Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 20 SB 2258/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 4227/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 12. August 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei der Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" (Rundfunkgebührenbefreiung und Sozialtarif für Telefonan-schlüsse) vorliegen.
Bei der 1947 geborenen Klägerin, die derzeit von der Deutschen Rentenversicherung Bund eine Altersrente in Höhe von monatlich 702,16 EUR sowie Wohngeld in Höhe von monatlich 111 EUR bezieht, stellte das Landratsamt B. mit Bescheid vom 20.03.2009 einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 seit 13.11.2008 fest.
Mit Änderungsantrag vom 19.06.2009 beantragte die Klägerin die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "RF". Das Landratsamt B. holte einen Befund¬bericht des behandelnden Arztes für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie K. vom 12.08.2009 ein. Darin gab er an, aus psychiatrischer Sicht bestehe derzeit eine mittelgradige depressive Episode bei Verdacht auf (V.a.) rezidivierende depressive Störung. Unter medikamentöser Behandlung habe sich nur eine mäßige Besserung der Symptomatik ergeben. Es bestünden ausgeprägte Selbstwertzweifel, bedingt auch durch eine Mamma-CA-Problematik, einen hochproblematischen Lebenslauf mit langjähriger Arbeitslosigkeit und Adipositas. Die Klägerin vermeide, wo es gehe, die Öffentlich-keit.
Mit Bescheid vom 20.10.2009 stellte das Landratsamt B. den GdB der Klägerin mit 90 seit 19.06.2009 fest. Hierbei legte es folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
- Erkrankung der linken Brust (in Heilungsbewährung), Lymphstauung des linken Armes Einzel-GdB 50 - Bluthochdruck Einzel-GdB 20 - Depression Einzel-GdB 40 - Diabetes mellitus (mit Diät und oralen Antidiabetika einstellbar) Einzel-GdB 20 - Chronische Bronchitis Einzel-GdB 20 - Fingerpolyarthrose, Daumengelenkarthrose Einzel-GdB 10.
Die Feststellung des Nachteilsausgleichs "RF" wurde mangels Vorliegen der erforderlichen Voraussetzungen abgelehnt.
Hiergegen erhob die Klägerin am 12.11.2009 Widerspruch. Dr. B., Facharzt für Allgemein-medizin, teilte unter dem 19.12.2009 mit, aufgrund des Diabetes mellitus komme es zu gelegentlichen Unterzuckerungen. Sehr belastend für die Klägerin sei jedoch eine diabetische Polyneuropathie, welche vor allem in Form einer Blasen-Inkontinenz deren Sozialverhalten nachhaltig beeinträchtige. Es sei ihr deshalb unmöglich, Veranstaltungen wie Konzerte oder Vorträge aufzusuchen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21.04.2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Mit der Begründung, eine Inkontinenz begründe nicht ohne weiteres die Feststellung des Nachteils-ausgleichs "RF". Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei das Tragen von Windelhosen zumutbar.
Hiergegen hat die Klägerin am 29.04.2010 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, weil sie ab 01.06.2010 Altersrente beziehen werde und die Rundfunkgebührenbefreiung mit Ende des Alg-II-Bezuges, also am 31.05.2010, ende, sei die Zuerkennung des begehrten Nachteilsausgleichs für die erneute Feststellung der Befreiungs-voraussetzungen notwendig.
