L 4 KR 2022/11 WA

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 2022/11 WA
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Wiederaufnahmeklage der Klägerin gegen das Urteil des Senats vom 24. März 2006 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt im Wege der erneuten Wiederaufnahmeklage (Nichtigkeitsklage) gegen das Senatsurteil vom 24. März 2006 - L 4 KR 2667/03 - die Übernahme weiterer Kosten ambulanter und stationärer Behandlungen in Griechenland sowie der damit verbundenen Transportkosten.

Der am 1938 geborene, am 1999 verstorbene Ehemann der Klägerin S. T. (T.) war griechischer Staatsangehöriger, in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaft und als Beschäftigter versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten. Er war ab 06. November 1997 arbeitsunfähig und bezog nach Ende der Entgeltfortzahlung ab 18. Dezember 1997 von der Beklagten Krankengeld. Während eines Aufenthalts in Griechenland ab 08. Juli 1998 wurde ein Gehirntumor festgestellt, der vom 14. bis 17. Juli 1998 stationär im Vertragskrankenhaus "E." in Athen behandelt wurde. Laut Aktenvermerk vom 13. Juli 1998 wurde bei der Mitarbeiterin N. der Beklagten durch einen sich als Arbeitgeber des T. ausgebenden Bekannten die Ausstellung eines Auslandskrankenscheins beantragt; hierzu kam es jedoch nach Aktenlage nicht. Für eine am 24. Juli 1998 durchgeführte ambulante privatärztliche Untersuchung (Magnetographische Hirntomographie) in Griechenland entstanden Kosten von EUR 360,00.

T. flog anschließend zusammen mit der Klägerin nach Großbritannien, um sich am 05. August 1998 im K. C. Hospital in London untersuchen zu lassen. Auf die Erstattung dieser Kosten verzichtete die Klägerin (Schriftsatz vom 31. Januar 2006 im Berufungsverfahren L 4 KR 2667/03).

Nach Rückkehr an den Wohnort in R. wurde T. am 09. August 1998 in der Neurochirurgischen Abteilung der Universitätsklinik Tübingen aufgenommen, wo am 11. August 1998 eine Teilresektion des Glioblastoms stattfand. Am 11. September 1998 erfolgte ohne Rücksprache mit der Klägerin eine Verlegung in die Neurologische Abteilung Sindelfingen. Dort wurde T. nicht aufgenommen, sondern in die Intensivstation des Kreiskrankenhauses Leonberg verbracht, wo er bis 17. September 1998 verblieb.

Die Familie des T. war mit der Behandlung in Leonberg unzufrieden und erachtete ohne entsprechende ärztliche Empfehlungen eine weitere Behandlung des auch diagnostizierten Lyell-Syndroms (Epidermolysis acuta toxika, Syndrom der verbrühten Haut) in Griechenland aussichtsreicher. Die Familie verhandelte deshalb u.a. mit den Mitarbeiterinnen der Beklagten G. (14. September 1998) und P., die am 16. September 1998 die "Bescheinigung über die Weitergewährung der Leistungen der Kranken-/Mutterschaftsversicherung" der Europäischen Gemeinschaften (E 112) ausstellte; unter 3.2 des Formulars war Behandlung bei "vertraglich zugelassenen Krankenhäusern" für die Zeit vom 17. September bis 15. Oktober 1998 angegeben. Handschriftlich war die Klinik "Athens Medical" (MC) vermerkt, ohne dass die Herkunft dieses Vermerks geklärt werden konnte. In anderer Handschrift war unter 1.4 die voraussichtliche Adresse in Athen vermerkt. Mit wiederum anderer Handschrift ist zusätzlich vermerkt "LT. FR. Tsi. zugl. Klinik". Frau Tsi. war eine Mitarbeiterin der Beklagten in der Zweigstelle Leonberg. Die MC war allerdings eine Privatklinik. Die am 08. Oktober 1998 von der Mitarbeiterin G. ausgestellte Folgebescheinigung E 112 für die Zeit vom 16. Oktober bis 15. November 1998 enthielt ebenfalls die zitierten Vermerke und den Namen der MC, während die weiteren Folgebescheinigungen vom 18. Dezember 1998 für die Zeit vom 16. November 1998 bis 10. Januar 1999 und vom 21. Januar 1999 für die Zeit vom 11. Januar bis 10. März 1999 unter 3.2 nur noch den maschinenschriftlichen Zusatz enthielten "vertraglich zugelassene Krankenhäuser". Die Übernahme der Flugtransportkosten wurde von den Mitarbeiterinnen der Beklagten nicht zugesagt, demgegenüber habe die Klägerin am 16. September 1998 geäußert, sie trage die Kosten des für 17. September 1998 vorgesehenen Fluges der Deutschen Rettungsflugwacht mit einem Begleitarzt selbst.

