L 5 R 2905/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 2578/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 2905/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 8.6.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Weitergewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1957 in der T. geborene Klägerin (GdB 70) hat keinen Beruf erlernt. Zuletzt war sie bis November 2002 als Küchenhilfe versicherungspflichtig beschäftigt.

Am 21.1.2004 beantragte die Klägerin erstmals Rente wegen Erwerbsminderung. Zuvor hatte sie vom 4.2. bis 4.3.2003 eine stationäre Rehabilitationsbehandlung in der R.klinik, Bad R., absolviert. Im Entlassungsbericht vom 10.3.2003 sind die Diagnosen weichteilrheumatisches Schmerzsyndrom, z. n. Myositis (DD: Fibromyalgie, Spondylarthropathie, Morbus Bechterew), V. a. somatoforme Schmerzstörung, Cervicobrachialgie links und Adipositas festgehalten. Die Klägerin könne als Küchenhilfe 6 Stunden täglich und mehr arbeiten und in gleichem Umfang leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) verrichten.

Die Beklagte (deren Rechtsvorgängerin) ließ die Klägerin vom ärztlichen Dienst der L. begutachten. Diagnostiziert wurden eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichter Ausprägung, eine somatoforme Schmerzstörung, eine dissoziative Empfindungsstörung linker Arm, V. a. entzündlich rheumatische Erkrankung i. S. einer Myositis, rezidivierende Rückenschmerzen bei Fehlhaltung der Wirbelsäule ohne Funktionsbeeinträchtigung, bekannte Thalassämia minor sowie extreme Adipositas Grad III. Die Klägerin könne überwiegend leichte Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen) 6 Stunden täglich und mehr verrichten (Gutachten der Internistin und Sozialmedizinerin G. vom 4.5.2004 und des Neurologen und Psychiaters Dr. G. vom 26.4.2004: nur leicht beeinträchtigte affektive Schwingungsfähigkeit, Psychomotorik und Antrieb unauffällig).

Mit Bescheid vom 10.5.2004 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Den dagegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 12.8.2004 zurück. Die deswegen am 9.9.2004 beim Sozialgericht Heilbronn erhobene Klage (Verfahren S 10 RJ 2756/04) wurde am 13.1.2005 zurückgenommen.

Am 17.3.2005 beantrage die Klägerin erneut Rente wegen Erwerbsminderung. Mit Bescheid vom 23.3.2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid vom 27.7.2005) erhob die Klägerin am 23.8.2005 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (Verfahren S 11 R 2681/05). Das Sozialgericht befragte behandelnde Ärzte und erhob Gutachten: Neurologin und Psychiaterin Dr. O.-P. vom 25.1.2007: u.a. schwere depressive Episode, Leistungsfähigkeit unter 3 Stunden täglich; Orthopäde Dr. Th. vom 31.1.2007: derzeit - u.a. wegen der schweren depressiven Episode - Leistungsfähigkeit unter 3 Stunden täglich). Die Beteiligten beendeten das Klageverfahren durch einen Vergleich, aufgrund dessen die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 10.5.2007 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 1.10.2006 bis 31.1.2009 bewilligte (monatlicher Zahlbetrag: 822,98 EUR).

Unter dem 20.11.2008 beantragte die Klägerin, die Erwerbsminderungsrente über den 31.1.2009 hinaus weiter zu gewähren. Zuvor hatte sie vom 18.12.2007 bis 8.1.2008 eine stationäre Rehabilitationsbehandlung in der Klinik H., Bad M., absolviert (Anschlussheilbehandlung nach Bandscheibenoperation), aus der sie ohne sozialmedizinische Problematik entlassen wurde (Bericht vom 17.1.2008).

