Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Stendal (SAN)
Aktenzeichen
S 6 U 9/07
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 119/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 5/12 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Stendal vom 26. September 2007 und der Bescheid der Beklagten vom 25. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2007 werden aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass der Unfall des Klägers vom 2. Juni 1987 ein Arbeitsunfall in der Zuständigkeit der Beklagten ist.
Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge und das Vorverfahren zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob ein Unfall des Klägers im Rahmen eines Lagers der Gesellschaft für Sport und Technik der DDR (GST) als Arbeitsunfall festzustellen ist.
Der Kläger meldete der Beigeladenen mit Eingangsdatum vom 18. Januar 2006 den Unfall, den er am 2. Juni 1987 erlitten hatte. Er fügte ein Schreiben der Staatlichen Versicherung bei, nach dessen Inhalt er in einer medizinischen Einrichtung des Zentralen GST-Ausbildungslagers P. behandelt worden war. Weiterhin ging aus einer Ablichtung seines Sozialversicherungsausweises hervor, dass die Zentrale Betriebsgewerkschaftsleitung des VEB A. Karl-Marx Stammbetrieb M. den erlittenen Arbeitsunfall mit dem Kennzeichen "GT" eingetragen hatte.
Auf Befragen durch die Beigeladene teilte der Kläger mit, der Unfall habe sich im GST-Lager P. beim Sprung von einem Balken auf der Sturmbahn ereignet. Er sei vom Betrieb während der Lehre in das Lager geschickt worden. Es sei der Innenmeniskus des rechten Knies verletzt worden. Nach der zeitnahen Behandlung sei er wegen Unfallfolgen nicht mehr in ärztlicher Behandlung gewesen. Diesem Schreiben fügte der Kläger eine Ablichtung eines Schreibens seiner Mutter vom 30. Juli 1987 bei. Darin wandte sie sich an einen Obermeister des VEB, dem sie schilderte, der Kläger sei bei dem Lager beim Überklettern einer Hinderniswand auf das Knie gestürzt. Weiterhin schilderte sie den Behandlungsverlauf. Insbesondere forderte sie den Betrieb zur Erstellung einer Unfallmeldung auf. Weiter beigefügt war ein Schreiben des Leiters des "zentralen Ausbildungszentrums" P. der GST an eine Berufsschule in M. vom 10. Juli 1987, wonach der Kläger sich am 3. Juni 1987 in der Ambulanz des "Z." vorgestellt habe. In einem weiteren Schreiben vom 11. August 1987 schilderten die Eltern des Klägers den gleichen Hergang, wiesen darauf hin, der Kläger habe sich erst am Folgetag des Unfalls in ärztliche Behandlung begeben können, weil der Unfall sich erst nachmittags zugetragen habe. Trotz einer zwischenzeitlich aufgetretenen Schwellung und Problemen beim Gehen sei dem Kläger von der Lagerärztin aber mitgeteilt worden, es sei nichts. In einem Schreiben der Staatlichen Versicherung vom 25. Mai 1988 erkannte sie unter Bezugnahme auf das Schreiben der Eltern nach ärztlicher Beteiligung einen Schadensersatzanspruch des Klägers wegen der medizinischen Betreuung im Lager dem Grunde nach an. Schließlich lag eine Klage vom 8. August 1991 gegen ein Krankenhaus vor, in der dargestellt ist, der Unfall habe sich während der vormilitärischen Ausbildung ereignet.
Im Weiteren übernahm die Beklagte die Bearbeitung des Falles als Fall nach § 1 der Erweiterungs-Verordnung.
Auf Befragen der Beklagten gab der Kläger an, zur Teilnahme an dem Lager sei er durch seinen Lehrvertrag verpflichtet gewesen. Er legte den Lehrvertrag vom 5. Dezember 1985 vor, der im Abschnitt "grundlegende Rechte und Pflichten des Betriebes und des Lehrlings" den vorgedruckten Absatz enthält: "Der Lehrling ist verpflichtet, während des Lehrverhältnisses an der vormilitärischen Ausbildung teilzunehmen, sich militärpolitische und militärfachliche Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen bzw. an den Maßnahmen der Zivilverteidigung mitzuwirken".
Mit Bescheid vom 25. Oktober 2006 stellte die Beklagte fest, die Voraussetzungen für eine Entschädigung des Unfalls aus dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung seien nicht erfüllt. Nach dem Recht der DDR seien Leistungen aufgrund von § 1 der Verordnung über die Erweiterung des Versicherungsschutzes bei Unfällen in Ausübung gesellschaftlicher, kultureller oder sportlicher Tätigkeiten vom 11. April 1973 in Betracht gekommen. Diese seien nach § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO nicht zu entschädigen, wenn sie nach dem Dritten Buch der RVO nicht zu entschädigen seien und einem ab 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Unfallversicherungsträger erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt geworden seien. Der Unfall des Klägers wäre in den alten Bundesländern nicht nach der RVO zu entschädigen gewesen. Die GST habe mit der Aufgabenstellung, durch die vormilitärische Ausbildung die Wehrbereitschaft und Wehrfähigkeit der Bevölkerung, insbesondere der jungen Menschen, zu erhöhen, zu den großen sozialistischen Massenorganisationen der DDR gehört. In die vormilitärische Ausbildung der GST seien die männlichen Jugendlichen mit Beginn der 11. Klasse der Erweiterten Oberschule bzw. mit dem Eintritt in die Lehre einbezogen gewesen. Die Ausbildung bei der GST stelle keine der betrieblichen Ausrichtung des Lehrbetriebes wesentlich dienende Handlung dar. Ein direkter Zusammenhang zwischen dem Lehrberuf und der Ausbildung bei der GST habe nicht bestanden. Der Unfall sei auch nach dem Recht der DDR kein Arbeitsunfall gewesen, sondern sei nach der genannten Verordnung wie ein Arbeitsunfall zu behandeln gewesen. Wegen der maßgeblichen Kenntnis von dem Unfall komme es auf einen bundesdeutschen Unfallversicherungsträger und nicht auf eine vergleichbare Stelle in der DDR an.
Gegen den Bescheid legte der Kläger bei der Beklagten mit Eingangsdatum vom 23. November 2006 Widerspruch ein. Er machte geltend, er sei durch seinen Ausbildungsbetrieb zu der Teilnahme an der vormilitärischen Ausbildung verpflichtet worden. Für den Fall einer Weigerung habe er mit einer Eintragung in die betriebliche Kaderakte rechnen müssen. Gegebenenfalls hätte dies seine beruflichen Perspektiven eingeschränkt. Die Fortsetzung seiner Ausbildung sei für die Zeit des Lagers gar nicht vorgesehen gewesen. Auch das Verstreichen einer Frist mit Ablauf des Jahres 1993 leuchte ihm nicht ein. Noch am 23. März 1991 sei mit der Deutschen Versicherungs-AG als Rechtsnachfolgerin der Staatlichen Versicherung der DDR anwaltlicher Schriftverkehr wegen des Unfalls geführt worden. Weder sei er aus diesem Anlass über eine Frist informiert worden, noch sei ihm eine solche bekannt gewesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Januar 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und blieb bei ihrer Begründung. Die Beklagte sandte den Bescheid am 24. Januar 2007 ab.
Mit der am 19. Februar 2007 beim Sozialgericht Stendal erhobenen Klage hat der Kläger erneut die ausdrückliche Verpflichtung zur Teilnahme an der vormilitärischen Ausbildung in seinem Lehrvertrag hervorgehoben.
Mit Urteil vom 26. September 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, der Unfall des Klägers sei als Unfall im Sinne der Verordnung vom 11. April 1973 anzusehen. Dies folge aus der Eintragung mit der Abkürzung "GT" im SV-Ausweis und aus der zum Zeitpunkt des Unfalls wahrgenommenen vormilitärischen Veranstaltung bei der GST. Die Gesellschaft für Sport und Technik sei als demokratische Organisation im Sinne von § 1 Abs. 2 der Verordnung anzusehen. Der Unfall sei einem bundesrechtlich zuständigen Träger der Unfallversicherung nicht bis zum 31. Dezember 1993 bekannt geworden. Zu diesen Einrichtungen gehöre die Staatliche Versicherung der DDR, bei der der Unfall geführt und anerkannt worden sei, nicht. Auch eine frühere Kenntnis einer Behörde der gesetzlichen Krankenversicherung reiche ggf. nicht aus.
