Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 1688/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 2006/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 04.03.2010 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahren zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte berechtigt war, eine zu Unrecht erfolgte Rentenbewilligung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.
Die am 1941 geborene Klägerin ist die geschiedene Ehefrau des am 27.02.1930 geborenen und am 23.06.2008 verstorbenen W. S. (im Folgenden: Versicherter), der in zweiter Ehe wiederver-heiratet war. Am 25.08.2008 beantragte die Klägerin die Gewährung von Hinterbliebenenrente. Sie legte die anlässlich der Ehescheidung am 18.06.1975 geschlossenen Unterhaltsvereinbarung vor, verneinte aber eine Unterhaltszahlung während des letzten Jahres vor dem Tod des Versi-cherten und bejahte den Erhalt einer "Unterhaltsabfindung oder Unterhaltsvorauszahlung" in Höhe von 25.000,- DM ca. 1998. Als eigene Einkünfte gab sie Rentenzahlungen in Höhe von 600,- EUR (gesetzliche Rentenversicherung) und 580,- EUR (ZVK-Rente) an.
Mit Bescheid vom 08.10.2008 bewilligte die Beklagte der Klägerin große Witwenrente ab 01.09.2008 in Höhe von 399,27 EUR netto.
Auf die zuvor an die zweite Ehefrau des Versicherten gerichtete Mitteilung der Beklagten, die Klägerin habe Hinterbliebenenrente beantragt, äußerte diese nunmehr Zweifel an der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für eine Geschiedenenwitwenrente. Daraufhin nahm die Beklagte nach Anhörung der Klägerin mit Bescheid vom 07.11.2008 den Bescheid vom 08.10.2008 mit Wirkung für die Zukunft ab 01.12.2008 gemäß § 45 SGB X zurück. Die Klägerin habe zum Zeitpunkt des Todes des geschiedenen Ehepartners ein eigenes Einkommen von monatlich 1.180,- EUR gehabt, weshalb ihr Unterhalt bereits auf Grund dieser Einkünfte gedeckt gewesen sei. Die Rücknahme des Bescheids für die Zukunft sei zulässig, weil sie sich nicht auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheides berufen könne und auch die Fristen des § 45 Abs. 3 bzw. Abs. 4 SGB X nicht abgelaufen seien. Auch die vorzunehmende Ermessensausübung führe zu keinem anderen Ergebnis. Auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheides könne sie sich nicht berufen, weil an der Herstellung des rechtmäßigen Zustandes ein überwiegendes öffentli-ches Interesse bestehe und ihr Vertrauen in den Bestand des Bescheides nicht schutzwürdig sei. Auch im Wege des Ermessens werde die Bescheidrücknahme für gerechtfertigt erachtet, weil die nach Aktenlage erkennbaren wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse eine Rücknahme des Bescheids zuließen. Dies folge auch aus Gründen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Verpflichtung zur zweckentsprechenden Verwendung der Mittel. Hierdurch solle erreicht wer-den, dass keine Leistungen ohne ausreichende gesetzliche Grundlage erbracht werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.03.2009 wurde der Widerspruch unter Darlegung der An-spruchsvoraussetzungen des § 243 Abs. 6 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) und dem Hinweis zurückgewiesen, dass diese nicht erfüllt seien, weil die Klägerin im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten keinen Unterhalt bezogen habe. Weiter wurde ausgeführt "Der Bescheid für die Bewilligung der Witwenrente aus der Versicherung des geschiedenen Ehegatten vom 08.10.2008 wurde zu Recht nach § 45 SGB X zurückgenommen. Bei dieser Sach- und Rechtslage musste ihrem Widerspruch der Erfolg versagt bleiben."
Am 20.04.2009 hat die Klägerin dagegen beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben und neben einer materiellen Berechtigung auf die Rente und Vertrauensschutz auch geltend gemacht, der angefochtene Bescheid könne auch deshalb keinen Bestand haben, weil im Widerspruchsbe-scheid kein Ermessen ausgeübt worden sei. Die Ausführungen zeigten vielmehr einen klaren Fall von Ermessensausfall.
