L 11 R 4584/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 4419/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 4584/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 19.08.2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist in erster Linie die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung und hierbei insbesondere der Eintritt des Leistungsfalls im Hinblick auf die Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen streitig.

Die 1952 geborene Klägerin erlernte nach ihren eigenen Angaben von 1967 bis 1968 den Beruf einer Hauswirtschafterin und war im Anschluss daran bis März 1969 in diesem Beruf versicherungspflichtig beschäftigt. Ab April 1969 bis Mai 1977 übte sie versicherungspflichtige Tätigkeiten als Büglerin, Küchenhilfe und Metallarbeiterin aus. Danach widmete sie sich der Kindererziehung, weshalb die Beklagte Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung vom 13.06.1977 bis 05.07.1989 anerkannte. Ab dem 14.11.1990 war die Klägerin als Briefsortiererin versicherungspflichtig beschäftigt. Diesen Beruf übte sie bis April 2007 aus. Seither ist sie arbeitsunfähig und bezog bis 31.05.2007 Entgeltfortzahlung und Krankengeld. Seit dem 01.06.2007 erhält sie eine Betriebsrente in Höhe von monatlich 366,00 EUR. Eine Arbeitslosmeldung erfolgte nicht. Nach Angaben der Klägerin besteht seit Ende 2009 ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 (vormals 50). Im Versicherungsverlauf der Beklagten vom 17.11.2008 sind ua Pflichtbeitragszeiten vom 14.11.1990 bis 31.05.2007 enthalten. Seit dem 01.06.2007 wurden von der Klägerin keine weiteren rentenrechtlichen Zeiten mehr zurückgelegt.

Im April 2006 unterzog sich die Klägerin einer sogenannten Wertheim-OP mit Adnexektomie, nachdem bei ihr Gebärmutterkrebs festgestellt worden war. Im Anschluss daran nahm sie vom 6. bis 27.06.2006 an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in der S-Klinik in Bad Sch. teil. Internist Dr. H.-S. teilte im Entlassungsbericht vom 11.07.2006 folgende Diagnosen mit: Zn Wertheim-OP mit Adnexektomie beidseits, Zn intraoperativer Gabe von zwei EK wegen Anämie, Zn fraktionierter Abrasio mit Nachweis eines Karzinoms im Cervix- und Corpusabradat, Urge- und Stressharninkontinenz I. bis II. Grades sowie Hypertonus. Leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes könne die Klägerin unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen sechs Stunden und mehr täglich verrichten. Die Klägerin wurde arbeitsunfähig entlassen, wobei eine innerbetriebliche Umsetzung auf einen leichteren Arbeitsplatz empfohlen wurde.

Nachdem die begonnene Wiedereingliederung am alten Arbeitsplatz scheiterte und eine Umsetzung nicht möglich war, beantragte die Klägerin am 26. April 2007 bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung gab sie an, sie leide seit April 2006 an Unterleibskrebs, an einem Hörsturz, an Bluthochdruck und an einer Schließmuskelerkrankung. Die Beklagte ließ die Klägerin fachärztlich untersuchen und holte das Gutachten des Internisten Dr. B. vom 01.06.2007 ein. Dieser gelangte für die Klägerin zu folgenden Diagnosen: Chronische Unterleibsschmerzen nach kurativer Operation eines Endometrium-Karzinoms der Gebärmutter, thorakale Schmerzen bei Skoliose der BWS, Neigung zu Sekundenschwindel (Ursache unklar) und massives androides Übergewicht sowie behandelter Bluthochdruck. Als Postsortiererin könne die Klägerin nicht mehr arbeiten. Leichte, rückengerechte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne sie jedoch weiterhin vollschichtig ausüben. Mit Bescheid vom 05.06.2007 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine stationäre Leistung zur medizinischen Rehabilitation; mit Bescheid vom 06.06.2007 lehnte sie den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung ab, da die Klägerin mit dem vorhandenen Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich ausüben könne.

