L 9 R 4943/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 2749/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 4943/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zurückverweisung an das Sozialgericht nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels, hier rechtsfehlerhafte Zurückweisung eines Antrages nach § 109 SGG, weshalb nunmehr noch die dadurch verhinderten umfangreichen und notwendigen Ermittlungen nachzuholen sind (vergleiche LSG Baden-Württemberg vom 24. Januar 2012 – L 13 AS 1671/11).
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 18. Oktober 2011 wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Die 1959 geborene Klägerin war als ungelernte Arbeiterin - zuletzt bis Oktober 1999 - in wechselnden Beschäftigungsverhältnissen beschäftigt. Seit 2005 bezieht sie Arbeitslosengeld II.

In ihrem Antrag vom 01.12.2010 verwies sie auf chronische Rückenschmerzen und legte hierzu Bescheinigungen des Praktischen Arztes Dr. von K. vor. In dem daraufhin in Auftrag gegebenen Gutachten von Dr. W. vom 11.02.2011 wurden chronische Rückenschmerzen bei degenerativen Veränderungen der LWS mit schmerzhafter Einschränkung der Beweglichkeit, eine arterielle Hypertonie und nächtliche Brachialgien mit Missempfindungen der Finger festgestellt. Dr. W. führte aus, dass in der Zusammenschau der Diagnosen und Befunde das Leistungsvermögen auf Grund der degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule sowie aufgrund der arteriellen Hypertonie qualitativ, jedoch nicht quantitativ eingeschränkt sei. Nicht mehr möglich seien körperlich schwere und mittelschwere Tätigkeiten, Tätigkeiten mit Wirbelsäulenzwangshaltungen und repetitiven Bewegungen in den Handgelenken. Unter Berücksichtigung dieser Leistungseinschränkungen seien körperlich leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weiterhin vollschichtig möglich. Durch Rehabilitationsmaßnahmen wäre eine Besserung zu erzielen, die Klägerin könne eine solche auf Grund der Pflege/Versorgung ihres Lebensgefährten jedoch nicht durchführen.

Mit Bescheid vom 16.02.2011 lehnte die Beklagte den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung ab. Den unter Vorlage eines weiteren ärztlichen Attestes von Dr. von K. begründeten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.04.2011 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 24.05.2011 Klage zum Sozialgericht (SG) Freiburg erhoben.

Zur Begründung hat sie geltend gemacht, aufgrund der vorliegenden Krankheiten und Behinderung außer Stande zu sein, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Das SG hat Beweis erhoben durch das Einholen sachverständiger Zeugenaussagen beim Hausarzt Dr. von K. sowie beim behandelnden Orthopäden Dr. T ... Dr. von K. hat mitgeteilt ("Ärztliches Attest" vom 18.07.2011), dass die Klägerin seit Oktober 2008 aufgrund eines schweren chronischen Lumbalsyndroms mit teils pseudoradikulärer Ausstrahlung arbeitsunfähig sei. Der Bewegungsumfang sei im Vergleich zu den Schmerzangaben nur mäßig eingeschränkt. Inwieweit eine psychosomatische Komponente eine Rolle spiele, lasse sich durch explorative Gespräche nicht sicher beantworten. Trotz intensiver Krankengymnastik und fachorthopädischer Betreuung habe sich der Zustand auch unter Schmerztherapie nicht wesentlich geändert. Aufgrund des langen Krankheitsverlaufs sei das chronifizierte Schmerzsyndrom führend und eine Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit erscheine ihm nicht möglich. Dr. T. hat unter dem 02.09.2011 über Behandlungen der Klägerin seit März 2010 berichtet. Die regelmäßige Durchführung einer leichten körperlichen Erwerbstätigkeit von sechs Stunden pro Tag sei aufgrund von degenerativen Veränderungen der LWS durch die Klägerin nur dann durchführbar, wenn regelmäßige Pausen eingehalten werden könnten und wenn Zwangshaltungen vermieden würden. Sämtliche Tätigkeiten in vornübergebeugter Haltung könne sie nicht mehr ausüben.

