L 8 AL 16/12 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AL 3481/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AL 16/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 7. Dezember 2011 aufgehoben. Der Klägerin wird für das Klageverfahren beim Sozialgericht Karlsruhe S 5 AL 3481/11 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung gewährt und ihr Rechtsanwalt M., B., beigeordnet.

Außergerichtliche Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist im Hauptsacheverfahren die Bewilligung von Berufsausbildungsbeihilfe streitig.

Die 1986 geborene, ledige Klägerin beantragte unter dem 11.05.2011 bei der Agentur für Arbeit B. (AA) die Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe für eine Ausbildung zur Sport- und Fitnesskauffrau. Mit Bescheid vom 11.07.2011 entsprach die AA dem Antrag der Klägerin nicht, da ihr die für ihren Lebensunterhalt und für ihre Berufsausbildung erforderlichen Mittel (anrechenbares eigenes Einkommen und aus dem Jahreseinkommen 2009 ermitteltes Einkommend des Vaters) zur Verfügung stünden. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 14.07.2011 Widerspruch ein. Sie machte zur Begründung geltend, dass ihre Eltern hoch verschuldet seien und kaum Geld für den eigenen Lebensunterhalt hätten, weshalb es den Eltern nicht möglich sei, sie finanziell zu unterstützen. Mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.2011 wies die AA den Widerspruch zurück.

Hiergegen erhob die Klägerin am 15.08.2011 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage, mit dem Ziel, ihr Berufsausbildungsbeihilfe, hilfsweise Vorausleistungen nach § 72 SGB III, zu gewähren. Gleichzeitig beantragte sie die Gewährung von Prozesskostenhilfe. Sie machte zur Begründung geltend, sie könne den Bedarf nicht durch eigene Mittel decken, da sie von ihrem Vater in keiner Weise unterstützt werde. Weder der Vater noch ihre Mutter seien leistungsfähig. Die Klägerin legte zum Beleg ihres Vorbringens Unterlagen vor (Zahlungserinnerungen, Vollstreckungsbescheid, Ratenzahlungsvereinbarungen, Mahnungen und einen Mahnbescheid).

Mit Schreiben vom 21.09.2011 übersandte die AA der Klägerin (durch ihren Prozessbevollmächtigten) Erklärungsvordrucke zur Vorausleistung von Berufsausbildungsbeihilfe. Diese Vordrucke reichte die Klägerin ausgefüllt und von ihr unterschrieben mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 24.10.2011 am 26.10.2011 an die AA zurück. Am 08.11.2011 wurden die Eltern der Klägerin von der AA als Unterhaltspflichtige angehört.

Mit Urteil vom 05.12.2011 wies das SG die Klage ab. Das SG führte zur Begründung seiner Entscheidung aus, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe, da der Gesamtbedarf der Klägerin in Höhe von monatlich 609,50 EUR hinsichtlich des zu berücksichtigenden eigenen Einkommens in Höhe von monatlich 363,33 EUR und der Berücksichtigung von Einkommen ihres Vaters in Höhe von monatlich 255,42 EUR gedeckt sei. Die Verbindlichkeiten der Eltern könnten nicht abgezogen werden. Die Klägerin habe auch nicht nachgewiesen, dass sie gegenüber ihren Eltern keinen Unterhaltsanspruch habe. Der hilfsweise gestellte Antrag auf Vorausleistung sei unzulässig. Voraussetzung einer Leistungsklage sei, dass die Behörde bereits über die streitige Leistung entschieden habe. Zwar umfasse der Antrag auf Berufsausbildungsbeihilfe im Zweifel auch einen Antrag auf eine Vorausleistung. Die Vorausleistung setze jedoch ein eigenständiges Verwaltungsverfahren, insbesondere die Anhörung der Eltern des Auszubildenden, voraus. Das Anhörungsverfahren sei mittlerweile beendet. Eine Entscheidung der Beklagten über die Vorausleistung sei indes noch nicht ergangen. Vor diesem Hintergrund sei die hilfsweise erhobene Leistungsklage zum gegenwärtigen Zeitpunkt unzulässig.

Mit Beschluss vom 07.12.2011 lehnte das SG außerdem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren ab. Nach dem Urteil vom 05.12.2011 liege keine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage vor.

