L 4 P 3684/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 18 P 2910/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 3684/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 31. Mai 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin ab 1. Oktober 2007 Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe III hat.

Die 1916 geborene Klägerin ist Mitglied der Beklagten. Sie erlitt im August 2001 eine Schenkelhalsfraktur links und wurde mit einer Duokopfprothese versorgt sowie im Februar 2002 eine subprothetische Femurfraktur. Aufgrund des Antrags der Klägerin vom 4. März 2002 lehnte die Beklagte es ab, Pflegegeld nach der Pflegestufe I zu bewilligen, weil die Pflege nicht in ausreichendem Maße sichergestellt werde, bewilligte aber Pflegesachleistungen nach der Pflegestufe I (Bescheid vom 20. Juli 2002). Dem zugrunde lag das Gutachten (Name des Gutachters/Gutachterin unleserlich) des Sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten (SMD) vom 13. April 2002, welches den täglichen Zeitaufwand für die Verrichtungen der Grundpflege auf 47 Minuten und für die hauswirtschaftliche Versorgung auf 45 Minuten schätzte sowie zur Sicherstellung der häuslichen Pflege die Inanspruchnahme eines Pflegedienstes zweimal wöchentlich für erforderlich hielt. Die Klägerin erhob Widerspruch. Auf Veranlassung der Beklagten erstattete Chirurg Dr. K., SMD, das Gutachten vom 28. Oktober 2002 und schätzte für die Verrichtungen der Grundpflege einen Zeitaufwand von 34 Minuten täglich. Offensichtlich habe sich die Mobilität der Klägerin verbessert. Dem Widerspruch half die Beklagte ab und bewilligte ab 1. März 2002 Pflegegeld nach Pflegestufe I (Bescheid vom 13. Januar 2003). Zugleich hörte sie die Klägerin zur Aufhebung der Bewilligung wegen einer nach der Erstbegutachtung eingetretenen erheblichen Besserung an. Nachdem die Klägerin Einwände erhoben hatte, veranlasste die Beklagte das weitere Gutachten (Name des Gutachters/Gutachterin unleserlich) des SMD vom 12. Februar 2003, das den täglichen Zeitaufwand für die Verrichtungen der Grundpflege auf 46 Minuten (Körperpflege 25 Minuten, Ernährung vier Minuten, Mobilität 17 Minuten) sowie für die hauswirtschaftliche Versorgung auf 45 Minuten schätzte. Die Klägerin habe sich von den Folgen der Oberschenkelbrüche gut erholt. Sie könne sich alleine erheben und mit dem Gehstock in der Wohnung gehen. Die Altersgebrechlichkeit schreite fort. Die Beklagte zahlte daraufhin weiter Pflegegeld nach der Pflegestufe I (Bescheid vom 28. März 2003).

Vom 18. bis 22. Oktober 2007 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung wegen einer cerebralen Ischämie bei Hemiparese links. Die Aufnahme erfolgte wegen einer akut aufgetretenen Schwäche im linken Arm und Bein. Die neurologische Symptomatik war im Verlauf des Aufenthalts leicht regredient, eine Kraftminderung der linken Seite war bei Entlassung weiterhin vorhanden (Bericht des Privatdozent Dr. W. vom 22. Oktober 2007). Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 19. Oktober 2007 höheres Pflegegeld, weil sich ihr Gesundheitszustand wegen einer plötzlichen vollständigen Gehunfähigkeit, einer Lähmung des linken Armes und eines Verdachts auf einen Schlaganfall erheblich verschlechtert habe. Auf Veranlassung der Beklagten erstattete Dr. U., SMD, das Gutachten vom 3. Dezember 2007. Er nannte als pflegebegründende Diagnosen eine fortschreitende Demenz, eine Altersschwäche mit Gang- und Standunmöglichkeit sowie eine Harninkontinenz und schätzte den Zeitaufwand für die Verrichtungen der Grundpflege auf 131 Minuten täglich (Körperpflege 66 Minuten, Ernährung 36 Minuten, Mobilität 29 Minuten). Laufen, Erheben, Treppensteigen, Bücken, Schürzen-, Nacken- und Pinzettengriff sowie Faustschluss seien nicht mehr möglich, Stehen nur kurze Zeit mit Hilfe. Sitz- und Rumpfstabilität seien erhalten. Es bestehe eine Kraftlosigkeit in beiden Armen und Händen. Es sei nur noch eine verlangsamte Kommunikation möglich. Die Klägerin müsse auch nachts gewindelt werden und benötige oft Aufforderung oder Hilfe bei der Nahrungs- und Getränkeaufnahme. Der Zustand habe sich seit der letzten Begutachtung (am 12. Februar 2003) sowohl körperlich als auch geistig deutlich verschlechtert. Die Beklagte hob ihren Bescheid vom "13. Januar 2003" ab 1. Oktober 2007 auf und bewilligte ab diesem Zeitpunkt der Klägerin Pflegegeld nach der Pflegestufe II (Bescheid vom 21. Januar 2008). Mit weiterem Bescheid vom 21. Januar 2008 bewilligte die Beklagte zusätzliche Betreuungsleistungen bei häuslicher Pflege nach § 45b Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI).

