L 9 U 289/09 B

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 U 289/09 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Staatskasse hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

Beteiligter des vorliegenden, die Übernahme von Kosten nach § 109 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) betreffenden Nebenverfahrens ist nur der Kläger, denn die Beklagte kommt als Kostenschuldner nicht in Betracht. Die Staatskasse ist bereits im Hauptsacheverfahren formal nicht beteiligt, sodass sich auch für das Nebenverfahren ein formaler Beteiligtenstatus nicht begründen lässt (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. August 2006 – L 1 U 3854/06 KO-B). Ob dem Bezirksrevisor als Vertreter der Staatskasse eine Beschwerdebefugnis gegen einen Beschluss des Sozialgerichts, der nach Anforderung eines Vorschusses die Kosten eines Gutachtens nach § 109 SGG ganz oder teilweise auf die Staatskasse übernimmt, zusteht (vgl. dazu LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. August 2006 s.o. und LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. Mai 2006 – L 9 R 4263/04 KO-B), bedarf vorliegend keiner Entscheidung, da nur der Kläger Beschwerde erhoben hat.

Nachdem der Kläger das Verfahren auf Anregung des Berichterstatters für erledigt erklärt hat, war auf seinen Antrag nur noch über die Kosten des Verfahrens durch Beschluss zu entscheiden.

Der Berichterstatter entscheidet über die Kosten, wenn die Entscheidung im vorbereitenden Verfahren ergeht (§ 155 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 4 SGG). Der Begriff "vorbereitendes Verfahren" erfasst auch Fälle, in denen – wie hier – eine Hauptsachentscheidung nicht mehr ergeht (Meyer-Ladewig u.a., SGG, 9. Aufl. 2008, § 155 Rdnr. 7 m.w.N.).

Eine Kostenentscheidung ist im vorliegenden Verfahren zu treffen, da nach § 18 Nr. 5 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) i.V.m. der Gebührennummer 3501 der Anlage 1 zum RVG (Vergütungsverzeichnis) für ein Beschwerdeverfahren in Fällen des § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG eine eigene Gebühr von 15,00 bis 160,00 Euro anfällt. Damit entsteht neben der Gebühr, die der prozessbevollmächtigte Rechtsanwalt für das gerichtliche Verfahren in der Hauptsache beanspruchen kann, eine gesonderte Gebühr für das Betreiben eines Beschwerdeverfahrens. Angesichts dieser ausdrücklichen Regelung und der Schaffung einer eigenen Gebührennummer in sozialgerichtlichen Verfahren durch das RVG ist die früher zu § 116 der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) vertretene Auffassung, dass alle Nebenverfahren wie auch Beschwerdeverfahren grundsätzlich mit der für das Betreiben des sozialgerichtlichen Verfahrens in einem Rechtszug entstandenen Gebühr abgegolten sind, nicht mehr aufrecht zu erhalten (Bayer. LSG, Beschluss vom 9. Februar 2009 - L 15 B 12/09 B -; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 24. Oktober 2008 - L 6 SB 4170/08 KO-B -; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 24. Mai 2005 - L 2 B 40/04 RI - ASR 2005, 131 und vom 15. September 2005 - L 2 B 40/04AnwBl. 2006, 146; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 30. November 2006 – L 6 B 221/06 SB -). Eine andere Beurteilung ergibt sich nicht daraus, dass das Sozialgericht über die Kosten nach § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG auch im Urteil entscheiden kann. Erfolgt die Entscheidung im Urteil, ist dieses nur mit dem Rechtsmittel der Berufung anfechtbar, wobei die isolierte Anfechtung der Kostenentscheidung mit der Berufung ausgeschlossen ist (§ 144 Abs. 4 SGG). In diesem Fall entsteht neben der Gebühr für das Berufungsverfahren keine gesonderte Gebühr für die hier in Rede stehenden Gutachterkosten. Entscheidet das Sozialgericht über die Kosten nach § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG aber statt in der Hauptsache in einem kostenrechtlichen Nebenverfahren durch gesonderten Beschluss, entsteht nach § 18 Nr. 5 RVG für das Beschwerdeverfahren eine eigene Gebühr, so dass eine Kostenentscheidung zu ergehen hat.

Das SGG enthält ausdrücklich keine Rechtsgrundlage zur Frage der Kostenerstattung in Verfahren bzw. Beschwerdeverfahren nach § 109 SGG. Die Frage, aufgrund welcher Rechtsgrundlage und von wem die außergerichtlichen Kosten zu erstatten sind, wird in der Rechtsprechung der Landessozialgerichte überwiegend dahingehend beantwortet, dass § 193 SGG entsprechend anwendbar sei (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 24. Oktober 2008 - L 6 SB 4170/08 KO-B -; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. September 2005 s.o.; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 30. November 2006 s.o.; Bayer. LSG, Beschluss vom 9. Februar 2009 s.o. und Beschluss vom 15. Dezember 2008 - L 1 B 961/08 R -). Den davon abweichenden Auffassungen des 11. und des 10. Senats des LSG Baden-Württemberg kann nicht gefolgt werden.