Die Beklagte erhob das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. H. vom 17.2.2009. Dieser diagnostizierte eine Dysthymie sowie somatoforme Schmerzangaben. Es bestehe keine mittelschwere oder schwere depressive Symptomatik. Affekt, Antrieb und Psychomotorik seien unauffällig. Die Klägerin gehe in Zeitabständen von 4 bis 6 Wochen in ambulante nervenärztliche Behandlung. Die Lebensführung sei nicht eingeschränkt (T. im letzten Jahr). Das dargebotene Verhalten unterliege der Rentenmotivation. Die Einzelkraftprüfung des linken Großzehs weise aggravatorischen Charakter auf, ebenso das demonstrativ langsame Verhalten. Die Klägerin könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) 6 Stunden täglich und mehr verrichten und in gleichem Umfang als Küchenhilfe arbeiten.

Mit Bescheid vom 5.3.2009 lehnte die Beklagte den Weiterbewilligungsantrag ab. Den dagegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte (nach Einholung von Befundberichten behandelnder Ärzte) mit Widerspruchsbescheid vom 3.7.2009 zurück.

Am 23.7.2009 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Heilbronn. Ungeachtet des T.urlaubs im Sommer 2008 mit einer kurzfristigen Besserung des Gesundheitszustandes sei es ab Herbst 2008 wieder zu einer erheblichen Verschlechterung der Depressionserkrankung gekommen. Der Schwerpunkt ihres Krankheitsbildes liege auf psychiatrischem Fachgebiet. Ihr sei rückwirkend zum 1.10.2010 die Pflegestufe I zuerkannt worden (Gutachten des MDK vom 1.12.2010).

Das Sozialgericht befragte behandelnde Ärzte und erhob das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. B. vom 15.4.2010 sowie auf Antrag der Klägerin gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Dr. Sch. (Chefarzt der Klinik für Allgemeinpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik I des Psychiatrischen Zentrums N.) vom 23.12.2010. Die Beklagte legte beratungsärztliche Stellungnahmen vor.

Das Kreiskrankenhaus T. (psychiatrische Ambulanz) berichtete unter dem 6.11.2009 über Behandlungen der Klägerin (15.3. bis 19.4.2006; 13.10. bis 17.11.2006, 14.4. bis 13.5.2009, 9.9. bis 8.10.2009 jeweils wegen rezidivierender schwerer depressiver Episoden); derzeit fänden Behandlungen in Abständen von ca. 3 bis 4 Wochen statt. Leichte Tätigkeiten seien höchstens 2 Stunden am Tag möglich. Beigefügt war (u.a.) ein Bericht der Klinik vom 21.10.2009. Darin ist ausgeführt, Aufnahmeanlass der letzten Behandlung sei (u.a.) das Fehlen einer Perspektive vor dem Hintergrund einer Verschuldungssituation, einer familiären Konfliktsituation sowie nicht bewilligter Rentenfortzahlung. Die Klägerin habe angegeben, vermutlich nur durch die Gewährung einer Rente wieder genesen zu können. Noch bevor man eine Belastungserprobung habe beantragen können, habe die Klägerin einen positiven Bescheid über die Fortzahlung ihrer Rente bekommen. Nach Erhalt dieses Schreibens sei sie affektiv wie umgewandelt erschienen. Sie habe sofort aufgehellt, sich mit Antrieb und Elan präsentiert und habe auf eigenen Wunsch binnen 2 Tagen stabilisiert in das häusliche Umfeld entlassen werden können. Der Allgemeinarzt Dr. M. vertrat im Bericht vom 7.12.2009 die Auffassung, die Klägerin könne nur unter 3 Stunden täglich arbeiten.

In der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 9.2.2010 führte Dr. Sch. aus, ein operativ behandelter Bandscheibenvorfall habe nach erfolgreicher Rehabilitationsbehandlung nur eine diskrete Fußheberschwäche links ohne funktionelle Bedeutung hinterlassen. Auf organischer Ebene habe sich im Übrigen nichts Wesentliches verändert. Aus orthopädischer Sicht bestehe keine Minderung des zeitlichen Leistungsvermögens. Fraglich sei, ob die Klägerin (wie vom Kreiskrankenhaus T. berichtet) nicht nur ihre Familie, sondern auch das Psychiatriesystem instrumentalisiere. Insgesamt gebe es deutliche Anhaltspunkte für bewusstseinsnahes Tendenzverhalten.