Mit einem am 19.09.2011 beim SG eingegangen Schriftsatz vom 16.09.2011 haben sich Bevollmächtigte für die Kläger legitimiert. Sie haben ausgeführt, dass die Klägerin krankheitsbedingt nicht mehr erwerbsfähig und damit nicht mehr in der Lage sei, täglich mehr als drei Stunden, geschweige denn täglich mehr als sechs Stunden zu arbeiten. Sie haben sich zur Begründung auf ein einzuholendes umfassendes, sowohl orthopädisches als auch psychiatrisches Sachverständigengutachten bezogen. Die auf orthopädischem Fachgebiet konzentrierenden Krankheitsbilder hätten längst zu einer chronischen Schmerzbelastung der Klägerin geführt, welche sich inzwischen auch auf ihre psychische Verfassung auswirke. Eine psychiatrische/psychologische Behandlung habe bislang nicht stattgefunden. Die Überweisung zu einem entsprechenden Facharzt sei jedoch inzwischen erfolgt.

Das SG hat einem mit dem Namen der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle unterzeichneten Schreiben vom 21.09.2011 auf die Absicht hingewiesen, ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Gerichtsbescheid entscheiden zu wollen. Es hat den Beteiligten Gelegenheit gegeben, sich bis 14.10.2011 zu der beabsichtigten Verfahrensweise zu äußern.

Mit einem am 12.10.2011 eingegangen Schriftsatz haben die Bevollmächtigten mitgeteilt, dass die Klägerin auf der Einholung eines orthopädischen als auch psychiatrischen Sachverständigengutachtens beharre und dies nunmehr der Gestalt, dass sie einen Antrag gemäß § 109 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) stelle. Die Klägerin halte sich für die Erbringung des nötigen Sachverständigenvorschusses, um dessen Bemessung das Gericht gebeten werde, bereit.

Den Bevollmächtigten der Klägerin ist am 27.10.2011 der Gerichtsbescheid des SG vom 18.10.2011 zugestellt worden. Das SG hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Klägerin weder voll noch teilweise erwerbsgemindert sei. Dem im Schriftsatz vom 11.10.2011 gestellten Antrag gemäß § 109 Abs. 1 SGG sei nicht nachzukommen gewesen, weil die rechtsanwaltlich vertretene Klägerin keinen wirksamen Antrag nach § 109 SGG gestellt habe. Für einen solchen sei es notwendig, dass ein bestimmter Arzt benannt werde, der mit der Begutachtung beauftragt werden solle. Weil die rechtsanwaltlich vertretene Klägerin dies versäumt habe, sei dem Begehren auf antragsgemäße Beweiserhebung in Gestalt der Einholung eines umfassenden, sowohl orthopädischen als auch psychiatrischen Sachverständigengutachtens nicht nachzukommen gewesen, weil die bereits durchgeführte Ermittlung von Amts wegen für die Erkenntnis der Kammer ausreichend gewesen sei. Aufgrund der rechtsanwaltlichen Vertretung habe die Klägerin auch nicht noch einmal zur Nennung eines bestimmten Arztes aufgefordert werden müssen, weil ein Rechtsanwalt von den Formerfordernissen eines Antrages nach § 109 SGG wissen und die Klägerin sich dies zurechnen lassen müsse.

Hiergegen hat die Klägerin am 11.11.2011 Berufung eingelegt.

