Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 1040/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 809/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 19. Januar 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten steht in Streit, ob bei der Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" (Rundfunkgebührenbefreiung und Sozialtarif für Telefonanschlüsse) vorliegen.
Bei der am 07.04.1938 geborenen Klägerin ist seit dem 20.11.2003 eine Grad der Behinderung (GdB) von 100 festgestellt (Bescheid des Versorgungsamts Ravensburg vom 17.03.2004). Das Versorgungsamt Ravensburg hat hierbei "eine Halbseitenlähmung links, organisches Nervenleiden mit einem Einzel-GdB von 90 und eine "Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Polyarthrose" mit einem solchen von 30 berücksichtigt. Ferner sind der Klägerin die Nachteilsausgleiche "G" (erhebliche Gehbehinderung), "B" (Freifahrt für eine Begleitperson, wenn eine Berechtigung zur Mitnahme besteht) zuerkannt. Zuletzt hat das Landratsamt Bodenseekreis - Versorgungsamt - (VA) mit Bescheid vom 25.11.2009 auch den Nachteilsausgleich "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) zuerkannt. Im Rahmen des zu Grunde liegenden Verwaltungsverfahrens legte die ZF & Partner Betriebskrankenkasse auf Anforderung des VA ein Pflegegutachten der Pflegefachkraft Bauer vom 23.05.2008 vor, nach dem bei der Klägerin ein Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege von 138 min. pro Tag bestehe.
Am 19.11.2009 beantragte die Klägerin persönlich beim VA die Zuerkennung der Nachteilsausgleichs "RF". Sie führte hierzu die bestehende Arthrose an. Nach einer versorgungsärztlichen Überprüfung durch Dr. Engelhardt vom 11.01.2010, der unter Hinweis auf eine Stellungnahme der behandelnden Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. A. vom 27.10.2009, die hierin angegeben hat, die Klägerin sei im häuslichen Umfeld und für kurze Gehstrecken mit einem Gehstock bzw. Rollator mobil, anführte, der Klägerin sei die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen in nennenswertem Umfang zumutbar, lehnte das VA den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 18.01.2010 ab, da die Voraussetzungen für die Feststellung der medizinischen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs nicht vorlägen.
Den hiergegen am 03.02.2010 eingelegten Widerspruch, zu dessen Begründung die Klägerin einen Kurvorschlag vom 04.11.2003 vorlegte und vorbrachte, sie erfülle die Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" wies der Beklagte nach einer versorgungsärztlichen Überprüfung der Versorgungsärztin Köpf vom 17.03.2010, die ausführte, die Klägerin könne mit einem Rollstuhl, einem PKW und einer Begleitperson in zumutbarer Weise öffentliche Veranstaltungen besuchen, mit Widerspruchsbescheid vom 15.04.2010 zurück. Zur Begründung führte er an, berechtigt, den Nachteilsausgleich "RF" zu erhalten seien u.a. behinderte Menschen, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können. Bei der Beurteilung, ob die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen möglich ist, sei ein objektiver Maßstab anzulegen. So seien die Voraussetzungen auch dann zu verneinen, wenn öffentliche Veranstaltungen mit einer Begleitperson oder mit technischen Mitteln besucht werden können. Dies sei der Klägerin möglich, weswegen die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs nicht möglich sei.
Hiergegen hat die Klägerin am 30.04.2010 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben, zu deren Begründung sie ausgeführt hat, sie sei gehbehindert und verlasse das Haus nicht. Sie sei in Pflegestufe II eingestuft und werde morgens und abends von einem Pflegedienst versorgt. Ihre medizinische Versorgung werde durch Hausbesuche ihrer Hausärztin gesichert. Sie leide an schweren Bewegungsstörungen, die im Laufe der Jahre zugenommen hätten. Sie könne daher keine öffentlichen Veranstaltungen besuchen.
Der Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat hierzu auf den Inhalt des angefochtenen Widerspruchsbescheides verwiesen. Ergänzend hat er eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Wolf vom 19.11.2010 vorgelegt.
Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen einvernommen. Die behandelnde Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. A. hat in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 23.06.2010 mitgeteilt, die Klägerin zuletzt im September 2009 intensiver untersucht zu haben. Seither habe die Klägerin regelmäßig ihre Dauermedikation bei ihr abgeholt. Die Mobilität der Klägerin sei zwar deutlich eingeschränkt, die körperlichen Einschränkungen seien jedoch durch schmerztherapeutische Maßnahmen und Hilfsmittel adäquat versorgt. Infolge einer bestehenden depressiven Symptomatik sei die Klägerin jedoch nicht in der Lage, öffentliche Veranstaltungen und Familienfeste zu besuchen. Dr. Gut, Arzt für Neurologie und Psychiatrie, hat in seiner Stellungnahme vom 06.07.2010 mitgeteilt, die Klägerin habe sich erst- und einmalig am 11.05.2010 bei ihm vorgestellt. Die Mobilität sei wegen der leicht bis mittelgradig ausgeprägten Hemiparese links stark eingeschränkt. Aufgrund der erheblich beeinträchtigten Fähigkeit zur Fortbewegung auf eigenen Beinen sei ihr eine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen unter Verwendung von Gehhilfen oder eines Rollstuhls auch ohne Begleitung dritter Personen möglich. Prof. Dr. B., Chefarzt der Chirurgischen Klinik am Klinikum Friedrichshafen, hat in seiner Stellungnahme vom 22.07.2010 mitgeteilt, die Klägerin letztmalig vom 03. - 07.03.2009 stationär behandelt zu haben; eine Beantwortung der Frage, ob der Klägerin die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen möglich sei, sei daher nicht möglich.
Mit Gerichtsbescheid vom 19.01.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG ausgeführt, die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht richteten sich nach landesrechtlichen Regelungen (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 der Ausweisverordnung Schwerbehindertengesetz). Danach seien u. a. Behinderte mit einem GdB von 80 von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien, wenn sie wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen könnten. Die Unmöglichkeit der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen sei dann zu bejahen, wenn der Schwerbehinderte wegen seines Leidens ständig, d.h. allgemein und umfassend, vom Besuch ausgeschlossen sei und allenfalls an einem nicht nennenswerten Teil der öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne. Dies könne bei einer praktischen Bindung an das Haus angenommen werden. Benötige der behinderte Mensch für längere Wege einzig einen Rollstuhl oder eine Begleitperson, sei er nicht bereits deswegen von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen. Die Klägerin sei zwar durch die Folgen eines Schlaganfalles und Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Polyarthrose) in ihrer Bewegungsfähigkeit eingeschränkt, sie sei jedoch nach den Angaben von Dr. A. im häuslichen Umfeld und für kurze Gehstrecken mit einem Gehstock, einem Rollator und schmerztherapeutischen Maßnahmen ausreichend mobilisiert. So komme die Klägerin regelmäßig in die Praxis von Dr. A., um die Dauermedikation abzuholen. Die Klägerin sei daher nicht infolge mangelnder Mobilität von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen. Soweit Dr. A. angegeben habe, dass die Klägerin noch an einer depressiven Störung leide, die dies verunmögliche, möge es zwar möglich sein, dass die Klägerin aufgrund der depressiven Symptomatik kein Interesse am Besuch von öffentlichen Veranstaltungen mehr habe, sie sei jedoch nicht so schwer beeinträchtigt, dass sie aus Gründen einer psychischen Erkrankung keinerlei Veranstaltungen mehr besuchen könne, wie sich daran zeige, dass sie noch in der Lage sei, die Praxis von Dr. A. aufzusuchen oder zur Einlegung des Widerspruches die Räumlichkeiten des VA aufzusuchen; eine Bindung an das Haus sei daher auch durch eine psychische Erkrankung nicht bedingt.
Gegen den am 25.01.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 25.02.2011 Berufung eingelegt, die sie, trotz zwischenzeitlich gewährter Fristverlängerung und Erinnerungen hieran, nicht begründet hat. Der Senat hat die Klägerin zuletzt, mit Schreiben vom 16.08.2011, unter Hinweis auf § 106a Sozialgerichtsgesetz (SGG) fruchtlos aufgefordert, Tatsachen vorzutragen, aufgrund derer Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung sie sich beschwert fühlt.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 19. Januar 2011 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 18. Januar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. April 2010 zu verurteilen, bei der Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die beim Beklagten für die Klägerin geführte Schwerbehindertenakte, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 07.03.2012 wurden, sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 07.03.2012 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Beklagte hat insoweit die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich RF zutreffend verneint. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass bei ihr die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "RF" festzustellen sind.