Das SG hat die behandelnden Ärzte K. und Dr. B. als sachverständige Zeugen gehört. Der Arzt K. hat in der schriftlichen Zeugenaussage vom 06.07.2010 ausgeführt, der letzte Kontakt zur Klägerin habe im Januar 2010 bestanden. Bei ihr bestehe eine ausgeprägte Rückzugstendenz. Aufgrund sie ständig quälender depressiver Gedanken, geringem Selbstwertgefühl, Selbstunsicherheit und Scham habe sie im letzten Jahr weitestgehend vermieden, in die Öffentlichkeit zu gehen. Zudem sei das gelegentliche Besuchen von Veranstaltungen für sie, selbst wenn die Selbstwertgefühle und die Depressionen dies hypothetisch zugelassen hätten, auch deshalb nicht möglich, weil sie meine, sich diese Geldausgabe bei Hartz-IV-Bezug nicht leisten zu können. Es sei deshalb zumindest im letzten Jahr der Besuch von öffentlichen Veranstaltungen nicht möglich gewesen. Beigefügt war der ärztliche Entlassungsbericht über eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme vom 28.10.2008 bis 02.12.2008 in der A.-Klinik T. Im klinischen Aufnahmebefund wird darin hinsichtlich des zentralen Nervensystems (ZNS) und der Psyche ausgeführt, es bestünden keine psychischen Auffälligkeiten. Die Patientin sei freundlich, offen, zugewandt und allseits orientiert. Es bestehe keine akute Depressivität. Während der Maßnahme habe die Klägerin an verschiedenen psychologischen, ergothera¬peutischen und kunsttherapeutischen Therapieangeboten teilge¬nommen. Dr. B. hat in der schriftlichen Zeugenaussage vom 29.07.2010 die Auffassung vertreten, die Klägerin könne wegen massiver Knöchelödeme, schwerer Depressionen und einer pulmonalen Hypertonie ständig nicht mehr an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen. Dieser Beurteilung ist der Beklagte unter Vorlage einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. K. vom 04.11.2010 entgegengetreten.
Mit Urteil vom 12.08.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, weder die von den behandelnden Psychiater K. bescheinigte ausgeprägte Rückzugstendenz bei depressiver Entwicklung noch die von Dr. B. bestätigten Harninkontinenz rechtfertigten die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "RF". Auch die von Dr. B. in der sachverständigen Zeugenaussage vom 29.07.2010 angeführten massiven Knöchelödeme und eine pulmonale Hypertonie stünden der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen nicht ständig entgegen.
Gegen das am 29.08.2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 28.09.2011 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, das SG habe das Gutachten des Arztes K. verkannt, indem es angenommen habe, dass letztlich nicht die seelischen Behinderungen, sondern namentlich finanzielle Motive sie davon abhielten, öffentliche Veranstaltungen zu besuchen. Der Arzt K. habe jedoch unmissverständlich festgestellt, dass sie aufgrund ständig quälender depressiver Gedanken, ihrem geringen Selbstwertgefühl, Selbstunsicherheit und Scham es vermeide, in die Öffentlichkeit zu gehen. Auch habe es das SG versäumt, seien eigenen Zweifel an dem Beweiswert des von Dr. B. erstatteten Gutachtens nachzugehen, es habe die Beantwortung der Frage warum die Klägerin aufgrund massiver Knöchelödeme, schwerer Depressionen und pulmonaler Hypertonie dauerhaft an die Wohnung gebunden sein solle, bewusst offen gelassen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 12. August 2010 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 20. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2010 zu verpflichten, bei ihr die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" festzustellen, hilfsweise das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 12. August 2010 aufzuheben und die Sache an das Sozialgericht Freiburg zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten, die beigezogenen Akten des Beklagten sowie die Akten des Sozialgerichts Freiburg Bezug genommen.
II.
Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.
Die Berufung ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass bei ihr die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "RF" vorliegen.
Anspruchsgrundlage für die geltend gemachte Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" ist § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuches Neuntes Buch (SGB IX). Danach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Hierzu gehören auch die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, bei deren Erfüllung in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "RF" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr.5 der Schwerbehindertenausweisverordnung) (vgl. BSG, Urteil vom 08.11.2007 - B 9/9a SB 3/06 R - juris). Für die in Baden-Württemberg wohnhafte Klägerin ist Art. 5 § 6 Abs. 1 Nr. 8 des Achten Staatsvertrages zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom 8. bis 15.10.2004 in der Fassung des Baden-Württembergischen Gesetzes vom 17.03.2005 (GBl. 2005, 189) heranzuziehen (Landes-sozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.08.2011 - L 8 SB 5408/08 – juris). Danach werden auf Antrag Blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem GdB von 60 allein wegen der Sehbehinderung, hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfe nicht möglich ist und behinderte Menschen, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können, von der Rundfunkgebührenpflicht befreit.