Gegen den dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 22.12.2011 zugestellten Beschluss hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten am 28.12.2011 Beschwerde eingelegt. Außerdem hat die Klägerin am 05.12.2011 gegen das Urteil des SG vom 05.12.2011 Berufung eingelegt (L 8 AL 15/12 ). Sie hat zur Begründung vorgetragen, ein gesonderter Antrag bezüglich der Gewährung von Vorausleistungen sei nicht erforderlich. Ihr Antrag vom Mai 2011 umfasse auch eine eventuelle Vorausleistung. Die Beklagte sei jetzt erst dazu übergegangen, einen Anspruch auf Vorausleistung zu prüfen, obwohl sie das Verwaltungsverfahren bezüglich ihres Antrages vom Mai 2011 bereits abgeschlossen habe. Ansprüche auf Vorausleistung hätten bereits im Antragsverfahren und im Widerspruchsverfahren berücksichtigt werden müssen. Separate Anträge seien nicht zu stellen. Dies werde auch von der Beklagten so gesehen, da die Beklagte durch Versendung des Auskunftsbogen im September 2011 aufgrund ihres Antrages vom Mai 2011 wegen einer Vorausleistung aktiv geworden sei. Mit Bescheid vom 11.07.2011 sei sowohl der Antrag auf Berufsausbildungsbeihilfe als auch der Antrag auf Vorausleistung abgelehnt worden. Der Ablehnungsbescheid vom 11.07.2011 und der Widerspruchsbescheid vom 20.07.2011 seien rechtswidrig, da die beantragte Vorausleistung nicht thematisiert und auch nicht begründet worden sei. Die Überprüfung einer Vorausleistung im Verwaltungsverfahren hätte erfolgen müssen. Das SG habe in unzulässiger Weise beide Antragsverfahren vermischt.

Im Berufungsverfahren hat die Beklagte mit Bescheid (ohne Datum) der Klägerin auf ihren Antrag vom 11.05.2011 für die Zeit vom 01.05.2011 bis 31.10.2012 Berufsausbildungsbeihilfe in Höhe von monatlich 246 EUR unter Aufhebung des Bescheides vom 11.07.2011 (ohne Anrechnung des Einkommens des Vaters) bewilligt. Außerdem hat die Beklagte mit Überleitungsanzeige vom 27.01.2011 (richtig: 2012) gegenüber dem Vater der Klägerin übergegangene Unterhaltsansprüche in Höhe von monatlich 246 EUR geltend gemacht.

Wegen Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf ein Band Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig und begründet. Der angefochtene Beschluss des SG, mit dem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Klage abgelehnt worden ist, war aufzuheben.

Ein Rechtsschutzinteresse der Klägerin besteht fort, obgleich das (erstinstanzliche) Verfahren, für das PKH begehrt wird, beendet ist, denn eine anwaltliche Vertretung lag für die Dauer des Klageverfahrens vor.

Ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält gemäß § 73a SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Außerdem wird dem Beteiligten auf Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (§ 121 Abs. 2 ZPO).

Diese Voraussetzungen sind erfüllt, denn die Klage der Klägerin hat zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags am 01.09.2011 (Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse) entgegen der Ansicht des SG hinreichende Aussicht auf Erfolg geboten. Eine hinreichende Erfolgsaussicht für die Rechtsverfolgung ist gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt der Klägerseite auf Grund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest vertretbar halten und in tatsächlicher Hinsicht mindestens von der Möglichkeit der bestätigenden Beweisführung überzeugt sein kann. Eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage reicht aus (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 73a, RdNr. 7, 7a). Eine vorweggenommene Beweiswürdigung ist in den verfassungsrechtlichen Grenzen zulässig und geboten (Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 32. Auflage, § 114 RdNrn. 3 und 4). Damit ist die Erfolgsaussicht bereits dann zu bejahen, wenn der Ausgang des Verfahrens zumindest offen ist.

Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Dem SG ist allerdings darin zuzustimmen, dass der Klägerin bei einem monatlichen Gesamtbedarf in Höhe von 609,50 EUR unter Anrechnung ihres eigenen Einkommens in Höhe von monatlich 363,33 EUR und des Einkommens ihres Vaters in Höhe von monatlich 255,42 EUR ein Anspruch auf Ausbildungsbeihilfe nicht zustehen könnte, da durch dieses Einkommen ihr Gesamtbedarf gedeckt ist, wie das SG im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt hat.

Die angefochtene Ablehnung der Ausbildungsbeihilfe unter Berücksichtigung des Einkommens des Vaters der Klägerin erschien nach dem Klagevorbringen gleichwohl nicht gänzlich aussichtslos, denn der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hatte in der Klagebegründung vorgetragen, weder der Vater noch die Mutter der Klägerin seien leistungsfähig.

