L 9 U 1100/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 14 U 2422/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 1100/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 9. Dezember 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Umstritten ist die Feststellung des Vorliegens einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2104 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) - im Weiteren BK 2104 - (Vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können).

Der 1955 in A., ehemalige U., geborene Kläger, der am 27. Juli 1992 von K. ins Bundesgebiet zugezogen ist, ist Inhaber des Vertriebenenausweises B und nach dem Fremdrentengesetz (FRG) anspruchsberechtigt, auch - bei Vorliegen der Voraussetzungen - für Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung, insbesondere bei BKen (§ 5 FRG).

Nach dem vorgelegten Arbeitsbuch arbeitete der Kläger von Juli bis Oktober 1971 in der Fernmeldezentrale Z. als Monteur, von August bis Dezember 1972 im Waggonreparaturwerk Z. als Aushilfsarbeiter der schmied-mechanischen Halle bzw. zuletzt als Elektroschweißer-Anlernling und von Februar bis April 1973 im Werk "K.", Z., als Montageschlosser. Nach seinem Dienst bei der Armee von Mai 1973 bis Juni 1975 war er von August 1975 bis Dezember 1976 am Maschinenbaubautechnikum Z. immatrikuliert. Von Januar 1977 bis Juni 1980 besuchte er die Mittlere Technische Berufsschule Z. und war Lehrgeselle der Betriebsausbildung der Schlossergruppe. Von Juni 1980 bis August 1983 arbeitete er unter Tage im Bergbaubetrieb A. des T. "Z.", zunächst als Vortriebs-Anlernling und dann als Untertagevortriebsarbeiter. Er arbeitete dann von September 1983 bis Juli 1984 in der Erzgrube B. G. "K." und von Dezember 1984 bis Juni 1992 (Ausreise nach Deutschland) im Bergbaubetrieb T. "K." wiederum als Untertagevortriebsarbeiter. In den Bergbaubetrieben wurden Gold und Steinkohle gefördert. Bei den Beschäftigungen von Februar bis April 1973, Juni 1980 bis August 1983, September 1983 bis Juli 1984 und Dezember 1984 bis Juni 1992 arbeitete der Kläger gemäß seinen Angaben mit Druckluftwerkzeugen, ebenso während weiterer Beschäftigungen von März 1993 bis Januar 2001 und Januar 2001 bis März 2005 in Holzbaubetrieben in Deutschland. Das Arbeitsverhältnis wurde zum 31. März 2005 beendet, nachdem die Aufträge weggebrochen und auch die Baustelle, auf der der Kläger gearbeitet hatte, weggefallen war (Vermerk über eine Arbeitgeberauskunft vom 31. Oktober 2007).

Im August 2005 äußerte der Kläger gegenüber der Bergbau-Berufsgenossenschaft (Bergbau-BG), nach Zusammenschluss am 1. Januar 2010 mit weiteren BGen BG Rohstoffe und Chemische Industrie (BG RCI), den Verdacht auf das Vorliegen einer BK nach Nr. 2104 der Anlage 1 zur BKV, im Weiteren BK 2104. Hierzu machte er Angaben zu seinen Erkrankungen und zu seinen beruflichen Tätigkeiten und legte er das Protokoll Nr. 582/92 vom 20. März 1992 der Sitzung der Medizinischen Kommission des Republikanischen Berufs-Pathologischen Klinikums der Stadt K. ("Diagnose: Vibrationskrankheit der ersten Stufe [peripherisches antodystonisches Syndrom]. Die Erkrankung ist beruflich bedingt [wiederholt]. Begleitende Diagnose: Osteochondrosis der Halswirbel der Wirbelsäule im Bereich C4-C5; Zervikalkium, allgemeine Erkrankung. Kontrolle und Behandlung durch den Neuropathologen am Wohnsitz mit Arbeitsunfähigkeit von 2 Monaten. Behandlung in einem Profilaktorium. Auf der Flurorografie der Organe des Brustkorbs wurde keine Herz- oder Lungenpathologie festgestellt. Das Radiogramm des Rückenmarks zeigte: Osteochondrosis im Bereich C4-C4. Die Fluorografie der Hände: schwach ausgeprägte degenerative dystrophische Veränderungen in den Handknochen") vor.