Gegen die Rentenablehnung legte die Klägerin am 28.06.2007 Widerspruch ein und trug zur Begründung vor, nach der gynäkologischen Operation sei es zu einer Schwächung des Immunsystems und zu Unterleibsbeschwerden gekommen. Aufgrund der ständigen Schmerzen im After- und Darmbereich mit ständigem Blutaustritt sei das Sitzen sehr erschwert. Beim Bücken und Heben von Lasten habe sie enorme Unterbauchbeschwerden und beim Strecken und Dehnen träten erhebliche Bauch- und Wirbelsäulenbeschwerden auf. Die Schwindelerkrankung habe sich zudem deutlich verschlechtert. Der Drehschwindel trete in letzter Zeit sehr gehäuft, mehrmals wöchentlich auf. Durch den Bluthochdruck sei das gesamte kardio-pulmonale System trotz medikamentöser Behandlung leistungsgemindert. Schließlich kämen noch ein Tinnitusgeräusch und Verkrampfungen im rechten Bein hinzu. Bei einer Gesamtbetrachtung aller Behinderungen sei sie nicht mehr in der Lage, auch leichte körperliche Tätigkeiten sechs Stunden täglich zu verrichten.

Vom 12.07. bis 16.08.2007 nahm die Klägerin an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in der Reha-Klinik Am K. in Bad K. teil. Prof. Dr. R.-B. gab in ihrem Entlassungsbericht vom 05.09.2007 folgende Diagnosen an: muzinöses Adeno-Karzinom, fraktionierte Abrasio ohne Anhalt für Metastasen, arterielle Hypertonie und Adipositas II. Grades. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten könne die Klägerin sechs Stunden und mehr verrichten. Zu vermeiden seien Tätigkeiten mit ungünstiger Arbeitshaltung, wie häufiges Bücken und Zwangshaltungen, Arbeiten mit Gefährdungen für Beine sowie Arbeiten mit Hitze, Vibrationen oder besonderen Verletzungsgefahren bzw mit Absturzgefahr. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 19.11.2007 zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der sozialmedizinische Dienst habe sämtliche Unterlagen überprüft und sei zu dem Ergebnis gelangt, dass sie noch leichte Arbeiten mindestens sechs Stunden täglich ausüben könne. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderung wegen Berufsunfähigkeit lägen nicht vor, da sie sich auf sämtliche ungelernte Tätigkeiten verweisen lassen müsse und sie solche Tätigkeiten sechs Stunden und mehr täglich verrichten könne.

Hiergegen hat die Klägerin am 07.12.2007 beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben und vorgetragen, zwischenzeitlich habe sich ihr Gesundheitszustand deutlich verschlechtert, da wiederum eine Darmoperation mit einer Dickdarmteilentfernung im November 2007 stattgefunden habe. Sie leide nach wie vor an Narbenbeschwerden aufgrund eines großen Längsschnitts im Bereich der Bauchdecke, auch komme es wieder zu Blutungen aus dem After, wobei die Verdauung insgesamt eingeschränkt sei und sich der Kostaufbau schwierig gestalte, da die Ärzte zahlreiche Nahrungsmittel ausgeschlossen hätten. Hierdurch komme es nunmehr zu einer verstärkten Zunahme der Wassereinlagerungen im Körper, was zu massiven Ödemen im Bereich der Hände, der Arme und der Beine sowie Füße geführt habe. Zudem sei ihre Psyche ausgesprochen instabil, da neben der gesundheitlichen Problematik nun auch noch die Betriebsrentenzahlungen deutlich gekürzt worden seien. Schließlich sei auch hinsichtlich der orthopädischen Beschwerden eine Verschlechterung eingetreten und der Nachtschlaf sei nach wie vor durch den Tinnitus gestört. Zur weiteren Begründung hat die Klägerin ua den vorläufigen Entlassungsbericht der Klinik a. G., H., vom 04.12.2007, die Arztbriefe des Facharztes für Orthopädie Dr F. vom 18.09. und 10.10.2007, den Arztbrief des HNO-Arztes Dr. L. vom 21.09.2007 und die ärztliche Bescheinigung des Arztes für Innere Medizin Ha. vom 07.06.2010 vorgelegt, wobei letzterer angegeben hat, dass die Inkontinenzproblematik das Alltagsleben der Klägerin in ausgeprägtem Maße beeinträchtige und in den letzten vier Jahren keine Tendenz zur Besserung vorgelegen habe.