Vorliegend kommt, da die Klägerin weder in ihrer Seh- noch ihrer Hörfähigkeit beeinträchtigt ist, einzig der letztgenannte (gesundheitliche) Befreiungstatbestand in Betracht. Die Klägerin erfüllt zwar die dort genannte Voraussetzung eines GdB von wenigstens 80, nachdem der GdB bei ihr seit dem 13.11.2008 mit 80 bzw. seit dem 19.06.2009 mit 90 (Bescheid vom 20.10.2009) festgestellt ist. Durch die bei ihr vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen, nämlich einem Zustand nach Mamma-Carzinom links mit Lymphstauung des linken Armes, Bluthochdruck, Depression, nicht insulinpflichtigem Diabetes mellitus, chronischer Bronchitis sowie Fingerpolyarthrose und Daumengelenkarthrose, ist die Klägerin nicht ständig gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Eine solche Einschränkung ergibt sich insbesondere auch nicht aus der sachverständigen Aussage des Arztes K. vom 06.07.2010. Dieser hat zum einen lediglich mitgeteilt, dass die Klägerin im Jahr vor der letzten Konsultation im Januar 2010, somit im Jahr 2009, aufgrund ständig quälender depressiver Gedanken, geringem Selbstwertgefühl, Selbstunsicherheit und Scham es weitgestehend vermieden habe, in die Öffentlichkeit zu gehen. Er hat damit lediglich die tatsächlich vorliegenden ausgeprägten Rückzugstendenzen beschrieben, ohne jedoch gleichzeitig anzugeben, dass der Klägerin ein anderes Verhalten nicht zumutbar gewesen wäre. Seiner Aussage kann darüber hinaus ent-nommen werden, dass der Klägerin das gelegentliche Besuchen von öffentlichen Veran-staltungen durchaus möglich gewesen wäre, indem er angegeben hat, die Selbstwertgefühle und die Depressionen hätten die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen hypo¬thetisch zugelassen. Soweit er zur Begründung seiner Auffassung vorgetragen hat, der Kläger sei eine Teilnahme nicht möglich gewesen, weil sie meine, sich diese Geldausgabe bei Hartz-IV-Bezug nicht leisten zu können, stellt dies keinen ausreichenden Grund für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" dar. Denn eine Befreiung von der Rundfunk-gebührenpflicht allein wegen geringen Einkommens ist nicht möglich. Zudem bezieht die Klägerin zwischenzeitlich Altersrente sowie ergänzend Wohngeld, wie dem PKH-Antrag entnommen werden kann. Die Argumentation des Arztes K., die Klägerin habe Angst vor - erneuter - Obdachlosigkeit und deshalb Angst vor einem Wohnungsverlust; wegen der Befürchtung, die Miete nicht bezahlen zu können, meide sie die Geldausgabe für den Besuch öffentlicher Veranstaltungen, ist zwar nachvollziehbar. Die Klägerin ist dadurch jedoch nicht gehindert, an allen öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, die kostenlos sind wie z.B. Gottesdienste, parteipolitische Veranstaltungen oder Märkte.