Die Klägerin erhob Widerspruch. Der Zeitaufwand für die Pflege sei wesentlich höher und betrage zwischen 258 und 295 Minuten täglich. Unberücksichtigt geblieben sei die notwendige Betreuung in der Nacht. In dem daraufhin von der Beklagten veranlassten Gutachten vom 28. April 2008 nannte Ärztin Dr. S.-R., SMD, als pflegebegründende Diagnosen eine Altersschwäche mit Geh- und Standunfähigkeit, eine Apoplexie, eine Demenz sowie eine Harninkontinenz und schätzte den Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege auf 199 Minuten (Körperpflege 83 Minuten, Ernährung 72 Minuten, Mobilität 44 Minuten). Es bestehe Geh- und Stehunfähigkeit. Am späten Abend und am frühen Morgen erfolge jeweils eine Lagerungsmaßnahme. Morgens und abends werde ein WC-Stuhl auch für den Stuhlgang benutzt. Nachts trage die Klägerin eine Windel, tagsüber Einlagen. Bei der Nahrungsaufnahme benötige die Klägerin Unterstützung, teilweise Übernahme. Es müssten Getränke eingeschenkt, Brote kleingeschnitten und der Rollstuhl geschoben werden. Die Transfermaßnahmen, auch aus und in den Rollstuhl und Toilettenstuhl, seien ohne Hilfsmittel und mit einer Pflegeperson möglich. Es bestehe keinerlei Pflegeabwehr. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 2008). Er verwies zur Begründung auf die Gutachten des Dr. U. und der Dr. S.-R ...

Die Klägerin erhob am 10. Juni 2008 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG). Wegen der erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen, die im Gutachten der Dr. S.-R. nicht ausreichend berücksichtigt seien, sei der Hilfebedarf höher. Der tägliche Hilfebedarf betrage 279 Minuten (Körperpflege 110 Minuten, Ernährung 92 Minuten, Mobilität 77 Minuten). Wegen der völligen Geh- und Stehunfähigkeit sei sie auf die ständige Benutzung des Rollstuhls angewiesen. Durch die linksseitige Hemiparese sei sie massiv beeinträchtigt. Die ausgeprägte Altersschwäche und die Demenzerkrankung, die eine ständige und zeitintensive Anleitung und Erinnerung zur Durchführung bestimmter Handlungen und Verrichtungen erfordere, wirkten sich Pflege erschwerend aus. Die erhebliche Harn- und Stuhlinkontinenz führe zu einem erhöhten Pflegeaufwand. Hinzu komme ein erheblicher nächtlicher Hilfebedarf.

Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage der Stellungnahme der Internistin Dr. M., Leitende Ärztin des SMD, vom 12. September 2008 entgegen. Der angenommene Hilfebedarf sei ausreichend. Ausweislich des von der Tochter der Klägerin selbst erstellten Pflegetagebuchs bestehe kein nächtlicher Grundpflegebedarf.

Im Auftrag des SG erstattete Diplom-Pflegewirt (FH) Ma. das Gutachten vom 5. November 2008 aufgrund einer Untersuchung der Klägerin im häuslichen Umfeld. Er schätzte den zeitlichen Aufwand für die Verrichtungen der Grundpflege auf "193" (richtig 199) Minuten täglich (Körperpflege 89 Minuten, Ernährung 56 Minuten, Mobilität 54 Minuten). Bei der Ganzkörperwäsche, der Teilwäsche des Oberkörpers, der Hände und des Gesichts, beim Baden, bei der Zahnpflege, bei der Darm- und Blasenentleerung, beim Aufstehen und Zubettgehen, beim An- und Entkleiden sowie beim Gehen und Stehen sei eine volle Übernahme erforderlich. Die Zahnprothese setze die Klägerin selbstständig ein. Sie kämme sich auch selbst, es müsse aber nachgekämmt werden. Nahrungsmittel, die mit der Hand aufgenommen werden könnten, nehme sie selbstständig ein. Sie könne noch selbstständig mit einem Löffel essen, nicht aber mehr mit einer Gabel. Die Nahrungsaufnahme sei zu überwachen. Beim Mittagessen müsse die Nahrung gegeben werden. Die Klägerin sei weder geh- noch regelrecht stehfähig. Seit dem Gutachten vom 28. April 2008 habe sich eine Darminkontinenz entwickelt. Nach Angaben der Tochter der Klägerin werde das Reichen von Flüssigkeit in der Nacht nicht mehr durchgeführt. Nicht berücksichtigt werden könnten eine aktivierende Pflege und die physikalische Therapie, die nicht zur aktivierenden Pflege gehöre.