Weiter gelangten ärztliche Berichte und Äußerungen zu den Akten (u. a. Heilverfahren-Entlassungsbericht über eine stationäre Behandlung in Bad S. vom 14. September bis 11. Oktober 2005 [Zervikokranialsyndrom bei Fehlstatik und degenerativen Veränderungen, Fraktur des 5. Halswirbels, Kyphoskoliose, arterielle Hypertonie]; Radiologe Dr. S. über Röntgenuntersuchungen der Schulter-, Ellenbogen- und Handgelenke vom 13. Oktober 2005; Nervenarzt W. vom 17. Oktober 2005 [Verdacht auf Schulter-Arm-Syndrom links, kein Hinweis für ein CTS links]; Chirurg D. vom 27. Oktober 2005 [degenerative Veränderungen der HWS, Sinterungsfraktur HWK 5, veraltet, Cervikobrachialgie beidseits, Bouchard-Arthrose beider Hände, Heberden-Arthrose beidseits, CTS beidseits, Polyarthralgie]; Orthopäde Dr. B. vom 21. November 2005 [Polyarthrose der Finger beidseits, Rhizarthrose beidseits, CTS beidseits, Überlastungssyndrom]; ärztliche Verdachtsanzeige zum Vorliegen einer BK 2103 und einer BK 2104 der Dr. S. vom 9. Dezember 2005).

Nach arbeitstechnischen Ermittlungen, u. a. mit Befragung des Klägers, gelangte der Präventionsdienst der Bergbau-BG am 19. Dezember 2005 zum Ergebnis, die Tätigkeit im kasachischen Gold- und Steinkohlebergbau von Juni 1980 bis Juni 1992 als Vortriebshauer mit handgeführten Bohrhämmern und Schlagfrequenzen der Hämmer zwischen 35 und 50 Hz könne ursächlich für Erkrankungen im Sinne einer BK 2104 sein, weswegen die arbeitstechnischen Voraussetzungen für das Entstehen einer solchen BK vorlägen. Der Präventionsdienst der BG Bau (Beklagte) führte (unter der Fragestellung zum Vorliegen einer BK 2104) in Stellungnahmen vom 22. März und 10. April 2006 - nach Befragungen des Klägers und der Arbeitgeber in Deutschland (Holzbetriebe) - aus, die Tätigkeiten von März 1993 bis Januar 2001 und Januar 2001 bis März 2005 in den Zimmereibetrieben seien mit Belastungen durch Schwingungen verbunden gewesen. Ferner wurden von der BG Bau Berichte des Berufsgenossenschaftlichen Instituts für Arbeitsschutz, Sankt A., vom 18. April und 18. Oktober 2006 beigezogen. Wegen der Einzelheiten der mit den Tätigkeiten verbundenen Belastungen/Schwingungsbelastungen wird auf die genannten Unterlagen verwiesen.

Nach einer Verletzung der rechten Hand im Oktober erfolgte eine Operation in der Orthopädischen Universitätsklinik H ... Auf den Operationsbericht vom 16. November 2006 wird verwiesen.

Ferner wurde auf Veranlassung der Bergbau BG ein Gutachten des Prof. Dr. D., Internist, Kardiologe, Angiologe und Phlebologe, vom 10. April 2007 eingeholt. Er führte aus, klinisch imponiere ein primäres Raynaud-Syndrom unter Beteiligung der Finger II, III und IV der linken Hand bzw. II und III der rechten Hand. Die Diagnostik habe keinen Anhalt für ein sekundäres Raynaud-Syndrom ergeben. Die Duplexsonographie habe an keiner Stelle der Armarterien eine Stenose ergeben. Der Blutfluss sei regelrecht. Es handle sich um ein vibrationsbedingtes vasospastisches Syndrom (VVS), das eine BK 2104 darstelle. Die durch die Erkrankung bedingte MdE betrage maximal 10 v.H.

