L 6 KR 31/11 B ER

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 30 KR 1164/10 ER
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 KR 31/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

2. Für die Vorwerfbarkeit eines Fristversäumnisses kommt es auf die persönlichen Verhältnisse, insbesondere den Bildungsgrad, an.
Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 29. September 2010 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.

Gründe:

I.

Bezüglich des Sachverhalts nimmt der Senat nach § 142 Abs. 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf die zutreffenden Gründe (I) im Beschluss des Sozialgerichts (SG) Altenburg vom 29. September 2010 Bezug. Ergänzend führt der Senat hierzu wie folgt aus: Der Beschluss vom 29. September 2010, mit dem das SG die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (Az.: S 30 KR 1169/10) gegen den Bescheid vom 15. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 2010 abgelehnt hat, ist dem Beschwerdeführer am 2. Oktober 2010 mit Postzustellungsurkunde zugestellt worden. Laut Aktenvermerk vom 3. November 2010 hat die Steuerberaterin des Beschwerdeführers - A. L. - an diesem Tag bei der Geschäftsstelle der 30. Kammer des SG in Gera angerufen und dort erklärt, sie habe bereits am Vortag beim SG in Altenburg angerufen und die Auskunft erhalten, dass die Geschäftsstelle in Gera zuständig sei. Weiter hat sie ausgeführt, der Beschwerdeführer habe sich an sie gewandt mit der Bitte, sich um den Fall zu kümmern. Er habe ihr nur das Anschreiben des SG zur Verfügung gestellt, das dem Beschluss beigelegen habe. Sie hat nach Möglichkeiten angefragt, etwas gegen den Beschluss zu unternehmen und um Rückruf gebeten. Der Vorsitzende der 30. Kammer hat Frau Lorenz laut Aktenvermerk in einem am gleichen Tag geführten Telefongespräch auf die Notwendigkeit der Vorlage einer Prozessvollmacht hingewiesen und ihr allgemein erläutert, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen eine Wiedereinsetzung erfolgen kann. Am 3. November 2010 haben die Prozessbevollmächtigten eine vom Beschwerdeführer am 3. November 2010 unterzeichnete Prozessvollmacht per Fax an das SG übermittelt. Mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2010 haben sie sich erneut an das SG gewandt und ausgeführt am 2. November 2010 sei beim Verwaltungsgericht Gera Wiedereinsetzung beantragt worden. Der Beschwerdeführer sei der Ansicht gewesen, dass die Frist für die Beschwerde erst am 4. November 2010 ende, da er davon ausgegangen sei, dass hier ähnlich wie im Steuerrecht, eine Postlaufzeit von drei Tagen angenommen werde und damit der 4. November 2010 (gemeint wohl der 4. Oktober 2010) als Tag der Bekanntgabe gelte. Am 6. Januar 2011 ist der Rechtsstreit beim Thüringer Landessozialgericht eingegangen.

Die Berichterstatterin hat den Beschwerdeführer mit Verfügung vom 13. Januar 2011 darauf hingewiesen, dass die Beschwerde nicht innerhalb der Frist des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erhoben wurde und Gründe für eine Wiedereinsetzung nicht ersichtlich sind.

Die Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers haben nach Hinweis, dass eine Vertretung nach § 73 Abs. 2 Nr. 4 SGG nicht möglich ist, das Mandat mit Schriftsatz vom 11. März 2011 niedergelegt.

Der Beschwerdeführer hält an seiner Ansicht fest.

Er beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 29. September 2010 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 15. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 2010 (Az.: S 30 KR 1169/10) und die Aufhebung der Vollziehung anzuordnen.

Die Beschwerdegegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf die Gründe (II.) des Beschlusses des SG vom 29. September 2010.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Beschwerdeakte, der beigezogenen Gerichtsakte des SG Altenburg (Az.: S 30 KR 1169/10) und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beschwerdegegnerin Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidung war.

II.

Die nach § 172 Abs. 1 statthafte Beschwerde ist unzulässig.

Nach § 173 SGG ist die Beschwerde binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung beim Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen; § 181 des Gerichtsverfassungsgesetzes bleibt unberührt. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Landessozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Der mit ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung versehene Beschluss des SG Altenburg vom 29. September 2010 wurde dem Beschwerdeführer nach der in der Akte enthaltenen Postzustellungsurkunde am 2. Oktober 2010 durch persönliche Übergabe (§ 177 der Zivilprozessordnung (ZPO)) zugestellt. Die Frist zur Einlegung der Beschwerde endete somit am 2. November 2010 (§ 64 Abs. 2 SGG). Eine Beschwerde ist bis zum Ablauf des 2. November 2010 beim SG oder beim Thüringer Landessozialgericht nicht eingegangen.

Der Beschwerdeführer hat auch keinen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 Abs. 1 SGG.

Nach § 67 SGG ist, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (Abs. 1). Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (Abs. 2).

Es kann dahinstehen, ob die telefonische Anfrage der Steuerberaterin des Beschwerdeführers am 3. November 2010 - nicht am 2. November 2010 - beim SG, was gegen den Beschluss unternommen werden könne und die am gleichen Tag ohne weitere Erläuterung per Fax übermittelte Prozessvollmacht als Beschwerde und Antrag auf Wiedereinsetzung auszulegen ist, weil nicht ersichtlich ist, dass die Beschwerdefrist ohne Verschulden versäumt worden ist. Dies setzt voraus, dass der Betroffene diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist. Die Versäumnis der Verfahrensfrist darf auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht vermeidbar gewesen sein. Dabei haben juristisch nicht geschulte Privatpersonen ebenfalls eine Sorgfaltspflicht, müssen die Rechtsmittelbelehrung beachten und sich notfalls erkundigen. Für die Vorwerfbarkeit der Fristversäumnis kommt es auf die persönlichen Verhältnisse, insbesondere auch den Bildungsgrad an. Besteht auch nur die Möglichkeit einer unverschuldeten Fristversäumnis, scheidet die Wiedereinsetzung aus (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 67 Rn. 3 und 8, m.w.N.). Im vorliegenden Fall war der Rechtsmittelbelehrung des Beschlusses vom 29. September 2010 eindeutig zu entnehmen, dass die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Beschlusses schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen ist. Hieran war der Beschwerdeführer nicht gehindert. Auch sein Irrtum darüber, wann die Rechtsmittelfrist endet, rechtfertigt nicht sein diesbezügliches Versäumnis.

Bei einem Rechtsirrtum trifft den Beteiligten nur ganz ausnahmsweise dann kein Verschulden, wenn er den Irrtum auch bei sorgfältiger Prüfung nicht vermeiden konnte, was in der Regel zu verneinen ist (vgl. Keller, a.a.O. § 67 Rn. 8a, m.w.N.). Nachdem aus den Akten ersichtlichen intellektuellen Stand des Beschwerdeführers - einem Apotheker - hat der Senat keine Zweifel, dass er die Rechtsmittelbelehrung des Beschlusses verstehen und sich danach richten konnte.

Auch wenn eine der am 3. November 2010 beauftragten Prozessbevollmächtigten bereits am 2. November 2010 beim SG angerufen und dort die Auskunft erhalten hat, dass die Außenstelle Gera zuständig sei, würde dies keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen. Es bestand keine Verpflichtung des SG einer nicht am Verfahren beteiligten Person ohne Prozessvollmacht Auskünfte über das mit Beschluss vom 29. September 2010 abgeschlossene Verfahren zu erteilen. Die Möglichkeit der Einlegung der Beschwerde ergibt sich zudem aus der dem Beschluss vom 29. September 2010 angefügten Rechtsmittelbelehrung. Diesen Beschluss hat der Beschwerdeführer den Prozessbevollmächtigten, an die er sich erst am letzten Tag des Ablaufs der Frist mit dem Auftrag "sich um den Fall zu kümmern" wandte, allerdings nicht ausgehändigt, sondern er hat lediglich das Anschreiben des SG übergeben. Auch hierin ist ein Verschulden des Beschwerdeführers zu sehen, weil er es versäumt hat sicherzustellen, dass die Beschwerde noch innerhalb der Rechtsmittelfrist eingelegt wird.

Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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