S 4 RA 152/03

Land
Mecklenburg-Vorpommern
Sozialgericht
SG Neubrandenburg (MVP)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Neubrandenburg (MVP)
Aktenzeichen
S 4 RA 152/03
Datum
2. Instanz
LSG Mecklenburg-Vorpommern
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Ist § 70 Abs 2 S 2 SGB VI iVm Anl 2b SGB VI idF des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1999 - RRG 1999) vom 16.12.1997 (BGBl I 1997, 2998) mit Art 3 Abs 1 GG vereinbar?


2. Az. des BVerfG: 1 BvL 9/08
1. Das Verfahren wird erneut ausgesetzt. 2. Der Rechtsstreit wird gemäß Art. 100 GG dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt, um zu prüfen, ob § 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI in der Fassung des Rentenreformgesetzes vom 16. Dezember1997 (BGBl. I S. 2998) gegen das Grundgesetz verstößt.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Höhe des der Klägerin zustehenden Altersrentenanspruchs, konkret um die Bewertung von Kindererziehungszeiten bei gleichzeitigen Pflichtbeitrags-zeiten wegen abhängiger Beschäftigung.

Die im Februar 1938 geborene Klägerin bezieht auf ihren Antrag vom 26. November 2002 aufgrund Bescheides der Beklagten vom 9. Januar 2003 seit dem 1. März 2003 eine Re-gelaltersrente der gesetzlichen Rentenversicherung. Der Rentenzahlbetrag betrug anfänglich 1.436,26 EUR (Monatsrente in Höhe von 1.592,22 EUR abzüglich Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung). Der Rentenberechnung hat die Beklagte 70,1420 persönliche Entgeltpunkte (Ost) zugrundegelegt.

Im Versicherungsverlauf der Klägerin hat die Beklagte für die Erziehung der beiden Söhne der Klägerin, J, geboren am März 1970, und R, geboren am Januar 1972, gemäß § 249 SGB VI die der Klägerin zugeordneten Kindererziehungszeiten im Sinne von § 56 SGB VI jeweils für die zwölf Monate nach Ablauf des Monats der Geburt berücksichtigt (April 1970 bis März 1971 und Februar 1972 bis Januar 1973).

Bei der Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte der Klägerin für die vorgenannten Kindererziehungszeiten hat die Beklagte berücksichtigt, dass die Klägerin zugleich versicherungspflichtige Entgelte aus abhängiger Beschäftigung als Ärztin (beitragspflichtige Entgelte und vom Versorgungsträger mitgeteilte Entgelte nach dem AAÜG) erzielt hat, welche bereits zu 1,3260 persönlichen Entgeltpunkten für den Zeitraum April 1970 bis März 1971 und zu 1,2627 persönlichen Entgeltpunkten für den Zeitraum Februar 1972 bis Januar 1973 führen.

Anstelle von weiteren 0,0833 persönlichen Entgeltpunkten für jeden Monat der Kindererziehungszeiten, die sich aus der Anwendung des ersten Teils von § 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI ergeben hätten, wurden die persönlichen Entgeltpunkte gemäß § 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI i.V.m. den sich aus der Anlage 2b zum SGB VI ergebenden Höchstwerten (Jahres-Höchstwert für 1970: 1,6188; für 1971: 1,5270; für 1972: 1,5427 und für 1973: 1,5086) begrenzt.

Diese Begrenzung wirkte sich in den Zeiträumen Juni 1970 bis März 1971 und März 1972 bis Januar 1973 (mithin in 21 Monaten) derArt. aus, dass anstelle von möglichen 1,7493 persönlichen Entgeltpunkten für Kindererziehungszeiten lediglich 0,1847 persönliche Entgeltpunkte berücksichtigt wurden. In den Monaten Juli bis Dezember 1970 wurden effektiv keine persönlichen Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten berücksichtigt, da im Versicherungskonto bereits für Entgeltpunkte aus Pflichtbeiträgen aus abhängiger Beschäftigung der (monatliche) Höchstwert der Anlage 2b des SGB VI ausgeschöpft war. Für die Monate April und Mai 1970 sowie Februar 1972, für welche mangels Entgelt aus Beschäftigung keine Entgeltpunkte für andere Beitragszeiten gespeichert sind, wurden die Kindererziehungszeiten hingegen voll mit monatlich 0,0833 persönlichen Entgeltpunkten berücksichtigt.

Durch die Begrenzungsregelung sind der Klägerin im Ergebnis 1,5646 persönliche Entgeltpunkte "entgangen". Ihre Kindererziehungszeiten wurden im Ergebnis mit lediglich 0,4346 statt mit 1,9992 persönlichen Entgeltpunkten (Ost) berücksichtigt. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entgeltpunkt-Ermittlung wird auf Blatt 29 Rückseite und 30 der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Mit ihrem am 3. Februar 2003 gegen den Rentenbescheid erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, die gewährte Rente entspreche ihrer Lebensleistung nicht hinreichend, zumal sie während ihrer beruflichen Tätigkeit als Ärztin auch noch zwei Kinder großgezogen habe. Sie rügt eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu einer kinderlosen Ärztin. Gegen den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 30. April 2003, welchen die Beklagte dahingehend begründete, dass bei der Rentenberechnung alle nachgewiesenen und unwidersprochenen rentenrechtlichen Zeiten entsprechend den gesetzlichen Vorschriften berücksichtigt worden seien, hat die Klägerin am 19. Mai 2003 die vorliegende Klage erhoben, mit welcher sie ihr Anliegen weiterverfolgt.

