Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 3 AS 3065/08
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 445/11 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller und Beschwerdeführer begehrt die Erteilung von vollstreckbaren Ausfertigungen für angenommene Anerkenntnisse in sechs sozialgerichtlichen Klageverfahren.
Der Antragsteller bezieht vom Antragsgegner Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Der Antragsgegner senkte im Zeitraum von April 2007 bis April 2009 die Leistungsbewilligungen mehrmals durch Sanktionsbescheide nach § 31 SGB II a.F. ab und zahlte geringere als die ursprünglich bewilligten Leistungen an den Antragsteller aus.
Nach Durchführung der Widerspruchsverfahren erhob der Antragsteller jeweils Klage gegen die Sanktionsbescheide beim Sozialgericht Magdeburg (SG). In den Klageverfahren hob der Antragsgegner mit Schriftsätzen vom 10. August 2011 den jeweils streitbefangenen Sanktionsbescheid auf und stellte den Kläger klaglos. Im Einzelnen handelte es sich um folgende Klageverfahren:
S 3 AS 3065/08 (Sanktionsbescheid (B) vom 16. Oktober 2008, Widerspruchsbescheid (WB) vom 23. Oktober 2008, Minderung um (M) 100 % der Regelleistung, Sanktionszeitraum November 2008 bis Januar 2009); jetzt: L 5 AS 445/11 B.
S 3 AS 3075/08 (B vom 16. Oktober 2008, WB vom 24. Oktober 2008, M 50% der Regelleistung, Sanktionszeitraum November 2008 bis Januar 2009); jetzt: L 5 AS 446/11 B.
S 3 AS 385/09 (B vom 15. Januar 2009, WB vom 10. Februar 2009, M 20% der Regelleistung, Sanktionszeitraum Februar bis April 2009) jetzt: L 5 AS 447/11 B.
S 3 AS 2475/09 (B vom 26. Mai 2009, WB vom 9. Juli 2009, M 100% der Regelleistung, Sanktionszeitraum Juni bis August 2009); jetzt: L 5 AS 448/11 B.
S 3 AS 2485/09 (B vom 27. Juli 2009, WB vom 13. August 2009, M 100% der Regelleistung, Sanktionszeitraum September bis November 2009); jetzt: L 5 AS 449/11 B.
S 3 AS 3765/09 (B vom 21. September 2009, WB vom 2. Dezember 2009, M 100% der Regelleistung, Sanktionszeitraum von November 2009 bis Januar 2010); jetzt: L 5 AS 450/11 B.
Mit Schreiben vom 19. August 2011 wies das SG den Antragsteller darauf hin, der Antragsgegner habe durch die Aufhebung des jeweiligen Sanktionsbescheids den Klageanspruch anerkannt, und bat um Äußerung zur Annahme des Anerkenntnisses. Unter dem 24. August 2011 nahm der Antragsteller in jedem der Verfahren das Anerkenntnis an und bat darum, "das Anerkenntnis und dessen Annahme in einen Beschluss zu fassen". Unter dem 26. August 2011 führte das SG in den Klageverfahren aus, durch das angenommene Anerkenntnis sei der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Es bestehe kein Bedarf, die Erledigung des Rechtsstreits im Beschlusswege festzustellen.
Mit Schreiben vom 4. Oktober 2011 hat der Antragsteller in den Klageverfahren jeweils die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des von ihm angenommenen Anerkenntnisses des Beklagten beantragt. Er hat jeweils Beträge beziffert, die den Wert des Anerkenntnisses darstellen sollen. Ihm gehe es um die Vollstreckung der jeweiligen Geldleistungen. Er habe einen Rechtsanspruch auf die Erteilung der Ausfertigungen. Wenn eine Vollstreckung unmittelbar aus dem Anerkenntnis nicht möglich sei, habe das SG mit einer Beschlussfassung einen entsprechenden Vollstreckungstitel herzustellen, auch wenn dies nach § 101 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht vorgesehen sei. Er hat hierzu auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27. November 1980 (Az.: 5 RKn 11/80) Bezug genommen.
