L 12 AS 541/12 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AS 7232/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 541/12 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 2. Februar 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen die Absenkung seines Arbeitslosengelds II (Alg II), hilfsweise beansprucht er höhere Lebensmittelgutscheine.

Der 1969 geborene Antragsteller bezieht laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) vom Antragsgegner. Zuletzt wurden ihm mit Bescheid vom 16. September 2011 Leistungen für 1. November 2011 bis 30. April 2012 bewilligt.

In einer Eingliederungsvereinbarung vom 23. Mai 2011 verpflichtete sich der Antragsgegner zur Unterbreitung von Vermittlungsvorschlägen, der Antragsteller verpflichtete sich zur Bewerbung auf die Vermittlungsvorschläge. Am 24. Oktober 2011 unterbreitete der Antragsgegner dem Antragsteller einen Vermittlungsvorschlag für eine Vollzeittätigkeit als Gabelstaplerfahrer bei der Firma P. & P. P.-Consulting GmbH. Der Antragsteller teilte noch am gleichen Tag dem Antragsgegner mit, er werde sich nicht bewerben, da er nicht für Zeitarbeitsfirmen arbeiten wolle. In gleicher Weise äußerte er sich nochmals auf schriftliche Anhörung durch den Antragsgegner im Hinblick auf den möglichen Eintritt einer Sanktion.

Mit Bescheid vom 9. November 2011 stellte der Antragsgegner für die Zeit vom 1. Dezember 2011 bis 29. Februar 2012 eine Absenkung des Alg II um monatlich 30 Prozent des Regelbedarfs, konkret 109,20 EUR fest. Mit Änderungsbescheid vom gleichen Tag wurde die Leistungsbewilligung vom 16. September 2011 für den Sanktionszeitraum entsprechend abgeändert.

Der Antragsteller erhob gegen die Bescheide vom 9. November 2011 Widerspruch und stellte am 14. November 2011 einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Stuttgart (SG), mit welchem er ungekürzte Leistungen für den Sanktionszeitraum begehrte. Mit Beschluss vom 22. November 2011 (S 14 AS 6369/11 ER) lehnte das SG den Antrag ab, da keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Sanktionsbescheids bestünden. Der Antragsteller habe sich ohne einen wichtigen Grund geweigert, die ihm angebotene Arbeit anzunehmen. Nach § 10 SGB II sei jede Arbeit zumutbar, der Wunsch, nicht für eine Zeitarbeitsfirma zu arbeiten, stelle sich nicht als wichtiger Grund dar. Der Vermittlungsvorschlag sei auch mit einer ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung versehen gewesen. Die Beschwerde des Antragstellers gegen diesen Beschluss wies das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Beschluss vom 28. November 2011 zurück (L 2 AS 5159/11).

Am 18. November 2011 unterbreitete der Antragsgegner dem Antragsteller einen Vermittlungsvorschlag für eine Vollzeittätigkeit als Gabelstaplerfahrer bei der G. Zeitarbeit GmbH. Der Antragsteller äußerte erneut, dass er nicht für dritte Personen arbeiten wolle und bekräftigte dies im schriftlichen Anhörungsverfahren.

Mit Bescheid vom 20. Dezember 2011 stellte der Antragsgegner eine Absenkung des Alg II für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 2012 in Höhe von monatlich 60 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs, konkret 218,40 EUR monatlich fest wegen der Ablehnung der angebotenen Beschäftigung bei der Firma G ... Hiergegen erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 23. Dezember 2011 Widerspruch.

Mit Bescheid vom 28. Dezember 2011 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller Lebensmittelgutscheine für Januar und Februar 2012 in Höhe von 45,30 EUR monatlich.

