L 6 KR 331/09 ER

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 3 KR 3089/08 ER -
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 KR 331/09 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, beim Erlass einer Unterlassungsverfügung auf entsprechenden Antrag hin Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft anzudrohen.
Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,- Euro für jeden Fall des Zuwiderhandelns, ersatzwei-se von Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollziehen an einem vertretungsberechtigten Vorstandsmitglied der Antragsgegnerin, untersagt, im geschäftlichen Verkehr ihre im Freistaat Thüringen wohnhaften Mitglieder durch schriftliche Werbung wie im Schreiben vom 9. Juni 2008 dahingehend zu beeinflussen, dass diese ihre zu Lasten der Antragsgeg-nerin verordneten Medikamente über die E. A. V. beziehen. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,- Euro festgesetzt. Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe:

I.

Der begehrten einstweiligen Anordnung liegt die zwischen den Beteiligten in Streit stehende Verpflichtung der Antragsgegnerin zugrunde, Informationen ihrer Mitglieder über die Inan-spruchnahme einer Versandapotheke zu unterlassen.

Mit Schreiben von Mai 2006 teilte die Antragsgegnerin einer unbekannten Anzahl ihrer Mitglieder unter der Überschrift "Arzneimittel bequem, sicher und preiswert bestellen" u. a. Fol-gendes mit: " ...Deshalb haben wir mit unserem Partner, der E. A. V. für Sie attraktive Vorteile vereinbart. Mit dem Bonussystem der E. A. V. sparen Sie bei jeder Bestellung, etwa bei einem verschreibungspflichtigen Medikament auf Kassenrezept mindestens 2,50 EUR und maximal 15,00 EUR. Sie erhalten diesen Bonus auch, wenn Sie von der Zuzahlung befreit sind. Damit können Sie ihre finanziellen Belastungen für Medikamente deutlich redu-zieren ...Selbstverständlich stehen Ihnen auch weiterhin die Apotheken vor Ort zur Ver-fügung ..." Dem Schreiben war eine Informationsbroschüre der E. A. V. beigefügt.

Mit Schreiben vom 6. Juni 2006, forderte der Antragsteller die Antragsgegnerin unter Hinweis auf den Arznei- und Hilfsmittellieferungsvertrag (AHLV) erfolglos zur Unterlassung und zur Ab-gabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf. Diese ist Vertragspartner des am 1. Sep-tember 2003 in Kraft getretenen und zwischen ihm und den Primärkassen, darunter auch dem BKK Landesverband Ost, abgeschlossenen AHLV.

Im Juni 2008 versandte die Antragsgegnerin wiederum an eine unbekannte Anzahl ihrer Mitglieder Werbebroschüren der niederländischen Versandapotheke E. A. V.und warb in einem Begleit-schreiben unter der Überschrift "Die Dreifach-Garantie der E. A. V.: günstig, sicher und be-quem" u. a. für einen "persönlichen Bonus", den die Versicherten bei dieser Apotheke auf zu-zahlungspflichtige Arzneimittel sowie frei verkäufliche Produkte erhalten. Auf den Inhalt des Schreibens vom 9. Juni 2008 und der Werbebroschüre (Bl. 5 bis 7 der Akte des Sozialgerichts Gotha, Az.: S 3 KR 3089/08 ER) wird Bezug genommen.

