L 6 R 997/11 B ER

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 9 R 1481/11 ER
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 R 997/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Ein Anordnungsgrund für die vorläufige Zahlung einer Rente wegen Erwerbsminderung besteht nicht, weil es einer Beschwerdeführerin zuzumuten ist, ihren Lebensunterhalt durch entsprechende Antragstellung bei den zuständigen Trägern für Leistungen nach dem SGB II bzw. nach SGB XII sicher zu stellen (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 27. März 2009 - Az.: L 3 U 271/08 B ER, LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16. September 2003 - Az.: L 3 B 6/03 RA).
Die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 30. Mai 2011 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführerin begehrt im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung die vorläufige Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Die Beschwerdegegnerin zahlt der 1952 geborenen Beschwerdeführerin aufgrund des Urteils des Sozialgerichts (SG) Altenburg vom 30. Juni 2003 (Az.: S 9 RJ 258/01) ab dem 1. November 1999 Rente wegen Berufsunfähigkeit. Mehrere Rechtsstreitigkeiten wegen der Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. voller Erwerbsminderung blieben erfolglos.

Am 10. August 2010 beantragte sie bei der Beschwerdegegnerin die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung mit der Begründung, sie sei bedingt durch ihre starken gesundheitlichen Beschwerden und der daraus resultierenden starken dauerhaften Leistungsminderung jahrelang auf dem Arbeitsmarkt nicht vermittelbar gewesen. Auf der Grundlage eines Gutachtens der Dr. Sch. vom 21. Juni 2010 habe sie von der Bundesagentur für Arbeit die Mitteilung erhalten, dass sie wegen Nichtleistungsfähigkeit ab dem 9. August 2010 aus dem Leistungsbezug abgemeldet werde und einen Antrag auf Rente wegen voller Erwerbsminderung stellen solle.

Die Beschwerdegegnerin beauftragte am 13. September 2010 Dr. P. mit der Erstellung eines medizinischen Gutachtens. Die Beschwerdeführerin lehnte eine Begutachtung durch ihn sowie generell eine Begutachtung aufgrund ambulanter Untersuchung ab, weil zu befürchten sei, dass die beauftragten Gutachter wie bereits in den vorangegangenen Verfahren keine Befunde über ihre Wirbelsäule erheben würden. Sie beantrage die gesamten medizinischen Unterlagen aus dem Verfahren über die Feststellung ihrer Schwerbehinderteneigenschaft sowie die Unterlagen der Bundesagentur für Arbeit - Agentur für Arbeit J. - beizuziehen.

Unter dem 15. Oktober 2010 wies die Beschwerdegegnerin darauf hin, sie beabsichtige, die Zahlung der beantragten Rente nach § 66 Abs. 1 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) wegen mangelnder Mitwirkung zu versagen und räumte hierzu Gelegenheit zur Stellungnahme ein. Nach Auffassung der fachärztlichen Berater reichten die bisher vorliegenden ärztlichen Unterlagen zur Beurteilung des Gesundheitszustandes nicht aus. Sie beauftragte am 27. Oktober 2010 Dr. A. mit der Erstellung eines orthopädischen Gutachtens. Hierauf erklärte die Beschwerdeführerin, sie sei grundsätzlich bereit, sich einer fachärztlichen Untersuchung durch Prof. Dr. Sch. zu unterziehen. Nach der Stellungnahme des Sozialmedizinischen Dienstes - Dipl.-Med. K. - vom 15. November 2010 ist eine Aussage zum Leistungsvermögen der Beschwerdeführerin ohne Begutachtung nicht möglich.