Gegen den am 16. Dezember 2011 erlassenen Widerspruchsbescheid betreffend die Bescheide vom 9. November 2011 hat der Antragsteller am 23. Dezember 2011 Klage zum SG erhoben (S 6 AS 7233/11) und gleichzeitig den hier streitigen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass sein Konto kein Guthaben mehr aufweise. Er wende sich gegen die bereits vorgenommene Kürzung und verlange die ungekürzte Auszahlung. Zudem sei bereits angekündigt worden, dass ab Januar 2012 die Leistung um 60 Prozent gekürzt werde. Die ihm gewährten Lebensmittelgutscheine für Januar und Februar 2012 in Höhe von jeweils 45,30 EUR reichten nicht aus, er benötige mindestens einen Gutschein über 120 EUR für Januar und 160 EUR für Februar 2012. In Höhe von mindestens 135 EUR habe er wichtige Zahlungsverpflichtungen (40 EUR Fahrkarte, 27 EUR Versicherungen, 38 EUR Internetanschluss, 30 EUR Ratenzahlung Kredit).

Das SG hat mit Beschluss vom 2. Februar 2012 den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Hinsichtlich der Minderung des Alg II um 30 Prozent könne dahinstehen, ob der Antrag aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung des LSG Baden-Württemberg vom 28. November 2011 überhaupt zulässig sei, denn der Antrag sei jedenfalls unbegründet (unter Bezugnahme auf den Beschluss des SG vom 22. November 2011 - S 14 AS 6369/11 ER - ). Soweit sich der Antragsteller der Sache nach auch gegen die Minderung der Leistungen um 60 Prozent für den Zeitraum Januar bis März 2012 richte, sei der Antrag unzulässig. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) könne das Gericht auf Antrag in Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung hätten, diese ganz oder teilweise anordnen. Nach § 39 Nr. 1 SGB II hätten Widerspruch und Anfechtungsklage vorliegend keine aufschiebende Wirkung. Der Antragsteller habe gegen den Sanktionsbescheid vom 20. Dezember 2011 jedoch keinen Widerspruch erhoben, ein solcher finde sich in den Akten nicht. Die Einlegung eines Widerspruchs sei Verfahrensvoraussetzung, weshalb der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz unzulässig sei. Inzwischen dürfte der Bescheid vom 20. Dezember 2011 bestandskräftig sein. Soweit der Antragsteller hilfsweise höhere Lebensmittelgutscheine begehre, sei Rechtsgrundlage § 86b Abs. 2 SGG. Voraussetzung sei die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrunds (Eilbedürftigkeit) sowie eines Anordnungsanspruchs (Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen Leistungsanspruchs). § 31a SGB II bestimme, dass bei einer Minderung des Alg II um mehr als 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs der Träger auf Antrag in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbringen könne. Bei einer Minderung um mindestens 60 Prozent solle das Alg II, soweit es für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht werde, an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden. Die Kammer könne nicht feststellen, dass die ergänzenden Leistungen von 45,30 EUR unangemessen niedrig seien. Die Miete werde direkt an den Vermieter, die Energiekosten direkt an die E. gezahlt, so dass Wohnungslosigkeit oder Energieliefersperren nicht drohten. Sofern der Antragsteller Zahlungsverpflichtungen zur Begründung der benötigten höheren Lebensmittelgutscheine geltend mache, könne dies nicht überzeugen. Zudem habe der Antragsteller jeweils neben dem Lebensmittelgutschein über 45,30 EUR noch 112,31 EUR vom Antragsgegner auf sein Konto angewiesen bekommen. Die Kammer sei unter Berücksichtigung der Art und Schwere der Pflichtverstöße und in Anbetracht der mangelnden Einsichtsfähigkeit des Antragstellers zu der Überzeugung gelangt, dass mit den gewährten ergänzenden Leistungen das zum Lebensunterhalt Unerlässliche gewährt und dem Sanktionsbedürfnis Rechnung getragen werde.

Hiergegen richtet sich die am 6. Februar 2012 eingelegte Beschwerde des Antragstellers. Gegen den Sanktionsbescheid vom 20. Dezember 2011 habe er Widerspruch eingelegt, das SG habe dieses Schreiben von ihm nicht gefordert. Er habe seine Kontoauszüge vorgelegt, woraus sich ergebe, dass schon am Monatsanfang sein Guthaben fast Null sei. Mit der Ablehnung durch das SG sei er daher nicht einverstanden.