Nach Auffassung des 11. Senats des LSG Baden-Württemberg seien außergerichtliche Kosten eines Beschwerdeverfahrens gegen die eine Kostenübernahme auf die Staatskasse ablehnende Entscheidung des Sozialgerichts in entsprechender Anwendung des § 67 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 66 Abs. 8 Gerichtskostengesetz (GKG) nicht zu erstatten (Beschluss vom 30. Oktober 2008 - L 11 R 3757/08 -). Diese Vorschriften seien auf die vorliegende Fallkonstellation entsprechend anwendbar. Nach § 10 GKG dürfe die Tätigkeit der Gerichte in weiterem Umfang als es die Prozessordnungen oder das GKG gestatteten nicht von der Zahlung der Kosten abhängig gemacht werden. Für diejenigen sozialgerichtlichen Verfahren, in denen das GKG Anwendung finde, regele § 17 GKG eine Vorschusspflicht für Auslagen. Die Regelung in § 109 SGG gebe den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ebenfalls das Recht, die Einholung des nach dieser Vorschrift beantragten Sachverständigengutachtens von der Zahlung eines Auslagenvorschusses abhängig zu machen. Beide Vorschriften - § 17 GKG für Verfahren nach § 197a SGG und § 109 SGG für Verfahren nach § 183 SGG - regelten demnach vergleichbare Sachverhalte. Während das Verfahren der Beschwerde gegen die Anordnung einer Vorauszahlung in den vom GKG erfassten Verfahren in § 67 SGG geregelt sei, seien für Beschwerden gegen Entscheidungen auf der Grundlage des § 109 SGG die Vorschriften der §§ 172 ff. SGG anwendbar. Im SGG sei jedoch keine Bestimmung enthalten, die die Kostentragung im Fall einer erfolgreichen Beschwerde bei der Entscheidung über die Anordnung des Kostenvorschusses oder die Übernahme der Kosten auf die Staatskasse regele. Die Bestimmung des § 193 SGG sei nicht anwendbar, da das Verfahren, in dem zu entscheiden sei, ob die Kosten der Begutachtung auf die Staatskasse übernommen werden, kein Prozessverfahren, sondern ein parteieinseitiges Verfahren des Kostenrechts sei, in dem sich - wie bei der Prozesskostenhilfe (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 15. November 1983, NJW 1984, 740) - als Beteiligter nur der Antragsteller und das Gericht als Bewilligungsstelle gegenüberstünden. Daher sei es geboten, die Gesetzeslücke durch eine analoge Anwendung von § 67 Abs. 1 S. i. V. m. § 66 Abs. 8 GKG zu schließen. Diese Vorschriften seien sachnäher als § 46 Abs. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) i.V.m. § 467 der Strafprozessordnung (StPO), bei deren analoger Heranziehung man zu einer Erstattungspflicht der Staatskasse käme (so aber LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 30. Juli 2008 - L 10 U 3522/08 KO-B -). Der Auffassung des 11. Senats des LSG Baden-Württemberg kann nicht gefolgt werden. Zwar handelt sich bei der Kostenbeschwerde nach § 109 SGG um ein "parteieinseitiges" Verfahren. Es trifft aber nicht zu, dass § 193 SGG in den Fällen des § 183 SGG nicht anwendbar ist. Anders als bei § 197a SGG, der auf die Kostenregelungen der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) verweist, ist in den Fällen des § 183 SGG über die Beschwerde nach den Vorschriften des SGG zu entscheiden, so dass § 193 SGG als für das sozialgerichtliche Verfahren maßgebende Regelung über die Kostenerstattung anwendbar ist (insoweit zutreffend LSG Baden-Württemberg - 10. Senat -, Beschluss vom 17. März 2009 - L 10 U 1056/09 KO-B - UV-Recht Aktuell 2009, 536). Im Übrigen hat der Gesetzgeber in § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG die Anwendung des GKG ausdrücklich angeordnet, für den Personenkreis des § 183 SGG hat er sie dagegen mit der Kostenfreiheit nach § 183 Abs. 1 Satz 1 SGG ausdrücklich ausgeschlossen, so dass die (entsprechende) Anwendung des GKG auf Fälle des § 183 SGG mit Wortlaut und Systematik der genannten Vorschriften sowie der mit § 183 SGG bezweckten Privilegierung des erfassten Personenkreises schwerlich zu vereinbaren wäre (vgl. LSG Baden-Württemberg - 13. Senat -, Beschluss vom 6. Mai 2009 – L 13 R 339/09 KO-B). Die Kostenentscheidung beruht daher – hinsichtlich der Frage, ob eine Erstattung außergerichtlicher Kosten zu erfolgen hat – auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.

