Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SO 4279/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 5706/11 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 19. Dezember 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Die gem. § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft gem. § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SGG. Der Antragsteller begehrt höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung unter Berücksichtigung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfes gem. §§ 42, 30 Abs. 5 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) für den Zeitraum vom 1. November 2011 bis 31. Dezember 2012. Das Sozialgericht (SG) hat seine Entscheidung im angefochtenen Beschluss nicht abweichend zeitlich eingegrenzt. Der Antragsteller beziffert seinen ernährungsbedingten Mehrbedarf auf EUR 200.- monatlich.
Die Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat den Antrag zu Recht abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit - wie hier - nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Beides sind gleichberechtigte Voraussetzungen, die ein bewegliches System darstellen: Je nach Wahrscheinlichkeit des Erfolges in der Hauptsache können die Anforderungen an den Anordnungsgrund geringer sein und umgekehrt. Völlig entfallen darf hingegen keine der beiden. Dementsprechend sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch im Hinblick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind dann in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes ergebenden Gebotes der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruches auf effektiven Rechtsschutz unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (beide juris) unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 4. April 2008 - L 7 AS 5626/07 ER-B - und vom 11. Juni 2008 - L 7 AS 2309/08 ER-B - (beide juris)).
Unter Beachtung dieser Maßstäbe steht für den erkennenden Senat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens fest, dass ein Anordnungsanspruch i.S.e. materiell-rechtlichen Anspruches auf den streitigen Mehrbedarf nicht besteht. Dass dem alleinstehenden und voll erwerbsgeminderten Antragsteller Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach den §§ 19, 41 SGB XII dem Grunde nach zustehen, ist nicht fraglich und zwischen den Beteiligten auch nicht umstritten. Diese Leistungen umfassen nach § 42 Nr. 2 in der ab 1. Januar 2011 geltenden Fassung i.V.m. § 30 Abs. 5 SGB XII auch einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung. Nach dieser Regelung wird für Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt.
Ein solcher Mehrbedarf setzt somit voraus, dass (1.) eine medizinisch begründete Notwendigkeit einer besonderen Kostform besteht und (2.) sich für den Hilfebedürftigen aus dieser Kostform ein finanzieller Mehraufwand ergibt, der über den Ernährungsanteil in der Regelbedarfsstufe hinausgeht. Die bisherige Praxis und Rechtsprechung zur Vorläuferregelung des Bundessozialhilfegesetzes beruhte hinsichtlich der diagnostizierten Erkrankungen und dadurch notwendigen Kostformen sowie des sich daraus ergebenden finanziellen Mehrbedarfs vor allem auf den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge für die Gewährung von Krankenkostzulagen (Kleinere Schriften des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge 48, 2. Aufl. 1997). Der Gesetzgeber hat in der Begründung zur inhaltsgleichen Parallelvorschrift des § 21 Abs. 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) gerade auf diese Empfehlungen des Deutschen Vereins zurückgegriffen (BT-Drucks. 15/1516 S. 57). Das BVerfG hat den Empfehlungen besonderes Gewicht beigemessen und ausgeführt, dass ein Abweichen von diesen begründungsbedürftig sei und eine entsprechende Fachkompetenz voraussetze (Beschluss vom 20. Juni 2006 - 1 BvR 2673/05 - (juris)). Die Empfehlungen stellen zwar keine Rechtsnormen dar; sie können aber im Regelfall zur Konkretisierung des angemessenen Mehrbedarfs i.S.d. § 30 Abs. 5 SGB XII herangezogen werden; die Umstände des Einzelfalles sind allerdings zu beachten (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 15. April 2008 - B 14/11b AS 3/07 R - (juris) zu § 21 Abs. 5 SGB II). Mittlerweile liegen diese Empfehlungen in der dritten, neu bearbeiteten Auflage vom 1. Oktober 2008 vor (veröffentlicht unter www.deutscher-verein.de). Ob diesen die Qualität eines antizipierten Sachverständigengutachtens zukommt, kann vorliegend offenbleiben. Denn diese überarbeiteten Empfehlungen können jedenfalls i.S.e. Orientierungshilfe im selben Maße einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden wie die bisherigen. Die grundsätzliche Verpflichtung zur Amtsermittlung wird durch sie nicht aufgehoben (zum Ganzen BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 - B 4 AS 100/10 R - (juris)). Die vom Senat durchgeführten Ermittlungen haben jedoch einen Mehrbedarf nicht ergeben.