Der Antragsgegner hält den Beschluss des SG für zutreffend. Er hat darauf hingewiesen, dass der Widerspruch gegen den Bescheid vom 28. Dezember 2011 wegen der Lebensmittelgutscheine mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2012 zurückgewiesen worden sei (Klage beim SG anhängig - S 6 AS 764/12). Auch gegen den Bescheid vom 20. Dezember 2011 habe der Antragsteller Widerspruch eingelegt, der inzwischen mit Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 2012 zurückgewiesen worden sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, insbesondere wäre im Hinblick auf die geltend gemachten Leistungen auch in der Hauptsache die Berufung zulässig, da die Berufungssumme von 750 EUR überschritten würde (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG). In der Sache ist die Beschwerde jedoch nicht begründet.

Soweit der Antragsteller für Dezember 2011 die Sanktion angreift, steht diesem Verlangen die Rechtskraft des Beschlusses des LSG Baden-Württemberg vom 28. November 2011 entgegen (L 2 AS 5159/11 ER-B). Beschlüsse im Eilverfahren sind neben formeller Rechtskraft auch einer sachlichen Bindungswirkung fähig mit der Folge, dass sie einem neuen Antrag auf das gleiche Rechtsschutzziel bei unveränderter Sach- und Rechtslage entgegenstehen. Insoweit enthalten Eilentscheidungen eine endgültige Entscheidung über eine vorläufige Regelung (vgl. Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Aufl., Rdnr. 40). So liegt der Fall hinsichtlich des Begehrens auf Aufhebung der Sanktion in Höhe von 30 v.H. und Nachzahlung der Kürzung. Jedenfalls hinsichtlich des Monats Dezember 2011 liegt gegenüber dem letzten gerichtlichen Eilverfahren keinerlei Änderung in sachlicher oder rechtlicher Hinsicht vor, so dass eine erneute gerichtliche Befassung insoweit ausgeschlossen ist.

Soweit sich der Antragsteller gegen den zweiten Sanktionsbescheid vom 20. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Februar 2012 wendet, ist Rechtsgrundlage für das Begehren die Bestimmung des § 86b Abs. 1 SGG, welche in Anfechtungssachen u.a. die gerichtliche Korrektur der fehlenden aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage regelt. Das Rechtsschutzverlangen ist insoweit unter die Bestimmungen des § 86b Abs. 1 Satz 1 SGG zu fassen, denn durch den Sanktionsbescheid des Antragsgegners wird in die durch die Leistungsbewilligung vom 16. September 2011 erlangte Rechtsposition des Antragstellers eingegriffen. Da hier Widerspruch und Anfechtungsklage kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung zukommt (vgl. § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1 SGB II), ist im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur gerichtlichen Korrektur die Regelung des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG heranzuziehen; hiernach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Klage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Soweit der Antragsteller gegen den Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 2012 nach Kenntnis des Senats noch keine Klage erhoben hat, verbleibt es vorliegend beim Begehren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs. Auch nach Zurückweisung des Widerspruchs ist nach dem Wortlaut des § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG noch die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs möglich und zur Vermeidung von Rechtsschutzlücken im Zeitraum zwischen Erlass des Widerspruchsbescheids und Klageerhebung auch erforderlich (vgl. Krodel, a.a.O., Rdnr. 87 m.w.N.).