Mit Urteil vom 04.03.2010 hat das SG den Bescheid vom 07.11.2008 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 20.03.2009 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die ange-fochtenen Bescheide seien rechtswidrig, weil die Ausführungen im Widerspruchsbescheid nicht zu erkennen gäben, dass die Widerspruchsbehörde eigene Ermessenserwägungen angestellt hat. Nicht ausreichend sei, dass der Ausgangsbescheid Ermessenserwägungen enthalte, wenn diese von der Widerspruchsbehörde nicht übernommen würden.
Gegen das ihr am 06.04.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26.04.2010 Berufung einge-legt und geltend gemacht, die Klägerin habe weder im Anhörungsverfahren noch im Wider-spruchsverfahren Tatsachen vorgebracht, anhand derer sie Ermessenserwägungen hätte anstellen können. Es stelle sich damit die Frage, ob überhaupt Ermessen hätte ausgeübt werden müssen. In vergleichbaren Fällen werde dies von der Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 26.09.1990, 9b/7 RAr 30/89) verneint. Ähnliches habe das BSG in seinem Urteil vom 25.01.1994 (4 RA 16/92 in SozR3-1300 § 50 Nr. 16) entschieden. Danach habe derjenige, der einen Ermes-sensmangel rüge, rechtzeitig auch auf noch nicht aktenkundige Gesichtspunkte hinzuweisen, die es der Verwaltung ermöglichten, spätestens im Widerspruchsbescheid zu beurteilen, ob aus-nahmsweise Ermessen auszuüben sei. Vorliegend habe die Klägerin weder im Anhörungs- noch im Widerspruchsverfahren Ermessensgründe, die gegen die Rücknahme des rechtswidrigen Ren-tenbescheides für die Zukunft sprächen, vorgebracht. Vielmehr habe sie sich ausschließlich gegen die materielle Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides gewandt. Eine Ermessensent-scheidung sei daher nicht vorzunehmen gewesen. Gleichwohl habe sie sämtliche Erwägungen, die zu Gunsten der Klägerin sprachen und ihr bekannt gewesen seien, berücksichtigt und auch von einer Rückforderung für die Vergangenheit abgesehen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 04.03.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig und beruft sich auf die Entscheidung des BSG vom 18.04.2000 (B 2 U 19/99 R). Der Widerspruchsbescheid enthalte keinen Hinweis darauf, dass die Beklagte von dem ihr eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht habe. Im Übrigen hätte die Beklagte sich auch mit ihrer Gutgläubigkeit und Rechtstreue sowie der Frage auseinandersetzen müssen, ob eine sofortige Rücknahmeentscheidung verhältnismäßig sei, gerade auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Folgen der sofortigen Rücknahme.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darlegung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genom-men.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Beklagten, über die der Senat mit dem Einver-ständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig; die Berufung ist jedoch nicht begründet.
Das SG hat den Bescheid der Beklagten vom 07.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 20.03.2009, mit dem die Beklagte die der Klägerin mit Bescheid vom 08.10.2008 bewilligte große Witwenrente mit Wirkung für die Zukunft zurücknahm, zu Recht aufgehoben. Denn der Widerspruchsbescheid vom 20.03.2009 ist rechtswidrig, was auch zur Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheids führt.
