Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 27 RA 1524/03
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 R 1419/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 217/10 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Außendienstmitarbeiterin/Handelsvertreterin kann zumutbar auf Tätigkeiten als Poststellenmitarbeiterin verwiesen werden.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 8. November 2007 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) ab dem 1. September 2001 hat.
Die am 9. April 1950 geborene Klägerin absolvierte nach eigenen Angaben von September 1964 bis Juli 1967 eine Lehre zur Fachverkäuferin Elektrowaren und arbeitete bis Oktober 1970 in diesem Beruf. Danach war sie von Februar 1979 bis Mai 1980 als Mitarbeiter Poststelle, von Juni 1980 bis Mai 1985 als Förderberater Kader, von April 1988 bis Juli 1990 als Mitarbeiter Lohnbüro, von Dezember 1990 bis Juli 1991 als Kassiererin und Verkäuferin tätig. Von Januar 1992 bis Juli 1993, August 1993 bis November 1995, Juni 1997 bis Oktober 1998 und zuletzt Juli bis September 1999 arbeitete sie als Handelsvertreterin beziehungsweise Außendienstmitarbeiterin. Seitdem ist die Klägerin arbeitslos.
Im August 2001 beantragte sie die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte holte u.a. ein orthopädisches Gutachten des Dr. M. vom 13. Dezember 2001 (leichte bis mittelschwere Arbeiten sechs Stunden und mehr möglich) und ein internistisches Gutachten des Dr. Sch. vom 21. Mai 2002 (leichte bis mittelschwere Arbeiten sechs Stunden und mehr möglich) ein und lehnte mit Bescheid vom 11. Juni 2002 die Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung ab. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 2003 zurück.
Nach Klageerhebung hat das Sozialgericht u.a. diverse Befundberichte der behandelnden Ärzte, die Akte des Arbeitsamtes Erfurt, ein berufskundliches Gutachten der H. J. vom 15. Dezember 2004 (Az.: L 6 RJ 544/03), eine Arbeitgeberauskunft vom 8. September 2003 bezüglich der Tätigkeit von Juli bis September 1999 sowie die Anstellungsverträge vom 16. Mai und 24. Dezember 1997 beigezogen und ein orthopädisches Gutachten von Dr. W. vom 16. Mai 2005 eingeholt. Die Sachverständige hat als Diagnose eine retropatellar betonte Arthrose der Kniegelenke mit subjektiven Beschwerden, ein chronisch zervikales und lumbales vertebragenes Schmerzsyndrom ohne Funktionseinschränkungen der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte und ohne neurologische Defizite bei degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, eine chronisch rezidivierende Sehnenscheidenentzündung am linken Handgelenk mit leichter Funktionseinschränkung und ein Hallux valgus beiderseits mit Einschränkung der Beweglichkeit der Großzehengrundgelenke diagnostiziert. Die Klägerin könne noch leichte Arbeiten sechs Stunden und mehr ohne Zwanghaltungen, insbesondere ohne Überkopfarbeiten, ohne Hebe- und Bückarbeit als Dauerleistung mit maximaler Hebebelastung von fünf Kilogramm als Einzelleistung, ohne Absturzgefahr, nicht auf Leitern und Gerüsten sowie ohne Einwirkung von Nässe, Kälte und Zugluft verrichten.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 8. November 2007 abgewiesen.
Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und vorgetragen, sie leide bereits seit ihrer Kindheit an erheblichen Beschwerden im Bereich der Füße und der Wirbelsäule. Die Beschwerden im Bereich der Kniegelenke hätten sich in den letzten Jahren verschlechtert. Hinzu gekommen seien erhebliche Beschwerden im Bereich der Schultergelenke. Sie genieße Berufsschutz als Facharbeiter, insbesondere habe sie zuletzt Facharbeitertätigkeiten verrichtet.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 8. November 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Juni 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2003 zu verurteilen, ihr Rente wegen Erwerbsminderung ab 1. September 2001 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Berichterstatterin des Senats hat im Erörterungstermin am 30. Mai 2008 die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert. Die Klägerin hat einen Auszug aus dem Handbuch der Berufe/Berufsprofile für die arbeits- und sozialmedizinische Praxis in das Verfahren eingeführt. Der Senat hat Befundberichte der behandelnden Ärzte und ein berufskundliches Gutachten der H. J. vom 6. Juni 2004 aus einem anderen Verfahren des Senats (Az.: L 6 RJ 301/02) zur Tätigkeit einer Poststellenmitarbeiterin beigezogen. Auf Antrag der Klägerin hat er nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ein orthopädisches Gutachten des Dr. W. vom 10. Februar 2009 eingeholt, in dem dieser folgende Diagnosen stellt: fortgeschrittene Retropatellararthrose mit lateralem Hyperpressionssyndrom beidseits, Gonarthrose beidseits, chronische Cervicobrachialgie mit Radikulärsyndrom C 7 und C 8 beidseits bei Osteochondrosis vertebrae, Spondylosis deformans, Einengung des Spinalkanals und der Neuroforamina sowie Bandscheibenprotrusionen im Bereich der HWS, chronisches Pseudoradikulärsyndrom beidseits bei Spondylose, Spondylarthrose und mehrsegmentalen Bandscheibenprotrusionen sowie Bandscheibenvorfall L 4/5, Impingementsyndrom und Kalkeinlagerungen im Bereich der Supraspinatussehne und ACG-Arthrose rechts, Tendopathie beide Handgelenke ohne Funktionsstörungen, Impingementsyndrom und Partialruptur der Supraspinatussehne links, Metatarsalgie bei Knick-Senk-Spreiz-Fuß beidseits mit Arthrose im Goßzehengrundgelenk beidseits, Hallux valgus beidseits, Zustand nach Chevron-Metatarsal-Osteotomie links, Krallenzehbildung 2 rechts. Die Klägerin könne noch leichte Tätigkeiten drei bis sechs Stunden täglich, auch als Poststellenmitarbeiterin, unter weiteren qualitativen Einschränkungen verrichten. Die täglich mögliche Wegstrecke gebe die Klägerin mit 2 x 500 Metern an.