Die Eilentscheidung in Anfechtungssachen verlangt eine Interessenabwägung, wobei das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes und das durch Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich geschützte Aussetzungsinteresse gegeneinander abzuwägen sind (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. April 2006 - L 7 AS 1196/06 ER-B - info also 2006, 132 und Beschluss vom 31. März 2006 - L 8 AS 238/06 ER-B - (juris); Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 86b Rdnrn. 12 ff.). Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung in die Betrachtung einzubeziehen sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs (vgl. hierzu LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 7. Januar 2002 - L 13 AL 3590/01 ER-B - und vom 9. Januar 2003 - L 13 AL 4269/02 ER-B - (beide juris)); dabei kommt dem voraussichtlichen Ausgang des Hauptsacheverfahrens bei der Abwägung jedenfalls insoweit entscheidende Bedeutung zu, als der Rechtsbehelf offensichtlich begründet oder aussichtslos erscheint (so schon Bundessozialgericht (BSG), BSGE 4, 151, 155; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 86b Rdnr. 12c). Ist der Verfahrensausgang dagegen als offen zu bezeichnen, ist darüber hinaus bei der Interessenabwägung in Anlehnung an die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur einstweiligen Anordnung entwickelten Grundsätze (vgl. BVerfG NJW 1997, 479, 480 f.; NJW 2003, 1236 f.; Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927 ff.) auch die Schwere und Unabänderlichkeit des Eingriffs zu berücksichtigen, so dass - namentlich bei den der Existenzsicherung dienenden Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II und dem SGB XII - insoweit eine Güter- und Folgenabwägung vorzunehmen ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 31. März 2006 und 12. April 2006 a.a.O.; Krodel, a.a.O., Rdnr. 205); in dieser Beziehung hat das Vollziehungsinteresse umso eher zurückzustehen, je schwerer und nachhaltiger die durch die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen.

Vorliegend führt die gebotene Interessenabwägung nicht zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung, denn es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide. Die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide misst sich an § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) und § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine solche Änderung tritt ein, wenn die Voraussetzungen des § 31 SGB II für eine Absenkung des Arbeitslosengelds II vorliegen (vgl. BSGE 102, 201, 211 = SozR 4-4200 § 16 Nr. 4). Dies ist hier der Fall. Dabei bedarf es als Voraussetzung für die Aufhebung der Bewilligungsentscheidung keines vorgeschalteten, zusätzlichen feststellenden Verwaltungsakts (vgl. BSG SozR 4-4200 § 31 Nr. 3).

Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II verletzen erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihre Pflichten, wenn sie trotz Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis (1.) sich weigern, in der Eingliederungsvereinbarung oder in dem diese ersetzenden Verwaltungsakt nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen, (2.) sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit nach § 16d oder eine mit einem Beschäftigungszuschuss nach § 16e geförderte Arbeit aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern. Dies gilt nicht, wenn der erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für sein Verhalten darlegt und nachweist (§ 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Bei einer Pflichtverletzung nach § 31 mindert sich das Alg II in einer ersten Stufe um 30 Prozent des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs (§ 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II). Bei der ersten wiederholten Pflichtverletzung nach § 31 mindert sich das Alg II um 60 Prozent des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs (§ 31a Abs. 1 Satz 2 SGB II). Der Auszahlungsanspruch mindert sich mit Beginn des Kalendermonats, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsakts folgt, der die Pflichtverletzung und den Umfang der Minderung feststellt; der Minderungszeitraum beträgt drei Monate (§ 31b Abs. 1 Satz 1 und 3 SGB II).

Der Antragsteller hat vorliegend gegen seine wirksamen Verpflichtungen aus der Eingliederungsvereinbarung vom 23. Mai 2011 verstoßen und damit zugleich die Anbahnung einer zumutbaren Arbeit verhindert, indem er sich auf die Vermittlungsvorschläge schon nicht beworben hat. Damit liegt objektiv eine Pflichtverletzung i.S.v. § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB II vor.

Bedenken gegen die Zumutbarkeit der angebotenen Stellen sind nicht ersichtlich. Grundsätzlich ist dem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten jede Arbeit zumutbar (§ 10 Abs. 1 SGB II), auch eine Tätigkeit für Zeitarbeitsfirmen kann von ihm verlangt werden.