Gegen die von dem Arzt K. beschriebenen Rückzugstendenzen spricht überdies, dass die Klägerin vom 28.10.2008 bis 02.12.2008 und damit in unmittelbarem Zusammenhang mit dem von ihm beschriebenen Zeitraum eine Rehabilitationsmaßnahme in der A.-Klinik T. absolviert hat, ohne dass dort entsprechende Rückzugstendenzen festgestellt worden sind. Bei der dortigen Aufnahme bestanden ausweislich des Entlassungsberichts keine psychischen Auffälligkeiten, die Klägerin war freundlich, offen, zugewandt und allseits orientiert ohne akute Depressivität. Während der Rehabilitationsmaßnahme konnte die Klägerin an verschiedenen Therapie¬angeboten wie Joga, autogenem Training, einer integrativen Tanztherapie, einer Speckstein-Gruppe und am freien Arbeiten in der Kunsttherapie teilnehmen. Zur Überzeugung des Senats ist dadurch dokumentiert, dass die Klägerin in der Lage ist, an öffentlichen Veran¬staltungen teilzunehmen.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht unter Zugrundelegung der sachverständigen Zeugenaussage von Dr. B. vom 29.07.2010. Soweit dieser seine Beurteilung auf das Vorliegen schwerer Depressionen gestützt hat, handelt es sich um eine fachfremde Beurteilung, die der behandelnde Arzt für Neurologie und Psychiatrie K. gerade nicht bestätigen konnte und der auch die im Entlassungsbericht der A.-Klinik mitgeteilten Befunde entgegenstehen. Soweit Dr. B. seine Beurteilung weiter auf das Vorliegen massiver Knöchelödeme bzw. einer pulmonalen Hypertonie gestützt hat, hat er nicht weiter angegeben, aus welchen Gründen diese Erkrankung dem Aufsuchen öffentlicher Veranstaltungen entgegen stehen. Zur Überzeugung des Senats ist die Klägerin trotz dieser Erkrankungen nicht ständig gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Entsprechend der sozialmedizinischen Epikrise im Entlassungs¬bericht der A.-Klinik T. vom 16.03.2009 muss die Klägerin Arbeiten mit längerem Stehen vermeiden. Dem entsprechend ist sie noch in der Lage, öffentliche Veranstaltungen aufzusuchen, bei denen die Möglichkeit zu sitzen besteht.
Soweit die Klägerin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Sache an das Landessozialgericht beantragt hat, war dem nicht stattzugeben. Eine Zurückverweisung ist nämlich nicht angezeigt, wenn die Sache - wie hier - spruchreif ist (Hk-SGG/Lüdtke, § 159 Rn. 8).
Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei der Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" (Rundfunkgebührenbefreiung und Sozialtarif für Telefonan-schlüsse) vorliegen.
Bei der 1947 geborenen Klägerin, die derzeit von der Deutschen Rentenversicherung Bund eine Altersrente in Höhe von monatlich 702,16 EUR sowie Wohngeld in Höhe von monatlich 111 EUR bezieht, stellte das Landratsamt B. mit Bescheid vom 20.03.2009 einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 seit 13.11.2008 fest.
Mit Änderungsantrag vom 19.06.2009 beantragte die Klägerin die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "RF". Das Landratsamt B. holte einen Befund¬bericht des behandelnden Arztes für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie K. vom 12.08.2009 ein. Darin gab er an, aus psychiatrischer Sicht bestehe derzeit eine mittelgradige depressive Episode bei Verdacht auf (V.a.) rezidivierende depressive Störung. Unter medikamentöser Behandlung habe sich nur eine mäßige Besserung der Symptomatik ergeben. Es bestünden ausgeprägte Selbstwertzweifel, bedingt auch durch eine Mamma-CA-Problematik, einen hochproblematischen Lebenslauf mit langjähriger Arbeitslosigkeit und Adipositas. Die Klägerin vermeide, wo es gehe, die Öffentlich-keit.
Mit Bescheid vom 20.10.2009 stellte das Landratsamt B. den GdB der Klägerin mit 90 seit 19.06.2009 fest. Hierbei legte es folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
- Erkrankung der linken Brust (in Heilungsbewährung), Lymphstauung des linken Armes Einzel-GdB 50 - Bluthochdruck Einzel-GdB 20 - Depression Einzel-GdB 40 - Diabetes mellitus (mit Diät und oralen Antidiabetika einstellbar) Einzel-GdB 20 - Chronische Bronchitis Einzel-GdB 20 - Fingerpolyarthrose, Daumengelenkarthrose Einzel-GdB 10.
