L 12 AL 194/11 NZB

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AL 1097/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 194/11 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 8. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin macht einen Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 1. bis 4. Dezember 2009 geltend.

Die 1957 geborene Klägerin meldete sich am 2. September 2009 mit Wirkung zum 1. Dezember 2009 arbeitslos, nachdem das befristete Arbeitsverhältnis bei der A. GmbH & Co.KG bis 30. November 2009 verlängert worden war. Am 2. Dezember 2009 reichte die Klägerin persönlich bei der Beklagten eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein, die von der Allgemeinmedizinerin Z. am 30. November 2009 für den Zeitraum 30. November bis 4. Dezember 2009 ausgestellt worden war. Nach Hinweis auf das Erfordernis einer erneuten persönlichen Arbeitslosmeldung nach Genesung sprach die Klägerin am 7. Dezember 2009, einem Montag, erneut bei der Beklagten vor. Mit Bescheid vom 16. Dezember 2009 bewilligte die Beklagte der Klägerin Alg ab 5. Dezember 2009 bis 3. März 2011 mit einem täglichen Leistungssatz von 35,71 EUR.

Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass ihr auch für die Zeit vom 1. bis 4. Dezember 2009 Alg zustehe. Krankengeld sei für diesen Zeitraum von der Krankenkasse abgelehnt worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und verwies darauf, dass die Klägerin wegen Arbeitsunfähigkeit den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit nicht zur Verfügung gestanden habe. Die Verfügbarkeit könne auch nicht nach § 126 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) fingiert werden, da der erste Tag der Arbeitsunfähigkeit vor Beginn der Arbeitslosigkeit gelegen habe.

Mit ihrer am 22. März 2010 zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie sei auch im streitigen Zeitraum verfügbar gewesen und hätte eine neue Arbeitsstelle sofort ab 1. Dezember 2009 aufgenommen.

Das SG hat die Allgemeinmedizinerin Z. schriftlich als sachverständige Zeugin befragt. Diese hat in ihrer Stellungnahme vom 8. Oktober 2010 angegeben, die Krankschreibung vom 30. November 2009 sei wegen Dysthymia erfolgt. Die Klägerin habe in der Sprechstunde angegeben, sie habe 3 kg zugenommen und ganz geschwollene Beine, weshalb eine Überweisung zu einem Phlebologen erfolgt und eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt worden sei. Diese sei im Hinblick auf die vorherige Tätigkeit ausgestellt worden, ob die Klägerin für andere leichte Tätigkeiten arbeitsfähig gewesen sei, sei seinerzeit nicht beleuchtet worden. Sodann hat das SG im Erörterungstermin vom 24. November 2010 in der Zeit von 8:30 bis 9:22 Uhr die Klägerin persönlich angehört und Vergleichsverhandlungen geführt. Mit Einverständnis der Beteiligten hat das SG sodann mit Urteil vom 8. Dezember 2010 ohne mündliche Verhandlung entschieden und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, es bestünden erhebliche Zweifel an der objektiven Verfügbarkeit als Voraussetzung für den Anspruch auf Alg. Die sachverständige Zeugenaussage der Allgemeinmedizinerin Z. führe nicht weiter, als sie am 30. November 2009 die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bezogen auf die zuletzt ausgeübte körperlich schwere Beschäftigung ausgestellt habe und zur weiteren Entwicklung keine Angaben machen könne, da sie die Klägerin erst am 8. Dezember 2009 wieder gesehen habe. Zweifel an der Verfügbarkeit bestünden insoweit, als die Klägerin die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erst am 2. Dezember 2009 abgegeben habe, wozu es keinen Grund gegeben hätte, wenn sie sich nicht mehr arbeitsunfähig gefühlt hätte. Die Klägerin habe auch teilweise widersprüchliche Angaben gemacht, wohl auch weil sie sich nicht mehr richtig erinnern könne. Am 2. Dezember 2009 habe sie ihre Beine wohl wickeln müssen, was dafür spreche, dass ihre Wegefähigkeit wegen der Beinödeme und ihre Einsatzfähigkeit als ungelernte Arbeiterin erheblich eingeschränkt gewesen sei. Die Zweifel des Gerichts gingen mit den Angaben der Klägerin konform, die - betreffend die subjektive Verfügbarkeit - angegeben habe, sie hätte unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten (Medikamente, Hilfe von Nachbarn) zum 1. Dezember 2009 versucht, eine neue Arbeit anzutreten, wäre sie ihr angeboten worden. Danach sei auch die Klägerin selbst von einer erheblichen körperlichen Einschränkung über den 30. November 2009 hinaus ausgegangen.