In seinem orthopädischen Gutachten vom 23. November 2009 hat Dr. Sch. die Diagnosen Arthrosis deformans beider Kniescheibengelenke in Verbindung mit einer Petalle subluxans (linksbetont), Arthrose der Wirbelgelenke der unteren LWS ohne funktionelles oder neurogenes Defizit, im Wesentlichen noch alterstypische Verschleissveränderung der unteren HWS ohne funktionelles oder neurogenes Defizit, Schultereckgelenkarthrose rechts und Kalksalzeinlagerungen der Rotatorenmanschette rechts mit fraglich endgradiger Bewegungsstörung, Spreizfuß beidseits mit X-Feststellung der Großzehen und initialen Arthrosen der Großzehengrundgelenke, erhebliche Adipositas, überaus ausgeprägte Leidensbereitschaft und Mitteilungsbedürftigkeit erhoben. Die Klägerin könne noch leichte bis punktuell mittelschwere Tätigkeiten über sechs Stunden täglich, auch als Poststellenmitarbeiterin, verrichten. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22. Februar 2010 hat sich Dr. Schröter nochmals mit dem Gutachten des Dr. Wünsche auseinander gesetzt.
Bezüglich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.
Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung beziehungsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach den §§ 43, 240 SGB VI in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung (n.F.) scheidet aus, denn ihre Leistungsfähigkeit ist nicht in dem für eine Rentengewährung erforderlichen Umfang herabgesunken. Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI n.F. haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2). Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung besteht nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI, wenn die Versicherten voll erwerbsgemindert sind und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Voll erwerbsgemindert sind sie, wenn sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen das allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2). Nach § 240 Abs. 1 SGB VI n. F. haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, wenn sie vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 241 SGB VI) erfüllen.
Die Klägerin ist nicht berufsunfähig im Sinne von § 240 SGB VI, weil ihre Leistungsfähigkeit nicht in erforderlichem Umfang herabgesunken ist. Damit ist sie auch nicht voll oder teilweise erwerbsgemindert im Sinne von § 43 SGB VI, denn dies setzt noch weitergehende Einschränkungen des Leistungsvermögens voraus als die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.
Nach § 240 Abs. 2 Satz 1 SGB VI sind Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Nach Satz 2 dieser Vorschrift umfasst der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nach Satz 4 nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Die Definition der Berufsunfähigkeit in § 240 Abs. 2 SGB VI entspricht insofern der Vorschrift des § 43 Abs. 2 SGB VI in der Fassung bis zum 31. Dezember 2000 mit dem Unterschied, dass nunmehr auf ein Herabsinken auf weniger als sechs Stunden abgestellt wird. Die bisherige Rechtsprechung zur Bestimmung des Berufs und zur Verweisung auf eine andere berufliche Tätigkeit gilt bei der Neuregelung weiter.
Ausgangspunkt bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts der bisherige Beruf des Versicherten. Darunter ist im Allgemeinen diejenige der Versicherungspflicht zugrunde liegende Tätigkeit zu verstehen, die zuletzt auf Dauer, dass heißt mit dem Ziel verrichtet wurde, sie bis zum Eintritt der gesundheitlichen Unfähigkeit oder bis zu Erreichen der Altersgrenze auszuüben; in der Regel ist das die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, jedenfalls wenn sie die qualitativ höchste ist (vgl. BSG, Urteil vom 9. Oktober 2007 - Az.: B 5b/8 KN 3/07 R, nach juris).
Die Klägerin hat zuletzt in verschiedenen Arbeitsverhältnissen als Handelsvertreterin beziehungsweise Außendienstmitarbeiterin gearbeitet. Dies wird bestätigt durch die vorliegenden Anstellungsverträge vom 16. Mai und 24. Dezember 1997 sowie die Arbeitgeberauskunft vom 8. September 2003 bezüglich der letzten Tätigkeit von Juli bis September 1999. Nach ihren Angaben handelte es sich um leichte bis teilweise mittelschwere Arbeiten. Die Klägerin musste mit dem Pkw weite Strecken zurücklegen, Regale auffüllen und dadurch auch Waren transportieren und Kisten tragen. Diese Tätigkeit kann sie nicht mehr ausüben, denn sie ist nach den eingeholten Sachverständigengutachten nicht mehr in der Lage, mittelschwere Arbeiten zu verrichten. Nach der übereinstimmenden Einschätzung der Sachverständigen Dr. W., Dr. W. und Dr. Sch. kann die Klägerin noch leichte körperliche Arbeiten ohne Einwirkung von Nässe, Kälte und Zugluft verrichten. Ein Transport von Handelswaren mit dem Pkw und ein Auffüllen von Regalen sind ihr damit gesundheitlich nicht mehr möglich.
Damit ist die Klägerin jedoch noch nicht berufsunfähig, denn sie in der Lage, eine sozial zumutbare Verweisungstätigkeit auszuüben. Deren Zumutbarkeit bestimmt sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufes, wozu die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts das sogenannte Mehrstufenschema entwickelt hat. Danach werden die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt und, ausgehend von der Bedeutung, welche die Ausbildung für die Qualität eines Berufes hat, Leitberufen zugeordnet. Sie sind gekennzeichnet durch den Beruf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion beziehungsweise des besonders hochqualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstige Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters (vgl. BSG, Urteil vom 9. Oktober 2007 - Az.: B 5b/8 KN 2/07 R, nach juris).