Nach Nr. II.2 4.1 der Empfehlungen ist bei Diabetes mellitus regelmäßig eine "Vollkost" angezeigt; dies gilt ausdrücklich sowohl für den Diabetes mellitus Typ II wie auch den Typ I, konventionell oder intensiviert konventionell behandelt. Das Vorbringen des Antragstellers, an die Stelle des früher bestehenden Diabetes mellitus II sei nach seiner erheblichen Gewichtsreduktion mittlerweile ein solcher des Typs I getreten, ist daher für die hier entscheidende Frage einer besonderen Kostform nicht relevant.
Arbeitsgrundlage dieser Empfehlungen waren hinsichtlich der empfohlenen Ernährung insbesondere das "Rationalisierungsschema 2004" des Bundesverbandes Deutscher Ernährungsmediziner, der Deutschen Adipositas Gesellschaft e.V., der Deutschen Akademie für Ernährungsmedizin (DAEM) e.V., der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) e.V., des Verbandes der Diätassistenten - Deutscher Bundesverband (VDD) e.V. und des Verbandes der Diplom-Oecotrophologen (VDOe) e.V ... Auch nach den Evidenzbasierten Ernährungsempfehlungen zur Behandlung und Prävention des Diabetes mellitus der Deutschen-Diabetes-Gesellschaft (abrufbar unter www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de) besteht kein von einer "Vollkost" abweichender spezieller Ernährungsbedarf. Entgegen dem Vorbringen des Antragstellers handelt es sich dabei also um den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse. Der behandelnde Allgemeinmediziner Dr. R. hat in seiner im Beschwerdeverfahren eingeholten Stellungnahme als sachverständiger Zeuge vom 7. Februar 2012 ebenfalls bestätigt, dass der Antragsteller die "übliche Diabetikerernährung" einhalten müsse; spezielle Umstände bestünden bei ihm nicht. Auf gerichtliche Nachfrage hat die Praxis W./R. mitgeteilt, dass die an Dr. W. gerichtete schriftliche Vernehmung als sachverständiger Zeuge inhaltsgleich mit der Stellungnahme von Dr. R. beantwortet werden würde, weshalb von einer gesonderten Stellungnahme abgesehen worden sei. Weiteren Aufklärungsbedarf hat der Senat daher nicht gesehen. Die von Dr. R. als "Reduktionskost" bezeichnete Ernährung weicht nicht von den in den Empfehlungen zugrunde gelegten Anforderungen an die "Vollkost" ab.
Der Antragsteller stützt seinen ernährungsbedingten Mehrbedarf vorliegend im Wesentlichen darauf, dass wegen der bei ihm zur Behandlung der Adipositas (BMI von 53,4 bei normal 22 - 27) am 23. April 2008 durchgeführten Sleeve-Gastrektomie (Schlauchmagenbildung) lebenslang eine Malabsorption bestehe, die nicht nur Fette, sondern auch Vitamine und Mineralstoffe betreffe. Bereits im Beschluss vom 9. Dezember 2009 (L 7 SO 3341/09 ER-B) war der Senat zur Einschätzung gelangt, dass dies nicht zu einer von der Vollkost abweichenden Kostform führt. Diese Beurteilung stützte sich maßgeblich auf die im Klageverfahren (S 9 SO 2402/09) eingeholte schriftliche Zeugenaussage von Prof. Dr. We., Krankenhaus Sachsenhausen, vom 22. Oktober 2009, der aus Sicht des Antragstellers die maßgebliche Auskunftsperson für die hier streitige Frage des ernährungsbedingten Mehraufwands war. Diese belegte, dass trotz der - hier künstlich und bewusst geschaffenen - Malabsorption kein krankheitsbedingter Mehrbedarf gegeben ist. Prof. Dr. We. hat bestätigt, dass beim Antragsteller eine Schlauchmagenbildung vorgenommen worden sei, die zu keiner regelhaften Umleitung der Nahrung führe. Er solle daher zwar eine ausgewogene gesunde proteinreiche Ernährung zu sich nehmen, eine spezielle Diät sei aber nicht erforderlich, wobei auf die ausreichende Zufuhr von Ballaststoffen und Eiweißen zu achten sei. Soweit die Einnahme von Vitaminen empfohlen werde, sei dies wissenschaftlich nicht eindeutig belegt. Der Antragsteller habe durch das verlängerte Magenvolumen einen geringeren Hunger, ein frühzeitiges Sättigungsgefühl und eine insgesamt geringere Aufnahmekapazität für feste Nahrung. Die Nahrungsinhaltsstoffe blieben jedoch im Wesentlichen die gleichen wie bei einer ausreichend gesunden Ernährung eines nicht Operierten. Zwischenzeitlich ist zwar eine Umwandlung in einen Y-Roux-Magenbypass erfolgt. Dr. R., den der Antragsteller als maßgebliche Auskunftsperson angegeben hatte, hat jedoch im vorliegenden Beschwerdeverfahren bestätigt, dass bzgl. der Magenoperation nicht zu einer speziellen Kostform geraten worden sei. Aus dem vom Antragsteller vorgelegten Attest der Praxis W./R. ergibt sich nichts anderes. Ausdrücklich wird vielmehr nochmals bestätigt, dass keine Notwendigkeit einer bestimmten Kostform bestehe, sondern die strenge Beachtung von Art, Menge und Umfang der Nahrungsaufnahme. Wegen der im Sommer 2011 aufgetretenen Stuhlunregelmäßigkeiten sei eine ausführliche Abklärung erfolgt, ohne dass sich richtungsweisende Befunde ergeben hätten. Über Beschwerden dieser Art habe der Antragsteller zuletzt aber auch nicht mehr geklagt. Soweit eine "suboptimale Ernährung" als möglicher Grund für eine Verschlechterung der Blutzuckerwerte genannt wird, erlaubt dies aufgrund des Vorstehenden nicht den Schluss auf die Notwendigkeit einer bestimmten, kostenaufwändigeren Ernährung. Nach alldem vermag der Senat keine Notwendigkeit einer von der genannten Vollkost abweichenden speziellen Kostform zu erkennen.
Anders als von Seiten des Antragstellers unterstellt, kann eine Vollkosternährung mit den im Regelbedarf für Ernährung vorgesehenen Anteilen eingehalten werden. Bei einer preisbewussten Einkaufsweise ist nach der von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) erhobenen Studie (DGE 2008), die Eingang in die Empfehlungen 2008 gefunden hat, im Jahr 2008 eine Vollkost mit einem Aufwand von ca. vier Euro täglich zu finanzieren (www.dge.de/pdf/ws/Lebensmittelkosten-vollwertige-Ernaehrung.pdf, S. 7). In der für den Antragsteller maßgeblichen, ab 1. Januar 2011 geltenden Regelbedarfsstufe 1 in Höhe von insgesamt EUR 364.- monatlich sind zur Deckung des Bedarfs an Nahrungsmitteln und alkoholfreien Getränken monatlich EUR 129,17 enthalten (EUR 128,46 Abteilung 1 gem. § 5 Abs. 1 des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes (RBEG) mit Anpassung gem. § 7 Abs. 2 RBEG) und damit tagesdurchschnittlich EUR 4,31; für die ab 1. Januar 2012 geltende Regelbedarfsstufe 1 i.H.v. EUR 374.- entspricht dies einem Ernährungsanteil von EUR 132,72 monatlich bzw. EUR 4,42 täglich. Somit kann auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Preissteigerungen, die ja gerade auch in den Anhebungen der Beträge der Regelbedarfsstufe 1 mit eingeflossen sind, davon ausgegangen werden, dass die Vollkosternährung mit dem dort enthaltenen Ernährungsanteil noch finanziert werden kann. Dass der den Bedarf eines Erwachsenen deckende durchschnittliche Aufwand für Vollkost 43,46 EUR wöchentlich, also 6,21 EUR täglich beträgt (DGE 2008, S. 8, Übersicht 1) und den Bedarfsanteil der Regelbedarfsstufe daher um EUR 1,90 übersteigt, begründet keinen Anspruch auf einen ernährungsbedingten Mehrbedarf. Denn das fürsorgerechtliche Ziel ist auf die Sicherung eines soziokulturellen Leistungsstandards beschränkt und gewährleistet nicht einen durchschnittlichen Lebensstandard, sodass ein solcher Mittelwert nicht der relevante Bezugspunkt ist (BSG, Urteil vom 22. April 2008 - B 1 KR 10/07 R - SozR 4-2500 § 62 Nr. 6). Soweit der Antragsteller geltend macht, er sei aufgrund der Gesundheitsstörungen gezwungen, mehrmals täglich kleinere Mahlzeiten zu sich zu nehmen, ist dies lediglich eine Frage der Zubereitung, nicht der notwendigen Menge oder Art der Nahrungsmittel.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Die gem. § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft gem. § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SGG. Der Antragsteller begehrt höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung unter Berücksichtigung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfes gem. §§ 42, 30 Abs. 5 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) für den Zeitraum vom 1. November 2011 bis 31. Dezember 2012. Das Sozialgericht (SG) hat seine Entscheidung im angefochtenen Beschluss nicht abweichend zeitlich eingegrenzt. Der Antragsteller beziffert seinen ernährungsbedingten Mehrbedarf auf EUR 200.- monatlich.
Die Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat den Antrag zu Recht abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit - wie hier - nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Beides sind gleichberechtigte Voraussetzungen, die ein bewegliches System darstellen: Je nach Wahrscheinlichkeit des Erfolges in der Hauptsache können die Anforderungen an den Anordnungsgrund geringer sein und umgekehrt. Völlig entfallen darf hingegen keine der beiden. Dementsprechend sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch im Hinblick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind dann in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes ergebenden Gebotes der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruches auf effektiven Rechtsschutz unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (beide juris) unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 4. April 2008 - L 7 AS 5626/07 ER-B - und vom 11. Juni 2008 - L 7 AS 2309/08 ER-B - (beide juris)).
Unter Beachtung dieser Maßstäbe steht für den erkennenden Senat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens fest, dass ein Anordnungsanspruch i.S.e. materiell-rechtlichen Anspruches auf den streitigen Mehrbedarf nicht besteht. Dass dem alleinstehenden und voll erwerbsgeminderten Antragsteller Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach den §§ 19, 41 SGB XII dem Grunde nach zustehen, ist nicht fraglich und zwischen den Beteiligten auch nicht umstritten. Diese Leistungen umfassen nach § 42 Nr. 2 in der ab 1. Januar 2011 geltenden Fassung i.V.m. § 30 Abs. 5 SGB XII auch einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung. Nach dieser Regelung wird für Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt.
Ein solcher Mehrbedarf setzt somit voraus, dass (1.) eine medizinisch begründete Notwendigkeit einer besonderen Kostform besteht und (2.) sich für den Hilfebedürftigen aus dieser Kostform ein finanzieller Mehraufwand ergibt, der über den Ernährungsanteil in der Regelbedarfsstufe hinausgeht. Die bisherige Praxis und Rechtsprechung zur Vorläuferregelung des Bundessozialhilfegesetzes beruhte hinsichtlich der diagnostizierten Erkrankungen und dadurch notwendigen Kostformen sowie des sich daraus ergebenden finanziellen Mehrbedarfs vor allem auf den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge für die Gewährung von Krankenkostzulagen (Kleinere Schriften des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge 48, 2. Aufl. 1997). Der Gesetzgeber hat in der Begründung zur inhaltsgleichen Parallelvorschrift des § 21 Abs. 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) gerade auf diese Empfehlungen des Deutschen Vereins zurückgegriffen (BT-Drucks. 15/1516 S. 57). Das BVerfG hat den Empfehlungen besonderes Gewicht beigemessen und ausgeführt, dass ein Abweichen von diesen begründungsbedürftig sei und eine entsprechende Fachkompetenz voraussetze (Beschluss vom 20. Juni 2006 - 1 BvR 2673/05 - (juris)). Die Empfehlungen stellen zwar keine Rechtsnormen dar; sie können aber im Regelfall zur Konkretisierung des angemessenen Mehrbedarfs i.S.d. § 30 Abs. 5 SGB XII herangezogen werden; die Umstände des Einzelfalles sind allerdings zu beachten (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 15. April 2008 - B 14/11b AS 3/07 R - (juris) zu § 21 Abs. 5 SGB II). Mittlerweile liegen diese Empfehlungen in der dritten, neu bearbeiteten Auflage vom 1. Oktober 2008 vor (veröffentlicht unter www.deutscher-verein.de). Ob diesen die Qualität eines antizipierten Sachverständigengutachtens zukommt, kann vorliegend offenbleiben. Denn diese überarbeiteten Empfehlungen können jedenfalls i.S.e. Orientierungshilfe im selben Maße einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden wie die bisherigen. Die grundsätzliche Verpflichtung zur Amtsermittlung wird durch sie nicht aufgehoben (zum Ganzen BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 - B 4 AS 100/10 R - (juris)). Die vom Senat durchgeführten Ermittlungen haben jedoch einen Mehrbedarf nicht ergeben.