Das SG hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung der behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen. Dr. F. hat mitgeteilt (Auskunft ohne Datum), die Intercostalneuralgie links und Dorsalgie bei BWS-Osteochondrose begrenze das Leistungsvermögen bei lang andauerndem Sitzen in Zwangshaltungen. Die Klägerin sei noch in der Lage, leichte Tätigkeiten drei bis unter sechs Stunden zu verrichten. Arzt für Innere Medizin Ha. hat ausgeführt (Auskunft vom 02.04.2008), aufgrund der mehrfachen abdominellen Operationen komme es sicher zu einer Beeinträchtigung der Fähigkeit des Hebens. Eine leichte Tätigkeit zwischen drei bis sechs Stunden sei jedoch möglich. Er hat seinen Auskünften mehrere Arztbriefe beigefügt, ua den Arztbrief des Internisten Dr. Hu. vom 07.03.2008, wonach der Stuhlgang gelegentlich durchfällig, ansonsten jedoch überwiegend normal sei. HNO-Arzt G. hat angegeben (Auskunft vom 07.04.2008), bei der Klägerin liege ein Verdacht auf Morbus Menière links vor. Das Leistungsvermögen könne er nicht beurteilen.

Nachdem die Klägerin auf weitere Beschwerden im orthopädischem Bereich und auf zunehmende Schließmuskelprobleme mit entsprechendem Halteproblem beim Stuhlgang hingewiesen hatte, hat das SG das orthopädische Gutachten des Dr. D. vom 13.02.2009 und das Gutachten des Internisten Dr. W., Direktor der Medizinischen Klinik II am Klinikum A. G. H., vom 04.02.2010 eingeholt. Gegenüber Dr. D. hat die Klägerin angegeben, bezüglich des Stuhlganges habe sie seit ihrer Hämorrhoiden- und Darmoperation insofern Probleme, dass, wenn sie auf Toilette müsse, sofort gehen müsse, da es sonst "in die Hose" gehe. Sie laufe jeden Tag mindestens ein bis eineinhalb Stunden spazieren. Der Gutachter gelangte für die Klägerin zu folgenden Diagnosen: leichte Restbeschwerden des linken Mittelfingers nach Ringbandspaltung, subcromiales Schmerzsyndrom beidseits, Bursitis subacromialis links, Tendinitis lange Bizepssehne beidseits bei Tendinosis Calcarea (links mehr als rechts), Dorsalgie mit rezidivierender Intercostalneuralgie bei deutlichen degenerativen Veränderungen der BWS mit leichter Skoliose, rezidivierende Lumbalgie bei leichten degenerativen Veränderungen der unteren LWS und leichter Pseudospondylolisthese L4 gegenüber L5 Meyerding I, initiale Coxarthrose beidseits, medialbetonte, leichte Gonarthrose beidseits, deutlicher Spreizfuß beidseits, Hallux Valgus beidseits, Knickfuß links und leichter Senkfuß beidseits sowie Zn Carpaltunnel-Operation beidseits ohne Beschwerden. Unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen könne die Klägerin leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt acht Stunden täglich an fünf Tagen in der Woche durchführen. Das Heben und Tragen schwerer Lasten, Überkopfarbeiten, Tätigkeiten