Als Rechtsgrundlage für die Rücknahme des Bescheids vom 08.10.2008 kommt allein § 45 SGB X in Betracht. Nach dessen Abs. 1 darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen recht-lich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigter Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen des Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurück-genommen werden. Ein rechtswidriger Verwaltungsakt darf nach Abs. 2 der Regelung nicht zu-rückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begüns-tigte nicht berufen, soweit er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (Nr. 1), der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2), oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge Fahrlässigkeit nicht kannte, wobei grobe Fahrlässigkeit vorliegt, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorg-falt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
Auf dieser Grundlage hat das SG zutreffend ausgeführt, dass der Beklagten im Hinblick auf die Rücknahme der Rentenbewilligung vom 08.10.2008 ein Ermessensspielraum eröffnet war und die Begründung der Entscheidung die Gesichtspunkte erkennen lassen muss, von denen sie bei der Ausübung ihres Ermessens ausging. Zutreffend hat es im Hinblick auf § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG, wonach im Widerspruchsverfahren die Recht- und Zweckmäßigkeit des Verwaltungshan-delns zu überprüfen ist, auch dargelegt, dass die Widerspruchsbehörde nicht nur die Rechtmä-ßigkeit der getroffenen Entscheidung zu überprüfen hatte, sondern auch deren Zweckmäßigkeit, so dass sie selbst Ermessen auszuüben hatte, dieser Verpflichtung jedoch erkennbar nicht nach-kam. Das SG hat weiter zutreffend ausgeführt, dass die zu prüfende Verwaltungsentscheidung gemäß § 95 SGG ihre maßgebende Gestalt durch den Widerspruchsbescheid erhält und deshalb - wie der erkennende Senat bereits mit dem vom SG angeführten Beschluss vom 10.07.2007, L 10 U 2777/07 ER-B unter Darlegung entsprechender höchstrichterlicher Rechtsprechung entschie-den hat - eine Entscheidung ohne Ermessensausübung vorliegt, wenn zwar der Ausgangsbe-scheid Ermessenerwägungen enthält, nicht aber (auch nicht in Form einer Übernahme der ent-sprechenden Ausführungen etwa durch Bezugnahme) der Widerspruchsbescheid. Der Senat schließt sich den entsprechenden Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung an und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die entspre-chenden Darlegungen.
Der Senat teilt insbesondere die Einschätzung des SG, wonach die Widerspruchsstelle eigenes Ermessen nicht aus übte. Denn die sich an die Darlegungen zu den Anspruchsvoraussetzungen der von der Klägerin begehrten Rente anschließende Formulierung ("Der Bescheid für die Be-willigung der Witwenrente aus der Versicherung des geschiedenen Ehegatten vom 08.10.2008 wurde zu Recht nach § 45 SGB X zurückgenommen. Bei dieser Sach- und Rechtslage musste ihrem Widerspruch der Erfolg versagt bleiben.") enthält keine Hinweise darauf, dass die Wider-spruchsstelle Ermessensgesichtspunkte berücksichtigte. Die Ausführungen legen vielmehr sogar nahe, dass sie sich ihrer Pflicht zur Ausübung von Ermessen nicht einmal bewusst war, zumal sie auch nicht auf die Ermessenserwägungen der Ausgangsbehörde einging ist, indem sie sich diese etwa zu eigen gemacht oder auf sie Bezug genommen hätte. Auch die Beklagte selbst hat nicht behauptet, dass dem Widerspruchsbescheid Ermessenserwägungen der Widerspruchsstelle ent-nommen werden könnten bzw. diese sich die Erwägungen der Ausgangsbehörde zu eigen ge-macht hätte. Zutreffend ist das SG daher davon ausgegangen, dass der Widerspruchsbescheid an einem zur Rechtswidrigkeit führenden Fehler leidet, was auch zur Rechtswidrigkeit des Aus-gangsbescheides führt.
Soweit die Beklagte im Berufungsverfahren geltend gemacht hat, die Klägerin habe weder im Anhörungsverfahren noch im Widerspruchsverfahren Tatsachen vorgebracht, die im Rahmen der Ermessensentscheidung hätten Berücksichtigung finden können, trifft zwar zu, dass die Klägerin sich der Sache nach jeweils ausschließlich zu dem materiellen Anspruch der geltend gemachten und bewilligten Witwenrente äußerte. Jedoch war die Beklagte hierdurch nicht davon entbunden, die im Falle der Rücknahme eines Verwaltungsaktes gesetzlich vorgeschriebene Ermessensentscheidung zu treffen. Insbesondere war die Beklagte durch das fehlende Vorbringen von Ermessensgesichtspunkten an der Ausübung von Ermessen auch nicht gehindert, wie die Ausführungen im Ausgangsbescheid vom 08.10.2008 hinreichend deutlich machen.
