 30 % der Transsexuellen, die einen Antrag auf Vornamensänderung stellen, in Deutschland dauerhaft in der "kleinen Lösung" ohne Operation (m.w.N. Hartmann/Becker, Störungen der Geschlechtsidentität, 2002, S. 15; Becker/Berner/Dannecker/Richter-Appelt, ZfS 2001, S. 258 (264)). Der Wunsch und die Durchführung von Operationen sind nach neueren Erkenntnissen nicht kennzeichnend für das Vorliegen von Transsexualität. Für entscheidend wird vielmehr die Stabilität des transsexuellen Wunsches gehalten (vgl. Becker/Berner/Dannecker/Richter-Appelt, a.a.O., S. 258 (260); Pichlo, a.a.O., S. 121). Für erforderlich werden deshalb individuelle therapeutische Lösungen erachtet, die von einem Leben im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen über hormonelle Behandlungen bis hin zur weitgehenden operativen Geschlechtsangleichung reichen können (m.w.N. Pichlo, a.a.O., S. 119, 122; Rauchfleisch, Transsexualität - Transidentität, 2006, S. 17; Becker, a.a.O., S. 153 (180, 181))."

Die geschlechtsangleichenden Maßnahmen stellen sich aus der Perspektive des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung vor diesem Hintergrund als ultima ratio dar, die wenigstens eine Linderung des Leidensdrucks aufgrund des Auseinanderfallens der Geschlechteridentität bewirkt (vgl. bereits LSG Niedersachsen, Breith 1987, 1 (6)). Mithin geht es hierbei weder um die Heilung im Sinne einer Herstellung von Körperfunktionen noch um eine auf einen mittelbaren Heilerfolg bei einer psychischen Erkrankung zielenden Heileingriff, wie bei einer psychischen Fehlverarbeitung der Unzufriedenheit mit eigenen körperlichen Merkmalen. Dass diese Linderung des Leidensdrucks am äußeren Erscheinungsbild ansetzen kann und muss, erkannte die Rechtsordnung im Übrigen auch bislang bei der personenstandsrechtlichen Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit an, wonach in der zuletzt geltenden Fassung gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 4 TSG die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit u.a. davon abhängig gemacht wurde, dass die Person sich einem ihre äußeren Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriff unterzogen hat, durch den eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts erreicht worden ist. Die bisher ergangene obergerichtliche und höchstrichterliche Rechtsprechung leitet aus dieser Voraussetzung auch Umfang und Grenzen des Anspruches aus § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V ab (BSG, Urteil vom 28. September 2010 - B 1 KR 5/10 R – juris unter Bezugnahme auf Sächs. LSG, Urteil v. 3. Februar 1999 - L 1 KR 31/98 - juris). Der Behandlungserfolg, für den die Krankenkasse einzustehen hat, bemisst sich dabei auch bei einem bestehenden Leidensdruck wegen des inneren Konfliktes zwischen äußerlichem Erscheinungsbild und seelischem Empfinden nicht nach der subjektiven Vorstellung der betroffenen Person. Maßgebend ist vielmehr, ob aus der Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eingetreten ist. Es besteht jedoch kein Anspruch auf eine möglichst große Annäherung an ein vermeintliches Idealbild (vgl. Sächs. LSG, Urteil v. 3. Februar 1999 - L 1 KR 31/98- juris). Entgegen der Auffassung der Klägerin ist hierbei auch nicht allein auf das Erscheinungsbild der weiblichen Brust abzustellen, sondern auf das Gesamtbild. Die Reduzierung des Leidensdrucks durch eine Behandlung, die der Betroffenen ermöglicht, als Frau wahrgenommen und anerkannt zu werden, kann einen Brustaufbau indizieren, muss es aber nicht, wenn die deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild einer Frau auch auf anderem Wege erreicht werden kann.