mit längerer Armvorhaltestellung seien nicht mehr möglich. Darüber hinaus seien längerdauernde Wirbelsäulenzwangshaltungen und gebückte Tätigkeiten zu vermeiden. Gleiches gelte für rein stehende Tätigkeiten. Tätigkeiten in Nässe, Kälte und Zugluft seien aufgrund der Wirbelsäulenproblematik nicht mehr zumutbar. Weiterhin sollten aufgrund des Sekundenschwindels Tätigkeiten mit Besteigen von Leitern und Gerüsten nicht mehr durchgeführt werden. Dr. W. hat anlässlich der Begutachtung das proktologische Konsil vom 23.12.2009 mit Sphinkterdruckmessung eingeholt, das eine Stuhlinkontinenz Grad III ergab. Insgesamt gelangte er für die Klägerin zu folgenden Diagnosen: Stuhlinkontinenz Grad III (dh schwere Inkontinenz, die Defäkation festen Stuhls könne nicht kontrolliert werden), Diabetes mellitus Typ II, Belastungs-Angina-Pectoris (Verdacht auf coronare Herzkrankheit), arterielle Hypertonie mit beginnender hypertensiver Herzkrankheit, Hypothyreosis factitia (Zustand nach totaler Schilddrüsenresektion), Adipositas Grad I, Zn Carpaltunnelsyndromoperation, sekundäres Raynaud-Syndrom, Morbus Menière, Hämorrhoidalleiden, Zn muzinösem Adenokarzinom, Urge-Urininkontinenz, Zn Sigmaresektion, subacromiales Schmerzsyndrom, medialbetonte Gonarthrose beidseits, initiale Coxarthrose beidseits, Dorsalgie und rezidivierende Lumbalgie. Aufgrund der Stuhlinkontinenz Grad III sei das Leistungsvermögen komplett aufgehoben, sodass die Klägerin nicht mehr in der Lage sei, einer leichten körperlichen Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen. Die übrigen vorliegenden Gesundheitsbeschwerden führten jedoch nicht zu einer Aufhebung des Leistungsvermögens. Die Stuhlinkontinenz sei der ausschlaggebende Faktor bei der Einschränkung der Leistungsfähigkeit. Anamnestisch bestehe die Stuhlinkontinenz zwar seit der Operation des Uteruskarzinoms am 28.04.2006. Im Zeitraum von April 2006 bis Dezember 2009 fänden sich in der Akte allerdings keine objektivierbaren Untersuchungen, die die Inkontinenz nachwiesen. Im Entlassbrief der Frauenklinik des S.-Klinikums H. werde ebenfalls keine Inkontinenz-Symptomatik erwähnt. Anhand objektivierbarer Untersuchungsergebnissen nachweisbar gemindert sei die Leistungsfähigkeit erst seit der Sphinkterdruckmessung vom 23.12.2009.

Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass seit dem 01.06.2007 keine weiteren rentenrechtlichen Zeiten mehr vorliegen und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente nur erfüllt wären, wenn der Leistungsfall spätestens am 30.06.2009 eingetreten wäre. Hierfür lägen jedoch keine Anhaltspunkte vor. Im danach maßgeblichen Fünfjahreszeitraum vor Eintritt der Erwerbsminderung vom 23.12.2004 bis 22.12.2009 seien insgesamt nur 30 Pflichtbeiträge entrichtet worden.

