L 11 KR 289/12 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 4284/11 ER-B
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 289/12 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 22.12.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Die am 07.03.1961 geborene Antragstellerin erhielt von der Antragsgegnerin ab dem 12.01.2010 für insgesamt 78 Wochen bis zum 14.07.2011 Krankengeld. Ursache der Arbeitsunfähigkeit waren eine Schultersteife rechts und eine Spondylolisthesis. Ab dem 15.11.2011 erhielt die Antragstellerin Arbeitslosengeld. Am 19.09.2011 erlitt sie einen privaten Fahrradunfall, bei dem sie sich eine Verletzung an der linken Schulter zuzog. Die Agentur für Arbeit Mannheim hob mit Bescheid vom 16.12.2011 ihre frühere Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld am 31.10.2011 auf und gab als Grund hierfür an: Ende der Leistungsfortzahlung im Krankheitsfall. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Widerspruchsstelle der Bundesagentur für Arbeit in Mannheim mit Widerspruchsbescheid vom 27.12.2011 als unbegründet zurück.

Den Antrag der Antragstellerin, ihr Krankengeld ab dem 19.09.2011 zu zahlen, lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 26.10.2011 ab. Dagegen erhob die Antragstellerin am 02.11.2011 Widerspruch und machte geltend, die Arbeitsunfähigkeit wegen der Schultersteife rechts und der Spondylolisthesis habe am 14.07.2011 geendet. Der daraufhin von der Antragsgegnerin befragte behandelnde Orthopäde teilte dieser mit Schreiben vom 05.12.2011 mit, Ursache der Arbeitsunfähigkeit sei neben der Schultersteife links auch die fortbestehende Schultersteife rechts. Mit Schreiben vom 15.12.2011 hörte die Antragsgegnerin die Antragstellerin förmlich an und führte dabei ua aus, der Anspruch der Antragstellerin auf Zahlung von Krankengeld habe am 14.07.2011 geendet. Ab dem 19.09.2011 sei kein neuer Anspruch auf diese Leistung entstanden, weil zu diesem Zeitpunkt weiterhin Arbeitsunfähigkeit auch wegen der Schultersteife rechts bestanden habe. Dies habe der behandelnde Orthopäde der Antragstellerin bestätigt und dieser Einschätzung habe sich der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) angeschlossen. Die für einen neuen Anspruch auf Krankengeld maßgebende Dreijahresfrist ende erst am 11.01.2013.

Am 16.12.2011 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Mannheim (SG) beantragt, ihr Krankengeld im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zuzuerkennen. Diesen Antrag hat das SG mit Beschluss vom 22.12.2011 abgelehnt. Es fehle bereits an einem Anordnungsgrund, weil sich aus dem Vorbringen der Antragstellerin keine Umstände ergäben, die ein Abwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache als nicht zumutbar erscheinen ließen.

Am 10.01.2012 hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt. Entscheidend sei das fachärztliche Attest des behandelnden Orthopäden Dr. B. vom 27.12.2011. Darin habe Dr. B. seine frühere Auffassung revidiert. Auch aus dem nach Aktenlage erstellten Gutachten des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit vom 28.07.2011 ergebe sich, dass sie damals wieder arbeitsfähig gewesen sei. Der Sturz vom Fahrrad am 19.09.2011 habe daher zu einem neuen Anspruch auf Krankengeld geführt.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 22.12.2012 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr Krankengeld ab dem 01.11.2011 zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin hält den Beschluss des SG für zutreffend. Im Rahmen der einstweiligen Anordnung könne die Antragstellerin nur Ansprüche für die Zukunft, höchstens aber ab Eingang des Antrags beim SG, also ab 16.12.2011 geltend machen. Ein Anspruch auf Krankengeld sei jedoch nicht entstanden, da die Verletzung der linken Schulter durch den Fahrradunfall am 19.09.2011 zu der weiterhin bestehenden Arbeitsunfähigkeit wegen der rechten Schulter hinzugetreten sei. Eine hinzugetretene Krankheit verlängere nach § 48 Abs 1 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) die Leistungsdauer nicht.

Die Anfrage des Senats, bis zu welchem Zeitpunkt sie Krankengeld beanspruche, hat die Antragstellerin nicht beantwortet.

II.

Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des SG vom 22.12.2011 ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat es zu Recht abgelehnt, der Antragstellerin Krankengeld im Wege einer einstweiligen Anordnung zuzusprechen. Damit fehlt es für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe an einer hinreichenden Erfolgsaussicht.

Gemäß § 86b Abs 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Absatzes 1 der Vorschrift vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussicht in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 Zivilprozessordnung - ZPO).

Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (vgl BVerfG [Kammer], 02.05.2005, 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237, 242). Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ist ihnen allerdings in den Fällen, in denen es um existentiell bedeutsame Leistungen der Krankenversicherung für den Antragsteller geht, eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage verwehrt. Sie haben unter diesen Voraussetzungen die Sach- und Rechtslage abschließend zu prüfen (vgl. BVerfG [Kammer], 29.07.2003, 2 BvR 311/03, BVerfGK 1, 292, 296; 22.11.2002, 1 BvR 1586/02, NJW 2003, S 1236 f). Ist dem Gericht in einem solchen Fall eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl BVerfG [Kammer], 02.05.2005, aaO, mwN); die grundrechtlichen Belange des Antragstellers sind umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl BVerfG [Kammer], 22.11.2002, aaO, S 1237; 29.11.2007, 1 BvR 2496/07, NZS 2008, 365). Der hier streitgegenständliche Anspruch auf Krankengeld gehört nicht zu den existenziell bedeutsamen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Dies folgt schon daraus, dass nicht jeder gesetzlich Krankenversicherte einen solchen Anspruch hat (vgl § 44 Abs 1 Satz 2 SGB V). Geboten und ausreichend ist damit eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage (st Rpsr des Senats, vgl Beschlüsse vom 19.08.2010, L 11 KR 3364/10 ER-B, juris; 22.12.2009, L 11 KR 5547/09 ER-B, und vom 16.10.2008, L 11 KR 4447/08 ER-B, juris).

Nach der gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist festzustellen, dass ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht ist. Dem Vorbringen der Antragstellerin lässt sich - trotz Nachfrage des Senats - nicht entnehmen, für welchen Zeitraum die Antragstellerin Krankengeld beansprucht. Insbesondere ist offen, wie lange die durch den Fahrradunfall hervorgerufene Verletzung der linken Schulter Arbeitsunfähigkeit verursacht hat. Damit lässt sich auch nicht feststellen, ob die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Krankengeld über den 16.12.2011 hinaus vorliegen. Der Senat sieht keine Veranlassung, ohne entsprechenden Vortrag im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens von Amts wegen weitere Ermittlungen vorzunehmen. Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass Krankengeld im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes frühestens ab Eingang des Antrags beim SG zugesprochen werden kann. Eine Verpflichtung zur Bewilligung von Krankengeld im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes für die Zeit davor, scheidet grundsätzlich aus (Beschluss des Senats vom 29.03.2010, L 11 KR 1448/10 ER-B, BeckRS 2010, 68232; weitergehend LSG Berlin-Brandenburg 30.01.2008, L 9 B 600/07 KR ER, BeckRS 2008, 53104: in der Regel keine Dringlichkeit für die Zeit vor der gerichtlichen Entscheidung).

Die Beklagte wird allerdings darauf aufmerksam gemacht, dass ihre Rechtsauffassung, wonach es für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin für die Zeit ab dem 19.09.2011 auf die zuletzt verrichtete Tätigkeit (Arzthelferin und Rettungsassistentin) ankomme, nicht zutreffend sein dürfte. Mit der Begründung eines Versicherungsschutzes in der Krankenversicherung der Arbeitslosen ändert sich Maßstab für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit. Abzustellen ist nunmehr auf diejenigen Arbeiten, die der Antragstellerin arbeitslosenversicherungsrechtlich zumutbar sind (vgl BSG 22.03.2005, B 1 KR 22/04 R, SozR 4-2500 § 44 Nr 6). Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob die Antragstellerin durchgehend wegen ihrer Schulterbeschwerden rechts arbeitsunfähig war. Dies wäre nach dem Gutachten der Agentur für Arbeit vom 28.07.2011 zu verneinen, was wiederum dazu führen könnte, dass die Folgen des Fahrradunfalls vom 19.09.2011 keine hinzugetretenen Krankheiten wären.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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