Die Feststellung des Nachteilsausgleichs "RF" wurde mangels Vorliegen der erforderlichen Voraussetzungen abgelehnt.
Hiergegen erhob die Klägerin am 12.11.2009 Widerspruch. Dr. B., Facharzt für Allgemein-medizin, teilte unter dem 19.12.2009 mit, aufgrund des Diabetes mellitus komme es zu gelegentlichen Unterzuckerungen. Sehr belastend für die Klägerin sei jedoch eine diabetische Polyneuropathie, welche vor allem in Form einer Blasen-Inkontinenz deren Sozialverhalten nachhaltig beeinträchtige. Es sei ihr deshalb unmöglich, Veranstaltungen wie Konzerte oder Vorträge aufzusuchen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21.04.2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Mit der Begründung, eine Inkontinenz begründe nicht ohne weiteres die Feststellung des Nachteils-ausgleichs "RF". Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei das Tragen von Windelhosen zumutbar.
Hiergegen hat die Klägerin am 29.04.2010 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, weil sie ab 01.06.2010 Altersrente beziehen werde und die Rundfunkgebührenbefreiung mit Ende des Alg-II-Bezuges, also am 31.05.2010, ende, sei die Zuerkennung des begehrten Nachteilsausgleichs für die erneute Feststellung der Befreiungs-voraussetzungen notwendig.
Das SG hat die behandelnden Ärzte K. und Dr. B. als sachverständige Zeugen gehört. Der Arzt K. hat in der schriftlichen Zeugenaussage vom 06.07.2010 ausgeführt, der letzte Kontakt zur Klägerin habe im Januar 2010 bestanden. Bei ihr bestehe eine ausgeprägte Rückzugstendenz. Aufgrund sie ständig quälender depressiver Gedanken, geringem Selbstwertgefühl, Selbstunsicherheit und Scham habe sie im letzten Jahr weitestgehend vermieden, in die Öffentlichkeit zu gehen. Zudem sei das gelegentliche Besuchen von Veranstaltungen für sie, selbst wenn die Selbstwertgefühle und die Depressionen dies hypothetisch zugelassen hätten, auch deshalb nicht möglich, weil sie meine, sich diese Geldausgabe bei Hartz-IV-Bezug nicht leisten zu können. Es sei deshalb zumindest im letzten Jahr der Besuch von öffentlichen Veranstaltungen nicht möglich gewesen. Beigefügt war der ärztliche Entlassungsbericht über eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme vom 28.10.2008 bis 02.12.2008 in der A.-Klinik T. Im klinischen Aufnahmebefund wird darin hinsichtlich des zentralen Nervensystems (ZNS) und der Psyche ausgeführt, es bestünden keine psychischen Auffälligkeiten. Die Patientin sei freundlich, offen, zugewandt und allseits orientiert. Es bestehe keine akute Depressivität. Während der Maßnahme habe die Klägerin an verschiedenen psychologischen, ergothera¬peutischen und kunsttherapeutischen Therapieangeboten teilge¬nommen. Dr. B. hat in der schriftlichen Zeugenaussage vom 29.07.2010 die Auffassung vertreten, die Klägerin könne wegen massiver Knöchelödeme, schwerer Depressionen und einer pulmonalen Hypertonie ständig nicht mehr an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen. Dieser Beurteilung ist der Beklagte unter Vorlage einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. K. vom 04.11.2010 entgegengetreten.
Mit Urteil vom 12.08.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, weder die von den behandelnden Psychiater K. bescheinigte ausgeprägte Rückzugstendenz bei depressiver Entwicklung noch die von Dr. B. bestätigten Harninkontinenz rechtfertigten die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "RF". Auch die von Dr. B. in der sachverständigen Zeugenaussage vom 29.07.2010 angeführten massiven Knöchelödeme und eine pulmonale Hypertonie stünden der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen nicht ständig entgegen.