Mit seiner am 26. September 2006 vor dem Sozialgericht Gotha (SG) erhobenen Klage hat der Antragsteller von der Antragsgegnerin die Unterlassung der Beeinflussung ihrer Versicherten zu Gunsten einer bestimmten Apotheke, z.B. der E. A. V., begehrt und sich zur Begründung auf Ziffer 2.2 des AHLV, wonach die Versicherten weder von den Apotheken zu Lasten der Krankenkassen noch von den Krankenkassen zugunsten bestimmter Apotheken/Lieferanten beeinflusst werden dürften, berufen. Das SG hat die Antragsgegnerin mit Gerichtsbescheid vom 20. Januar 2009 in der Gestalt des Berichtigungsbeschlusses vom 10. März 2009 verurteilt, es unter Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000,00 EUR für jede Zuwiderhand-lung "zu unterlassen, ihre Versicherten zu beeinflussen, Medikamente in einer bestimm¬ten, namentlich genannten Apotheke, z. B. der E. A. V., zu bestel¬len, insbesondere wenn dies geschieht wie in dem beigefügten Schreiben (mit Anla¬gen) an eine Versicherte vom Mai 2006". Den Streitwert hat es auf 100.000,- Euro festgesetzt. Zur Begründung hat es im We-sentlichen ausgeführt, der Antragsteller könne von der Antragsgegnerin die Abgabe der be-gehrten Unterlassungserklärung verlangen. Dies ergebe sich aus Ziffer 2.2 des AHLV. Danach dürften die Versicherten oder Vertragsärzte weder von den Apotheken zu Lasten der Krankenkassen noch von den Krankenkassen zugunsten bestimmter Apotheken/Lieferanten beeinflusst werden. Die Schreiben der Antragsgegnerin widersprächen dem in dieser Ziffer des AHLV vereinbarten Wett-bewerbsverbot. Mit diesen Schreiben an ihre Versicherten weise die Antragsgegnerin diese auf fi-nanzielle Vorteile hin, die ihnen entstünden, wenn sie ihre Medikamente über der E. A. V. bezögen. Darin sei eine Beeinflussung der Versicherten zu sehen. Demgegenüber falle der Hinweis am Ende der Schreiben, dass auch weiterhin die Apotheken vor Ort genutzt werden könnten, trotz des Fett-drucks nicht ins Gewicht, denn die Vorteile, die beim Bezug von Medikamenten über die E. A. V. bestünden, würden zuvor auf einer Seite dargestellt und es sei außerdem eine Informationsbro-schüre zur Preisgestaltung und zu den Bestellmodalitäten bzgl. der E. A. V. beigefügt worden. Die Mitglieder des Antragstellers seien auch schutzwürdig. Es komme nicht darauf an, ob die Apothe-ke, auf die die Versicherten hingewiesen würden, in den Schutzbereich des Vertrages falle. Ent-scheidend sei, dass nach Sinn und Zweck der Vereinbarung die Vertragspartner vor Beeinflussung zugunsten anderer Anbieter geschützt würden. Auch im Hinblick auf die für die Antragsgegnerin als gesetzliche Krankenkasse bestehenden Auskunfts- und Beratungspflichten nach den §§ 13ff. des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) sowie das Wirtschaftlichkeitsge-bot nach § 12 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) ergebe sich keine andere Beurteilung. Eine Verpflichtung der Krankenkasse, ihre Versicherten über namentlich zu benennende Leistungs-erbringer zu informieren, sehe das Gesetz nicht vor. Die Schreiben der Antragsgegnerin gingen über die allgemeine Information, dass die Möglichkeit bestehe, Medikamente auch über den Ver-sandhandel zu beziehen, hinaus, indem hier eine Apotheke namentlich benannt und die Vorteile des Bezugs über diese Apotheke beschrieben werde. Die begehrte Unterlassung sei auch bezüglich ei-ner Wiederholungsgefahr begründet, wie das Schreiben der Antragsgegnerin an einen Versicher-ten aus dem Jahr 2008 zeige. Schließlich sei im Hinblick auf die Tragweite der vorliegenden Ent-scheidung für den Antragsteller bzw. der zu erwartenden Umsatzeinbußen zugunsten der E. A. V. nicht die Annahme des Regelstreitwerts, sondern die Annahme eines in wettbewerbsrechtli-chen Angelegenheiten üblichen Streitwertes von 100.000,- Euro angemessen.

Mit bereits am 4. Juli 2008 beim SG eingegangenem Schriftsatz hat der Antragsteller unter Hinweis auf das genannte Schreiben der Antragsgegnerin vom 9. Juni 2008 um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht.

Das SG hat das einstweilige Rechtsschutzverfahren mit Verfügung vom 22. April 2009 an den erkennenden Senat abgegeben, nachdem die Antragsgegnerin am 25. Februar 2009 Berufung (Az.: L 6 KR 151/09) gegen den Gerichtsbescheid vom 20. Januar 2009 eingelegt hat.