Mit Bescheid vom 17. November 2010 lehnte die Beschwerdegegnerin die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) wegen mangelnder Mitwirkung ab. Diese Ablehnung (Versagung) gelte solange, bis sie ihre Mitwirkungspflicht erfüllt habe. Hiergegen erhob die Beschwerdeführerin Widerspruch mit der Begründung, die Bundesagentur für Arbeit - Agentur für Arbeit Jena - habe in dem Gutachten vom 21. Juni 2010 festgestellt, dass sie nur noch täglich weniger als drei Stunden Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt verrichten könne und derzeit nicht in der Lage sei, einer regelmäßigen Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes länger als sechs Monate nachzugehen. Aufgrund der Auswahl der Gutachter durch die Beschwerdegegnerin bestehe der Verdacht, dass stetig solche zur ihrer Begutachtung ausgewählt würden, die vorsätzlich krankhafte Befunde nicht erheben bzw. diese nicht im Gutachten angeben würden und somit der sachgerechte und objektive Sachverhalt in ihrer Rentensache vorsätzlich nicht ermittelt werde. Insoweit bestünde auch begründeter Zweifel gegen die Objektivität des Dr. A ... Grundsätzlich sei sie aber bereit, sich einer Begutachtung zu unterziehen allerdings nur durch Prof. Dr. Sch., ersatzweise durch einen Amtsarzt oder den Medizinischen Dienst der AOK bzw. der Rentenversicherung. Die vorgeschlagene Begutachtung durch Dr. B. oder Prof. Dr. Dr. B. lehnte sie mit Schreiben vom 6. Februar 2011 wegen fehlender Zusatzausbildung der benannten Ärzte zum Arbeitsmediziner bzw. wegen Befangenheit ab. Am 23. Februar 2011 beauftragte die Beschwerdegegnerin Dr. M. mit der Erstellung eines orthopädischen Gutachtens. Eine Begutachtung durch ihn lehnte die Beschwerdeführerin mit der Begründung ab, er habe ihr telefonisch mitgeteilt, dass er eine MRT-Aufnahme benötige; die Anfertigung einer solchen Aufnahme lehne sie aus gesundheitlichen Gründen ab. Mit Widerspruchsbescheid vom 7. April 2011 wies die Beschwerdegegnerin den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat die Beschwerdeführerin am 15. April 2011 beim SG Klage (Az.: S 9 R 1475/11) erhoben und beantragt, die Beschwerdegegnerin im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, an sie Rente wegen voller Erwerbsminderung zu zahlen. Zur Begründung hat sie vorgetragen, nach § 96 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) seien die Untersuchungsergebnisse eines anderen Leistungsträgers - hier der Bundesagentur für Arbeit - zu verwerten. Zudem habe das Landratsamt Saale-Holzland-Kreis Sozialamt/Schwerbehindertenrecht bei ihr einen Grad der Behinderung von 50 aufgrund verschiedener Erkrankungen festgestellt. Die Beschwerdegegnerin habe der Leistungseinschätzung der Bundesagentur für Arbeit aufgrund des Gutachtens vom 21. Juni 2010 nicht widersprochen. Dies bedeute im Umkehrschluss, dass sie voll erwerbsgemindert sei. Sofern die Beschwerdegegnerin die Auffassung der Bundesagentur für Arbeit nicht teile, sei sie nach § 44a des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) verpflichtet, die Entscheidung über eine gemeinsame Einigungsstelle herbeizuführen. Sie erhalte zurzeit eine Rente in Höhe von 610,83 EUR und sei aufgrund ihrer gesundheitlichen Leiden nicht in der Lage einen monatlichen Hinzuverdienst auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erzielen.

Mit Beschluss vom 30. Mai 2011 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und zur Begründung u.a. ausgeführt, es fehle bereits am Vorliegen eines Anordnungsgrundes. Die Beschwerdeführerin bestreite seit November 1999 ihren Lebensunterhalt mit der Rente wegen Berufsunfähigkeit. Sie sei im Zeitraum 1. Januar bis 9. August 2010 arbeitslos ohne Leistungsbezug gemeldet gewesen. Insoweit sei es ihr auch jetzt zuzumuten, den Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache abzuwarten.

Gegen den Beschluss hat die Beschwerdeführerin Beschwerde eingelegt und vorgetragen, sie sei aufgrund des "unbestrittenen Gutachtens" vom 21. Juni 2010 leistungsunfähig. Das SG habe § 96 SGB X nicht beachtet. Am 1. Mai 2011 sei ihr Ehemann verstorben, so dass sie künftig nur eine kleine Witwenrente in Höhe von ca. 400,00 EUR monatlich erhalte. Zuvor habe ihr Mann eine monatliche Rente in Höhe von 670,00 EUR erhalten und monatlich 400,00 EUR netto hinzu verdient.

Die Beschwerdeführerin beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 30. Mai 2011 aufzuheben und die Beschwerdegegnerin im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr ab 15. April 2011 vorläufig Rente wegen Erwerbsminderung in gesetzlicher Höhe bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu zahlen.

Die Beschwerdegegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verweist darauf, dass ein Verfahren nach § 45 SGB II, der zwischenzeitlich aufgehoben sei, nicht stattgefunden habe. Insoweit bestehe auch keine Bindung an die sozialmedizinische Leistungseinschätzung der Bundesagentur für Arbeit. Seit dem 1. Juli 2011 erhalte die Beschwerdeführerin eine Rente wegen Berufsunfähigkeit in Höhe von 614,86 EUR und Witwenrente in Höhe von 677,44 EUR. Bei aktuellen Rentenzahlungen in Höhe von insgesamt 1.292,30 EUR seien die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht unzumutbar. Eine dringende Notlage sei nicht erkennbar, wenn die Höhe der Witwenrente nach Ablauf des so genannten Sterbevierteljahres 406,47 EUR betragen werde.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird ergänzend auf den Inhalt der Beschwerdeakte, der beigezogenen Gerichtsakte des SG Altenburg (Az.: S 9 R 1475/11) sowie der beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidung war.