Gegen das am 29.08.2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 28.09.2011 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, das SG habe das Gutachten des Arztes K. verkannt, indem es angenommen habe, dass letztlich nicht die seelischen Behinderungen, sondern namentlich finanzielle Motive sie davon abhielten, öffentliche Veranstaltungen zu besuchen. Der Arzt K. habe jedoch unmissverständlich festgestellt, dass sie aufgrund ständig quälender depressiver Gedanken, ihrem geringen Selbstwertgefühl, Selbstunsicherheit und Scham es vermeide, in die Öffentlichkeit zu gehen. Auch habe es das SG versäumt, seien eigenen Zweifel an dem Beweiswert des von Dr. B. erstatteten Gutachtens nachzugehen, es habe die Beantwortung der Frage warum die Klägerin aufgrund massiver Knöchelödeme, schwerer Depressionen und pulmonaler Hypertonie dauerhaft an die Wohnung gebunden sein solle, bewusst offen gelassen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 12. August 2010 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 20. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2010 zu verpflichten, bei ihr die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" festzustellen, hilfsweise das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 12. August 2010 aufzuheben und die Sache an das Sozialgericht Freiburg zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten, die beigezogenen Akten des Beklagten sowie die Akten des Sozialgerichts Freiburg Bezug genommen.
II.
Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.
Die Berufung ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass bei ihr die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "RF" vorliegen.
Anspruchsgrundlage für die geltend gemachte Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" ist § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuches Neuntes Buch (SGB IX). Danach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Hierzu gehören auch die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, bei deren Erfüllung in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "RF" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr.5 der Schwerbehindertenausweisverordnung) (vgl. BSG, Urteil vom 08.11.2007 - B 9/9a SB 3/06 R - juris). Für die in Baden-Württemberg wohnhafte Klägerin ist Art. 5 § 6 Abs. 1 Nr. 8 des Achten Staatsvertrages zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom 8. bis 15.10.2004 in der Fassung des Baden-Württembergischen Gesetzes vom 17.03.2005 (GBl. 2005, 189) heranzuziehen (Landes-sozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.08.2011 - L 8 SB 5408/08 – juris). Danach werden auf Antrag Blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem GdB von 60 allein wegen der Sehbehinderung, hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfe nicht möglich ist und behinderte Menschen, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können, von der Rundfunkgebührenpflicht befreit.
Vorliegend kommt, da die Klägerin weder in ihrer Seh- noch ihrer Hörfähigkeit beeinträchtigt ist, einzig der letztgenannte (gesundheitliche) Befreiungstatbestand in Betracht. Die Klägerin erfüllt zwar die dort genannte Voraussetzung eines GdB von wenigstens 80, nachdem der GdB bei ihr seit dem 13.11.2008 mit 80 bzw. seit dem 19.06.2009 mit 90 (Bescheid vom 20.10.2009) festgestellt ist. Durch die bei ihr vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen, nämlich einem Zustand nach Mamma-Carzinom links mit Lymphstauung des linken Armes, Bluthochdruck, Depression, nicht insulinpflichtigem Diabetes mellitus, chronischer Bronchitis sowie Fingerpolyarthrose und Daumengelenkarthrose, ist die Klägerin nicht ständig gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Eine solche Einschränkung ergibt sich insbesondere auch nicht aus der sachverständigen Aussage des Arztes K. vom 06.07.2010. Dieser hat zum einen lediglich mitgeteilt, dass die Klägerin im Jahr vor der letzten Konsultation im Januar 2010, somit im Jahr 2009, aufgrund ständig quälender depressiver Gedanken, geringem