Nach Nr. II.2 4.1 der Empfehlungen ist bei Diabetes mellitus regelmäßig eine "Vollkost" angezeigt; dies gilt ausdrücklich sowohl für den Diabetes mellitus Typ II wie auch den Typ I, konventionell oder intensiviert konventionell behandelt. Das Vorbringen des Antragstellers, an die Stelle des früher bestehenden Diabetes mellitus II sei nach seiner erheblichen Gewichtsreduktion mittlerweile ein solcher des Typs I getreten, ist daher für die hier entscheidende Frage einer besonderen Kostform nicht relevant.
Arbeitsgrundlage dieser Empfehlungen waren hinsichtlich der empfohlenen Ernährung insbesondere das "Rationalisierungsschema 2004" des Bundesverbandes Deutscher Ernährungsmediziner, der Deutschen Adipositas Gesellschaft e.V., der Deutschen Akademie für Ernährungsmedizin (DAEM) e.V., der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) e.V., des Verbandes der Diätassistenten - Deutscher Bundesverband (VDD) e.V. und des Verbandes der Diplom-Oecotrophologen (VDOe) e.V ... Auch nach den Evidenzbasierten Ernährungsempfehlungen zur Behandlung und Prävention des Diabetes mellitus der Deutschen-Diabetes-Gesellschaft (abrufbar unter www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de) besteht kein von einer "Vollkost" abweichender spezieller Ernährungsbedarf. Entgegen dem Vorbringen des Antragstellers handelt es sich dabei also um den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse. Der behandelnde Allgemeinmediziner Dr. R. hat in seiner im Beschwerdeverfahren eingeholten Stellungnahme als sachverständiger Zeuge vom 7. Februar 2012 ebenfalls bestätigt, dass der Antragsteller die "übliche Diabetikerernährung" einhalten müsse; spezielle Umstände bestünden bei ihm nicht. Auf gerichtliche Nachfrage hat die Praxis W./R. mitgeteilt, dass die an Dr. W. gerichtete schriftliche Vernehmung als sachverständiger Zeuge inhaltsgleich mit der Stellungnahme von Dr. R. beantwortet werden würde, weshalb von einer gesonderten Stellungnahme abgesehen worden sei. Weiteren Aufklärungsbedarf hat der Senat daher nicht gesehen. Die von Dr. R. als "Reduktionskost" bezeichnete Ernährung weicht nicht von den in den Empfehlungen zugrunde gelegten Anforderungen an die "Vollkost" ab.
Der Antragsteller stützt seinen ernährungsbedingten Mehrbedarf vorliegend im Wesentlichen darauf, dass wegen der bei ihm zur Behandlung der Adipositas (BMI von 53,4 bei normal 22 - 27) am 23. April 2008 durchgeführten Sleeve-Gastrektomie (Schlauchmagenbildung) lebenslang eine Malabsorption bestehe, die nicht nur Fette, sondern auch Vitamine und Mineralstoffe betreffe. Bereits im Beschluss vom 9. Dezember 2009 (L 7 SO 3341/09 ER-B) war der Senat zur Einschätzung gelangt, dass dies nicht zu einer von der Vollkost abweichenden Kostform führt. Diese Beurteilung stützte sich maßgeblich auf die im Klageverfahren (S 9 SO 2402/09) eingeholte schriftliche Zeugenaussage von Prof. Dr. We., Krankenhaus Sachsenhausen, vom 22. Oktober 2009, der aus Sicht des Antragstellers die maßgebliche Auskunftsperson für die hier streitige Frage des ernährungsbedingten Mehraufwands war. Diese belegte, dass trotz der - hier künstlich und bewusst geschaffenen - Malabsorption kein krankheitsbedingter Mehrbedarf gegeben ist. Prof. Dr. We. hat bestätigt, dass beim Antragsteller eine Schlauchmagenbildung vorgenommen worden sei, die zu keiner regelhaften Umleitung der Nahrung führe. Er solle daher zwar eine ausgewogene gesunde proteinreiche Ernährung zu sich nehmen, eine spezielle Diät sei aber nicht erforderlich, wobei auf die ausreichende Zufuhr von Ballaststoffen und Eiweißen zu achten sei. Soweit die Einnahme von Vitaminen empfohlen werde, sei dies wissenschaftlich nicht eindeutig belegt. Der Antragsteller habe durch das verlängerte Magenvolumen einen geringeren Hunger, ein frühzeitiges Sättigungsgefühl