Die Klägerin hält die Auffassung des SG für rechtsirrig, wonach der Beweisantrag nach § 109 SGG habe unbeachtet bleiben dürfen, weil sogleich ein bestimmter Arzt, welcher mit der Begutachtung habe beauftragt werden sollen, zu benennen gewesen wäre. Eine solche Anforderung werde vom Gesetzeswortlaut nicht gedeckt. Zwar spreche § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG in der Tat von einem "bestimmten Arzt". Diese Regelung gebe aber nichts dafür her, dass ein Antrag gemäß § 109 Abs. 1 SGG sich als unwirksam erweise, wenn nicht - schon bei dieser Antragstellung - auch der vom Gericht zu beauftragende Gutachter benannt werde. Die Erwägung des SG, vorliegend gehe es um ein anwaltliches Versäumnis, worauf eben wegen der anwaltschaftlichen Vertretung nicht hingewiesen zu werden brauchte, verkenne die Reichweite des den Verfahrensbeteiligten gemäß § 62 SGG "vor jeder Entscheidung" zu gewährenden rechtlichen Gehörs. Schließlich gelte dies umso mehr, als dem Prozessbevollmächtigten eine andere "Übung" Seitens des Sozialgerichts Freiburg bekannt und vertraut sei. Der Gerichtsbescheid leide damit an einem wesentlichen Mangel. Darüber hinaus seien die Voraussetzungen des § 159 Abs. 1 Ziffer 3 SGG erfüllt, nachdem die Klägerin hiermit unter Wiederholung des Beweisantrages vom 11.10.2011 die Ärzte, welche das orthopädische und psychiatrische Sachverständigengutachten erstellen sollen, namentlich benannt habe.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 18. Oktober 2011 aufzuheben und die Sache an das Sozialgericht Freiburg zurückzuverweisen,

hilfsweise den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 18. Oktober 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. Februar 2011 und den Widerspruchsbescheid vom 29. April 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung oder wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren,

höchsthilfsweise die im Schriftsatz vom 08.11.2011 genannten Ärzte als Sachverständige gemäß § 109 SGG mit der Erstellung eines Gutachtens zu beauftragen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Abs.1 SGG statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und 2 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist im Sinne der Aufhebung des angegriffenen Gerichtsbescheids und der Zurückverweisung der Streitsache an das SG auch begründet.

Gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG in der ab 1. Januar 2012 geltenden Fassung des Vierten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 3057) kann das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Wesentlich ist der Mangel, wenn die Entscheidung (hier: der Gerichtsbescheid) auf ihm beruhen kann (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Auflage, § 159 SGG Rdnr. 3a).

Das Verfahren unterlag bereits deshalb einem wesentlichen Mangel, weil das SG die Tragweite des § 109 SGG verkannt hat sowie seiner prozessualen Fürsorgepflicht und den sich aus den §§ 105 und 106 Abs. 1 SGG ergebenden Hinweispflichten nicht nachgekommen war. Ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs liegt darüber hinaus ebenfalls vor.

Zunächst erfordert § 105 SGG nicht nur den formelhaften Hinweis auf die Absicht durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, sondern eine konkrete, fallbezogene Auseinandersetzung mit dem Sach- und Streitstand (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a.a.O., § 105, Rn 10 m.w.N.;) die sich hier schon deshalb hätte aufdrängen müssen, weil das SG der Einschätzung des als Zeugen gehörten Arztes Dr. von K. nicht zu folgen beabsichtigte und die Einschätzung von Dr. T., eine Erwerbstätigkeit sei nur dann 6 Stunden am Tag zumutbar, wenn regelmäßige Pausen eingehalten werden könnten, ebenfalls nicht zwingend gegen den geltend gemachten Anspruch sprach. Schließlich ignorierte die rein formelhafte, allein den Gesetzestext wiederholende Mitteilung der Absicht durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, den Vortrag der Klägerin, die chronische Schmerzbelastung wirke sich auch auf ihre psychische Verfassung aus, weshalb sie sich zum Beweis (auch) auf die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens berief. Dass das SG einer entsprechenden Beweisanregung nicht nachgehen wollte und weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht für erforderlich hielt, ergibt sich allenfalls konkludent aus der - wohl vom Vorsitzenden stammenden - Verfügung vom 20.09.2011 und des von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle dann umgesetzten "Justus-Hinweis GB" (zur Notwendigkeit der Unterzeichnung der Verfügung durch den Richter mit vollem Namen sowie dessen Wiedergabe in der Ausfertigung/beglaubigte Abschrift vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 09.11.2010, L 12 R 793/09; BSG Urteil v. 01.07.2010, B 13 R 58/09 R [zur sog. "Betreibensaufforderung"], beide in Juris). Eine Begründung für das Vorgehen und eine Auseinandersetzung hiermit enthält der Hinweis nicht, weshalb die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 11.10.2011 ausdrücklich klargestellt hat, auf der antragsgemäßen Beweiserhebung in Gestalt der Einholung eines umfassenden, sowohl orthopädischen als auch psychiatrischen Sachverständigengutachtens zu beharren. Insoweit stellte sie "Antrag gem. § 109 Abs. 1 SGG" und teilte mit, sie halte sich für die Erbringung des nötigen Sachverständigenvorschusses, um dessen Bemessung gebeten werde, bereit. Die Fürsorgepflicht der Kammer verlangte nach Überzeugung des Senats spätestens zu diesem Zeitpunkt den Hinweis darauf, dass und aus welchem Grund weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht für erforderlich erachtet wurden und dass deshalb (auch weiterhin) beabsichtigt sei, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Dieser Hinweis hätte - was ebenfalls aus der Fürsorgepflicht der Kammer folgt - mit dem Hinweis verbunden werden müssen, dass und in welcher Frist ein Arzt benannt werden muss - verbunden mit der regelmäßig erfolgenden Festsetzung des einzuzahlenden Kostenvorschusses. Hierzu hatte die Klägerin bereits aufgefordert. Angesichts dieses Verfahrensverlaufes und des gestellten Antrages durfte die Klägerin darauf vertrauen, dass nicht "ohne weiteres" entschieden werde.