Ein Anspruch auf Anerkennung als Arbeitsunfall nach § 1150 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 RVO bestehe nicht, weil es sich nicht um einen Arbeitsunfall im Sinne des Dritten Buches der RVO gehandelt habe. Der Kläger habe den Unfall nicht in Ausübung einer betrieblichen Tätigkeit unter dem Schutz seiner Versicherung aufgrund des Lehrverhältnisses nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO erlitten, sondern bei der Teilnahme an einer Veranstaltung der GST. Die dort betriebene vormilitärische Ausbildung sei nicht Teil der betrieblichen Ausbildung. Anderes lasse sich aus § 6 des Ausbildungsvertrages des Klägers nicht ableiten. Die Staatsbürgerpflicht zur Teilnahme an vormilitärischen Veranstaltungen habe in der DDR allgemein gegolten und sei Bestandteil zahlreicher Ausbildungsverträge gewesen. Gleichwohl habe sie mit der betrieblichen Ausbildung nichts zu tun. Die RVO schütze Versicherte nur im Rahmen der betrieblichen Tätigkeit bzw. Ausbildung.
Gegen das ihm am 6. November 2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13. November 2007 Berufung eingelegt. Er bleibt bei seinem Vorbringen und trägt vertiefend vor, die Teilnahme am GST-Lager sei ihm und den anderen Lehrlingen betrieblich nahe gelegt worden und für den Unterlassungsfall eine Eintragung in die Kaderakte angedroht worden. Die Lehrlinge seien durch Betriebsangehörige direkt vom Werk zum Bahnhof gebracht worden, um in den Zug nach P. einzusteigen. Die komplette Lehrgruppe seines Betriebes sei dort gewesen. Ein Mädchen in der Ausbildungsgruppe hätte in der gleichen Zeit eine Rot-Kreuz-Ausbildung durchführen müssen. Der Lehrbetrieb habe während dieser Zeit geruht. Gegenstand des Lagers sei eine vormilitärische Ausbildung gewesen. Hintergrund sei die Bildung einer Kampfgruppeneinheit im Betrieb gewesen. Für dessen Außendarstellung sei ein ausreichendes Kampfgruppenengagement von Bedeutung gewesen. Wenn er nicht an der Ausbildung teilgenommen hätte, hätte auch die Auflösung des Lehrausbildungsvertrages im Raum gestanden. Den Lehrlingen sei immer wieder angedroht worden, eine unterlassene Teilnahme an den verschiedenen Ausbildungsübungen hätte auch Einfluss auf die Lehrausbildung. Auch der Betrieb hätte sich für diesen Fall rechtfertigen müssen, warum der Lehrling nicht von der Teilnahme habe überzeugt werden können. Die Erfüllung der Teilnahmepflicht sei sogar Voraussetzung für einen erfolgreichen Ausbildungsabschluss gewesen, wie verschiedene Zeugen bestätigen könnten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stendal vom 26. September 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 25. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2007 aufzuheben und
den Unfall vom 2. Juni 1987 als Arbeitsunfall festzustellen, weiterhin festzustellen, dass für die Ansprüche aus diesem Arbeitsunfall die Beklagte zuständig ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie schließt sich dem Urteil des Sozialgerichts an.
Die Beigeladene beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erklärt ihre Zuständigkeit für den Fall, dass die Sonderzuständigkeit der Beklagten für Unfälle im Rahmen gesellschaftlicher Tätigkeit in der DDR nicht eingreifen sollte. Nach ihrer Einschätzung liegt dieser Fall nicht vor. Insoweit schließt sie sich den Ausführungen des Sozialgerichts in seinem Urteil an. Sie weist darauf hin, nach der RVO könne es sich schon um keinen Arbeitsunfall handeln, weil Arbeitsverhältnisse in der Bundesrepublik generell keine Regelungen über die Teilnahme an vormilitärischer Ausbildung zum Gegenstand hätten. Jedenfalls fehle der betriebliche Zusammenhang zwischen dem Lehrverhältnis des Klägers und dem Arbeitsunfall. Gegenstand der Ausbildung und damit Ziel des betrieblichen Einsatzes des Klägers sei die Erlangung der Kenntnisse und Fertigkeiten eines Werkzeugmachers gewesen. Damit stehe die vormilitärische Ausbildung nicht im Zusammenhang. Der zitierte Abschnitt aus dem Lehrvertrag habe lediglich einen Auszug aus dem Arbeitsgesetzbuch der DDR zum Inhalt. Schon dieser Umstand schließe den Bezug auf ein konkretes Berufsausbildungsziel aus. Verglichen werden könne die Verpflichtung zur vormilitärischen Ausbildung bei Übertragung auf das frühere Bundesgebiet allenfalls mit der Teilnahme an einer Wehrübung der Bundeswehr. Dort erlittene Unfälle seien aber nach dem Soldatenversorgungsgesetz abzuwickeln gewesen.
In der mündlichen Verhandlung und bei der Beratung hat die Akte der Beklagten über den Vorgang – Az. – vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Berufung hat Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 25. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2007 beschwert den Kläger im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 S. 1 SGG, weil die Beklagte darin zu Unrecht die Feststellung des Unfalles des Klägers vom 2. Juni 1987 als Arbeitsunfall abgelehnt hat. Denn dieser ist ein Arbeitsunfall nach § 1150 Abs. 2 S. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO – i. d. F. d. G. v. 25.7.1991, BGBl. I S. 1606, 1688). Diese Vorschrift ist gem. § 215 Abs. 1 S. 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches weiter anzuwenden.
Der Unfall des Klägers war im Sinne von § 1150 Abs. 2 S. 1 RVO ein Arbeitsunfall "nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht." Unschädlich ist die ungenaue Formulierung der Vorschrift, die nicht nur frühere Arbeitsunfälle umfasst, sondern auch Unfälle, die nach dem Recht der DDR Arbeitsunfällen nur gleichgestellt waren. Unfälle nach § 1 der Verordnung über die Erweiterung des Versicherungsschutzes bei Unfällen in Ausübung gesellschaftlicher, kultureller und sportlicher Tätigkeiten (ErwVO) v. 11.4.1973 (GBl. I S. 199) "waren" nämlich keine Arbeitsunfälle des Rechts der DDR, sondern begründeten danach lediglich Ansprüche auf "Leistungen wie bei einem Arbeitsunfall."
Der historisch-systematischen Entwicklung der Vorschrift ist aber zu entnehmen, dass auch diese gleichgestellten Unfälle von § 1150 Abs. 2 S. 1 RVO erfasst sind. Schon im Einigungsvertrag (G. v. 23.9.1990, BGBl. II S. 885), dort Anl. I Kap. VIII Sachg. I Abschn. III Buchst. c Maßg. 8 Nr. 2 Buchst. ee, hatte der Bundesgesetzgeber nämlich verdeutlicht, er wolle die Fälle des § 1 ErwVO einer unfallrechtlichen Entschädigung zuführen und hatte die dort geregelten Unfälle als Arbeitsunfälle bezeichnet. Denn dort findet sich die Regelung, wonach die Rechtsvorgängerin der Beklagten für die Entschädigung der "Arbeitsunfälle" nach § 1 ErwVO zuständig ist. Es ist im Rahmen systematischer Stimmigkeit der bundesrechtlichen Regelungen davon auszugehen, dass § 1150 Abs. 2 S. 1 RVO an diese Begriffsbildung anknüpft.
Die Einordnung des Unfalls unter die ErwVO ergibt sich schon aus dem Inhalt der Eintragung im Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung. Denn der Unfall ist dort mit dem Kürzel "GT" in einer als Vordruck vorgesehenen Rubrik für "anerkannte Arbeitsunfälle" eingetragen. Die Abkürzung "GT" steht dabei ausweislich von § 6 Abs. 2 S. 2 ErwVO für eine gesellschaftliche Tätigkeit im Sinne dieses Regelungswerks. Die Eintragung stellt (zumindest) ein Beweiszeichen für das Bestehen eines entsprechenden Verwaltungsakts dar, weil sie auf den Vorgang einer bereits bestehenden Anerkennung hinweist und von der zuständigen Betriebsgewerkschaftsleitung vorgenommen worden ist. Die Betriebsgewerkschaftsleitung war gem. § 222 des Arbeitsgesetzbuches (AGB – v. 16.6.1977, GBl. I S. 185) zur Anerkennung zuständig, weil sie das betriebliche Organ zur Durchführung von Aufgaben der Sozialversicherung war, wie sich für größere Betriebe aus § 275 Abs. 1 AGB i.V.m. § 92 Abs. 1 der Verordnung zur Sozialpflichtversicherung der Arbeiter und Angestellten (SVO – v. 17.11.1977, GBl. I S. 373) ergibt; die erforderliche Größe ist durch die Ansiedlung bei einer Kombinatsleitung im Industriebereich und die entsprechende Bezeichnung als zentrale Betriebsgewerkschaftsleitung gesichert.
Der der Eintragung im Sozialversicherungsausweis des Klägers zu Grunde liegende Anerkennungsbescheid der Betriebsgewerkschaftsleitung entfaltet unter der Geltung des Bundesrechts die Wirkung eines Verwaltungsaktes. Dies ergibt sich aus Art. 19 S. 1, 2 EV. Der dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik fremde Begriff des Verwaltungsaktes ist nach seinem bundesdeutschen Inhalt auszulegen. Danach ist die getroffene Feststellung von Leistungsansprüchen wie bei einem Arbeitsunfall eine Entscheidung zur Regelung eines Einzelfalles. Denn mit der Entscheidung wird gegenüber dem Versicherten bestimmt, was für ihn im Hinblick auf den Lebenssachverhalt des Unfalls rechtens sein soll. Dies geschieht hoheitlich einseitig, weil der Versicherte selbst nicht durch eine Erklärung Einfluss auf den Inhalt der Regelung nehmen kann. Die Regelung betrifft auch öffentliches Recht. Dafür spricht trotz der Zuordnung der Aufgabenwahrnehmung an den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund, dass die Aufgaben der Sozialversicherung nach § 276 S. 1 AGB einer Verwaltung der Sozialversicherung übertragen waren, die nach § 103 Abs. 4 SVO selbst juristische Person war. Weiterhin spricht für die Zuordnung zu öffentlichem Recht, dass es sich bei dem Regelungssystem, aus dem die Leistungen der Unfallversicherung im vorliegenden Zusammenhang erbracht wurden, um ein umfassendes Zwangsversicherungssystem in Form der Sozialpflichtversicherung handelte und in diesem System einseitige Entscheidungen ergehen konnten, denen über allgemeine Verjährungsfristen hinaus formelle Bestandskraft zukommen konnte. Denn gegen die Entscheidungen bestand nach § 303 Abs. 1 S. 3 AGB ein besonderes, fristgebundenes Einspruchsrecht; bei Fristversäumnis war die Entscheidung rechtlich nicht mehr angreifbar.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wenn der Vortrag des Klägers zutrifft, über die Anerkennung sei überhaupt kein gesonderter Bescheid ergangen, sondern die Anerkennung allein durch die Eintragung im Sozialversicherungsausweis erfolgt. Denn dann haben die Beteiligten die Vornahme der Eintragung und die Aushändigung des Ausweises an den Kläger als die maßgebliche Entscheidung verstanden, die im vorgenannten Sinne Verwaltungsaktscharakter hatte.
Der Unfall gilt im Sinne von § 1150 Abs. 2 S. 1 RVO als Arbeitsunfall nach dem Dritten Buch (der RVO). Denn die Ausnahmeregelung des § 1150 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 RVO greift nicht durch, weil der Unfall auch nach dem Dritten Buch der RVO zu entschädigen wäre.
Dies ist zu prüfen, weil der Unfall einem Träger der bundesdeutschen gesetzlichen Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 am 18. Juni 2006 bekannt geworden ist. Der Meldestichtag ist nicht – wie der Kläger meint – dadurch gewahrt, dass der Unfall sofort einem zuständigen Organ der DDR gemeldet worden ist. Denn dabei handelt es sich nicht um den im obigen Sinne zuständigen Träger. Dies folgt schon aus dem Text des § 1150 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 RVO, weil das Abstellen auf den Zuständigkeitsstichtag des 1. Januar 1991 gegenstandslos wäre, wenn über die Funktionsnachfolge zur Sozialversicherung beim FDGB jede frühere Zuständigkeit bei der Kenntnisnahme ausreichen würde (BSG, Urt. v. 19.12.00 – B 2 U 8/00 R – SozR 3-2200 § 1150 Nr. 4).
Bei einem anerkannten Arbeitsunfall nach dem Recht der DDR unterliegt auch die Feststellung des Unfalls in dem Sinne der Bestandskraft, dass der Unfall auch für die Prüfung eines fiktiven Arbeitsunfalls im Sinne der RVO als feststehend gilt. Dies gilt insbesondere auch für die Frage nach einem unmittelbaren (Erst-)Körperschaden, der Bestandteil des Unfallbegriffes im Sinne von § 548 Abs. 1 S. 1 RVO ist. Diese Doppelwirkung der Bestandskraft ist möglich, weil der Unfallbegriff im § 220 Abs. 1 AGB nicht von demjenigen des § 548 Abs. 1 S. 1 RVO abweicht.
Die Anknüpfung an einen festgestellten Unfall folgt mittelbar aus § 1150 Abs. 2 S. 1 RVO. Schon danach erfolgt die Übernahme von Arbeitsunfällen der Sozialversicherung (der DDR) in das Bundesrecht mit der Geltung als Arbeitsunfälle nach der RVO u.a. für "Unfälle", ohne dass damit ausnahmslos der Unfallbegriff im Sinne des § 548 Abs. 1 RVO vorab gesondert zu prüfen wäre. Die Vorschrift besagt insbesondere nicht, dass auch angesichts eines anerkannten Arbeitsunfalls des Rechts der DDR der Begriff des Unfalls im Sinne des § 548 Abs. 1 RVO noch zu prüfen wäre. Insoweit gilt die mit § 1150 Abs. 2 S. 1 RVO bezweckte Kombination von Vertrauensschutz und Verwaltungsvereinfachung für alle Tatbestandsmerkmale eines schon anerkannt gewesenen Unfalls gleichermaßen. Eine gesonderte Prüfung des Begriffs des Unfalls stünde nämlich im Gegensatz zur unterbleibenden Prüfung aller anderen rechtlichen Voraussetzungen des Arbeitsunfalls, ohne dass der Vorschriftenzweck dafür eine Rechtfertigung erbrächte. Es gibt keine Hinweise darauf, dem Begriff des Unfalls im Einleitungshalbsatz des § 1150 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 RVO eine andere Bedeutung beizumessen, zumal sie systematisch als Ausnahmevorbehalt zum Grundfall des § 1150 Abs. 1 S. 1 RVO gefasst ist, dessen Nichterfüllung wieder zur allgemeinen Rechtsfolge einer bloßen Geltung als Unfall nach der RVO zurückführt. Die Vorschrift des § 1150 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 RVO stellt grundsätzlich die Frage nach der bundesrechtlichen Entschädigungsfähigkeit des Unfalls. Dies spricht angesichts der insoweit vorliegenden, dargestellten Rechtsgleichheit bezüglich des Unfallbegriffs nicht dagegen, einen Unfall bei bereits erfolgter Anerkennung für die weitere Prüfung als geschehen vorauszusetzen.
Der bei dem Unfall eingetretene Erstschaden bestand jedenfalls in einer schmerzhaften Prellung. Aufgrund des Schreibens des "Z." vom 10. Juli 1987 ist gesichert, dass der Kläger sich am 3. Juni 1987 dort in ärztliche Behandlung begeben hat. Entgegen des nach Angaben des Klägers selbst dort mitgeteilten Behandlungsergebnisses, wonach ein Gesundheitsschaden nicht vorzufinden sei, lag ein behandlungsbedürftiges Krankheitsbild vor. Dies ergibt sich aus dem Schreiben der Staatlichen Versicherung vom 25. Mai 1988, wonach eine Schadensersatzpflicht nach ärztlicher Beurteilung der medizinischen Betreuung dem Grunde nach anerkannt wird. Dieses Schreiben bezieht sich auf die Eingabe der Eltern des Klägers vom 11. August 1987, in der sie näher beschrieben haben, der Kläger sei mit einer Knieschwellung und Problemen beim Laufen trotz Aufsuchens der Lagerärztin unbehandelt geblieben. Diese Abfolge lässt den Schluss zu, dass sich die Darstellung der Eltern des Klägers bewahrheitet hat und sich ein Behandlungsfehler in der Form ereignet hat, dass ein behandlungsbedürftiges Krankheitsbild vorgelegen hat, aber übersehen wurde. Offen bleiben kann, ob auch der kurz nach dem Unfall offensichtlich diagnostizierte und behandelte Meniskusschaden mit dem Unfallgeschehen in Zusammenhang steht; die Feststellung eines konkreten Gesundheitserstschadens oder von Unfallfolgen hat der Kläger nicht beantragt.