Dr. B. erhob eine eingehende Exploration einschließlich des Tagesablaufs der Klägerin (u.a. Putzen, Gartenarbeit, Handarbeit im Garten bei schönem Wetter, Lesen, Spazierengehen, Fernsehen, Einladung von Freundin mit gemeinsamem Kochen oder Treffen im Café in der Stadt, Urlaub im eigenen Haus in der T. u.a., alle 4 bis 5 Wochen zur psychiatrischen Ambulanz der Klinik T.). Der Gutachter fand dabei (u.a.) ausgesprochen demonstrativ anmutende Tendenzen (wie regressive Attitüden bis hin zu demonstrativ fast pseudodementem Aspekt) und keinerlei Hinweise für vorzeitige Ermüdung oder Erschöpfung. Die inhaltlich wie affektiv lebendige Auslenkbarkeit bilde keine überdauernde, etwa depressive (Antriebs-)Störung ab, die auf weiterreichende Leistungseinschränkungen schließen lasse. Die Ausführungen im Gutachten des Dr. H. seien auch als ausgesprochenes "Agieren" zu interpretieren; dem könne er nur zustimmen, da dies die jetzige Untersuchung deutlich gezeigt habe, bei der der Krankheitsgewinn bzw. der Rentenwunsch im Vordergrund gestanden habe. In der Zusammenschau (der vorliegenden Arztberichte) müsse rückblickend von einem ganz vorrangig von Versorgungswünschen bestimmten, in wesentlichen Anteilen nicht der willentlichen Kontrolle entzogenen Krankheitsverhalten ausgegangen werden, auch wenn das Beschwerdevorbringen mit Simulation nicht angemessen zu beschreiben sei. Dr. B. diagnostizierte akzentuierte Persönlichkeitszüge mit unreifen, affektlabilen, auch histrionischen, aber auch nachhaltig beharrlichen Zügen und gleichzeitig geringer Frustrationstoleranz (keine Antriebsstörung, durchaus lebendige affektive Resonanz), eine Neigung zu funktioneller Ausweitung/Überlagerung der somatischen Anamnese im Sinn einer somatoformen Schmerzstörung, bei vorbeschriebenen rezidivierenden depressiven Episoden keinen Anhalt für eine überdauernde, sozialmedizinisch richtungweisende depressive Symptomatik, einen Zustand nach lumbaler Bandscheibenoperation mit (rein) sensibler Restsymptomatik, neurologisch/elektrophysiologisch ohne überdauernde motorische Ausfälle bzw. Vorderwurzelläsion und Beschwerden im Bereich des Bewegungsapparates (keine Paresen, keine Atrophien) ohne zusätzliche neurologische Komplikationen und Adipositas (110 kg, 160 cm). Die (vielfältigen) Aktivitäten im außerberuflichen Bereich (Alltag/Freizeit) ließen nicht auf psychisch begründete weiterreichende, etwa zeitliche, Leistungseinschränkungen schließen. Die Klägerin könne leichte bis zum Teil mittelschwere Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen) vollschichtig verrichten.