Gegen das ihrem Bevollmächtigen am 14. Dezember 2010 zugestellte Urteil richtet sich die am 14. Januar 2011 eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin. Die Entscheidung des SG leide an einem Verfahrensmangel. Das SG habe gegen die Pflicht verstoßen, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären; es hätte die Ärztin hinsichtlich der Einsatzfähigkeit der Klägerin vernehmen müssen. Es könne keinesfalls angehen, dass die Vorderrichterin selbst für zwei Tage die Einsatzfähigkeit annehme und bei Ausschlagen des Vergleichs urplötzlich von der fehlenden Einsatzfähigkeit ausgehe. Darüber hinaus habe die Richterin die Klägerin teilweise auch durch Übergehen des Bevollmächtigten eingehend befragt und zum Teil das Fragerecht des Bevollmächtigten beschnitten, so dass der Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt sei.

Die Beklagte ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegen getreten und hat ausgeführt, das SG habe den Sachverhalt von Amts wegen erforscht, eine Vernehmung der Ärztin als Zeugin sei nicht zwingend erforderlich. Dass versucht worden sei, eine vergleichsweise Einigung herbeizuführen, sei nicht zu beanstanden. Es sei Sache der Beteiligten, hierauf einzugehen oder nicht. Abschließend werde darauf hingewiesen, dass der Klägerin nicht vier Tage ihres Leistungsanspruchs verloren gegangen seien, lediglich der Anspruchsbeginn habe sich verschoben.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die gemäß § 145 Abs. 1 Sätze 1 und 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist zwar zulässig (§ 145 Abs. 1 SGG), jedoch nicht begründet, weil die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung nicht gegeben sind.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des SG oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts (LSG), wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 EUR nicht übersteigt. Dies gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (Satz 2 a.a.O.). Beide Voraussetzungen sind hier nicht gegeben; weder stehen wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr im Streit, noch ist die erforderliche Berufungssumme in Anbetracht des Beschwerdewerts von insgesamt 142,84 EUR erreicht. Das SG hat die Berufung im angefochtenen Urteil auch nicht zugelassen, sodass sie der Zulassung durch das LSG bedurft hätte. Eine solche Zulassung kommt vorliegend nicht in Betracht.

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung nur zuzulassen, wenn (1.) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder (2.) das Urteil von einer Entscheidung des LSG, des Bundessozialgerichts (BSG), des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder (3.) ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1.) Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn ihre Entscheidung über den Einzelfall dadurch an Bedeutung gewinnt, dass die Einheit und Entwicklung des Rechts gefördert wird oder dass für eine Anzahl ähnlich liegender Fälle die notwendige Klärung erfolgt (so die ständige Rechtsprechung des BSG seit BSGE 2, 129, 132). Die Streitsache muss mit anderen Worten eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwerfen, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern; die entscheidungserhebliche Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein (vgl. BSG SozR 1500 § 160a Nr. 60; SozR 3-1500 § 160a Nr. 16; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 144 Rdnrn. 28 f.; § 160 Rdnrn. 6 ff. (jeweils m.w.N.)). Die Frage, ob eine Rechtssache im Einzelfall richtig oder unrichtig entschieden ist, verleiht ihr noch keine grundsätzliche Bedeutung (vgl. BSG SozR 1500 § 160a Nr. 7). Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im oben dargestellten Sinn stellen sich hier nicht, dies wird von der Klägerin auch nicht geltend gemacht.

(2.) Eine Abweichung der Entscheidung des SG von einer Entscheidung eines der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte (Divergenz) liegt nicht vor und wird von der Klägerin auch nicht behauptet.