T. wurde am 17. September 1998 "in komatösem Zustand" in Begleitung der Klägerin und eines Arztes in einem Spezialflugzeug nach Griechenland geflogen; es wurden DM 19.100,00 berechnet und bezahlt. T. wurde nicht in der MC, sondern im H.-Krankenhaus (HK) stationär behandelt. Hiervon erfuhr die Beklagte durch eine am 16. Oktober 1998 ausgestellte, bei der Beklagten am 02. November 1998 übersetzte Bescheinigung des HK. Nach weiterer undatierter Bescheinigung wurde T. vom 17. September bis 06. November 1998 mit jeweils beglichenen Kosten von EUR 19.922,77, vom 16. November bis 11. Dezember 1998 von EUR 8.026,72 und vom 22. Februar bis 06. April 1999 mit Kosten von EUR 12.411,30 stationär behandelt. Auch dieses Krankenhaus steht wie die MC für die gegebenen Indikationen in keinem Vertragsverhältnis zu den Sozialversicherungsträgern. Nach den Bescheinigungen der Fachärztin für Strahlentherapie Dr. Ka. vom HK vom 06. November 1998 und 25. Februar 1999 wurde T. vom 05. Oktober bis 06. November 1998 postoperativ und ab 19. Februar 1999 mit Strahlentherapie behandelt. Diese Behandlung wurde privat abgerechnet. Eine weitere Behandlung erfolgte zeitweise im Allgemeinen Bezirkskrankenhaus A. "KAT", einem Vertragskrankenhaus; diese Kosten wurden über den zuständigen griechischen Krankenversicherungsträger IKA abgerechnet.

Die für die Behandlungen und Transporte seit 05. August 1998 entstandenen Kosten und die zuletzt mit EUR 6.800,00 bezifferten Unterbringungs- und Aufenthaltskosten vom 17. September 1998 bis 06. April 1999 in Athen von insgesamt etwa DM 100.000,00, nach anderen Angaben mit EUR 80.000,00 beziffert, machte die Klägerin als Rechtsnachfolgerin des T. mit Schreiben vom 28. Mai 1999 bei der Beklagten geltend. Diese holte mit dem Formular der Europäischen Gemeinschaften "Erstattungssätze für Sachleistungen" (E 126) Auskünfte bei der IKA Athen ein. Diese teilte nach mehreren Mahnungen mit Schreiben vom 22. November 1999 mit, dass für die Behandlungen Drachmen 1.511.938.000, umgerechnet DM 8.931,95 (= EUR 4.566,83) erstattet werden könnten.

Gestützt hierauf sagte die Beklagte mit Bescheid vom 10. Mai 2000 die Erstattung dieses Betrages zu, der wegen einer Pfändung zur Hälfte an das Finanzamt Leonberg und zur anderen Hälfte an die Klägerin bezahlt wurde. Eine weitergehende Erstattung, auch der Transportkosten, wurde abgelehnt, da die Behandlung in Griechenland und der damit verbundene Transport medizinisch nicht notwendig gewesen seien sowie deren Übernahme nicht in Aussicht gestellt worden sei.

