Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 13 KR 3305/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 3811/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 30. August 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger macht Untätigkeit der Beklagten wegen Nichtbescheidung seines Widerspruchs vom 21. Juni 2010 geltend.
Der 1954 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Kläger war bis 28. Januar 2009 als Diplom-Verwaltungswirt bei der Bundesagentur für Arbeit versicherungspflichtig beschäftigt, wobei er zuletzt vom 26. bis 28. Januar 2009 im Krankengeldbezug stand. Ab 29. Januar 2009 bezog der Kläger Arbeitslosengeld. Für die Zeit ab 06. August 2009 bewilligte ihm die Beklagte, nachdem ihm am 25. Juni 2009 wegen rezidivierender depressiver Störungen Arbeitsunfähigkeit ärztlich bescheinigt worden war, mit Bescheid vom 20. August 2009, der nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, ein kalendertägliches Krankengeld in Höhe von EUR 47,98. Gestützt auf ein von Dr. L. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) erstattetes sozialmedizinisches Gutachten vom 25. Mai 2010 lehnte die Beklagte es mit Bescheid vom 27. Mai 2010 ab, dem Kläger über den 02. Juni 2010 hinaus Krankengeld zu zahlen. Der Kläger, der ab 03. Juni 2010 erneut Arbeitslosengeld bezog, legte gegen diesen Bescheid am 31. Mai 2010 Widerspruch ein, den er im Wesentlichen darauf stützte, dass er im Hinblick auf die ihm arbeitslosenversicherungsrechtlich zumutbaren Beschäftigungen weiterhin arbeitsunfähig sei. Ergänzend führte er in der Widerspruchsbegründung vom 21. Juni 2010 aus, durch die Verneinung des weiteren Krankengeldanspruchs sei auch in die unbefristete Leistungsbewilligung eingegriffen worden. Die Bewilligung vom 20. August 2009 sei ab 06. August 2009 unbefristet gewesen. Dieser Bescheid sei nicht aufgehoben worden. Um möglichen Risiken zu begegnen, fechte er auch den Bescheid vom 20. August 2009 vorsorglich mit dem Widerspruch an. Mit Widerspruchsbescheid vom 26. August 2010 wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss den Widerspruch des Klägers, mit dem er sich gegen die Einstellung der Krankengeldgewährung zum 02. Juni 2010 wende, zurück. Im Widerspruchsbescheid heißt es:
"Sie erkrankten am 25. Juni 2009 während Sie arbeitslos gemeldet waren arbeitsunfähig und erhielten ab dem 6. August 2009 Krankengeld. Die DAK teilte Ihnen mit Bescheid vom 27. Mai 2010 mit, dass die Zahlung von Krankengeld mit dem 02. Juni 2010 endet. (S. 2 1. Absatz) Dem dagegen erhobenen Widerspruch kann nicht stattgegeben werden, weil Sie über den 02. Juni 2010 hinaus nicht mehr arbeitsunfähig waren ...(S. 2 2. Absatz) Dieser Einladung folgten Sie nicht, da es Ihrer Auffassung nach um rein juristische Aspekte bei der Feststellung Ihrer Arbeitsunfähigkeit gehe. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall, sodass sich keine zusätzlichen Aspekte für eine weiterhin vorliegende Arbeitsunfähigkeit Ihrerseits ergeben ...(S. 2 vorletzter Absatz) Nach alledem ist die Zahlung von Krankengeld über den 02. Juni 2010 hinaus nicht möglich. (S. 3 letzter Satz)"
Gegen den Widerspruchsbescheid erhob der Kläger beim Sozialgericht Ulm (SG) am 01. September 2010 Klage, die unter dem Aktenzeichen S 13 KR 3061/10 geführt wird und über die das SG noch nicht entschieden hat.
Am 22. September 2010 erhob der Kläger außerdem Untätigkeitsklage beim SG, mit der er vorbrachte, dass die Beklagte gegen den von ihm am 21. Juni 2010 erhobenen Widerspruch wegen der geltend gemachten Befristung des Bewilligungsbescheids vom 20. August 2009 ohne zureichenden Grund in angemessener Frist von drei Monaten nicht entschieden habe. Mit dem Widerspruchsbescheid vom 26. August sei über seinen Widerspruch vom 21. Juni 2010 nicht entschieden worden. Die Beklagte gehe im Widerspruchsbescheid nur von einem Widerspruch aus. Der Widerspruchsbescheid vom 26. August 2010 betreffe nicht die Bewilligung, sondern ausschließlich die Einstellung der Krankengeldzahlung mit Ablauf des 02. Juni 2010. Mit dem Bewilligungsbescheid vom 20. August 2009 stehe er in keinem Zusammenhang. Auf die von ihm mit der Widerspruchsbegründung vom 21. Juni 2010 geltend gemachte Verwaltungsakt/Befristungsproblematik des Bewilligungsbescheids vom 20. August 2009 gehe er mit keinem einzigen Wort ein. Somit sei nach dem Empfängerhorizont festzustellen, dass der Widerspruchsbescheid den Widerspruch vom 21. Juni 2010 gegen den Bescheid vom 20. August 2009 nicht erfasse und auch nicht beiläufig beantworte.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Über den Widerspruch des Klägers gegen die Einstellung des - zunächst mit Bescheid vom 20. August 2009 bewilligten - Krankengelds über den 02. Juni 2010 hinaus, sei mit Widerspruchsbescheid vom 26. August 2010 entschieden worden, sodass sich die Untätigkeitsklage erledigt habe.
