S 12 R 192/08

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Magdeburg (SAN)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
12.
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 12 R 192/08
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung von Pflichtbeitragszeiten nach dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG).

Der am ... 1960 geborene Kläger studierte im Rahmen eines Direktstudiums vom 1. September 1981 bis zum 31. August 1984 an der Ingenieurschule für Maschinenbau und Elektrotechnik M., Fachrichtung Elektroenergieanlagen. Er erwarb am 20. Juli 1984 den Titel des Elektroingenieurs. Vom 1. September 1984 bis zum 18. Juni 1990 war er als Elektroingenieur für Planung und Projektierung der Industrieanlagen im VEB T. Gebäudeausrüstung M., Betriebsteil B./Harz tätig. Dieser Betrieb wurde am ... 1990 in die Firma T. Gebäudeausrüstung GmbH umgewandelt und in das Handelregister eingetragen. Am 1. Juli 1990 begann der Kläger eine Tätigkeit in besagter GmbH.

Am 12. November 2007 beantragte der Kläger die Feststellung der Beschäftigungszeit vom 1. September 1984 bis zum 18. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz. Mit Bescheid vom 26. November 2007 lehnte die Beklagte den Antrag ab und führte zur Begründung aus, es lägen weder die sachlichen noch die betrieblichen Voraussetzungen für eine nachträgliche Einbeziehung in die Altersversorgung der technischen Intelligenz vor. Der Kläger habe am 30. Juni 1990 keine Beschäftigung ausgeübt, für die ein Arbeitsentgelt gezahlt worden sei.

Gegen diesen ablehnenden Bescheid legte der Kläger am 27. Dezember 2007 Widerspruch ein mit der Begründung, er erkenne die Stichtagsregelung nicht an, da sich die gesamte Volkswirtschaft zu diesem Zeitpunkt im Umbruch befunden habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 28. März 2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte ergänzend aus, der Kläger habe am 30. Juni 1990 eine Beschäftigung im früheren VEB T. Gebäudeausrüstung M. ausgeübt. Dieser Betrieb sei vor dem 1. Juli 1990 privatisiert worden, so dass es sich nicht mehr um einen volkseigenen Produktionsbetrieb (VEB) im Sinne der Versorgungsordnung oder einem solchen gleichgestellten Betrieb gehandelt habe. Es komme ausschließlich auf die amtliche Eintragung im Handelsregister an. Mit der Eintragung der GmbH am ... 1990 sei der VEB T. Gebäudeausrüstung M. erloschen. Die betriebliche Voraussetzung für eine nachträgliche Einbeziehung in das Versorgungssystem sei daher nicht erfüllt.

Der Kläger hat am 17. April 2008 Klage vor dem Sozialgericht M. erhoben und ergänzend ausgeführt, es handele sich um einen Härtefall. Sein ehemaliger Betrieb habe sich in einem wirtschaftlichen Umbruch befunden. Bis zum 1. März 1990 habe es sich eindeutig um einen volkseigenen Betrieb gehandelt. Die Stichtagsregelung könne dem Kläger als Rentenempfänger nicht zum Nachteil erwachsen. Es sei eine Ausnahmesituation gewesen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 26. November 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. März 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Beschäftigungszeiten vom 1. September 1984 bis zum 18. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit des Versicherten zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz festzustellen und die Beklagte zu verpflichten, für diesen Zeitraum die nachgewiesenen tatsächlichen Bruttoarbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf Ihre Ausführung aus dem Widerspruchsbescheid.

Das Gericht hat die Registerauszüge des VEB T. Gebäudeausrüstung M. beigezogen.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 26. November 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. März 2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, soweit die Beklagte darin die beantragte Feststellung abgelehnt hat (§ 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Der Kläger hat gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 und § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz gemäß Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG. Er unterfällt nicht dem persönlichen Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 AAÜG. Nach dieser Vorschrift gilt das AAÜG für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. Der Kreis der potentiell vom AAÜG erfassten Personen umfasst diejenigen Personen, die entweder durch einen nach Artikel 19 des Einigungsvertrages bindend gebliebenen Verwaltungsakt der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) oder einer ihrer Untergliederungen oder später durch eine Rehabilitierungsentscheidung oder nach Artikel 19 Satz 2 oder 3 des Einigungsvertrages (wieder) in ein Versorgungssystem einbezogen waren (BSG, Urteil vom 9. April 2002, Az.: B 4 RA 31/01 R). Weder lag zu Gunsten des Klägers eine Versorgungszusage, Einzelfallentscheidung oder ein Einzelvertrag vor, die nach Artikel 19 des Einigungsvertrages Fortgeltung beanspruchen, noch erging eine Rehabilitierungsentscheidung.