Mit dem Widerspruch hiergegen machte die Klägerin geltend, dass nach Zustimmung zu einer stationären Behandlung in Griechenland Leistungen zu dem dort geltenden Tarif in Anspruch genommen werden könnten. Die einschränkende Auslegung verstoße gegen die in Art. 49 und 50 des Vertrages über die Europäische Gemeinschaft (EG-Vertrag) normierte Dienstleistungsfreiheit. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten erließ den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 27. Dezember 2000 mit der Begründung, nach den einschlägigen Regelungen der EG-Verordnungen Nr. 1408/71 Art. 22 und Nr. 574/72 Art. 22 und 34 könne jeder in Deutschland Versicherte bei Aufenthalt in jedem Staat der Europäischen Union (EU) notwendige Leistungen im Rahmen des Rechts des Aufenthaltsortes beanspruchen, wobei die Ansprüche durch Vorlage des Vordruckes E 111 oder bei vorheriger Zustimmung des zuständigen Trägers mit Vordruck E 112 nachgewiesen werden müssten. Die notwendigen Leistungen rechne der ausländische Leistungserbringer mit seinem nationalen Träger ab. Ein Anspruch auf Erstattung von Kosten nach den Sätzen des aushelfenden Trägers (Art. 34 Abs. 1 Verordnung Nr. 574/72) komme nur bei Nichtzustandekommen der vorgesehenen Sachleistungsaushilfe in Betracht. Eine Erstattung nach Inlandssätzen sei nur möglich, wenn der Betrag 500 ECU (jetzt EUR 1.000,00) nicht übersteige. Da die Verlegung nach Griechenland am 17. September 1998 aus privaten und nicht aus medizinischen Gründen erfolgt sei, komme eine Übernahme der Flugkosten nicht in Betracht.

Im Klageverfahren beim Sozialgericht Stuttgart (SG; S 4 KR 480/01) verwies die Klägerin auf Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) und des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) und machte weiter geltend, die Beklagte habe sie weder auf die Abrechnungspraxis noch auf das Kostenrisiko hingewiesen. Die Formulierung im Vordruck E 112 ("vertraglich zugelassenen Krankenhäusern") sei nicht ausreichend. Anlass zur Beratung habe auch wegen der zu erwartenden hohen Kosten bestanden.

Die Beklagte trat der Klage entgegen und verwies darauf, eine schriftliche Zusicherung sei nicht gegeben worden. Die Klägerin sei auch richtig aufgeklärt und beraten worden. Mit dem Vermerk "vertraglich zugelassenen Krankenhäusern" und der Bezeichnung eines solchen Krankenhauses habe dokumentiert werden sollen, dass sie nur Kosten im Rahmen des EG-Rechts und nur für im griechischen Krankenversicherungssystem stehende Krankenhäuser übernehmen wolle.

Das SG wies die Klage durch Urteil vom 22. Mai 2003 ab. Zur Begründung legte es dar, eine Zusicherung sei nicht erfolgt. Die Behandlung in Griechenland sei nicht aus medizinischen, sondern aus familiären Gründen erfolgt. Aus europarechtlichen Vorschriften sowie aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ergebe sich kein Anspruch. Da es in Griechenland nicht zu einer Gewährung von Sachleistungen gekommen sei, weil T. sich in einer Privatklinik habe behandeln lassen, seien - wie dies durch die Beklagte erfolgt sei - die entstandenen Kosten nach den für den Träger des Aufenthaltsstaates (hier Griechenland) maßgebenden Sätzen zu erstatten.

Hiergegen erhob die Klägerin, vertreten durch den Rechtsanwalt, der bereits die Klage erhoben und dem SG eine von der Klägerin unterzeichnete Prozessvollmacht vorgelegt hatte, zum Landessozialgericht (LSG) Berufung (L 4 KR 2667/03). Sie verblieb dabei, volle Kostenerstattung stehe ihr nach der Rechtsprechung des EuGH unter dem Gesichtspunkt der Dienstleistungsfreiheit zu. Im Übrigen habe die Beklagte Beratungsfehler zu verantworten.

Der Senat holte Auskünfte der IKA vom 09. August 2005 und vom 30. Oktober 2005 ein. In der mündlichen Verhandlung des LSG vom 27. Januar 2006, zu der die Klägerin selbst und ihr Sohn erschienen waren, nicht aber der bevollmächtigte Rechtsanwalt der Klägerin, der am Morgen des Verhandlungstages mitgeteilt hatte, aus gesundheitlichen Gründen an der Teilnahme am Termin verhindert zu sein, schlossen die Klägerin und die Beklagte nach eingehender Erörterung der Sach- und Rechtslage einen widerruflichen Vergleich, welchen die Klägerin innerhalb der eingeräumten Frist mit dem von ihr und ihrem Sohn unterzeichneten Schriftsatz vom 31. Januar 2006 widerrief. Mit Schriftsatz vom 06. Februar 2006 teilte sie auch mit, dass wegen Erkrankung des Rechtsanwalts nunmehr ihr Sohn sie vertreten werde. Die Klägerin trug mit allein von ihr unterzeichneten Schriftsätzen vom 31. Januar, 06. und 13. Februar 2006 weiter zur Sache vor.