Mit Gerichtsbescheid vom 30. August 2011 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Untätigkeitsklage des Klägers sei unzulässig. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Erlass eines Widerspruchsbescheids wegen seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 20. August 2009, da die Beklagte hierüber schon mit Widerspruchsbescheid vom 26. August 2010 entschieden habe. Zu Recht weise der Kläger zwar darauf hin, dass der Tenor des Widerspruchsbescheids dies nicht erkennen lasse. Da sich der Tenor des Widerspruchsbescheids weder auf den Bescheid vom 20. August 2009 noch auf den Bescheid vom 27. Mai 2010 oder auf beide Bescheide explizit beziehe, müsse durch Auslegung unter Heranziehung der Begründung des Widerspruchsbescheids ermittelt werden, was Gegenstand der Verbescheidung gewesen sei. Entscheidend sei bei der Auslegung gemäß § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wie ein verständiger Beteiligter, der die Zusammenhänge berücksichtige, welche die Behörde erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen habe (objektiver Empfängerhorizont) den Bescheid verstehen durfte (unter Verweis auf Bundessozialgericht - BSG -, Urteile vom 28. Juni 1990, 4 RA 57/89, SozR 3-1300 § 32 Nr. 2 und vom 16. November 1995, 4 RLw 4/94, SozR 3-1300 § 31 Nr. 10). Nach dem objektiven Erklärungswert der Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 26. August 2010 habe die Beklagte sowohl über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 27. Mai 2010 als auch gegen den Bescheid vom 20. August 2009 entschieden. Denn die Beklagte habe - wenn auch ohne detailliert auf die rechtliche Problematik einzugehen - umfassend geprüft, ob dem Kläger über den 02. Juni 2010 hinaus Krankengeld zustehe. Dies ergebe sich daraus, dass die Beklagte in den Gründen des Widerspruchsbescheids ausdrücklich festgestellt habe, dass sie der Rechtsauffassung des Klägers nicht folge. Deshalb gelange die Beklagte in ihrer Schlussfolgerung am Ende dazu, dass "nach alledem ... die Zahlung von Krankengeld über den 02. Juni 2010 hinaus nicht möglich" sei. Dazu gehöre aber auch, dass die Beklagte nicht von einem Dauerverwaltungsakt, sondern weiterhin von einer nur abschnittsweisen Bewilligung durch den Bescheid vom 20. August 2009 ausgehe. Für einen an Treu und Glauben orientierten Adressaten lasse sich daher unzweifelhaft erkennen, dass die Beklagte mit ihrem Widerspruchsbescheid vom 26. August 2010 über beide Widersprüche entschieden habe. Deshalb sei die Beklagte ihrer Verpflichtung zur Verbescheidung des Widerspruchs schon vor Erhebung der Untätigkeitsklage nachgekommen.
Gegen den ihm am 02. September 2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 05. September 2011 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Die Beklagte habe über den Widerspruch vom 21. Juni 2010 gegen die Bewilligungsbescheid vom 20. August 2009 mit Widerspruchsbescheid vom 26. August 2010 nicht mitentschieden. Dies ergebe sich weder aus dem Widerspruchsbescheid noch führe dessen Auslegung analog § 133 BGB zu diesem Ergebnis. Nicht nur der Tenor, sondern der gesamte Inhalt des Widerspruchsbescheids beschränke sich auf die "Einstellung der Krankengeldgewährung". Im gesamten Text spreche nichts dafür, dass die Beklagte gleichzeitig auch über den - weiteren - Widerspruch vom 21. Juni 2010 gegen den Bescheid vom 20. August 2009 habe entscheiden wollen oder - beiläufig - entschieden habe. Auch die Ausführungen in den beiden letzten Absätzen auf S. 2 des Widerspruchsbescheids enthielten keine Antwort zum - gesonderten - Widerspruch vom 21. Juni 2010. Sie stünden in keinem Zusammenhang mit der geltend gemachten Dauerwirkung des Bewilligungsbescheids vom 20. August 2009. Zudem gehe der gesamte Widerspruchsbescheid immer nur von einem Widerspruch aus und beschreibe dessen Gegenstand in den ersten beiden Absätzen auf S. 2 des Widerspruchsbescheids ohne jeglichen Bezug zum - ebenfalls angefochtenen - Bewilligungsbescheid. Auch der abschließende Satz auf S. 3 des Widerspruchsbescheids beziehe sich ausschließlich auf den vorausgehenden Text im Zusammenhang mit dem Arbeitsunfähigkeitsbegriff. Zur geltend gemachten