S 1 R 351/08

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 1 R 351/08
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Keine Unrichtigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung iSd. § 66 SGG bei unrichtig angegebener postalischer Anschrift des zuständigen Gerichts.
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach den Vorschriften des SGB VI.

Die 1959 geborene Klägerin studierte von 1978-1984 in D./Polen im Studiengang Katholische Theologie; nach weiteren Studien in E. und F. widmete sich die Klägerin der Kindererziehung.

Am 05.11.2007 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 02.04.2008 ab.

Dagegen legte die Klägerin am 21.04.2008 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 19.10.2008, als einfacher Brief zur Post gegeben am gleichen Tag, zurückgewiesen wurde.

Zur Begründung wurde ausgeführt, dass nach der im Rentenverfahren getroffenen sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung von der Klägerin mit dem vorhandenen Leistungsvermögen Tätigkeiten im Umfang von mindestens 6 Stunden täglich im Rahmen einer 5-Tage-Woche regelmäßig ausgeübt werden könnten. Die Klägerin sei daher in der Lage, im bisherigen Berufsbereich und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig zu sein.

Mangels einer Ausübung einer beruflichen Tätigkeit mit gleichzeitiger Entrichtung von Pflichtbeiträgen könne eine Prüfung der Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI nicht vorgenommen werden.

Dieser Widerspruchsbescheid enthielt folgende Rechtsmittelbelehrung:

"Gegen diesen Widerspruchsbescheid können Sie innerhalb eines Monats nach seiner Bekanntgabe schriftlich Klage erheben beim

Sozialgericht Fulda Heinrich-von-Bibra-Platz 3, 36037 Fulda

Sie können sich aber auch an den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle dieses Gerichtes wenden und Ihre Klage schriftlich aufnehmen lassen. Nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens gibt die Zentrale Widerspruchsstelle Ihren Vorgang an die Fachabteilung zurück."

Bereits zuvor, nämlich in der Zeit vom 20.10.2008 bis zum 24.10.2008, war das Sozialgericht Fulda aus seinem bisherigen Dienstgebäude am Heinrich-von-Bibra-Platz 3 innerhalb von Fulda in das neue Dienstgebäude "Am Hopfengarten 3" umgezogen.

Durch die Verwaltung des Sozialgerichts Fulda war ein Postnachsendeantrag für die noch unter der alten Anschrift eingehende Post eingerichtet worden, der bis in das Jahr 2009 hinein verlängert wurde. Darüber hinaus war am Eingang des Anwesens "Heinrich-von-Bibra-Platz 3" ein Hinweisschild angebracht worden, aus dem sich die neue Anschrift des Sozialgerichts Fulda ergab.

Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 18.12.2008, der im Anschriftenfeld die neue Anschrift "Am Hopfengarten 3" des Sozialgerichts Fulda trug und am selben Tag beim Sozialgericht Fulda abgegeben wurde, hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt.

Hinsichtlich der Klagefrist wird ausgeführt, dass der Klägerin der Eingang des Widerspruchsbescheides nicht erinnerlich sei, so dass keine Stellungnahme zur Klagefrist abgegeben werden könne.

Allerdings sei die Klage entgegen der Auffassung der Beklagten zulässig. Gemäß § 85 Abs. 3 SGG sei der Widerspruchsbescheid bekanntzugeben. Nach § 37 Abs. 2 SGB X gelte ein schriftlicher Verwaltungsakt am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Dies gelte nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen sei. Wie bereits mitgeteilt, sei ihr der Tag des Zugangs des Widerspruchsbescheides nicht mehr erinnerlich.

Darauf komme es aber auch nicht entscheidend an. Denn die Rechtsbehelfsbelehrung im angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 29.10.2008 sei unrichtig erteilt, so dass die Einlegung des Rechtsmittels gemäß § 66 Abs. 2 SGG innerhalb eines Jahres möglich sei. Der nach der Rechtsbehelfsbelehrung folgende Zusatz:

"Nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens gibt die Zentrale Widerspruchsstelle Ihren Vorgang an die Fachabteilung zurück"

sei nicht zwingend und überflüssig und führe so zur Unübersichtlichkeit. Dieser Zusatz verwirre und erwecke jedenfalls den Eindruck, als sei die Rechtsverfolgung schwieriger, als dies in Wahrheit der Fall sei. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dürfe aber nicht die Gefahr bestehen, dass der Widerspruchsführer von der Einlegung des Rechtsmittels abgehalten werde.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 02.04.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin Leistungen nach dem SGB VI in Form der Rente wegen voller Erwerbsminderung,
hilfsweise
eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit in gesetzlicher Höhe zu bewilligen und auszuzahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Klage nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist erhoben worden sei und deshalb unzulässig sei.

Im Übrigen bezieht sich die Beklagte auf die angefochtenen Bescheide.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die einschlägige Behördenakte (1 Hefter) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht kann über die Klage ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde, § 105 SGG.