Durch Urteil vom 24. März 2006 wies der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung die Berufung zurück. Es sei dabei zu verbleiben, dass die Inanspruchnahme griechischer Krankenhäuser nur private und nicht medizinische Gründe gehabt habe. Letztere seien von niemand erwähnt worden. Die Beklagte sei dem Wunsch der Familie ohne rechtliche Verpflichtung durch die wiederholte Ausstellung des Formulars E 112 nachgekommen, Ein Beratungsfehler wegen unzureichender Erläuterung des Formulars E 112 seitens der Beklagten liege in diesem Zusammenhang nicht vor. Der von der Klägerin gesehene Beratungsbedarf habe auch deshalb nicht bestanden, weil die Klägerin und ihre Familie zumindest wegen der stationären Behandlung des T. Mitte Juli 1998 im Krankenhaus "E." in Athen hinreichende Informationen über die notwendige Vorgehensweise hätten haben müssen. Weiter sei T. während des Zeitraums von September 1998 bis April 1999 auch in dem Vertragskrankenhaus A. "KAT" in Athen stationär behandelt worden. Die Beklagte habe (zu Recht) der Erstattung der stationären Kosten allein die Sätze, die an ein Vertragskrankenhaus in Griechenland erstattet würden, zugrunde gelegt. Da im vorliegenden Fall die Genehmigung erteilt worden sei, habe schon keine Notwendigkeit bestanden, sich die Behandlung außerhalb des Sachleistungsanspruches gegen den zuständigen Träger des Aufenthaltsstaates (Griechenland) auf eigene Kosten zu beschaffen. Aus der Dienstleistungsfreiheit bzw. der Freizügigkeit der Sozialversicherten könne kein allgemeiner Anspruch auf Erstattung der Kosten einer Privatbehandlung im EU-Ausland hergeleitet werden.

Dieses Urteil wurde dem Rechtsanwalt, der die Berufung eingelegt hatte, am 10. Mai 2006 zugestellt. Auf eine Eingabe des Sohnes der Klägerin vom 12. Juni 2006, ein Urteil sei nicht zugestellt worden, erwiderte der damalige Senatsvorsitzende mit Schreiben vom 13. Juni 2006, das Urteil sei dem Rechtsanwalt, der die Berufung eingelegt habe, am 10. Mai 2006 zugestellt worden, nachdem dieser das Mandat nicht niedergelegt habe und das Mandat ihm auch nicht entzogen worden sei. Einen Antrag der Klägerin auf Berichtigung des Urteils und auf Ergänzung lehnte der Senat durch Beschluss vom 10. August 2006 ab. Dieser Beschluss wurde dem Sohn der Klägerin am 17. August 2006 durch Niederlegung in den Briefkasten zugestellt. Die von einer anderen Rechtsanwältin vertretene Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil verwarf das Bundessozialgericht (BSG) durch Beschluss vom 18. September 2006 - B 1 KR 75/06 B - als unzulässig, da die Begründung nicht den Anforderungen an die Darlegung der Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und der Divergenz entspreche.

Mit Schriftsatz vom 18. März 2010 stellte die Klägerin einen ersten Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens (L 4 KR 1352/10 WA). In der mündlichen Verhandlung vom 15. April 2011 erschien die Klägerin in Begleitung ihres Sohnes und erklärte, sie bevollmächtige diesen zu ihrer Vertretung. Der Senat verwarf aufgrund dieser mündlichen Verhandlung die Wiederaufnahmeklage mit Urteil vom 15. April 2011 als unzulässig, weil keine der Voraussetzungen für eine Nichtigkeitsklage oder Restitutionsklage gegeben sei. Insbesondere der sinngemäß geltend gemachte Restitutionsgrund des § 580 Nr. 7 Buchstabe b Zivilprozessordnung (ZPO) komme nicht in Betracht. Die Restitutionsklage sei nicht zulässig lediglich zu dem Zweck, aufgrund einer nachträglich aufgefundenen Urkunde neue Gesichtspunkte zu einer im Vorprozess bereits umstrittenen Behauptung beizutragen oder um die Urkunde anstelle eines anderen, keinen Restitutionsgrund bildenden Beweismittels oder neben dieses in den Prozess einzuführen. Auch habe die Klägerin keine Urkunde im Sinne des § 580 Nr. 7 Buchstabe b ZPO vorgelegt. Das Urteil wurde dem Sohn der Klägerin durch Niederlegung in den Briefkasten am 21. April 2011 zugestellt. Rechtsmittel wurden nicht eingelegt.