Die entsprechende Anwendung des § 193 SGG ist jedoch nicht auf die Frage begrenzt, ob eine Erstattung außergerichtlicher Kosten zu erfolgen hat, sondern erstreckt sich auch auf die Frage, wer Kostenschuldner ist. Die vom 10. Senat des LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 17. März 2009 s.o und Beschluss vom 30. Juli 2008 s.o.) bejahte entsprechende Anwendung des § 46 OWiG i.V.m. § 467 StPO ist nach Auffassung des Senats nicht möglich. Der Staat ist in Angelegenheiten des OWiG und in Strafsachen direkt beteiligt. Eine entsprechende Anwendung der genannten Kostenregelung auf die Frage der Kostenerstattung nach § 109 SGG ist deshalb zu verneinen, weil die verfahrenrechtlichen Ausgangslagen völlig verschieden sind. Im Rahmen des OWiG und der StPO werden Verfahren geführt, in denen der Staat Sanktionen ausgesprochen hat. Eine vergleichbare Konstellation ist im Rahmen der Frage der Übernahme der Gutachterkosten nach § 109 SGG nicht erkennbar. Vielmehr ist die dem sozialgerichtlichen Verfahren näherliegende Vorschrift des § 193 SGG auch hier entsprechend anzuwenden (ebenso LSG Baden-Württemberg, - 13. Senat - Beschluss vom 6. Mai 2009 s.o.).

Bei Erledigung des Rechtsstreits durch Vergleich, Klage-, Antrags- oder Rechtsmittelrücknahme, angenommenes Anerkenntnis und übereinstimmende Erledigungserklärung entscheidet das Gericht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach Ermessen (Meyer-Ladewig u.a., SGG, § 193 Rdnr. 13 m.w.N.). Maßgebend für die Entscheidung sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Verfahrens und die Gründe für die Antragstellung und die Erledigung.

Unter Zugrundelegung dieser Kriterien sind dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Der Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 4. November 2009 ist unwirksam. In der als Beschluss bezeichneten Entscheidung des Sozialgerichts, die sich in der Gerichtsakte befindet, fehlt die Unterschrift der im Rubrum angegebenen Richterin, so dass es sich lediglich um einen Entscheidungsentwurf, nicht jedoch um einen wirksamen Beschluss handelt (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. November 2010 L 25 AS 1969/10 B -). Zwar ist der Beschlussentwurf und gleichzeitig die Verfügung über die Zustellung bzw. Bekanntgabe der Entscheidung an die Beteiligten von der Richterin unterschrieben worden. Der Entwurf datiert aber vom 3. November 2009 und enthält überdies die weitere Verfügung: "Beschluss ausfertigen und zur Unterschrift vorlegen". Dass der Beschlussentwurf den Beteiligten zugestellt wurde, ist nicht ausreichend, um den zugestellten Entwurf dem Gericht tatsächlich als seine Entscheidung zurechnen zu können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 1985 2 BvR 498/84 - NJW 1985, 788). Eine Nachholung der Unterschrift gemäß § 202 SGG i. V. m. § 319 Abs. 1 Zivilprozessordnung (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 24. Juni 2003 VI ZR 309/02 - NJW 2003, 3057) ist nicht zulässig, denn das in §§ 142 Abs. 1, 134 Abs. 1 SGG enthaltene Erfordernis der richterlichen Urteils- bzw. Beschlussunterzeichnung gehört zu den Anforderungen, die ein ohne mündliche Verhandlung ergehender Beschluss erfüllen muss, damit er nach § 133 Satz 2 SGG i.V.m. Satz 1 durch Zustellung an die Beteiligten wirksam werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1992 - 5 C 9/89 - NJW 1993, 1811; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. November 2010 s.o.).

Die Beschwerde war daher mit dem (sinngemäßen) Antrag festzustellen, dass es sich bei dem als Beschluss bezeichneten Schriftstück des Sozialgerichts Kassel vom 4. November 2009 (S 9 U 71/05) nicht um einen Beschluss im Sinne des § 142 SGG handelt, begründet, so dass die Staatskasse dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten hat.

Das Verfahren ist damit weiterhin beim Sozialgericht anhängig, das nunmehr (zweckmäßigerweise nach Abschluss des Berufungsverfahrens) eine formwirksame Entscheidung über das Begehren des Klägers zu treffen haben wird.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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