Mit Urteil vom 19.08.2010 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, ein Leistungsfall der Erwerbsminderung bis 30.06.2009 könne nicht festgestellt werden. Die Gesundheitsbeschwerden auf orthopädischem Fachgebiet führten lediglich zu qualitativen - nicht jedoch zu quantitativen - Leistungseinschränkungen. Dies ergebe sich aus dem Gutachten des Dr. D., dessen Ausführungen schlüssig, widerspruchsfrei und nachvollziehbar seien. Die Leistungseinschätzung des Orthopäden Dr. F. sei hingegen nicht überzeugend, zumal die Klägerin bei ihm nur zweimal in Behandlung gewesen sei. Aufgrund des Gutachtens des Dr. W. sei jedoch davon auszugehen, dass die Klägerin nicht mehr in der Lage sei, auch nur einer leichten körperlichen Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen. Denn durch die Stuhlinkontinenz sei das Leistungsvermögen aufgehoben. Mit dem Gutachter sei jedoch davon auszugehen, dass sich der Eintritt der Leistungsminderung erst am 23.12.2009 nachweisen lasse. Dies ergebe sich daraus, dass im Entlassungsbericht der S.-Klinik vom 11.07.2006 lediglich eine Urge- und Stressharninkontinenz I. bis II. Grades festgestellt worden sei. Auch in der Anamnese finde sich kein Hinweis auf eine Stuhlinkontinenz. Im Gutachten des Dr. B. finde sich weder bei der Eigenanamnese noch bei der Epikrise ein Hinweis auf das Vorliegen einer Stuhlinkontinenz. Im Entlassbericht der Reha-Klinik A. K. vom 05.09.2007 gebe es lediglich den Hinweis, dass der Stuhlgang alle drei bis vier Tage normal geformt gewesen sei. Im Bericht des Klinikums A. g. H. vom 24.10.2007 finde sich ebenfalls kein Hinweis auf die Inkontinenzproblematik. In den Berichten der selbigen Klinik vom 04.12.2007 und 23.01.2008 sei in der Anamnese aufgeführt worden, dass der Stuhlgang regelmäßig und mehrmals täglich breiig gewesen sei. Auch die Arztbriefe des Internisten Dr Hu. ließen keinen Rückschluss auf das Vorliegen einer Stuhlinkontinenz Grad III zu einem früheren Zeitpunkt zu. Im Befundbericht vom 07.03.2008 finde sich lediglich der Hinweis, dass der Stuhlgang gelegentlich durchfällig, jedoch überwiegend normal sei. Auch im Befundbericht vom 14.05.2009 habe er angegeben, dass der Stuhlgang ohne Befund gewesen sei, gelegentlich aber "wie schon früher" imperativ sei. Ein gelegentlicher imperativer Stuhldrang sei jedoch nicht mit einer Stuhlinkontinenz Grad III gleichzusetzen. Erst in der durch den Internisten Ha. am 07.06.2010 ausgestellten Bescheinigung führe dieser aus, dass die Klägerin seit 2006 unter ausgeprägten Inkontinenzproblemen leide. Dies vermöge nicht zu überzeugen, da Herr Ha. die Inkontinenzproblematik zuvor nie erwähnt habe. Im Übrigen habe die Klägerin bis zur Vorlage des Gutachtens durch Dr. W. weder im Verwaltungs- noch im Gerichtsverfahren auf eine Inkontinenzproblematik hingewiesen. Nach alledem könne der Nachweis für ein Absinken des Leistungsvermögens vor dem 23.12.2009 nicht geführt werden. Auch die Gewährung einer teilweisen Erwerbsminderungsrente bei Berufsunfähigkeit scheide aus. Die Klägerin genieße keinen Berufsschutz und könne daher auf sämtliche ungelernte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts verwiesen werden. Darüber hinaus könne ein Leistungsfall bis zum 30.06.2009 nicht festgestellt werden.

Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 31.08.2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 27.09.2010 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt und ausgeführt, unstreitig sei die Stuhlinkontinenz die Folge der bereits im April 2006 stattgehabten Operation des Uteruskarzinoms. Deshalb sei es für sie unverständlich, wie angenommen werden könne, die Erkrankung sei erst seit der zufälligen Untersuchung im Dezember 2009 derartig schwer. Selbst wenn unterstellt werde, eine Stuhlinkontinenz Grad III habe nicht durchgehend seit über dreieinhalb Jahren vorgelegen, so bedeute dies nicht, es sei mit der Entwicklung der Erkrankung vereinbar und rechtens, den Beginn der Erwerbsminderung mit der Begutachtung im Dezember 2009 festzulegen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 19.08.2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 06.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01.04.2007 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung des Internisten Ha. als sachverständigen Zeugen. Dieser hat mitgeteilt (Auskunft vom 25.01.2011), die Klägerin befinde sich seit 2001 in seiner hausärztlicher Behandlung. Es bestehe eine Schilddrüsenunterfunktion, welche medikamentös behandelt werde. Des Weiteren bestehe ein Diabetes mellitus, der nun auch medikamentös behandelt werde. Die Klägerin leide zudem an einem arteriellen Hypertonus, welcher ebenfalls medikamentöser Behandlung bedürfe. Dauerhaft leide sie an imperativem Stuhldrang, der sich im Verlauf der letzten Jahre nicht gebessert habe. Dieser Stuhldrang schränke die Klägerin im täglichen Leben deutlich ein. Mehrfach durchgeführte Koloskopien zeigten auch eine Sigmadiverticulose. Seit April 2006 seien folgende Befunde erhoben und Diagnosen gestellt worden: Blutende Sigmadiverticulose, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Carpaltunnelsyndrom, Makrohämaturie und Karzinom des Corpus uteri.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 06.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.11.2007 (§ 95 SGG) ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat weder ab dem 01.04.2007 noch ab einem späteren Zeitpunkt Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, auch nicht wegen teilweiser Erwerbsminderung, da sie die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt des nachgewiesenen Leistungsfalles (23.12.2009) nicht erfüllt und ein früherer Eintritt des Leistungsfalles nicht nachweisbar ist.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich für die Zeit bis 31.12.2007 nach § 43 SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung und für die anschließende Zeit nach § 43 SGB VI in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554). Dies folgt aus § 300 Abs 1 SGB VI. Danach sind die Vorschriften des SGB VI von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat.

Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben nach § 240 Abs 1 SGB VI bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Erreichung der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 01.01.2008 geändert durch Art 1 Nr 61 des RV-Altergrenzenanpassungsgesetzes vom 20.04.2007, BGBl I, 554) auch Versicherte, die vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach dem die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs unter besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Auch eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit setzt nach § 240 SGB VI für Versicherte, die - wie die Klägerin - vor dem 02.01.1961 geboren sind, Berufsunfähigkeit und ebenfalls die besondere versicherungsrechtliche Voraussetzung der Drei-Fünftel-Belegung voraus.

Nach den genannten Maßstäben steht der Klägerin eine Rente wegen voller bzw teilweiser Erwerbsminderung (auch bei Berufsunfähigkeit) nicht zu. Sie hat zwar die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt (§ 50 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB VI), wie sich aus dem von der Beklagten im Klageverfahren vorgelegten Versicherungsverlauf vom 17.11.2008 ergibt. Zum 23.12.2009, dem Eintritt des Versicherungsfalles (Eintritt der Erwerbsminderung), hat sie aber die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 Abs 1 Nr 2, Abs 2 Nr 2 SGB VI nicht mehr erfüllt. Dies ergibt sich daraus, dass im maßgeblichen Fünfjahreszeitraum vom 23.12.2004 bis 22.12.2009 insgesamt nur 30 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt sind. Die Klägerin hat auch nicht dargelegt, dass die im Versicherungsverlauf vom 17.11.2008 enthaltenen Daten fehlerhaft sind. Sie hat vielmehr im Klageverfahren angegeben, dass sie sich nach dem Ende des Krankengeldbezuges ab dem 01.06.2007 nicht arbeitslos gemeldet hat, weil sie eine Betriebsrente bezieht. Daher besteht im Versicherungskonto der Klägerin ab dem 01.06.2007 eine Lücke, die auch nicht mehr aufgefüllt werden kann.