Nachfolgende Änderungsbescheide, die gemäß § 96 SGG Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens geworden sind, berühren aufgrund Änderung des aktuellen Rentenwertes bzw. des Beitragssatzes zur Krankenversicherung lediglich den Rentenzahlbetrag, nicht jedoch die persönlichen Entgeltpunkte.

Die Klägerin beantragt:

Der Bescheid der Beklagten vom 09.01.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2003 sowie der Änderungsbescheid vom 13.05.2004 werden dahingehend abgeändert, dass bei der Rentenberechnung Kindererziehungszeiten für die Erziehung des am 03.1970 geborenen Sohnes J und des am 01.1972 geborenen Sohnes R ohne Beachtung der Begrenzungsregelung des § 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI berücksichtigt werden.

Die Beklagte beantragt:

Die Klage wird abgewiesen.

Sie beruft sich auf die zutreffende Anwendung der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften.

Die Kammer hat das Verfahren erstmals mit Beschluss vom 11. September 2008 ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung gemäß Art. 100 Abs. 1 GG vorgelegt. Auf den Hinweis des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) auf den von der vorlegenden Kammer bis dahin nicht berücksichtigten Nichtannahmebeschluss der 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG vom 29. August 2007 (1 BvR 858/03) erfolgte am 23. Juli 2009 eine ergänzende Stellungnahme des damaligen Vorsitzenden der vorlegenden Kammer. Mit Beschluss vom 25. November.2009 (1 BvL 9/08) wies die 2. Kammer des 1. Senats des BVerfG die Vorlage als unzulässig zurück, da sich die Vorlage nicht hinreichend mit der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG auseinandersetze und das vom Vorsitzenden Richter der vorlegenden Kammer vom 23. Juli 2009 verfasste Schreiben nicht geeignet sei, die Begründungsmängel zu beseitigen, weil eine erforderliche Ergänzung eines Vorlagebeschlusses durch Beschluss und in der für die Entscheidung über den Vorlagebeschluss vorgeschriebenen Besetzung erfolgen müsse.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer setzt das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) erneut aus und legt dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vor, ob § 70 Abs. 2 Satz 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist.

Die Entscheidung der Beklagten beruht hinsichtlich der Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten auf § 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI in der Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Reform der Gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1999) vom 16. Dezember 1997, BGBl. I 2998 (3003).

Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift hat die Beklagte zutreffend die Entgeltpunkte für Pflichtbeiträge aus abhängiger Beschäftigung nur so weit erhöht, bis die Höchstwerte der Anlage 2b zum SGB VI erreicht wurden, was zu der oben dargelegten Begrenzung der an sich möglichen insgesamt 1,9992 Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten auf 0,4346 Entgeltpunkte und für Teilzeiträume dazu führt, dass der Klägerin keinerlei Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten bei gleichzeitiger Beschäftigung angerechnet werden (Juli bis Dezember 1970) bzw. nur in so geringer Höhe, dass sie faktisch keine Wirksamkeit entfalten (0,0001 Entgeltpunkte für den Zeitraum Januar bis März 1971).

Im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut von § 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sieht die Kammer keine Möglichkeit, die Regelung anders als in der von der Beklagten praktizierten Weise auszulegen. § 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI in der seit dem 1. Juli 1998 geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform der Gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1999 - RRG 1999) vom 16. Dezember 1997, BGBl. I 2998 (3003) hat folgenden Wortlaut:

Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten sind auch Entgeltpunkte, die für Kindererziehungszeiten mit sonstigen Beitragszeiten ermittelt werden, indem die Entgeltpunkte für sonstige Beitragszeiten um 0,0833 erhöht werden, höchstens um die Entgeltpunkte bis zum Erreichen der jeweiligen Höchstwerte nach Anlage 2b.

Durch den letzten Satzteil (höchstens um die Entgeltpunkte bis zum Erreichen der jeweiligen Höchstwerte nach Anlage 2b) verbietet sich eine Erhöhung der Entgeltpunkte für sonstige Beitragszeiten um volle 0,0833, wenn hierdurch die Höchstwerte nach Anlage 2b überschritten werden. Neben dem Wortlaut steht der vom Gesetzgeber ausdrücklich formulierte Wille einer Erhöhung über die Höchstwerte der durch Art. 1 Nr 131 RRG 1999 eingeführten Anlage 2b entgegen. In der Begründung zum Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, BT-Drucks 13/8011 vom 24.06.1997, heißt es insoweit auf S. 67:

"Die Anlage stellt sicher, dass die zusätzlichen Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten auf die Zahl an Entgeltpunkten begrenzt werden, die bei einer Beitragszahlung bis zur Beitragsbemessungsgrenze höchstens erreichbar ist."