Der Kläger hat seinen Unfall als ein auf Grund eines Lehrverhältnisses Beschäftigter im Sinne von § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO und im Sinne von § 548 Abs. 1 S. 1 RVO bei der damit genannten Tätigkeit erlitten. Zwischen dem Verhalten zum Unfallzeitpunkt und dem Beschäftigungsverhältnis besteht eine sachliche Verbindung, der sog. innere Zusammenhang (vgl. BSG, Urt. v. 17. Okt. 1990 – 2 RU 13/90 – SozR 3-2200 § 548 Nr. 5). Dieser liegt hier darin, dass die Pflicht eines Lehrlings zum Erwerb vormilitärischer Kenntnisse gerade als Teil des Lehrverhältnisses geregelt war. So sah § 133 Abs. 2 AGB für Lehrlinge die Verpflichtung zur Teilnahme an der vormilitärischen Ausbildung vor. Mit der speziellen Regelung im Arbeitsrecht unter Bezug auf Lehrverhältnisse hat der Gesetzgeber der DDR diese Pflicht in Bezug zum Beschäftigungsverhältnis des betreffenden Lehrlings gesetzt und die Möglichkeit geschaffen, im Falle einer verweigerten Teilnahme arbeitsrechtliche Sanktionen zu verhängen. Dieser Zusammenhang ist im Falle des Klägers noch im Verhältnis gerade zu seinem Lehrbetrieb durch die Einfügung einer entsprechenden Klausel in seinen Lehrvertrag vertieft worden. Denn dadurch wird dem Verpflichteten verdeutlicht, es gehe nicht nur um die Wahrnehmung bürgerlicher Pflichten gegenüber dem Staat, sondern gerade auch um Verpflichtungen des Lehrlings gegenüber seinem Betrieb. Allgemein für Jugendliche lässt sich eine entsprechende, sanktionsbewehrte Rechtspflicht hingegen nicht feststellen. Vielmehr behandelt § 24 des Jugendgesetzes der DDR (v. 24.1.1974, GBl. I S. 45) den Erwerb vormilitärischer Kenntnisse nur als Ehrenpflicht zum Erwerb der "hohen Achtung der sozialistischen Gesellschaft". Sachlich unterscheidet sich die Pflicht nicht von derjenigen zum Besuch des Unterrichts in allgemeinbildenden Fächern an Berufsschulen, die ebenfalls nicht ohne weiteres einen unmittelbaren Bezug zum Erlernen eines Berufs aufweisen. Auch dieser Unterrichtsbesuch unterliegt dem allgemeinen Versicherungsschutz des § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO für Lehrlinge, wie sich aus der entsprechenden Verweisung in § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst. c RVO ergibt.
Gegen den sachlichen Zusammenhang kann nicht mit der Beigeladenen eingewandt werden, in der Bundesrepublik Deutschland habe es keine vormilitärische Ausbildung gegeben. Bei der Prüfung des fiktiven Versicherungsfalls "nach dem Dritten Buch" (der RVO) ist nicht der Sachverhalt fiktiv darauf zu überprüfen, ob er sich in der Bundesrepublik Deutschland hätte ereignen können, sondern darauf, wie er rechtlich zu behandeln gewesen wäre, wenn die RVO für den Unfall bereits gegolten hätte. Dabei ist es auch in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitsrecht vorbehalten, Pflichten eines beschäftigten Lehrlings zu begründen.
Die Teilnahme am Lager in P. diente der vormilitärischen Ausbildung. Davon ist der Senat überzeugt, weil dies der Kläger bereits in einer Klage gegen ein Krankenhaus wegen Fehlbehandlung vom 8. August 1991 ausdrücklich so mitgeteilt hat, obwohl der Umstand ihm insoweit keinen Vorteil verschaffte. Zudem war die Gesellschaft für Sport und Technik die Organisation zur vormilitärischen und wehrsportlichen Erziehung und Ausbildung der Jugendlichen in der DDR (DDR-Handbuch, a.a.O., Schlagwort "Gesellschaft für Sport und Technik") Die vormilitärische Ausbildung war auch ursächlich für das Schadensereignis, weil das Bewältigen einer Hindernisbahn allgemeinkundig ein typischer Übungsteil im Rahmen wehrertüchtigender Ausbildung ist. Dass sich der Unfall bei dieser Gelegenheit ereignet hat, entnimmt der Senat dem Schreiben der Mutter des Klägers vom 30. Juli 1987. An dessen Inhalt in Bezug auf den abgelaufenen Unfall hat der Senat keine Zweifel, weil die Darstellung zu der Anerkennung des Arbeitsunfalls geführt hat. Dies lässt darauf schließen, dass sich die Unfallschilderung bestätigt hat.
Zuständiger Versicherungsträger für den Kläger ist die Beklagte als Rechtsnachfolgerin der Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung auf Grund deren Sonderzuständigkeit nach Anl. I Kap. VIII Sachg. I Abschn. III Buchst. c Maßg. 8 Nr. 2 Buchst. ee zum Einigungsvertrag (EV – G. v. 23.9.1990, BGBl. II S. 885). Denn der danach maßgebliche Unfallversicherungsschutz des Klägers nach der ErwVO beruhte auf deren § 1, welcher Umstand allein die Zuständigkeit der Beklagten begründet. Es kann dahinstehen, ob die Anerkennung zu Recht vorrangig auf § 1 ErwVO gestützt worden ist oder auch – ggf. sogar vorrangig – ein Arbeitsunfall nach § 220 Abs. 1 S. 1 AGB anzuerkennen gewesen wäre. Denn die Beklagte ist an den Anerkennungsbescheid der Betriebsgewerkschaftsleitung gebunden. Dass ein solcher Bescheid ergangen ist, folgt – wie bereits dargelegt – aus der Eintragung durch die Betriebsgewerkschaftsleitung im Sozialversicherungsausweis des Klägers.
Im Übrigen hat es sich bei der Teilnahme an der vormilitärischen Ausbildung – wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 1. Dezember 2011 bestätigt hat – auch tatsächlich um einen Fall des § 1 ErwVO gehandelt, nämlich um einen Unfall bei einer durch eine gesellschaftliche Organisation organisierten gesellschaftlichen Tätigkeit. Das Lager zur vormilitärischen Ausbildung war von der GST organisiert, wie schon daraus folgt, dass sich nach dem vorgelegten Schriftverkehr der Leiter des "zentralen Ausbildungszentrums" der Gesellschaft für Sport und Technik mit dem Vorgang befasste und von einer Vorstellung des Klägers in der Ambulanz des Zentrums am 3. Juni 1987 berichtete. Die GST war eine gesellschaftliche Organisation (vgl. zur Übereinstimmung des Begriffs mit dem der Massenorganisation Lexikon des DDR-Sozialismus, herausgegeben von Eppelmann u.a., Paderborn 1996, Schlagwort "Massenorganisation"; zur Einordnung der GST als Massenorganisation DDR-Handbuch, herausgegeben vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, 3. Aufl., Köln 1985, Schlagwort "Gesellschaft für Sport und Technik").
Der Kläger verrichtete zum Zeitpunkt seines Unfalls auch eine gesellschaftliche Tätigkeit, die als Mitarbeit bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme zum Ausdruck gesellschaftlichen Bewusstseins zu verstehen ist (Handbuch, a.a.O., Schlagwort "gesellschaftliche Tätigkeit"). Um einen solchen Beitrag zur Lösung des gesellschaftlichen Problems der Wehrbereitschaft handelte es sich bei der Teilnahme an der vormilitärischen Erziehung. Dies ergibt sich aus § 24 des Jugendgesetzes, wonach der Erwerb vormilitärischer Kenntnisse der hohen Achtung der sozialistischen Gesellschaft unterlag und der Verteidigung des Sozialistischen Vaterlandes diente.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil er für klärungsbedürftig hält, ob Unfälle von Lehrlingen bei der vormilitärischen Ausbildung in der DDR im Sinne von § 1150 Abs. 2 S. 2 RVO als solche nach dem Dritten Buch der RVO zu entschädigen wären.