Dr. Sch. führte am 29.11 und 10.12.2010 (ebenfalls) eine eingehende Exploration und Untersuchung (u.a. problemloses Aus- und Anziehen der Socken bei der körperlich-neurologischen Untersuchung trotz der Angabe, hierfür eine halbe Stunde zu brauchen, Ent- und Ankleiden koordiniert und selbständig, keine schmerztypischen Verhaltensweisen) durch und diagnostizierte in seinem auf Antrag der Klägerin gem. § 109 SGG erstatteten Gutachten eine dysthyme Störung (Stimmungslage depressiv herabgemindert, emotionale Schwingungsfähigkeit eingeengt, jedoch nicht aufgehoben, keine Antriebshemmung), eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert, und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Bei einem Beschwerdevalidierungsverfahren habe sich eine instruktionswidrig mindere Anstrengungsleistung ergeben (u.a. Werte weit unter denjenigen kooperativer, dementer oder kooperationswilliger mittelgradig bis schwer hirnverletzter Probanden). Die in den Prüfungen des verbalen Gedächtnisses gezeigten Leistungen entsprächen nicht den tatsächlichen Fähigkeiten der Klägerin. Hinsichtlich der Angaben zu Beschwerden und funktionellen Beeinträchtigungen hätten sich Hinweise auf negative Antwortverzerrungen ergeben (etwa hinsichtlich der Fähigkeit zum Ent- und Ankleiden). Man werte die organisch nicht begründbaren Schmerzangaben und Diskrepanzen bei der Funktionsprüfung nicht als Ausdruck von Simulation oder Aggravation, sondern als Ausdruck typischer Verdeutlichungstendenzen, wie sie bei der Begutachtung von Schmerzpatienten mit gewisser Regelmäßigkeit aufträten. Als Küchenhilfe könne die Klägerin wegen orthopädischer Gesundheitsstörungen nur unter 3 Stunden täglich arbeiten, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) aber mindestens 6 Stunden täglich verrichten. Der Einschätzung des Dr. B. werde zugestimmt. Das festgestellte Leistungsbild liege mindestens seit Anfang 2009 (Gutachten Dr. H.) vor. Eine Therapiemotivation der Klägerin bestehe gegenwärtig nicht.

Die Klägerin verwies auf (weitere) Arztbriefe der Psychiatrischen Institutsambulanz des Kreiskrankenhauses T. vom 17.4.2010 und 14.6.2010; diese seien Dr. B. nicht bekannt gewesen. Außerdem legte sie das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung B.-W. (MDK, Dr. F.-O.) zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit vom 1.12.2010 vor; die Untersuchung der Klägerin hatte am 30.11.2010 stattgefunden (Unfähigkeit, allein vom Sofa aufzustehen, Stützung durch Pflegeperson, Benutzung von Unterarmkrücken, alle Bewegungen nach Angaben der Klägerin von Schmerzen begleitet; Unfähigkeit zum Anziehen von Schuhen und Strümpfen; Hoch- und Runterstreifen der Kleidung ohne Hilfe nicht möglich; pflegebegründende Diagnosen u.a. Depression mit Antriebs- und Interesselosigkeit sowie chronisches Schmerzsyndrom; Empfehlung der Pflegestufe I).

Mit Gerichtsbescheid vom 8.6.2011 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, der Klägerin stehe Erwerbsminderungsrente über den 31.1.2009 hinaus nicht zu. Sie könne leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts nämlich (wieder) mindestens 6 Stunden täglich verrichten und sei deswegen nicht (mehr) erwerbsgemindert (§ 43 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch, SGB VI). Rentenberechtigende Leistungsminderungen lägen insbesondere auf psychiatrischem Fachgebiet nicht vor. Das hätten die Gutachter Dres. H., B. und Sch. überzeugend festgestellt. Abweichende Auffassungen behandelnder Ärzte, die zudem aus Befunden nicht hinreichend begründet seien, seien dadurch widerlegt. Auch auf orthopädischem Fachgebiet bestünden keine rentenberechtigenden Leistungseinschränkungen. Die Ausführungen im (Pflege-)Gutachten des MDK vom 1.12.2010, wonach sich die Klägerin nicht mehr alleine vom Sofa erheben könne, von einer Pflegeperson gestützt werde, zum Gehen Unterarmkrücken verwende und sich damit nur langsam bewegen könne, Körperdrehungen ebenfalls nur langsam möglich seien und Hilfe beim Hoch- und Runterstreifen der Kleidung erforderlich sei, stünden in krassem Gegensatz zu den Feststellungen des Dr. Sch ... Bei dessen Untersuchung am 29.11.2010 – am Vortag der Untersuchung durch den MDK – habe die Klägerin die Kleidung koordiniert und reibungslos ablegen und sich problemlos beim Sockenausziehen bücken können. Dr. Sch. habe zu Recht auf erhebliche Diskrepanzen zwischen den Angaben der Klägerin zu ihren krankheitsbedingten Beschwerden und den tatsächlich bestehenden funktionellen Beeinträchtigungen hingewiesen. Ein arbeitspsychologisches Gutachten sei nicht erforderlich, da nach den Gutachten der Dres. H., B. und Sch. keine Zweifel an der Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit der Klägerin bestünden. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) komme für die auf den allgemeinen Arbeitsmarkt breit verweisbare Klägerin nicht in Betracht.