Im Auftrag des SG erstattete des Weiteren Fachwirtin für Sozialwesen B. das Gutachten vom 20. Februar 2009 aufgrund einer Untersuchung der Klägerin im häuslichen Umfeld. Sie schätzte den zeitlichen Aufwand für die Verrichtungen der Grundpflege auf 215 Minuten täglich (Körperpflege 108 Minuten, Ernährung 72 Minuten, Mobilität 35 Minuten). Die Klägerin leide an einer altersbedingten demenziellen Veränderung und sei zeitlich und örtlich nicht voll orientiert. Nachts träten Unruhezustände auf. Aufgrund der cerebralen Durchblutungsstörungen sei seit Oktober 2007 eine Verschlechterung des Allgemeinzustands mit Gehunfähigkeit eingetreten und eine deutliche Verschlechterung im Bereich der Mobilität festzustellen. Die Gehfähigkeit sei aufgehoben, der linke Arm gelähmt und die kognitiven Leistungen hätten weiter abgenommen. Wegen der Einschränkungen der Mobilität, der fortgeschrittenen Demenz mit deren Folgen und der erheblichen Einschränkung der Sehkraft brauche die Klägerin umfassende Hilfe, bei meist völliger Übernahme, oft auch Anleitung und Überwachung bei allen 14 Verrichtungen der täglichen Grundpflege. Essen müsse zerkleinert, die Nahrungsaufnahme überwacht und die Flüssigkeitsaufnahme kontrolliert werden. Eine pflegerische Versorgung finde derzeit nachts nicht statt, sei aber als Sollleistung (Lagerung zwei- bis dreimal; zweimal Wechsel der Inkontinenzhose) berücksichtigt worden, um eine gesicherte Pflege zu garantieren und eine Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands zu vermeiden.

Die Klägerin erhob gegen beide Gutachten Einwände. Sachverständiger Ma. messe der Demenzerkrankung, die er auch anzweifle, zu wenig Bedeutung bei. Von ihrer Tochter gemachte Angaben zur Pflege gebe er unzutreffend wieder. Nach den während der Untersuchung gemachten Bemerkungen gehe er bei seiner Beurteilung von einer professionellen, nicht aber von einer häuslichen Pflege aus. Auch die Sachverständige B. berücksichtige nicht in erforderlichem Ausmaß die Auswirkungen der demenziellen Erkrankung auf ihre (der Klägerin) Pflege- und Hilfsbedürftigkeit, Pflege erschwerende Faktoren (stark eingeschränkte Sinneswahrnehmung, eingeschränkte Belastbarkeit infolge der Herzinsuffizienz sowie Abwehrverhalten und fehlende Kooperation mit Behinderung der Übernahme) sowie dass die Pflege nach den Grundsätzen aktivierender Pflege durchgeführt werde. Deswegen sei ein höherer zeitlicher Hilfebedarf gegeben, der den Zeitkorridor der Richtlinie der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (Begutachtungs-Richtlinie) überschreite.

In der auf Veranlassung des SG abgegebenen ergänzenden Stellungnahme vom 26. Mai 2009 blieb die Sachverständige B. bei Inhalt und Ergebnis ihres Gutachtens und führte u.a. aus, zusätzliche Pflege erschwerdende Faktoren wie Abwehrspannung bei pflegerischen Verrichtungen hätten nicht beobachtet werden können. Bei der völligen Übernahme der Verrichtungen sei ein Zeitwert angesetzt worden, der eine aktivierende Pflege berücksichtige. Die Klägerin ihrerseits verblieb bei ihren Einwendungen und verwies auch darauf, dass im Gutachten gelegentlich von einer "Frau W." gesprochen worden sei. Die Ansicht der Sachverständigen, sie habe Zeitwerte angesetzt, die eine aktivierende Pflege berücksichtigten, stehe in krassem Gegensatz zu der Begutachtungs-Richtlinie. Die Klägerin legte die Stellungnahme der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. R. vom 22. Juni 2009 vor, wonach das Gutachten der Sachverständigen B. einige Unklarheiten (falsche Diagnosen, unzutreffender Sachverhalt und Verwechslung von Person) aufweise.