Die Beklagte erklärte - nachdem die Bergbau BG geltend machte, der Kläger habe gefährdende Tätigkeiten zuletzt in Mitgliedsunternehmen der Beklagten verrichtet - am 23. August 2007 gegenüber der Bergbau BG die Fallübernahme.

In einer Stellungnahme vom 26. Oktober 2007 führte der beratende Arzt Dr. F. aus, in den Akten fänden sich keine Hinweise auf eine Arbeitsunfähigkeit infolge der Durchblutungsstörungen der Hände. Aus diesem Grund sei der für eine BK 2104 erforderliche Unterlassungszwang zu verneinen. Ergänzend erläuterte er am 31. Oktober 2007 (vgl. Aktenvermerk vom selben Tag), nach dem Gutachten von Prof. Dr. D. sei nicht von einem schweren VVS auszugehen. Eine entsprechende Diagnose begründe auch keinen Unterlassungszwang. Vielmehr gebe es durch technische und organisatorische Maßnahmen Möglichkeiten, den Unterlassungszwang zu verhindern. Der Kläger habe seine Tätigkeiten zudem nicht wegen der VVS-Beschwerden aufgegeben sondern aus anderen Gründen.

Eine Nachfrage bei der letzten Arbeitgeberin, der Firma L. GmbH, am 31. Oktober 2007 ergab, dass Anfang 2005 die Aufträge weggebrochen seien und die Baustelle, auf der der Kläger beschäftigt gewesen sei, weggefallen sei.

In einer ergänzenden Stellungnahme führte Prof. Dr. D. am 14. Februar 2008 aus, er habe ein VVS im Sinne der BK 2104 diagnostiziert. Seit 1992 hätten typische Symptome bestanden. Eine Beschwerdeprogredienz habe der Kläger nicht beschrieben und spezielle Arbeitsschutzmaßnahmen oder eine Behandlung seien nicht erfolgt. Aus medizinsicher Sicht sei bei der Diagnosestellung eines VVS zur Verhinderung einer Progredienz die auslösende Ursache zu unterlassen, z.B. durch entsprechende Arbeitsschutzmaßnahmen oder durch einen Wechsel der Tätigkeit. Wann und in welchem Umfang der Kläger Vibrationen der entsprechenden Frequenz ausgesetzt gewesen sei und was zur Unterlassung hätte getan werden können, sei in einem technischen Gutachten zu prüfen.

Hierzu führte Dr. F. am 13. März 2008 weiter aus, bei einem klinisch nicht mehr als geringen VVS ohne Störungen der Motorik und der Sensibilität sei nicht von einem medizinischen begründeten Unterlassungszwang auszugehen, was sich auch aus dem Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme von Prof. Dr. D. ergebe. Arbeitsunfähigkeit habe auch nicht wegen des VVS bestanden, sondern vielmehr wegen degenerativer Schäden der HWS. Die Arbeitgeberin habe das Arbeitsverhältnis wegen fehlender Aufträge gekündigt. Bei nach der Anamnese seit 1992 im Wesentlichen unveränderten, geringen Beschwerden, hätten geeignete Schutzmaßnahmen bei der Arbeit ohne weiteres ergriffen werden können, sowohl seitens der verwendeten persönlichen Schutzmaßnahmen wie auch arbeitsorganisatorisch. Damit lasse sich in der Gesamtschau ein Unterlassungszwang nicht begründen.

Mit Bescheid vom 10. April 2008 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK 2104 ab. "Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung" seien "nicht zu erbringen". Der Kläger leide nach den medizinischen Unterlagen an bei Kälte auftretenden Gefäßkrämpfen an den Händen, wodurch die Motorik und Sensibilität allerdings nicht eingeschränkt seien. Zwar sei davon auszugehen, dass die Durchblutungsstörung an den Händen durch die Tätigkeit als Vortriebshauer bzw. als Helfer im Zimmerer-Handwerk wesentlich verursacht sei, doch habe sie nicht zur Unterlassung der beruflichen Tätigkeit gezwungen. Mit persönlichen Schutzmaßnahmen (Tragen von Handschuhen bei Kälte sowie von Anti-Vibrationshandschuhen), technischen Maßnahmen (Verwendung vibrationshemmender Griffe an den Maschinen) sowie arbeitsorganisatorischen Maßnahmen hätte der Kläger an seinem Arbeitsplatz bleiben können. Ein medizinisch begründeter Unterlassungszwang liege nicht vor. Außerdem sei der Kläger vom 14. Februar bis 19. April 2005 wegen einer depressiven Erkrankung arbeitsunfähig gewesen. In diesem Zeitraum sei ihm dann wegen Auftragsmangels zum 31. März 2005 gekündigt worden. Insoweit sei die Tätigkeitsaufgabe nicht wegen der Beschwerden, sondern wegen betriebsbedingter Umstände erfolgt.