Mit Beschlüssen vom 24. Oktober 2011 hat das SG die Anträge auf Erteilung von vollstreckbaren Ausfertigungen abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, es mangele am Rechtsschutzbedürfnis, da den in den Verfahren abgegebenen Anerkenntnissen ein vollstreckungsfähiger Inhalt fehle. Wie gerichtliche Entscheidungen seien Anerkenntnisse nur dann vollstreckungsfähig, wenn sie eine Leistungsverpflichtung zum Inhalt hätten. Die Rücknahme der streitigen Sanktionsbescheide enthalte keine Leistungsverpflichtung. Eine solche könne sich allenfalls aus den zugrundeliegenden Bewilligungsbescheiden ergeben.
Dagegen hat der Antragsteller am 27. Oktober 2011 in allen Verfahren Beschwerde eingelegt. Er habe schon deshalb einen Leistungsanspruch aus den Anerkenntnissen, weil der Antragsgegner die Absenkung der Leistungen zurückgenommen habe, sodass aus der Bewilligung wieder ein Leistungsanspruch bestehe. Die erteilten Anerkenntnisse seien iSv § 101 Abs. 2 SGG vollstreckbar. Da Schriftsätze der Parteien keine ausreichende Vollstreckungsgrundlage seien, müsse im Beschlusswege der für die Vollstreckung der angenommenen Anerkenntnisse erforderliche Vollstreckungstitel hergestellt werden.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Beschlüsse des Sozialgerichts Magdeburg vom 24. Oktober 2011 aufzuheben und ihm jeweils eine vollstreckbare Ausfertigung des von ihm angenommenen Anerkenntnisses des Antragsgegners zu erteilen.
Der Antragsgegner hat sich zum Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Beratung des Senats.
II.
Die nach § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegten Beschwerden gegen die Entscheidungen des SG sind zulässig. Es liegt kein Fall des gesetzlich geregelten Beschwerdeausschlusses nach § 172 Abs. 2 und 3 SGG vor, so dass die Beschwerden nach § 172 Abs. 1 SGG statthaft sind. Es handelt sich um Rechtsbehelfe im Vollstreckungsverfahren zugunsten von Privatpersonen, bei denen gemäß § 198 Abs. 3 SGG an die Stelle der in der Zivilprozessordnung (ZPO) vorgesehenen sofortigen Beschwerde (§ 793 ZPO) die Beschwerde nach den §§ 172 bis 177 SGG tritt (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 198 RN 7).
Die Beschwerden sind jedoch unbegründet. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigungen gemäß § 198 Abs. 1 SGG iVm § 724 Abs. 1 und 2 sowie § 795 Satz 1 ZPO.
Für die Vollstreckung zugunsten natürlicher oder juristischer Personen des Privatrechts wird in § 198 Abs. 1 SGG auf das Achte Buch der ZPO, ausgenommen die Vorschriften über die vorläufige Vollstreckbarkeit sowie unter Beachtung der Sonderregelung in § 201 SGG, verwiesen.
§ 199 Abs. 1 SGG enthält für den Bereich des SGG eine abschließende Aufzählung der Vollstreckungstitel. Danach wird aus gerichtlichen Entscheidungen vollstreckt, soweit nach den Vorschriften dieses Gesetzes kein Aufschub eintritt (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Gerichtliche Entscheidungen in diesem Sinne sind alle Entscheidungen eines Gerichts der Sozialgerichtsbarkeit, also Urteile, Gerichtsbescheide und Beschlüsse. Vollstreckt wird außerdem aus Anerkenntnissen und gerichtlichen Vergleichen (§ 199 Abs. 1 Nr. 3 SGG). Dabei kommt ein Anerkenntnis als Vollstreckungstitel nur in Betracht, wenn es angenommen worden ist (vgl. Leitherer, a.a.O., § 198 RN 3a). Diese Voraussetzung liegt hier vor.
Vollstreckt werden kann aber aus Anerkenntnissen und Vergleichen – wie auch aus Urteilen – nur, wenn sie vollstreckbar sind. Das bedeutet, ein Anerkenntnis oder ein Vergleich muss einen vollstreckungsfähigen Inhalt haben (vgl. Krasney, Hdb SGG, XIII RN 17). Für die Vollstreckung kommen deshalb nur Leistungsurteile einschließlich der Verpflichtungsurteile in Betracht. Ob ein Urteil einen vollstreckungsfähigen Inhalt hat, richtet sich allein nach der Urteilsformel. Ggf. können zur Auslegung eines Tenors die Entscheidungsgründe herangezogen werden. Indes ist es nicht möglich, Inhalte, die nicht Gegenstand des Tenors sind, "zusätzlich" in den Vollstreckungstitel aufzunehmen. Dies gilt auch in Ansehung der hier begehrten Vollstreckungstitel aus den Anerkenntnissen.