In der mündlichen Verhandlung am 31. Mai 2010 hörte das SG die Tochter der Klägerin an, ohne sie allerdings förmlich als Zeugin zu vernehmen, und wies mit Urteil vom selben Tag die Klage ab. Nach den im Wesentlichen schlüssigen und überzeugenden Gutachten der Sachverständigen Ma. und B. erreiche das Maß der Hilfebedürftigkeit im Bereich der Grundpflege nicht mehr als vier Stunden täglich. Die von den Sachverständigen genannten grundpflegerischen Bedarfe ließen sich anhand der erhobenen Befunde und der dargestellten Körperfunktionsstörungen nachvollziehen. Zwar sei dem Sachverständigen Ma. nicht vollständig zu folgen, soweit dieser ausführe, aktivierende Pflege könne gar nicht berücksichtigt werden. Jedoch seien Zeiten für aktivierende Pflege in beiden Gutachten letztlich hinreichend berücksichtigt. Aktivierende Pflege sei bereits seit längerem nur noch in Teilbereichen (Nahrungsaufnahme) zu berücksichtigen. Nach den glaubhaften Angaben der Tochter der Klägerin, die sich im Wesentlichen mit früheren schriftlichen Angaben deckten, habe aktivierende Pflege vor allem auch im Bereich der Ernährung stattgefunden, wobei darauf geachtet worden sei, dass die Klägerin möglichst selbstständig esse. Allerdings sei mittlerweile der Erfolg dieser aktivierenden Pflege bei der Nahrungsaufnahme geringer und führe auch im Bereich der Körperpflege nicht mehr zu relevanten Ergebnissen. Im Bereich der Nahrungsaufnahme deckten sich die Einschätzungen der Sachverständigen im Wesentlichen mit den für zwei Beispielstage mit 54 und 70 Minuten angegebenen Zeiten im Pflegetagebuch. Abwehrspannungen seien vorliegend nicht als Pflege erschwerender Faktor zu berücksichtigen. Beide im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten hätten Abwehrspannungen ausdrücklich verneint, was die Klägerin nicht bemängelt habe. Auch der Sachverständige Ma. habe nicht über Abwehrspannungen berichtet. Es habe sich der Sachverständigen B. deshalb nicht aufdrängen müssen, hierzu nähere Ausführungen zu machen, zumal sie diese in ihrer ergänzenden Stellungnahme verneint habe. Die jeweilige Einschätzung des grundpflegerischen Hilfebedarfs durch die Sachverständigen werde auch dadurch bestätigt, dass drei Sachverständige diesen Hilfebedarf ungefähr gleich hoch einstuften. Die Einwände der Klägerin gegen die eingeholten Gutachten griffen nicht durch. Die Sachverständige B. habe nicht zur mündlichen Erläuterung ihres Gutachtens geladen werden müssen.

Gegen das ihrer Prozessbevollmächtigten am 17. Juli 2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 5. August 2010 Berufung eingelegt. Obwohl das SG die Gutachten der Sachverständigen Ma. und B. für im Wesentlichen schlüssig und überzeugend halte, stelle es gleichwohl Widersprüche hinsichtlich der aktivierenden Pflege in diesen Gutachten fest. Soweit das SG sich darauf stütze, dass aktivierende Pflege nur in Teilbereichen und nicht von allen Pflegepersonen durchgeführt werde, ignoriere es, dass Grundlage für die Einstufung in eine Pflegestufe der tatsächlich vorhandene Hilfebedarf sei und ein Bedarf an aktivierender Pflege gegeben sei. Die aktivierenden Pflegeverrichtungen hätten sich im Laufe der Jahre zeitlich erweitert. Zum Zeitpunkt der Antragstellung habe die aktivierende Pflege aus Aufforderung und Durchführung bestanden. Seit einigen Monaten seien die entsprechenden Tätigkeiten von ihr (der Klägerin) reduziert worden. Sie verstehe die Aufforderungen nicht mehr und es dauere sehr lange. Die aktivierende Pflege in Bezug auf das Verabreichen der Mahlzeiten sei allerdings von Anfang an sehr Zeit raubend gewesen und dauere allmählich immer länger. Aus den Äußerungen ihrer Tochter in der mündlichen Verhandlung des SG sei durchaus zu entnehmen, dass sie (die Klägerin) sich regelmäßig dagegen wehre, von einer anderen Pflegeperson als von ihrer Tochter gepflegt zu werden, weshalb regelmäßige Abwehrspannungen als Pflege erschwerender Faktor zu berücksichtigen seien. Insgesamt gestalte sich die Pflege zeitaufwändiger. Beispielsweise erfolge beim Transfer eine aktivierende Pflege in der Weise, dass sie (die Klägerin) von der Pflegeperson nicht wie ein "nasser Sack" aus dem Bett herausgeholt und in den Stuhl gestopft werde, sondern dass freundliche Erklärungen erfolgten, die jeden Schritt erläuterten, damit weder Ängste noch Abwehrspannungen in erheblichem Maße entstehen könnten. Unberücksichtigt geblieben sei die Durchführung von Physiotherapie einmal wöchentlich durch einen Therapeuten mit dem Anlernen der Angehörigen für das Übungsprogramm zur Vermeidung von Kontrakturen mit einem Zeitaufwand von 15 Minuten täglich.

