L 12 AS 5221/10 NZB

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AS 4298/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 5221/10 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 12. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Erstattung von Vorverfahrenskosten.

Die Beklagte mahnte mit Schreiben vom 17. Januar 2010 den Kläger zur Begleichung von Forderungen der ARGE F. aus einem Bescheid vom 16. Dezember 2009. Mit dem Mahnschreiben wurde außerdem eine gemäß § 19 Abs. 2 Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz (VwVG) anfallende Mahngebühr in Höhe von 1,15 EUR geltend gemacht. Gegen die Erhebung der Mahngebühr erhob der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten am 01. Februar 2010 Widerspruch. Er habe gegen den Bescheid vom 16. Dezember 2009 rechtzeitig Widerspruch eingelegt; dieser habe aufschiebende Wirkung. Der Beklagte stornierte die Mahngebühr am 12. März 2010. Er teilte dies dem Kläger mit Schreiben vom 22. März 2010 mit und sah den Widerspruch damit als erledigt an.

Mit Schreiben vom 12. April 2010 forderte der Kläger die Erstattung der Gebühren und Auslagen seiner Prozessbevollmächtigten in Höhe von insgesamt 57,12 EUR (Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2400 VV RVG in Höhe von 40 EUR, Telekommunikationsentgelte, Mehrwertsteuer). Dies lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 26. April 2010 ab. Den Widerspruch des Klägers wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 2010 zurück. Der Widerspruch gegen das Schreiben vom 17. Januar 2010 sei unzulässig, denn weder bei der Mahnung noch bei der Geltendmachung der Mahngebühr handele es sich um einen Verwaltungsakt. Darüber hinaus fehle es auch an der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten.

Der Kläger hat deswegen Klage beim Sozialgericht (SG) Freiburg erhoben. Er hat geltend gemacht, bei der Festsetzung von Mahngebühren im Mahnschreiben vom 17. Januar 2010 handele es sich um einen Verwaltungsakt. Der Widerspruch sei deshalb der statthafte Rechtsbehelf. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten sei auch notwendig im Sinne von § 63 Abs. 2 SGB X gewesen.

Das SG hat die Klage durch Urteil vom 12. Oktober 2010 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ausgehend von § 63 SGB X und den zu Absatz 2 der Vorschrift in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen sei im vorliegenden Fall die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten nicht notwendig gewesen. Nachdem die zugrunde liegende Forderung nicht bestandskräftig geworden war, hätte ein einfacher Telefonanruf bei der Beklagten genügt, um die Stornierung der Mahngebühr herbeizuführen. Es könne vom Kläger insbesondere im Hinblick auf die Höhe der Beschwer von rund einem Euro erwartet werden, dass er dies ohne die Hilfe eines Rechtsanwalts erledige. Jeder vernünftige Bürger würde zunächst diesen Weg beschreiten, bevor er einen Rechtsanwalt für deutlich mehr als das fünfzigfache dieses Betrages beauftrage. Da die Zuziehung eines Bevollmächtigten nicht notwendig gewesen sei, könne dahinstehen, ob der Widerspruch schon unzulässig gewesen sei, weil die Festsetzung der Mahngebühr keinen Verwaltungsakt darstelle, was in Rechtsprechung und Literatur durchaus unterschiedlich beurteilt werde. Das SG hat abschließend ausgeführt, die Berufung sei nicht zuzulassen, da keine Zulassungsgründe nach § 144 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vorlägen.

Gegen das seinen Bevollmächtigten am 15. Oktober 2010 zugestellte Urteil richtet sich die am 10. November 2010 eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers. Er führt aus, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Streitig sei ein Anspruch auf Erstattung von Vorverfahrenskosten nach § 63 SGB X. Diesen Anspruch habe das SG daran scheitern lassen, dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten nicht notwendig gewesen sei (§ 63 Abs. 2 SGB X). Doch könne dies erst erörtert werden, wenn klar sei, dass § 63 SGB X die einschlägige Rechtsgrundlage sei. Diese Rechtsfrage habe grundsätzliche Bedeutung.