Bei Angestelltenberufen werden ebenfalls Stufen gebildet und die Verweisbarkeit richtet sich nach den aufgezeigten Grundsätzen. Auf der untersten Ebene (Stufe 1) sind dies Tätigkeiten unausgebildeter bzw. nur kurzzeitig eingearbeiteter Angestellter, deren Anforderungsprofil keine über die Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht hinausgehenden Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert. Es folgen (Stufe 2) Angestelltenberufe mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren und danach (Stufe 3) solche mit einer längeren, regelmäßig dreijährigen Ausbildung. Weitere Gruppen bilden Angestelltenberufe, welche die Meisterprüfung oder den erfolgreichen Abschluss einer Fachschule (Stufe 4), oder ein abgeschlossenes Studium an einer Fachhochschule bzw. wissenschaftlichen Hochschule (Stufe 5) voraussetzen. Schließlich kann für Führungspositionen, die ein Hochschulstudium erfordern und deren Bezahlung die Beitragsbemessungsgrenze erreicht oder überschreitet, eine weitere Gruppe gebildet werden (Stufe 6; vgl. BSG, Urteil vom 09. April 2003 - Az. B 5 RJ 38/02 R, nach juris).
Die Einordnung eines Berufes in dieses Berufsschema erfolgt nicht ausschließlich nach der Dauer der förmlichen Ausbildung, sondern auch nach der Qualität der verrichteten Arbeit, das heißt nachdem auf der Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnden Wert der Arbeit für den Betrieb (vgl. BSG, Urteil vom 9. Oktober 2007, a.a.O.). Innerhalb dieses Berufsgruppenschemas darf ein Versicherter auf die nächst niedrigere Stufe sozial zumutbar verwiesen werden.
Die Klägerin gehört allenfalls der Stufe 2 des für die Angestellten maßgeblichen Berufsgruppenschemas an. Sie erwarb zu keinem Zeitpunkt den qualifizierten Berufsschutz als Facharbeiter im Sinne der sozialgerichtlichen Rechtsprechung. Die erlernte Tätigkeit Fachverkäuferin Elektrowaren existiert heute nicht mehr. Der Abschluss der Verkäuferin erfolgte in der DDR - bis auf wenige hier nicht relevanten Ausnahmen im Lebensmittelbereich - nach einer zweijährigen Ausbildung (vgl. www.berufenet.arbeitsagentur.de, Stichwort: Verkäuferin). Sie hat ihre Tätigkeit nicht aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben. Ob sie die mit der Lehrausbildung erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten bei der von ihr zuletzt verrichteten Tätigkeit der Außendienstmitarbeiterin beziehungsweise Handelsvertreterin verwerten konnte, kann dahingestellt bleiben, denn sie ist keine qualifizierte Tätigkeit im Sinne einer Facharbeitertätigkeit nach dem Berufsgruppenschema des Bundessozialgerichts. Erforderlich sind hierfür ein selbstsicheres und überzeugendes Auftreten sowie ein gepflegtes Erscheinungsbild, aber keine besondere Ausbildung (vgl. www.berufenet.arbeitsagentur.de, Stichwort: Außendienstmitarbeiter). Im Ergebnis ergibt sich auch nichts anderes aus dem Handbuch der Berufe/Berufsprofile für die arbeits- und sozialmedizinische Praxis. Danach erfordert die Vorbereitung auf die Fortbildungsprüfung an schulischen Bildungsstätten zwischen sechs und zwölf Monaten (500 bis 900 Unterrichtsstunden); eine besondere Berufsausbildung wird nicht vorausgesetzt. Selbst wenn diese Voraussetzung vorläge (wofür kein Anhalt besteht), käme keine höhere als Stufe 2 in Betracht. Im Übrigen hat die Klägerin selbst nicht geltend gemacht, eine spezielle Ausbildung hierfür absolviert zu haben.
Angesichts ihrer Zuordnung zur Stufe 2 des Berufsgruppenschemas kann die Klägerin sowohl gesundheitlich als auch sozial zumutbar auf eine Tätigkeit als Poststellenmitarbeiterin verwiesen werden. Nach dem berufskundlichen Sachverständigengutachten der Heike Janke vom 6. Juni 2004 gehört diese Tätigkeit zur Berufsgruppe der Bürohilfskräfte, für die im Allgemeinen keine Berufsausbildung erforderlich ist und bei der fehlende Kenntnis durch Einarbeitung beziehungsweise Anlernen in weniger als drei Monaten erworben werden können. Es sind einfache, wiederkehrende, kaufmännisch verwaltende, körperlich leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen, die überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit zum zeitweisen Gehen und Stehen ausgeführt werden. Zum Teil erfordern sie Umgang mit Kommunikationsmitteln. Soweit in dem Gutachten angegeben wird, dass zum Teil Zwangshaltungen anfallen, ist dies nur dahingehend zu verstehen, dass es sich um eine Körperhaltung im Sinne von längerem Verharren handelt; echte Zwangshaltungen kommen nicht vor.
Nach der Beweisaufnahme steht fest, dass die Klägerin noch mindestens leichte Arbeiten sechs Stunden täglich als Poststellenmitarbeiterin verrichten kann. Nach den Ausführungen aller im Gerichtsverfahren beauftragten Sachverständigen bestehen erhebliche Verschleißerkrankungen ihrer Kniegelenke und Verschleißerkrankungen der Hals- und Lendenwirbelsäule. Hinzugekommen im Verfahren sind Beschwerden im Bereich der Schultergelenke.
