L 11 SF 1/12 AB

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 12 KR 664/11
Datum
-
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 SF 1/12 AB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Das Gesuch des Antragstellers auf Ablehnung von Richterin am Sozialgericht T wegen Besorgnis der Befangenheit wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.
Der Senat ist für die Entscheidung über das vor dem 01.01.2012 gestellte Befangenheitsgesuch des Antragstellers weiterhin zuständig, auch wenn durch Art. 8 Ziffer 4 b) des Vierten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches und anderer Gesetze vom 22.12.2011 (BGBl I 3057) § 60 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der bis dahin geltenden Fassung ("Über die Ablehnung entscheidet außer im Falle des § 171 das Landessozialgericht durch Beschluss") mit Wirkung zum 01.01.2012 (Art. 23) aufgehoben worden ist. Da der Gesetzgeber keine Übergangsregelung getroffen hat, ist für die Frage, welche prozessrechtlichen Vorschriften in einer bestimmten Verfahrenslage anzuwenden sind, grundsätzlich auf den "Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts" abzustellen. Dieser besagt, dass eine Änderung des Verfahrensrechts grundsätzlich auch anhängige Rechtsstreitigkeiten erfasst, es sei denn, dass die weitere Rechtsanwendung mit den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes nicht vereinbar ist (vgl. etwa Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschlüsse vom 12.07.1993 - 1 BvR 1470/82 - und vom 07.07.1992 - 2 BvR 1631/90 -). Ausfluss dieses Rechtsgedankens ist u.a. der Grundsatz der perpetuatio fori, der besagt, dass die Zuständigkeit eines Gerichts, die bei Eintritt der Rechtshängigkeit begründet war, durch spätere Veränderungen der begründenden Umstände, zu denen auch gesetzliche Änderungen gehören, nicht fortfällt; das Gericht bleibt zuständig (vgl. Eschner in Jansen, Sozialgerichtsgesetz, 3. Auflage 2008, § 94 Rdn. 22; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG - Sozialgerichtsgesetz, 9. Aufl. 2008, § 95 Rdn. 9a, jeweils m.w.N.). Zwar werden Ablehnungsgesuche anders als Klagen, für die dieser Rechtsgedanke zuvörderst entwickelt wurde, nicht "rechtshängig" i.S.d. § 94 SGG; die Interessenlage ist aber vergleichbar. Der Grundsatz der perpetuatio fori soll u.a. den Rechtssuchenden vor Verzögerungen bewahren. Eine solche würde indes eintreten, wenn der Senat das Ablehnungsverfahren abgeben und eine erneute Einarbeitung an anderer Stelle erforderlich würde. Dies aber stünde mit dem Gesetzeszweck der Verfahrensbeschleunigung (vgl. Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung in BT-Drs. 17/6764 S. 27 zu Art. 8 Nr. 4 a und b) nicht in Einklang.

II.
Das gegen Richterin am Sozialgericht T gerichtete Befangenheitsgesuch des Antragstellers ist nicht begründet.

Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen dessen Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO] i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 1 SGG). Für die Feststellung eines solchen Grundes kommt es nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich parteilich oder befangen ist oder aber sich selbst für befangen hält. Andererseits begründet die subjektive Überzeugung eines AS oder seine Besorgnis, der Richter sei befangen, allein nicht die Berechtigung der Ablehnung. Entscheidend ist vielmehr, ob ein Grund vorliegt, der den Antragsteller von seinem Standpunkt aus nach objektiven Maßstäben befürchten lassen könnte, der von ihm abgelehnte Richter werde nicht unparteilich entscheiden (std. Rspr., vgl. u.a. BVerfG, Beschlüsse vom 12.07.1986 - 1 BvR 713/83, 1 BvR 921/84, 1 BvR 1190/84, 1 BvR 333/85, 1 BvR 248/85, 1 BvR 306/85, 1 BvR 497/85 -, vom 05.04.1990 - 2 BvR 413/88 - und vom 02.12.1992 - 2 BvF 2/90, 2 BvF 4/92, 2 BvF 5/92 -; Bundessozialgericht, Beschluss vom 01.03.1993 - 12 RK 45/92 -).