In Betracht kommt allenfalls eine fingierte Versorgungsanwartschaft nach der erweiternden verfassungskonformen Auslegung des Bundessozialgerichtes, die das Gericht für Personen, die am 1. Juli 1990 in kein Versorgungssystem einbezogen waren und nachfolgend auch nicht auf Grund originären Bundesrechts einbezogen wurden, entwickelt hat. Bei diesen ist zu prüfen, ob sie am 1. August 1991 nach dem an diesem Tag geltenden Bundesrecht auf Grund der bei Schließung der Zusatzversorgungssysteme am 30. Juni 1990 gegebenen tatsächlichen Umstände einen fiktiven bundesrechtlichen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage erlangt haben (BSG, Urteile vom 9. April 2002, Az: B 4 RA 3/02 R und 10. April 2002, Az: B 4 RA 34/01 R).

Jedoch unterfällt der Kläger auch auf der Grundlage dieser vom Bundessozialgericht vorgenommenen verfassungskonformen erweiternden Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG nicht dem persönlichen Anwendungsbereich des AAÜG. Da auf die Sachlage am 30. Juni 1990 abzustellen ist, kann für die Beurteilung der Frage, ob ein solcher Anspruch besteht, auf die Gesetze, Richtlinien etc. der ehemaligen DDR abgestellt werden. Soweit es das Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz im Sinne der Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG betrifft, muss damit auf die Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (VO-AVItech) vom 17. August 1950 (GBl. der DDR I Nr. 93 S. 844) und die hierzu erlassene Zweite Durchführungsbestimmung zur VO-AVItech (2. DB) vom 24. Mai 1951 (GBl. der DDR I Nr. 62 S. 487) abgestellt werden (vgl. BSG, Urteil vom 29. Juli 2004, Az: B 4 RA 4/04 R). Bei der Auslegung dieser Vorschriften ist faktisch auf das Verständnis am 30. Juni 1990 zurückzugreifen.

Auf Grund des soeben Gesagten ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ein Anspruch nach § 1 VO-AVItech i. V. m. § 1 Abs. 1 und 2 der 2. DB nur gegeben, wenn folgende Voraussetzungen am 30. Juni 1990 kumulativ vorlagen (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 10. April 2002, Az: B 4 RA 34/01 R): Der Kläger muss berechtigt gewesen sein, eine in der 2. DB genannte Berufsbezeichnung zu führen und eine hierfür typische Beschäftigung in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens bzw. in einer diesen Betrieben gleichgestellten Wirtschaftseinheit ausgeübt haben.

Legt man dies zu Grunde, so hat die Beklagte nach Auffassung der Kammer die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz zu Recht abgelehnt. Die Voraussetzungen für einen fiktiven Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage haben bei dem Kläger zum Stichtag, also am 30. Juni 1990, nicht vorgelegen. Zwar war er ausweislich der Ingenieursurkunde der Ingenieurschule für Maschinenbau und Elektrotechnik M. vom 20. Juli 1984 berechtigt, den Titel eines Diplom-Ingenieurs zu führen (vgl. Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung Ingenieur vom 12. April 1962, GBl. der DDR II Nr. 29 S. 278).

Aus bundesrechtlicher Sicht scheidet ein fiktiver Anspruch auf Grundlage der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aber aus, weil der Kläger nicht die betriebliche Voraussetzung erfüllt. Der Kläger übte am 30. Juni 1990 keine Beschäftigung aus. Dies ergibt sich aus dem Sozialversicherungsausweis des Klägers. Der Kläger war damit zum Stichtag am 30. Juni 1990 nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb oder einem solchen gleichgestellten Betrieb beschäftigt.

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des vorhergehenden Beschäftigungsbetriebes. Ob die betriebliche Voraussetzung im Sinne der VO-AVItech in Verbindung mit der 2. DB rechtlich erfüllt ist, bestimmt sich danach, wer am maßgeblichen Stichtag Arbeitgeber im rechtlichen Sinne war (BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003, Az.: B 4 RA 20/03 R). Abzustellen ist hierbei nach den Vorgaben des Einigungsvertrages auf die tatsächlichen Gegebenheiten am 30. Juni 1990. Dies folgt aus den primär- und sekundärrechtlichen Neueinbeziehungsverboten des Einigungsvertrages. So untersagt der Einigungsvertrag primärrechtlich in der Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 9 Buchstabe a Neueinbeziehungen ab dem 3. Oktober 1990. Darüber hinaus ordnet der Einigungsvertrag in Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet F Abschnitt III Nr. 8 die sekundärrechtliche Weitergeltung des Rentenangleichungsgesetzes der DDR (RAnglG-DDR) an, das Neueinbeziehungen ab dem 1. Juli 1990 untersagt (§ 22 Abs. 1 Satz 1 RAnglG-DDR). Da letztlich auf Grund dieser Regelungen Neueinbeziehungen in ein Zusatzversorgungssystem ab dem 1. Juli 1990 nicht mehr zulässig waren, ist darauf abzustellen, ob der Betroffene nach den tatsächlichen Gegebenheiten bei Schließung der Zusatzversorgungssysteme am 30. Juni 1990 einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätte.