Es lässt sich danach festhalten, dass das Begehren der Klägerin, die Tatsache ihrer Kindererziehungsleistung bei der Rentenberechnung in größerem Maße zu berücksichtigen, nur Erfolg haben kann, wenn die Begrenzungs-Regelung des § 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI i.V.m. Anlage 2b zum SGB VI verfassungswidrig und deshalb nicht anzuwenden ist. Ohne die Annahme der Verfassungswidrigkeit wäre die ansonsten zulässige Klage mangels Begründetheit abzuweisen, zumal abgesehen von dem hier problematisierten Zusammentreffen von Kindererziehungszeiten mit Pflichtbeiträgen aus Beschäftigung Unrichtigkeiten oder "Ungerechtigkeiten" bei der Rentenberechnung weder konkret vorgetragen noch sonst ersichtlich sind.

Die Kammer ist der Überzeugung, dass § 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI i.V.m. Anlage 2b zum SGB VI verfassungswidrig ist, weil die Begrenzungs-Regelung gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Die zutreffenden Erwägungen, die das BVerfG in seiner Entscheidung vom 12. März 1996, 1 BvR 609/90, 1 BvR 692/90 (BVerfGE 94, 241) angestellt hat, gelten vollumfänglich auch für die hier anzuwendende Gesetzeslage.

Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber zwar nicht jede Differenzierung verwehrt. Der Gleichheitssatz will aber ausschließen, dass eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art. und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten, BVerfGE 55, 72, seither ständige Rechtsprechung. In gleicher Weise kann der Gleichheitssatz verletzt sein, wenn für die gleiche Behandlung verschiedener Sachverhalte - bezogen auf den in Rede stehenden Sachbereich und seine EigenArt. - ein vernünftiger, einleuchtender Grund fehlt (vgl. BVerfGE 90, 226).

§ 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI i.V.m. Anlage 2b zum SGB VI führt zu einer ungleichen Behandlung verschiedener Personengruppen insoweit, als sich Kindererziehungszeiten nicht bei allen Versicherten gleich günstig auf die Rente auswirken. Sie benachteiligt diejenigen Versicherten, die während des ersten Lebensjahres (bei ab 1992 geborenen Kindern während der ersten drei Lebensjahre) ihres Kindes die Solidargemeinschaft durch die Entrichtung von Beiträgen zur Rentenversicherung unterstützt, die auf versicherungspflichtige Entgelte entfallen, welche (abhängig vom anzuwenden Jahreshöchstwert) in den Jahren von 1970 und 1995 oberhalb von ca. 50 % und ca. 85 % des Durchschnittsentgelts (Bezugsgröße) liegen. Sobald ein Versicherter während der Kindererziehungszeit ein beitragspflichtiges Entgelt erzielt, das zu Entgeltpunkten oberhalb des Wertes der Differenz aus dem jeweiligen (monatlichen) Höchstwert und 0,0833 führt, werden seine Kindererziehungszeiten nicht mehr in gleicher Weise berücksichtigt wie bei einem Versicherten mit geringerem oder ohne beitragspflichtigem Entgelt. Erreicht sein Einkommen gar die aktuelle Beitragsbemessungsgrenze, findet seine Kindererziehungsleistung im Rahmen der Rentenbemessung überhaupt keine Würdigung mehr. Hier lässt sich dann zudem eine Gleichbehandlung mit Versicherten mit gleichem Verdienst feststellen, die daneben keine Kinder erziehen.

Der Wert der Kindererziehung für den Bestand und die Funktion des gesetzlichen Rentenversicherungssystems "wird aber nicht dadurch geschmälert oder gar aufgehoben, dass die Erziehungsperson während der Zeit der ersten Lebensphase des Kindes einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen ist oder nachgeht", BVerfGE 94, 241.

Die Kindererziehung ist neben der Zahlung von Beiträgen eine der beiden unabdingbaren Säulen für das umlagefinanzierte Rentenversicherungssystem, BVerfGE 87, 1. Ohne "nachwachsende" Beitragszahler könnte das System auf Dauer nicht existieren. Die von den aktuellen Beitragszahlern erworbenen Rentenanwartschaften ("Vorleistungen" im Sinne der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG) könnten nicht mehr vergolten werden. Die in der Kindererziehung liegende Leistung eines Versicherten stellt daher im Rahmen der Gleichheitsbetrachtung einen Faktor von erheblicher Bedeutung dar. Ihre Entwertung durch Berechnungsvorschriften bedarf nach Auffassung der Kammer eines sachlichen Grundes von erheblichem eigenen Gewicht.

Ein solcher Grund von erheblichem eigenen Gewicht ist nach Auffassung der Kammer weder der Rechtsprechung des BSG noch dem Nichtannahmebeschluss der 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG vom 29. August 2007, 1 BvR 858/03, nicht zu entnehmen.