Die Klage ist unzulässig. Nach § 87 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides zu erheben. Erfolgt die Bekanntgabe wie hier mit einfachem Brief, so gilt der Widerspruchsbescheid gemäß § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist (§ 37 Abs. 2 S. 3 SGB X). Diese Zugangsfiktion greift aber nur ein, wenn der Tag zur Aufgabe zur Post in den Behördenakten vermerkt wurde (Bundessozialgericht, Urteil vom 28.11.2006 - BSGE 97,279 (282)). Dies ist hier geschehen; die Vorgänge der Beklagten enthalten einen Abgangsvermerk vom 29.10.2008 (Bl. 156 BA). Damit galt der Widerspruchsbescheid als am 1. November 2008 bekannt gegeben.

Dass der Klägerin nach eigenem Bekunden der Tag des Zugangs des Widerspruchsbescheides nicht mehr erinnerlich ist, vermag die gesetzliche Fiktion des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X nicht zu erschüttern. In Fällen des tatsächlichen Zugangs ist vom Adressaten eines Briefes die substantiierte Darlegung zu erwarten, wann genau und unter welchen Umständen er den Bescheid erhalten hat (BSG, Urteil vom 26.07.2007 - B 13 R 4/06 R - Juris Rn. 22, BVerwG, Beschluss vom 24.04.1987 - 5 B 132/86 - Juris). Denn andernfalls würde die auf der Erfahrung des täglichen Lebens beruhende Vermutung des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X, dass eine gewöhnliche Postsendung den Empfänger binnen weniger Tage erreicht, von vornherein sinnlos sein (BVerwG a.a.O.). Dass der Klägerin der Tag des Zugangs des Widerspruchsbescheides nicht mehr erinnerlich ist, ist jedenfalls nicht geeignet, berechtigte Zweifel im Sinne des § 37 Abs. 2 S. 3 SGB X hervorzurufen.

Ausgehend von einer Bekanntmachung des Widerspruchsbescheides am 01.11.2008 endete die Klagefrist des § 87 SGG deshalb am 01.12.2008.

Die am 18. Dezember 2008 bei Gericht eingegangene Klage wahrte diese Klagefrist nicht.

Zu Gunsten der Klägerin kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Klagefrist noch gar nicht zu laufen begonnen hatte, weil nach § 66 Abs. 1 SGG dem Widerspruchsbescheid der Beklagten eine fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt worden war. § 66 Abs. 1 SGG verlangt eine Belehrung über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist.

Dass die Beklagte in der dem Widerspruchsbescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung eine nach dem zwischenzeitlichen Umzug des Sozialgerichts Fulda unzutreffende Straßen- und Hausnummerbezeichnung verwendete, ist unschädlich. Da nur über den "Sitz" des Gerichts zu belehren ist, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 26.01.1978 - SozR 1500 § 66 Nr. 9), die sich auf entsprechende Judikate des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 09.11.1966 - BVerwGE 25,261) und des Bundesfinanzhofs (Urteil vom 20.02.1976 - BB 1976,822) bezieht, eine Rechtsmittelbelehrung nicht unrichtig i.S. des § 66 Abs. 2 S. 1 SGG, wenn bei zutreffender Angabe der Stadt oder Gemeinde, in der das Gericht liegt, die Angabe der Straße und der Hausnummer fehlt oder unrichtig angegeben wird.

Allerdings können unzutreffende Zusatzangaben - hier der fehlerhafte Hinweis auf die postalische Anschrift "Heinrich-von-Bibra-Platz 3" - die Belehrung dann unrichtig machen, wenn sie geeignet sind, die Einlegung des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs nennenswert zu erschweren.

Auch dafür ist im vorliegenden Fall jedoch nichts ersichtlich. Zum einen sorgte nach dem Umzug des Sozialgerichts Fulda in die Liegenschaft "Am Hopfengarten 3" in Fulda ein Postnachsendeantrag, der bis in das Jahr 2009 hinein verlängert wurde, als auch ein Hinweisschild am Eingang des Anwesens "Heinrich-von-Bibra-Platz 3" in Fulda dazu, dass eine Klageerhebung sowohl auf postalischem als auch auf persönlichem Weg problemlos möglich war.

Auch im konkreten Fall hat die unrichtige Bezeichnung der postalischen Anschrift im Widerspruchsbescheid der Beklagten die Klageerhebung nicht erschwert. Die vom damaligen, regelmäßig mit Streitigkeiten am Sozialgericht Fulda befassten Bevollmächtigten der Klägerin am 18.12.2008 verfasste Klageschrift weist im Anschriftenfeld die aktuelle Anschrift "Am Hopfengarten 3" auf und wurde am selben Tag persönlich bei Gericht abgegeben.

Dass der von dem früheren Bevollmächtigten der Klägerin monierte Zusatz unter der eigentlichen Rechtsbehelfsbelehrung, dass nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens die Vorgänge an die Fachabteilung zurückgegeben würden, geeignet sein könnte, die Einlegung der Klage nennenswert zu erschweren, ist für das erkennende Gericht nicht ersichtlich.

Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind weder von der Klägerin vorgetragen noch für das erkennende Gericht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved