Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 7 U 1903/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 U 5749/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 29. September 2010 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung und Entschädigung einer Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit.
Der am 30.04.1961 geborene Kläger war in der Türkei zeitweise in der Gastronomie beschäftigt gewesen. Er wanderte im Jahre 1990 nach Deutschland ein. Er war ab dem 17.04.1991 als Bauhelfer und angelernter Mauerer bei dem Bauunternehmen J. Heinzelmann beschäftigt. Am 21.07.1992 erlitt er einen Arbeitsunfall, bei dem er beim Absteigen von einem Gerüst fünf bis sechs Meter abstürzte und auf Gesäß und Rücken fiel. Er zog sich im Wesentlichen einen Bruch des ersten Lendenwirbelkörpers (1. LWK) zu. Die damals zuständige Berufsgenossenschaft, eine der Rechtsvorgängerinnen der Beklagten (im Folgenden einheitlich: Beklagte), erkannte als Unfallfolge eine "verheilte Fraktur des 1. LWK mit geringer Verformung der Vorderkante" an. Sie gewährte Krankenbehandlung und zuletzt Verletztengeld bis zum 13.09.1992. Die vom Kläger begehrte Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. lehnte sie mit Bescheid vom 08.02.1994 ab.
Das genannte Beschäftigungsverhältnis endete am 02.12.1993, wobei der Kläger zuletzt erneut arbeitsunfähig erkrankt war und ab dem 26.10.1993 Krankengeld bezog. Der Krankengeldbezug dauerte an bis zum 07.01.1994, im Anschluss bezog der Kläger Leistungen der Arbeitsförderung. Er war sodann vom 01.07.1994 bis zum 17.02.2000, wiederum als Bauhelfer, bei dem Unternehmen P. A. beschäftigt, wobei er Lohn bzw. Entgeltfortzahlung in den Zeiträumen 01.07.1994 bis 31.12.1995, 07.03.1996 bis 03.02.1997, 02.04.1997 bis 06.08.1998 und 09.08.1998 bis 17.02.2000 bezog, in den dazwischen liegenden Zeiten dagegen Arbeitslosengeld und am 07. und 08.08.1998 Krankengeld. Ab dem 18.02.2000 bezog der Kläger Krankengeld und Leistungen der Arbeitsförderung, war aber nicht wieder versicherungspflichtig beschäftigt.
Der Kläger stellte sich im April 2000 bei seinem behandelnden Arzt Dr. B. vor und klagte über Wirbelsäulenbeschwerden und erhebliche Schmerzzustände, die nach seinen späteren Angaben bereits über mehrere Jahre angehalten hätten. Erstmals unter dem 15.05.2000 diagnostizierte Dr. C. unter anderem eine mäßiggradige, dorsale Bandscheibenprotusion zwischen den LWK 4/5 ohne Kompressionseffekt auf den Duralsack bei im Übrigen unauffälligem Befund.
Mit Bescheid vom 23.06.2000 erkannte das zuständige Versorgungsamt bei dem Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 an, wobei es die Wirbelsäulenbeeinträchtigungen mit einem Einzel-GdB von 30 berücksichtigte. Einen Erhöhungsantrag des Klägers lehnte das Versorgungsamt mit Bescheid vom 27.01.2004, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 01.04.2004, ab. Die hiergegen erhobene Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG, S 7 SB 1078/04) nahm der Kläger, nachdem das SG die behandelnden Ärzte als Zeugen gehört hatte, mit Schriftsatz vom 10.11.2004 zurück.
Am 18.12.2000 hatte der Kläger Erwerbsminderungsrente bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Baden-Württemberg beantragt. Nachdem dieser Antrag abgelehnt worden war, erhob der Kläger Klage zum SG (S 11 RJ 2467/01). Das SG erhob das Gutachten vom 17.06.2002 bei dem Orthopäden Dr. D. und - auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers - das Gutachten vom 08.11.2002 bei den Neurologen und Psychiater Dr. E ... Nachdem dieser eine dauernde Schmerzkrankheit wegen der Kompressionsfraktur des 1. (oder 2.) LWK und wegen einer stattgehabten Band¬schei¬ben¬protusion im Segment LWK 4/5 (bzw. LWK5/SWK1) diagnostiziert und eine Verminderung des Leistungsvermögens auf drei bis unter sechs Stunden arbeitstäglich angenommen hatte, gewährte die DRV Baden-Württemberg dem Kläger auf Grund Anerkenntnisses vom 08.01.2003 befristet Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.09.2002 bis zum 29.02.2004. Nachdem ein Fortzahlungsantrag mit Bescheid vom 10.12.2003, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 19.04.2004, abgelehnt worden war, erhob der Kläger erneut Klage zum SG (S 12 RJ 1257/04). Das SG ließ den Kläger erneut bei Dr. E. begutachten. Dieser bestätigte zwar in seinem Gutachten vom 28.09.2004 seine frühere Einschätzung. Jedoch stellten die weiteren vom SG eingeholten Gutachten des Orthopäden Prof. Dr. F. vom 01.06.2005 und des Neurologen Prof. Dr. G. vom 17.06.2005 fest, dass keine Hinweise auf eine Schmerzkrankheit vorlägen und das Restleistungsvermögen des Klägers nicht nennenswert eingeschränkt sei. Daraufhin holte das SG auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers ein interdisziplinäres Gutachten bei Prof. Dr. H., Schmerzzentrum Freiburg, ein. Auch dieser Gutachter bestätigte unter dem 03.12.2005 ein vollschichtiges Leistungsvermögen. Daraufhin wies das SG die Klage mit Urteil vom 03.07.2006 ab. Dieses Urteil wurde rechtskräftig. Der Kläger bezog ab dem 01.03.2004 wiederum Arbeitslosenhilfe und bezieht seit dem 01.01.2005 Arbeitslosengeld II.
Ebenfalls Ende 2000/Anfang 2001 machte der Kläger eine Verschlimmerung der Folgen des Arbeitsunfalls geltend. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 05.04.2001, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 28.06.2002, die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Unfallfolgen erneut ab. Der Kläger erhob hiergegen Klage zum SG (S 7 U 1726/02). Das vom SG eingeholte Gutachten von Orthopäden und Unfallchirurg Prof. Dr. Weise vom 04.04.2003 kam zu dem Ergebnis, dass die unfallbedingte, verbliebene Deformierung des 2. LWK keine funktionelle Einschränkung bedinge, während die zwischenzeitlich stattgehabte Bandscheibenprotusion L4/5 nicht mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen sei. Nachdem der Orthopäde Priv.-Doz. Dr. I in dem auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers eingeholten Gutachten vom 03.12.2003 diese Einschätzungen Prof. Dr. K. bestätigt hatte, wies das SG die Klage mit Urteil vom 09.12.2004 ab. Der Kläger legte hiergegen Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG, L 2 U 71/05) ein. Im Berufungsverfahren wurde auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers ein weiteres Gutachten bei Dr. E. eingeholt. Nachdem auch dieser unter dem 06.12.2005 festgestellt hatte, dass die vom Kläger geklagten Schmerzen nicht auf das Unfallereignis vom 21.07.1992 zurückgeführt werden könnten, nahm der Kläger die Berufung am 13.02.2006 zurück.
Kurze Zeit später, am 28.06.2006, beantragte der Kläger bei der Beklagten erneut die Gewährung einer Verletztenrente, und zwar zum einen - im Rahmen eines Überprüfungs- sowie eines Verschlimmerungsantrags - wiederum wegen der Unfallfolgen, zum anderen aber nunmehr auch wegen einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 ("bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule wegen langjährigen Hebens oder Tragens schwerer Lasten und/oder langjähriger Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung") oder Nr. 2109 ("bandscheibenbedingte Erkrankung der Halswirbelsäule wegen langjährigen Tragens schwerer Lasten auf der Schulter") der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Den genannten Überprüfungs- und Verschlimmerungsantrag wegen der Unfallfolgen lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14.08.2006, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 10.11.2006, ab. Hiergegen erhob der Kläger erneut Klage zum SG (S 7 U 4687/06). Das SG hörte die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen an. Nachdem diese keine Veränderungen im Gesundheitszustand des Klägers bekundet hatten, wies das SG die Klage mit Urteil vom 06.12.2007 ab. Die hiergegen eingelegte Berufung wies das LSG mit Urteil vom 30.03.2010 zurück. Das LSG führte aus, die vom Kläger geklagten Schmerzen könnten allenfalls auf die im Jahre 2000 stattgehabte Bandscheibenprotusion zurückgeführt werden. Diese beruhe jedoch nicht kausal auf dem Unfall vom 21.07.1992. Wegen der weiteren Ausführungen des LSG wird auf das genannte Urteil, das beiden Beteiligten bekannt ist, verwiesen.
In dem Verfahren über den weiteren Antrag wegen der Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit holte die Beklagte bei der DRV Baden-Württemberg den Versicherungsverlauf und bei der zuständigen Krankenkasse das Vorerkrankungverzeichnis des Klägers ein. Der Präventionsdienst (PD) der Beklagten stellte sich auf den Standpunkt, dass der Kläger in seinem Berufsleben insgesamt 7 Jahre 11 Monate einer schädigenden Berufstätigkeit im Sinne der BK 2108 ausgesetzt gewesen sei und dass damit eine langjährige Tätigkeit im Sinne der BKV nicht gegeben sei. Nachdem die Beklagte den Kläger mehrmals aufgefordert hatte, etwaige weitere Beschäftigungsverhältnisse, die nicht bekannt seien, anzugeben, lehnte sie mit zwei getrennten Bescheiden vom 16.08.2007 die Anerkennung und Entschädigung der BK Nr. 2108 und der BK Nr. 2109 ab. Sie führte übereinstimmend aus, die arbeitstechnischen Voraussetzungen lägen nicht vor. Die für die Anerkennung nötige langjährige schädigende Berufstätigkeit müsse mindestens 10 Jahre umfassen. Der Kläger habe jedoch weniger als acht Jahre gearbeitet; weitere Beschäftigungen habe er nicht mitgeteilt.
Der Kläger erhob gegen diese Bescheide Widerspruch und führe aus, die BKV kenne eine Untergrenze von 10 Jahren nicht; auch kürzere Einwirkungen könnten eine wesentliche Ursache einer BK sein. Der PD hörte daraufhin am 29.02.2008 den Kläger mündlich zu Art und Umfang seiner beruflichen Tätigkeiten an. Der Kläger bestätigte die oben genannten Tätigkeitszeiträume. Der PD legte die Zeiträume 17.04.1991 bis 02.12.1993 ohne Fehlzeiten und 01.07.1994 bis 17.02.2000 mit Abzug von 86 Arbeitstagen (wegen Nichtbeschäftigung bei Schlechtwetter) ab. Die durchschnittlichen wirbelsäulenrelevanten Belastungen (nach dem Vortrag des Klägers im Wesentlichen gelegentliches Tragen von Kanthölzern und Dielen mit mehr als 50 kg Gewicht auf der Schulter) bezifferte der PD mit 5 %. Nach dem von ihm zu Grunde gelegten "Mainz-Dortmunder Dosismodell" (MDD) ergab sich hieraus eine Gesamtbelastungsdosis von 7,7 x 106 Nh. Dieser liege unter der für die Anerkennung der BK 2108 oder 2109 zu fordernden Dosis von 25 x 106 Nh. Gestützt auf diese Einschätzung wies die Beklagte die beiden Widersprüche mit getrennten Widerspruchsbescheiden vom 18.04.2008 zurück.
Hinsichtlich beider Berufskrankheiten hat der Kläger am 23.05.2008 Klage zum SG erhoben (S 7 U 1903/08). Er hat vorgetragen, bei ihm hätten in seinem Arbeitsleben überdurchschnittliche Belastungen sowohl der Lenden- wie auch der Halswirbelsäule vorgelegen. Die Belastungen hätten höher als 5 % gelegen, hilfsweise sei auch eine solche Belastung als schädigend anzusehen.
Nachdem die Beklagte der Klage entgegengetreten war, hat das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Dr. E. hat unter dem 06.05.2009 mitgeteilt, er gehe nicht davon aus, dass die bandscheibenbedingte Erkrankung mit Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen sei, nachdem dafür jeweils eine langjährige, mindestens 10-jährige Belastung vorausgesetzt sei, die beim Kläger fehle.
Unter dem 23.11.2009 hat das SG die Beklagte darauf hingewiesen, dass nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30.10.2007 (B 2 U 4/06 R) zwar das MDD zur Ermittlung beruflicher Einwirkungen im Sinne der BK Nr. 2108 grundsätzlich geeignet sei, dass aber ausgehend von den Ergebnissen der Deutschen Wirbelsäulenstudie Modifikationen notwendig seien. Die Beklagte legte daraufhin die Stellungnahme ihres PD vom 21.12.2009 vor. Darin war der PD unter Zugrundelegung der nach dem Urteil des BSG geänderten Prüfungsmaßstäbe bei dem Kläger zu einer Gesamtbelastungsdosis von 11,6 x 106 Nh (11,6 MNh) gekommen, die nur 46 % des Orientierungswertes von 25 x 106 Nh (25 MNh) für Männer betrage.
Zu dieser Neubewertung hat der Kläger vorgetragen, der ermittelte Wert liege nur knapp unter dem maßgeblichen Referenzwert von 50 % des Orientierungswertes, also 12,5 MNh. Es sei daher von einer massiven Belastung auszugehen. Ferner hat der Kläger noch das Kurzgutachten von Dr. Klawitter vom 22.04.2010 zur Akte gereicht, das ihm eine voraussichtlich mehr als sechs Monate andauernde, aber nicht dauerhafte Verringerung des Leistungsvermögens auf unter drei Stunden arbeitstäglich bescheinigt hat.
Mit Urteil vom 29.09.2010 hat das SG die Klage abgewiesen.
Es hat zum einen ausgeführt, bei dem Kläger seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen weder der BK Nr. 2108 noch der BK Nr. 2109 erfüllt: Insoweit sei bei der BK Nr. 2108 (LWS) ein langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten erforderlich. Bei dem Kläger fehle es an der Langjährigkeit; außerdem seien die getragenen Lasten nicht schwer im Sinne der BKV gewesen. Hierbei sei zur Bestimmung der Belastungsdosis das MDD heranzuziehen. Allerdings lege das MDD keine Mindest-, sondern nur Orientierungswerte fest. Danach sei eine BK auch dann nicht von vornherein ausgeschlossen, wenn diese Werte unterschritten würden. Die Mindestbelastungswerte müssten niedriger als die Orientierungswerte angesetzt werden, damit sie auch in besonderen Fällen, etwa beim Zusammenwirken von Heben und Tragen mit anderen schädlichen Einwirkungen, ihre Funktion als Ausschlusskriterium erfüllen könnten. Wenn jedoch die Orientierungswerte so deutlich unterschritten würden, dass das durch sie beschriebene Gefährdungsniveau nicht annähernd erreicht sei, so seien die tatbestandlichen Voraussetzungen der BK zu verneinen, ohne dass es weiterer Feststellungen zum Krankheitsbild oder zum Kausalzusammenhang im Einzelfall bedürfe. Ferner seien die Orientierungswerte des MDD auf Grund neuerer Erkenntnisse, etwa nach den Ergebnissen der "Deutschen Wirbelsäulenstudie", zu modifizieren, wie es auch das BSG in dem Urteil vom 30.10.2007 getan habe. Hiernach sei für das Tragen bzw. Heben von 20 kg eine Mindestdruckkraft von 2.700 N statt 3.200 pro Arbeitsvorgang anzusetzen. Auf eine Mindesttagesdosis sei zu verzichten. Es seien dann alle Hebe- und Tragebelastungen, die diese Mindestbelastung erreichten, entsprechend dem quadratischen Ansatz zu berechnen und aufzuaddieren. Der untere Grenzwert, bei dessen Unterschreiten ein Kausalzusammenhang zwischen den Einwirkungen und der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS ausgeschlossen werden könne, sei auf die Hälfte des vom MDD vorgeschlagenen Orientierungswerts von 25,0 MNh festzusetzen. Diesen Anforderungen genüge die neue Berechnung des PD der Beklagten vom 21.12.2009. Sie habe bei dem Kläger eine Mindestdruckkraft von 2,7 x 103 N pro Arbeitsvorgang angesetzt, auf eine Mindesttagesbelastungsdosis verzichtet und als unteren Grenzwert die Hälfte des Orientierungswertes angesetzt. Dieser Grenzwert von 12,5 MNh sei bei dem Kläger leicht unterschritten gewesen, sodass allein deshalb die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2108 verneint werden könnten. Zudem sei zu berücksichtigen, dass für das Merkmal der Langjährigkeit etwa 10 Belastungsjahre als untere Grenze zu fordern seien, die bei dem Kläger mit insoweit lediglich 7 Jahren 11 Monaten nicht vorlägen. Die BK Nr. 2109 sei bei dem Kläger zu verneinen, da er nicht langjährig schwere Lasten von mindestens 50 kg auf der Schulter getragen habe. Vielmehr habe der Kläger auch nach seinen Angaben in dem Gespräch mit dem PD der Beklagten Lastgewichte von 50 kg und mehr nur in geringem Umfang, d.h. unter einem Drittel der Arbeitsschicht, auf den Schultern getragen, sodass der Zeitanteil dieser Tätigkeiten mit 5 % anzusetzen sei.
Unabhängig hiervon, so hat das SG weiter ausgeführt, fehlte es bei der LWS an einem belastungskonformen Schadensbild im Sinne der BK Nr. 2108; während an der HWS eine bandscheibenbedingte Erkrankung, wie sie die BK Nr. 2109 voraussetze, (überhaupt) nicht habe festgestellt werden können. Generell müssten sich die Bandscheibenschäden in dem beruflich belasteten Abschnitt der Wirbelsäule von dem Degenerationszustand belastungsferner Abschnitte deutlich abheben. Für die BK Nr. 2108 sei aus diesem Grunde in der Regel ein von oben nach unten in der Ausprägung zunehmender Befund erforderlich. Da bei dem Kläger die in dem Parallelverfahren gehörten Gutachter bereits ein Jahr nach dem Arbeitsbeginn einen Bandscheibenvorfall gesichert hätten, die bildgebenden Verfahren darüber hinaus an der LWS das altersdurchschnittlich zu erwartende Ausmaß (der Schädigungen) nicht deutlich überschritten hätten, kein von oben nach unten zunehmender Befund vorliege und zudem konkurrierend eine hohlrunde Rückenfehlstatik festgestellt worden sei, liege kein belastungskonformes Schadensbild vor. An der HWS hätten sowohl Prof. Dr. Weise als auch Prof. Dr. F. in den Jahren 2003 und 2005 keine Auffälligkeiten entdeckt. Sollte zwischenzeitlich auch dort eine bandscheibenbedingte Erkrankung vorliegen, so sei diese zumindest nicht in unmittelbarer zeitlicher Nähe, sondern mindestens fünf Jahre nach Aufgabe der potenziell schädlichen Tätigkeit aufgetreten.
Gegen dieses Urteil, das seinen Prozessbevollmächtigten am 18.11.2010 zugestellt worden ist, hat der Kläger am 16.12.2010 Berufung zum LSG eingelegt. Die MDD seien pseudowissenschaftlich, es handle sich um ein antizipiertes Sachverständigengutachten, das der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften herausgegeben habe. Es sei ein arbeitstechnisches Sachverständigengutachten einzuholen. Auch 7 Jahre 11 Monate seien eine längere Belastung. 5 % der Arbeitsschicht beim Tragen von Kanthölzern und Dielen auf der Schulter sei vollkommen ausreichend, eine Belastung der HWS auszumachen. Das SG habe nicht beachtet, dass nach dem Kurzgutachten von Dr. Klawitter vom 22.04.2010 inzwischen auch an der HWS eine Bandscheibenprotusion diagnostiziert worden sei, und zwar an den Segmenten C3/C5.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 29. September 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 16. August 2007 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 18. April 2008 zu verurteilen, bei ihm die Berufskrankheiten Nr. 2108 und Nr. 2109 anzuerkennen und, insbesondere durch Verletztenrente und ggfs. Übergangsleistungen, zu entschädigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angegriffene Urteil und ihre Entscheidungen.
Auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers hat der Senat bei Prof. Dr. L.-M. das arbeitsmedizinische Gutachten vom 07.12.2011 sowie - über den Hauptgutachter - die Zusatzgutachten vom 24.10.2011 bei dem Neurologen und Psychiater Dr. N. und vom 10.10.2011 bei dem Radiologen Dr. O. erhoben. Prof. Dr. L.-M. hat festgestellt, bei dem Kläger handle es sich um eine Impressionsfraktur des ersten Lendenwirbelkörpers (Erstdiagnose 21.07.1992), einen Prolaps-Grenzbefund an den WS-Segmenten L5/S1 (ED 07.01.2002), eine "accessorische Bandscheibe" S1/S2 (ED 07.01.2002) und einen asymmetrischen Übergangswirbel bei L5/S1 vom Typ 1a nach Barzó pp (ED 02.10.2003). Die am 30.09.2011 in einer Magnetresonanztherapie festgestellte minimale Bandscheibenprotusion der HWS an den Segmenten C5/C6 und C6/C7 habe noch festgestellt werden können, jedoch beständen weder eine Chondrose noch ein Prolaps. Auch nach dem radiologischen Zusatzgutachten leide der Kläger weder an der Lenden- noch an der Hals- oder Brustwirbelsäule an altersuntypischen degenerativen Veränderungen. Die Degeneration der LWS sei stärker ausgeprägt als an der HWS. Eine BK Nr. 2108 liege bei dem Kläger nicht vor, weil die beruflichen Voraussetzungen fehlten, weil keine altersuntypischen Bandscheibenschäden hätten gesichert werden können, weil kein klinischer Befund im Sinne eines lokalen Lumbal- oder lumbalen Wurzelsyndroms vorliege und weil letztlich in Form des asymmetrischen Übergangswirbels L5/S1 eine wesentliche außerberuflich bedingte konkurrierende Mitursache für die geklagten Beschwerden im unteren Bereich der LWS bestehe. Eine BK Nr. 2109 sei - ebenfalls - nicht mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, weil die beruflichen Voraussetzungen nicht vorlägen und weil kein altersuntypischer Bandscheibenschaden an der HWS vorliege. Die genannten Befunde hat Prof. Dr. L.-M. auch unter Auswertung des radiologischen Zusatzgutachtens von Dr. O. erhoben. Der weitere Zusatzgutachter, Neurologe und Psychiater Dr. N., hat außerdem ausgeführt, bei der neurologischen Untersuchung sei keine radikuläre Störung des Nervensystems fassbar gewesen, auch sei die kräftige Muskelbemantelung und Schwielenbildung an den Fingern mit den geschilderten Bewegungseinschränkungen nicht in Einklang zu bringen. Im psychopathologischen Befund liege eine leichtgradige depressive Störung vor, die das intensive Schmerzerleben begleite. Insgesamt lasse sich das ausgeprägte Schmerzverhalten nicht mit somatischen Mechanismen erklären, es kämen eine veränderte Wahrnehmung und Bewertung von Körpervorgängen hinzu. Die Hinweise auf körperliche Bewegung sprächen für eine bewusstseinsnahe Ausgestaltung der Schmerzen. Wahrscheinlich habe sich das Selbstbild als schmerzkrank im Laufe der Zeit verselbstständigt. Eine MdE lasse sich jedenfalls neurologisch nicht begründen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Akten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, und auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG seine Anfechtungs-, Feststellungs- und (im Hinblick auf das Entschädigungsbegehren) Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, Abs. 4, § 55 Abs. 1 Halbsatz 1 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) als unbegründet abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig. Bei dem Kläger liegt keine der geltend gemachten BK Nrn. 2108 oder 2109 vor, weshalb weder ein Anspruch auf Feststellung einer solchen BK noch ein Anspruch auf daraus folgende Leistungen wie z. B. eine Verletztenrente besteht.
Die rechtlichen Anforderungen und Voraussetzungen an die Feststellung einer BK nach den §§ 7 Abs. 1, 9 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) und der nach dieser Norm erlassenen BKV hat das SG in dem angegriffenen Urteil ausführlich und zutreffend dargelegt; hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG). Das Gleiche gilt insbesondere für die Anforderungen an die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK nach Nrn. 2108 und 2109 auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des BSG im Nachgang zu dem Urteil vom 30.10.2007. Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, lag die Gesamtbelastungsdosis der LWS und der HWS, welcher der Kläger im Laufe seiner insgesamt 7 Jahre 11 Monate umfassenden Erwerbstätigkeit als Bauhelfer ausgesetzt war, sogar noch unterhalb der Hälfte der Orientierungswerte nach dem MDD, sodass ohne weitere arbeitstechnische Ermittlungen die Klage abgewiesen werden konnte. Hierbei ist nur am Rande darauf hinzuweisen, dass der PD der Beklagten bei seiner neuen Berechnung der Gesamtbelastungsdosis vom 21.12.2009 während des Verfahrens vor dem SG eine insgesamt höhere Arbeitszeit zu Grunde gelegt hat als notwendig. Bei der Neuberechnung ist der PD von 2,63 Arbeitsjahren bei Heinzelmann und von 5,31 Arbeitsjahren bei A. ausgegangen, zusammen mithin 7,93 Jahre. Hierbei hat der PD - wie schon in der ersten Berechnung vom 03.03.2008 - Fehlzeiten nur in der zweiten Beschäftigung abgezogen, und zwar 0,33 Jahre (86 Tage). Der Kläger hatte jedoch schon in seiner ersten Beschäftigung Fehlzeiten aufzuweisen, denn nach dem Arbeitsunfall am 21.07.1992 hatte er seine Arbeit nach der Entgeltfortzahlung und dem Bezug von Verletztengeld erst am 14.09.1992 wieder aufgenommen, außerdem war er am Ende dieser Beschäftigung erneut arbeitsunfähig erkrankt und bezog seit dem 26.10.1993 Krankengeld. Für die Beschäftigung bei Heinzelmann waren daher dreieinhalb Monate weniger zu berücksichtigen.
Wie das im Berufungsverfahren auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers erhobene Gutachten bei Prof. Dr. L.-M. ergeben hat, fehlen bei dem Kläger darüber hinaus die medizinischen Voraussetzungen der geltend gemachten BK. Auf diesen Punkt hatte auch das SG - hilfsweise - seine Entscheidung gestützt. Bei dem Kläger liegen mit Ausnahme des Beeinträchtigung an den Segmenten L5/S1 - die Prof. Dr. L.-M. jedoch nicht als Prolaps im eigentlichen Sinne, sondern nur als "Prolaps-Grenzbefund" bezeichnet - keinerlei altersuntypischen Veränderungen der HWS oder der LWS vor, insbesondere keine Bandscheibenschäden. Dementsprechend waren auch keine Wirbelsäulensyndrome oder Wurzelreizsymptome festzustellen. Dagegen hat Prof. Dr. L.-M. - gestützt auf das radiologische Zusatzgutachten von Dr. O. - einen asymmetrischen Übergangswirbel an dem genannten Segment festgestellt, der angeboren oder außerberuflich verursacht sein kann, aber jedenfalls weitaus eher als die Berufstätigkeit des Klägers als Ursache des genannten "Prolaps-Grenzbefunds" in Frage kommt. Der Senat hat keinen Anlass, an den Feststellungen Prof. Dr. L.-M.s zu zweifeln. Er und die beiden Zusatzgutachter haben den Kläger umfassend, auch bildgebend, untersucht, und nicht nur die Schilderungen des Klägers über die empfundenen Schmerzen zu Grunde gelegt. Die Feststellungen decken sich mit den zahlreichen Vorbefunden und anderen gutachterlichen Untersuchungen aus den früheren Gerichtsverfahren des Klägers. Auf somatischem Gebiet war bei dem Kläger ausschließlich ein Prolaps an einem Wirbelsäulensegment festgestellt worden, wobei Dr. C. diesen anfangs bei L4/5 verortet hatte, während bereits Dr. E. in seinem ersten Gutachten vom 08.11.2002 die Segmente "L4/5" (bzw. L5/6, was L5/S1 entspricht) genannt hatte. Weitere altersuntypische organische Veränderungen an der Wirbelsäule waren dagegen bei dem Kläger nicht festgestellt worden. Nunmehr konnte dieser Vorfall unterhalb eines echten Prolaps eingeordnet werden. Diese Befunde rechtfertigen es nicht, von einer "bandscheibenbedingten Erkrankung" der LWS auszugehen. An der HWS besteht darüber hinaus überhaupt keine Veränderung, die als Krankheit eingeordnet werden könnte. Und vor allem hat Dr. N. als Neurologe und Psychiater das chronische Schmerzsyndrom, das der Kläger beklagt, nachvollziehbar anders erklärt als mit einer Veränderung von Bandscheiben an der LWS oder der HWS, nämlich als zum Teil willentlich steuerbar und zum Teil als Ausfluss einer leichtgradigen depressiven Erkrankung. Dass das Schmerzsyndrom zum Teil willentlich steuerbar ist, hat Dr. N. auch an den Bewegungsspuren, nämlich den Schwielen an den Händen und der nicht verminderten Muskulatur, festgemacht. Im Übrigen deckt sich diese Einschätzung mit jener früherer Gutachter. Bereits in dem rentenrechtlichen Verfahren S 12 RJ 1257/04 vor dem SG hatten sowohl der Gutachter der DRV Baden-Württemberg, Dr. Knak, als auch die Gerichtssachverständigen Prof. Dr. G. und Prof. Dr. F. von erheblichen zumindest aggravierenden Tendenzen gesprochen. So hatte Prof. Dr. G. bereits damals berichtet, dass der Kläger bei den langfristigen Untersuchungen, aber auch z. B. beim An- und Auskleiden, keine Schmerzanzeichen zeigte, aber über "heftigste Schmerzen" klagte. Vor diesem Hintergrund ist auch die Einschätzung von Dr. N., dass jedenfalls auf neurologischem Gebiet keine MdE vorliege, nachzuvollziehen. Eine auf einem anderen Fachgebiet liegende MdE hätte für das vorliegende Verfahren auf Feststellung einer BK nach den Nrn. 2108 oder 2109 ohnehin keine Bedeutung.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor. Insbesondere hat die Sache keine grundsätzliche rechtliche Bedeutung im Sinne von § 160 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Soweit es um die arbeitstechnischen Voraussetzungen einer BK nach Nrn. 2108 oder 2109 nach der Anlage zur BKV geht, ist die Rechtslage nach dem Urteil des BSG vom 30.10.2007 geklärt. Die daneben bestehende, selbstständig tragende Erwägung des Senats, bei dem Kläger fehlten auch die medizinischen Voraussetzungen der genannten Berufskrankheiten, ist eine tatrichterlicher Würdigung des Einzelfalls.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung und Entschädigung einer Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit.
Der am 30.04.1961 geborene Kläger war in der Türkei zeitweise in der Gastronomie beschäftigt gewesen. Er wanderte im Jahre 1990 nach Deutschland ein. Er war ab dem 17.04.1991 als Bauhelfer und angelernter Mauerer bei dem Bauunternehmen J. Heinzelmann beschäftigt. Am 21.07.1992 erlitt er einen Arbeitsunfall, bei dem er beim Absteigen von einem Gerüst fünf bis sechs Meter abstürzte und auf Gesäß und Rücken fiel. Er zog sich im Wesentlichen einen Bruch des ersten Lendenwirbelkörpers (1. LWK) zu. Die damals zuständige Berufsgenossenschaft, eine der Rechtsvorgängerinnen der Beklagten (im Folgenden einheitlich: Beklagte), erkannte als Unfallfolge eine "verheilte Fraktur des 1. LWK mit geringer Verformung der Vorderkante" an. Sie gewährte Krankenbehandlung und zuletzt Verletztengeld bis zum 13.09.1992. Die vom Kläger begehrte Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. lehnte sie mit Bescheid vom 08.02.1994 ab.
Das genannte Beschäftigungsverhältnis endete am 02.12.1993, wobei der Kläger zuletzt erneut arbeitsunfähig erkrankt war und ab dem 26.10.1993 Krankengeld bezog. Der Krankengeldbezug dauerte an bis zum 07.01.1994, im Anschluss bezog der Kläger Leistungen der Arbeitsförderung. Er war sodann vom 01.07.1994 bis zum 17.02.2000, wiederum als Bauhelfer, bei dem Unternehmen P. A. beschäftigt, wobei er Lohn bzw. Entgeltfortzahlung in den Zeiträumen 01.07.1994 bis 31.12.1995, 07.03.1996 bis 03.02.1997, 02.04.1997 bis 06.08.1998 und 09.08.1998 bis 17.02.2000 bezog, in den dazwischen liegenden Zeiten dagegen Arbeitslosengeld und am 07. und 08.08.1998 Krankengeld. Ab dem 18.02.2000 bezog der Kläger Krankengeld und Leistungen der Arbeitsförderung, war aber nicht wieder versicherungspflichtig beschäftigt.
Der Kläger stellte sich im April 2000 bei seinem behandelnden Arzt Dr. B. vor und klagte über Wirbelsäulenbeschwerden und erhebliche Schmerzzustände, die nach seinen späteren Angaben bereits über mehrere Jahre angehalten hätten. Erstmals unter dem 15.05.2000 diagnostizierte Dr. C. unter anderem eine mäßiggradige, dorsale Bandscheibenprotusion zwischen den LWK 4/5 ohne Kompressionseffekt auf den Duralsack bei im Übrigen unauffälligem Befund.
Mit Bescheid vom 23.06.2000 erkannte das zuständige Versorgungsamt bei dem Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 an, wobei es die Wirbelsäulenbeeinträchtigungen mit einem Einzel-GdB von 30 berücksichtigte. Einen Erhöhungsantrag des Klägers lehnte das Versorgungsamt mit Bescheid vom 27.01.2004, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 01.04.2004, ab. Die hiergegen erhobene Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG, S 7 SB 1078/04) nahm der Kläger, nachdem das SG die behandelnden Ärzte als Zeugen gehört hatte, mit Schriftsatz vom 10.11.2004 zurück.
Am 18.12.2000 hatte der Kläger Erwerbsminderungsrente bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Baden-Württemberg beantragt. Nachdem dieser Antrag abgelehnt worden war, erhob der Kläger Klage zum SG (S 11 RJ 2467/01). Das SG erhob das Gutachten vom 17.06.2002 bei dem Orthopäden Dr. D. und - auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers - das Gutachten vom 08.11.2002 bei den Neurologen und Psychiater Dr. E ... Nachdem dieser eine dauernde Schmerzkrankheit wegen der Kompressionsfraktur des 1. (oder 2.) LWK und wegen einer stattgehabten Band¬schei¬ben¬protusion im Segment LWK 4/5 (bzw. LWK5/SWK1) diagnostiziert und eine Verminderung des Leistungsvermögens auf drei bis unter sechs Stunden arbeitstäglich angenommen hatte, gewährte die DRV Baden-Württemberg dem Kläger auf Grund Anerkenntnisses vom 08.01.2003 befristet Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.09.2002 bis zum 29.02.2004. Nachdem ein Fortzahlungsantrag mit Bescheid vom 10.12.2003, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 19.04.2004, abgelehnt worden war, erhob der Kläger erneut Klage zum SG (S 12 RJ 1257/04). Das SG ließ den Kläger erneut bei Dr. E. begutachten. Dieser bestätigte zwar in seinem Gutachten vom 28.09.2004 seine frühere Einschätzung. Jedoch stellten die weiteren vom SG eingeholten Gutachten des Orthopäden Prof. Dr. F. vom 01.06.2005 und des Neurologen Prof. Dr. G. vom 17.06.2005 fest, dass keine Hinweise auf eine Schmerzkrankheit vorlägen und das Restleistungsvermögen des Klägers nicht nennenswert eingeschränkt sei. Daraufhin holte das SG auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers ein interdisziplinäres Gutachten bei Prof. Dr. H., Schmerzzentrum Freiburg, ein. Auch dieser Gutachter bestätigte unter dem 03.12.2005 ein vollschichtiges Leistungsvermögen. Daraufhin wies das SG die Klage mit Urteil vom 03.07.2006 ab. Dieses Urteil wurde rechtskräftig. Der Kläger bezog ab dem 01.03.2004 wiederum Arbeitslosenhilfe und bezieht seit dem 01.01.2005 Arbeitslosengeld II.
Ebenfalls Ende 2000/Anfang 2001 machte der Kläger eine Verschlimmerung der Folgen des Arbeitsunfalls geltend. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 05.04.2001, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 28.06.2002, die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Unfallfolgen erneut ab. Der Kläger erhob hiergegen Klage zum SG (S 7 U 1726/02). Das vom SG eingeholte Gutachten von Orthopäden und Unfallchirurg Prof. Dr. Weise vom 04.04.2003 kam zu dem Ergebnis, dass die unfallbedingte, verbliebene Deformierung des 2. LWK keine funktionelle Einschränkung bedinge, während die zwischenzeitlich stattgehabte Bandscheibenprotusion L4/5 nicht mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen sei. Nachdem der Orthopäde Priv.-Doz. Dr. I in dem auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers eingeholten Gutachten vom 03.12.2003 diese Einschätzungen Prof. Dr. K. bestätigt hatte, wies das SG die Klage mit Urteil vom 09.12.2004 ab. Der Kläger legte hiergegen Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG, L 2 U 71/05) ein. Im Berufungsverfahren wurde auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers ein weiteres Gutachten bei Dr. E. eingeholt. Nachdem auch dieser unter dem 06.12.2005 festgestellt hatte, dass die vom Kläger geklagten Schmerzen nicht auf das Unfallereignis vom 21.07.1992 zurückgeführt werden könnten, nahm der Kläger die Berufung am 13.02.2006 zurück.
Kurze Zeit später, am 28.06.2006, beantragte der Kläger bei der Beklagten erneut die Gewährung einer Verletztenrente, und zwar zum einen - im Rahmen eines Überprüfungs- sowie eines Verschlimmerungsantrags - wiederum wegen der Unfallfolgen, zum anderen aber nunmehr auch wegen einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 ("bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule wegen langjährigen Hebens oder Tragens schwerer Lasten und/oder langjähriger Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung") oder Nr. 2109 ("bandscheibenbedingte Erkrankung der Halswirbelsäule wegen langjährigen Tragens schwerer Lasten auf der Schulter") der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Den genannten Überprüfungs- und Verschlimmerungsantrag wegen der Unfallfolgen lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14.08.2006, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 10.11.2006, ab. Hiergegen erhob der Kläger erneut Klage zum SG (S 7 U 4687/06). Das SG hörte die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen an. Nachdem diese keine Veränderungen im Gesundheitszustand des Klägers bekundet hatten, wies das SG die Klage mit Urteil vom 06.12.2007 ab. Die hiergegen eingelegte Berufung wies das LSG mit Urteil vom 30.03.2010 zurück. Das LSG führte aus, die vom Kläger geklagten Schmerzen könnten allenfalls auf die im Jahre 2000 stattgehabte Bandscheibenprotusion zurückgeführt werden. Diese beruhe jedoch nicht kausal auf dem Unfall vom 21.07.1992. Wegen der weiteren Ausführungen des LSG wird auf das genannte Urteil, das beiden Beteiligten bekannt ist, verwiesen.
In dem Verfahren über den weiteren Antrag wegen der Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit holte die Beklagte bei der DRV Baden-Württemberg den Versicherungsverlauf und bei der zuständigen Krankenkasse das Vorerkrankungverzeichnis des Klägers ein. Der Präventionsdienst (PD) der Beklagten stellte sich auf den Standpunkt, dass der Kläger in seinem Berufsleben insgesamt 7 Jahre 11 Monate einer schädigenden Berufstätigkeit im Sinne der BK 2108 ausgesetzt gewesen sei und dass damit eine langjährige Tätigkeit im Sinne der BKV nicht gegeben sei. Nachdem die Beklagte den Kläger mehrmals aufgefordert hatte, etwaige weitere Beschäftigungsverhältnisse, die nicht bekannt seien, anzugeben, lehnte sie mit zwei getrennten Bescheiden vom 16.08.2007 die Anerkennung und Entschädigung der BK Nr. 2108 und der BK Nr. 2109 ab. Sie führte übereinstimmend aus, die arbeitstechnischen Voraussetzungen lägen nicht vor. Die für die Anerkennung nötige langjährige schädigende Berufstätigkeit müsse mindestens 10 Jahre umfassen. Der Kläger habe jedoch weniger als acht Jahre gearbeitet; weitere Beschäftigungen habe er nicht mitgeteilt.
Der Kläger erhob gegen diese Bescheide Widerspruch und führe aus, die BKV kenne eine Untergrenze von 10 Jahren nicht; auch kürzere Einwirkungen könnten eine wesentliche Ursache einer BK sein. Der PD hörte daraufhin am 29.02.2008 den Kläger mündlich zu Art und Umfang seiner beruflichen Tätigkeiten an. Der Kläger bestätigte die oben genannten Tätigkeitszeiträume. Der PD legte die Zeiträume 17.04.1991 bis 02.12.1993 ohne Fehlzeiten und 01.07.1994 bis 17.02.2000 mit Abzug von 86 Arbeitstagen (wegen Nichtbeschäftigung bei Schlechtwetter) ab. Die durchschnittlichen wirbelsäulenrelevanten Belastungen (nach dem Vortrag des Klägers im Wesentlichen gelegentliches Tragen von Kanthölzern und Dielen mit mehr als 50 kg Gewicht auf der Schulter) bezifferte der PD mit 5 %. Nach dem von ihm zu Grunde gelegten "Mainz-Dortmunder Dosismodell" (MDD) ergab sich hieraus eine Gesamtbelastungsdosis von 7,7 x 106 Nh. Dieser liege unter der für die Anerkennung der BK 2108 oder 2109 zu fordernden Dosis von 25 x 106 Nh. Gestützt auf diese Einschätzung wies die Beklagte die beiden Widersprüche mit getrennten Widerspruchsbescheiden vom 18.04.2008 zurück.
Hinsichtlich beider Berufskrankheiten hat der Kläger am 23.05.2008 Klage zum SG erhoben (S 7 U 1903/08). Er hat vorgetragen, bei ihm hätten in seinem Arbeitsleben überdurchschnittliche Belastungen sowohl der Lenden- wie auch der Halswirbelsäule vorgelegen. Die Belastungen hätten höher als 5 % gelegen, hilfsweise sei auch eine solche Belastung als schädigend anzusehen.
Nachdem die Beklagte der Klage entgegengetreten war, hat das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Dr. E. hat unter dem 06.05.2009 mitgeteilt, er gehe nicht davon aus, dass die bandscheibenbedingte Erkrankung mit Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen sei, nachdem dafür jeweils eine langjährige, mindestens 10-jährige Belastung vorausgesetzt sei, die beim Kläger fehle.
Unter dem 23.11.2009 hat das SG die Beklagte darauf hingewiesen, dass nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30.10.2007 (B 2 U 4/06 R) zwar das MDD zur Ermittlung beruflicher Einwirkungen im Sinne der BK Nr. 2108 grundsätzlich geeignet sei, dass aber ausgehend von den Ergebnissen der Deutschen Wirbelsäulenstudie Modifikationen notwendig seien. Die Beklagte legte daraufhin die Stellungnahme ihres PD vom 21.12.2009 vor. Darin war der PD unter Zugrundelegung der nach dem Urteil des BSG geänderten Prüfungsmaßstäbe bei dem Kläger zu einer Gesamtbelastungsdosis von 11,6 x 106 Nh (11,6 MNh) gekommen, die nur 46 % des Orientierungswertes von 25 x 106 Nh (25 MNh) für Männer betrage.
Zu dieser Neubewertung hat der Kläger vorgetragen, der ermittelte Wert liege nur knapp unter dem maßgeblichen Referenzwert von 50 % des Orientierungswertes, also 12,5 MNh. Es sei daher von einer massiven Belastung auszugehen. Ferner hat der Kläger noch das Kurzgutachten von Dr. Klawitter vom 22.04.2010 zur Akte gereicht, das ihm eine voraussichtlich mehr als sechs Monate andauernde, aber nicht dauerhafte Verringerung des Leistungsvermögens auf unter drei Stunden arbeitstäglich bescheinigt hat.
Mit Urteil vom 29.09.2010 hat das SG die Klage abgewiesen.
Es hat zum einen ausgeführt, bei dem Kläger seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen weder der BK Nr. 2108 noch der BK Nr. 2109 erfüllt: Insoweit sei bei der BK Nr. 2108 (LWS) ein langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten erforderlich. Bei dem Kläger fehle es an der Langjährigkeit; außerdem seien die getragenen Lasten nicht schwer im Sinne der BKV gewesen. Hierbei sei zur Bestimmung der Belastungsdosis das MDD heranzuziehen. Allerdings lege das MDD keine Mindest-, sondern nur Orientierungswerte fest. Danach sei eine BK auch dann nicht von vornherein ausgeschlossen, wenn diese Werte unterschritten würden. Die Mindestbelastungswerte müssten niedriger als die Orientierungswerte angesetzt werden, damit sie auch in besonderen Fällen, etwa beim Zusammenwirken von Heben und Tragen mit anderen schädlichen Einwirkungen, ihre Funktion als Ausschlusskriterium erfüllen könnten. Wenn jedoch die Orientierungswerte so deutlich unterschritten würden, dass das durch sie beschriebene Gefährdungsniveau nicht annähernd erreicht sei, so seien die tatbestandlichen Voraussetzungen der BK zu verneinen, ohne dass es weiterer Feststellungen zum Krankheitsbild oder zum Kausalzusammenhang im Einzelfall bedürfe. Ferner seien die Orientierungswerte des MDD auf Grund neuerer Erkenntnisse, etwa nach den Ergebnissen der "Deutschen Wirbelsäulenstudie", zu modifizieren, wie es auch das BSG in dem Urteil vom 30.10.2007 getan habe. Hiernach sei für das Tragen bzw. Heben von 20 kg eine Mindestdruckkraft von 2.700 N statt 3.200 pro Arbeitsvorgang anzusetzen. Auf eine Mindesttagesdosis sei zu verzichten. Es seien dann alle Hebe- und Tragebelastungen, die diese Mindestbelastung erreichten, entsprechend dem quadratischen Ansatz zu berechnen und aufzuaddieren. Der untere Grenzwert, bei dessen Unterschreiten ein Kausalzusammenhang zwischen den Einwirkungen und der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS ausgeschlossen werden könne, sei auf die Hälfte des vom MDD vorgeschlagenen Orientierungswerts von 25,0 MNh festzusetzen. Diesen Anforderungen genüge die neue Berechnung des PD der Beklagten vom 21.12.2009. Sie habe bei dem Kläger eine Mindestdruckkraft von 2,7 x 103 N pro Arbeitsvorgang angesetzt, auf eine Mindesttagesbelastungsdosis verzichtet und als unteren Grenzwert die Hälfte des Orientierungswertes angesetzt. Dieser Grenzwert von 12,5 MNh sei bei dem Kläger leicht unterschritten gewesen, sodass allein deshalb die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2108 verneint werden könnten. Zudem sei zu berücksichtigen, dass für das Merkmal der Langjährigkeit etwa 10 Belastungsjahre als untere Grenze zu fordern seien, die bei dem Kläger mit insoweit lediglich 7 Jahren 11 Monaten nicht vorlägen. Die BK Nr. 2109 sei bei dem Kläger zu verneinen, da er nicht langjährig schwere Lasten von mindestens 50 kg auf der Schulter getragen habe. Vielmehr habe der Kläger auch nach seinen Angaben in dem Gespräch mit dem PD der Beklagten Lastgewichte von 50 kg und mehr nur in geringem Umfang, d.h. unter einem Drittel der Arbeitsschicht, auf den Schultern getragen, sodass der Zeitanteil dieser Tätigkeiten mit 5 % anzusetzen sei.
Unabhängig hiervon, so hat das SG weiter ausgeführt, fehlte es bei der LWS an einem belastungskonformen Schadensbild im Sinne der BK Nr. 2108; während an der HWS eine bandscheibenbedingte Erkrankung, wie sie die BK Nr. 2109 voraussetze, (überhaupt) nicht habe festgestellt werden können. Generell müssten sich die Bandscheibenschäden in dem beruflich belasteten Abschnitt der Wirbelsäule von dem Degenerationszustand belastungsferner Abschnitte deutlich abheben. Für die BK Nr. 2108 sei aus diesem Grunde in der Regel ein von oben nach unten in der Ausprägung zunehmender Befund erforderlich. Da bei dem Kläger die in dem Parallelverfahren gehörten Gutachter bereits ein Jahr nach dem Arbeitsbeginn einen Bandscheibenvorfall gesichert hätten, die bildgebenden Verfahren darüber hinaus an der LWS das altersdurchschnittlich zu erwartende Ausmaß (der Schädigungen) nicht deutlich überschritten hätten, kein von oben nach unten zunehmender Befund vorliege und zudem konkurrierend eine hohlrunde Rückenfehlstatik festgestellt worden sei, liege kein belastungskonformes Schadensbild vor. An der HWS hätten sowohl Prof. Dr. Weise als auch Prof. Dr. F. in den Jahren 2003 und 2005 keine Auffälligkeiten entdeckt. Sollte zwischenzeitlich auch dort eine bandscheibenbedingte Erkrankung vorliegen, so sei diese zumindest nicht in unmittelbarer zeitlicher Nähe, sondern mindestens fünf Jahre nach Aufgabe der potenziell schädlichen Tätigkeit aufgetreten.
Gegen dieses Urteil, das seinen Prozessbevollmächtigten am 18.11.2010 zugestellt worden ist, hat der Kläger am 16.12.2010 Berufung zum LSG eingelegt. Die MDD seien pseudowissenschaftlich, es handle sich um ein antizipiertes Sachverständigengutachten, das der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften herausgegeben habe. Es sei ein arbeitstechnisches Sachverständigengutachten einzuholen. Auch 7 Jahre 11 Monate seien eine längere Belastung. 5 % der Arbeitsschicht beim Tragen von Kanthölzern und Dielen auf der Schulter sei vollkommen ausreichend, eine Belastung der HWS auszumachen. Das SG habe nicht beachtet, dass nach dem Kurzgutachten von Dr. Klawitter vom 22.04.2010 inzwischen auch an der HWS eine Bandscheibenprotusion diagnostiziert worden sei, und zwar an den Segmenten C3/C5.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 29. September 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 16. August 2007 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 18. April 2008 zu verurteilen, bei ihm die Berufskrankheiten Nr. 2108 und Nr. 2109 anzuerkennen und, insbesondere durch Verletztenrente und ggfs. Übergangsleistungen, zu entschädigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angegriffene Urteil und ihre Entscheidungen.
Auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers hat der Senat bei Prof. Dr. L.-M. das arbeitsmedizinische Gutachten vom 07.12.2011 sowie - über den Hauptgutachter - die Zusatzgutachten vom 24.10.2011 bei dem Neurologen und Psychiater Dr. N. und vom 10.10.2011 bei dem Radiologen Dr. O. erhoben. Prof. Dr. L.-M. hat festgestellt, bei dem Kläger handle es sich um eine Impressionsfraktur des ersten Lendenwirbelkörpers (Erstdiagnose 21.07.1992), einen Prolaps-Grenzbefund an den WS-Segmenten L5/S1 (ED 07.01.2002), eine "accessorische Bandscheibe" S1/S2 (ED 07.01.2002) und einen asymmetrischen Übergangswirbel bei L5/S1 vom Typ 1a nach Barzó pp (ED 02.10.2003). Die am 30.09.2011 in einer Magnetresonanztherapie festgestellte minimale Bandscheibenprotusion der HWS an den Segmenten C5/C6 und C6/C7 habe noch festgestellt werden können, jedoch beständen weder eine Chondrose noch ein Prolaps. Auch nach dem radiologischen Zusatzgutachten leide der Kläger weder an der Lenden- noch an der Hals- oder Brustwirbelsäule an altersuntypischen degenerativen Veränderungen. Die Degeneration der LWS sei stärker ausgeprägt als an der HWS. Eine BK Nr. 2108 liege bei dem Kläger nicht vor, weil die beruflichen Voraussetzungen fehlten, weil keine altersuntypischen Bandscheibenschäden hätten gesichert werden können, weil kein klinischer Befund im Sinne eines lokalen Lumbal- oder lumbalen Wurzelsyndroms vorliege und weil letztlich in Form des asymmetrischen Übergangswirbels L5/S1 eine wesentliche außerberuflich bedingte konkurrierende Mitursache für die geklagten Beschwerden im unteren Bereich der LWS bestehe. Eine BK Nr. 2109 sei - ebenfalls - nicht mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, weil die beruflichen Voraussetzungen nicht vorlägen und weil kein altersuntypischer Bandscheibenschaden an der HWS vorliege. Die genannten Befunde hat Prof. Dr. L.-M. auch unter Auswertung des radiologischen Zusatzgutachtens von Dr. O. erhoben. Der weitere Zusatzgutachter, Neurologe und Psychiater Dr. N., hat außerdem ausgeführt, bei der neurologischen Untersuchung sei keine radikuläre Störung des Nervensystems fassbar gewesen, auch sei die kräftige Muskelbemantelung und Schwielenbildung an den Fingern mit den geschilderten Bewegungseinschränkungen nicht in Einklang zu bringen. Im psychopathologischen Befund liege eine leichtgradige depressive Störung vor, die das intensive Schmerzerleben begleite. Insgesamt lasse sich das ausgeprägte Schmerzverhalten nicht mit somatischen Mechanismen erklären, es kämen eine veränderte Wahrnehmung und Bewertung von Körpervorgängen hinzu. Die Hinweise auf körperliche Bewegung sprächen für eine bewusstseinsnahe Ausgestaltung der Schmerzen. Wahrscheinlich habe sich das Selbstbild als schmerzkrank im Laufe der Zeit verselbstständigt. Eine MdE lasse sich jedenfalls neurologisch nicht begründen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Akten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, und auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG seine Anfechtungs-, Feststellungs- und (im Hinblick auf das Entschädigungsbegehren) Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, Abs. 4, § 55 Abs. 1 Halbsatz 1 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) als unbegründet abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig. Bei dem Kläger liegt keine der geltend gemachten BK Nrn. 2108 oder 2109 vor, weshalb weder ein Anspruch auf Feststellung einer solchen BK noch ein Anspruch auf daraus folgende Leistungen wie z. B. eine Verletztenrente besteht.
Die rechtlichen Anforderungen und Voraussetzungen an die Feststellung einer BK nach den §§ 7 Abs. 1, 9 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) und der nach dieser Norm erlassenen BKV hat das SG in dem angegriffenen Urteil ausführlich und zutreffend dargelegt; hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG). Das Gleiche gilt insbesondere für die Anforderungen an die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK nach Nrn. 2108 und 2109 auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des BSG im Nachgang zu dem Urteil vom 30.10.2007. Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, lag die Gesamtbelastungsdosis der LWS und der HWS, welcher der Kläger im Laufe seiner insgesamt 7 Jahre 11 Monate umfassenden Erwerbstätigkeit als Bauhelfer ausgesetzt war, sogar noch unterhalb der Hälfte der Orientierungswerte nach dem MDD, sodass ohne weitere arbeitstechnische Ermittlungen die Klage abgewiesen werden konnte. Hierbei ist nur am Rande darauf hinzuweisen, dass der PD der Beklagten bei seiner neuen Berechnung der Gesamtbelastungsdosis vom 21.12.2009 während des Verfahrens vor dem SG eine insgesamt höhere Arbeitszeit zu Grunde gelegt hat als notwendig. Bei der Neuberechnung ist der PD von 2,63 Arbeitsjahren bei Heinzelmann und von 5,31 Arbeitsjahren bei A. ausgegangen, zusammen mithin 7,93 Jahre. Hierbei hat der PD - wie schon in der ersten Berechnung vom 03.03.2008 - Fehlzeiten nur in der zweiten Beschäftigung abgezogen, und zwar 0,33 Jahre (86 Tage). Der Kläger hatte jedoch schon in seiner ersten Beschäftigung Fehlzeiten aufzuweisen, denn nach dem Arbeitsunfall am 21.07.1992 hatte er seine Arbeit nach der Entgeltfortzahlung und dem Bezug von Verletztengeld erst am 14.09.1992 wieder aufgenommen, außerdem war er am Ende dieser Beschäftigung erneut arbeitsunfähig erkrankt und bezog seit dem 26.10.1993 Krankengeld. Für die Beschäftigung bei Heinzelmann waren daher dreieinhalb Monate weniger zu berücksichtigen.
Wie das im Berufungsverfahren auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers erhobene Gutachten bei Prof. Dr. L.-M. ergeben hat, fehlen bei dem Kläger darüber hinaus die medizinischen Voraussetzungen der geltend gemachten BK. Auf diesen Punkt hatte auch das SG - hilfsweise - seine Entscheidung gestützt. Bei dem Kläger liegen mit Ausnahme des Beeinträchtigung an den Segmenten L5/S1 - die Prof. Dr. L.-M. jedoch nicht als Prolaps im eigentlichen Sinne, sondern nur als "Prolaps-Grenzbefund" bezeichnet - keinerlei altersuntypischen Veränderungen der HWS oder der LWS vor, insbesondere keine Bandscheibenschäden. Dementsprechend waren auch keine Wirbelsäulensyndrome oder Wurzelreizsymptome festzustellen. Dagegen hat Prof. Dr. L.-M. - gestützt auf das radiologische Zusatzgutachten von Dr. O. - einen asymmetrischen Übergangswirbel an dem genannten Segment festgestellt, der angeboren oder außerberuflich verursacht sein kann, aber jedenfalls weitaus eher als die Berufstätigkeit des Klägers als Ursache des genannten "Prolaps-Grenzbefunds" in Frage kommt. Der Senat hat keinen Anlass, an den Feststellungen Prof. Dr. L.-M.s zu zweifeln. Er und die beiden Zusatzgutachter haben den Kläger umfassend, auch bildgebend, untersucht, und nicht nur die Schilderungen des Klägers über die empfundenen Schmerzen zu Grunde gelegt. Die Feststellungen decken sich mit den zahlreichen Vorbefunden und anderen gutachterlichen Untersuchungen aus den früheren Gerichtsverfahren des Klägers. Auf somatischem Gebiet war bei dem Kläger ausschließlich ein Prolaps an einem Wirbelsäulensegment festgestellt worden, wobei Dr. C. diesen anfangs bei L4/5 verortet hatte, während bereits Dr. E. in seinem ersten Gutachten vom 08.11.2002 die Segmente "L4/5" (bzw. L5/6, was L5/S1 entspricht) genannt hatte. Weitere altersuntypische organische Veränderungen an der Wirbelsäule waren dagegen bei dem Kläger nicht festgestellt worden. Nunmehr konnte dieser Vorfall unterhalb eines echten Prolaps eingeordnet werden. Diese Befunde rechtfertigen es nicht, von einer "bandscheibenbedingten Erkrankung" der LWS auszugehen. An der HWS besteht darüber hinaus überhaupt keine Veränderung, die als Krankheit eingeordnet werden könnte. Und vor allem hat Dr. N. als Neurologe und Psychiater das chronische Schmerzsyndrom, das der Kläger beklagt, nachvollziehbar anders erklärt als mit einer Veränderung von Bandscheiben an der LWS oder der HWS, nämlich als zum Teil willentlich steuerbar und zum Teil als Ausfluss einer leichtgradigen depressiven Erkrankung. Dass das Schmerzsyndrom zum Teil willentlich steuerbar ist, hat Dr. N. auch an den Bewegungsspuren, nämlich den Schwielen an den Händen und der nicht verminderten Muskulatur, festgemacht. Im Übrigen deckt sich diese Einschätzung mit jener früherer Gutachter. Bereits in dem rentenrechtlichen Verfahren S 12 RJ 1257/04 vor dem SG hatten sowohl der Gutachter der DRV Baden-Württemberg, Dr. Knak, als auch die Gerichtssachverständigen Prof. Dr. G. und Prof. Dr. F. von erheblichen zumindest aggravierenden Tendenzen gesprochen. So hatte Prof. Dr. G. bereits damals berichtet, dass der Kläger bei den langfristigen Untersuchungen, aber auch z. B. beim An- und Auskleiden, keine Schmerzanzeichen zeigte, aber über "heftigste Schmerzen" klagte. Vor diesem Hintergrund ist auch die Einschätzung von Dr. N., dass jedenfalls auf neurologischem Gebiet keine MdE vorliege, nachzuvollziehen. Eine auf einem anderen Fachgebiet liegende MdE hätte für das vorliegende Verfahren auf Feststellung einer BK nach den Nrn. 2108 oder 2109 ohnehin keine Bedeutung.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor. Insbesondere hat die Sache keine grundsätzliche rechtliche Bedeutung im Sinne von § 160 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Soweit es um die arbeitstechnischen Voraussetzungen einer BK nach Nrn. 2108 oder 2109 nach der Anlage zur BKV geht, ist die Rechtslage nach dem Urteil des BSG vom 30.10.2007 geklärt. Die daneben bestehende, selbstständig tragende Erwägung des Senats, bei dem Kläger fehlten auch die medizinischen Voraussetzungen der genannten Berufskrankheiten, ist eine tatrichterlicher Würdigung des Einzelfalls.
Rechtskraft
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