Nach § 71 Abs. 5 Satz 2 1. Alternative SGB III ist Einkommen nicht anzurechnen, wenn ein Unterhaltsanspruch nicht besteht. Nach der Rechtsprechung des BSG (zur vergleichbaren Vorgängervorschrift des § 40 Abs. 1 AFG), auf die sich das SG im Urteil vom 05.12.2011 gestützt hat, ist zwar förderungsrechtlich grundsätzlich lediglich die Prüfung erforderlich, ob überhaupt ein Unterhaltsrechtsverhältnis zu Gunsten des Auszubildenden besteht, das heißt, ob nach objektivem Recht - abstrakt - das Bestehen eines bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruchs in Betracht kommt, was bei der Klägerin zu bejahen ist. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn der bürgerlich-rechtliche Unterhaltsanspruch des Auszubildenden nach objektivem Recht offensichtlich ausgeschlossen ist (vgl. BSGE, Urteil vom 23.06.1981 - 7 RAR 6/80 -, SozR 4100 § 40 Nr. 26).

Vorliegend bestanden nach dem Klagevorbringen der Klägerin ausnahmsweise hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass ein bürgerlich-rechtlicher Unterhaltsanspruch der Klägerin insbesondere gegen ihren Vater nach objektivem Recht wegen fehlender Leistungsfähigkeit (vergleiche Petzold in Hauck/Noftz, SGB IIIK § 71 RdNr. 19) offensichtlich ausgeschlossen sein könnte. Nach dem Klagevorbringen der Klägerin hätten ihre Eltern beide die eidesstattliche Versicherung vor dem Amtsgericht abgegeben, es bestehe eine völlige Überschuldung, ein vermeintliches Einkommen des Vaters könne nicht angerechnet werden. Familienbedingte Schulden bleiben zu Lasten des Unterhaltsberechtigten bei der Frage der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten gemäß § 1603 BGB nicht unberücksichtigt; Unterhaltsansprüche haben gegenüber anderen Verbindlichkeiten des Unterhaltsschuldners keinen Vorrang (vgl. Palandt, BGB, 71. Auflage, RdNr. 7, 8; Bäumel in Bäumel/Büte/Poppen, Unterhaltsrecht, BGB § 1603 RdNr. 31). Aufgrund dieses Vorbringens wäre deshalb zur Aufklärung, ob der Anrechnung von Einkommen des Vaters nach § 71 Abs. 5 Satz 2 SGB III ein fehlender Unterhaltsanspruch entgegensteht, weitere Ermittlungen von Amts wegen angezeigt gewesen. Nach diesem Vorbringen war nämlich nicht auszuschließen, dass infolge Vollstreckungsmaßnahmen der Gläubiger, insbesondere Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse aktuelles Einkommen nicht oder nur bis zur gesetzlichen Pfändungsfreigrenze vorhanden ist und daher nach § 1603 Abs. 1 BGB mangels Leistungsfähigkeit ein Unterhaltsanspruch der nicht mehr im Haushalt der Eltern wohnenden, über 21 Jahre alten Klägerin nicht besteht, was den Wegfall des Unterhaltsanspruchs offensichtlich machen könnte und vom SG ausnahmsweise zu beachten gewesen wäre. Erst wenn die weiteren Ermittlungen von Amts wegen ergeben hätten, dass ein bürgerlich-rechtlicher Unterhaltsanspruch der Klägerin nach objektivem Recht nicht offensichtlich ausgeschlossen ist, hätte es der Klägerin oblegen, zu belegen, dass eine Unterhaltspflicht ihrer Eltern nach zivilrechtlichen Maßstäben nicht besteht, etwa durch ein Urteil des Familiengerichts (vgl. hierzu z.B. Stratmann in Niesel, SGB III, § 71 RdNr. 16; Schmidt in Eicher/Schlegel, SGB III, § 71 RdNr. 112). Damit waren der Klage - jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Antrages der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren - hinreichende Erfolgsaussichten zuzusprechen.

Ob der Ansicht des SG im angefochtenen Urteil zu folgen ist, dass der von der Klägerin hilfsweise gestellte Antrag auf Vorausleistung von Berufsausbildungsbeihilfe nach § 72 SGB III unzulässig sei, kann damit offen bleiben.

Nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Klägerin sind Monatsraten nicht zu erbringen.

Auch die Vertretung durch einen Rechtsanwalt war erforderlich (§ 121 Abs. 2 ZPO).

Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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