Auf den ihr am 15.6.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 12.7.2011 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, Dr. Sch. habe ihr Verhalten nicht als Ausdruck von Simulation oder Aggravation, sondern als Ausdruck typischer Verdeutlichungstendenzen werten wollen, wie sie bei der Begutachtung von Schmerzpatienten mit gewisser Regelmäßigkeit aufträten. Wenngleich das Gutachten des MDK vom 1.12.10 mit den Erkenntnissen der Rentengutachter kaum in Einklang zu bringen sei, habe sie vom MDK immerhin die Zuerkennung der Pflegestufe I und entsprechende Leistungen der Krankenkasse erwirken können. Man möge die Pflegekraft und ihre ebenfalls pflegenden Angehörigen zum Pflegeaufwand und zu den Hilfeleistungen im Haushalt befragen. Ihr Beschwerdebild sei möglicherweise wegen des Rentenverfahrens stark schwankend, wobei es offenbar auch zu Missverständnissen gekommen sei. Den Urlaub in der T. habe sie seinerzeit unternommen, um noch einmal die Heimat zu sehen. Arbeit sei für sie jedenfalls nicht mehr vorstellbar, zumal bei ihr auch fehlende Arbeitsmarktnähe vorliege und sie nicht mehr vermittelbar sei. Man möge ein weiteres Gutachten erheben und etwa klären, ob sie über die nötige Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit verfüge, um auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den dort herrschenden Konkurrenzverhältnissen wieder Fuß fassen zu können.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 8.6.2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 5.3.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3.7.2009 zu verurteilen, ihr über den 31.1.2009 hinaus Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung, zu gewähren, hilfsweise, zum Beweis des aktuellen Pflegeaufwands die Zeugen A. W., M. C. und H. C. zu vernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung wären am 04.01.2012 erfüllt.

Die Klägerin hat noch eine Rechnung über Pflegetätigkeiten für Juli 2011 (225 EUR) vorgelegt (lx täglich Unterstützung der Grundpflege z. B. Waschen, Zähneputzen, Kämmen usw., lx wöchentlich Duschen/Baden, 2x wöchentlich Haare waschen, 2x täglich Hilfe beim Richten der Mahlzeiten, 1x wöchentlich körperlich schwere hauswirtschaftliche Tätigkeiten wie z.B. Fenster putzen, Wäsche usw.).

Wege der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143, 144, 151 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, ihr über den 31.1.2009 hinaus Erwerbsminderungsrente zu gewähren. Sie hat darauf keinen Anspruch.