Der Antragsteller macht geltend, die Anschreiben der Beklagten an ihre Versicherten und das Anpreisen der E. A. V. stellten eine massive Beeinflussung der Versicherten dar. Eine Rechtferti-gung für diese Bevorzugung einer einzelnen Versandapotheke gebe es nicht. Ein Unterlassungs-anspruch folge als allgemeiner Abwehranspruch aus den Artikeln 12 und 3 des Grundgesetzes. Durch diese Artikel sei auch das Recht der Apotheker auf freie Berufsausübung im Wettbewerb ge-schützt. Die Antragsgegnerin sei vergeblich zur Unterlassung aufgefordert worden. Sie habe es ab-gelehnt, eine Unterlassungserklärung abzugeben. Es komme dabei nicht darauf an, ob, wie das Bundessozialgericht im Urteil vom 28. Juli 2008 (Az.: B 1 KR 4/08 R) entschieden habe, die Arzneimittelpreisverordnung für ausländische Apotheken nicht gelte. Auch sei die Antragsgeg-nerin an die Bestimmungen des AHLV gebunden, da sie als Mitglied des BKK-Bundesverbandes auch Vertragspartner des u.a. von diesem abgeschlossenen Rahmenvertrages nach § 129 Abs. 2 SGB V sei. Dieser Rahmenvertrag bestimme in seinem § 2 Abs. 4, dass, so-weit wie hier ergänzende Verträge nach § 129 Abs. 5 SGB V abgeschlossen worden seien, der für den Sitz der Apotheke maßgebende Vertrag anzuwenden sei. Die vorherige Anrufung eines nach dem AHLV zu errichtenden Vertragsausschusses sei nicht zwingend vorgeschrieben. Für die Bemessung des wirtschaftlichen Nachteils, der seinen Mitgliedern durch die beanstandete Werbung entstehen könnte, liefere der von den Versandapotheken erstrebte Anteil am Arznei-mittelumsatz der Apotheken in Höhe von 8 bis 10 v. H., was einem Umsatz von rund drei Mil-liarden Euro entspreche, Anhaltspunkte. Damit könne ein wesentlicher Nachteil angenommen werden. Eine Beschränkung der einstweiligen Anordnung auf Thüringen sei nicht sachgerecht, da dies zu Problemen bei der Anwendung auf Internet-Werbung führe und zudem das Verbot der Beeinflussung nach dem AHLV keine solche Beschränkung vorsehe.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,- Euro für jeden Fall des Zuwiderhandelns, er-satzweise von Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollziehen an einem vertretungsbe-rechtigten Vorstandsmitglied der Antragsgegnerin, zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr ihre Mitglieder, insbesondere durch schriftliche Werbung wie im Schreiben vom 9. Juni 2008, dahingehend zu beeinflussen, dass diese ihre zu Lasten der Antrags-gegnerin verordneten Medikamente über die E. A. V. beziehen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie bestreitet einen Verstoß gegen Ziffer 2.2 AHLV und ist der Auffassung, dass ein Verstoß gegen diese Vereinbarung überhaupt nicht möglich sei. Sie könne mit ihrem Verhalten nicht gegen Ziffer 2.2 AHLV verstoßen, da diese Vorschriften nur die öffentlichen Apotheken schütze, die eine Be-triebserlaubnis in Thüringen hätten und deren Leiter Mitglied des Klägers sei. Auf öffentliche Apo-theken, deren Leiter weder dem Antragsteller angehörten, noch dem Vertrag beigetreten seien, habe der Vertrag keine Rechtswirkung. Die E. A. V. gehöre nicht zu dem vom AHLV geschützten Per-sonenkreis, so dass eine Versicherteninformation der Antragsgegnerin zugunsten dieser Apotheke auch keinen Verstoß gegen Ziffer 2.2 AHLV begründen könne. Jedenfalls habe sie keine Beeinflus-sung im Sinne dieser Vorschrift vorgenommen. Eine Beeinflussung setze vom Wortsinn nach vor-aus, dass die Einfluss nehmende Person einseitig und willkürlich auf einen Dritten positiv wie ne-gativ einwirken könne, wenn dieser der "Beeinflussung" nicht Folge leiste. Eine Beeinflussung liege dann vor, wenn eine Person durch die Gewährung einer Prämie, finanzieller oder materieller Vortei-le in seiner Kaufentscheidung beeinflusst werden solle. Sie nehme durch ihr bloßes Informations-schreiben keinen derartigen Einfluss auf ihre Versicherten. Sie informiere - wie es ihre Aufgabe sei - ihre Versicherten über das Leistungsspektrum und die Möglichkeiten der Inanspruchnahme. Ein Ausschluss von deutschen Apotheken bei der Belieferung sei weder beabsichtigt noch gewünscht. Das Informationsschreiben enthalte den klaren Hinweis, dass den Versicherten selbstverständlich auch weiterhin die Apotheken vor Ort zur Verfügung stünden. Sie habe mit der E. A. V. eine vertrag-lich Vereinbarung nach §§ 53 ff. des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) geschlossen. Des-halb müsse es ihr auch möglich sein auf diesen Vertragspartner hinzuweisen. Zwischen ihr und den Mitgliedern des Antragstellers bestehe zudem keine für die Entscheidung relevante Wettbewerbssi-tuation. Außerdem sei sie zwar originäre Gesellschafterin des BKK-Bundesverbandes, jedoch nicht Vertragspartei des AHLV. Schließlich fehle es an dem Erfordernis, dass die einstweilige Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötige erscheine. Dies sei vom Antragsteller nicht glaubhaft gemacht.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Ge-richtsakten und des Hauptsacheverfahren (Az.: L 6 KR 151/09) Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag des Antragstellers ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang be-gründet.