Von der Beklagten bewilligte Verhinderungspflege durch Familienangehörige ist vom 24. Juli bis 28. August 2008, 20. Mai bis 18. Juni 2009 und 30. Januar bis 28. Februar 2010 erfolgt. Insoweit hat die Beklagte die Bewilligung von Pflegegeld jeweils aufgehoben.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 31. Mai 2010 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 21. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Mai 2008 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. Oktober 2007 mit Ausnahme der Zeiten vom 24. Juli bis 28. August 2008, 20. Mai bis 18. Juni 2009 und 30. Januar bis 28. Februar 2010 Pflegegeld nach der Pflegestufe III zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Keiner der gehörten Gutachter habe das Vorliegen der Pflegestufe III feststellen können.

Weiter hat der Senat Frau G. D., Tochter der Klägerin, als Zeugin vernommen. Auf die Niederschrift vom 15. Februar 2011 wird verwiesen.

Schließlich hat der Senat von Amts wegen das Gutachten der examinierten Altenpflegerin Kö. vom 3./4. Juni 2011 eingeholt. Sie hat den täglichen Zeitbedarf für die Verrichtungen der Grundpflege auf insgesamt 226 Minuten (Körperpflege 113 Minuten, Ernährung 72 Minuten, Mobilität 41 Minuten) geschätzt. Die Klägerin leide an einer schweren Demenz vaskulärer Genese. Sie sei zeitlich, örtlich und situativ desorientiert. Auch habe ein reduzierter Kraftzustand festgestellt werden können. Motorisch sei es ihr möglich, mittels Gabel und Kaffeelöffel zu essen und ein Glas Wasser oder Saft zu sich zu nehmen, müsse jedoch ständig an die Handlungsschritte erinnert werden, was die Pflegeperson häufig auf Geduldsproben stelle. Die oberen und unteren Extremitäten seien nur eingeschränkt beweglich. Freies Gehen, Stehen und Sitzen seien nicht möglich. Die Mobilitätseinschränkungen sowie die allgemeine körperliche Schwäche in Kombination mit der Demenz führten dazu, dass die einstufungsrelevanten Verrichtungen überwiegend in Form der vollständigen Übernahme erfolgten. Die Harninkontinenz indiziere einen kontinuierlichen Wechsel der Inkontinenzvorlagen am Tag. Die fortschreitende Demenz führe ergänzend zu einem erheblichen Bedarf an psychosozialer Betreuung im Verlauf des Tages. Pflege erschwerende Faktoren bestünden nach ihrer Einschätzung und Beobachtung keine. Insbesondere habe keine Abwehrhaltung festgestellt werden können. Körperpflege im Bett, zweimal Zahn- und Mundpflege, zweimal Kämmen würden täglich verrichtet, zusätzlich ein wöchentliches Bad mit Haarwäsche. Die Klägerin benötige zu jedem Toilettenbesuch (mindestens dreimal täglich) personelle Hilfe, insbesondere bei der anschließenden Intimhygiene, beim Wechseln der Vorlagen und beim Richten der Kleidung. Hilfebedarf im Bereich der Ernährung sei mindestens viermal täglich durch Aufforderung und Anleitung zur Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme erforderlich. Im Bereich der Mobilität seien als tägliche Hilfeleistungen notwendig sechsmal Hilfe beim Aufstehen/Zubettgehen, zweimal beim An- und Auskleiden, viermal Lagerung und dreimal beim Bewegen. Beim Transfer in den Rollstuhl, das Bett und auf den Toilettenstuhl sei mindestens zwölfmal täglich Hilfe notwendig. Nächtlicher Hilfebedarf sei zu unregelmäßigen Zeiten gegeben. Zu den von der Klägerin erhobenen Einwendungen, insbesondere Angaben ihrer (der Klägerin) Tochter nicht berücksichtigt zu haben, hat die Sachverständige Kö. sich am 20. Oktober 2011 ergänzend geäußert. Auch unter konsequenter Berücksichtigung der Pflege erschwerenden Faktoren verbleibe der zeitliche Aufwand auf die einstufungsrelevanten Verrichtungen im Rahmen der Pflegestufe II.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und auch statthaft. Ein Berufungsausschlussgrund des § 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist nicht gegeben. Denn die Klägerin begehrt wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 21. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Mai 2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat der Klägerin zu Recht ab 1. Oktober 2007 Pflegegeld nach der Pflegestufe II bewilligt, nicht aber nach der Pflegestufe III.