In diesem Beschluss wird darauf abgestellt, dass die Höchstwerte nach Anlage 2b zum SGB VI sicher stellen, dass auch nach Hinzurechnung von Entgeltpunkten für Kindererziehungszeiten die Summe der Entgeltpunkte insgesamt auf die Zahl begrenzt wird, die bei einer Beitragszahlung bis zur Beitragsbemessungsgrenze höchstens erreichbar ist (vgl. BTDrucks 13/8011, S. 67). "Die Begrenzung der Beitragspflicht gehörte von Beginn an zu den Grundprinzipien der gesetzlichen Rentenversicherung. Bis zur Einführung der Beitragsbemessungsgrenze durch die Rentenreformgesetze des Jahres 1957 sorgten dafür die so genannten Beitragsklassen und in der Rentenversicherung für Angestellte die Jahresarbeitsverdienstgrenze als Versicherungspflichtgrenze (vgl. Schmidt in: Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 3, 1999, § 49 Rn. 167). Dadurch wird nicht nur die Beitragsbelastung für Versicherte mit hohen Einkommen begrenzt und das Gewicht des Eingriffs in die allgemeine Handlungsfreiheit durch die Zwangsversicherung gemindert (vgl. BVerfGE 29, 231 (236)). Mit der Beschränkung des in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherbaren Arbeitsentgelts kommt der Beitragsbemessungsgrenze noch eine weitere Funktion als "Leistungsbemessungsgrenze" zu (vgl. Ruland in: Ruland (Hrsg.), Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung, 1990, Kapitel 19 Rn. 28). Sie erhält den Renten grundsätzlich ihre existenzsichernde Funktion und gewährleistet zugleich die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Rentenversicherung (vgl. BVerfGE 100, 1 (40 f)). Aus diesem Grunde hat das Bundesverfassungsgericht auch die Verfassungsmäßigkeit des § 6 Abs. 1 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) vom 25. Juli 1991 (BGBl I S. 1606, 1677) bejaht, der eine Berücksichtigung der in der Deutschen Demokratischen Republik erzielten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen in der gesamtdeutschen Rentenversicherung nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze vorsieht." (BVerfG, 1 BvR 858/03).

Damit beschränkt sich die Begründung für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der festgestellten Ungleichbehandlung auf die Erläuterung der Funktion der Beitragsbemessungsgrenze, wobei die Beitragsbemessungsgrenze mit der Höchstwertbegrenzung in unzulässiger Weise gleichgesetzt wird. Dass der Beitragsbemessungsgrenze neben der Begrenzung der Belastung der Beitragszahler auch die Aufgabe zukommt, die versicherbaren Entgelte und damit die resultierenden Leistungen in ihrer Höhe zu begrenzen, trifft zwar zu, anders verhält es sich indes bei der hier zur Überprüfung gestellten Höchstwertbegrenzung des § 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI i.V.m. Anlage 2b.

Der Höchstwertbegrenzung kommt anders als der Beitragsbemessungsgrenze stets und ausschließlich die Funktion einer Leistungsgrenze zu. Durch die Höchstwertbegrenzung findet der Wert der Kindererziehung ggf. keinerlei Berücksichtigung mehr. Die Leistungen werden in diesen Fällen genauso bemessen wie bei kinderlosen Versicherten, obwohl die Betroffenen neben den vollen Beiträgen einen zusätzlichen Beitrag durch die Kindererziehung geleistet haben und damit auch höher belastet waren als kinderlose Beitragszahler, bei denen als Ausgleich für die Beitragsbemessungsgrenze in ihrer Funktion als Leistungsgrenze auch die Beiträge begrenzt sind. Dies widerspricht den vom BVerfG in der Entscheidung vom 12. März 1996 (1 BvR 609/90, 1 BvR 692/90) aufgestellten Grundsätzen, dass nämlich der Wert der Kindererziehung für die Rentenversicherung nicht dadurch geschmälert oder gar aufgehoben wird, dass die Erziehungsperson während der Zeit der ersten Lebensphase des Kindes einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen ist und diese Zeiten somit in der Rentenversicherung zu berücksichtigen sind, wenn auch nicht notwendig durch das additive Modell.

Der Beschluss vom 29. August 2007, 1 BvR 858/03, folgt in seiner knappen Argumentation der Rechtsprechung des 4. Senats des Bundessozialgerichts (B 4 RA 46/01 R vom 7. Dezember 2002, B 4 RA 47/02 R vom 30. Januar 2003 und B 4 RA 36/05 R vom 18. Mai 2006). Dieser Rechtsprechung vermag die vorlegende Kammer ebenso wie Lenze, jurisPR-SozR 22/2006 Anm. 3 zu B 4 RA 36/05 R, nicht zu folgen.

In allen drei genannten Entscheidungen begründet der 4. Senat seine Auffassung, die Höchstwertbegrenzung stelle keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung dar, in erster Linie damit, dass systemimmanente Zwänge dem Gesetzgeber gar keine andere Möglichkeit ließen, ohne das Gesamtsystem der gesetzlichen Rentenversicherung zu sprengen: "Die gegebene Ungleichbehandlung ist in der gesetzlichen Rentenversicherung unvermeidbar und daher gerechtfertigt."

Dabei setzt auch der 4. Senat des BSG die für die Beitragsbelastung der Versicherungspflichtigen ebenso wie für beitragsabhängige Rentenanwartschaften maßgebliche Beitragsbemessungsgrenze (§§ 157, 159, 260 SGB VI) mit den Höchstwerten der Anlage 2b gleich.

"Der Höchstwert aus der - gebotenen - Addition der erlangten Rangstellenwerte ist wegen der (in der Anlage 2b SGB VI ausgestellten) Maßgeblichkeit der Beitragsbemessungsgrenze stets durch Gesetz vorgegeben. ( ...) Die Maßgeblichkeit der BBG, die in den jährlichen Höchstwerten an EP der Anl 2b zum SGB VI ausgestaltet ist, ist nicht verfassungswidrig."