Anspruchsgrundlage für die geltend gemachte Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" - streitgegenständlich ist nicht die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, sondern die Feststellung ihrer gesundheitlichen Voraussetzungen, die dann für die Rundfunkanstalt, die über eine Befreiung zu entscheiden hat, bindend ist (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 06.10.1981 - 9 RVs 3/81 – veröffentlicht in juris) - ist § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuches Neuntes Buch (SGB IX). Hiernach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Hierzu gehören auch die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, bei deren Erfüllung in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "RF" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr.5 der Schwerbehindertenausweisverordnung) (vgl. BSG, Urteil vom 08.11.2007 - B 9/9a SB 3/06 R - veröffentlicht in juris). Für die in Baden-Württemberg wohnhafte Klägerin ist Art. 5 § 6 Abs. 1 Nr. 8 des Achten Staatsvertrages zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom 8. bis 15.10.2004 in der Fassung des Baden-Württembergischen Gesetzes vom 17.03.2005 (GBl. 2005, 189) heranzuziehen (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.08.2011 - L 8 SB 5408/08 – veröffentlicht in juris; Urteil vom 11.08.2011 - L 6 SB 5158/09 - n.v.). Danach werden auf Antrag Blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem GdB von 60 allein wegen der Sehbehinderung, hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfe nicht möglich ist und behinderte Menschen, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können, von der Rundfunkgebührenpflicht befreit.
Vorliegend kommt, da die Klägerin weder in ihrer Seh- noch ihrer Hörfähigkeit beeinträchtigt ist, einzig der letztgenannte (gesundheitliche) Befreiungstatbestand in Betracht. Die Klägerin erfüllt zwar die dort genannte Voraussetzung eines GdB von wenigstens 80, nachdem der GdB bei ihr bereits seit dem 20.11.2003 mit 100 festgestellt ist, zusätzlich ist jedoch erforderlich, dass die Klägerin wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen kann. Dies ist jedoch zu verneinen. Die bei der Klägerin vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen, eine Halbseitenlähmung links, eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule sowie eine Polyarthrose, wirken sind nicht so aus, dass sie damit (allgemein) von öffentlichen Zusammenkünften politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art (vgl. BSG, Urteil vom 10.08.1993 - 9/9a RVs 7/91 - und Urteil vom 12.02.1997 - 9 RVs 2/96 - jew. veröffentlicht in juris) ausgeschlossen wäre. Die Klägerin ist nach den im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte durch Hilfsmittel und schmerztherapeutische Maßnahmen zur Überzeugung des Senats soweit mobilisiert, dass sie - in Begleitung - in der Lage ist, sich außerhalb ihres Wohnumfeldes fortzubewegen. Bereits das SG hat insofern zutreffend darauf hingewiesen, dass die behandelnde Ärztin Dr. A. mitgeteilt hat, die Klägerin suche die Arztpraxis auf, um dort ihre Medikamente abzuholen. Der Senat vermag insofern, auch in Ermangelung eines entsprechenden Vortrages, nicht zu erkennen, dass die Klägerin praktisch an ihre Wohnung gebunden ist. Soweit Dr. A. in ihrer Stellungnahme vom 23.06.2010 die Einschätzung geäußert hat, die Klägerin sei infolge der anhaltenden depressiven Symptomatik an der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen gehindert, kann sich der Senat dem nicht anschließen. Die Klägerin wird in ihrer psychischen Belastbarkeit durch die von Dr. Gut diagnostizierten chronischen Depressionen nicht derart schwerwiegend beeinträchtigt, dass sie nicht mehr in der Lage wäre, die äußeren Umstände einer Veranstaltung als solche wahrzunehmen und zu erkennen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.08.2011, a.a.O.). Eine Unterschreitung dieses Mindestmaßes geistiger Aufnahmefähigkeit und damit einhergehend eine Unfähigkeit zur Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen vermag der Senat nicht zu erkennen. In diesem Sinne hat auch der Pflegegutachter Bauer in seinem Pflegegutachten vom 23.05.2008 eine ausreichende Orientierung bei einer ausreichenden Kommunikationsfähigkeit ohne eine Einschränkung der Alltagskompetenz festgestellt. Dass die Klägerin möglicherweise infolge einer mit der Depression zusammenhängenden Verminderung des Antriebs (und des Affekts) kein Interesse an der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen mehr hat, reicht für die Annahme einer Unfähigkeit einer Teilnahme nicht aus, da die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen einzig anhand objektiver Kriterien zu erfolgen hat.