Daran ändert nichts, dass (noch) kein bestimmter Arzt benannt worden war. Zwar erfordert ein vollständiger Antrag nach § 109 SGG die Benennung eines bestimmten bzw. zumindest bestimmbaren Arztes. Aufgrund der prozessualen Hinweis- und Fürsorgepflicht gemäß § 106 Abs. 1 SGG, die insoweit auch gegenüber fachkundig vertretenen Beteiligten gilt, kann das Gericht einen unvollständigen Antrag jedoch erst dann ablehnen, wenn die erforderlichen Angaben nicht innerhalb einer angemessenen Frist nachgeholt werden (vgl. Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, § 109 Anm. 3).

Deshalb kann ein hinsichtlich der Benennung des Arztes unvollständiger, aber im Übrigen unbedingt gestellter Antrag nach § 109 SGG nicht abgelehnt werden, bevor dem Beteiligten nicht vorab Gelegenheit zur Vervollständigung seines Antrags innerhalb angemessener Frist gegeben worden ist. Denn die Klägerin hat in ihrem Schriftsatz vom 11.10.2011 unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie von ihrem Recht nach § 109 Abs.1 SGG Gebrauch machen will. Soweit in der Literatur (Keller a.a.O., § 109, Rn 4) die Auffassung vertreten wird, es handele sich noch nicht um einen wirksamen Antrag, wenn der Arzt noch nicht benannt ist, sondern nur um die Ankündigung eines zukünftigen Antrags, folgt der Senat dem in dieser Allgemeinheit nicht. Denn in vorliegendem Fall war unmissverständlich eine Antragstellung gewollt, was schon dadurch zum Ausdruck gekommen ist, dass die Klägerin sich für die Zahlung eines zu benennenden Kostenvorschusses bereit gehalten und um eine entsprechende Mitteilung nachgesucht hat. Sie hat sich damit nicht nur einen entsprechenden Antrag vorbehalten, sondern sie hat ihn unbedingt gestellt. Wie bei allen anderen Anträgen ist jedoch auch ein Antrag nach § 109 SGG bereits dann rechtswirksam gestellt und dementsprechend vom Gericht zu bescheiden, wenn er ohne (unzulässige) Bedingungen gestellt wird. Erfüllt ein solcher wirksam gestellter Antrag nicht die gesetzlichen Voraussetzungen, kann er vom Gericht abgelehnt werden, nicht jedoch als noch nicht wirksam gestellter Antrag unbeachtet bleiben (so schon LSG Niedersachsen-Bremen Urteil v. 28.08.2008, L 1 R 303/06, in Juris).

Gründe den Antrag nach § 109 Abs. 2 SGG abzulehnen, lagen zum Zeitpunkt der Entscheidung des SG nicht vor. Danach ist eine Ablehnung des Beweisantrags nur dann möglich, wenn der Antrag entweder (lediglich) in Verschleppungsabsicht oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. In beiden Fallkonstellationen muss zudem festgestellt werden, dass es bei einer Zulassung des Beweisantrags zu einer Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits kommt.

