L 11 R 584/12 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 1 R 3934/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 584/12 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 02.01.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist statthaft und zulässig. Sie ist nicht nach § 172 Abs 3 Nr 1 SGG in der seit 11.08.2010 geltenden Fassung des Art 6 Drittes Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 05.08.2010 (BGBl I S 1127) ausgeschlossen. Denn in der Hauptsache wäre die Berufung nicht unzulässig, da der Antragsteller die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer beruflichen Rehabilitationsmaßnahme in einer Werkstätte für behinderte Menschen beantragt. Es handelt sich bei den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben um eine laufende Leistung von mehr als ein Jahr (§ 144 Abs 1 Satz 2 SGG). Außerdem ist - ohne weitere Ermittlungen - davon auszugehen, dass der Beschwerdewert vom 750,- EUR (§ 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG) überschritten wäre.

Die Beschwerde ist aber unbegründet. Das SG hat die Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz im Wege des einstweiligen Rechtschutzes zu Recht abgelehnt.

Nach § 86b Abs 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs 2 Satz 2 SGG). Ein Anordnungsgrund ist dann gegeben, wenn der Erlass der einstweiligen Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs 2 Satz 2 SGG). Dies ist der Fall, wenn es dem Antragssteller nach einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Keller in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG § 86b Rdnr 28). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 ZPO). Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage aufgrund einer summarischen Prüfung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (BVerfG, 02.05.2005, 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237, 242).

Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung sind nicht erfüllt; es fehlt an einem Anordnungsanspruch. Ob hier eine besondere Eilbedürftigkeit iSd Anordnungsgrundes glaubhaft gemacht ist, kann der Senat offen lassen.

Die Antragsgegnerin ist für die beantragte Maßnahme zuständig. Rehabilitationsträger kann nur der gemäß § 14 Abs 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) erstangegangene oder der im Wege der Weiterleitung zweitangegangene Rehabilitationsträger sein. Werden Leistungen zur Teilhabe beantragt, stellt der Rehabilitationsträger gemäß § 14 Abs 1 Satz 1 SGB IX innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrages bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist; bei den Krankenkassen umfasst die Prüfung auch die Leistungspflicht nach § 40 Abs 4 SGB V. Wird der Antrag nicht weitergeleitet, stellt der Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf gemäß § 14 Abs 2 Satz 1 SGB IX unverzüglich fest. Die Zuständigkeit nach § 14 Abs 1 und 2 SGB IX ist gegenüber dem behinderten Menschen eine ausschließliche Zuständigkeit. § 14 SGB IX zielt darauf ab, zwischen den betroffenen behinderten Menschen und Rehabilitationsträgern die Zuständigkeit schnell und dauerhaft zu klären. Der zuständige Träger hat deshalb den Anspruch des Leistungsberechtigten an Hand aller Rechtsgrundlagen zu prüfen ist, die überhaupt in der konkreten Bedarfssituation für Rehabilitationsträger vorgesehen sind (BSG 26.06.2007, B 1 KR 36/06 R, SozR 4-2500 § 40 Nr 4; und vom 26.10.2004, B 7 AL 16/04 R, SozR 4-3250 § 14 Nr 1). Die Leistungen wurden vorliegend bei der Antragsgegnerin beantragt. Anhaltspunkte dafür, dass ein Antrag zuvor bei einem anderen Leistungsträger gestellt wurde, liegen bislang nicht vor. Die Antragsgegnerin hat den Antrag auch nicht an einen anderen Rehabilitationsträger weitergleitet. Sie ist allein deswegen zuständig.

Der Träger der Rentenversicherung erbringt gem § 16 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach den §§ 33 bis 38 SGB IX sowie im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich der Werkstätten für behinderte Menschen nach § 40 SGB IX; vorliegend kommt – nach dem bisherigen Vortrag des Antragstellers – in erster Linie eine Leistung nach § 40 Abs 1 Nr 2 SGB IX in Betracht. Persönliche Voraussetzungen einer solchen Leistung ist ua (§ 9 Abs 1, § 10 Abs 1 SGB VI), dass die Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist. Hinzukommen muss, dass bei erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben abgewendet werden kann (§ 10 Abs 1 Nr 2a SGB VI) oder bei geminderter Erwerbsfähigkeit diese durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann (§ 10 Abs 1 Nr 2b SGB VI).

Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung geht der Senat davon aus, dass – bei unterstellter Gefährdung bzw Minderung der Erwerbsfähigkeit – die vom Antragsteller begehrte Leistung einer beruflichen Rehabilitation in einer Werkstätte für Behinderte voraussichtlich nicht dazu führen wird, ihn dauerhaft in das Erwerbsleben wieder einzugliedern. Die Leistung zur Teilhabe muss aber unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls im Hinblick auf die beabsichtigte Erhaltung bzw Besserung der Erwerbsfähigkeit erfolgsversprechend sein. Für die erforderliche Rehabilitationsprognose reicht die entfernt liegende Möglichkeit nicht; Voraussetzung ist vielmehr, dass der Erfolg der Leistung wahrscheinlich ist. Die Rehabilitationsprognose kann ua dann negativ ausfallen, wenn der Versicherte nicht rehabilitationsfähig ist, was unter Berücksichtigung seiner körperlichen sowie geistigen Leistungsfähigkeit, seiner Motivation und seines Alters zu beurteilen ist (vgl BSG vom 20.10.2009, B 5 R 44/08 R, BSGE 104, 294; 17.10.2006, B 5 RJ 15/05 R, SozR 4-2600 § 10 Nr 2).

Der Senat geht davon aus, dass eine positive Rehabilitationsprognose nicht gestellt werden kann. Dies ergibt sich zum einen aus dem vom Antragsteller mitgeteilten Umstand, dass er am 17.01.2012 erneut einen Zusammenbruch erlitten hat, und aus der im Beschwerdeverfahren vorgelegten ärztlichen Bescheinigung des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Sch. vom 13.01.2012. Danach leidet der Antragsteller aktuell an einer mittelgradigen bis schweren Depression, weshalb er sich in ambulanter psychiatrischer Behandlung bei Dr. Sch. befindet. Allein diese akut behandlungsbedürftige Gesundheitsstörung dürfte dem Erfolg einer beruflichen Rehabilitationsmaßnahme – auch in einer Werkstatt für Behinderte (§ 136 SGB IX) – entgegenstehen. Dies folgt umso mehr aus dem Umstand, dass Dr. Sch. sogar von Suizidalität ausgeht. Sollte diese vorliegen, wäre eine akute Krankenbehandlung bzw Psychotherapie notwendig, jedoch nicht eine berufliche Rehabilitationsmaßnahme. Soweit der Antragsteller zusammen mit Dr. Sch. in der Gewährung einer beruflichen Rehabilitationsmaßnahme die Möglichkeit sieht, eine drohende Suizidalität abzuwenden, so begehrt er letztlich eine mittelbare Krankenbehandlung. Hierfür ist aber weder eine berufliche Rehabilitationsmaßnahme geeignet noch ist die Antragsgegnerin für Krankenbehandlungen primär zuständig. Letzteres ist vielmehr die Aufgabe der zuständigen Krankenkasse.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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