Dr. W. hat in ihrem Gutachten vom 16. Mai 2005 insbesondere eine Retropatellararthrose der Kniegelenke mit subjektiven Beschwerden und freier Beweglichkeit der Kniegelenke und ein chronisches zervikales und lumbales vertebragenes Schmerzsyndroms beschrieben. Da dies nicht mit Funktionseinschränkungen der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte oder mit neurologischen Defiziten verbunden war, ist ihre Einschätzung, dass damit keine dauerhafte Leistungsminderung quantitativer Art besteht und leichte Arbeiten sechs Stunden und mehr verrichtet werden können, nachvollziehbar. Zum gleichen Ergebnis kommt das orthopädische Sachverständigengutachten des Dr. Sch. vom 23. November 2009. Auch er diagnostiziert eine arthrotische Veränderung der Kniescheibengelenke, Verschleißerscheinungen im Bereich der Wirbelsäule ohne funktionelles oder neurogenes Defizit. Hinzugekommen sind bei ihm die Schultereckgelenksarthrose rechts und Kalksalzeinlagerungen der Rotatorenmanschette rechts, wobei aufgrund der Untersuchungssituation eine Bewegungsstörung nicht mit Sicherheit festgestellt werden konnte. Aus diesen Leiden resultieren qualitative Leistungseinschränkungen dahingehend, dass der Klägerin insbesondere kniebelastende Tätigkeiten wie auch häufiges Treppensteigen oder Tätigkeiten mit regelmäßigen oder andauernden Überkopfarbeiten nicht mehr zugemutet werden können. Aufgrund der Wirbelsäulenbeschwerden sollen weder Tätigkeiten mit gehäufter Bückbelastung noch mit schwerem Heben und Tragen verrichtet werden. Für die bei der Untersuchung mitgebrachte selbst verordnete Unterarmgehstütze ist eine Notwendigkeit nicht ersichtlich. Eine Reduzierung ihres Gewichts würde voraussichtlich zu einer teilweisen Wiederaufrichtung des Beckens zur normalen Stellung führen. Ausdrücklich bestätigt Dr. Sch., dass die Klägerin als Poststellenmitarbeiterin mehr als sechs Stunden tätig sein kann.
Auch nach dem Gutachten des Dr. W. kann die Klägerin noch leichte körperliche Arbeiten bis sechs Stunden täglich, auch als Poststellenmitarbeiterin, ausüben. Allerdings überzeugt sein Gutachten weder hinsichtlich der gestellten Diagnosen noch bezüglich der Leistungseinschätzung, vor allem zur Einschränkung der Wegefähigkeit. Zu Recht weist Dr. Sch. in seiner Stellungnahme vom 22. Februar 2010 auf die Unzulänglichkeiten der Befunderhebung und Diagnosestellung hin. Inhaltlich ist das Gutachten unschlüssig; die quantitativen Einschränkungen gegenüber dem Vorgutachten werden nicht ausreichend begründet. So berichtet Dr. W. im Bereich des Bewegungsapparates über mäßige Funktionsstörungen; im Vergleich zu dem Gutachten von Dr. W. bestehe im Bereich der Wirbelsäule, im Fuß- und Handbereich keine gravierende progrediente Symptomatik; die beidseitige Schultergelenksymptomatik verursache keine erheblichen Funktionsstörungen. Seine Annahme, dass aus den Kniebeschwerden eine qualitative Leistungsminderung für überwiegend sitzende Tätigkeiten resultiere, ist nicht nachvollziehbar und wird von ihm nicht begründet. Ungenau geschildert und nicht hinterfragt werden subjektive Beschwerden und Reizzustände, die mit deutlichen Einschränkungen hinsichtlich der Belastbarkeit und Gehfähigkeit einhergehen sollen. Der klägerischen Behauptung einer deutlich eingeschränkten Wegefähigkeit von maximal 2 x 500 Metern täglich folgt Dr. W. ohne eigene kritische Bewertung. Ausreichende Anhaltspunkte für ihre Richtigkeit bestehen nicht. Insofern kommt es nicht darauf an, dass die Klägerin gegenüber Dr. W. angegeben hat, sie habe einen Führerschein, aber keinen Pkw. Offensichtlich ist dies unrichtig, denn gegenüber Dr. Sch. hat sie zugegeben, den Pkw ihrer Mutter zu benutzen um diese zu besuchen und zu pflegen. Zur Vollständigkeit weist der Senat darauf hin, dass die von Dr. Wünsche angenommene Einengung des Spinalkanals und der Neuroforamina sowie Bandscheibenprotrusionen im Bereich der Halswirbelsäule von Dr. Sch. nicht bestätigt worden sind; bei Röntgenbildern vom 28. Januar 2009 hat er lediglich eine Höhenminderung in den Bandscheibenräumen C 5/6 und C 6/7 festgestellt.
Soweit die Klägerin die Begutachtungssituation bei Dr. Sch. und dessen Feststellungen angreift, ergeben sich daraus keine Anhaltspunkte für eine eingeschränkte Verwertbarkeit seines Gutachtens. Anhaltspunkte für die behauptete Diskriminierung der Klägerin sind nicht ersichtlich und ergeben sich insbesondere nicht aus dem Hinweisen auf ein Übergewicht im Gutachten.
Die Ergebnisse der im Vorverfahren eingeholten Gutachten stehen den Einschätzungen der Dres. Sch. und W. nicht entgegen.
Mit dem ihrem Restleistungsvermögen ist der Klägerin die oben beschriebene Tätigkeit des Poststellenmitarbeiters gesundheitlich möglich. Es handelt sich um leichte körperliche Arbeiten, die ohne Zwangshaltungen für die Hals- und Lendenwirbelsäule, ohne Gefährdung durch Nässe, Kälte, Zugluft ausgeübt werden können; kniebelastende Tätigkeiten kommen nicht vor, ebenso wenig Überkopfarbeiten. Unwesentlich ist, ob der Klägerin mit dem festgestellten Leistungsvermögen auf eine Tätigkeit als Poststellenmitarbeiter vermittelt werden kann. Das Risiko, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu finden, trägt die Arbeitslosenversicherung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) ab dem 1. September 2001 hat.
Die am 9. April 1950 geborene Klägerin absolvierte nach eigenen Angaben von September 1964 bis Juli 1967 eine Lehre zur Fachverkäuferin Elektrowaren und arbeitete bis Oktober 1970 in diesem Beruf. Danach war sie von Februar 1979 bis Mai 1980 als Mitarbeiter Poststelle, von Juni 1980 bis Mai 1985 als Förderberater Kader, von April 1988 bis Juli 1990 als Mitarbeiter Lohnbüro, von Dezember 1990 bis Juli 1991 als Kassiererin und Verkäuferin tätig. Von Januar 1992 bis Juli 1993, August 1993 bis November 1995, Juni 1997 bis Oktober 1998 und zuletzt Juli bis September 1999 arbeitete sie als Handelsvertreterin beziehungsweise Außendienstmitarbeiterin. Seitdem ist die Klägerin arbeitslos.
Im August 2001 beantragte sie die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte holte u.a. ein orthopädisches Gutachten des Dr. M. vom 13. Dezember 2001 (leichte bis mittelschwere Arbeiten sechs Stunden und mehr möglich) und ein internistisches Gutachten des Dr. Sch. vom 21. Mai 2002 (leichte bis mittelschwere Arbeiten sechs Stunden und mehr möglich) ein und lehnte mit Bescheid vom 11. Juni 2002 die Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung ab. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 2003 zurück.
Nach Klageerhebung hat das Sozialgericht u.a. diverse Befundberichte der behandelnden Ärzte, die Akte des Arbeitsamtes Erfurt, ein berufskundliches Gutachten der H. J. vom 15. Dezember 2004 (Az.: L 6 RJ 544/03), eine Arbeitgeberauskunft vom 8. September 2003 bezüglich der Tätigkeit von Juli bis September 1999 sowie die Anstellungsverträge vom 16. Mai und 24. Dezember 1997 beigezogen und ein orthopädisches Gutachten von Dr. W. vom 16. Mai 2005 eingeholt. Die Sachverständige hat als Diagnose eine retropatellar betonte Arthrose der Kniegelenke mit subjektiven Beschwerden, ein chronisch zervikales und lumbales vertebragenes Schmerzsyndrom ohne Funktionseinschränkungen der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte und ohne neurologische Defizite bei degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, eine chronisch rezidivierende Sehnenscheidenentzündung am linken Handgelenk mit leichter Funktionseinschränkung und ein Hallux valgus beiderseits mit Einschränkung der Beweglichkeit der Großzehengrundgelenke diagnostiziert. Die Klägerin könne noch leichte Arbeiten sechs Stunden und mehr ohne Zwanghaltungen, insbesondere ohne Überkopfarbeiten, ohne Hebe- und Bückarbeit als Dauerleistung mit maximaler Hebebelastung von fünf Kilogramm als Einzelleistung, ohne Absturzgefahr, nicht auf Leitern und Gerüsten sowie ohne Einwirkung von Nässe, Kälte und Zugluft verrichten.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 8. November 2007 abgewiesen.
Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und vorgetragen, sie leide bereits seit ihrer Kindheit an erheblichen Beschwerden im Bereich der Füße und der Wirbelsäule. Die Beschwerden im Bereich der Kniegelenke hätten sich in den letzten Jahren verschlechtert. Hinzu gekommen seien erhebliche Beschwerden im Bereich der Schultergelenke. Sie genieße Berufsschutz als Facharbeiter, insbesondere habe sie zuletzt Facharbeitertätigkeiten verrichtet.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 8. November 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Juni 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2003 zu verurteilen, ihr Rente wegen Erwerbsminderung ab 1. September 2001 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Berichterstatterin des Senats hat im Erörterungstermin am 30. Mai 2008 die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert. Die Klägerin hat einen Auszug aus dem Handbuch der Berufe/Berufsprofile für die arbeits- und sozialmedizinische Praxis in das Verfahren eingeführt. Der Senat hat Befundberichte der behandelnden Ärzte und ein berufskundliches Gutachten der H. J. vom 6. Juni 2004 aus einem anderen Verfahren des Senats (Az.: L 6 RJ 301/02) zur Tätigkeit einer Poststellenmitarbeiterin beigezogen. Auf Antrag der Klägerin hat er nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ein orthopädisches Gutachten des Dr. W. vom 10. Februar 2009 eingeholt, in dem dieser folgende Diagnosen stellt: fortgeschrittene Retropatellararthrose mit lateralem Hyperpressionssyndrom beidseits, Gonarthrose beidseits, chronische Cervicobrachialgie mit Radikulärsyndrom C 7 und C 8 beidseits bei Osteochondrosis vertebrae, Spondylosis deformans, Einengung des Spinalkanals und der Neuroforamina sowie Bandscheibenprotrusionen im Bereich der HWS, chronisches Pseudoradikulärsyndrom beidseits bei Spondylose, Spondylarthrose und mehrsegmentalen Bandscheibenprotrusionen sowie Bandscheibenvorfall L 4/5, Impingementsyndrom und Kalkeinlagerungen im Bereich der Supraspinatussehne und ACG-Arthrose rechts, Tendopathie beide Handgelenke ohne Funktionsstörungen, Impingementsyndrom und Partialruptur der Supraspinatussehne links, Metatarsalgie bei Knick-Senk-Spreiz-Fuß beidseits mit Arthrose im Goßzehengrundgelenk beidseits, Hallux valgus beidseits, Zustand nach Chevron-Metatarsal-Osteotomie links, Krallenzehbildung 2 rechts. Die Klägerin könne noch leichte Tätigkeiten drei bis sechs Stunden täglich, auch als Poststellenmitarbeiterin, unter weiteren qualitativen Einschränkungen verrichten. Die täglich mögliche Wegstrecke gebe die Klägerin mit 2 x 500 Metern an.
In seinem orthopädischen Gutachten vom 23. November 2009 hat Dr. Sch. die Diagnosen Arthrosis deformans beider Kniescheibengelenke in Verbindung mit einer Petalle subluxans (linksbetont), Arthrose der Wirbelgelenke der unteren LWS ohne funktionelles oder neurogenes Defizit, im Wesentlichen noch alterstypische Verschleissveränderung der unteren HWS ohne funktionelles oder neurogenes Defizit, Schultereckgelenkarthrose rechts und Kalksalzeinlagerungen der Rotatorenmanschette rechts mit fraglich endgradiger Bewegungsstörung, Spreizfuß beidseits mit X-Feststellung der Großzehen und initialen Arthrosen der Großzehengrundgelenke, erhebliche Adipositas, überaus ausgeprägte Leidensbereitschaft und Mitteilungsbedürftigkeit erhoben. Die Klägerin könne noch leichte bis punktuell mittelschwere Tätigkeiten über sechs Stunden täglich, auch als Poststellenmitarbeiterin, verrichten. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22. Februar 2010 hat sich Dr. Schröter nochmals mit dem Gutachten des Dr. Wünsche auseinander gesetzt.
Bezüglich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.
Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung beziehungsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach den §§ 43, 240 SGB VI in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung (n.F.) scheidet aus, denn ihre Leistungsfähigkeit ist nicht in dem für eine Rentengewährung erforderlichen Umfang herabgesunken. Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI n.F. haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2). Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung besteht nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI, wenn die Versicherten voll erwerbsgemindert sind und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Voll erwerbsgemindert sind sie, wenn sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen das allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2). Nach § 240 Abs. 1 SGB VI n. F. haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, wenn sie vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 241 SGB VI) erfüllen.
Die Klägerin ist nicht berufsunfähig im Sinne von § 240 SGB VI, weil ihre Leistungsfähigkeit nicht in erforderlichem Umfang herabgesunken ist. Damit ist sie auch nicht voll oder teilweise erwerbsgemindert im Sinne von § 43 SGB VI, denn dies setzt noch weitergehende Einschränkungen des Leistungsvermögens voraus als die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.
Nach § 240 Abs. 2 Satz 1 SGB VI sind Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Nach Satz 2 dieser Vorschrift umfasst der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nach Satz 4 nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Die Definition der Berufsunfähigkeit in § 240 Abs. 2 SGB VI entspricht insofern der Vorschrift des § 43 Abs. 2 SGB VI in der Fassung bis zum 31. Dezember 2000 mit dem Unterschied, dass nunmehr auf ein Herabsinken auf weniger als sechs Stunden abgestellt wird. Die bisherige Rechtsprechung zur Bestimmung des Berufs und zur Verweisung auf eine andere berufliche Tätigkeit gilt bei der Neuregelung weiter.
Ausgangspunkt bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts der bisherige Beruf des Versicherten. Darunter ist im Allgemeinen diejenige der Versicherungspflicht zugrunde liegende Tätigkeit zu verstehen, die zuletzt auf Dauer, dass heißt mit dem Ziel verrichtet wurde, sie bis zum Eintritt der gesundheitlichen Unfähigkeit oder bis zu Erreichen der Altersgrenze auszuüben; in der Regel ist das die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, jedenfalls wenn sie die qualitativ höchste ist (vgl. BSG, Urteil vom 9. Oktober 2007 - Az.: B 5b/8 KN 3/07 R, nach juris).
Die Klägerin hat zuletzt in verschiedenen Arbeitsverhältnissen als Handelsvertreterin beziehungsweise Außendienstmitarbeiterin gearbeitet. Dies wird bestätigt durch die vorliegenden Anstellungsverträge vom 16. Mai und 24. Dezember 1997 sowie die Arbeitgeberauskunft vom 8. September 2003 bezüglich der letzten Tätigkeit von Juli bis September 1999. Nach ihren Angaben handelte es sich um leichte bis teilweise mittelschwere Arbeiten. Die Klägerin musste mit dem Pkw weite Strecken zurücklegen, Regale auffüllen und dadurch auch Waren transportieren und Kisten tragen. Diese Tätigkeit kann sie nicht mehr ausüben, denn sie ist nach den eingeholten Sachverständigengutachten nicht mehr in der Lage, mittelschwere Arbeiten zu verrichten. Nach der übereinstimmenden Einschätzung der Sachverständigen Dr. W., Dr. W. und Dr. Sch. kann die Klägerin noch leichte körperliche Arbeiten ohne Einwirkung von Nässe, Kälte und Zugluft verrichten. Ein Transport von Handelswaren mit dem Pkw und ein Auffüllen von Regalen sind ihr damit gesundheitlich nicht mehr möglich.
Damit ist die Klägerin jedoch noch nicht berufsunfähig, denn sie in der Lage, eine sozial zumutbare Verweisungstätigkeit auszuüben. Deren Zumutbarkeit bestimmt sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufes, wozu die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts das sogenannte Mehrstufenschema entwickelt hat. Danach werden die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt und, ausgehend von der Bedeutung, welche die Ausbildung für die Qualität eines Berufes hat, Leitberufen zugeordnet. Sie sind gekennzeichnet durch den Beruf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion beziehungsweise des besonders hochqualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstige Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters (vgl. BSG, Urteil vom 9. Oktober 2007 - Az.: B 5b/8 KN 2/07 R, nach juris).
Bei Angestelltenberufen werden ebenfalls Stufen gebildet und die Verweisbarkeit richtet sich nach den aufgezeigten Grundsätzen. Auf der untersten Ebene (Stufe 1) sind dies Tätigkeiten unausgebildeter bzw. nur kurzzeitig eingearbeiteter Angestellter, deren Anforderungsprofil keine über die Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht hinausgehenden Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert. Es folgen (Stufe 2) Angestelltenberufe mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren und danach (Stufe 3) solche mit einer längeren, regelmäßig dreijährigen Ausbildung. Weitere Gruppen bilden Angestelltenberufe, welche die Meisterprüfung oder den erfolgreichen Abschluss einer Fachschule (Stufe 4), oder ein abgeschlossenes Studium an einer Fachhochschule bzw. wissenschaftlichen Hochschule (Stufe 5) voraussetzen. Schließlich kann für Führungspositionen, die ein Hochschulstudium erfordern und deren Bezahlung die Beitragsbemessungsgrenze erreicht oder überschreitet, eine weitere Gruppe gebildet werden (Stufe 6; vgl. BSG, Urteil vom 09. April 2003 - Az. B 5 RJ 38/02 R, nach juris).
Die Einordnung eines Berufes in dieses Berufsschema erfolgt nicht ausschließlich nach der Dauer der förmlichen Ausbildung, sondern auch nach der Qualität der verrichteten Arbeit, das heißt nachdem auf der Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnden Wert der Arbeit für den Betrieb (vgl. BSG, Urteil vom 9. Oktober 2007, a.a.O.). Innerhalb dieses Berufsgruppenschemas darf ein Versicherter auf die nächst niedrigere Stufe sozial zumutbar verwiesen werden.
Die Klägerin gehört allenfalls der Stufe 2 des für die Angestellten maßgeblichen Berufsgruppenschemas an. Sie erwarb zu keinem Zeitpunkt den qualifizierten Berufsschutz als Facharbeiter im Sinne der sozialgerichtlichen Rechtsprechung. Die erlernte Tätigkeit Fachverkäuferin Elektrowaren existiert heute nicht mehr. Der Abschluss der Verkäuferin erfolgte in der DDR - bis auf wenige hier nicht relevanten Ausnahmen im Lebensmittelbereich - nach einer zweijährigen Ausbildung (vgl. www.berufenet.arbeitsagentur.de, Stichwort: Verkäuferin). Sie hat ihre Tätigkeit nicht aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben. Ob sie die mit der Lehrausbildung erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten bei der von ihr zuletzt verrichteten Tätigkeit der Außendienstmitarbeiterin beziehungsweise Handelsvertreterin verwerten konnte, kann dahingestellt bleiben, denn sie ist keine qualifizierte Tätigkeit im Sinne einer Facharbeitertätigkeit nach dem Berufsgruppenschema des Bundessozialgerichts. Erforderlich sind hierfür ein selbstsicheres und überzeugendes Auftreten sowie ein gepflegtes Erscheinungsbild, aber keine besondere Ausbildung (vgl. www.berufenet.arbeitsagentur.de, Stichwort: Außendienstmitarbeiter). Im Ergebnis ergibt sich auch nichts anderes aus dem Handbuch der Berufe/Berufsprofile für die arbeits- und sozialmedizinische Praxis. Danach erfordert die Vorbereitung auf die Fortbildungsprüfung an schulischen Bildungsstätten zwischen sechs und zwölf Monaten (500 bis 900 Unterrichtsstunden); eine besondere Berufsausbildung wird nicht vorausgesetzt. Selbst wenn diese Voraussetzung vorläge (wofür kein Anhalt besteht), käme keine höhere als Stufe 2 in Betracht. Im Übrigen hat die Klägerin selbst nicht geltend gemacht, eine spezielle Ausbildung hierfür absolviert zu haben.
Angesichts ihrer Zuordnung zur Stufe 2 des Berufsgruppenschemas kann die Klägerin sowohl gesundheitlich als auch sozial zumutbar auf eine Tätigkeit als Poststellenmitarbeiterin verwiesen werden. Nach dem berufskundlichen Sachverständigengutachten der Heike Janke vom 6. Juni 2004 gehört diese Tätigkeit zur Berufsgruppe der Bürohilfskräfte, für die im Allgemeinen keine Berufsausbildung erforderlich ist und bei der fehlende Kenntnis durch Einarbeitung beziehungsweise Anlernen in weniger als drei Monaten erworben werden können. Es sind einfache, wiederkehrende, kaufmännisch verwaltende, körperlich leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen, die überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit zum zeitweisen Gehen und Stehen ausgeführt werden. Zum Teil erfordern sie Umgang mit Kommunikationsmitteln. Soweit in dem Gutachten angegeben wird, dass zum Teil Zwangshaltungen anfallen, ist dies nur dahingehend zu verstehen, dass es sich um eine Körperhaltung im Sinne von längerem Verharren handelt; echte Zwangshaltungen kommen nicht vor.
Nach der Beweisaufnahme steht fest, dass die Klägerin noch mindestens leichte Arbeiten sechs Stunden täglich als Poststellenmitarbeiterin verrichten kann. Nach den Ausführungen aller im Gerichtsverfahren beauftragten Sachverständigen bestehen erhebliche Verschleißerkrankungen ihrer Kniegelenke und Verschleißerkrankungen der Hals- und Lendenwirbelsäule. Hinzugekommen im Verfahren sind Beschwerden im Bereich der Schultergelenke.
Dr. W. hat in ihrem Gutachten vom 16. Mai 2005 insbesondere eine Retropatellararthrose der Kniegelenke mit subjektiven Beschwerden und freier Beweglichkeit der Kniegelenke und ein chronisches zervikales und lumbales vertebragenes Schmerzsyndroms beschrieben. Da dies nicht mit Funktionseinschränkungen der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte oder mit neurologischen Defiziten verbunden war, ist ihre Einschätzung, dass damit keine dauerhafte Leistungsminderung quantitativer Art besteht und leichte Arbeiten sechs Stunden und mehr verrichtet werden können, nachvollziehbar. Zum gleichen Ergebnis kommt das orthopädische Sachverständigengutachten des Dr. Sch. vom 23. November 2009. Auch er diagnostiziert eine arthrotische Veränderung der Kniescheibengelenke, Verschleißerscheinungen im Bereich der Wirbelsäule ohne funktionelles oder neurogenes Defizit. Hinzugekommen sind bei ihm die Schultereckgelenksarthrose rechts und Kalksalzeinlagerungen der Rotatorenmanschette rechts, wobei aufgrund der Untersuchungssituation eine Bewegungsstörung nicht mit Sicherheit festgestellt werden konnte. Aus diesen Leiden resultieren qualitative Leistungseinschränkungen dahingehend, dass der Klägerin insbesondere kniebelastende Tätigkeiten wie auch häufiges Treppensteigen oder Tätigkeiten mit regelmäßigen oder andauernden Überkopfarbeiten nicht mehr zugemutet werden können. Aufgrund der Wirbelsäulenbeschwerden sollen weder Tätigkeiten mit gehäufter Bückbelastung noch mit schwerem Heben und Tragen verrichtet werden. Für die bei der Untersuchung mitgebrachte selbst verordnete Unterarmgehstütze ist eine Notwendigkeit nicht ersichtlich. Eine Reduzierung ihres Gewichts würde voraussichtlich zu einer teilweisen Wiederaufrichtung des Beckens zur normalen Stellung führen. Ausdrücklich bestätigt Dr. Sch., dass die Klägerin als Poststellenmitarbeiterin mehr als sechs Stunden tätig sein kann.
Auch nach dem Gutachten des Dr. W. kann die Klägerin noch leichte körperliche Arbeiten bis sechs Stunden täglich, auch als Poststellenmitarbeiterin, ausüben. Allerdings überzeugt sein Gutachten weder hinsichtlich der gestellten Diagnosen noch bezüglich der Leistungseinschätzung, vor allem zur Einschränkung der Wegefähigkeit. Zu Recht weist Dr. Sch. in seiner Stellungnahme vom 22. Februar 2010 auf die Unzulänglichkeiten der Befunderhebung und Diagnosestellung hin. Inhaltlich ist das Gutachten unschlüssig; die quantitativen Einschränkungen gegenüber dem Vorgutachten werden nicht ausreichend begründet. So berichtet Dr. W. im Bereich des Bewegungsapparates über mäßige Funktionsstörungen; im Vergleich zu dem Gutachten von Dr. W. bestehe im Bereich der Wirbelsäule, im Fuß- und Handbereich keine gravierende progrediente Symptomatik; die beidseitige Schultergelenksymptomatik verursache keine erheblichen Funktionsstörungen. Seine Annahme, dass aus den Kniebeschwerden eine qualitative Leistungsminderung für überwiegend sitzende Tätigkeiten resultiere, ist nicht nachvollziehbar und wird von ihm nicht begründet. Ungenau geschildert und nicht hinterfragt werden subjektive Beschwerden und Reizzustände, die mit deutlichen Einschränkungen hinsichtlich der Belastbarkeit und Gehfähigkeit einhergehen sollen. Der klägerischen Behauptung einer deutlich eingeschränkten Wegefähigkeit von maximal 2 x 500 Metern täglich folgt Dr. W. ohne eigene kritische Bewertung. Ausreichende Anhaltspunkte für ihre Richtigkeit bestehen nicht. Insofern kommt es nicht darauf an, dass die Klägerin gegenüber Dr. W. angegeben hat, sie habe einen Führerschein, aber keinen Pkw. Offensichtlich ist dies unrichtig, denn gegenüber Dr. Sch. hat sie zugegeben, den Pkw ihrer Mutter zu benutzen um diese zu besuchen und zu pflegen. Zur Vollständigkeit weist der Senat darauf hin, dass die von Dr. Wünsche angenommene Einengung des Spinalkanals und der Neuroforamina sowie Bandscheibenprotrusionen im Bereich der Halswirbelsäule von Dr. Sch. nicht bestätigt worden sind; bei Röntgenbildern vom 28. Januar 2009 hat er lediglich eine Höhenminderung in den Bandscheibenräumen C 5/6 und C 6/7 festgestellt.
Soweit die Klägerin die Begutachtungssituation bei Dr. Sch. und dessen Feststellungen angreift, ergeben sich daraus keine Anhaltspunkte für eine eingeschränkte Verwertbarkeit seines Gutachtens. Anhaltspunkte für die behauptete Diskriminierung der Klägerin sind nicht ersichtlich und ergeben sich insbesondere nicht aus dem Hinweisen auf ein Übergewicht im Gutachten.
Die Ergebnisse der im Vorverfahren eingeholten Gutachten stehen den Einschätzungen der Dres. Sch. und W. nicht entgegen.
Mit dem ihrem Restleistungsvermögen ist der Klägerin die oben beschriebene Tätigkeit des Poststellenmitarbeiters gesundheitlich möglich. Es handelt sich um leichte körperliche Arbeiten, die ohne Zwangshaltungen für die Hals- und Lendenwirbelsäule, ohne Gefährdung durch Nässe, Kälte, Zugluft ausgeübt werden können; kniebelastende Tätigkeiten kommen nicht vor, ebenso wenig Überkopfarbeiten. Unwesentlich ist, ob der Klägerin mit dem festgestellten Leistungsvermögen auf eine Tätigkeit als Poststellenmitarbeiter vermittelt werden kann. Das Risiko, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu finden, trägt die Arbeitslosenversicherung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
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