Soweit die Beklagte im Berufungsverfahren zur Stützung ihrer Rechtsauffassung die erwähnten Urteile des BSG vom 25.01.1994 und 26.09.1990 heranzieht, sind die jenen Verfahren zugrunde liegenden Sachverhalte mit dem vorliegenden nicht vergleichbar, so dass die Beklagte hieraus keine für sich günstigere Entscheidung herleiten kann. Denn jene Entscheidungen sind zu der Frage ergangen, unter welchen Voraussetzungen bei der Aufhebung von Verwaltungsakten ge-genüber Bösgläubigen überhaupt Ermessen auszuüben ist bzw. bis zu welchem Zeitpunkt bös-gläubig bereicherte Versicherte ermessensrelevante Tatsachen vorzubringen haben. Für die An-nahme, dass die Klägerin des vorliegenden Verfahrens bösgläubig gewesen wäre, sieht der Senat keinerlei Anhaltspunkte. Auch die Beklagte selbst ist zu keinem Zeitpunkt davon ausgegangen, dass der Klägerin die Rechtswidrigkeit der Rentenbewilligung bekannt war oder sie grob fahrläs-sig von deren Rechtmäßigkeit ausgegangen ist.
Die Berufung der Beklagten kann nach alledem keinen Erfolg haben und ist daher zurückzuwei-sen.
Der Senat hat - ausgehend von der Einschätzung der Beklagten, die an die Klägerin erfolgte Rentenbewilligung sei rechtswidrig - davon abgesehen, die Witwe und zweite Ehefrau des Versi-cherten zu dem Verfahren beizuladen. Denn in derartigen Fällen rechtswidriger Leistungsbewil-ligung ist eine Aufteilung der Witwenrente gemäß § 91 SGB VI ausgeschlossen (siehe hierzu Wehrhahn in KassKomm Sozialversicherungsrecht, § 91 SGB VI Rdnr 10; BSG, Urteil vom 15.10.1987, 1 RA 37/85). Die berechtigten Interessen der Witwe werden durch die Senatsent-scheidung daher nicht berührt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahren zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte berechtigt war, eine zu Unrecht erfolgte Rentenbewilligung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.
Die am 1941 geborene Klägerin ist die geschiedene Ehefrau des am 27.02.1930 geborenen und am 23.06.2008 verstorbenen W. S. (im Folgenden: Versicherter), der in zweiter Ehe wiederver-heiratet war. Am 25.08.2008 beantragte die Klägerin die Gewährung von Hinterbliebenenrente. Sie legte die anlässlich der Ehescheidung am 18.06.1975 geschlossenen Unterhaltsvereinbarung vor, verneinte aber eine Unterhaltszahlung während des letzten Jahres vor dem Tod des Versi-cherten und bejahte den Erhalt einer "Unterhaltsabfindung oder Unterhaltsvorauszahlung" in Höhe von 25.000,- DM ca. 1998. Als eigene Einkünfte gab sie Rentenzahlungen in Höhe von 600,- EUR (gesetzliche Rentenversicherung) und 580,- EUR (ZVK-Rente) an.
Mit Bescheid vom 08.10.2008 bewilligte die Beklagte der Klägerin große Witwenrente ab 01.09.2008 in Höhe von 399,27 EUR netto.