Qualität des Bewilligungsbescheids vom 20. August 2009 als Dauerverwaltungsakt fehle jeglicher Bezug. Ein an Treu und Glauben orientierter verständiger und objektiver Beteiligter könne nach alledem keinesfalls erkennen, dass mit dem Widerspruchsbescheid vom 26. August 2010 auch über den Widerspruch vom 21. Juni 2010 gegen den Bewilligungsbescheid vom 20. August 2009 entschieden worden sein könnte. Unabhängig davon komme es in erster Linie nicht auf den Empfängerhorizont, sondern auf den "zu erforschenden wirklichen Willen" der Beklagten an. Den Bewilligungsbescheid vom 20. August 2009 und den Widerspruch vom 21. Juni 2010 habe die Beklagte aber nicht erkennbar gewollt in ihre Entscheidung vom 26. August 2010 einbezogen. Es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Widerspruchsausschuss bei seiner Entscheidung durch Widerspruchsbescheid vom 26. August 2010 über den weiteren Widerspruch informiert gewesen sei und darüber habe mitentscheiden wollen, ohne mit einem Wort auf den angefochtenen Bescheid und die in diesem Zusammenhang geltend gemachte Problematik, bei der es sich um eine grundsätzliche Rechtsfrage handle, einzugehen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 30. August 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, über den Widerspruch vom 21. Juni 2010 gegen den Bewilligungsbescheid vom 20. August 2009 zu entscheiden, hilfsweise, den Rechtsstreit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zu vertagen und durch Vernehmung des Vorsitzenden des zuständig gewesenen Widerspruchsausschusses und Unterzeichners des Widerspruchsbescheids, Herrn W. L., als Zeugen Beweis darüber zu erheben, ob der Widerspruchsausschuss bei der Entscheidung durch Widerspruchsbescheid vom 20. August 2010 Kenntnis vom Widerspruch vom 21. Juni 2010 gegen den Bewilligungsbescheid vom 20. August 2009 hatte und es seinem wirklichen Willen entsprach, darüber mitzuentscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf ihr bisheriges Vorbringen und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 § Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten nach den §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig. Sie ist auch statthaft. Denn die Berufung ist nicht nach § 144 Abs. 1 SGG beschränkt. Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, EUR 750,00 nicht übersteigt. Von der Berufungsbeschränkung des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 2. Alternative SGG werden auch Untätigkeitsklagen erfasst, wenn der zu erlassende Verwaltungsakt Geld- , Dienst- oder Sachleistungen betrifft, die einen Wert von EUR 750,00 nicht übersteigen. Denn Untätigkeitsklagen sind entweder auf die Vornahme eines beantragten, aber ohne zureichenden Grund innerhalb von sechs Monaten nicht erlassenen Verwaltungsakts gerichtet (§ 88 Abs. 1 SGG), oder sie haben den Erlass eines Widerspruchsbescheides zum Gegenstand, wenn ohne zureichenden Grund innerhalb von drei Monaten über einen Widerspruch nicht entschieden worden ist (§ 88 Abs. 2 SGG; vgl. BSG, Beschluss vom 06. Oktober 2011 - B 9 SB 45/11 B -, in juris). Der Wert des Beschwerdegegenstands von EUR 750,00 ist überschritten. Zwar ist nicht konkret bekannt für wie viele Tage der Kläger über den 02. Juni 2010 hinaus bis maximal zur Erschöpfung des Krankengeldanspruchs Krankengeld begehrt. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich der tägliche Leistungssatz des Klägers ab 06. August 2009 auf EUR 47,98 belief, wird der Beschwerdewert jedoch bereits nach 16 Tagen erreicht. Davon dass der Krankengeldanspruch des Klägers, der zuvor vom 26. bis 28. Januar 2009 und vom 06. August 2009 bis 02. Juni 2010 im Krankengeldbezug stand, erst nach mindestens 16 Tagen erschöpft ist, ist auszugehen.
Die Berufung des Klägers ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Untätigkeitsklage des Klägers zu Recht als unzulässig abgewiesen. Der Untätigkeitsklage fehlt das für jede Klage als Prozessvoraussetzung erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Denn die Beklagte hat über den Widerspruch des Klägers vom 21. Juni 2010 gegen den Bescheid vom 20. August 2009 mit Widerspruchsbescheid vom 26. August 2010 mitentschieden.