Sie wurden jeweils auf eine Anfechtungsklage des Antragstellers gegen einen Sanktionsbescheid des Antragsgegners abgegeben. Aufgrund der Rücknahme des jeweils angefochtenen Bescheids durch den Antragsgegner bedurfte es keines gerichtlichen Urteils über die begehrte Kassation der umstrittenen Sanktionsbescheide mehr. Der Antragsgegner hatte der klageweise geltend gemachten Aufhebung der Sanktionsbescheide im Verfahren entsprochen. Diese Anerkenntnisse hatten – ebenso wie der entsprechender Tenor im Urteil über die Anfechtungsklage ("der Bescheid wird aufgehoben") – keinen vollstreckungsfähigen Inhalt.
Denn die Anfechtungsklage ist ein Sonderfall der Gestaltungsklage; mit ihr kann nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder dessen Abänderung beantragt werden. Ein entsprechendes Urteil beseitigt die Wirkungen dieses Hoheitsakts. Die rechtsgestaltende Wirkung tritt ein mit Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung (vgl. Leitherer, a.a.O. § 198 RN 3a), eines weiteren Vollzugsakts bedarf es nicht. Eine Vollstreckung ist nur wegen der Kosten möglich (vgl. Keller a.a.O., § 54 RN 3). Denselben Inhalt und dieselbe unmittelbar rechtsgestaltende Wirkung hat das angenommene Anerkenntnis im Anfechtungsklageverfahren; es bedarf keiner Vollstreckung.
Einen vollstreckungsfähigen Inhalt können nur Anerkenntnisse im Leistungs- oder Verpflichtungsklagebereich haben, die Zahlungs- oder sonstige Pflichten der Beteiligten begründen. Denn diese bedürfen einer Umsetzung durch Bescheid oder Realakt (Zahlung), der im Wege der Vollstreckung erzwungen werden kann. Einen derartigen Fall behandelt auch die vom Antragsteller zitierte Entscheidung des BSG (vom 27. November 1980, Az.: 5 RKn 11/80, juris RN); im Verfahren war ein geltend gemachter Rentenanspruch für einen bestimmten Zeitraum anerkannt worden. Das Anerkenntnis hatte einen vollstreckungsfähigen Inhalt. Diese Rechtsprechung kann nicht auf Anerkenntnisse im Anfechtungsfall ohne vollstreckungsfähigen Inhalt übertragen werden.
Die den Beschwerdeverfahren zu Grunde liegenden Anfechtungsklagen hatten sich aufgrund der Anerkenntnisse des Antragsgegners, die unmittelbar gestaltende Wirkung haben (Aufhebung der angegriffenen Bescheide) erledigt. Diese Aufhebung war der einzige Streitgegenstand der Anfechtungsklagen. Daher ist eine Vollstreckung aus den Anerkenntnissen ausgeschlossen.
Die Aufhebung der angegriffenen Sanktionsbescheide und damit auch die Anerkenntnisse haben nur eine mittelbare Auswirkung auf die vom Kläger aus dem Rechtsverhältnis zum Antragsgegner als SGB II-Leistungsträger geltend gemachten Sozialleistungsansprüche. Durch die Aufhebung der Sanktionsbescheide ist der Rechtsgrund für den Antragsgegner entfallen, die für die streitigen Sanktionszeiträume bestandskräftig bewilligten Leistungen nicht auszuzahlen bzw. einzubehalten. Grundsätzlich ist der Antragsgegner daher seit der Aufhebung der Sanktionsbescheide verpflichtet, die zunächst einbehaltenen Leistungen nachzuzahlen. Grundlage für diesen Zahlungsanspruch des Antragstellers sind die Bewilligungsbescheide. Diese sind jedoch selbst keine Vollstreckungstitel. Ausgehend vom Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung hat der Gesetzgeber eine entsprechende Kodifizierung nicht für erforderlich gehalten, weil er vorausgesetzt hat, dass sich die Träger öffentlicher Verwaltung an die rechtlichen Pflichten aus den von ihnen erteilten Bescheiden halten und diese ausführen.