Auf die zuvor an die zweite Ehefrau des Versicherten gerichtete Mitteilung der Beklagten, die Klägerin habe Hinterbliebenenrente beantragt, äußerte diese nunmehr Zweifel an der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für eine Geschiedenenwitwenrente. Daraufhin nahm die Beklagte nach Anhörung der Klägerin mit Bescheid vom 07.11.2008 den Bescheid vom 08.10.2008 mit Wirkung für die Zukunft ab 01.12.2008 gemäß § 45 SGB X zurück. Die Klägerin habe zum Zeitpunkt des Todes des geschiedenen Ehepartners ein eigenes Einkommen von monatlich 1.180,- EUR gehabt, weshalb ihr Unterhalt bereits auf Grund dieser Einkünfte gedeckt gewesen sei. Die Rücknahme des Bescheids für die Zukunft sei zulässig, weil sie sich nicht auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheides berufen könne und auch die Fristen des § 45 Abs. 3 bzw. Abs. 4 SGB X nicht abgelaufen seien. Auch die vorzunehmende Ermessensausübung führe zu keinem anderen Ergebnis. Auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheides könne sie sich nicht berufen, weil an der Herstellung des rechtmäßigen Zustandes ein überwiegendes öffentli-ches Interesse bestehe und ihr Vertrauen in den Bestand des Bescheides nicht schutzwürdig sei. Auch im Wege des Ermessens werde die Bescheidrücknahme für gerechtfertigt erachtet, weil die nach Aktenlage erkennbaren wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse eine Rücknahme des Bescheids zuließen. Dies folge auch aus Gründen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Verpflichtung zur zweckentsprechenden Verwendung der Mittel. Hierdurch solle erreicht wer-den, dass keine Leistungen ohne ausreichende gesetzliche Grundlage erbracht werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.03.2009 wurde der Widerspruch unter Darlegung der An-spruchsvoraussetzungen des § 243 Abs. 6 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) und dem Hinweis zurückgewiesen, dass diese nicht erfüllt seien, weil die Klägerin im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten keinen Unterhalt bezogen habe. Weiter wurde ausgeführt "Der Bescheid für die Bewilligung der Witwenrente aus der Versicherung des geschiedenen Ehegatten vom 08.10.2008 wurde zu Recht nach § 45 SGB X zurückgenommen. Bei dieser Sach- und Rechtslage musste ihrem Widerspruch der Erfolg versagt bleiben."
Am 20.04.2009 hat die Klägerin dagegen beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben und neben einer materiellen Berechtigung auf die Rente und Vertrauensschutz auch geltend gemacht, der angefochtene Bescheid könne auch deshalb keinen Bestand haben, weil im Widerspruchsbe-scheid kein Ermessen ausgeübt worden sei. Die Ausführungen zeigten vielmehr einen klaren Fall von Ermessensausfall.
Mit Urteil vom 04.03.2010 hat das SG den Bescheid vom 07.11.2008 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 20.03.2009 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die ange-fochtenen Bescheide seien rechtswidrig, weil die Ausführungen im Widerspruchsbescheid nicht zu erkennen gäben, dass die Widerspruchsbehörde eigene Ermessenserwägungen angestellt hat. Nicht ausreichend sei, dass der Ausgangsbescheid Ermessenserwägungen enthalte, wenn diese von der Widerspruchsbehörde nicht übernommen würden.
Gegen das ihr am 06.04.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26.04.2010 Berufung einge-legt und geltend gemacht, die Klägerin habe weder im Anhörungsverfahren noch im Wider-spruchsverfahren Tatsachen vorgebracht, anhand derer sie Ermessenserwägungen hätte anstellen können. Es stelle sich damit die Frage, ob überhaupt Ermessen hätte ausgeübt werden müssen. In vergleichbaren Fällen werde dies von der Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 26.09.1990, 9b/7 RAr 30/89) verneint. Ähnliches habe das BSG in seinem Urteil vom 25.01.1994 (4 RA 16/92 in SozR3-1300 § 50 Nr. 16) entschieden. Danach habe derjenige, der einen Ermes-sensmangel rüge, rechtzeitig auch auf noch nicht aktenkundige Gesichtspunkte hinzuweisen, die es der Verwaltung ermöglichten, spätestens im Widerspruchsbescheid zu beurteilen, ob aus-nahmsweise Ermessen auszuüben sei. Vorliegend habe die Klägerin weder im Anhörungs- noch im Widerspruchsverfahren Ermessensgründe, die gegen die Rücknahme des rechtswidrigen Ren-tenbescheides für die Zukunft sprächen, vorgebracht. Vielmehr habe sie sich ausschließlich gegen die materielle Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides gewandt. Eine Ermessensent-scheidung sei daher nicht vorzunehmen gewesen. Gleichwohl habe sie sämtliche Erwägungen, die zu Gunsten der Klägerin sprachen und ihr bekannt gewesen seien, berücksichtigt und auch von einer Rückforderung für die Vergangenheit abgesehen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 04.03.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig und beruft sich auf die Entscheidung des BSG vom 18.04.2000 (B 2 U 19/99 R). Der Widerspruchsbescheid enthalte keinen Hinweis darauf, dass die Beklagte von dem ihr eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht habe. Im Übrigen hätte die Beklagte sich auch mit ihrer Gutgläubigkeit und Rechtstreue sowie der Frage auseinandersetzen müssen, ob eine sofortige Rücknahmeentscheidung verhältnismäßig sei, gerade auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Folgen der sofortigen Rücknahme.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darlegung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genom-men.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Beklagten, über die der Senat mit dem Einver-ständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig; die Berufung ist jedoch nicht begründet.
Das SG hat den Bescheid der Beklagten vom 07.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 20.03.2009, mit dem die Beklagte die der Klägerin mit Bescheid vom 08.10.2008 bewilligte große Witwenrente mit Wirkung für die Zukunft zurücknahm, zu Recht aufgehoben. Denn der Widerspruchsbescheid vom 20.03.2009 ist rechtswidrig, was auch zur Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheids führt.
Als Rechtsgrundlage für die Rücknahme des Bescheids vom 08.10.2008 kommt allein § 45 SGB X in Betracht. Nach dessen Abs. 1 darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen recht-lich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigter Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen des Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurück-genommen werden. Ein rechtswidriger Verwaltungsakt darf nach Abs. 2 der Regelung nicht zu-rückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begüns-tigte nicht berufen, soweit er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (Nr. 1), der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2), oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge Fahrlässigkeit nicht kannte, wobei grobe Fahrlässigkeit vorliegt, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorg-falt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
Auf dieser Grundlage hat das SG zutreffend ausgeführt, dass der Beklagten im Hinblick auf die Rücknahme der Rentenbewilligung vom 08.10.2008 ein Ermessensspielraum eröffnet war und die Begründung der Entscheidung die Gesichtspunkte erkennen lassen muss, von denen sie bei der Ausübung ihres Ermessens ausging. Zutreffend hat es im Hinblick auf § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG, wonach im Widerspruchsverfahren die Recht- und Zweckmäßigkeit des Verwaltungshan-delns zu überprüfen ist, auch dargelegt, dass die Widerspruchsbehörde nicht nur die Rechtmä-ßigkeit der getroffenen Entscheidung zu überprüfen hatte, sondern auch deren Zweckmäßigkeit, so dass sie selbst Ermessen auszuüben hatte, dieser Verpflichtung jedoch erkennbar nicht nach-kam. Das SG hat weiter zutreffend ausgeführt, dass die zu prüfende Verwaltungsentscheidung gemäß § 95 SGG ihre maßgebende Gestalt durch den Widerspruchsbescheid erhält und deshalb - wie der erkennende Senat bereits mit dem vom SG angeführten Beschluss vom 10.07.2007, L 10 U 2777/07 ER-B unter Darlegung entsprechender höchstrichterlicher Rechtsprechung entschie-den hat - eine Entscheidung ohne Ermessensausübung vorliegt, wenn zwar der Ausgangsbe-scheid Ermessenerwägungen enthält, nicht aber (auch nicht in Form einer Übernahme der ent-sprechenden Ausführungen etwa durch Bezugnahme) der Widerspruchsbescheid. Der Senat schließt sich den entsprechenden Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung an und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die entspre-chenden Darlegungen.