Nach § 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist die Änderung, soweit der ursprüngliche Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen so, wie er ergangen ist, nicht mehr erlassen werden dürfte (Bundessozialgericht (BSG), Urteile vom 19. Februar 1986 - 7 RAr 55/84 - SozR 1300 § 48 Nr. 22 und 8. September 2010 - B 11 AL 4/09 R - in juris). Zu vergleichen sind nach § 48 Abs. 1 SGB X stets die zum Zeitpunkt der Aufhebung bzw. des Aufhebungstermins bestehenden tatsächlichen Verhältnisse mit jenen, die zum Zeitpunkt der letzten Leistungsbewilligung, bei der die Anspruchsvoraussetzungen vollständig geprüft worden sind, vorhanden gewesen sind (BSG, Urteil vom 7. Juli 2005 - B 3 P 8/04 R - SozR 4-1300 § 48 Nr. 6). Die letzte vollständige Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen und damit der maßgebliche Vergleichszeitpunkt ist vorliegend die durch Bescheid vom Bescheid vom 28. März 2003 erfolgte weitere Bewilligung von Pflegegeld nach der Pflegestufe I und nicht die durch Bescheid vom 13. Januar 2003 erfolgte erstmalige Bewilligung. Maßgebliches Vergleichsgutachten ist damit das dem Bescheid vom 28. März 2003 zugrunde liegende Gutachten (Name des Gutachters/Gutachterin unleserlich) vom 12. Februar 2003. Gegenüber dieser Bewilligung ist eine wesentliche Änderung eingetreten. Streitig ist insoweit nur, ob die eingetretene Änderung bereits seit Oktober 2007 ein Ausmaß erreichte, dass die Voraussetzungen der Pflegestufe III erfüllt waren oder zu einem späteren Zeitpunkt. Dies ist nicht der Fall.

Pflegebedürftige können nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB XI anstelle der Pflegesachleistungen ein Pflegegeld erhalten. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen. Pflegebedürftige der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe III mindestens fünf Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens vier Stunden entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 3 SGB XI). Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI). Zur Grundpflege zählt ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege beim Waschen, Duschen, Baden, der Zahnpflege, dem Kämmen, Rasieren, der Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung und der Aufnahme der Nahrung sowie im Bereich der Mobilität beim selbstständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und dem Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung. Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen. Maßgebend für den zeitlichen Aufwand ist grundsätzlich die tatsächlich bestehende Pflegesituation unter Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse des zu Pflegenden, allerdings am Maßstab des allgemein Üblichen. § 14 SGB XI stellt allein auf den "Bedarf" an Pflege und nicht auf die im Einzelfall unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs oder die tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. BSG, Urteil 21. Februar 2002 - B 3 P 12/01 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 19). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die Zeitkorridore der Begutachtungs-Richtlinie zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch um Zeitkorridore mit Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 der Begutachtungs-Richtlinie; vgl. dazu BSG, Urteil vom 22. Juli 2004 - B 3 P 6/03 R - SozR 4-3300 § 23 Nr. 3 m.w.N.). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft. Die Zeiten für den Hilfebedarf bei den einzelnen Verrichtungen beruhen regelmäßig auf Schätzungen, denen eine gewisse und auf wenige Minuten beschränkte Unschärfe nicht abgesprochen werden kann und die dennoch hinzunehmen sind (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 2010 - B 3 P 10/08 R - SozR 4-3300 § 15 Nr. 4).

Im Vordergrund stehen bei der Klägerin eine Demenzerkrankung und eine altersbedingte allgemeine körperliche Schwäche. Ferner leidet die Klägerin an den Folgen eines rechtsseitigen Insults im Jahre 2007, der zu einer Verschlechterung der Mobilität geführt hat. Schließlich besteht eine Harn- und Stuhlinkontinenz. Die Klägerin ist gehunfähig. Auch freies Stehen, Gehen und Sitzen sind nicht mehr möglich. Die oberen und unteren Extremitäten sind nur eingeschränkt beweglich. Wegen der Demenzerkrankung ist die Klägerin zeitlich, örtlich und situativ desorientiert und hat kognitive Einschränkungen. Dies ergibt sich aus den Gutachten der Sachverständigen Kö. und B. sowie den Angaben der behandelnden Ärztin Dr. R. in ihrer Auskunft vom 3. Dezember 2010 als sachverständige Zeugin.

Der tägliche Zeitaufwand für die Verrichtungen der Grundpflege betrug und beträgt seit 1. Oktober 2007 weniger als 240 Minuten. Der Senat stützt sich insoweit auf das schlüssige und nachvollziehbare Gutachten der Sachverständigen Kö., das mit dem Gutachten der Sachverständigen B. in den wesentlichen Punkten übereinstimmt.