Der Gesetzgeber hat (anders als für die Verwaltung in § 66 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X)) vollstreckungsrechtlich keine Möglichkeit für den Bürger vorgesehen, zu seinen Gunsten aus Bescheiden der Verwaltung zu vollstrecken. Dieser ist mangels entsprechender gesetzlicher Regelung darauf zu verweisen, im Fall der (rechtsgrundlosen) Verweigerung der Auszahlung bewilligter Leistungen im Klageweg mittels Zahlungs- oder Leistungsklage gegen die Behörde vorzugehen (vgl. Roos in von Wulffen: SGB X, 7. Aufl. 2010, § 66 RN 3; zur zweifelhaften Vollstreckbarkeit eines Anerkenntnisses dem Grunde nach beim Streit um rentenrechtliche Anrechnungszeiten: BSG, Urteil vom 12. Dezember 1979, Az.: 1 RA 91/78, juris RN 15). Eine Vollstreckung ist dann erst aus dem Urteil gegen die Behörde möglich.
Nach seinen Angaben in anderen Verfahren hat der Antragsteller bei dem SG bereits eine entsprechende Zahlungsklage (über 7.234,08 EUR, Az.: S 3 AS 3001/11) erhoben. Im Rahmen dieses Verfahrens wird dann zu beurteilen sein, ob die zwischenzeitlich durch den Antragsgegner verfügte, auf § 45 Abs. 2 Nr. 2 SGB X gestützte vollständige Leistungsaufhebung für den Zeitraum vom 1. April 2007 bis zum 31. März 2010 sowie die Erstattungsforderung gemäß § 50 SGB X den Antragsgegner dazu berechtigten, die ursprünglich bewilligten Leistungen weiterhin nicht auszuzahlen. Die dagegen beim SG erhobene Klage des Antragstellers (Az.: S 3 AS 2265/10) hat nach dem Beschluss des Senats (vom 20. Oktober 2011, Az.: L 5 AS 224/11 B ER) insgesamt aufschiebende Wirkung.
Mangels vollstreckungsfähigen Inhalts der erteilten Anerkenntnisse konnten die begehrten vollstreckbaren Ausfertigungen nicht erteilt werden. Das SG hat zu Recht den dahingehenden Antrag abgelehnt. Es kann daher dahinstehen, ob für die Erteilung der begehrten Ausfertigungen gemäß § 198 Abs. 1 SGG iVm § 724 Abs. 2 ZPO der Urkundsbeamte des SG zuständig gewesen wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller und Beschwerdeführer begehrt die Erteilung von vollstreckbaren Ausfertigungen für angenommene Anerkenntnisse in sechs sozialgerichtlichen Klageverfahren.
Der Antragsteller bezieht vom Antragsgegner Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Der Antragsgegner senkte im Zeitraum von April 2007 bis April 2009 die Leistungsbewilligungen mehrmals durch Sanktionsbescheide nach § 31 SGB II a.F. ab und zahlte geringere als die ursprünglich bewilligten Leistungen an den Antragsteller aus.
Nach Durchführung der Widerspruchsverfahren erhob der Antragsteller jeweils Klage gegen die Sanktionsbescheide beim Sozialgericht Magdeburg (SG). In den Klageverfahren hob der Antragsgegner mit Schriftsätzen vom 10. August 2011 den jeweils streitbefangenen Sanktionsbescheid auf und stellte den Kläger klaglos. Im Einzelnen handelte es sich um folgende Klageverfahren:
S 3 AS 3065/08 (Sanktionsbescheid (B) vom 16. Oktober 2008, Widerspruchsbescheid (WB) vom 23. Oktober 2008, Minderung um (M) 100 % der Regelleistung, Sanktionszeitraum November 2008 bis Januar 2009); jetzt: L 5 AS 445/11 B.
S 3 AS 3075/08 (B vom 16. Oktober 2008, WB vom 24. Oktober 2008, M 50% der Regelleistung, Sanktionszeitraum November 2008 bis Januar 2009); jetzt: L 5 AS 446/11 B.
S 3 AS 385/09 (B vom 15. Januar 2009, WB vom 10. Februar 2009, M 20% der Regelleistung, Sanktionszeitraum Februar bis April 2009) jetzt: L 5 AS 447/11 B.
S 3 AS 2475/09 (B vom 26. Mai 2009, WB vom 9. Juli 2009, M 100% der Regelleistung, Sanktionszeitraum Juni bis August 2009); jetzt: L 5 AS 448/11 B.
S 3 AS 2485/09 (B vom 27. Juli 2009, WB vom 13. August 2009, M 100% der Regelleistung, Sanktionszeitraum September bis November 2009); jetzt: L 5 AS 449/11 B.