Den Widerspruch des Klägers, den dieser u. a. damit begründete, Finger der linken und rechten Hand würden oftmals am Tag weiß und gefühllos, im Winter mehr und im Sommer weniger, die Motorik sowie Sensibilität der Hände seien eingeschränkt, in K. sei die Krankheit auch als BK anerkannt und ihm sei gekündigt worden, weil er keine guten Leistungen mehr habe erbringen und im Winter nicht mehr draußen habe arbeiten können, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2008 zurück.

Deswegen hat der Kläger am 21. Juli 2008 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben und sein vorheriges Vorbringen im Wesentlichen wiederholt.

Das SG hat die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Über die von Ihnen erhobenen Befunde hatten unter Beifügung weiterer ärztlicher Äußerungen der Internist Dr. A. am 29. August 2008, der Orthopäde Dr. D. am 29. August 2008, der Orthopäde Dr. B. am 26. September 2008, der Neurologe und Psychiater S. am 7. Oktober 2008 sowie Dr. C. vom 24. Oktober 2008 berichtet. Wegen der Einzelheiten wird auf die schriftlichen Aussagen der Ärzte verwiesen.

Ferner hat das SG ein internistisch-arbeitsmedizinisches Gutachten des Dr. S. vom 12. März 2009 eingeholt. Ihm gegenüber hat der Kläger angegeben, er beziehe seit 2005 Rente wegen Berufsunfähigkeit und arbeite nun seit 1. Januar 2009 zehn Stunden pro Woche als Hausmeister, wobei er u. a. Schnee räumen, Laub beseitigen und kleinere Reparaturen durchführen müsse. Der Sachverständige hat ausgeführt, der Internist Dr. A. habe über Behandlungsdaten zwischen August 2000 und Dezember 2007 berichtet und zu keinem Zeitpunkt eine klinische Symptomatik im Sinne eines Raynaud-Syndroms erwähnt. Auch bei seiner Untersuchung habe sich im Bereich der Hände und Finger eine normale Durchblutung gezeigt und kein Hinweis auf ein aktuell bestehendes Raynaud-Syndrom ergeben. Der Kläger berichte über klassische Beschwerden, die einem primären Raynaud-Syndrom zuzuordnen seien. Insbesondere nach Kälte-Exposition komme es zu einem Vasospasmus der Fingerarterien, jedoch ohne die Notwendigkeit einer akuten medizinischen Therapie. Nach Angaben des Klägers selbst reibe er sich dann die Finger und warte ab. Der Kläger habe entsprechend den Ausführungen von Prof. Dr. D. über 12 Jahre einen pneumatischen Gesteinsbohrer bedient, den er überwiegend in der linken Hand gehalten habe. Die vorgetragene Symptomatik umfasse jedoch Beschwerden im Bereich beider Hände. Des weiteren falle auf, dass auch in Phasen körperlicher Ruhe, z. B. bei Arbeitslosigkeit und Phasen der Integration in der Bundesrepublik bis aktuell (leichte Tätigkeit als Hausmeister) die Beschwerden im Wesentlichen unverändert angegeben würden. Dr. A. berichte jedoch, dass ein Raynaud-Syndrom bzw. daraus abzuleitende klinische Symptome kein Anlass gegeben hätten darüber zu sprechen oder eine Behandlung einzuleiten. In seinem Gutachten hat Dr. S. dann ein Raynaud-Syndrom und eine Hypertonie diagnostiziert. Im Sinne des Vollbeweises komme das Raynaud-Syndrom nicht generell als BK 2104 in Betracht. Es sei möglich, dass eine vibrationsbedingte Durchblutungsstörung an den Händen bestehe, doch sprächen einige Sachverhalte gegen eine derartige Annahme. Die Symptomatik, die dem Raynaud-Syndrom zuzuordnen sei, sei während der Behandlung bei Dr. A. über 8 Jahre zu keinem Zeitpunkt Anlass für eine ärztliche Intervention gewesen. Gegen ein sekundäres Raynaud-Syndrom sprächen die Untersuchungsergebnisse von Prof. Dr. D. wie auch die kontinuierliche Beschwerdesymptomatik in zum Teil mehrjährigen Schonungsphasen, u. a. während Arbeitslosigkeit. Richtigerweise sei dem Gutachten von Prof. Dr. D. zu entnehmen, dass die kälteprovozierbare Vasospastik an den Händen beidseits als primäres Raynaud-Syndrom imponiere. Die Feststellung eines primären Raynaud-Syndroms widerlege definitionsgemäß die Annahme eines sekundären Raynaud-Syndroms, bedingt z.B. durch Vibrationseinwirkungen. Er halte die BK 2104 nicht für sicher feststellbar, um so mehr, als die Definition der BK 2104 voraussetze, dass ein geeignetes Krankheitsbild im Sinne dieser Listennummer voll bewiesen bzw. medizinisch eindeutig gesichert sei. Eine Verschlimmerung liege nicht vor, vielmehr bestehe eine grundsätzliche unveränderte Symptomatik. Falls überhaupt von einer beruflich bedingten Erkrankung auszugehen wäre, hätte diese mit Sicherheit nicht zur Unterlassung aller oder bestimmter Tätigkeiten gezwungen. Auch die Angaben der behandelnden Ärzte belegten nicht das Vorliegen einer BK 2104.