Er hat einen Anspruch auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung dergestalt, dass der Antragsgegnerin im Wege der Sicherungsanordnung i.S.d. § 86b Abs. 2 Satz 1 des Sozialge-richtsgesetzes (SGG) untersagt wird, im geschäftlichen Verkehr ihre Mitglieder durch schriftli-che Werbung wie im Schreiben vom 9. Juni 2008 dahingehend zu beeinflussen, dass diese ihre zu Lasten der Antragsgegnerin verordneten Medikamente über die E. A. V. beziehen. Diese Un-tersagung ist auf die schriftliche Werbung gegenüber den im Freistaat Thüringen wohnhaften Mitgliedern der Antragsgegnerin zu beschränken.

Zum einen begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, beim Erlass einer – wie hier – Unterlas-sungsverfügung, auf den entsprechenden Antrag des Antragstellers hin Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft nach § 86b Abs. Satz 4 SGG i.V.m. §§ 928, 890 Abs. 1 und 2 der Zivilprozess-ordnung (ZPO) anzudrohen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, Rdnr. 46a zu § 86b m.w.N., Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., Rdnr. 2b zu § 201 m.w.N.).

Zum anderen liegt auch ein Anordnungsanspruch vor. Zur Begründung nimmt der Senat ent-sprechend § 153 Abs. 2 i.V.m. § 136 Abs. 3 SGG auf die Ausführungen des Sozialgerichts im Gerichtsbescheid vom 20. Januar 2009 Bezug. Klarstellend wird auf Folgendes hingewiesen:

Der Einwand, die Antragsgegnerin sei an die Regelungen des zwischen dem Antragsteller und den Landesverbänden der Krankenkassen geschlossenen Arznei- und Hilfsmittellieferungsver-trags nicht gebunden, weil sie weder unmittelbar am Vertragsschluss beteiligt noch Mitglied ei-nes der vertragsschließenden Landesverbände gewesen sei, überzeugt nicht. Verträge auf Lan-desebene begründen eine vertragliche Verpflichtung der Krankenkasse auch in solchen Fällen, in denen die Krankenkasse weder unmittelbar noch - weil sie ihren Sitz in einem anderen Bun-desland hat - als Mitglied eines der vertragsschließenden Verbände am Vertragsschluss beteiligt war, der Kassenart nach jedoch einem der vertragsschließenden Verbände entspricht (vgl. Bun-dessozialgericht (BSG), Urteil vom 17. Januar 1996 - Az.: 3 RK 26/94 = BSGE 77, 194; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 4. Juni 2009 - Az.: L 5 KR 57/09 B ER, nach juris). Dies ist ausweislich Ziffer 1.2 Abs. 1 des AHLV ausdrücklich der Fall: Die Antragsgegnerin ist zwar nicht Mitglied des BKK-Landesverbandes Ost, der Vertrag hat jedoch auf sie, als Betriebskran-kenkasse mit Sitz außerhalb Thüringens, "Rechtswirkung". Letztlich räumt sie dies selbst ein.