(3.) Ein Verfahrensfehler, auf dem die Entscheidung beruhen kann, liegt ebenfalls nicht vor. Soweit die Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG gerügt wird, müssen auch die Tatsachen, die den Mangel ergeben, genau bezeichnet werden (vgl. BSG SozR 1500 § 150 Nr. 11). Erforderlich sind konkrete Angaben dazu, welche zusätzlichen Ermittlungen das Gericht hätte anstellen, welche Beweismittel es hätte einsetzen müssen und zu welchen Ergebnissen diese Ermittlungen geführt hätten (vgl. BSG SozR 4-2600 § 4 Nr. 2 Rdnr. 35). Die vom Bevollmächtigen der Klägerin gerügte unterbliebene Vernehmung der Ärztin Z. als Zeugin zur Frage der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin im Zeitraum 1. bis 4. Dezember 2009 bezogen auf leichte Tätigkeiten würde indes nur dann eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes bedeuten, wenn das SG sich zu entsprechenden Ermittlungen aus seiner Sicht hätte gedrängt fühlen müssen (vgl. BSG SozR Nr. 187 zu § 162 SGG; SozR 1500 § 160 Nr. 5). Dies war hier indes nicht der Fall. Bereits in ihrer schriftlichen Zeugenaussage hat Frau Z. ausgeführt, dass sie die Klägerin am 30. November und dann erst wieder am 8. Dezember 2009 gesehen und damals nicht geprüft habe, ob Arbeitsfähigkeit für andere Tätigkeiten bestehe. Weiteren Ermittlungsbedarf sieht auch der Senat diesbezüglich nicht. Das SG konnte sich insoweit im Ergebnis auch unter Verwertung der eigenen Aussagen der Klägerin und des Verlaufs insgesamt nicht von der objektiven Verfügbarkeit der Klägerin im Zeitraum 1. bis 4. Dezember 2009 überzeugen. Wenn der Bevollmächtigte der Klägerin dies angreift - insbesondere im Hinblick auf den im Erörterungstermin noch gemachten Vergleichsvorschlag - betrifft dies letztlich eine Frage der Beweiswürdigung. Ein Verfahrensmangel kommt in diesem Bereich indes nur in Betracht bei Verstoß gegen allgemeine Bewertungsmaßstäbe, Denkgesetze oder Erfahrungssätze (vgl. BSGE 47, 180 = SozR 2200 § 1301 Nr. 8; BSGE 88, 96, 100 = SozR 3-3800 § 2 Nr. 10 S. 47). Derartiges ist hier nicht ersichtlich. Schließlich hat der Bevollmächtigte der Klägerin auch keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt, über den das SG hätte entscheiden müssen

Die Rüge, das SG habe das allgemeine Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren verletzt, ist nicht hinreichend dargelegt. Der aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie Art 6 Abs. 1 Satz 1 Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) abgeleitete Anspruch auf ein faires Verfahren ist nur verletzt, wenn grundlegende Rechtsschutzstandards wie das Gebot der Waffengleichheit zwischen den Beteiligten, das Übermaßverbot (Gebot der Rücksichtnahme) gegenüber Freiheitsrechten und das Verbot von widersprüchlichem Verhalten oder Überraschungsentscheidungen nicht gewahrt werden (vgl. Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 78, 123,126; BVerfG SozR 3-1500 § 161 Nr. 5; BSG SozR 3-1500 § 112 Nr. 2).

Die direkte Befragung der Klägerin durch die Vorsitzende beim SG im Erörterungstermin entspricht § 106 Abs. 2 Satz 7 SGG, auch wenn eine eigentliche Parteivernehmung im sozialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehen ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 106 Rdnr. 15; § 103 Rdnr. 12). Inwieweit der Bevollmächtigte von der Vorsitzenden in seinem Fragerecht eingeschränkt worden sein will, hat er nicht vorgetragen. Aus der Niederschrift zum Erörterungstermin vom 24. November 2010 ergibt sich, dass er zahlreiche Fragen gestellt und Vorhalte gemacht hat. Was darüber hinaus noch hätte gefragt werden sollen,, vom SG aber unterbunden worden sein soll, erschließt sich nicht und wird vom Bevollmächtigten auch nicht konkretisiert. Schließlich liegt auch keine unzulässige Überraschungsentscheidung vor. Nach Erteilung der Zustimmung zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch die Beteiligten (§ 124 Abs. 2 SGG) war klar, dass eine weitere Beweisaufnahme durch das SG nicht erfolgen würde. Es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (vgl. BSG SozR 3-1500 § 112 Nr. 2 und SozR 3-1500 § 153 Nr. 1).

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG). Das angefochtene Urteil vom 8. Dezember 2010 wird hiermit rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).
Rechtskraft
Aus
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