Die Beklagte tritt der Nichtzulassungsbeschwerde entgegen. Die vom Kläger aufgeworfene Frage (über die das BSG inzwischen entschieden habe) sei bei der vorliegenden Fallkonstellation nicht klärungsbedürftig.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verfahrensakten beider Rechtszüge (einschließlich der von der Beklagten bereits im erstinstanzlichen Verfahren und zuletzt mit Schreiben vom 03. Februar 2012 vorgelegten Kopien der Verwaltungsvorgänge) Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die gemäß § 145 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGG form- und fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist zwar zulässig (§ 145 Abs. 1 SGG), jedoch nicht begründet, weil die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung nicht gegeben sind.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des SG oder auf Beschwerde durch Beschluss des LSG, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 EUR nicht übersteigt. Dies gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (Satz 2 a.a.O.). Beide Voraussetzungen sind hier nicht gegeben; weder stehen wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr im Streit, noch ist die erforderliche Berufungssumme in Anbetracht des Beschwerdewerts von insgesamt 57,12 EUR erreicht. Das SG hat die Berufung im angefochtenen Urteil auch nicht zugelassen, sodass sie der Zulassung durch das LSG bedurft hätte. Eine solche Zulassung kommt vorliegend nicht in Betracht.

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung nur zuzulassen, wenn (1.) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder (2.) das Urteil von einer Entscheidung des LSG, des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder (3.) ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1.) Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn ihre Entscheidung über den Einzelfall hinaus dadurch an Bedeutung gewinnt, dass die Einheit und Entwicklung des Rechts gefördert wird oder dass für eine Anzahl ähnlich liegender Fälle die notwendige Klärung erfolgt (so die ständige Rechtsprechung des BSG seit BSGE 2, 129, 132). Die Streitsache muss mit anderen Worten eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwerfen, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern; die entscheidungserhebliche Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein (vgl. BSG SozR 1500 § 160a Nr. 60; SozR 3-1500 § 160a Nr. 16; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 144 Rdnrn. 28 f.; § 160 Rdnrn. 6 ff. (jeweils m.w.N.)). Zur Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage muss die abstrakte Klärungsfähigkeit, d.h. die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung, und die konkrete Klärungsfähigkeit, d.h. die Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage hinzutreten (vgl. dazu BSG SozR 1500 § 160 Nr. 53; SozR 1500 § 160a Nr. 54). Die Frage, ob eine Rechtssache im Einzelfall richtig oder unrichtig entschieden ist, verleiht ihr noch keine grundsätzliche Bedeutung (vgl. BSG SozR 1500 § 160a Nr. 7).

Der Kläger macht zur Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde geltend, die Rechtsfrage, ob es sich bei der Festsetzung von Mahngebühren um einen Verwaltungsakt handelt, habe grundsätzliche Bedeutung. Diese Frage hat das SG indessen als nicht entscheidungserheblich betrachtet und offengelassen. Es hat seine Entscheidung vielmehr darauf gestützt, jedenfalls sei die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren nicht notwendig gewesen. Ob dies zutrifft, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab und hat keine grundsätzliche Bedeutung über den Einzelfall hinaus; der Kläger trägt insoweit auch gar nichts anderes vor. Das SG hat ferner ausgeführt, sofern man die Festsetzung von Mahngebühren nicht als Verwaltungsakt betrachte, sei der Widerspruch schon unzulässig gewesen (und die Klage deshalb unbegründet). Auf die Klärung der vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage kommt es deshalb hier nicht an.

Inzwischen hat das BSG durch Urteil vom 26. Mai 2011 - B 14 AS 54/10 R - (in juris) entschieden, dass die Festsetzung von Mahngebühren als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist. Das führt ebenfalls zur Unbegründetheit der Nichtzulassungsbeschwerde, denn für die Beurteilung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache hinsichtlich der Klärungsbedürftigkeit ist auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts abzustellen (BSG, Beschluss vom 16. Mai 2007 - B 11b AS 61/06 B -, in juris).

(2.) Eine Abweichung der Entscheidung des SG von einer Entscheidung eines der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte (Divergenz) liegt nicht vor. Divergenz bedeutet einen Widerspruch im Rechtssatz oder das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde gelegt worden sind. Dies setzt begrifflich voraus, dass das SG einen entsprechenden abstrakten Rechtssatz gebildet hat. Es muss die Rechtsfrage entschieden und nicht etwa übersehen haben. Eine Abweichung liegt daher nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung nicht den vom Obergericht aufgestellten Kriterien entspricht, sondern erst, wenn diesen Kriterien widersprochen wird, also andere Maßstäbe entwickelt werden. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung wegen Divergenz (vgl. BSG SozR 1500 § 160a Nr. 67; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 144 Rdnr. 28). Ein derartiger Widerspruch wird vom Kläger nicht aufgezeigt, er ist auch nicht ersichtlich.

(3.) Ein Verfahrensfehler, auf dem die Entscheidung beruhen kann, ist weder dargetan noch erkennbar.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG). Das angefochtene Urteil vom 12. Oktober 2010 wird hiermit rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).
Rechtskraft
Aus
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