L 4 AS 199/11

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 15 AS 3410/10
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 199/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 27. Mai 2011 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Übernahme der Kosten für eine berufliche Weiterbildung (systemische Familientherapie).

Die 1960 geborene Klägerin erwarb im Jahr 2004 einen Abschluss in Sozialpädagogik. Sie ist hilfebedürftig und bezieht laufende Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Auf ihren Antrag bewilligte ihr der Beklagte im Dezember 2006 eine Weiterbildungsmaßnahme Systemische Familientherapie. Nach Ausschulung durch den Bildungsträger und einen zivilrechtlichen Erfolg der Klägerin in dieser Angelegenheit kam es am 22. Juni 2007 zu einer psychologischen Begutachtung über die Klägerin und schließlich zu einer Aufhebung der Bewilligung durch den Beklagen, die bestandskräftig wurde. Am 4. März 2008 beantragte die Klägerin erneut die Übernahme der Kosten einer Weiterbildungsmaßnahme Systemische Familientherapie.

Dies lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 1. April 2009 ab. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos. Im Klageverfahren wurde eine Stellungnahme des Psychologischen Dienstes der Agentur für Arbeit H. angefordert; dieser hat die Klägerin am 5. Juni 2009 erneut begutachtet und am 10. Juni 2009 ein Gutachten darüber erstellt. Eine Eignung als Familientherapeutin sei nicht erkennbar. Klage (Sozialgericht Hamburg, S 15 AS 1357/09) und Berufung (Landessozialgericht Hamburg, L 5 AS 172/10) blieben erfolglos.

Am 1. Mai 2010 beantragte die Klägerin erneut die Übernahme der Kosten einer Weiterbildungsmaßnahme (systemische Familientherapie). Dies lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 5. Mai 2010 und, aufgrund des Widerspruchs der Klägerin, Widerspruchsbescheid vom 17. August 2010 ab. Die in § 16 SGB II in Verbindung mit § 77 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) geforderten Voraussetzungen lägen nicht vor. Die Notwendigkeit der Förderung einer Weiterbildungsmaßnahme sei nicht gegeben. Die Teilnahme an der beantragten Bildungsmaßnahme würde die Integrationschancen der Klägerin nicht erhöhen, denn nach der Begutachtung sei sie nicht geeignet für die Weiterbildungsmaßnahme.

Hiergegen hat die Klägerin am 16. September 2010 Klage erhoben. Die ursprüngliche Bewilligung zeige die Notwendigkeit der angestrebten Maßnahme auch aus Sicht des Beklagten. Der Beklagte habe sein Ermessen nicht ausgeübt. Die unrechtmäßige Ausschulung habe ihr eine Eingliederungschance genommen. Die psychologische Begutachtung von 2007 sei wertlos.

Mit Gerichtsbescheid vom 27. Mai 2011 hat das Sozialgericht Hamburg die Klage abgewiesen. Fördervoraussetzung sei unter anderem eine positive Beschäftigungsprognose. Es müsse zu erwarten sein, dass die Eingliederungschancen nach Abschluss der Maßnahme erheblich verbessert seien, und es müsse die begründete Aussicht bestehen, dass dem Antragsteller infolge der Maßnahme ein angemessener Dauerarbeitsplatz verschafft werden könne. Hinsichtlich dieser Prognoseentscheidung steht dem Leistungsträger ein Beurteilungsspielraum zu, der seitens der Gerichte nur beschränkt überprüfbar ist. Nur wenn die (tatbestandlichen) Voraussetzungen nach § 77 Abs. 1 SGB III vorlägen, habe die Behörde auf der Rechtsfolgenseite ihr pflichtgemäßes Ermessen auszuüben, ob die Teilnahme an einer Maßnahme und, wenn ja, welche und in welchem Umfang, gefördert werde. Die von dem Beklagten getroffene Prognoseentscheidung weise keine Fehler auf. Der Beklagte habe seine Prognose nachvollziehbar begründet. Dies werde gestützt durch die Einschätzung des Psychologischen Dienstes der Agentur für Arbeit vom 10. Juni 2009, wonach die Klägerin nicht als Familientherapeutin geeignet sei. Dass sich die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid auf das Gutachten des Psychologischen Dienstes vom 22. Juni 2007 stütze, sei vor dem Hintergrund des psychologischen Gutachtens vom 10. Juni 2009 unerheblich, weil hierin festgestellt wird, "dass sich in der Persönlichkeit und dem Verhaltensrepertoire der Klägerin seit der letzten Begutachtung nichts geändert hat, was nun auf die Eignung einer Familientherapeutin hinweisen könnte". Beide Gutachten würde ihre Feststellungen auf einer nachvollziehbaren und plausiblen Tatsachengrundlage mit ebenso nachvollziehbarer und plausibler Begründung treffen. Es sei von der Klägerin nichts von Substanz hiergegen vorgebracht worden und auch sonst nichts ersichtlich, was das gefundene Ergebnis erschüttere. Im Übrigen stehe die Bewilligung der Maßnahme im Ermessen des Leistungsträgers. Eine Reduzierung des Ermessens auf Null könne nicht erkannt werden.

Dagegen hat die Klägerin am 1. Juni 2011 Berufung eingelegt. Sie wiederholt im Wesentlichen ihr Vorbringen erster Instanz.