II.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 30. Mai 2011 ist nach §§ 172 Abs. 1, 173 SGG statthaft und zulässig. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedoch unbegründet. Es fehlt sowohl am Vorliegen eines Anordnungsanspruchs als auch eines Anordnungsgrundes.

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag (1) in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen, (2) in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, (3) in den Fällen des § 86a Abs. 3 SGG die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise wieder herstellen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2).

Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist statthaft. Bei dem hier in der Hauptsache streitigen Bescheid vom 17. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2011 handelt es sich um eine vorläufige Versagung der Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. September 2010. Gegen einen Versagungsbescheid wegen mangelnder Mitwirkung ist grundsätzlich nur die Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG), nicht die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) gegeben. Streitgegenstand eines solchen Rechtsstreits ist nicht der materielle Anspruch, sondern die Auseinandersetzung über Rechte und Pflichten der Beteiligten im Verwaltungsverfahren (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteile vom 17. Februar 2004 - Az.: B 1 KR 4/02 R und 1. Juli 2009 - Az.: B 4 AS 78/08 R m.w.N., beide nach juris). Vorläufiger Rechtsschutz wäre dann grundsätzlich nach § 86b Abs. 1 SGG zu gewähren, wenn die dort genannten Voraussetzungen vorliegen. Eine vorläufige Verpflichtung zur Leistungserbringung begründet § 86b Abs. 1 SGG im Falle der Versagung von Leistungen wegen mangelnder Mitwirkung nicht. Allerdings ist es auch im Falle einer Versagung nach § 66 SGB I nicht stets ausgeschlossen, mit der Anfechtungsklage eine Leistungs- oder Verpflichtungsklage zu verbinden. Eine zusätzliche Klage auf Leistungsgewährung ist jedenfalls dann zulässig, wenn die anderweitige Klärung der Leistungsvoraussetzungen nachgewiesen oder ihr Vorliegen - so wie hier - von der Beschwerdeführerin behauptet wird (vgl. BSG, Urteile vom 1. Juli 2009, a.a.O. und vom 24. November 1987 - Az.: 3 RK 11/87, nach juris). Insofern ist das Begehren auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Wege einer einstweiligen Anordnung im Hinblick auf die erhobene Leistungsklage hier zulässig.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedoch unbegründet.

Ein Anordnungsantrag ist begründet, wenn das Gericht auf Grund einer hinreichenden Tatsachenbasis durch Glaubhaftmachung (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO) und/oder im Wege der Amtsermittlung (§ 103 SGG) einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund bejahen kann. Ein Anordnungsanspruch liegt vor, wenn das im Hauptsacheverfahren fragliche materielle Recht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Ein Anordnungsgrund ist zu bejahen, wenn es für den Antragsteller unzumutbar erscheint, auf den (rechtskräftigen) Abschluss des Hauptsacheverfahrens verwiesen zu werden. Insofern besteht keine freie Auswahl, ob das Rechtsschutzbegehren im Eilverfahren oder im Hauptsacheverfahren verfolgt wird; einstweiliger Rechtsschutz kommt nur (regelmäßig ergänzend) dann in Betracht, wenn eine Gewährung von Rechtsschutz in der Hauptsache zu spät käme und dadurch der verfassungsrechtliche Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG)) beeinträchtigt würde (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Juli 2004 - Az.: L 6 P 458/04 ER m.w.N.). Dies ist hier nicht gegeben.