Das Sozialgericht hat in seinem Gerichtsbescheid zutreffend dargelegt, nach welchen Rechtsvorschriften (§§ 43, 240 SGB VI) das Rentenbegehren der Klägerin zu beurteilen ist, und weshalb ihr danach Rente über den 31.1.2009 hinaus nicht mehr zusteht. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beteiligten anzumerken:

Auch der Senat ist der Auffassung, dass die Klägerin leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) – jedenfalls (wieder) seit 31.1.2009 - mindestens 6 Stunden täglich verrichten kann, weshalb Erwerbsminderung nicht vorliegt (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Auf orthopädischem Fachgebiet bestehen keine rentenberechtigenden Leistungseinschränkungen. Solche hat insbesondere der vor Jahren aufgetretene lumbale, (erfolgreich) operativ behandelte Bandscheibenvorfall nicht hinterlassen. Aus der Anschlussheilbehandlung in der Klinik H. (18.12.2007 bis 8.1.2008) ist die Klägerin ohne sozialmedizinische Problematik entlassen worden (Entlassungsbericht vom 17.1.2008). Dr. Sch. hat das Fehlen rentenrechtlich beachtlicher Leistungsminderungen wegen orthopädischer Leiden in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 9.2.2010 bestätigt. Dr. B. hat sich dieser Einschätzung in seinem Gutachten vom 15.4.2010 angeschlossen; er hat als Zustand nach der lumbalen Bandscheibenoperation nur eine sensible Restsymptomatik, neurologisch/elektrophysiologisch ohne überdauernde motorische Ausfälle bzw. Vorderwurzelläsion und Beschwerden im Bereich des Bewegungsapparates (keine Paresen, keine Atrophien) ohne zusätzliche neurologische Komplikationen gefunden.

Die Klägerin stützt ihr Rentenbegehren in erster Linie auf Erkrankungen des psychiatrischen Fachgebiets. Rentenberechtigende Leistungseinschränkungen sind aber auch insoweit nicht festzustellen. Das geht schon aus dem Verwaltungsgutachten des Dr. H. vom 17.2.2009 hervor und ist im Gerichtsverfahren bestätigt worden. Sowohl Dr. B. wie der auf Antrag der Klägerin gem. § 109 SGG mit der Begutachtung beauftragte Dr. Sch. haben eine sozialmedizinisch beachtliche Depressionserkrankung nicht gefunden. Gegen deren schlüssige und überzeugende Leistungseinschätzung in den Gutachten vom 15.4.2010 bzw. 23.12.2010 ist Stichhaltiges nicht eingewandt und auch nicht ersichtlich. Mit den Behandlungen bzw. Berichten des Kreiskrankenhauses T. (Psychiatrische Institutsambulanz), die die Klägerin zur Stützung ihres Rentenbegehrens heranzieht, ist die Fortzahlung der Erwerbsminderungsrente nicht zu erwirken; die von der Klägerin angeführten Berichte dieser Klinik vom 17.4.2010 und 14.6.2010 haben dem Gutachter Dr. Sch. vorgelegen und sind bei dessen Leistungseinschätzung berücksichtigt worden. Offen bleiben mag, ob bzw. in welchem Ausmaß das Beschwerdevorbringen der Klägerin im Einzelnen aggravatorische und (sogar) simulatorische Elemente enthält; es kommt hierauf letztendlich nicht an. Die Rentengutachter haben jedenfalls eine höhergradige Depressionserkrankung mit rentenrechtlich relevanten Auswirkungen auf das zeitliche Leistungsvermögen überzeugend ausgeschlossen, insbesondere eine ins Gewicht fallende Antriebsminderung nicht gefunden. Auch mit dem der Zuerkennung der Pflegestufe I zugrundeliegenden MDK-Gutachten vom 1.12.2010 ist die Weiterzahlung der Erwerbsminderungsrente nicht zu erlangen. Eine fundierte und schlüssige sozialmedizinische Beurteilung der rentenrechtlich maßgeblichen Leistungsfähigkeit der Klägerin enthält dieses Gutachten – im Gegensatz (etwa) zum Rentengutachten des Dr. Sch. vom 23.12.2010 - nicht. Es wird im Übrigen (worüber hier nicht zu befinden ist) auch die Zuerkennung der Pflegestufe I nach Lage der Dinge nicht schlüssig begründen können, da erhebliche Zweifel an den tatsächlichen Grundlagen der gutachterlichen Einschätzung bestehen. Die Klägerin hat bei der Untersuchung durch Dr. Sch. am 29.11.2010 und damit einen Tag vor der Untersuchung durch die MDK-Gutachterin (am 30.11.2011) ein erheblich diskrepantes Bild ihrer körperlichen Fähigkeiten dargeboten; insoweit sei auf die Feststellungen des Dr. Sch. zum An- und Auskleiden oder zum Fehlen schmerztypischer Verhaltensweisen verwiesen. Da das Beschwerdevorbringen der Klägerin insgesamt – was in allen Rentengutachten eingehend dokumentiert ist – in wesentlichen Teilen (zumindest) nicht authentisch, sondern im Sinne eines Versorgungswunsches auf die Erwirkung der Weiterzahlung von Erwerbsminderungsrente bzw. den Erhalt anderer Sozialleistungen (wie Pflegeleistungen der Krankenkasse) gerichtet ist, kann darauf die Annahme einer rentenberechtigenden Leistungseinschränkung, zumal wegen psychischer Krankheitsbilder, nicht gestützt werden. Die Klägerin steht – wie sie ebenfalls vorbringt – dem Arbeitsmarkt sicherlich fern; sie wünscht ersichtlich kein Arbeits-, sondern ein Renteneinkommen. Die nötige Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit für eine mindestens sechsstündige Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (§ 43 SGB VI) fehlt ihr freilich nicht; auch das geht aus den Rentengutachten der Dres H., B. und Sch. hervor.