Am 16. Mai 2011 hat die Klägerin "Nichtigkeitsklage" gegen "die Prozesshandlungen in der mündlichen Verhandlung vom 27. Januar 2006, das Urteil des LSG vom 24. März 2006 und den Beschluss vom 10. August 2006" erhoben. Sie sei nicht vorschriftsgemäß vertreten gewesen (§ 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO). Ihr Sohn sei in der mündlichen Verhandlung am 27. Januar 2006 aufgrund seines seelischen Zustandes nicht in der Lage gewesen, wirksame Prozesshandlungen vorzunehmen. Wegen der Ereignisse anlässlich dieser mündlichen Verhandlung habe er, auch drei Tage danach, nicht klar denken können, was er auch in der mündlichen Verhandlung am 15. April 2011 vorgebracht habe. Es sei im Zusammenhang mit dem gesamten Prozess auch von einer partiellen Geschäftsunfähigkeit auszugehen, so dass auch seine Prozesshandlungen und Anträge, die zum Beschluss des LSG vom 10. August 2006 geführt hätten, unwirksam seien. Ihr Sohn habe mehrmals Angriffe und Überfälle auf sie (die Klägerin), T. und seine (des Sohnes) Schwester sowie Schlägereien in den von ihr und T. betriebenen Gaststätten erlebt. Wegen einer gegen sie (die Klägerin) am 15. Juli 2003 begangenen Straftat (mehrere Schläge mit einer Pistole auf den Kopf und ein gegen sie gerichtetes Fleischermesser) habe sie sich in psychiatrische Behandlung begeben müssen. Auch habe sich ihr Sohn wegen dieser Straftat schlecht gefühlt. Er habe im Herbst 2003 einen Bandscheibenvorfall erlitten, und im Januar 2004 sei eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert worden. Die Klägerin hat ärztliche Berichte vorgelegt.

Die Klägerin beantragt (sachgerecht gefasst),

das Berufungsverfahren L 4 KR 2667/03 wieder aufzunehmen und das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 22. Mai 2003 aufzuheben sowie die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 10. Mai 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Dezember 2000 zu verurteilen, ihr die Kosten der am 24. Juli 1998 durchgeführten ambulanten Behandlung und der stationären Behandlungen ihres Ehemannes in Griechenland ab 17. September 1998 in vollem Umfang, die Transportkosten von EUR 9.820,00 nebst 4 v.H. Zinsen nach Maßgabe des § 44 SGB I zu erstatten, hilfsweise die deutschen Krankenhaussätze, höchst hilfsweise die griechischen Krankenhaussätze zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Wiederaufnahmeklage als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise die Berufung zurückzuweisen.

Sie entgegnet, die Voraussetzungen für eine Nichtigkeitsklage lägen nicht vor.

Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Gerichtsakten dieses und der früheren Verfahren Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in Abwesenheit der Klägerin verhandeln und entscheiden, weil diese mit der ihr ordnungsgemäß zugestellten Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 153 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 110 Abs. 1, 126 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die von der Klägerin erhobene Wiederaufnahmeklage ist unzulässig.

Nach § 179 Abs. 1 SGG kann ein rechtskräftig beendetes Verfahren entsprechend den Vorschriften des Vierten Buches der ZPO wieder aufgenommen werden. Nach § 578 Abs. 1 ZPO kann die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Endurteil geschlossenen Verfahrens durch Nichtigkeitsklage und durch Restitutionsklage erfolgen. Nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO findet die Nichtigkeitsklage statt, wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat. § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bezweckt den Schutz der Parteien, die ihre Angelegenheiten im Prozess nicht verantwortlich regeln konnten oder denen die Handlungen vollmachtloser Vertreter nicht zugerechnet werden dürfen (Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 05. Mai 1982 - IVb ZR 707/80 - BGHZ 84, 24). Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen hinsichtlich des Berufungsverfahrens L 4 KR 2667/03 nicht vor. Denn Beteiligte und damit Partei des Berufungsverfahrens L 4 KR 2667/03 war die Klägerin. Die Klägerin war prozessfähig (§ 71 Abs. 1 SGG). Für das Gegenteil fehlen jegliche Anhaltspunkte. Die Klägerin macht auch nicht geltend, prozessunfähig gewesen zu sein. Eine Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten im Berufungsverfahren L 4 KR 2667/03 war nicht vorgesehen. Vielmehr konnte die prozessfähige Klägerin das Berufungsverfahren L 4 KR 2667/03 selbst führen. Auch die nach der mündlichen Verhandlung vom 27. Januar 2006 eingereichten weiteren Schriftsätze vom 31. Januar, 06. und 13. Februar 2006 hat allein sie unterschrieben.