Der Kläger hat schriftlich Einwendungen gegen das Gutachten erhoben und zuletzt in der mündliche Verhandlung, anwaltlich vertreten, nur noch die Feststellung einer BK 2104 beantragt.

Mit Urteil vom 9. Dezember 2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Die - näher dargelegten - Voraussetzungen für die Feststellung einer BK 2104 seien nicht erfüllt. In der medizinischen Wissenschaft werde eine vibrationsbedingte Durchblutungsstörung als sogenanntes sekundäres Raynaud-Syndrom bezeichnet (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch). Das sekundäre und das primäre Raynaud-Syndrom unterschieden sich dahingehend, dass beim primären Raynaud-Syndrom eine idiopathische Ursache zu Grunde liege, während beim sekundären Raynaud-Syndrom die Ursache durch Blutumlaufstörungen bestimmt werden könne, z. B. Arteriosklerose, Vibrationstraumen oder Intoxikationen. Die Diagnose eines primären Raynaud-Syndroms schließe ein sekundäres Raynaud-Syndrom aus. Nach dem Gutachten von Dr. S. liege kein sekundäres Raynaud-Syndrom vor. Die Hände und insbesondere die Finger seien beidseits normal durchblutet. Dies decke sich auch mit dem Ergebnis der von Prof. Dr. D. durchgeführten Duplexsonographie, die keine Stenosen der Armarterien ergeben habe. Auf Grund der anamnestischen Angaben und mangels objektiver Befunde gehe Dr. S. von einem primären Raynaud-Syndrom aus. Insbesondere komme es nach Kälte-Exposition zu einem Vasospasmus der Fingerarterien. Allerdings bestehe die Notwendigkeit einer akuten medizinischen Therapie nicht. Der Kläger selbst gebe an, er reibe dann die Finger und warte ab. Auch die von Prof. Dr. D. erhobenen Befunde stützten nach Auffassung von Dr. S. die Diagnose eines primären Raynaud-Syndroms. Den Ausführungen von Dr. S. sei vollumfänglich zu folgen. Sein Gutachten sei inhaltlich widerspruchsfrei und weise keine Mängel auf. Gestützt werde dies auch dadurch, dass nach zweijähriger Arbeitslosigkeit und in der Phase der Integration in der Bundesrepublik Deutschland keinerlei Veränderungen der Beschwerdesymptomatik aufgetreten seien. Demgegenüber sei das Gutachten von Prof. Dr. D. in sich widersprüchlich. Einerseits gehe er von einem vasospastischen Syndrom im Sinne einer BK 2104 aus, andererseits diagnostiziere er auch ein primäres Raynaud-Syndrom, was die Annahme eines berufsbedingten sekundären Raynaud-Syndroms ausschließe. Im Übrigen habe auch zu keinem Zeitpunkt ein Unterlassungszwang bestanden. Außerdem habe zum Zeitpunkt der Aufgabe der Tätigkeit noch keine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) vorgelegen. Selbst wenn man dem Gutachten von Prof. Dr. D. folge, bestehe lediglich eine MdE in Höhe von 10 vH. Dem Kläger hätten durch Präventionsmaßnahmen, z. B. vibrationsarme Geräte oder Vibrationshandschuhe, Möglichkeiten zur Verfügung gestanden, um die beruflichen Tätigkeiten fortsetzen zu können.