Auch der Senat hält diese Abgrenzung für sachgerecht, da eine krankenversicherungsrechtlich anzuerkennende Linderung des Leidensdruckes, der aus der Transsexualität folgt, von dem grundsätzlich nicht gebotenen Eingriff in eine gesunde Körperfunktion abzugrenzen ist, der aus von der Transsexualität unabhängigen psychischen Gründen gewünscht wird. Zudem ist zumindest näherungsweise eine Objektivierung des von der Versichertengemeinschaft zu finanzierenden äußeren Erscheinungsbildes geboten. Diese Begrenzung kann wegen der beschriebenen Spezifika der Transsexualität nicht am subjektiven Behandlungswunsch ansetzen, sondern an der Zielsetzung der Linderung des Leidensdrucks dadurch, dass der Betroffenen die Möglichkeit geschaffen wird, von anderen Personen als Frau wahrgenommen und anerkannt zu werden. Der Maßstab bleibt auch nach Feststellung der Verfassungswidrigkeit des personenstandsrechtlichen Erfordernisses einer deutlichen Annäherung an das Erscheinungsbild einer Frau sachgerecht. Die Verfassungswidrigkeit von § 8 Abs. 1 Nr. 4 TSG (BVerfG, Urteil vom 11. Januar 2011 - 1 BvR 3295/07) betrifft allein den Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 GG durch die Anknüpfung der personenstandsrechtlichen Rechtsfolgen an die Durchführung der Operation und zielt auf eine Nichtdiskriminierung der Transsexuellen, die keine Operation durchführen. Insoweit fällt die Klägerin nicht in den betroffenen Personenkreis. Hiervon unabhängig ist die leistungsrechtliche Perspektive, die einerseits gerade auf die Linderung des Leidensdrucks durch die deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild einer Frau abzielt, andererseits Begrenzungen im Hinblick auf den geschuldeten Behandlungserfolg bedarf.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist auch ohne die begehrte Augmentationsplastik durch die Hormonbehandlung, die Epilationsbehandlung und die geschlechtsangleichende Operation eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eingetreten. Erhebliche Angaben finden sich allein im Befundbericht der die Klägerin seit vielen Jahren behandelnden Frauenärztin Dr. D ... Hiernach "ist der hormonelle Brustaufbau aus meiner Sicht recht gut. Die Patientin trägt Körbchengröße A. Die Brust ist symmetrisch, wirkt sehr natürlich und passt zum schlanken Erscheinungsbild der Patientin. Eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild der weiblichen Brust wurde erreicht. Insgesamt kann von einer deutlichen Annäherung an das Erscheinungsbild einer Frau gesprochen werden." Soweit die dortigen Angaben eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild einer Frau insgesamt betreffen, wie sie der Wahrnehmung im gesellschaftlichen Alltag unterliegt, wurden sie durch den Augenschein im Rahmen der mündlichen Verhandlung bestätigt. Prägend war für den Senat der Eindruck des Erfolges der Epilationsbehandlung, der Eindruck von Gesichtszügen, die dem weiblichen Erscheinungsbild einer 62-jährigen Frau entsprechen, und einer entsprechenden Gesichtsform. Bestätigt werden konnte auch das von Dr. D. festgestellte schlanke Erscheinungsbild, bei dem auch eine geringste Brustwölbung nicht als Abweichung vom weiblichen Erscheinungsbild im Gesamteindruck wahrgenommen werden muss. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Hinweises des Bevollmächtigten im Rahmen der mündlichen Verhandlung, dass die Klägerin Einlagen in ihrem BH getragen habe.

Von der Einholung des von der Klägerin beantragten Sachverständigengutachtens konnte abgesehen werden. Für die Feststellung, ob bei der Klägerin nach ihrem äußeren Erscheinungsbild eine deutliche Annäherung an das weibliche Geschlecht eingetreten ist, bedarf es über die eingeholten Befundberichte hinaus keines medizinischen Fachwissens. Im Übrigen kann am oben genannten, objektivierten Maßstab unterstellt werden, dass "bei der Klägerin im Blick auf ihre Transsexualität ein Leidensdruck vorhanden ist, verbunden mit dem noch nicht erfüllten Wunsch nach einer entsprechend weiblich ausgeformten und erkennbaren Brust", da das Merkmal der deutlichen Annäherung an das Erscheinungsbild einer Frau den geschuldeten Behandlungserfolg auch bei nicht vollständiger Linderung des Leidensdruckes begrenzt, so dass dem so formulierten Beweisantrag nicht zu entsprechen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Die vom Senat zitierten Erwägungen im Urteil des Bundessozialgerichts vom 28. September 2010 B 1 KR 5/10 R – waren dort nicht tragend und wurden vor Feststellung der Verfassungswidrigkeit von § 8 Abs. 1 Nr. 4 TSG angestellt.
Rechtskraft
Aus
Saved