S 3 AS 3765/09 (B vom 21. September 2009, WB vom 2. Dezember 2009, M 100% der Regelleistung, Sanktionszeitraum von November 2009 bis Januar 2010); jetzt: L 5 AS 450/11 B.
Mit Schreiben vom 19. August 2011 wies das SG den Antragsteller darauf hin, der Antragsgegner habe durch die Aufhebung des jeweiligen Sanktionsbescheids den Klageanspruch anerkannt, und bat um Äußerung zur Annahme des Anerkenntnisses. Unter dem 24. August 2011 nahm der Antragsteller in jedem der Verfahren das Anerkenntnis an und bat darum, "das Anerkenntnis und dessen Annahme in einen Beschluss zu fassen". Unter dem 26. August 2011 führte das SG in den Klageverfahren aus, durch das angenommene Anerkenntnis sei der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Es bestehe kein Bedarf, die Erledigung des Rechtsstreits im Beschlusswege festzustellen.
Mit Schreiben vom 4. Oktober 2011 hat der Antragsteller in den Klageverfahren jeweils die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des von ihm angenommenen Anerkenntnisses des Beklagten beantragt. Er hat jeweils Beträge beziffert, die den Wert des Anerkenntnisses darstellen sollen. Ihm gehe es um die Vollstreckung der jeweiligen Geldleistungen. Er habe einen Rechtsanspruch auf die Erteilung der Ausfertigungen. Wenn eine Vollstreckung unmittelbar aus dem Anerkenntnis nicht möglich sei, habe das SG mit einer Beschlussfassung einen entsprechenden Vollstreckungstitel herzustellen, auch wenn dies nach § 101 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht vorgesehen sei. Er hat hierzu auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27. November 1980 (Az.: 5 RKn 11/80) Bezug genommen.
Mit Beschlüssen vom 24. Oktober 2011 hat das SG die Anträge auf Erteilung von vollstreckbaren Ausfertigungen abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, es mangele am Rechtsschutzbedürfnis, da den in den Verfahren abgegebenen Anerkenntnissen ein vollstreckungsfähiger Inhalt fehle. Wie gerichtliche Entscheidungen seien Anerkenntnisse nur dann vollstreckungsfähig, wenn sie eine Leistungsverpflichtung zum Inhalt hätten. Die Rücknahme der streitigen Sanktionsbescheide enthalte keine Leistungsverpflichtung. Eine solche könne sich allenfalls aus den zugrundeliegenden Bewilligungsbescheiden ergeben.
Dagegen hat der Antragsteller am 27. Oktober 2011 in allen Verfahren Beschwerde eingelegt. Er habe schon deshalb einen Leistungsanspruch aus den Anerkenntnissen, weil der Antragsgegner die Absenkung der Leistungen zurückgenommen habe, sodass aus der Bewilligung wieder ein Leistungsanspruch bestehe. Die erteilten Anerkenntnisse seien iSv § 101 Abs. 2 SGG vollstreckbar. Da Schriftsätze der Parteien keine ausreichende Vollstreckungsgrundlage seien, müsse im Beschlusswege der für die Vollstreckung der angenommenen Anerkenntnisse erforderliche Vollstreckungstitel hergestellt werden.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Beschlüsse des Sozialgerichts Magdeburg vom 24. Oktober 2011 aufzuheben und ihm jeweils eine vollstreckbare Ausfertigung des von ihm angenommenen Anerkenntnisses des Antragsgegners zu erteilen.
Der Antragsgegner hat sich zum Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Beratung des Senats.
II.
Die nach § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegten Beschwerden gegen die Entscheidungen des SG sind zulässig. Es liegt kein Fall des gesetzlich geregelten Beschwerdeausschlusses nach § 172 Abs. 2 und 3 SGG vor, so dass die Beschwerden nach § 172 Abs. 1 SGG statthaft sind. Es handelt sich um Rechtsbehelfe im Vollstreckungsverfahren zugunsten von Privatpersonen, bei denen gemäß § 198 Abs. 3 SGG an die Stelle der in der Zivilprozessordnung (ZPO) vorgesehenen sofortigen Beschwerde (§ 793 ZPO) die Beschwerde nach den §§ 172 bis 177 SGG tritt (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 198 RN 7).
Die Beschwerden sind jedoch unbegründet. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigungen gemäß § 198 Abs. 1 SGG iVm § 724 Abs. 1 und 2 sowie § 795 Satz 1 ZPO.