Gegen das am 4. Februar 2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 4. März 2010 Berufung eingelegt. Er trägt im Wesentlichen vor, die arbeitstechnischen Voraussetzungen einer BK 2104 seien durch die Bohrarbeiten bzw. Arbeiten mit Bohrhämmern erfüllt. Prof. Dr. D. habe auch ein VVS diagnostiziert. Der Einsatz des Beratungsarztes der Beklagten dagegen "tauge nicht". Gleich, ob es sich um ein primäres oder sekundäres Raynaud-Syndrom handele, genüge eine wesentliche Mitursächlichkeit der beruflichen Bedingung. Eine schädigende Tätigkeit sei auch dann unterlassen, wenn diese nicht mehr aufgenommen werden könne. Im Übrigen liege eine rentenberechtigende MdE vor. Zum Beweis einer rentenberechtigenden MdE sei ein medizinisches und erwerbskundliches Sachverständigengutachten einzuholen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 9. Dezember 2009 aufzuheben und unter Aufhebung des Bescheids vom 10. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juli 2008 festzustellen, dass bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr. 2104 der Anlage 1 zur BKV vorliegt und die Beklagte zu verurteilen, ihm "Entschädigung in Form der Verletztenrente und gegebenenfalls der Übergangsleistungen" zu gewähren.

Die Beklagte beantragt.

die Berufung zurückzuweisen.

Die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2104 seien nicht erfüllt, was sich schlüssig aus dem Gutachten von Dr. S. ergebe. Der Kläger verkenne, dass ein objektiver Unterlassungszwang nicht bestanden habe. Nach dem Sachverständigengutachten bestehe auch bereits kein anspruchsbegründendes Krankheitsbild.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet, ist unbegründet.