§ 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI enthalte daher bereits "keine justiziable Norm des Außenrechts" im Verhältnis zwischen Versicherten und Rentenversicherer sondern sei bloße Verwaltungsvorschrift, die die Maßgeblichkeit der Beitragsbemessungsgrenze auch beim Zusammentreffen von Kindererziehungszeiten mit anderen Beitragszeiten klarstelle. Ansprüche der Versicherten könnten daher von vornherein nur in den Grenzen der Beitragsbemessungsgrenze be- und entstehen. Ein Verdienst oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze sei schlechthin versicherungsrechtlich nicht relevant; er könne nach Belieben zu einer zusätzlichen Vorsorge in anderer Form verwandt werden.

Nach Auffassung der vorlegenden Kammer übersieht der 4. Senat und im Anschluss daran auch die 3. Kammer des 1. Senates des BVerfG im bereits genannten Nichtannahmebeschluss bei dieser Argumentation, dass den Höchstwerten der Anlage 2b zwar im rechnerischen Ergebnis die gleiche Funktion wie die Beitragsbemessungsgrenze bei der Begrenzung der in einem bestimmten Zeitrahmen maximal erzielbaren Entgeltpunkte ("Gesamt-Rangstellenwerte") zukommt, ohne jedoch auch die Beitragsbelastung im gleichen Maße einzuschränken. Der Senat arbeitet in seiner Entscheidung selbst die einzelnen Funktionen der Beitragsbemessungsgrenze (Belastbarkeits-, Versicherungsschutz- und Leistungsgrenze) heraus, stellt bei der Prüfung eines möglichen Verfassungsverstoßes dann jedoch einzig auf die Versicherungsschutz- und Leistungsgrenze ab.

Da jedoch auch bei gleichzeitigen Kindererziehungszeiten das erzielte Entgelt (bis zur Beitragsbemessungsgrenze) der Beitragspflicht unterliegt, beschränkt sich die Wirkung der Höchstwerte der Anlage 2b auf die Leistungsseite, lässt die Beitragsseite indes anders als die Beitragsbemessungsgrenze völlig unberührt. Es handelt sich daher keineswegs um bloße, für das wirtschaftliche und rechtliche Ergebnis irrelevante "Rechnerei", ob die Entgeltpunkte aus Kindererziehungszeiten zum "Sockelbetrag" erklärt und die Entgeltpunkte aus Pflichtbeiträgen aus beitragspflichtigem Einkommen sodann (bis zur Beitragsbemessungsgrenze) hinzuaddiert werden, oder ob - wie vom Gesetz tatsächlich angeordnet und von der Kammer zu prüfen - zu den Entgeltpunkten aus abhängiger Beschäftigung Entgeltpunkte aus Kindererziehungszeiten (bis zu den Höchstwerten der Anlage 2b) hinzuaddiert werden. Im ersteren Falle wären die auf das Entgelt entrichteten Pflichtbeiträge konsequenterweise als zu Unrecht entrichtet anzusehen und gemäß § 26 SGB IV zu erstatten, soweit sie einem über der Beitragsbemessungsgrenze (unter Berücksichtigung eines Einkommensäquivalents für die Kindererziehung in Höhe der Bezugsgröße) liegenden Einkommen entsprechen. Die Tatsache der Kindererziehung erführe eine Kompensation durch eine Entlastung der erziehenden Versicherten auf der Beitragsseite. Die vom Gesetzgeber hingegen gewählte Methode verweigert einerseits diese Kompensation, gewährt andererseits aber keinerlei Vorteile auf der Leistungsseite. Richtig an der Argumentation des 4. Senats ist in diesem Zusammenhang allein, dass die soeben erörterte, mit einer Beitragsentlastung einhergehende Gesetzeskonstellation im Rahmen von Art. 100 GG nicht entscheidungserheblich weil nicht Verfahrensgegenstand ist.

Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal zur Höchstwertbegrenzung nach Anlage 2b wird umso deutlicher durch die vom 4. Senat herausgestellte Funktion der Beitragsbemessungsgrenze dahingehend, dass der sie übersteigende Einkommensteil "nach Belieben zu einer zusätzlichen Vorsorge in anderer Form verwandt werden" könne. Es erschließt sich der Kammer daher in keiner Weise, aus welchen Gründen der Senat der Tatsache keine verfassungsrechtliche Bedeutung zumessen möchte, dass den von § 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI i.V.m. Anlage 2b zum SGB VI betroffenen Versicherten, deren Einkommen voll verbeitragt wurde, diese anderweitige Verwendung für eine zusätzliche Vorsorge gerade nicht offensteht.