Die Vermittlungsvorschläge waren mit einer ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung versehen (vgl. hierzu BSGE 105, 297 = SozR 4-4200 § 31 Nr. 5 m.w.N.). Insbesondere konnte der Antragsteller ohne Weiteres die Konsequenzen der Verweigerung der Annahme der angebotenen Stellen, auch im Wiederholungsfalle, erkennen. Wichtige Gründe für die Weigerungen der Aufnahme einer zumutbaren Arbeit liegen nicht vor. Anhaltspunkte für weitere berechtigte Interessen des Antragstellers in Abwägung mit entgegen stehenden Belangen der Allgemeinheit ergeben sich nicht.

Die Absenkung um 60 Prozent wegen der wiederholten Nichtbewerbung auf einen Vermittlungsvorschlag war hier möglich, da die vorangegangene Sanktion bereits mit Bescheid vom 9. November 2011 festgestellt worden war. Die Voraussetzung, eine wiederholte Pflichtverletzung mit einem erhöhten Absenkungsbetrag nur dann anzunehmen, wenn eine vorangegangene Pflichtverletzung mit einem Absenkungsbescheid der niedrigeren Stufe sanktioniert und dem Hilfebedürftigen zugestellt ist, folgt aus der Systematik des § 31a SGB II. Denn die Sanktionierung durch Festlegung eines erhöhten Absenkungsbetrags soll erst greifen, wenn dem Hilfebedürftigen durch den vorangegangenen Sanktionsbescheid mit einer Minderung in der niedrigeren Stufe die Konsequenzen seines Verhaltens vor Augen geführt worden sind (vgl. BSG, Urteil vom 9. November 2010 - B 4 AS 27/10 R - (juris)). Es besteht somit nach alledem keine Veranlassung zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der Sanktion gemäß Bescheid vom 20. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Februar 2012.

Soweit der Antragsteller schließlich hilfsweise höhere Lebensmittelgutscheine für Januar und Februar 2012 begehrt, bleibt auch dieser Antrag ohne Erfolg. Rechtsgrundlage ist insoweit § 86b Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGG (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der angestrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. BVerfG NVwZ 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927 = Breithaupt 2005, 803). Wird im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten abgestellt, ist die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - Breith 2005, 803). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, weil etwa eine vollständige Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden unter Berücksichtigung insbesondere der grundrechtlichen Belange des Antragstellers. Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 86b Rdnr. 42).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind dem Antragsteller im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes keine höheren Lebensmittelgutscheine für Januar und Februar 2012 zuzusprechen. Nach § 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II kann der Träger bei einer Minderung des Alg II um mehr als 30 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs auf Antrag in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbringen. Der Höhe nach ist der Anspruch auf ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen unbestimmt, die Leistungen müssen aber sicherstellen, dass das physische Existenzminimum gesichert ist. Der Träger hat insoweit in seine Ermessensentscheidung neben Art und Schwere der wiederholten Pflichtverstöße sowie vergleichbarer Minderungen in der Vergangenheit auch die individuelle Lebenssituation des Leistungsberechtigten und seine Einsichtsfähigkeit zu berücksichtigen (vgl. Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl., § 31a Rdnr. 48). Insoweit kann im Rahmen des Verfahrens auf vorläufigen Rechtsschutz allerdings dahinstehen, ob Ermessensfehler vorliegen, denn jedenfalls ist ein Anspruch auf höhere ergänzende Leistungen nicht glaubhaft gemacht. Der Antragsteller kann mit den ihm im Januar und Februar 2012 jeweils ausgezahlten 112,31 EUR zuzüglich der Lebensmittelgutscheine über je 45,30 EUR jedenfalls sein physisches Existenzminimum decken (Bedarf für Ernährung, Hygiene, Körperpflege). Dass er möglicherweise nicht mehr im Stande ist, laufende Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen (Miete und Energiekosten werden entsprechend § 31a Abs. 3 Satz 3 SGB II allerdings direkt an Vermieter und Energieversorger gezahlt), ist als Folge der Sanktion hinzunehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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