In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass auch die Voraussetzungen des § 241 Abs 2 SGB VI nicht erfüllt sind. Danach sind Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 01.01.1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 01.01.1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit mit

1. Beitragszeiten, 2. beitragsfreien Zeiten, 3. Zeiten, die nur deshalb nicht beitragsfreie Zeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag, eine beitragsfreie Zeit oder eine Zeit nach Nr 4, 5 oder 6 liegt, 4. Berücksichtigungszeiten, 5. Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder 6. Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts im Beitrittsgebiet vor dem 01.01.1992

(Anwartschaftserhaltungszeiten) belegt ist oder wenn die Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit vor dem 01.01.1984 eingetreten ist (Satz 1). Für Kalendermonate, für die eine Beitragszahlung noch zulässig ist, ist eine Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten nicht erforderlich (Satz 2). Die Klägerin hat die in § 241 Abs 2 Satz 1 SGB VI genannten Voraussetzungen schon deshalb nicht erfüllt, weil nicht jeder Kalendermonat vom 01.01.1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt ist. Denn aus dem Versicherungsverlauf vom 17.11.2008 ergibt sich, dass die Monate von August 1989 bis Oktober 1990 nicht mit Beitragszeiten oder anderweitigen rentenrechtlich bedeutsamen Zeiten belegt ist. Eine Beitragszahlung (freiwillige Beiträge) für diesen Zeitraum ist jedoch bereits gemäß § 197 Abs 2 SGB VI nicht mehr möglich. Danach sind freiwillige Beiträge wirksam, wenn sie bis zum 31.03. des Jahres, das dem Jahr folgt, für das sie gelten sollen, gezahlt werden. Diese Frist ist längst abgelaufen. Die Voraussetzungen für einen Neubeginn dieser Frist gemäß § 198 Abs 1 Satz 1 SGB VI liegen für den Zeitraum von August 1989 bis Oktober 1990 offensichtlich nicht vor.

Der Senat geht mit dem SG davon aus, dass ein früherer Eintritt des Leistungsfalls, dh vor der Sphinkterdruckmessung am 23.12.2009 nicht nachweisbar ist. Dies hat das SG sorgfältig begründet, weshalb sich der Senat den Ausführungen des SG vollumfänglich anschließt und deshalb auf die Entscheidungsgründe des SG Bezug nimmt; insoweit sieht der Senat von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe nach § 153 Abs 2 SGG ab.

Im Hinblick auf die Ermittlungen im Berufungsverfahren ist darauf hinzuweisen, dass sich aus der Auskunft des Internisten Ha. vom 25.01.2011 keine neuen medizinischen Gesichtspunkte ergeben, die einen Eintritt der Erwerbsminderung bis spätestens 30.06.2009, dem Zeitpunkt, an dem zuletzt die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (36 Monate Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung) vorlagen, belegen könnten. Internist Ha. hat lediglich angegeben, die Klägerin habe von einem imperativen Stuhldrang berichtet, der sich im Verlauf der letzten Jahre nicht gebessert habe. Bei der Frage nach der Befunderhebung und der Diagnosestellung hat er jedoch eine Stuhlinkontinenz nicht genannt. Aus diesem Grund vermag auch diese Auskunft die wohlbegründeten Ausführungen des SG nicht zu erschüttern. Abschließend weist der Senat darauf hin, dass der Sphinkter (= Schließmuskel) im Mai 2009 bei der Klägerin noch normoton war. Dies ergibt sich aus dem Befundbericht des Internisten Dr. Christ vom 14.05.2009, der bei der Klägerin eine Darmspiegelung (Koloskopie) durchgeführt hatte (Bl 113 der SG-Akte). Im Zeitraum zwischen Mai und Dezember 2009 muss es daher zu einer Verschlechterung des Sphinkterstatus gekommen sein, wobei sich eine derartige Verschlechterung vor dem Zeitpunkt der Sphinkterdruckmessung am 23.12.2009 nicht nachweisen lässt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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