Nicht nur aus diesem Grund ist es keineswegs richtig, dass § 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI eine lediglich klarstellende Funktion hätte. Ohne die hier ausdrücklich normierte Begrenzung könnten die weiteren Vorschriften des SGB VI, die die Beitragsbemessungsgrenze regeln, die volle Addition von Entgeltpunkten aus Beiträgen und Entgeltpunkten wegen Kindererziehungszeiten keineswegs beschränken. Jene Vorschriften beziehen sich von vornherein ausschließlich auf die für die Beitragsentrichtung maßgebliche Bemessungsgrundlage (§§ 157, 159, 161, 163 ff, 181 f, 209 SGB VI). Anders als die von der Kammer für verfassungswidrig gehaltene Vorschrift des § 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI i.V.m. der Anlage 2b kommt ihnen eine leistungsbegrenzende Wirkung nur mittelbar zu. Primär verhindern die genannten Vorschriften, dass noch höhere Beiträge gezahlt, also unzumutbar hohe "Vorleistungen" erbracht werden. Den bis zur Beitragsbemessungsgrenze entrichteten Beiträgen stehen hingegen im vollen Umfang entsprechende Leistungsansprüche der Versicherten gegenüber. Genau dies ist im hier zu entscheidenden Fall gerade nicht gegeben. Dem Gesetz lässt sich mithin entgegen der Auffassung des BSG und der 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG eine ausnahmslos geltende "Leistungsbemessungsgrenze", die quasi als systemimmanenter Zwang umfassende Geltung verlangte, überhaupt nicht entnehmen. Allein "die Begrenzung der Beitragspflicht gehörte von Beginn an zu den Grundprinzipien der gesetzlichen Rentenversicherung". Dass damit traditionell eine Leistungsbegrenzung als rein rechnerische Folge einherging, trifft zwar zu, lässt sich nach der Überzeugung der Kammer aber nicht als Rechtfertigung für eine (teilweise oder vollständige) Nichtberücksichtigung von Kindererziehungsleistungen heranziehen.

Wenn die Höchstwertbegrenzung aber nicht in zulässiger Weise mit der Beitragsbemessungsgrenze gleichgesetzt werden kann, beschränkt sich der von der 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG angenommene sachliche, die Ungleichbehandlung rechtfertigende Grund auf die mit der Höchstwertbegrenzung verbundene Kostenersparnis der Rentenversicherer. Diese Ersparnis kann nach Auffassung der vorlegenden Kammer die auch von der 3. Kammer des Ersten Senats festgestellte Ungleichbehandlung jedoch nur dann rechtfertigen, wenn es tatsächlich "im System der gesetzlichen Rentenversicherung ( ...) zur Maßgeblichkeit der Beitragsbemessungsgrenze als Belastbarkeits- (!), Versicherungsschutz- und Leistungsgrenze keine verfassungsgemäße Alternative" gäbe, wie der 4. Senat des BSG in seiner Entscheidung B 4 RA 36/05 R angenommen hat, wenn also die Höchstwertbegrenzung zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung unabdingbar ist.

Dieser Annahme ist jedoch deutlich zu widersprechen. Wie auch das BSG in B 4 RA 36/05 R selbst ausführt, werden die "Beiträge" für Kindererziehungszeiten gemäß § 177 Abs. 1 SGB VI vom Bund gezahlt, ob dies in pauschalisierter Form (§ 177 Abs. 2 SGB VI) oder - de lege ferenda - entsprechend den aktuell jeweils zu zahlenden Entgeltpunkten geschieht, kann an dieser Stelle dahinstehen. Jedenfalls liegt es auf der Hand, dass die aus der Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten die Rentenversicherer treffenden Zahlungsverpflichtungen ohnehin außerhalb des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung steuerfinanziert werden. Nach den aktuell vorliegenden Zahlen ist es im Gegenteil so, dass die jährlichen Beiträge des Bundes für Kindererziehungszeiten die auf Kindererziehungszeiten entfallenden Leistungen deutlich übersteigen. So betrugen die Beiträge des Bundes im Jahr 2010 11,637 Milliarden Euro (Rentenversicherung in Zeitreihen 2011, S. 227), während bei einem Bestand am 31. Dezember 2010 von insgesamt 8.684.908 Renten mit Entgeltpunkten für Kindererziehung ein durchschnittlicher monatlicher Rentenzahlbetrag von 56,04 Euro auf Kindererziehungszeiten entfiel (Statistik der Deutschen Rentenversicherung "Rentenbestand am 31. Dezember 2010" Band 182, S. 23) Das entspricht einem jährlichen Gesamtbetrag von lediglich 5,840 Milliarden Euro. Die Beiträge des Bundes lagen damit annähernd doppelt so hoch wie die Leistungen. Nach der gleichen Quelle wurden zum Stichtag 31. Dezember 2010 von allen deutschen Rentenversicherern 2.276.366 Renten gezahlt, bei denen Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten begrenzt wurden. Bei durchschnittlich 2,24 berücksichtigten Kindern und dem o.g. durchschnittlichen monatlichen, auf Kindererziehungszeiten entfallenden Betrag von 56,04 Euro und einem Rentenwert von 27,20 Euro kann man davon ausgehen, dass die Ersparnis infolge der Höchstwertbegrenzung je Rentenfall durchschnittlich ca. 5 Euro monatlich beträgt. Die Gesamtersparnis für alle Rentenversicherer lässt sich somit auf jährlich ca. 140 Millionen Euro schätzen.

Eine Gefährdung der Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung ist vor diesem Hintergrund nicht zu befürchten.