Ob ein Verwaltungsakt erlassen worden ist und - bejahendenfalls - mit welchem Inhalt, ist nach den allgemeinen Auslegungsregeln zu bestimmen, die für Willenserklärungen gelten. § 133 BGB ist heranzuziehen (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BSG, Urteil vom 16. Juni 1999 - B 9 V 13/98 R - = SozR 3-1200 § 42 Nr. 8). Maßstab der Auslegung des Verwaltungsaktes ist der "Empfängerhorizont" eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (BSG, Urteil vom 28. Juni 1990 - 4 RA 57/89 - a.a.O.) Es ist insoweit entgegen des Vorbringens des Klägers nicht der "zu erforschende wirkliche Wille" der Mitglieder des Widerspruchsausschusses zu ermitteln. Maßgebend ist, wie der Empfänger die Erklärung nach den Umständen des Einzelfalls verstehen musste. Für die Auslegung ist der Inhalt der Erklärung entscheidend, das äußere Erscheinungsbild kann aber wesentliche Hinweise geben (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, Anhang § 54 RdNr. 3a m.w.N.).
Ausgehend von dem damit maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont musste der Kläger die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 26. August 2010 so verstehen, dass der Widerspruchsausschuss der Beklagten in diesem Widerspruchsbescheid nicht nur über seinen Widerspruch vom 31. Mai 2010 gegen den Bescheid vom 27. Mai 2010, sondern auch über seinen Widerspruch vom 21. Juni 2010 gegen den Bescheid vom 20. August 2009 entschieden hat. Dies ergibt sich daraus, dass der Widerspruchsausschuss im Widerspruchsbescheid vom 26. August 2010 zwar nicht explizit zwei Widersprüche genannt und auch den Bescheid vom 20. August 2009, mit dem dem Kläger ab 06. August 2009 Krankengeld gewährt worden ist, sowie den Widerspruch des Klägers vom 21. Juni 2010 nicht ausdrücklich erwähnt hat, er jedoch ausgeführt hat, dass der Kläger am 25. Juni 2009 erkrankt sei und ab dem 06. August 2009 Krankengeld erhalten habe. Damit hat die Beklagte aus Sicht des objektiven Empfängers den Krankengeldanspruch ab 06. August 2009 insgesamt einer Überprüfung unterzogen, ob dem Kläger ab dem 03. Juni 2010 weiterhin Krankengeld zu zahlen ist. Er hat sich damit konkludent auch mit dem Widerspruch des Klägers vom 21. Juni 2010 gegen den Bescheid vom 20. August 2009 befasst. Auch aus der weiteren Ausführung im zweiten Absatz auf Bl. 2 des Widerspruchsbescheids, wonach dem Widerspruch nicht stattgegeben werden könne, weil der Kläger über den 02. Juni 2010 hinaus nicht mehr arbeitsunfähig gewesen sei, wird deutlich, dass insgesamt über den Krankengeldanspruch des Klägers eine Entscheidung getroffen wurde. Dass der Widerspruchsausschuss auch rechtliche Gesichtspunkte und nicht nur die gesundheitliche Problematik der Erkrankung in ihre Entscheidung mit einbezogen hat, zeigt auch der vorletzte Absatz auf S. 2 des Widerspruchsbescheids, in dem er ausführt, dass der Kläger der Einladung durch den MDK nicht gefolgt sei, da es nach seiner (des Klägers) Auffassung um rein juristische Aspekte bei der Feststellung seiner Arbeitsunfähigkeit gehe. Dies sei, so der Widerspruchsausschuss weiter, vorliegend jedoch nicht der Fall, sodass keine zusätzlichen Aspekte für eine weiterhin vorliegende Arbeitsunfähigkeit seinerseits sich ergeben würden. Auch hieraus wird erkennbar, dass der Widerspruchsausschuss den Krankengeldanspruch des Klägers über den 02. Juni 2010 hinaus unter allen rechtlichen Gesichtspunkten geprüft hat. Abschließend hat die Beklagte klargestellt, dass nach alledem die Zahlung von Krankengeld über den 02. Juni 2010 hinaus nicht möglich sei. Diese Auffassung des Widerspruchsausschuss der Beklagten, dass Krankengeld ab dem 03. Juni 2010 nicht mehr gezahlt werden könne, ist nur dann schlüssig, wenn der Widerspruchsausschuss zugleich einen Anspruch des Klägers auf Krankengeld aus dem Bescheid vom 20. August 2009 verneint und der Auffassung des Klägers in seinem Widerspruch vom 21. Juni 2010, Krankengeld sei mit dem Bescheid vom 20. August 2009 unbefristet bewilligt, nicht folgt. Denn die beide Widersprüche vom 31. Mai und 21. Juni 2010 betrafen den vom Kläger geltend gemachten Anspruch, Krankengeld auch ab dem 03. Juni 2010 zu erhalten. Dies alles belegt, dass die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Krankengeld zur Gänze und nicht nur im Hinblick auf den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 27. Mai 2010 einer Prüfung unterzogen hat.
Auf den Hilfsantrag des Klägers war die Vertagung des Rechtsstreits zur weiteren Sachverhaltsaufklärung nicht geboten. Denn maßgeblich für die Auslegung des Widerspruchsbescheids vom 26. August 2010 ist - wie ausgeführt - nicht das Wissen und der Wille der Mitglieder des Widerspruchsausschusses, sondern wie der Empfänger nach den Umständen des Einzelfalls die Erklärung verstehen musste.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger macht Untätigkeit der Beklagten wegen Nichtbescheidung seines Widerspruchs vom 21. Juni 2010 geltend.