Zudem war die Klägerin im gesamten Berufungsverfahren L 4 KR 2667/03 durch von ihr selbst gewählte Prozessbevollmächtigte vertreten, zunächst durch einen von ihr bereits im Verfahren vor dem SG bestellten bevollmächtigten Rechtsanwalt, später von ihrem Sohn. Die Nichtigkeitsklage nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO erfasst zwar auch das Auftreten von Prozessvertretern, die hierfür von vornherein keine Vollmacht hatten (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 29. Oktober 1997 - 2 BvR 1390/95 - NJW 1998, 745; Bundesfinanzhof [BFH], Beschluss vom 29. August 2008 - III B 63/07 - in juris). Die Bevollmächtigten der Klägerin im Berufungsverfahren L 4 KR 2667/03 waren aber keine vollmachtlosen Vertreter. Denn die Klägerin hatte sowohl dem von ihr zunächst bevollmächtigten Rechtsanwalt als auch ihrem Sohn Prozessvollmacht erteilt. Bezüglich ihres Sohnes hatte sie im Schreiben vom 06. Februar 2006 ausdrücklich erklärt, er habe die allumfassende Vollmacht in all ihren sozialgerichtlichen Angelegenheiten (Bl. 245 der LSG-Akte L 4 KR 2667/03). Im Übrigen konnte nach § 73 Abs. 2 Satz 2 SGG in der bis 30. Juni 2008 geltenden und mithin im Berufungsverfahren L 4 KR 2667/03 noch anwendbaren Fassung (seit 01. Januar 2012: § 73 Abs. 6 Satz 2 SGG) bei Verwandten in gerader Linie die Bevollmächtigung unterstellt werden.

Es kann offenbleiben, ob durch die Bevollmächtigung ihres Sohnes zugleich die Bevollmächtigung des bestellten Rechtsanwalts endete. Ausdrücklich wurde dies zu keinem Zeitpunkt erklärt. Selbst wenn man davon ausginge, war die Klägerin auch ordnungsgemäß vertreten, nachdem sie ihren Sohn bevollmächtigt hatte. Da im Berufungsverfahren L 4 KR 2667/03 eine Vertretung durch Bevollmächtigte nicht vorgeschrieben war, konnte die prozessfähige Klägerin den Prozess selbst führen. Ob der von der Klägerin bevollmächtigte Sohn geschäftsfähig war oder nicht, hat keine Auswirkungen auf die ordnungsgemäße Vertretung der Klägerin. Der oben genannte Zweck des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO, Parteien zu schützen, die ihre Angelegenheiten nur mit Hilfe eines Dritten regeln können, rechtfertigt es nicht, § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO auch anzuwenden, wenn der gewillkürte Prozessbevollmächtigte wegen Geschäftsunfähigkeit wirksame Prozesserklärungen nicht hat abgeben können und damit diesen Sachverhalt der fehlenden gesetzlichen Vertretung gleichzustellen. Auch wenn der Prozessvertreter nicht postulationsfähig ist, bewirkt dies nicht, dass die betroffene Partei nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war. Die Partei hat dann lediglich die für die betreffende Prozesshandlung vorgeschriebene Form verfehlt. Der genannte Zweck des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO rechtfertigt es nicht, das Fehlen der Postulationsfähigkeit des Prozessvertreters der fehlenden gesetzlichen Vertretung gleichzustellen (vgl. Bundesarbeitsgericht [BAG], Beschluss vom 18. Oktober 1990 - 8 AS 1/90 - BAGE 66, 140).

Dass weitere Voraussetzungen für eine Nichtigkeitsklage oder Restitutionsklage vorliegen ist nicht ersichtlich. Insoweit verweist der Senat auf das Urteil vom 15. April 2011 (L 4 KR 1352/10 WA). Solche werden von der Klägerin auch nicht behauptet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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