Im Bereich der Körperpflege besteht ein täglicher Zeitaufwand von 113 Minuten. Dies ergibt sich aus dem Gutachten der Sachverständigen Kö ... Dieser Zeitaufwand entspricht nahezu dem von der Sachverständigen B. geschätzten Zeitaufwand von 111 Minuten und auch dem von der Klägerin selbst in der Klagebegründung angegebenen Zeitaufwand von 110 Minuten. Die Sachverständigen Kö. und B. haben berücksichtigt, dass die Klägerin aufgrund der durch die genannten Erkrankungen bestehenden Einschränkungen nicht mehr in der Lage ist, die im Gesetz für den Bereich der Körperpflege genannten Verrichtungen auszuführen und bei diesen Verrichtungen der Hilfe in Form der vollen Übernahme bedarf. Der Senat folgt der Sachverständigen Kö. auch hinsichtlich der Schätzung des Hilfebedarfs im Bereich der Ernährung mit 72 Minuten und der Mobilität mit 41 Minuten. Auch dieser geschätzte Zeitaufwand entspricht im Wesentlichen dem, den bereits die Sachverständige B. genannt hatte (Ernährung ebenfalls 72 Minuten, Mobilität 35 Minuten). Beide Sachverständige berücksichtigen die bei der Klägerin bestehenden Einschränkungen in ausreichendem Maße, insbesondere die sich aus der fortschreitenden Demenzerkrankung ergebenden kognitiven Einschränkungen. Denn sie gehen auch bei den Verrichtungen in diesen beiden Bereichen davon aus, dass die Klägerin nicht mehr in der Lage ist, die im Gesetz genannten Verrichtungen selbstständig auszuüben, sondern bei den meisten Verrichtungen der Grundpflege eine volle Übernahme durch die Pflegeperson notwendig ist. Die Sachverständige Kö. hat in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 20. Oktober 2011 dargelegt, dass bei der Klägerin aufgrund der im Jahre 2007 erlittenen Ischämie sowie dem Fortschreiten der demenziellen Erkrankung und den damit verbundenen Fähigkeitsstörungen sich deutlich erkennbare Leistungseinschränkungen ergeben. Hinzu kommt auch die fehlende Einsicht der durchzuführenden Verrichtungen. Hieraus ergibt sich, dass die Sachverständige Kö. davon ausging, dass wegen der demenziellen Erkrankung mit den damit verbundenen Einschränkungen häufige und regelmäßige Aufforderungen sowie Anleitungen zur Durchführung der Verrichtungen der Grundpflege erforderlich sind.

Soweit die Sachverständige Kö. davon ausgeht, die Klägerin könne portionierte mundgerecht geschnittene Nahrung tagesformabhängig selbstständig aufnehmen und deshalb Beobachtung und Anleitung erforderlich seien, entspricht dies den Angaben der vom Senat als Zeugin gehörten Tochter der Klägerin. Diese gab an, dass die Klägerin selbstständig eine Gabel halten und mit einer Gabel essen könne, aber vergesse weiter zu essen und sie hieran ständig erinnert werden müsse sowie weiter, dass im Wesentlichen beim Essen Beaufsichtigung notwendig sei. Auch aus dem von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung des Senats vorgelegten Bericht über die Kurzzeitpflege vom 2. bis 9. Februar 2012 ergibt sich die notwendige Beaufsichtigung. Nach den Angaben der Tochter der Klägerin reicht es insoweit aus, dass die Pflegeperson im Raum anwesend ist. Daraus entnimmt der Senat, dass die Anwesenheit einer Pflegeperson ausreicht und die Pflegeperson währenddessen anderen Tätigkeiten nachgehen kann, mithin nicht allein durch die Beaufsichtigung gebunden ist. Ein Beaufsichtigungsbedarf ist an sich nur zu berücksichtigen, wenn die Pflegeperson dabei nicht nur verfügbar und einsatzbereit, sondern durch die notwendigen Aufsichtsmaßnahmen - wie bei der Übernahme von Verrichtungen - auch zeitlich und örtlich in der Weise gebunden ist, dass sie vorübergehend an der Erledigung anderer Dinge gehindert ist, denen sie sich widmen würde bzw. könnte (z.B. Arbeiten aller Art im Haushalt oder Freizeitgestaltung), wenn die Notwendigkeit der Hilfeleistung nicht bestünde. Eine Beaufsichtigung und Kontrolle bei der Nahrungsaufnahme ist deshalb als berücksichtigungsfähige Hilfe einzustufen, wenn sie von einer solchen Intensität ist, dass die Pflegeperson - wie beim Füttern - praktisch an der Erledigung anderer Aufgaben gehindert ist bzw. diese, wenn auch möglicherweise nur kurzzeitig, unterbrechen muss, die Hilfe also über das - gewissermaßen "nebenbei" erfolgende - bloße "Im-Auge-Behalten" des Pflegebedürftigen und das nur vereinzelte, gelegentliche Auffordern bzw. Ermahnen hinausgeht (BSG, Beschluss vom 8. Mai 2001 - B 3 P 4/01 B - in juris; s.a. D 4.0/II Begutachtungs-Richtlinie). Ausgehend hiervon, wäre damit an sich für die Verrichtungen der Nahrungsaufnahme ein allenfalls geringer Zeitaufwand erforderlich. Die Schätzung der Sachverständigen Kö. erweist sich dann jedenfalls als nicht zu niedrig. Die Schätzung des Zeitaufwands für die Aufnahme der Nahrung mit 145 Minuten in dem in der mündlichen Verhandlung des Senats vorgelegten Bericht über die Kurzzeitpflege in der Zeit vom 2. bis 9. Februar 2012 ist für den Senat demgegenüber nicht nachvollziehbar. Daraus folgt dann auch, dass der in diesem Bericht genannte gesamte Zeitaufwand für die Verrichtungen der Grundpflege von 268 Minuten nicht nachvollziehbar ist.