Für die Vollstreckung zugunsten natürlicher oder juristischer Personen des Privatrechts wird in § 198 Abs. 1 SGG auf das Achte Buch der ZPO, ausgenommen die Vorschriften über die vorläufige Vollstreckbarkeit sowie unter Beachtung der Sonderregelung in § 201 SGG, verwiesen.
§ 199 Abs. 1 SGG enthält für den Bereich des SGG eine abschließende Aufzählung der Vollstreckungstitel. Danach wird aus gerichtlichen Entscheidungen vollstreckt, soweit nach den Vorschriften dieses Gesetzes kein Aufschub eintritt (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Gerichtliche Entscheidungen in diesem Sinne sind alle Entscheidungen eines Gerichts der Sozialgerichtsbarkeit, also Urteile, Gerichtsbescheide und Beschlüsse. Vollstreckt wird außerdem aus Anerkenntnissen und gerichtlichen Vergleichen (§ 199 Abs. 1 Nr. 3 SGG). Dabei kommt ein Anerkenntnis als Vollstreckungstitel nur in Betracht, wenn es angenommen worden ist (vgl. Leitherer, a.a.O., § 198 RN 3a). Diese Voraussetzung liegt hier vor.
Vollstreckt werden kann aber aus Anerkenntnissen und Vergleichen – wie auch aus Urteilen – nur, wenn sie vollstreckbar sind. Das bedeutet, ein Anerkenntnis oder ein Vergleich muss einen vollstreckungsfähigen Inhalt haben (vgl. Krasney, Hdb SGG, XIII RN 17). Für die Vollstreckung kommen deshalb nur Leistungsurteile einschließlich der Verpflichtungsurteile in Betracht. Ob ein Urteil einen vollstreckungsfähigen Inhalt hat, richtet sich allein nach der Urteilsformel. Ggf. können zur Auslegung eines Tenors die Entscheidungsgründe herangezogen werden. Indes ist es nicht möglich, Inhalte, die nicht Gegenstand des Tenors sind, "zusätzlich" in den Vollstreckungstitel aufzunehmen. Dies gilt auch in Ansehung der hier begehrten Vollstreckungstitel aus den Anerkenntnissen.
Sie wurden jeweils auf eine Anfechtungsklage des Antragstellers gegen einen Sanktionsbescheid des Antragsgegners abgegeben. Aufgrund der Rücknahme des jeweils angefochtenen Bescheids durch den Antragsgegner bedurfte es keines gerichtlichen Urteils über die begehrte Kassation der umstrittenen Sanktionsbescheide mehr. Der Antragsgegner hatte der klageweise geltend gemachten Aufhebung der Sanktionsbescheide im Verfahren entsprochen. Diese Anerkenntnisse hatten – ebenso wie der entsprechender Tenor im Urteil über die Anfechtungsklage ("der Bescheid wird aufgehoben") – keinen vollstreckungsfähigen Inhalt.
Denn die Anfechtungsklage ist ein Sonderfall der Gestaltungsklage; mit ihr kann nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder dessen Abänderung beantragt werden. Ein entsprechendes Urteil beseitigt die Wirkungen dieses Hoheitsakts. Die rechtsgestaltende Wirkung tritt ein mit Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung (vgl. Leitherer, a.a.O. § 198 RN 3a), eines weiteren Vollzugsakts bedarf es nicht. Eine Vollstreckung ist nur wegen der Kosten möglich (vgl. Keller a.a.O., § 54 RN 3). Denselben Inhalt und dieselbe unmittelbar rechtsgestaltende Wirkung hat das angenommene Anerkenntnis im Anfechtungsklageverfahren; es bedarf keiner Vollstreckung.
Einen vollstreckungsfähigen Inhalt können nur Anerkenntnisse im Leistungs- oder Verpflichtungsklagebereich haben, die Zahlungs- oder sonstige Pflichten der Beteiligten begründen. Denn diese bedürfen einer Umsetzung durch Bescheid oder Realakt (Zahlung), der im Wege der Vollstreckung erzwungen werden kann. Einen derartigen Fall behandelt auch die vom Antragsteller zitierte Entscheidung des BSG (vom 27. November 1980, Az.: 5 RKn 11/80, juris RN); im Verfahren war ein geltend gemachter Rentenanspruch für einen bestimmten Zeitraum anerkannt worden. Das Anerkenntnis hatte einen vollstreckungsfähigen Inhalt. Diese Rechtsprechung kann nicht auf Anerkenntnisse im Anfechtungsfall ohne vollstreckungsfähigen Inhalt übertragen werden.