Ihren weiteren Einwand, für das in Ziffer 2.2 AHLV normierte Beeinflussungsverbot habe den ver-tragsschließenden Parteien das Regelungsmandat gefehlt, dies hätte vielmehr im Rahmenvertrag ge-mäß § 129 Abs. 2 SGB V geregelt werden müssen, kann der Senat nicht nachvollziehen. Im Geset-zeswortlaut findet diese Auslegung keine Stütze, insbesondere folgt dies nicht aus dem Umstand, dass nach § 129 Abs. 4 SGB V im Rahmenvertrag Sanktionsbestimmungen, betreffend Verstöße ge-gen gesetzliche Verpflichtungen, sowie die sich aus den abgeschlossenen Verträgen nach Absatz 1 und 5 ergebenden Verpflichtungen, zu regeln sind. Dies setzt gerade voraus, dass auch im ergänzen-den Vertrag nach § 129 Abs. 5 SGB V, hier dem AHLV, Verpflichtungen geregelt werden können. Und nachdem der Rahmenvertrag kein solches Beeinflussungsverbot enthält, bestehen für den Senat keinerlei rechtliche Bedenken, ein solches Verbot im ergänzenden Vertrag, hier also dem AHLV, zu normieren.

Ob darüber hinaus die E. A. V. nicht zu dem vom AHLV geschützten Personenkreis gehört, mit der Folge dass eine Versicherteninformation nach Ansicht der Antragsgegnerin zugunsten dieser Apotheke auch keinen Verstoß gegen Ziffer 2.2 AHLV begründen könne, kann dahin stehen, denn jedenfalls gehört der Antragsteller und dessen Mitglieder zu dem vom AHLV geschützten Personen-kreis. Zudem besteht nach Überzeugung des Senats sehr wohl eine Wettbewerbssituation zwischen der E. A. V. und den Mitgliedern des Antragstellers, da sich deren Geschäftsfelder zumindest teilweise decken. Auf den Umstand, das die E. A. V. als ausländische Apotheke aufgrund ge-setzlicher Bestimmungen befugt sei, "anders am Markt" zu agieren, kommt es dabei nicht an, denn dies beseitigt nicht die grundsätzliche Wettbewerberstellung und ist außerdem nicht Ge-genstand der begehrten einstweiligen Anordnung.

Letztlich stellen die Schreiben der Antragsgegnerin vom Mai 2006 und 9. Juni 2008 und die Übersendung der Werbebroschüre samt Freiumschlag, wie die Vorinstanz im Gerichtsbescheid zutreffend ausgeführt hat, eine Beeinflussung der Versicherten der Antragsgegnerin dar. Die Grenze der sachlichen und neutralen Information wird hierdurch auch nach Überzeugung des Senats überschritten, insbesondere hat der Hinweis auf das Bonussystem Anlockwirkung. Die Übersendung der Broschüre und der Freiumschläge unterstreichen das Vorliegen einer Beein-flussung im Sinne der Ziffer 2.2 des AHLV, denn hierin ist keinerlei Informationswert zu er-kennen, vielmehr handelt es sich dabei um eine unzulässige Werbemaßnahme. Bestätigt wird dies außerdem dadurch, dass z.B. im Schreiben vom 9. Juni 2008 im Fettdruck darauf hinge-wiesen wird, dass für freiverkäufliche Produkte ein "Bonus zwischen 10% und bis zu 40% auf den vom Hersteller empfohlenen Verkaufspreis" gewährt werde. Freiverkäufliche Arzneimittel fallen jedoch nicht in die Sachleistungspflicht der Krankenkassen, so dass hierin unzweifelhaft eine unzulässige Werbemaßnahme zugunsten der E. A. V. zu sehen ist.