Der Senat kann nicht feststellen, dass wegen einer aktivierende Pflege ein deutlich höherer Zeitaufwand bei den einzelnen Verrichtungen anfällt. Unter Berücksichtigung der Angaben der Tochter der Klägerin erfolgt eine aktivierende Pflege kaum oder ist nicht mehr möglich. Die Tochter der Klägerin führte in ihrer Stellungnahme vom 25. November 2008 zum Gutachten des Sachverständigen Ma. aus (Bl. 39 SG-Akte), dass - jedenfalls für die Körperpflege - die aktivierende Pflege durch Fortschreiten der Demenzerkrankung eingeschränkt worden sei. Auch reduzierte nach Angaben der Tochter der Klägerin (Bl. 45 LSG-Akte) die Klägerin entsprechende Tätigkeiten immer mehr, weil sie die Aufforderungen nicht mehr verstand oder es zu langsam ging. Damit in Übereinstimmung stehen auch die Angaben der Tochter der Klägerin bei ihrer Vernehmung als Zeugin, ihr dauere es zu lang bis die Anweisung ankomme.

Ferner vermag der Senat als Pflege erschwerenden Faktor nicht festzustellen, dass die Klägerin bei der Pflege Abwehrspannungen entwickelt. Die Sachverständige Kö. hat dies ebenso wenig festgestellt wie die anderen im Laufe des gesamten Verfahrens gehörten Sachverständigen und Gutachter. Auch die Klägerin selbst hat in der Berufungsbegründung vorgetragen, dass sie sich regelmäßig dagegen wehre, von einer anderen Pflegeperson als von ihrer Tochter gepflegt zu werden. Daraus ist zu schließen, dass jedenfalls bei der Pflege durch die Tochter Abwehrspannungen nicht vorhanden sind. Demgemäß vermag auch der in der mündlichen Verhandlung des Senats vorgelegten Bericht über die Kurzzeitpflege in der Zeit vom 2. bis 9. Februar 2012, in welchem zwar angegeben ist, dass die Klägerin bei der Intimpflege ihrer Beine zusammenpresse, zu keiner anderen Beurteilung zu führen, weil die Pflege von anderen Personen als von der Tochter durchgeführt wurde.

Ein Zeitaufwand für Durchführung von Physiotherapie ist nicht zu berücksichtigen. Die im Rahmen der Physiotherapie durchgeführten Übungen dienen nach dem Vorbringen der Klägerin der Vermeidung von Kontrakturen. Es handelt sich insoweit nicht um Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Grundpflege durchgeführt werden, sondern um rehabilitative Maßnahmen. Rehabilitative Maßnahmen zur Vermeidung von Pflege werden von den §§ 14, 15 SGB XI nicht erfasst (BSG, Urteil vom 26. November 1998 - B 3 P 20/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 9).

Die Beaufsichtigung der Klägerin, dass sie sich nicht aus dem Rollstuhl erhebt, kann nicht berücksichtigt werden, weil es allein dem Schutz der Klägerin vor Verletzungen bei Stürzen dient. Ein allgemeiner Aufsichtsbedarf zur Motivation und Kontrolle eines Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen kann bei der Bemessung des Pflegebedarfs der §§ 14 und 15 SGB XI nicht berücksichtigt werden. Das BSG hat bereits entschieden (Beschluss vom 24. Oktober 2008 - B 3 P 23/08 B -, in juris), dass es für die Ermittlung von Pflegebedürftigkeit und die Zuordnung zu den Pflegestufen allein auf den Hilfebedarf bei den in § 14 Abs. 4 SGB XI genannten Verrichtungen ankommt (BSG, Urteile vom 19. Februar 1998 - B 3 P 3/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 2, 10. Februar 2000 - B 3 P 12/99 R - SozR 3-3300 § 43 Nr. 1), dass die Beaufsichtigung zur Vermeidung einer Selbst- oder Fremdgefährdung ebenso wenig in Ansatz gebracht werden kann (BSG, Urteil vom 26. November 1998 - B 3 P 13/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 8) wie eine allgemeine Ruf- oder Einsatzbereitschaft einer Pflegeperson (BSG, Urteil vom 19. Februar 1998 - B 3 P 7/97 R - SozR 3-3300 § 15 Nr. 1) und dass auch der Aufsichtsbedarf, wie er bei bestimmten Erkrankungen anfällt, nach dem Gesetz bei der Bemessung des Grundpflegebedarfs nicht berücksichtigt werden darf (z.B. BSG, Urteil vom 28. Juni 2001 - B 3 P 7/00 R - SozR 3-3300 § 43a Nr. 5: Aufsichtsbedarf zur Verhinderung einer übermäßigen Nahrungsaufnahme beim Prader-Willi-Syndrom).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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