Wenn nach der zutreffenden und bislang keineswegs aufgegebenen Rechtsprechung des Ersten Senats des BVerfG in BVerfGE 94, 241 der Wert der Kindererziehung für die Rentenversicherung nicht dadurch geschmälert oder gar aufgehoben wird, dass die Erziehungsperson während der Zeit der ersten Lebensphase des Kindes einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen ist, und die für die rentenrechtliche Honorierung der Erziehungsleistung erforderlichen Gegenleistungen außerhalb des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung steuerfinanziert werden, kann es nicht mit genuin rentenrechtlichen Instrumenten wie der (unmittelbar keineswegs anwendbaren) Beitragsbemessungsgrenze gerechtfertigt werden, dass im Einzelfall die Kindererziehung allein wegen der gleichzeitigen Erwerbstätigkeit der Erziehungsperson eben doch unberücksichtigt bleibt.

Dass hiermit darüber hinaus quasi ein Einfallstor für eine generelle Aufweichung der Beitragsbemessungsgrenze für weitere Fallgruppen des Zusammentreffens unterschiedlicher rentenrechtlicher Zeiten geöffnet würde, womit das System der gesetzlichen Rentenversicherung insgesamt drohte, gesprengt zu werden, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Neben den durch eigene Beitragsleistungen (bis zur Beitragsbemessungsgrenze) erworbenen Anwartschaften und denjenigen aufgrund von Kindererziehungszeiten sind keine Tatbestände von renten- und verfassungsrechtlich vergleichbarem, weil für die Rentenversicherung konstitutivem Gewicht erkennbar, die für eine derartige Fallgruppe in Betracht kämen. Hierzu sei lediglich auf den Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 09. Januar 2006 bezüglich anderweitiger beitragsfreier bzw. beitragsgeminderter Zeiten (1 BvR 756/96) verwiesen.

Vorliegend handelt es sich entgegen der Darstellung der 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG im Nichtannahmebeschluss vom 29. August 2007, 1 BvR 858/03 auch um eine grundlegend andere Situation als bei der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 6 Abs. 1 AAÜG i. V. m. Anlage 3, der eine Berücksichtigung der in der ehemaligen DDR erzielten Entgelte bei den SGB VI-Renten nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze vorsieht. Zum einen wurde diese Wirkung durch die Zahlbetragsgarantie abgemildert, zum anderen findet hier die Beitragsbemessungsgrenze systemgerecht auf Anwartschaften Anwendung, die aufgrund beitragspflichtiger Entgelte erworben wurden. Zugleich bleibt der Bezug zur persönlichen Arbeitsleistung (in Grenzen) gewahrt. Schließlich haben die in der DDR gezahlten Beiträge, anders als die Erziehungsleistung zu keinem Zeitpunkt zur Finanzierung des bundesdeutschen Rentenversicherungssystems beigetragen. Verfassungsrechtliche Bedeutung haben sie allein durch die Überführung im Rahmen des Einigungsvertrages und nur in dem dort vorgesehenen Umfang gewonnen, nicht jedoch wie die Kindererziehungszeiten durch ihre für die gesetzliche Rentenversicherung konstitutive Bedeutung. Schließlich war, bezogen auf mögliche Verletzungen von Art. 3 Abs. 1 GG, der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Herstellung der Rechts-einheit in der gesetzlichen Rentenversicherung und der Überführung der im Beitrittsgebiet erworbenen Ansprüche und Anwartschaften besonders weit, BVerfGE 100, 1.

Einen verfassungswidrigen Gleichheitsverstoß hat allerdings auch der 13. Senat des BSG in seiner Entscheidung B 13 RJ 22/05 R vom 12.12.2006 verneint. Anders als der 4. Senat des BSG und die 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG begründet der 13. Senat des BSG seine Entscheidung nicht in erster Linie damit, die in der Höchstwertbegrenzung liegende Ungleichbehandlung sei im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung unvermeidbar und damit gerechtfertigt, auch wenn diese Argumentation im Rahmen der Prüfung eines Verstoßes gegen Art. 14 GG anklingt. Vielmehr argumentiert der 13. Senat dahingehend, dass die geltende Regelung zum Einen eine bedeutende Verbesserung im Vergleich zur vorangegangenen (vom BVerfG in BVerfGE 94, 241 verworfenen) darstelle, womit sie sachgerecht sei, zum Anderen damit, dass sich der Gesetzgeber damit habe begnügen können, "die Betroffenen in dem Maße zu begünstigen, wie sie nicht bereits zuvor aus eigenen Kräften (sei es mit freiwilligen Beiträgen oder mit Pflichtbeiträgen aufgrund Beschäftigung) die Beitragsbemessungsgrenze ausgeschöpft hatten." Von der in seinem Urteil zur Pflegeversicherung (BVerfGE 103, 242, 1 BvR 1629/94 vom 03. April 2001) aufgestellten Forderung nach der Berücksichtigung des "generativen Beitrags" der Kindererziehung auch in den anderen Zweigen des Sozialversicherungssystems sei das BVerfG wieder abgerückt, was durch Verweis auf BVerfGE 109, 96 (1 BvR 558/99 vom 09.12.2003) begründet wird.

Auch dieser Argumentation vermag die vorlegende Kammer nicht zu folgen.