Der 1954 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Kläger war bis 28. Januar 2009 als Diplom-Verwaltungswirt bei der Bundesagentur für Arbeit versicherungspflichtig beschäftigt, wobei er zuletzt vom 26. bis 28. Januar 2009 im Krankengeldbezug stand. Ab 29. Januar 2009 bezog der Kläger Arbeitslosengeld. Für die Zeit ab 06. August 2009 bewilligte ihm die Beklagte, nachdem ihm am 25. Juni 2009 wegen rezidivierender depressiver Störungen Arbeitsunfähigkeit ärztlich bescheinigt worden war, mit Bescheid vom 20. August 2009, der nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, ein kalendertägliches Krankengeld in Höhe von EUR 47,98. Gestützt auf ein von Dr. L. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) erstattetes sozialmedizinisches Gutachten vom 25. Mai 2010 lehnte die Beklagte es mit Bescheid vom 27. Mai 2010 ab, dem Kläger über den 02. Juni 2010 hinaus Krankengeld zu zahlen. Der Kläger, der ab 03. Juni 2010 erneut Arbeitslosengeld bezog, legte gegen diesen Bescheid am 31. Mai 2010 Widerspruch ein, den er im Wesentlichen darauf stützte, dass er im Hinblick auf die ihm arbeitslosenversicherungsrechtlich zumutbaren Beschäftigungen weiterhin arbeitsunfähig sei. Ergänzend führte er in der Widerspruchsbegründung vom 21. Juni 2010 aus, durch die Verneinung des weiteren Krankengeldanspruchs sei auch in die unbefristete Leistungsbewilligung eingegriffen worden. Die Bewilligung vom 20. August 2009 sei ab 06. August 2009 unbefristet gewesen. Dieser Bescheid sei nicht aufgehoben worden. Um möglichen Risiken zu begegnen, fechte er auch den Bescheid vom 20. August 2009 vorsorglich mit dem Widerspruch an. Mit Widerspruchsbescheid vom 26. August 2010 wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss den Widerspruch des Klägers, mit dem er sich gegen die Einstellung der Krankengeldgewährung zum 02. Juni 2010 wende, zurück. Im Widerspruchsbescheid heißt es:
"Sie erkrankten am 25. Juni 2009 während Sie arbeitslos gemeldet waren arbeitsunfähig und erhielten ab dem 6. August 2009 Krankengeld. Die DAK teilte Ihnen mit Bescheid vom 27. Mai 2010 mit, dass die Zahlung von Krankengeld mit dem 02. Juni 2010 endet. (S. 2 1. Absatz) Dem dagegen erhobenen Widerspruch kann nicht stattgegeben werden, weil Sie über den 02. Juni 2010 hinaus nicht mehr arbeitsunfähig waren ...(S. 2 2. Absatz) Dieser Einladung folgten Sie nicht, da es Ihrer Auffassung nach um rein juristische Aspekte bei der Feststellung Ihrer Arbeitsunfähigkeit gehe. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall, sodass sich keine zusätzlichen Aspekte für eine weiterhin vorliegende Arbeitsunfähigkeit Ihrerseits ergeben ...(S. 2 vorletzter Absatz) Nach alledem ist die Zahlung von Krankengeld über den 02. Juni 2010 hinaus nicht möglich. (S. 3 letzter Satz)"
Gegen den Widerspruchsbescheid erhob der Kläger beim Sozialgericht Ulm (SG) am 01. September 2010 Klage, die unter dem Aktenzeichen S 13 KR 3061/10 geführt wird und über die das SG noch nicht entschieden hat.
Am 22. September 2010 erhob der Kläger außerdem Untätigkeitsklage beim SG, mit der er vorbrachte, dass die Beklagte gegen den von ihm am 21. Juni 2010 erhobenen Widerspruch wegen der geltend gemachten Befristung des Bewilligungsbescheids vom 20. August 2009 ohne zureichenden Grund in angemessener Frist von drei Monaten nicht entschieden habe. Mit dem Widerspruchsbescheid vom 26. August sei über seinen Widerspruch vom 21. Juni 2010 nicht entschieden worden. Die Beklagte gehe im Widerspruchsbescheid nur von einem Widerspruch aus. Der Widerspruchsbescheid vom 26. August 2010 betreffe nicht die Bewilligung, sondern ausschließlich die Einstellung der Krankengeldzahlung mit Ablauf des 02. Juni 2010. Mit dem Bewilligungsbescheid vom 20. August 2009 stehe er in keinem Zusammenhang. Auf die von ihm mit der Widerspruchsbegründung vom 21. Juni 2010 geltend gemachte Verwaltungsakt/Befristungsproblematik des Bewilligungsbescheids vom 20. August 2009 gehe er mit keinem einzigen Wort ein. Somit sei nach dem Empfängerhorizont festzustellen, dass der Widerspruchsbescheid den Widerspruch vom 21. Juni 2010 gegen den Bescheid vom 20. August 2009 nicht erfasse und auch nicht beiläufig beantworte.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Über den Widerspruch des Klägers gegen die Einstellung des - zunächst mit Bescheid vom 20. August 2009 bewilligten - Krankengelds über den 02. Juni 2010 hinaus, sei mit Widerspruchsbescheid vom 26. August 2010 entschieden worden, sodass sich die Untätigkeitsklage erledigt habe.
Mit Gerichtsbescheid vom 30. August 2011 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Untätigkeitsklage des Klägers sei unzulässig. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Erlass eines Widerspruchsbescheids wegen seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 20. August 2009, da die Beklagte hierüber schon mit Widerspruchsbescheid vom 26. August 2010 entschieden habe. Zu Recht weise der Kläger zwar darauf hin, dass der Tenor des Widerspruchsbescheids dies nicht erkennen lasse. Da sich der Tenor des Widerspruchsbescheids weder auf den Bescheid vom 20. August 2009 noch auf den Bescheid vom 27. Mai 2010 oder auf beide Bescheide explizit beziehe, müsse durch Auslegung unter Heranziehung der Begründung des Widerspruchsbescheids ermittelt werden, was Gegenstand der Verbescheidung gewesen sei. Entscheidend sei bei der Auslegung gemäß § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wie ein verständiger Beteiligter, der die Zusammenhänge berücksichtige, welche die Behörde erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen habe (objektiver Empfängerhorizont) den Bescheid verstehen durfte (unter Verweis auf Bundessozialgericht - BSG -, Urteile vom 28. Juni 1990, 4 RA 57/89, SozR 3-1300 § 32 Nr. 2 und vom 16. November 1995, 4 RLw 4/94, SozR 3-1300 § 31 Nr. 10). Nach dem objektiven Erklärungswert der Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 26. August 2010 habe die Beklagte sowohl über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 27. Mai 2010 als auch gegen den Bescheid vom 20. August 2009 entschieden. Denn die Beklagte habe - wenn auch ohne detailliert auf die rechtliche Problematik einzugehen - umfassend geprüft, ob dem Kläger über den 02. Juni 2010 hinaus Krankengeld zustehe. Dies ergebe sich daraus, dass die Beklagte in den Gründen des Widerspruchsbescheids ausdrücklich festgestellt habe, dass sie der Rechtsauffassung des Klägers nicht folge. Deshalb gelange die Beklagte in ihrer Schlussfolgerung am Ende dazu, dass "nach alledem ... die Zahlung von Krankengeld über den 02. Juni 2010 hinaus nicht möglich" sei. Dazu gehöre aber auch, dass die Beklagte nicht von einem Dauerverwaltungsakt, sondern weiterhin von einer nur abschnittsweisen Bewilligung durch den Bescheid vom 20. August 2009 ausgehe. Für einen an Treu und Glauben orientierten Adressaten lasse sich daher unzweifelhaft erkennen, dass die Beklagte mit ihrem Widerspruchsbescheid vom 26. August 2010 über beide Widersprüche entschieden habe. Deshalb sei die Beklagte ihrer Verpflichtung zur Verbescheidung des Widerspruchs schon vor Erhebung der Untätigkeitsklage nachgekommen.
Gegen den ihm am 02. September 2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 05. September 2011 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Die Beklagte habe über den Widerspruch vom 21. Juni 2010 gegen die Bewilligungsbescheid vom 20. August 2009 mit Widerspruchsbescheid vom 26. August 2010 nicht mitentschieden. Dies ergebe sich weder aus dem Widerspruchsbescheid noch führe dessen Auslegung analog § 133 BGB zu diesem Ergebnis. Nicht nur der Tenor, sondern der gesamte Inhalt des Widerspruchsbescheids beschränke sich auf die "Einstellung der Krankengeldgewährung". Im gesamten Text spreche nichts dafür, dass die Beklagte gleichzeitig auch über den - weiteren - Widerspruch vom 21. Juni 2010 gegen den Bescheid vom 20. August 2009 habe entscheiden wollen oder - beiläufig - entschieden habe. Auch die Ausführungen in den beiden letzten Absätzen auf S. 2 des Widerspruchsbescheids enthielten keine Antwort zum - gesonderten - Widerspruch vom 21. Juni 2010. Sie stünden in keinem Zusammenhang mit der geltend gemachten Dauerwirkung des Bewilligungsbescheids vom 20. August 2009. Zudem gehe der gesamte Widerspruchsbescheid immer nur von einem Widerspruch aus und beschreibe dessen Gegenstand in den ersten beiden Absätzen auf S. 2 des Widerspruchsbescheids ohne jeglichen Bezug zum - ebenfalls angefochtenen - Bewilligungsbescheid. Auch der abschließende Satz auf S. 3 des Widerspruchsbescheids beziehe sich ausschließlich auf den vorausgehenden Text im Zusammenhang mit dem Arbeitsunfähigkeitsbegriff. Zur geltend gemachten Qualität des Bewilligungsbescheids vom 20. August 2009 als Dauerverwaltungsakt fehle jeglicher Bezug. Ein an Treu und Glauben orientierter verständiger und objektiver Beteiligter könne nach alledem keinesfalls erkennen, dass mit dem Widerspruchsbescheid vom 26. August 2010 auch über den Widerspruch vom 21. Juni 2010 gegen den Bewilligungsbescheid vom 20. August 2009 entschieden worden sein könnte. Unabhängig davon komme es in erster Linie nicht auf den Empfängerhorizont, sondern auf den "zu erforschenden wirklichen Willen" der Beklagten an. Den Bewilligungsbescheid vom 20. August 2009 und den Widerspruch vom 21. Juni 2010 habe die Beklagte aber nicht erkennbar gewollt in ihre Entscheidung vom 26. August 2010 einbezogen. Es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Widerspruchsausschuss bei seiner Entscheidung durch Widerspruchsbescheid vom 26. August 2010 über den weiteren Widerspruch informiert gewesen sei und darüber habe mitentscheiden wollen, ohne mit einem Wort auf den angefochtenen Bescheid und die in diesem Zusammenhang geltend gemachte Problematik, bei der es sich um eine grundsätzliche Rechtsfrage handle, einzugehen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 30. August 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, über den Widerspruch vom 21. Juni 2010 gegen den Bewilligungsbescheid vom 20. August 2009 zu entscheiden, hilfsweise, den Rechtsstreit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zu vertagen und durch Vernehmung des Vorsitzenden des zuständig gewesenen Widerspruchsausschusses und Unterzeichners des Widerspruchsbescheids, Herrn W. L., als Zeugen Beweis darüber zu erheben, ob der Widerspruchsausschuss bei der Entscheidung durch Widerspruchsbescheid vom 20. August 2010 Kenntnis vom Widerspruch vom 21. Juni 2010 gegen den Bewilligungsbescheid vom 20. August 2009 hatte und es seinem wirklichen Willen entsprach, darüber mitzuentscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf ihr bisheriges Vorbringen und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 § Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten nach den §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig. Sie ist auch statthaft. Denn die Berufung ist nicht nach § 144 Abs. 1 SGG beschränkt. Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, EUR 750,00 nicht übersteigt. Von der Berufungsbeschränkung des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 2. Alternative SGG werden auch Untätigkeitsklagen erfasst, wenn der zu erlassende Verwaltungsakt Geld- , Dienst- oder Sachleistungen betrifft, die einen Wert von EUR 750,00 nicht übersteigen. Denn Untätigkeitsklagen sind entweder auf die Vornahme eines beantragten, aber ohne zureichenden Grund innerhalb von sechs Monaten nicht erlassenen Verwaltungsakts gerichtet (§ 88 Abs. 1 SGG), oder sie haben den Erlass eines Widerspruchsbescheides zum Gegenstand, wenn ohne zureichenden Grund innerhalb von drei Monaten über einen Widerspruch nicht entschieden worden ist (§ 88 Abs. 2 SGG; vgl. BSG, Beschluss vom 06. Oktober 2011 - B 9 SB 45/11 B -, in juris). Der Wert des Beschwerdegegenstands von EUR 750,00 ist überschritten. Zwar ist nicht konkret bekannt für wie viele Tage der Kläger über den 02. Juni 2010 hinaus bis maximal zur Erschöpfung des Krankengeldanspruchs Krankengeld begehrt. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich der tägliche Leistungssatz des Klägers ab 06. August 2009 auf EUR 47,98 belief, wird der Beschwerdewert jedoch bereits nach 16 Tagen erreicht. Davon dass der Krankengeldanspruch des Klägers, der zuvor vom 26. bis 28. Januar 2009 und vom 06. August 2009 bis 02. Juni 2010 im Krankengeldbezug stand, erst nach mindestens 16 Tagen erschöpft ist, ist auszugehen.
Die Berufung des Klägers ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Untätigkeitsklage des Klägers zu Recht als unzulässig abgewiesen. Der Untätigkeitsklage fehlt das für jede Klage als Prozessvoraussetzung erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Denn die Beklagte hat über den Widerspruch des Klägers vom 21. Juni 2010 gegen den Bescheid vom 20. August 2009 mit Widerspruchsbescheid vom 26. August 2010 mitentschieden.