Die Klägerin beantragt

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 27. Mai 2011 sowie die Bescheide vom 5. Mai 2010 und 17. August 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Kosten für ihre berufliche Weiterbildung (systemische Familientherapie) zu übernehmen.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf die Begründung des angefochtenen Gerichtsbescheides.

Durch Beschluss vom 12. Juli 2011 hat der Senat die Berufung nach § 153 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) dem Berichterstatter zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und der Leistungsakte des Beklagten sowie der Prozessakte L 5 AS 172/10 Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in der Besetzung mit dem Berichterstatter und zwei ehrenamtlichen Richtern verhandeln und entscheiden, weil das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid entschieden hat und der Senat durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen hat, der nach § 153 Abs. 5 SGG zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet. Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben.

Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Voraussetzungen einer Förderung der Weiterbildung sind nicht erfüllt.

Anspruchsgrundlage für die begehrte Eingliederungsleistung ist § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II in Verbindung mit § 77 Abs. 1 SGB III. Nach § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II können als Leistungen zur Eingliederung in Arbeit unter anderem alle im Sechsten Abschnitt des Vierten Kapitels des SGB III geregelten Leistungen erbracht werden. Soweit das SGB II für die einzelnen Leistungen keine abweichenden Voraussetzungen regelt, gelten für diese Leistungen die Voraussetzungen und Rechtsfolgen des SGB III mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Arbeitslosengeldes die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II treten.

Nach § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II in Verbindung mit § 77 Abs. 1 SGB III können erwerbsfähige Hilfebedürftige bei beruflicher Weiterbildung durch Übernahme der Weiterbildungskosten gefördert werden, wenn 1. die Weiterbildung notwendig ist, um sie bei Arbeitslosigkeit beruflich einzugliedern, eine ihnen drohende Arbeitslosigkeit abzuwenden oder weil bei ihnen wegen fehlenden Berufsabschlusses die Notwendigkeit der Weiterbildung anerkannt ist, 2. vor Beginn der Teilnahme eine Beratung durch die Agentur für Arbeit erfolgt ist und 3. die Maßnahme und der Träger der Maßnahme für die Förderung zugelassen sind.

Aus dem Wort "können" ist zu entnehmen, dass die Übernahme der Weiterbildungskosten im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten steht. Insoweit hat das SGB II nichts Abweichendes geregelt, wie sich aus der Verwendung des Wortes "kann" in § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II ergibt. Auch die hier in Rede stehende Übernahme der Kosten für eine berufliche Weiterbildung (systemische Familientherapie) steht somit im Ermessen des Beklagten. Ein Anspruch der Klägerin setzt demzufolge voraus, dass das Ermessen des Beklagten auf Null reduziert ist, also keine andere Entscheidung als die Bewilligung der Weiterbildung rechtmäßig ist.

Jedoch ist weder erkennbar, dass sie begehrte Weiterbildung notwendig zur Eingliederung der Klägerin ist, noch dass der Beklagte gezwungen ist, trotz des gesetzlich eingeräumten Ermessens die Weiterbildung zu bewilligen. Der Senat verweist insoweit nach § 153 Abs. 2 SGG auf die Begründung des angefochtenen Gerichtsbescheides, der er folgt.

Ergänzend und mit Blick auf die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung des Senats ist darauf hinzuweisen, dass sich aus der psychologischen Begutachtung der Klägerin vom 10. Juni 2009 ihre Nichteignung für die angestrebte Weiterbildung ergibt. Das Gespräch mit ihr sei nicht zu steuern; es gelinge nicht, mit ihr über ihr temperamentvolles und manchmal ausfallendes Verhalten zu sprechen. Zwischendurch verfalle sie in Klagen über jahrelange Benachteiligungen. Über Alternativen habe nicht gesprochen werden können. Dieser Befund hat sich auch mit dem Eindruck des Senats aus der mündlichen Verhandlung vom 3. Februar 2011 in dem Verfahren L 5 AS 172/10 gedeckt. Die Klägerin war, so ergibt es sich aus der Begründung des Urteils vom 3. Februar 2011, ausfallend, nicht zugänglich und außer Stande, über sich selbst und ihre Situation auch nur ansatzweise distanziert oder realistisch nachzudenken. Sie halte im Übrigen an der Begutachtung von 2007 und ihrer Kritik daran fest, ohne sich mit dem Umstand auseinandersetzen zu können, dass sich mit der Begutachtung aus dem Jahr 2009 eine neue Lage, aber für sie nichts Günstigeres ergeben habe. Wie bereits das Sozialgericht festgehalten habe, fehle es an jeglichem Ansatzpunkt für ein der Klägerin vorteilhafteres Bild; sie habe es insbesondere nicht vermocht, den Gutachten des Psychologischen Dienstes der Arbeitsagentur andere, günstigere Gutachten entgegenzusetzen. Letzteres gilt noch immer; auch in diesem Verfahren hat die Klägerin keinen Ansatzpunkt dafür geliefert, dass sie doch für die angestrebte Weiterbildung geeignet sein könnte.

Aus dem Umstand, dass ihr vor Jahren die begehrte Weiterbildung bewilligt wurde, vermag die Klägerin rechtlich nichts mehr herzuleiten. Die damalige Bewilligung wurde bestandskräftig aufgehoben und die Eignung der Klägerin für die Weiterbildung ist erst nachfolgend – wie ausgeführt – durchgreifend in Zweifel gezogen worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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