Es wird festgestellt, dass der Unfall des Klägers vom 2. Juni 1987 ein Arbeitsunfall in der Zuständigkeit der Beklagten ist.
Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge und das Vorverfahren zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob ein Unfall des Klägers im Rahmen eines Lagers der Gesellschaft für Sport und Technik der DDR (GST) als Arbeitsunfall festzustellen ist.
Der Kläger meldete der Beigeladenen mit Eingangsdatum vom 18. Januar 2006 den Unfall, den er am 2. Juni 1987 erlitten hatte. Er fügte ein Schreiben der Staatlichen Versicherung bei, nach dessen Inhalt er in einer medizinischen Einrichtung des Zentralen GST-Ausbildungslagers P. behandelt worden war. Weiterhin ging aus einer Ablichtung seines Sozialversicherungsausweises hervor, dass die Zentrale Betriebsgewerkschaftsleitung des VEB A. Karl-Marx Stammbetrieb M. den erlittenen Arbeitsunfall mit dem Kennzeichen "GT" eingetragen hatte.
Auf Befragen durch die Beigeladene teilte der Kläger mit, der Unfall habe sich im GST-Lager P. beim Sprung von einem Balken auf der Sturmbahn ereignet. Er sei vom Betrieb während der Lehre in das Lager geschickt worden. Es sei der Innenmeniskus des rechten Knies verletzt worden. Nach der zeitnahen Behandlung sei er wegen Unfallfolgen nicht mehr in ärztlicher Behandlung gewesen. Diesem Schreiben fügte der Kläger eine Ablichtung eines Schreibens seiner Mutter vom 30. Juli 1987 bei. Darin wandte sie sich an einen Obermeister des VEB, dem sie schilderte, der Kläger sei bei dem Lager beim Überklettern einer Hinderniswand auf das Knie gestürzt. Weiterhin schilderte sie den Behandlungsverlauf. Insbesondere forderte sie den Betrieb zur Erstellung einer Unfallmeldung auf. Weiter beigefügt war ein Schreiben des Leiters des "zentralen Ausbildungszentrums" P. der GST an eine Berufsschule in M. vom 10. Juli 1987, wonach der Kläger sich am 3. Juni 1987 in der Ambulanz des "Z." vorgestellt habe. In einem weiteren Schreiben vom 11. August 1987 schilderten die Eltern des Klägers den gleichen Hergang, wiesen darauf hin, der Kläger habe sich erst am Folgetag des Unfalls in ärztliche Behandlung begeben können, weil der Unfall sich erst nachmittags zugetragen habe. Trotz einer zwischenzeitlich aufgetretenen Schwellung und Problemen beim Gehen sei dem Kläger von der Lagerärztin aber mitgeteilt worden, es sei nichts. In einem Schreiben der Staatlichen Versicherung vom 25. Mai 1988 erkannte sie unter Bezugnahme auf das Schreiben der Eltern nach ärztlicher Beteiligung einen Schadensersatzanspruch des Klägers wegen der medizinischen Betreuung im Lager dem Grunde nach an. Schließlich lag eine Klage vom 8. August 1991 gegen ein Krankenhaus vor, in der dargestellt ist, der Unfall habe sich während der vormilitärischen Ausbildung ereignet.
Im Weiteren übernahm die Beklagte die Bearbeitung des Falles als Fall nach § 1 der Erweiterungs-Verordnung.
Auf Befragen der Beklagten gab der Kläger an, zur Teilnahme an dem Lager sei er durch seinen Lehrvertrag verpflichtet gewesen. Er legte den Lehrvertrag vom 5. Dezember 1985 vor, der im Abschnitt "grundlegende Rechte und Pflichten des Betriebes und des Lehrlings" den vorgedruckten Absatz enthält: "Der Lehrling ist verpflichtet, während des Lehrverhältnisses an der vormilitärischen Ausbildung teilzunehmen, sich militärpolitische und militärfachliche Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen bzw. an den Maßnahmen der Zivilverteidigung mitzuwirken".
Mit Bescheid vom 25. Oktober 2006 stellte die Beklagte fest, die Voraussetzungen für eine Entschädigung des Unfalls aus dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung seien nicht erfüllt. Nach dem Recht der DDR seien Leistungen aufgrund von § 1 der Verordnung über die Erweiterung des Versicherungsschutzes bei Unfällen in Ausübung gesellschaftlicher, kultureller oder sportlicher Tätigkeiten vom 11. April 1973 in Betracht gekommen. Diese seien nach § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO nicht zu entschädigen, wenn sie nach dem Dritten Buch der RVO nicht zu entschädigen seien und einem ab 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Unfallversicherungsträger erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt geworden seien. Der Unfall des Klägers wäre in den alten Bundesländern nicht nach der RVO zu entschädigen gewesen. Die GST habe mit der Aufgabenstellung, durch die vormilitärische Ausbildung die Wehrbereitschaft und Wehrfähigkeit der Bevölkerung, insbesondere der jungen Menschen, zu erhöhen, zu den großen sozialistischen Massenorganisationen der DDR gehört. In die vormilitärische Ausbildung der GST seien die männlichen Jugendlichen mit Beginn der 11. Klasse der Erweiterten Oberschule bzw. mit dem Eintritt in die Lehre einbezogen gewesen. Die Ausbildung bei der GST stelle keine der betrieblichen Ausrichtung des Lehrbetriebes wesentlich dienende Handlung dar. Ein direkter Zusammenhang zwischen dem Lehrberuf und der Ausbildung bei der GST habe nicht bestanden. Der Unfall sei auch nach dem Recht der DDR kein Arbeitsunfall gewesen, sondern sei nach der genannten Verordnung wie ein Arbeitsunfall zu behandeln gewesen. Wegen der maßgeblichen Kenntnis von dem Unfall komme es auf einen bundesdeutschen Unfallversicherungsträger und nicht auf eine vergleichbare Stelle in der DDR an.
Gegen den Bescheid legte der Kläger bei der Beklagten mit Eingangsdatum vom 23. November 2006 Widerspruch ein. Er machte geltend, er sei durch seinen Ausbildungsbetrieb zu der Teilnahme an der vormilitärischen Ausbildung verpflichtet worden. Für den Fall einer Weigerung habe er mit einer Eintragung in die betriebliche Kaderakte rechnen müssen. Gegebenenfalls hätte dies seine beruflichen Perspektiven eingeschränkt. Die Fortsetzung seiner Ausbildung sei für die Zeit des Lagers gar nicht vorgesehen gewesen. Auch das Verstreichen einer Frist mit Ablauf des Jahres 1993 leuchte ihm nicht ein. Noch am 23. März 1991 sei mit der Deutschen Versicherungs-AG als Rechtsnachfolgerin der Staatlichen Versicherung der DDR anwaltlicher Schriftverkehr wegen des Unfalls geführt worden. Weder sei er aus diesem Anlass über eine Frist informiert worden, noch sei ihm eine solche bekannt gewesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Januar 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und blieb bei ihrer Begründung. Die Beklagte sandte den Bescheid am 24. Januar 2007 ab.
Mit der am 19. Februar 2007 beim Sozialgericht Stendal erhobenen Klage hat der Kläger erneut die ausdrückliche Verpflichtung zur Teilnahme an der vormilitärischen Ausbildung in seinem Lehrvertrag hervorgehoben.
Mit Urteil vom 26. September 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, der Unfall des Klägers sei als Unfall im Sinne der Verordnung vom 11. April 1973 anzusehen. Dies folge aus der Eintragung mit der Abkürzung "GT" im SV-Ausweis und aus der zum Zeitpunkt des Unfalls wahrgenommenen vormilitärischen Veranstaltung bei der GST. Die Gesellschaft für Sport und Technik sei als demokratische Organisation im Sinne von § 1 Abs. 2 der Verordnung anzusehen. Der Unfall sei einem bundesrechtlich zuständigen Träger der Unfallversicherung nicht bis zum 31. Dezember 1993 bekannt geworden. Zu diesen Einrichtungen gehöre die Staatliche Versicherung der DDR, bei der der Unfall geführt und anerkannt worden sei, nicht. Auch eine frühere Kenntnis einer Behörde der gesetzlichen Krankenversicherung reiche ggf. nicht aus.