Selbstwertgefühl, Selbstunsicherheit und Scham es weitgestehend vermieden habe, in die Öffentlichkeit zu gehen. Er hat damit lediglich die tatsächlich vorliegenden ausgeprägten Rückzugstendenzen beschrieben, ohne jedoch gleichzeitig anzugeben, dass der Klägerin ein anderes Verhalten nicht zumutbar gewesen wäre. Seiner Aussage kann darüber hinaus ent-nommen werden, dass der Klägerin das gelegentliche Besuchen von öffentlichen Veran-staltungen durchaus möglich gewesen wäre, indem er angegeben hat, die Selbstwertgefühle und die Depressionen hätten die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen hypo¬thetisch zugelassen. Soweit er zur Begründung seiner Auffassung vorgetragen hat, der Kläger sei eine Teilnahme nicht möglich gewesen, weil sie meine, sich diese Geldausgabe bei Hartz-IV-Bezug nicht leisten zu können, stellt dies keinen ausreichenden Grund für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" dar. Denn eine Befreiung von der Rundfunk-gebührenpflicht allein wegen geringen Einkommens ist nicht möglich. Zudem bezieht die Klägerin zwischenzeitlich Altersrente sowie ergänzend Wohngeld, wie dem PKH-Antrag entnommen werden kann. Die Argumentation des Arztes K., die Klägerin habe Angst vor - erneuter - Obdachlosigkeit und deshalb Angst vor einem Wohnungsverlust; wegen der Befürchtung, die Miete nicht bezahlen zu können, meide sie die Geldausgabe für den Besuch öffentlicher Veranstaltungen, ist zwar nachvollziehbar. Die Klägerin ist dadurch jedoch nicht gehindert, an allen öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, die kostenlos sind wie z.B. Gottesdienste, parteipolitische Veranstaltungen oder Märkte.
Gegen die von dem Arzt K. beschriebenen Rückzugstendenzen spricht überdies, dass die Klägerin vom 28.10.2008 bis 02.12.2008 und damit in unmittelbarem Zusammenhang mit dem von ihm beschriebenen Zeitraum eine Rehabilitationsmaßnahme in der A.-Klinik T. absolviert hat, ohne dass dort entsprechende Rückzugstendenzen festgestellt worden sind. Bei der dortigen Aufnahme bestanden ausweislich des Entlassungsberichts keine psychischen Auffälligkeiten, die Klägerin war freundlich, offen, zugewandt und allseits orientiert ohne akute Depressivität. Während der Rehabilitationsmaßnahme konnte die Klägerin an verschiedenen Therapie¬angeboten wie Joga, autogenem Training, einer integrativen Tanztherapie, einer Speckstein-Gruppe und am freien Arbeiten in der Kunsttherapie teilnehmen. Zur Überzeugung des Senats ist dadurch dokumentiert, dass die Klägerin in der Lage ist, an öffentlichen Veran¬staltungen teilzunehmen.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht unter Zugrundelegung der sachverständigen Zeugenaussage von Dr. B. vom 29.07.2010. Soweit dieser seine Beurteilung auf das Vorliegen schwerer Depressionen gestützt hat, handelt es sich um eine fachfremde Beurteilung, die der behandelnde Arzt für Neurologie und Psychiatrie K. gerade nicht bestätigen konnte und der auch die im Entlassungsbericht der A.-Klinik mitgeteilten Befunde entgegenstehen. Soweit Dr. B. seine Beurteilung weiter auf das Vorliegen massiver Knöchelödeme bzw. einer pulmonalen Hypertonie gestützt hat, hat er nicht weiter angegeben, aus welchen Gründen diese Erkrankung dem Aufsuchen öffentlicher Veranstaltungen entgegen stehen. Zur Überzeugung des Senats ist die Klägerin trotz dieser Erkrankungen nicht ständig gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Entsprechend der sozialmedizinischen Epikrise im Entlassungs¬bericht der A.-Klinik T. vom 16.03.2009 muss die Klägerin Arbeiten mit längerem Stehen vermeiden. Dem entsprechend ist sie noch in der Lage, öffentliche Veranstaltungen aufzusuchen, bei denen die Möglichkeit zu sitzen besteht.
Soweit die Klägerin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Sache an das Landessozialgericht beantragt hat, war dem nicht stattzugeben. Eine Zurückverweisung ist nämlich nicht angezeigt, wenn die Sache - wie hier - spruchreif ist (Hk-SGG/Lüdtke, § 159 Rn. 8).
Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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