Zunächst ist es für die Frage der Rechtfertigung der Ungleichbehandlung durch die aktuelle gesetzliche Regelung ohne Bedeutung, ob eine nicht mehr anwendbare gesetzliche Regelung für eine noch größere Versichertengruppe zu verfassungswidrig ungleichen Ergebnissen geführt hat. Auch kann aus der Tatsache einer Verbesserung nicht auf die Sachgerechtheit des Ergebnisses geschlossen werden. Schließlich ist nach den wiederholten und zutreffenden Ausführungen des BVerfG die Begründung für das Gebot der rentenrechtlichen Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten nicht in "sozialfürsorgerischen" Erwägungen zu suchen, wie sie in der Entscheidung des 13. Senats als (nicht ausreichend) anklingen. Vielmehr ist es die "bestandssichernde Bedeutung der Erziehungsleistung" für das umlagefinanzierte Rentenversicherungssystem, die "die Bewertung von Kindererziehungszeiten grundsätzlich unabhängig vom persönlichen Versicherungsverlauf des Erziehenden" rechtfertigt (BVerfG vom 09. Januar 2006, 1 BvR 756/96) und nach Auffassung der Kammer verfassungsrechtlich gebietet. Im Übrigen kann eine fehlende "sozialfürsorgerische" Notwendigkeit der Bewertung von Kindererziehungszeiten mit dem Durchschnittseinkommen im Falle der Einführung einer solchen Bewertung nicht deren gleichheitswidrige Ausgestaltung rechtfertigen.

Das Vorliegen eines Sicherungsdefizits ist jedoch nach der Rechtsprechung des BVerfG gerade nicht der gesetzgeberische Grund für die Einführung der Kindererziehungszeiten, in welcher näheren Ausgestaltung auch immer. Die von der vorlegenden Kammer geteilte Auffassung des BVerfG kommt in der bereits zitierten Entscheidung aus 1996 (BVerfGE 94, 241) klar zum Ausdruck:

"Der Gesetzgeber hat ( ...) nicht hinreichend berücksichtigt, dass der in der Kindererziehung liegende Wert für die Allgemeinheit und für die Rentenversicherung nicht davon abhängt, ob der erziehende Elternteil auf eine entsprechende Bewertung seiner Kindererziehungszeit angewiesen ist oder in dieser Zeit auf Seiten der Erziehungsperson ein Sicherungsdefizit bestimmten Umfangs wegen der Entrichtung eigener Beiträge nicht vorliegt. Der Wert der Kindererziehung für die Rentenversicherung wird nicht dadurch geschmälert oder gar aufgehoben, dass die Erziehungsperson während der Zeit der ersten Lebensphase des Kindes einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen ist oder nachgeht."

Noch im Nichtannahmebeschluss vom 09. Januar 2006, 1 BvR 756/96, heißt es in aller Klarheit: "Der in der Kindererziehung liegende Wert für die Allgemeinheit und für die Rentenversicherung hängt nicht davon ab, in welchem Umfang auf Seiten der Erziehungsperson ein Sicherungsdefizit eingetreten ist".

Eine Änderung dieser verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist - für die allgemeine Rentenversicherung - demnach keineswegs erkennbar, sieht man einmal von dem gemäß §93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG nur mit knapper Begründung versehenen Nichtannahmebeschluss vom 29. August 2007, 1 BvR 858/03, ab. Die vom 13. Senat des BSG herangezogene Entscheidung zur landwirtschaftlichen Alterssicherung (BVerfGE 109, 96) stellt jedenfalls gerade keine Abkehr von dieser Rechtsprechung dar, was daran deutlich wird, dass das BVerfG ausdrücklich auf die Besonderheiten der landwirtschaftlichen Alterssicherung abstellt.

Im Rahmen der Prüfung von Art. 3 GG verweist das BVerfG vorrangig auf die im Vergleich zur Pflegeversicherung (und zur gesetzlichen Rentenversicherung) bereits fehlende "Mindestgeschlossenheit des Systems". Wegen der zurückgehenden Versichertenzahlen sei die Kindererziehung kein konstitutives Element für die bereits heute weitgehend steuerfinanzierte landwirtschaftliche Alterssicherung. Weil zudem Zeiten der Kindererziehung dem Ehegatten des Landwirts Zugang zur gesetzlichen Rente verschafften und überdies auch im Rahmen der landwirtschaftlichen Alterssicherung auf die Wartezeit angerechnet würden, bleibe die Erziehungsleistung des Landwirtsehegatten bei dessen Alterssicherung im Ergebnis nicht unberücksichtigt; seltene Ausnahmefälle seien im Rahmen einer generalisierenden Regelung hinzunehmen.

Eine Übertragung dieser Entscheidung des BVerfG zur landwirtschaftlichen Alterssicherung auf das System der allgemeinen Rentenversicherung ist damit ausgeschlossen.

Im Ergebnis vermag die Kammer als einzigen "Grund" für die Ungleichbehandlung die sinngemäße Anwendung der Beitragsbemessungsgrenze auch auf die hier streitigen Fälle des vom Gesetzgeber grundsätzlich additiv ausgestalteten Zusammentreffens von Entgeltpunkten aus sonstigen Beitragszeiten und aus Kindererziehungszeiten zu erkennen. Die Kammer kann dieser allein finanziellen Erwägung jedoch kein solches Gewicht beimessen, dass sie die Ungleichbehandlung im Lichte von Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen würde.
Rechtskraft
Aus
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