Angesichts der vorliegenden Arztberichte und Gutachten drängen sich dem Senat weitere Ermittlungen, insbesondere weitere Begutachtungen, nicht auf. Auch der Umstand, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats sich in einer stationären Behandlung in der M.-B.-Klinik K. befand, stand einer Entscheidung des Senats nicht entgegen. Es ist weder vorgetragen noch aus dem Attest der Klinik vom 12.01.2012 ersichtlich, wegen welcher Erkrankungen die Klägerin sich in Behandlung befindet. Erst recht ist nicht ersichtlich, dass diese Erkrankungen voraussichtlich auch nach erfolgter Behandlung noch Leistungseinschränkungen auf Dauer hervorrufen. Entsprechende Beweisanträge sind nicht gestellt worden.

Die ausdrücklich beantragte Zeugenvernehmung der von der Klägerin benannten Pflegepersonen bzw. Familienangehörigen ist rechtlich nicht geboten. Die benannten Personen sind keine geeigneten Beweismittel, weil sie mangels medizinischer Kenntnisse, über die nur Ärzte verfügen, nicht in der Lage sind, krankhafte Befunde zu erkennen, zutreffend zu beschreiben und hieraus nachvollziehbare Beobachtungen hinsichtlich des quantitativen Leistungsvermögens mitzuteilen. Ihre Aussage wäre deshalb auch nicht geeignet, die Feststellungen medizinischer Sachverständiger auch nur in Frage zu stellen. Für die Gewährung von Erwerbsminderungsrente sind die sozialmedizinischen Auswirkungen von gesundheitlichen Leistungseinschränkungen maßgeblich. Diese haben (in erster Linie) die (sozialmedizinisch ausgebildeten) ärztlichen Rentengutachter auf der Basis bzw. unter Mitberücksichtigung der von behandelnden Ärzten festgestellten Befunde und Krankheitssymptome zu beurteilen. Beobachtungen von Familienangehörigen des Rentenbewerbers mögen der Anlass sein, einen Arzt aufzusuchen, sie ersetzen aber nicht eine eingehende ärztliche Anamnese- und Befunderhebung. Ob und inwieweit der von der Klägerin dargetane Pflegebedarf tatsächlich besteht oder nicht, ist nicht Gegenstand des Rentenverfahrens.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weshalb die Berufung der Klägerin erfolglos bleiben muss. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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