Ein Anspruch auf Anerkennung als Arbeitsunfall nach § 1150 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 RVO bestehe nicht, weil es sich nicht um einen Arbeitsunfall im Sinne des Dritten Buches der RVO gehandelt habe. Der Kläger habe den Unfall nicht in Ausübung einer betrieblichen Tätigkeit unter dem Schutz seiner Versicherung aufgrund des Lehrverhältnisses nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO erlitten, sondern bei der Teilnahme an einer Veranstaltung der GST. Die dort betriebene vormilitärische Ausbildung sei nicht Teil der betrieblichen Ausbildung. Anderes lasse sich aus § 6 des Ausbildungsvertrages des Klägers nicht ableiten. Die Staatsbürgerpflicht zur Teilnahme an vormilitärischen Veranstaltungen habe in der DDR allgemein gegolten und sei Bestandteil zahlreicher Ausbildungsverträge gewesen. Gleichwohl habe sie mit der betrieblichen Ausbildung nichts zu tun. Die RVO schütze Versicherte nur im Rahmen der betrieblichen Tätigkeit bzw. Ausbildung.
Gegen das ihm am 6. November 2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13. November 2007 Berufung eingelegt. Er bleibt bei seinem Vorbringen und trägt vertiefend vor, die Teilnahme am GST-Lager sei ihm und den anderen Lehrlingen betrieblich nahe gelegt worden und für den Unterlassungsfall eine Eintragung in die Kaderakte angedroht worden. Die Lehrlinge seien durch Betriebsangehörige direkt vom Werk zum Bahnhof gebracht worden, um in den Zug nach P. einzusteigen. Die komplette Lehrgruppe seines Betriebes sei dort gewesen. Ein Mädchen in der Ausbildungsgruppe hätte in der gleichen Zeit eine Rot-Kreuz-Ausbildung durchführen müssen. Der Lehrbetrieb habe während dieser Zeit geruht. Gegenstand des Lagers sei eine vormilitärische Ausbildung gewesen. Hintergrund sei die Bildung einer Kampfgruppeneinheit im Betrieb gewesen. Für dessen Außendarstellung sei ein ausreichendes Kampfgruppenengagement von Bedeutung gewesen. Wenn er nicht an der Ausbildung teilgenommen hätte, hätte auch die Auflösung des Lehrausbildungsvertrages im Raum gestanden. Den Lehrlingen sei immer wieder angedroht worden, eine unterlassene Teilnahme an den verschiedenen Ausbildungsübungen hätte auch Einfluss auf die Lehrausbildung. Auch der Betrieb hätte sich für diesen Fall rechtfertigen müssen, warum der Lehrling nicht von der Teilnahme habe überzeugt werden können. Die Erfüllung der Teilnahmepflicht sei sogar Voraussetzung für einen erfolgreichen Ausbildungsabschluss gewesen, wie verschiedene Zeugen bestätigen könnten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stendal vom 26. September 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 25. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2007 aufzuheben und
den Unfall vom 2. Juni 1987 als Arbeitsunfall festzustellen, weiterhin festzustellen, dass für die Ansprüche aus diesem Arbeitsunfall die Beklagte zuständig ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie schließt sich dem Urteil des Sozialgerichts an.
Die Beigeladene beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erklärt ihre Zuständigkeit für den Fall, dass die Sonderzuständigkeit der Beklagten für Unfälle im Rahmen gesellschaftlicher Tätigkeit in der DDR nicht eingreifen sollte. Nach ihrer Einschätzung liegt dieser Fall nicht vor. Insoweit schließt sie sich den Ausführungen des Sozialgerichts in seinem Urteil an. Sie weist darauf hin, nach der RVO könne es sich schon um keinen Arbeitsunfall handeln, weil Arbeitsverhältnisse in der Bundesrepublik generell keine Regelungen über die Teilnahme an vormilitärischer Ausbildung zum Gegenstand hätten. Jedenfalls fehle der betriebliche Zusammenhang zwischen dem Lehrverhältnis des Klägers und dem Arbeitsunfall. Gegenstand der Ausbildung und damit Ziel des betrieblichen Einsatzes des Klägers sei die Erlangung der Kenntnisse und Fertigkeiten eines Werkzeugmachers gewesen. Damit stehe die vormilitärische Ausbildung nicht im Zusammenhang. Der zitierte Abschnitt aus dem Lehrvertrag habe lediglich einen Auszug aus dem Arbeitsgesetzbuch der DDR zum Inhalt. Schon dieser Umstand schließe den Bezug auf ein konkretes Berufsausbildungsziel aus. Verglichen werden könne die Verpflichtung zur vormilitärischen Ausbildung bei Übertragung auf das frühere Bundesgebiet allenfalls mit der Teilnahme an einer Wehrübung der Bundeswehr. Dort erlittene Unfälle seien aber nach dem Soldatenversorgungsgesetz abzuwickeln gewesen.
In der mündlichen Verhandlung und bei der Beratung hat die Akte der Beklagten über den Vorgang – Az. – vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Berufung hat Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 25. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2007 beschwert den Kläger im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 S. 1 SGG, weil die Beklagte darin zu Unrecht die Feststellung des Unfalles des Klägers vom 2. Juni 1987 als Arbeitsunfall abgelehnt hat. Denn dieser ist ein Arbeitsunfall nach § 1150 Abs. 2 S. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO – i. d. F. d. G. v. 25.7.1991, BGBl. I S. 1606, 1688). Diese Vorschrift ist gem. § 215 Abs. 1 S. 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches weiter anzuwenden.
Der Unfall des Klägers war im Sinne von § 1150 Abs. 2 S. 1 RVO ein Arbeitsunfall "nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht." Unschädlich ist die ungenaue Formulierung der Vorschrift, die nicht nur frühere Arbeitsunfälle umfasst, sondern auch Unfälle, die nach dem Recht der DDR Arbeitsunfällen nur gleichgestellt waren. Unfälle nach § 1 der Verordnung über die Erweiterung des Versicherungsschutzes bei Unfällen in Ausübung gesellschaftlicher, kultureller und sportlicher Tätigkeiten (ErwVO) v. 11.4.1973 (GBl. I S. 199) "waren" nämlich keine Arbeitsunfälle des Rechts der DDR, sondern begründeten danach lediglich Ansprüche auf "Leistungen wie bei einem Arbeitsunfall."
Der historisch-systematischen Entwicklung der Vorschrift ist aber zu entnehmen, dass auch diese gleichgestellten Unfälle von § 1150 Abs. 2 S. 1 RVO erfasst sind. Schon im Einigungsvertrag (G. v. 23.9.1990, BGBl. II S. 885), dort Anl. I Kap. VIII Sachg. I Abschn. III Buchst. c Maßg. 8 Nr. 2 Buchst. ee, hatte der Bundesgesetzgeber nämlich verdeutlicht, er wolle die Fälle des § 1 ErwVO einer unfallrechtlichen Entschädigung zuführen und hatte die dort geregelten Unfälle als Arbeitsunfälle bezeichnet. Denn dort findet sich die Regelung, wonach die Rechtsvorgängerin der Beklagten für die Entschädigung der "Arbeitsunfälle" nach § 1 ErwVO zuständig ist. Es ist im Rahmen systematischer Stimmigkeit der bundesrechtlichen Regelungen davon auszugehen, dass § 1150 Abs. 2 S. 1 RVO an diese Begriffsbildung anknüpft.
Die Einordnung des Unfalls unter die ErwVO ergibt sich schon aus dem Inhalt der Eintragung im Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung. Denn der Unfall ist dort mit dem Kürzel "GT" in einer als Vordruck vorgesehenen Rubrik für "anerkannte Arbeitsunfälle" eingetragen. Die Abkürzung "GT" steht dabei ausweislich von § 6 Abs. 2 S. 2 ErwVO für eine gesellschaftliche Tätigkeit im Sinne dieses Regelungswerks. Die Eintragung stellt (zumindest) ein Beweiszeichen für das Bestehen eines entsprechenden Verwaltungsakts dar, weil sie auf den Vorgang einer bereits bestehenden Anerkennung hinweist und von der zuständigen Betriebsgewerkschaftsleitung vorgenommen worden ist. Die Betriebsgewerkschaftsleitung war gem. § 222 des Arbeitsgesetzbuches (AGB – v. 16.6.1977, GBl. I S. 185) zur Anerkennung zuständig, weil sie das betriebliche Organ zur Durchführung von Aufgaben der Sozialversicherung war, wie sich für größere Betriebe aus § 275 Abs. 1 AGB i.V.m. § 92 Abs. 1 der Verordnung zur Sozialpflichtversicherung der Arbeiter und Angestellten (SVO – v. 17.11.1977, GBl. I S. 373) ergibt; die erforderliche Größe ist durch die Ansiedlung bei einer Kombinatsleitung im Industriebereich und die entsprechende Bezeichnung als zentrale Betriebsgewerkschaftsleitung gesichert.