Dies ist nicht der Fall, da die Voraussetzungen der VO-AVItech in Verbindung mit der 2. DB nicht erfüllt waren. Nach der Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften (UmwVO) vom 1. März 1990 (GBl. DDR I S. 107) erlosch ein umgewandelter VEB gemäß § 7 Satz 3 UmwVO mit Eintragung der GmbH in das Register. Die Eintragung ins Handelsregister lässt die GmbH als juristische Person entstehen. Die Eintragung ist vorliegend am 18. Juni 1990 erfolgt, so dass mit diesem Datum der VEB erloschen und die GmbH zum Rechtsnachfolger geworden ist. Dem Kläger war bis zur Umwandlung des VEB in eine GmbH am 18. Juni 1990 keine Versorgungszusage erteilt worden, so dass er zu Zeiten der DDR keine Anwartschaft auf eine zusätzliche Altersversorgung erworben hatte. Im Unterschied zu Versicherten, bei denen am 30. Juni 1990 – also bei Schließung der Zusatzversorgungssysteme – alle Voraussetzungen noch vorlagen, hatte der Kläger zu diesem Zeitpunkt wegen § 2 der 2. DB zur VO-AVItech schon keine Aussicht mehr, eine zusätzliche Altersversorgung zu erhalten. Ein in der Rechtsform der GmbH geführtes Unternehmen unterliegt gemäß der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nach Bundesrecht nicht dem Anwendungsbereich der VO-AVItech nach § 1 Abs. 1 der 2. DB (vgl. BSG, Urteile vom 9. April 2002, Az.: B 4 RA 3/02 R und 29. Juli 2004, Az.: B 4 RA 4/04 R). Aufgrund der Umwandlung des VEB T. Gebäudeausrüstung M. am 18. Juni 1990 in eine GmbH bestand am 30. Juni 1990 kein volkseigener Produktionsbetrieb des Bauwesens oder der Industrie mehr.

Die T. Gebäudeausrüstung M. GmbH war schließlich auch kein gleichgestellter Betrieb im Sinne des § 1 Abs. 2 der 2. DB. Maßgeblich für die Gleichstellung ist ausschließlich das Versorgungsrecht der DDR (BSG, Urteile vom 9. April 2002, Az.: B 4 RA 3/02 R und 7. September 2006, Az.: B 4 RA 41/05 R). Nach § 1 Abs. 2 der 2. DB waren den volkseigenen Betrieben gleichgestellt: Wissenschaftliche Institute; Forschungsinstitute; Versuchsstationen; Laboratorien; Konstruktionsbüros; technische Hochschulen; technische Schulen; Bauakademie und Bauschulen; Bergakademie und Bergschulen; Schulen, Institute und Betriebe der Eisenbahn, Schifffahrt sowie des Post- und Fernmeldewesens; Maschinen-Ausleih-Stationen und volkseigene Güter, Versorgungsbetriebe (Gas, Wasser, Energie); Vereinigungen volkseigener Betriebe, Hauptverwaltungen und Ministerien. In dieser Aufzählung sind Gebäudeausrüstungswerke nicht enthalten. Die Aufzählung ist abschließend und nicht analogiefähig.

Entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung ist eine Gleichstellung weiterer Personen, die nach den Regelungen des Zusatzversorgungssystems der VO-AVItech am 30. Juni 1990 die Voraussetzungen für eine fiktive Versorgungsanwartschaft nicht erfüllten, aufgrund einer Härtefallregelung nicht geboten. Eine solche Härtefallregelung würde gerade gegen das oben dargelegte Neueinbeziehungsverbot aus dem Einigungsvertrag verstoßen.

Die Nichteinbeziehung des Klägers verstößt auch nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot. Der Bundesgesetzgeber durfte an die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung der Versorgungssysteme in der DDR sowie an die gegebene versorgungsrechtliche Lage der Betroffenen ohne Willkürverstoß anknüpfen. Ihm stand zu, zu Grunde zu legen, dass nur derjenige in das Zusatzversorgungssystem der VO-AVItech einbezogen werden durfte, der am 30. Juni 1990 – zum Zeitpunkt der Schließung der Zusatzversorgungssysteme – in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie und des Bauwesens oder in einem gleichgestellten Betrieb beschäftigt war. Art. 3 Abs. 1 und 3 Grundgesetz (GG) gebietet nicht, von jenen zu sekundärem Bundesrecht gewordenen Regelungen der Versorgungssysteme sowie den historischen Fakten, aus denen sich etwa Ungleichheiten ergeben, abzusehen und sie "rückwirkend" zu Lasten der heutigen Beitrags- und Steuerzahler auszugleichen (BVerfG, Beschluss vom 4. August 2004, Az.: 1 BvR 1557/01).

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Zulässigkeit der Berufung ergibt sich aus § 143 SGG.
Rechtskraft
Aus
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