Der Senat teilt insbesondere die Einschätzung des SG, wonach die Widerspruchsstelle eigenes Ermessen nicht aus übte. Denn die sich an die Darlegungen zu den Anspruchsvoraussetzungen der von der Klägerin begehrten Rente anschließende Formulierung ("Der Bescheid für die Be-willigung der Witwenrente aus der Versicherung des geschiedenen Ehegatten vom 08.10.2008 wurde zu Recht nach § 45 SGB X zurückgenommen. Bei dieser Sach- und Rechtslage musste ihrem Widerspruch der Erfolg versagt bleiben.") enthält keine Hinweise darauf, dass die Wider-spruchsstelle Ermessensgesichtspunkte berücksichtigte. Die Ausführungen legen vielmehr sogar nahe, dass sie sich ihrer Pflicht zur Ausübung von Ermessen nicht einmal bewusst war, zumal sie auch nicht auf die Ermessenserwägungen der Ausgangsbehörde einging ist, indem sie sich diese etwa zu eigen gemacht oder auf sie Bezug genommen hätte. Auch die Beklagte selbst hat nicht behauptet, dass dem Widerspruchsbescheid Ermessenserwägungen der Widerspruchsstelle ent-nommen werden könnten bzw. diese sich die Erwägungen der Ausgangsbehörde zu eigen ge-macht hätte. Zutreffend ist das SG daher davon ausgegangen, dass der Widerspruchsbescheid an einem zur Rechtswidrigkeit führenden Fehler leidet, was auch zur Rechtswidrigkeit des Aus-gangsbescheides führt.
Soweit die Beklagte im Berufungsverfahren geltend gemacht hat, die Klägerin habe weder im Anhörungsverfahren noch im Widerspruchsverfahren Tatsachen vorgebracht, die im Rahmen der Ermessensentscheidung hätten Berücksichtigung finden können, trifft zwar zu, dass die Klägerin sich der Sache nach jeweils ausschließlich zu dem materiellen Anspruch der geltend gemachten und bewilligten Witwenrente äußerte. Jedoch war die Beklagte hierdurch nicht davon entbunden, die im Falle der Rücknahme eines Verwaltungsaktes gesetzlich vorgeschriebene Ermessensentscheidung zu treffen. Insbesondere war die Beklagte durch das fehlende Vorbringen von Ermessensgesichtspunkten an der Ausübung von Ermessen auch nicht gehindert, wie die Ausführungen im Ausgangsbescheid vom 08.10.2008 hinreichend deutlich machen.
Soweit die Beklagte im Berufungsverfahren zur Stützung ihrer Rechtsauffassung die erwähnten Urteile des BSG vom 25.01.1994 und 26.09.1990 heranzieht, sind die jenen Verfahren zugrunde liegenden Sachverhalte mit dem vorliegenden nicht vergleichbar, so dass die Beklagte hieraus keine für sich günstigere Entscheidung herleiten kann. Denn jene Entscheidungen sind zu der Frage ergangen, unter welchen Voraussetzungen bei der Aufhebung von Verwaltungsakten ge-genüber Bösgläubigen überhaupt Ermessen auszuüben ist bzw. bis zu welchem Zeitpunkt bös-gläubig bereicherte Versicherte ermessensrelevante Tatsachen vorzubringen haben. Für die An-nahme, dass die Klägerin des vorliegenden Verfahrens bösgläubig gewesen wäre, sieht der Senat keinerlei Anhaltspunkte. Auch die Beklagte selbst ist zu keinem Zeitpunkt davon ausgegangen, dass der Klägerin die Rechtswidrigkeit der Rentenbewilligung bekannt war oder sie grob fahrläs-sig von deren Rechtmäßigkeit ausgegangen ist.
Die Berufung der Beklagten kann nach alledem keinen Erfolg haben und ist daher zurückzuwei-sen.
Der Senat hat - ausgehend von der Einschätzung der Beklagten, die an die Klägerin erfolgte Rentenbewilligung sei rechtswidrig - davon abgesehen, die Witwe und zweite Ehefrau des Versi-cherten zu dem Verfahren beizuladen. Denn in derartigen Fällen rechtswidriger Leistungsbewil-ligung ist eine Aufteilung der Witwenrente gemäß § 91 SGB VI ausgeschlossen (siehe hierzu Wehrhahn in KassKomm Sozialversicherungsrecht, § 91 SGB VI Rdnr 10; BSG, Urteil vom 15.10.1987, 1 RA 37/85). Die berechtigten Interessen der Witwe werden durch die Senatsent-scheidung daher nicht berührt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
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