Die den Beschwerdeverfahren zu Grunde liegenden Anfechtungsklagen hatten sich aufgrund der Anerkenntnisse des Antragsgegners, die unmittelbar gestaltende Wirkung haben (Aufhebung der angegriffenen Bescheide) erledigt. Diese Aufhebung war der einzige Streitgegenstand der Anfechtungsklagen. Daher ist eine Vollstreckung aus den Anerkenntnissen ausgeschlossen.
Die Aufhebung der angegriffenen Sanktionsbescheide und damit auch die Anerkenntnisse haben nur eine mittelbare Auswirkung auf die vom Kläger aus dem Rechtsverhältnis zum Antragsgegner als SGB II-Leistungsträger geltend gemachten Sozialleistungsansprüche. Durch die Aufhebung der Sanktionsbescheide ist der Rechtsgrund für den Antragsgegner entfallen, die für die streitigen Sanktionszeiträume bestandskräftig bewilligten Leistungen nicht auszuzahlen bzw. einzubehalten. Grundsätzlich ist der Antragsgegner daher seit der Aufhebung der Sanktionsbescheide verpflichtet, die zunächst einbehaltenen Leistungen nachzuzahlen. Grundlage für diesen Zahlungsanspruch des Antragstellers sind die Bewilligungsbescheide. Diese sind jedoch selbst keine Vollstreckungstitel. Ausgehend vom Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung hat der Gesetzgeber eine entsprechende Kodifizierung nicht für erforderlich gehalten, weil er vorausgesetzt hat, dass sich die Träger öffentlicher Verwaltung an die rechtlichen Pflichten aus den von ihnen erteilten Bescheiden halten und diese ausführen.
Der Gesetzgeber hat (anders als für die Verwaltung in § 66 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X)) vollstreckungsrechtlich keine Möglichkeit für den Bürger vorgesehen, zu seinen Gunsten aus Bescheiden der Verwaltung zu vollstrecken. Dieser ist mangels entsprechender gesetzlicher Regelung darauf zu verweisen, im Fall der (rechtsgrundlosen) Verweigerung der Auszahlung bewilligter Leistungen im Klageweg mittels Zahlungs- oder Leistungsklage gegen die Behörde vorzugehen (vgl. Roos in von Wulffen: SGB X, 7. Aufl. 2010, § 66 RN 3; zur zweifelhaften Vollstreckbarkeit eines Anerkenntnisses dem Grunde nach beim Streit um rentenrechtliche Anrechnungszeiten: BSG, Urteil vom 12. Dezember 1979, Az.: 1 RA 91/78, juris RN 15). Eine Vollstreckung ist dann erst aus dem Urteil gegen die Behörde möglich.
Nach seinen Angaben in anderen Verfahren hat der Antragsteller bei dem SG bereits eine entsprechende Zahlungsklage (über 7.234,08 EUR, Az.: S 3 AS 3001/11) erhoben. Im Rahmen dieses Verfahrens wird dann zu beurteilen sein, ob die zwischenzeitlich durch den Antragsgegner verfügte, auf § 45 Abs. 2 Nr. 2 SGB X gestützte vollständige Leistungsaufhebung für den Zeitraum vom 1. April 2007 bis zum 31. März 2010 sowie die Erstattungsforderung gemäß § 50 SGB X den Antragsgegner dazu berechtigten, die ursprünglich bewilligten Leistungen weiterhin nicht auszuzahlen. Die dagegen beim SG erhobene Klage des Antragstellers (Az.: S 3 AS 2265/10) hat nach dem Beschluss des Senats (vom 20. Oktober 2011, Az.: L 5 AS 224/11 B ER) insgesamt aufschiebende Wirkung.
Mangels vollstreckungsfähigen Inhalts der erteilten Anerkenntnisse konnten die begehrten vollstreckbaren Ausfertigungen nicht erteilt werden. Das SG hat zu Recht den dahingehenden Antrag abgelehnt. Es kann daher dahinstehen, ob für die Erteilung der begehrten Ausfertigungen gemäß § 198 Abs. 1 SGG iVm § 724 Abs. 2 ZPO der Urkundsbeamte des SG zuständig gewesen wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
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