Die Klägerin hat mithin keinen Anspruch darauf, dass bei ihr die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" festzustellen sind. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Berufung ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten steht in Streit, ob bei der Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" (Rundfunkgebührenbefreiung und Sozialtarif für Telefonanschlüsse) vorliegen.
Bei der am 07.04.1938 geborenen Klägerin ist seit dem 20.11.2003 eine Grad der Behinderung (GdB) von 100 festgestellt (Bescheid des Versorgungsamts Ravensburg vom 17.03.2004). Das Versorgungsamt Ravensburg hat hierbei "eine Halbseitenlähmung links, organisches Nervenleiden mit einem Einzel-GdB von 90 und eine "Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Polyarthrose" mit einem solchen von 30 berücksichtigt. Ferner sind der Klägerin die Nachteilsausgleiche "G" (erhebliche Gehbehinderung), "B" (Freifahrt für eine Begleitperson, wenn eine Berechtigung zur Mitnahme besteht) zuerkannt. Zuletzt hat das Landratsamt Bodenseekreis - Versorgungsamt - (VA) mit Bescheid vom 25.11.2009 auch den Nachteilsausgleich "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) zuerkannt. Im Rahmen des zu Grunde liegenden Verwaltungsverfahrens legte die ZF & Partner Betriebskrankenkasse auf Anforderung des VA ein Pflegegutachten der Pflegefachkraft Bauer vom 23.05.2008 vor, nach dem bei der Klägerin ein Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege von 138 min. pro Tag bestehe.
Am 19.11.2009 beantragte die Klägerin persönlich beim VA die Zuerkennung der Nachteilsausgleichs "RF". Sie führte hierzu die bestehende Arthrose an. Nach einer versorgungsärztlichen Überprüfung durch Dr. Engelhardt vom 11.01.2010, der unter Hinweis auf eine Stellungnahme der behandelnden Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. A. vom 27.10.2009, die hierin angegeben hat, die Klägerin sei im häuslichen Umfeld und für kurze Gehstrecken mit einem Gehstock bzw. Rollator mobil, anführte, der Klägerin sei die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen in nennenswertem Umfang zumutbar, lehnte das VA den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 18.01.2010 ab, da die Voraussetzungen für die Feststellung der medizinischen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs nicht vorlägen.
Den hiergegen am 03.02.2010 eingelegten Widerspruch, zu dessen Begründung die Klägerin einen Kurvorschlag vom 04.11.2003 vorlegte und vorbrachte, sie erfülle die Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" wies der Beklagte nach einer versorgungsärztlichen Überprüfung der Versorgungsärztin Köpf vom 17.03.2010, die ausführte, die Klägerin könne mit einem Rollstuhl, einem PKW und einer Begleitperson in zumutbarer Weise öffentliche Veranstaltungen besuchen, mit Widerspruchsbescheid vom 15.04.2010 zurück. Zur Begründung führte er an, berechtigt, den Nachteilsausgleich "RF" zu erhalten seien u.a. behinderte Menschen, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können. Bei der Beurteilung, ob die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen möglich ist, sei ein objektiver Maßstab anzulegen. So seien die Voraussetzungen auch dann zu verneinen, wenn öffentliche Veranstaltungen mit einer Begleitperson oder mit technischen Mitteln besucht werden können. Dies sei der Klägerin möglich, weswegen die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs nicht möglich sei.
Hiergegen hat die Klägerin am 30.04.2010 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben, zu deren Begründung sie ausgeführt hat, sie sei gehbehindert und verlasse das Haus nicht. Sie sei in Pflegestufe II eingestuft und werde morgens und abends von einem Pflegedienst versorgt. Ihre medizinische Versorgung werde durch Hausbesuche ihrer Hausärztin gesichert. Sie leide an schweren Bewegungsstörungen, die im Laufe der Jahre zugenommen hätten. Sie könne daher keine öffentlichen Veranstaltungen besuchen.
Der Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat hierzu auf den Inhalt des angefochtenen Widerspruchsbescheides verwiesen. Ergänzend hat er eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Wolf vom 19.11.2010 vorgelegt.
Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen einvernommen. Die behandelnde Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. A. hat in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 23.06.2010 mitgeteilt, die Klägerin zuletzt im September 2009 intensiver untersucht zu haben. Seither habe die Klägerin regelmäßig ihre Dauermedikation bei ihr abgeholt. Die Mobilität der Klägerin sei zwar deutlich eingeschränkt, die körperlichen Einschränkungen seien jedoch durch schmerztherapeutische Maßnahmen und Hilfsmittel adäquat versorgt. Infolge einer bestehenden depressiven Symptomatik sei die Klägerin jedoch nicht in der Lage, öffentliche Veranstaltungen und Familienfeste zu besuchen. Dr. Gut, Arzt für Neurologie und Psychiatrie, hat in seiner Stellungnahme vom 06.07.2010 mitgeteilt, die Klägerin habe sich erst- und einmalig am 11.05.2010 bei ihm vorgestellt. Die Mobilität sei wegen der leicht bis mittelgradig ausgeprägten Hemiparese links stark eingeschränkt. Aufgrund der erheblich beeinträchtigten Fähigkeit zur Fortbewegung auf eigenen Beinen sei ihr eine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen unter Verwendung von Gehhilfen oder eines Rollstuhls auch ohne Begleitung dritter Personen möglich. Prof. Dr. B., Chefarzt der Chirurgischen Klinik am Klinikum Friedrichshafen, hat in seiner Stellungnahme vom 22.07.2010 mitgeteilt, die Klägerin letztmalig vom 03. - 07.03.2009 stationär behandelt zu haben; eine Beantwortung der Frage, ob der Klägerin die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen möglich sei, sei daher nicht möglich.
Mit Gerichtsbescheid vom 19.01.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG ausgeführt, die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht richteten sich nach landesrechtlichen Regelungen (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 der Ausweisverordnung Schwerbehindertengesetz). Danach seien u. a. Behinderte mit einem GdB von 80 von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien, wenn sie wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen könnten. Die Unmöglichkeit der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen sei dann zu bejahen, wenn der Schwerbehinderte wegen seines Leidens ständig, d.h. allgemein und umfassend, vom Besuch ausgeschlossen sei und allenfalls an einem nicht nennenswerten Teil der öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne. Dies könne bei einer praktischen Bindung an das Haus angenommen werden. Benötige der behinderte Mensch für längere Wege einzig einen Rollstuhl oder eine Begleitperson, sei er nicht bereits deswegen von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen. Die Klägerin sei zwar durch die Folgen eines Schlaganfalles und Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Polyarthrose) in ihrer Bewegungsfähigkeit eingeschränkt, sie sei jedoch nach den Angaben von Dr. A. im häuslichen Umfeld und für kurze Gehstrecken mit einem Gehstock, einem Rollator und schmerztherapeutischen Maßnahmen ausreichend mobilisiert. So komme die Klägerin regelmäßig in die Praxis von Dr. A., um die Dauermedikation abzuholen. Die Klägerin sei daher nicht infolge mangelnder Mobilität von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen. Soweit Dr. A. angegeben habe, dass die Klägerin noch an einer depressiven Störung leide, die dies verunmögliche, möge es zwar möglich sein, dass die Klägerin aufgrund der depressiven Symptomatik kein Interesse am Besuch von öffentlichen Veranstaltungen mehr habe, sie sei jedoch nicht so schwer beeinträchtigt, dass sie aus Gründen einer psychischen Erkrankung keinerlei Veranstaltungen mehr besuchen könne, wie sich daran zeige, dass sie noch in der Lage sei, die Praxis von Dr. A. aufzusuchen oder zur Einlegung des Widerspruches die Räumlichkeiten des VA aufzusuchen; eine Bindung an das Haus sei daher auch durch eine psychische Erkrankung nicht bedingt.
Gegen den am 25.01.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 25.02.2011 Berufung eingelegt, die sie, trotz zwischenzeitlich gewährter Fristverlängerung und Erinnerungen hieran, nicht begründet hat. Der Senat hat die Klägerin zuletzt, mit Schreiben vom 16.08.2011, unter Hinweis auf § 106a Sozialgerichtsgesetz (SGG) fruchtlos aufgefordert, Tatsachen vorzutragen, aufgrund derer Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung sie sich beschwert fühlt.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 19. Januar 2011 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 18. Januar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. April 2010 zu verurteilen, bei der Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die beim Beklagten für die Klägerin geführte Schwerbehindertenakte, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 07.03.2012 wurden, sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 07.03.2012 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Beklagte hat insoweit die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich RF zutreffend verneint. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass bei ihr die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "RF" festzustellen sind.