a) Es ist nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführerin durch die derzeitige Nichtgewährung der begehrten Rente wegen voller Erwerbsminderung unzumutbare Nachteile entstehen. Zum Einen hat sie durch das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache keinen (unumkehrbaren) Rechtsverlust an dem geltend gemachten Rentenanspruch zu befürchten. Sollten die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung letztendlich nachgewiesen werden, bestünde der Anspruch auf Rente ggf. auch rückwirkend ab dem 1. September 2010. Zum Anderen ist eine finanzielle Notlage weder ersichtlich, noch würde eine solche eine Verpflichtung der Beschwerdegegnerin begründen, der Beschwerdeführerin vorläufig eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auszuzahlen. Diese erzielt zurzeit ein Einkommen in Höhe von 1.292,30 EUR monatlich. Damit ist das so genannte soziokulturelle Existenzminimum sicher gestellt. Im Übrigen ist es nicht Aufgabe des Rentenversicherungsträgers, dieses zu gewährleisten. Bevor eine Rentenleistung zur Auszahlung gebracht würde, deren Voraussetzungen nicht sämtlich feststehen (dazu unter b), ist es der Beschwerdeführerin zuzumuten, die Sicherstellung ihres Lebensunterhaltes durch entsprechende Antragstellung bei den zuständigen Trägern für Leistungen nach dem SGB II bzw. nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zu beantragen (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 27. März 2009 - Az.: L 3 U 271/08 B ER, Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16. September 2003 - Az.: L 3 B 6/03 RA m.w.N., beide nach juris).

b) Es fehlt auch am Vorliegen eines Anordnungsanspruchs. Insoweit erfolgt vor Erlass einer einstweiligen Anordnung eine - summarische - Prüfung der Erfolgsaussicht in der Hauptsache. Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage, soweit nicht existentielle Leistungen in Frage stehen, an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 12. Mai 2005 - Az.: 1 BvR 569/05, nach juris). Nach summarischer Prüfung ist die von der Beschwerdeführerin erhobene Leistungsklage in der Hauptsache unbegründet.

Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung besteht nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI, wenn die Versicherten voll erwerbsgemindert sind und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Voll erwerbsgemindert sind sie, wenn sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin steht aufgrund des von der Bundesagentur für Arbeit - Arbeitsagentur J. - eingeholten Gutachtens der Dr. Sch. vom 21. Juni 2010 nicht fest, dass sie wegen Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Eine Bindung daran besteht nicht, weil es an einer gesetzlichen Regelung fehlt, die - wie in § 21 Satz 3 SGB XII für den Sozialhilfeträger - auf § 44a SGB II Bezug nimmt (vgl. Blüggel in Eicher/Spellbrink SGB II 2. Auflage 2008, § 44a Rn. 12). Ein Einigungsstellenverfahren nach § 44a SGB II ist im Übrigen, worauf die Beschwerdegegnerin zu Recht hinweist, nicht durchgeführt worden.

Inhaltlich ist das Vorliegen einer vollen Erwerbsminderung i.S.d § 43 Abs. 2 SGB VI durch das Gutachten der Dr. Sch. nach Aktenlage zudem nicht nachgewiesen. Hierzu ist zunächst auf die Stellungnahmen des Dipl.-Med. H. vom 28. September und 15. November 2010 zu verweisen, wonach ohne fachärztliche Begutachtung die Aufklärung des Sachverhalts - das Vorliegen einer vollen Erwerbsminderung - nicht möglich ist. Die Behörde hat nach § 20 SGB X den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden. § 20 Abs. 1 SGB X gestattet diejenigen Beweismittel, welche die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält. Damit hat der Gesetzgeber hinreichend deutlich gemacht, dass er den Betroffenen einerseits von jeglicher Beibringungs- oder Darlegungslast befreien will, dass aber andererseits jegliche Festlegung der Art und Weise der Sachaufklärung durch den Betroffenen ausgeschlossen sein soll (vgl. BSG, Urteil vom 17. Februar 2004 - Az.: B 1 KR 4/02/r, nach juris). Hieran ändert auch § 96 SGB X nichts. Insoweit ist zunächst auf § 96 Abs. 1 Satz 2 SGB X hinzuweisen, der ausdrücklich klargestellt, dass sich der Umfang der Untersuchungsmaßnahmen nur nach der Aufgabe richtet, die der veranlassende Leistungsträger zu erfüllen hat. Die Erwerbsfähigkeit nach § 8 SGB II orientiert sich zwar an dem rentenrechtlichen Begriff der Erwerbsfähigkeit, jedoch hat er durch das SGB II eine eigene Einfärbung erhalten. Die Beurteilungsmaßstäbe im SGB II und SGB VI sind also insoweit nicht notwendigerweise kongruent (vgl. Blüggel, a.a.O.). Zudem enthält § 96 Abs. 1 Satz 3 SGB X nur ein Verwertungsgebot der Untersuchungsbefunde für die Feststellung anderer Sozialleistungen, erzeugt aber keine Bindung an die Ergebnisse der ersten Untersuchungsmaßnahme. Dies wäre angesichts der in der Praxis noch bestehenden qualitativen Unterschiede der Untersuchungsmaßnahme auch nicht durchführbar (vgl. Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Auflage 2010, § 96 Rn. 4).

Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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