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Der Antragsteller verweist zur Begründung seines Ablehnungsgesuchs auf sein Schreiben vom 28.11.2011 in dem einstweiligen Rechtschutzverfahren S 12 KR 1016/11 ER, mit dem er u.a. gerügt hat, dass die abgelehnte Richterin in ihrem Beschluss vom 08.11.2011 seiner Auffassung nach zu Unrecht ausgeführt habe, dass er zur Beitragszahlung verpflichtet sei. Mit diesem Vorbringen kann der Antragsteller indessen im vorliegenden Verfahren kein Gehör finden. Denn das Ablehnungsverfahren dient nicht der Überprüfung richterlicher Vorgehensweisen auf etwaige Rechts- bzw. Verfahrensfehler. Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens sind grundsätzlich mit dem Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache geltend zu machen. Die Rüge von Rechts- bzw. Verfahrensverstößen kann allenfalls dann die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass das mögliche Fehlverhalten auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht. Die Fehlerhaftigkeit muss ohne Weiteres feststellbar und gravierend sein sowie auf unsachliche Erwägungen schließen lassen. Dies ist nur dann anzunehmen, wenn der abgelehnte Richter die seiner richterlichen Tätigkeit gesetzten Schranken missachtet und Grundrechte verletzt hat oder wenn in einer Weise gegen Verfahrensregeln verstoßen wurde, dass sich bei dem Beteiligten der Eindruck der Voreingenommenheit aufdrängen konnte (vgl. Bundesfinanzhof (BFH), Beschluss vom 27.09.1994 - VIII B 64-76/94 pp - m.w.N.; Beschlüsse des Landessozialgericht - LSG - Nordrhein-Westfalen vom 10.04.2006 - L 10 AR 42/06 und L 10 AR 43/06 - und des Senats vom 25.11.2009 - L 11 AR 117/09 AB -, vom 20.01.2010 - L 11 AR 129/09 AB und L 11 AR 130/09 AB-, vom 17.05.2010 - L 11 SF 102/10 AB -, vom 19.07.2010 - L 11 SF 108/10 AB - und vom 30.03.2011 - L 11 SF 44/11 AB -). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn ein Antragsteller eine Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit auf vermeintlich fehlerhafte Entscheidungen in vorausgegangenen Rechtsstreitigkeiten stützt, wenn ein AS also z.B. geltend macht, einem Richter seien bei der Beurteilung eines Sachverhalts Fehler unterlaufen, er sei dem Tatsachenvortrag des AS nicht gefolgt, er habe Verfahrensvorschriften verletzt oder das Recht unrichtig angewandt. Auch insoweit ist ein Ablehnungsgrund nur gegeben, wenn schlüssig dargetan wird, dass die Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegen den ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht (Senat, Beschluss vom 04.04.2011 - L 11 SF 52/11 AB - unter Hinweis auf BFH, Beschlüsse vom 30.09.1998 - IX B 22/98 - und vom 22.11.2007 - II S 11/07 - jeweils m.w.N.). Dies ist von dem Antragsteller nicht dargetan und auch ansonsten nicht ersichtlich.

Soweit der Antragsteller des Weiteren rügt, dass Richterin am Sozialgericht T ihn mit Schreiben vom 19.10.2011 ihn aufgefordert habe, dringend den vorliegenden Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nunmehr für erledigt zu erklären, vermag auch dies seinen Ablehnungsantrag nach den oben dargelegten Maßstäben nicht zu begründen. Gelangt ein Richter im Rahmen seiner Tätigkeit zu der Auffassung, dass ein Verfahrensstand erreicht ist, der Rückschluss auf das jeweilige Begehren zulässt, ist er zudem nicht nur berechtigt, sondern in der Regel auch gehalten, dies den Beteiligten mitzuteilen. Dies folgt aus den in § 106 Abs. 1 und 2 SGG im Einzelnen aufgeführten Aufklärungs- und Hinweispflichten. Mit seinem Hinweis gibt der Richter den Beteiligten Gelegenheit auf die richterliche Meinungsbildung hinzuwirken und rechtzeitig ggf. für erforderlich gehaltene prozess- bzw. erkenntnisfördernde Erklärungen abzugeben bzw. entsprechende Anträge zu stellen (ebenso Beschluss des Senats vom 01.02.2010 - L 11 AR 143/09 AB -). Soweit der Antragsteller den Hinweis des Gerichts als Drohung aufgefasst hat, ergeben sich keine objektiven Anhaltspunkte, die ein solches subjektives Empfinden begründen und den Antragsteller von seinem Standpunkt aus nach objektiven Maßstäben befürchten lassen könnte, die zuständige Richterin werde nicht unparteilich entscheiden.

Schließlich führt auch der Einwand des Antragstellers, die von ihm abgelehnte Richterin habe seinen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vom 22.07.2011 erst am 08.11.2011 beschieden, nicht zum Erfolg seines Ablehnungsantrags. Zwar darf der besonnene Rechtssuchende an der Unparteilichkeit und objektiven Einstellung eines Richters die Besorgnis der Befangenheit begründende Zweifel haben, wenn sich der Verfahrensablauf über lange Zeit als eine Kette von Verzögerungen bis hin zur Untätigkeit darstellt und keine Gründe ersichtlich sind, die diesen Ablauf als vertretbar erscheinen lassen könnten (LSG Niedersachsen, Beschluss vom 20.09.1994 - L 9 S (V) 153/94 -). Ein solcher Sachverhalt liegt hier nicht vor, zumal sich der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz dem vom Antragsteller zitierten gerichtlichen Schreibens vom 19.10.2011 zufolge, bereits zwischenzeitlich in der Sache erledigt hatte. Der Antragsteller selbst weist darauf hin, dass es für den Beschluss vom 08.11.2011 "aufgrund der veränderten Rechtslage kaum mehr eine Grundlage gab".

Aus diesen Gründen war der Antrag zurückzuweisen.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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