Anspruchsgrundlage für die geltend gemachte Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" - streitgegenständlich ist nicht die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, sondern die Feststellung ihrer gesundheitlichen Voraussetzungen, die dann für die Rundfunkanstalt, die über eine Befreiung zu entscheiden hat, bindend ist (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 06.10.1981 - 9 RVs 3/81 – veröffentlicht in juris) - ist § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuches Neuntes Buch (SGB IX). Hiernach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Hierzu gehören auch die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, bei deren Erfüllung in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "RF" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr.5 der Schwerbehindertenausweisverordnung) (vgl. BSG, Urteil vom 08.11.2007 - B 9/9a SB 3/06 R - veröffentlicht in juris). Für die in Baden-Württemberg wohnhafte Klägerin ist Art. 5 § 6 Abs. 1 Nr. 8 des Achten Staatsvertrages zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom 8. bis 15.10.2004 in der Fassung des Baden-Württembergischen Gesetzes vom 17.03.2005 (GBl. 2005, 189) heranzuziehen (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.08.2011 - L 8 SB 5408/08 – veröffentlicht in juris; Urteil vom 11.08.2011 - L 6 SB 5158/09 - n.v.). Danach werden auf Antrag Blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem GdB von 60 allein wegen der Sehbehinderung, hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfe nicht möglich ist und behinderte Menschen, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können, von der Rundfunkgebührenpflicht befreit.
Vorliegend kommt, da die Klägerin weder in ihrer Seh- noch ihrer Hörfähigkeit beeinträchtigt ist, einzig der letztgenannte (gesundheitliche) Befreiungstatbestand in Betracht. Die Klägerin erfüllt zwar die dort genannte Voraussetzung eines GdB von wenigstens 80, nachdem der GdB bei ihr bereits seit dem 20.11.2003 mit 100 festgestellt ist, zusätzlich ist jedoch erforderlich, dass die Klägerin wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen kann. Dies ist jedoch zu verneinen. Die bei der Klägerin vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen, eine Halbseitenlähmung links, eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule sowie eine Polyarthrose, wirken sind nicht so aus, dass sie damit (allgemein) von öffentlichen Zusammenkünften politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art (vgl. BSG, Urteil vom 10.08.1993 - 9/9a RVs 7/91 - und Urteil vom 12.02.1997 - 9 RVs 2/96 - jew. veröffentlicht in juris) ausgeschlossen wäre. Die Klägerin ist nach den im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte durch Hilfsmittel und schmerztherapeutische Maßnahmen zur Überzeugung des Senats soweit mobilisiert, dass sie - in Begleitung - in der Lage ist, sich außerhalb ihres Wohnumfeldes fortzubewegen. Bereits das SG hat insofern zutreffend darauf hingewiesen, dass die behandelnde Ärztin Dr. A. mitgeteilt hat, die Klägerin suche die Arztpraxis auf, um dort ihre Medikamente abzuholen. Der Senat vermag insofern, auch in Ermangelung eines entsprechenden Vortrages, nicht zu erkennen, dass die Klägerin praktisch an ihre Wohnung gebunden ist. Soweit Dr. A. in ihrer Stellungnahme vom 23.06.2010 die Einschätzung geäußert hat, die Klägerin sei infolge der anhaltenden depressiven Symptomatik an der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen gehindert, kann sich der Senat dem nicht anschließen. Die Klägerin wird in ihrer psychischen Belastbarkeit durch die von Dr. Gut diagnostizierten chronischen Depressionen nicht derart schwerwiegend beeinträchtigt, dass sie nicht mehr in der Lage wäre, die äußeren Umstände einer Veranstaltung als solche wahrzunehmen und zu erkennen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.08.2011, a.a.O.). Eine Unterschreitung dieses Mindestmaßes geistiger Aufnahmefähigkeit und damit einhergehend eine Unfähigkeit zur Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen vermag der Senat nicht zu erkennen. In diesem Sinne hat auch der Pflegegutachter Bauer in seinem Pflegegutachten vom 23.05.2008 eine ausreichende Orientierung bei einer ausreichenden Kommunikationsfähigkeit ohne eine Einschränkung der Alltagskompetenz festgestellt. Dass die Klägerin möglicherweise infolge einer mit der Depression zusammenhängenden Verminderung des Antriebs (und des Affekts) kein Interesse an der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen mehr hat, reicht für die Annahme einer Unfähigkeit einer Teilnahme nicht aus, da die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen einzig anhand objektiver Kriterien zu erfolgen hat.
Die Klägerin hat mithin keinen Anspruch darauf, dass bei ihr die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" festzustellen sind. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Berufung ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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