Zulässig ist die Berufung insofern, als der Kläger zum Teil sinngemäß die Feststellung bzw. Anerkennung einer BK 2104 geltend macht. Soweit er nun im Berufungsverfahren auch die Gewährung von Leistungen in Form von Verletztenrente bzw. Übergangsleistungen erstrebt, ist sein Begehren unzulässig, da eine zulässig mit der Klage im Berufungsverfahren anfechtbare Verwaltungsentscheidung nicht vorliegt. Hierbei kann dahinstehen, ob die Beklagte hinsichtlich der Gewährung von Leistungen eine mit der Klage zulässig anfechtbare Verwaltungsentscheidung schon getroffen hat, was zweifelhaft ist, da die Voraussetzungen eines Rentenanspruches und ggf. von dessen Höhe sowie sonstiger Leistungen im Hinblick auf eine BK 2104 nicht geprüft und insofern ausdrücklich verneint worden sind. Jedenfalls hat der anwaltlich vertretene Kläger im Klageverfahren in der mündlichen Verhandlung zuletzt lediglich die Feststellung des Vorliegens einer BK 2104 beantragt, sodass - selbst wenn die Beklagte auch über Leistungen entschieden hätte - eine Leistungen ablehnende Entscheidung gemäß § 77 SGG bindend geworden wäre.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die vom Kläger begehrte Feststellung einer BK 2104 - § 9 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGGVII) iVm Nr. 2104 der Anlage 1 zur BKV - dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Feststellung bzw. Anerkennung einer BK 2104 nicht erfüllt sind, weil zum Einen ein Krankheitsbild im Sinne der BK 2104 nicht nachgewiesen ist und zum Anderen der erforderliche Zwang zur Unterlassung der beruflichen Tätigkeiten nicht feststellbar ist. Der Senat schließt sich dem auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahrens uneingeschränkt an, sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Ergänzend ist anzumerken, dass auch zur Überzeugung des Senats auf Grund des ausführlichen Sachverständigengutachtens des Dr. S. nicht festgestellte werden kann, dass beim Kläger eine Erkrankung im Sinne der BK 2104, nämlich ein sekundäres Raynaud-Syndrom vorliegt. Der Sachverständige hat dies schlüssig und überzeugend mit Hinweis auf die beidseitige normale Durchblutung beider Hände und der Finger und auch mit den von Prof. Dr. D. erhobenen Befunden bei der Duplexsonographie, die keine Stenosen der Armarterien ergeben hat, begründet. Auch die vom SG gehörten behandelnden Ärzte haben keine Befunde erhoben und mitgeteilt, die eine Erkrankung im Sinne der BK 2104 belegen würden. Eine derartige Erkrankung wurde von ihnen weder in Erwägung gezogen, noch wurden gar entsprechende Therapien eingeleitet. Ferner haben die vom Kläger geklagten und als Erkrankung im Sinne der BK 2104 geltend gemachten rezidivierenden Beschwerden zu keiner Arbeitsunfähigkeitszeit geführt und wurden keine wesentlichen Befunde bei ärztlichen Untersuchungen dokumentiert, die auf eine schwerwiegende Beeinträchtigung hinweisen könnten.

Im Übrigen ergibt sich für den Senat auch aus den Feststellungen des Dr. S. und den Ausführungen von Dr. F., die Wege des Urkundenbeweises verwertbar waren, dass ein Zwang zur Unterlassung der beruflichen Tätigkeiten zu keinem Zeitpunkt vorgelegen hat, insbesondere wurde auch nicht ansatzweise versucht, Schutzmaßnahmen durchzuführen oder solche auch nur in Erwägung gezogen. Demgegenüber hätte ohne weiteres die Möglichkeit von Präventionsmaßnahmen bestanden. Auch Prof. Dr. D. hat insofern einen Unterlassungszwang nicht bestätigen können sondern durchaus die Möglichkeit entsprechender Maßnahmen für denkbar erachtet, ohne hierzu eine abschließenden definitive Äußerung abzugeben.

Soweit der Kläger geltend macht, die Erkrankung sei durch das Protokoll Nr. 582/92 vom 20. März 1992 der Sitzung der Medizinischen Kommission des Republikanischen Berufs-Pathologischen Klinikums der Stadt K. in K. als Berufskrankheit anerkannt worden, ist diesem Schriftstück nicht zu entnehmen, dass die Voraussetzungen einer BK 2104 nach dem hier anzuwendenden deutschen Recht erfüllt sind und würde eine solche Entscheidung die Beklagte und das Gericht weder von der Verpflichtung zur Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen der BK 2104 entbinden, noch die Beklagte und das Gericht binden.

Soweit der Kläger im Berufungsverfahren noch hilfsweise die Einholung eines medizinischen und "erwerbskundlichen" Sachverständigengutachtens begehrt hat, bestand hierzu kein Anlass, da zum einen die MdE kein zulässiger Streitgegenstand des Verfahrens ist und im Übrigen auch der Sachverhalt insofern überzeugend durch die vorliegenden Gutachten und gutachterlichen Äußerungen geklärt ist, nachdem selbst Prof. Dr. D. - bei Annahme einer Erkrankung im Sinne der BK 2104 - von einer MdE um 10 vH ausgeht.

Da das SG somit zu Recht die Klage abgewiesen hat, weist der Senat die Berufung zurück. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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