Ob ein Verwaltungsakt erlassen worden ist und - bejahendenfalls - mit welchem Inhalt, ist nach den allgemeinen Auslegungsregeln zu bestimmen, die für Willenserklärungen gelten. § 133 BGB ist heranzuziehen (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BSG, Urteil vom 16. Juni 1999 - B 9 V 13/98 R - = SozR 3-1200 § 42 Nr. 8). Maßstab der Auslegung des Verwaltungsaktes ist der "Empfängerhorizont" eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (BSG, Urteil vom 28. Juni 1990 - 4 RA 57/89 - a.a.O.) Es ist insoweit entgegen des Vorbringens des Klägers nicht der "zu erforschende wirkliche Wille" der Mitglieder des Widerspruchsausschusses zu ermitteln. Maßgebend ist, wie der Empfänger die Erklärung nach den Umständen des Einzelfalls verstehen musste. Für die Auslegung ist der Inhalt der Erklärung entscheidend, das äußere Erscheinungsbild kann aber wesentliche Hinweise geben (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, Anhang § 54 RdNr. 3a m.w.N.).
Ausgehend von dem damit maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont musste der Kläger die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 26. August 2010 so verstehen, dass der Widerspruchsausschuss der Beklagten in diesem Widerspruchsbescheid nicht nur über seinen Widerspruch vom 31. Mai 2010 gegen den Bescheid vom 27. Mai 2010, sondern auch über seinen Widerspruch vom 21. Juni 2010 gegen den Bescheid vom 20. August 2009 entschieden hat. Dies ergibt sich daraus, dass der Widerspruchsausschuss im Widerspruchsbescheid vom 26. August 2010 zwar nicht explizit zwei Widersprüche genannt und auch den Bescheid vom 20. August 2009, mit dem dem Kläger ab 06. August 2009 Krankengeld gewährt worden ist, sowie den Widerspruch des Klägers vom 21. Juni 2010 nicht ausdrücklich erwähnt hat, er jedoch ausgeführt hat, dass der Kläger am 25. Juni 2009 erkrankt sei und ab dem 06. August 2009 Krankengeld erhalten habe. Damit hat die Beklagte aus Sicht des objektiven Empfängers den Krankengeldanspruch ab 06. August 2009 insgesamt einer Überprüfung unterzogen, ob dem Kläger ab dem 03. Juni 2010 weiterhin Krankengeld zu zahlen ist. Er hat sich damit konkludent auch mit dem Widerspruch des Klägers vom 21. Juni 2010 gegen den Bescheid vom 20. August 2009 befasst. Auch aus der weiteren Ausführung im zweiten Absatz auf Bl. 2 des Widerspruchsbescheids, wonach dem Widerspruch nicht stattgegeben werden könne, weil der Kläger über den 02. Juni 2010 hinaus nicht mehr arbeitsunfähig gewesen sei, wird deutlich, dass insgesamt über den Krankengeldanspruch des Klägers eine Entscheidung getroffen wurde. Dass der Widerspruchsausschuss auch rechtliche Gesichtspunkte und nicht nur die gesundheitliche Problematik der Erkrankung in ihre Entscheidung mit einbezogen hat, zeigt auch der vorletzte Absatz auf S. 2 des Widerspruchsbescheids, in dem er ausführt, dass der Kläger der Einladung durch den MDK nicht gefolgt sei, da es nach seiner (des Klägers) Auffassung um rein juristische Aspekte bei der Feststellung seiner Arbeitsunfähigkeit gehe. Dies sei, so der Widerspruchsausschuss weiter, vorliegend jedoch nicht der Fall, sodass keine zusätzlichen Aspekte für eine weiterhin vorliegende Arbeitsunfähigkeit seinerseits sich ergeben würden. Auch hieraus wird erkennbar, dass der Widerspruchsausschuss den Krankengeldanspruch des Klägers über den 02. Juni 2010 hinaus unter allen rechtlichen Gesichtspunkten geprüft hat. Abschließend hat die Beklagte klargestellt, dass nach alledem die Zahlung von Krankengeld über den 02. Juni 2010 hinaus nicht möglich sei. Diese Auffassung des Widerspruchsausschuss der Beklagten, dass Krankengeld ab dem 03. Juni 2010 nicht mehr gezahlt werden könne, ist nur dann schlüssig, wenn der Widerspruchsausschuss zugleich einen Anspruch des Klägers auf Krankengeld aus dem Bescheid vom 20. August 2009 verneint und der Auffassung des Klägers in seinem Widerspruch vom 21. Juni 2010, Krankengeld sei mit dem Bescheid vom 20. August 2009 unbefristet bewilligt, nicht folgt. Denn die beide Widersprüche vom 31. Mai und 21. Juni 2010 betrafen den vom Kläger geltend gemachten Anspruch, Krankengeld auch ab dem 03. Juni 2010 zu erhalten. Dies alles belegt, dass die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Krankengeld zur Gänze und nicht nur im Hinblick auf den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 27. Mai 2010 einer Prüfung unterzogen hat.
Auf den Hilfsantrag des Klägers war die Vertagung des Rechtsstreits zur weiteren Sachverhaltsaufklärung nicht geboten. Denn maßgeblich für die Auslegung des Widerspruchsbescheids vom 26. August 2010 ist - wie ausgeführt - nicht das Wissen und der Wille der Mitglieder des Widerspruchsausschusses, sondern wie der Empfänger nach den Umständen des Einzelfalls die Erklärung verstehen musste.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.
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