Der der Eintragung im Sozialversicherungsausweis des Klägers zu Grunde liegende Anerkennungsbescheid der Betriebsgewerkschaftsleitung entfaltet unter der Geltung des Bundesrechts die Wirkung eines Verwaltungsaktes. Dies ergibt sich aus Art. 19 S. 1, 2 EV. Der dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik fremde Begriff des Verwaltungsaktes ist nach seinem bundesdeutschen Inhalt auszulegen. Danach ist die getroffene Feststellung von Leistungsansprüchen wie bei einem Arbeitsunfall eine Entscheidung zur Regelung eines Einzelfalles. Denn mit der Entscheidung wird gegenüber dem Versicherten bestimmt, was für ihn im Hinblick auf den Lebenssachverhalt des Unfalls rechtens sein soll. Dies geschieht hoheitlich einseitig, weil der Versicherte selbst nicht durch eine Erklärung Einfluss auf den Inhalt der Regelung nehmen kann. Die Regelung betrifft auch öffentliches Recht. Dafür spricht trotz der Zuordnung der Aufgabenwahrnehmung an den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund, dass die Aufgaben der Sozialversicherung nach § 276 S. 1 AGB einer Verwaltung der Sozialversicherung übertragen waren, die nach § 103 Abs. 4 SVO selbst juristische Person war. Weiterhin spricht für die Zuordnung zu öffentlichem Recht, dass es sich bei dem Regelungssystem, aus dem die Leistungen der Unfallversicherung im vorliegenden Zusammenhang erbracht wurden, um ein umfassendes Zwangsversicherungssystem in Form der Sozialpflichtversicherung handelte und in diesem System einseitige Entscheidungen ergehen konnten, denen über allgemeine Verjährungsfristen hinaus formelle Bestandskraft zukommen konnte. Denn gegen die Entscheidungen bestand nach § 303 Abs. 1 S. 3 AGB ein besonderes, fristgebundenes Einspruchsrecht; bei Fristversäumnis war die Entscheidung rechtlich nicht mehr angreifbar.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wenn der Vortrag des Klägers zutrifft, über die Anerkennung sei überhaupt kein gesonderter Bescheid ergangen, sondern die Anerkennung allein durch die Eintragung im Sozialversicherungsausweis erfolgt. Denn dann haben die Beteiligten die Vornahme der Eintragung und die Aushändigung des Ausweises an den Kläger als die maßgebliche Entscheidung verstanden, die im vorgenannten Sinne Verwaltungsaktscharakter hatte.
Der Unfall gilt im Sinne von § 1150 Abs. 2 S. 1 RVO als Arbeitsunfall nach dem Dritten Buch (der RVO). Denn die Ausnahmeregelung des § 1150 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 RVO greift nicht durch, weil der Unfall auch nach dem Dritten Buch der RVO zu entschädigen wäre.
Dies ist zu prüfen, weil der Unfall einem Träger der bundesdeutschen gesetzlichen Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 am 18. Juni 2006 bekannt geworden ist. Der Meldestichtag ist nicht – wie der Kläger meint – dadurch gewahrt, dass der Unfall sofort einem zuständigen Organ der DDR gemeldet worden ist. Denn dabei handelt es sich nicht um den im obigen Sinne zuständigen Träger. Dies folgt schon aus dem Text des § 1150 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 RVO, weil das Abstellen auf den Zuständigkeitsstichtag des 1. Januar 1991 gegenstandslos wäre, wenn über die Funktionsnachfolge zur Sozialversicherung beim FDGB jede frühere Zuständigkeit bei der Kenntnisnahme ausreichen würde (BSG, Urt. v. 19.12.00 – B 2 U 8/00 R – SozR 3-2200 § 1150 Nr. 4).
Bei einem anerkannten Arbeitsunfall nach dem Recht der DDR unterliegt auch die Feststellung des Unfalls in dem Sinne der Bestandskraft, dass der Unfall auch für die Prüfung eines fiktiven Arbeitsunfalls im Sinne der RVO als feststehend gilt. Dies gilt insbesondere auch für die Frage nach einem unmittelbaren (Erst-)Körperschaden, der Bestandteil des Unfallbegriffes im Sinne von § 548 Abs. 1 S. 1 RVO ist. Diese Doppelwirkung der Bestandskraft ist möglich, weil der Unfallbegriff im § 220 Abs. 1 AGB nicht von demjenigen des § 548 Abs. 1 S. 1 RVO abweicht.
Die Anknüpfung an einen festgestellten Unfall folgt mittelbar aus § 1150 Abs. 2 S. 1 RVO. Schon danach erfolgt die Übernahme von Arbeitsunfällen der Sozialversicherung (der DDR) in das Bundesrecht mit der Geltung als Arbeitsunfälle nach der RVO u.a. für "Unfälle", ohne dass damit ausnahmslos der Unfallbegriff im Sinne des § 548 Abs. 1 RVO vorab gesondert zu prüfen wäre. Die Vorschrift besagt insbesondere nicht, dass auch angesichts eines anerkannten Arbeitsunfalls des Rechts der DDR der Begriff des Unfalls im Sinne des § 548 Abs. 1 RVO noch zu prüfen wäre. Insoweit gilt die mit § 1150 Abs. 2 S. 1 RVO bezweckte Kombination von Vertrauensschutz und Verwaltungsvereinfachung für alle Tatbestandsmerkmale eines schon anerkannt gewesenen Unfalls gleichermaßen. Eine gesonderte Prüfung des Begriffs des Unfalls stünde nämlich im Gegensatz zur unterbleibenden Prüfung aller anderen rechtlichen Voraussetzungen des Arbeitsunfalls, ohne dass der Vorschriftenzweck dafür eine Rechtfertigung erbrächte. Es gibt keine Hinweise darauf, dem Begriff des Unfalls im Einleitungshalbsatz des § 1150 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 RVO eine andere Bedeutung beizumessen, zumal sie systematisch als Ausnahmevorbehalt zum Grundfall des § 1150 Abs. 1 S. 1 RVO gefasst ist, dessen Nichterfüllung wieder zur allgemeinen Rechtsfolge einer bloßen Geltung als Unfall nach der RVO zurückführt. Die Vorschrift des § 1150 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 RVO stellt grundsätzlich die Frage nach der bundesrechtlichen Entschädigungsfähigkeit des Unfalls. Dies spricht angesichts der insoweit vorliegenden, dargestellten Rechtsgleichheit bezüglich des Unfallbegriffs nicht dagegen, einen Unfall bei bereits erfolgter Anerkennung für die weitere Prüfung als geschehen vorauszusetzen.
Der bei dem Unfall eingetretene Erstschaden bestand jedenfalls in einer schmerzhaften Prellung. Aufgrund des Schreibens des "Z." vom 10. Juli 1987 ist gesichert, dass der Kläger sich am 3. Juni 1987 dort in ärztliche Behandlung begeben hat. Entgegen des nach Angaben des Klägers selbst dort mitgeteilten Behandlungsergebnisses, wonach ein Gesundheitsschaden nicht vorzufinden sei, lag ein behandlungsbedürftiges Krankheitsbild vor. Dies ergibt sich aus dem Schreiben der Staatlichen Versicherung vom 25. Mai 1988, wonach eine Schadensersatzpflicht nach ärztlicher Beurteilung der medizinischen Betreuung dem Grunde nach anerkannt wird. Dieses Schreiben bezieht sich auf die Eingabe der Eltern des Klägers vom 11. August 1987, in der sie näher beschrieben haben, der Kläger sei mit einer Knieschwellung und Problemen beim Laufen trotz Aufsuchens der Lagerärztin unbehandelt geblieben. Diese Abfolge lässt den Schluss zu, dass sich die Darstellung der Eltern des Klägers bewahrheitet hat und sich ein Behandlungsfehler in der Form ereignet hat, dass ein behandlungsbedürftiges Krankheitsbild vorgelegen hat, aber übersehen wurde. Offen bleiben kann, ob auch der kurz nach dem Unfall offensichtlich diagnostizierte und behandelte Meniskusschaden mit dem Unfallgeschehen in Zusammenhang steht; die Feststellung eines konkreten Gesundheitserstschadens oder von Unfallfolgen hat der Kläger nicht beantragt.