Anhaltspunkte für eine Verschleppungsabsicht der Klägerin oder ihres Bevollmächtigten liegen schon nicht vor, zumal sich die Klägerin regelmäßig innerhalb der vom SG gewährten Fristen geäußert hat. Für eine verspätete Antragstellung, die zudem aus grober Nachlässigkeit erfolgt sein müsste, lassen sich ebenfalls keine Argumente finden, nachdem die Klägerin erstmals aus der Verfügung der Kammer vom 21.09.2011 schließen musste, dass weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht durchgeführt werden und die Klage ohne Erfolg bleiben würde. Hierauf hatte sie mit Schriftsatz vom 11.10.2011 noch innerhalb der gewährten Frist reagiert. Angesichts der Zustellung dieser Verfügung erst am 26.09.2011 verblieben der Klägerin im Übrigen auch nur weniger als 3 Wochen zur Prüfung, ob ein Antrag gestellt werden soll und welcher oder welche Ärzte hierfür benannt werden können. Allein diese kurze Frist dürfte einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid ohne weiteren Hinweis und nach Eingang des Schreibens des Bevollmächtigten entgegengestanden haben.

Letztlich wäre auch keine Verzögerung des Rechtsstreits selbst bei einer sofortigen Benennung der oder des Sachverständigen vor Ablauf der gesetzten Frist (14.10.2011) eingetreten. Denn das SG hätte vor Erlass der entsprechenden Beweisanordnung den erforderlichen Kostenvorschuss anfordern müssen. Eine zeitnahe Entscheidung unmittelbar nach Fristablauf - entweder mittels Beweisanordnung nach § 109 SGG oder aber mittels abschießender Entscheidung durch Gerichtsbescheid - wäre verfahrensfehlerfrei vielmehr lediglich dann möglich gewesen, wenn das SG verbunden mit dem Hinweis auf die beabsichtigte Entscheidung nach § 105 SGG konkret auf § 109 SGG und die dabei zu erfüllenden Voraussetzungen (Benennung des Arztes mit ladungsfähiger Anschrift, Kostenvorschuss, Frist) hingewiesen hätte. Die dargelegten Verfahrensfehler, auf denen die Entscheidung des SG beruhen kann, erfüllen den Tatbestand des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Hiernach kann das LSG die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das SG zurückverweisen, wenn auf Grund eines wesentlichen Mangels eine umfangreiche und aufwendige Beweisaufnahme notwendig ist. Das Verfahren beim SG leidet an mehreren wesentlichen Verfahrensmängeln (s.o.). Durch die rechtsfehlerhafte Ablehnung des Beweisantrags nach § 109 SGG sind auch (noch) umfangreiche und aufwendige Ermittlungen notwendig, nachdem die Klägerin an der Anhörung von Sachverständigen auf orthopädischem und psychiatrischem Fachgebiet festhält und diese auch mit der Berufung namentlich bezeichnet hat. Damit sind auch die Voraussetzungen des § 159 Abs.1 SGG in der seit 01.01.2012 anzuwendenden Fassung erfüllt (s. a. LSG B.-W., Urteil v. 24.01.2012, L 13 AS 1671/11).

Da das Verfahren infolge der verfahrensfehlerhaften Ablehnung des Antrags nach § 109 SGG noch nicht entscheidungsreif ist, hält der erkennende Senat eine Zurückverweisung an das SG gem. § 159 SGG für geboten anstatt selbst – nach noch durchzuführender Beweisaufnahme nach § 109 SGG – in der Sache zu entscheiden. Dies entspricht auch dem vorrangig mit der Berufung geltend gemachten Begehren der Klägerin, sodass die infolge der Aufhebung und Zurückverweisung eintretende Verzögerung hinter dem Interesse an einer ordnungsgemäßen Erledigung des erstinstanzlichen Verfahrens zurückzutreten hat.

Die Kostenentscheidung bleibt der erneuten Entscheidung des SG vorbehalten.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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