Schließlich besteht auch ein Anordnungsgrund. Wird, wie hier, der Erlass einer Sicherungsan-ordnung i.S.d. § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG begehrt, so ist ein Anordnungsgrund immer dann gege-ben, wenn die Gefahr einer Rechtsvereitelung oder Erschwerung der Rechtsverwirklichung durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes droht, wobei Tatsachen vorliegen müssen die auf eine unmittelbar bevorstehende Veränderung schließen lassen (sogenannte konkrete und objektive Gefahr; vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., Rdnr. 27a zu § 86b). Dies ist hier der Fall, denn die Antragsgegnerin versucht mit ihren unzulässigen Werbemaß-nahmen das (Markt-)Verhalten ihrer Versicherten zu Lasten der Mitglieder des Antragsgegners dauerhaft zu beeinflussen und damit vollendete Tatsachen zu schaffen, die auch durch den Er-folg einer Unterlassungsklage nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten. Unerheblich ist dabei entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin, dass der Antragsteller keine ausreichenden Angaben zum Umfang der zu erwartenden wirtschaftlichen Einbußen seiner Mitglieder machen könne, da dies lediglich bei der Bestimmung des wesentlichen Nachteils im Rahmen der Prü-fung einer Regelungsanordnung i.S.d. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG von Bedeutung wäre.

Allerdings hält es der Senat für geboten, den Geltungsumfang der einstweiligen Anordnung auf die im Freistaat Thüringen wohnhaften Mitglieder der Antragsgegnerin zu beschränken und dementsprechend den weitergehenden Antrag des Antragstellers abzulehnen. Es ist nicht nach-vollziehbar, dass wirtschaftliche Nachteile dadurch drohen sollten, dass Versicherte außerhalb des Einzugsbereichs der Mitglieder des Antragstellers künftig Arzneimittel über die Versand-apotheke bestellen könnten. Selbst wenn der Umsatz in einzelnen Fällen hierdurch betroffen sein könnte, hält der Senat eine Begrenzung der Untersagungsverfügung im Wege der Einstwei-ligen Anordnung auf im Freistaat Thüringen wohnhafte Versicherte für sachgerecht. Auch hin-sichtlich des Hinweises des Antragstellers auf gegebenenfalls erfolgende Internet-Werbung der Antragsgegnerin ist es dem Antragsteller zumutbar, das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens ab-zuwarten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Dabei waren die Kosten der Antragsgegnerin ganz auf-zuerlegen, da der Antragsteller nur zu einem ganz geringen Teil unterlegen ist.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 197a SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 4 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Der Senat richtet sich dabei nach der Empfehlung des Streit-wertkataloges für die Sozialgerichtsbarkeit, Stand 1. April 2009 (z.B. in NZS 2009, S. 427ff.), der für Streitigkeiten im Krankenversicherungsrecht, Mitgliederwerbung betreffend, den Auf-fangstreitwert vorschlägt, da das wirtschaftliche Interesse nicht beziffert werden könne. Dies erachtet der Senat entsprechend auch auf den vorliegenden Fall der Unterlassung unzulässiger Beeinflussung für maßgebend. Insbesondere bietet der Sach- und Streitstand keinerlei Anhalts-punkte für eine objektive wertmäßige Bemessung der befürchteten Umsatzeinbußen der Mit-glieder des Antragstellers. Auch ein Rückgriff auf den in wettbewerbsrechtlichen Angelegen-heiten üblichen Streitwert scheidet hier aus, da zwischen der Antragsgegnerin und dem An-tragsteller bzw. dessen Mitgliedern keine wettbewerbsrechtliche Beziehung besteht. Eine Re-duktion des Auffangwertes wegen der Vorläufigkeit der Einstweiligen Anordnung unterbleibt im vorliegenden Falle, da sie in ihren Wirkungen die Hauptsacheentscheidung vorweg nimmt und für die Vergangenheit nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG; §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 4 GKG).
Rechtskraft
Aus
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