Der Kläger hat seinen Unfall als ein auf Grund eines Lehrverhältnisses Beschäftigter im Sinne von § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO und im Sinne von § 548 Abs. 1 S. 1 RVO bei der damit genannten Tätigkeit erlitten. Zwischen dem Verhalten zum Unfallzeitpunkt und dem Beschäftigungsverhältnis besteht eine sachliche Verbindung, der sog. innere Zusammenhang (vgl. BSG, Urt. v. 17. Okt. 1990 – 2 RU 13/90 – SozR 3-2200 § 548 Nr. 5). Dieser liegt hier darin, dass die Pflicht eines Lehrlings zum Erwerb vormilitärischer Kenntnisse gerade als Teil des Lehrverhältnisses geregelt war. So sah § 133 Abs. 2 AGB für Lehrlinge die Verpflichtung zur Teilnahme an der vormilitärischen Ausbildung vor. Mit der speziellen Regelung im Arbeitsrecht unter Bezug auf Lehrverhältnisse hat der Gesetzgeber der DDR diese Pflicht in Bezug zum Beschäftigungsverhältnis des betreffenden Lehrlings gesetzt und die Möglichkeit geschaffen, im Falle einer verweigerten Teilnahme arbeitsrechtliche Sanktionen zu verhängen. Dieser Zusammenhang ist im Falle des Klägers noch im Verhältnis gerade zu seinem Lehrbetrieb durch die Einfügung einer entsprechenden Klausel in seinen Lehrvertrag vertieft worden. Denn dadurch wird dem Verpflichteten verdeutlicht, es gehe nicht nur um die Wahrnehmung bürgerlicher Pflichten gegenüber dem Staat, sondern gerade auch um Verpflichtungen des Lehrlings gegenüber seinem Betrieb. Allgemein für Jugendliche lässt sich eine entsprechende, sanktionsbewehrte Rechtspflicht hingegen nicht feststellen. Vielmehr behandelt § 24 des Jugendgesetzes der DDR (v. 24.1.1974, GBl. I S. 45) den Erwerb vormilitärischer Kenntnisse nur als Ehrenpflicht zum Erwerb der "hohen Achtung der sozialistischen Gesellschaft". Sachlich unterscheidet sich die Pflicht nicht von derjenigen zum Besuch des Unterrichts in allgemeinbildenden Fächern an Berufsschulen, die ebenfalls nicht ohne weiteres einen unmittelbaren Bezug zum Erlernen eines Berufs aufweisen. Auch dieser Unterrichtsbesuch unterliegt dem allgemeinen Versicherungsschutz des § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO für Lehrlinge, wie sich aus der entsprechenden Verweisung in § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst. c RVO ergibt.
Gegen den sachlichen Zusammenhang kann nicht mit der Beigeladenen eingewandt werden, in der Bundesrepublik Deutschland habe es keine vormilitärische Ausbildung gegeben. Bei der Prüfung des fiktiven Versicherungsfalls "nach dem Dritten Buch" (der RVO) ist nicht der Sachverhalt fiktiv darauf zu überprüfen, ob er sich in der Bundesrepublik Deutschland hätte ereignen können, sondern darauf, wie er rechtlich zu behandeln gewesen wäre, wenn die RVO für den Unfall bereits gegolten hätte. Dabei ist es auch in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitsrecht vorbehalten, Pflichten eines beschäftigten Lehrlings zu begründen.
Die Teilnahme am Lager in P. diente der vormilitärischen Ausbildung. Davon ist der Senat überzeugt, weil dies der Kläger bereits in einer Klage gegen ein Krankenhaus wegen Fehlbehandlung vom 8. August 1991 ausdrücklich so mitgeteilt hat, obwohl der Umstand ihm insoweit keinen Vorteil verschaffte. Zudem war die Gesellschaft für Sport und Technik die Organisation zur vormilitärischen und wehrsportlichen Erziehung und Ausbildung der Jugendlichen in der DDR (DDR-Handbuch, a.a.O., Schlagwort "Gesellschaft für Sport und Technik") Die vormilitärische Ausbildung war auch ursächlich für das Schadensereignis, weil das Bewältigen einer Hindernisbahn allgemeinkundig ein typischer Übungsteil im Rahmen wehrertüchtigender Ausbildung ist. Dass sich der Unfall bei dieser Gelegenheit ereignet hat, entnimmt der Senat dem Schreiben der Mutter des Klägers vom 30. Juli 1987. An dessen Inhalt in Bezug auf den abgelaufenen Unfall hat der Senat keine Zweifel, weil die Darstellung zu der Anerkennung des Arbeitsunfalls geführt hat. Dies lässt darauf schließen, dass sich die Unfallschilderung bestätigt hat.
Zuständiger Versicherungsträger für den Kläger ist die Beklagte als Rechtsnachfolgerin der Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung auf Grund deren Sonderzuständigkeit nach Anl. I Kap. VIII Sachg. I Abschn. III Buchst. c Maßg. 8 Nr. 2 Buchst. ee zum Einigungsvertrag (EV – G. v. 23.9.1990, BGBl. II S. 885). Denn der danach maßgebliche Unfallversicherungsschutz des Klägers nach der ErwVO beruhte auf deren § 1, welcher Umstand allein die Zuständigkeit der Beklagten begründet. Es kann dahinstehen, ob die Anerkennung zu Recht vorrangig auf § 1 ErwVO gestützt worden ist oder auch – ggf. sogar vorrangig – ein Arbeitsunfall nach § 220 Abs. 1 S. 1 AGB anzuerkennen gewesen wäre. Denn die Beklagte ist an den Anerkennungsbescheid der Betriebsgewerkschaftsleitung gebunden. Dass ein solcher Bescheid ergangen ist, folgt – wie bereits dargelegt – aus der Eintragung durch die Betriebsgewerkschaftsleitung im Sozialversicherungsausweis des Klägers.
Im Übrigen hat es sich bei der Teilnahme an der vormilitärischen Ausbildung – wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 1. Dezember 2011 bestätigt hat – auch tatsächlich um einen Fall des § 1 ErwVO gehandelt, nämlich um einen Unfall bei einer durch eine gesellschaftliche Organisation organisierten gesellschaftlichen Tätigkeit. Das Lager zur vormilitärischen Ausbildung war von der GST organisiert, wie schon daraus folgt, dass sich nach dem vorgelegten Schriftverkehr der Leiter des "zentralen Ausbildungszentrums" der Gesellschaft für Sport und Technik mit dem Vorgang befasste und von einer Vorstellung des Klägers in der Ambulanz des Zentrums am 3. Juni 1987 berichtete. Die GST war eine gesellschaftliche Organisation (vgl. zur Übereinstimmung des Begriffs mit dem der Massenorganisation Lexikon des DDR-Sozialismus, herausgegeben von Eppelmann u.a., Paderborn 1996, Schlagwort "Massenorganisation"; zur Einordnung der GST als Massenorganisation DDR-Handbuch, herausgegeben vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, 3. Aufl., Köln 1985, Schlagwort "Gesellschaft für Sport und Technik").
Der Kläger verrichtete zum Zeitpunkt seines Unfalls auch eine gesellschaftliche Tätigkeit, die als Mitarbeit bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme zum Ausdruck gesellschaftlichen Bewusstseins zu verstehen ist (Handbuch, a.a.O., Schlagwort "gesellschaftliche Tätigkeit"). Um einen solchen Beitrag zur Lösung des gesellschaftlichen Problems der Wehrbereitschaft handelte es sich bei der Teilnahme an der vormilitärischen Erziehung. Dies ergibt sich aus § 24 des Jugendgesetzes, wonach der Erwerb vormilitärischer Kenntnisse der hohen Achtung der sozialistischen Gesellschaft unterlag und der Verteidigung des Sozialistischen Vaterlandes diente.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil er für klärungsbedürftig hält, ob Unfälle von Lehrlingen bei der vormilitärischen Ausbildung in der DDR im Sinne von § 1150 Abs. 2 S. 2 RVO als solche nach dem Dritten Buch der RVO zu entschädigen wären.
Rechtskraft
Aus
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