und eine insgesamt geringere Aufnahmekapazität für feste Nahrung. Die Nahrungsinhaltsstoffe blieben jedoch im Wesentlichen die gleichen wie bei einer ausreichend gesunden Ernährung eines nicht Operierten. Zwischenzeitlich ist zwar eine Umwandlung in einen Y-Roux-Magenbypass erfolgt. Dr. R., den der Antragsteller als maßgebliche Auskunftsperson angegeben hatte, hat jedoch im vorliegenden Beschwerdeverfahren bestätigt, dass bzgl. der Magenoperation nicht zu einer speziellen Kostform geraten worden sei. Aus dem vom Antragsteller vorgelegten Attest der Praxis W./R. ergibt sich nichts anderes. Ausdrücklich wird vielmehr nochmals bestätigt, dass keine Notwendigkeit einer bestimmten Kostform bestehe, sondern die strenge Beachtung von Art, Menge und Umfang der Nahrungsaufnahme. Wegen der im Sommer 2011 aufgetretenen Stuhlunregelmäßigkeiten sei eine ausführliche Abklärung erfolgt, ohne dass sich richtungsweisende Befunde ergeben hätten. Über Beschwerden dieser Art habe der Antragsteller zuletzt aber auch nicht mehr geklagt. Soweit eine "suboptimale Ernährung" als möglicher Grund für eine Verschlechterung der Blutzuckerwerte genannt wird, erlaubt dies aufgrund des Vorstehenden nicht den Schluss auf die Notwendigkeit einer bestimmten, kostenaufwändigeren Ernährung. Nach alldem vermag der Senat keine Notwendigkeit einer von der genannten Vollkost abweichenden speziellen Kostform zu erkennen.
Anders als von Seiten des Antragstellers unterstellt, kann eine Vollkosternährung mit den im Regelbedarf für Ernährung vorgesehenen Anteilen eingehalten werden. Bei einer preisbewussten Einkaufsweise ist nach der von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) erhobenen Studie (DGE 2008), die Eingang in die Empfehlungen 2008 gefunden hat, im Jahr 2008 eine Vollkost mit einem Aufwand von ca. vier Euro täglich zu finanzieren (www.dge.de/pdf/ws/Lebensmittelkosten-vollwertige-Ernaehrung.pdf, S. 7). In der für den Antragsteller maßgeblichen, ab 1. Januar 2011 geltenden Regelbedarfsstufe 1 in Höhe von insgesamt EUR 364.- monatlich sind zur Deckung des Bedarfs an Nahrungsmitteln und alkoholfreien Getränken monatlich EUR 129,17 enthalten (EUR 128,46 Abteilung 1 gem. § 5 Abs. 1 des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes (RBEG) mit Anpassung gem. § 7 Abs. 2 RBEG) und damit tagesdurchschnittlich EUR 4,31; für die ab 1. Januar 2012 geltende Regelbedarfsstufe 1 i.H.v. EUR 374.- entspricht dies einem Ernährungsanteil von EUR 132,72 monatlich bzw. EUR 4,42 täglich. Somit kann auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Preissteigerungen, die ja gerade auch in den Anhebungen der Beträge der Regelbedarfsstufe 1 mit eingeflossen sind, davon ausgegangen werden, dass die Vollkosternährung mit dem dort enthaltenen Ernährungsanteil noch finanziert werden kann. Dass der den Bedarf eines Erwachsenen deckende durchschnittliche Aufwand für Vollkost 43,46 EUR wöchentlich, also 6,21 EUR täglich beträgt (DGE 2008, S. 8, Übersicht 1) und den Bedarfsanteil der Regelbedarfsstufe daher um EUR 1,90 übersteigt, begründet keinen Anspruch auf einen ernährungsbedingten Mehrbedarf. Denn das fürsorgerechtliche Ziel ist auf die Sicherung eines soziokulturellen Leistungsstandards beschränkt und gewährleistet nicht einen durchschnittlichen Lebensstandard, sodass ein solcher Mittelwert nicht der relevante Bezugspunkt ist (BSG, Urteil vom 22. April 2008 - B 1 KR 10/07 R - SozR 4-2500 § 62 Nr. 6). Soweit der Antragsteller geltend macht, er sei aufgrund der Gesundheitsstörungen gezwungen, mehrmals täglich kleinere Mahlzeiten zu sich zu nehmen, ist dies lediglich eine Frage der Zubereitung, nicht der notwendigen Menge oder Art der Nahrungsmittel.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
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