Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 33 VJ 1/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 VJ 5/08
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Im Rahmen der Prüfung, ob eine wesentliche Änderung im Sinn von § 48 Abs. 1 SGB X eingetreten ist, kommt es auf die objektiven rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse an, die beim Erlass des fraglichen Verwaltungsakts tatsächlich vorgelegen haben; § 48 SGB X ist auch dann einschlägige Korrekturnorm, wenn diese Verhältnisse von der Behörde anfangs falsch bewertet und subjektiv dem Erlass des Verwaltungsakts gar nicht zugrunde gelegt worden waren.
2. Welche Elemente eines Bescheids zur eigentlichen Regelung gehören, ist durch Auslegung anhand des objektiven Empfängerhorizonts zu ermitteln.
3. Hat die Behörde in einem Bescheid bewusst, explizit und deutlich wahrnehmbar in Tenor und Bescheidsbegründung untergliedert, kann Aussagen, die ausschließlich in der Begründung auftauchen, kein Regelungsgehalt beigemessen werden.
4. Zur Frage eines Vertrauensschutzes aufgrund einer inhaltlich unrichtigen Bescheidsbegründung.
2. Welche Elemente eines Bescheids zur eigentlichen Regelung gehören, ist durch Auslegung anhand des objektiven Empfängerhorizonts zu ermitteln.
3. Hat die Behörde in einem Bescheid bewusst, explizit und deutlich wahrnehmbar in Tenor und Bescheidsbegründung untergliedert, kann Aussagen, die ausschließlich in der Begründung auftauchen, kein Regelungsgehalt beigemessen werden.
4. Zur Frage eines Vertrauensschutzes aufgrund einer inhaltlich unrichtigen Bescheidsbegründung.
I. Auf die Berufung wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 20. Oktober 2008 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Das Berufungsverfahren betrifft die Gewährung einer Pflegezulage im Rahmen der Versorgung wegen eines Impfschadens.
Der inzwischen 40-jährige Kläger wurde am 29.10.1973 gegen Pocken geimpft. Postvakzinal kam es zu einem Hör- und Sprachverlust. Nachdem ein Antrag auf Versorgung wegen eines Impfschadens gestellt worden war, fand am 28.11.1974 eine fachpsychologische Untersuchung des Klägers im Klinikum S. der FU B. statt; das Klinikum sah keine Anhaltspunkte für eine geistige Retardierung (Bericht vom 05.12.1974). Unter dem Datum 11.03.1975 erstattete dasselbe Klinikum (Prof. Dr. v. A.) ein HNO-ärztliches Gutachten. Darin wurden eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit beiderseits und eine fehlende Sprachentwicklung festgestellt. Eine gleichzeitige Schädigung des Nervus vestibularis habe nicht nachgewiesen werden können. Daraufhin erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 11.06.1975 folgende Schädigungsfolgen an:
"An Taubheit grenzende Schwerhörigkeit beiderseits mit fehlender Sprachentwicklung, und zwar hervorgerufen durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 51 Bundesseuchengesetz.
Durch diese Schädigungsfolgen ist Ihr Sohn erwerbsunfähig im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes."
Am 20.02.1976 beantragten die Eltern des Klägers die Gewährung einer Pflegezulage. In einer ohrenärztlichen Stellungnahme vom 26.03.1976 teilte der dem ärztlichen Dienst des Beklagten zugehörige Dr. H. mit, gemäß dem Universitätsgutachten vom 11.03.1975 handle es sich um eine Taubheit als Folge einer postvakzinalen Enzephalitis, also einer zentralen Schädigung. Der Kläger sei als hirnbeschädigt anzusehen. Dr. N. - ebenfalls vom ärztlichen Dienst des Beklagten - schrieb unter dem Datum 03.06.1976, Hilflosigkeit liege zwar nicht vor. Die Gewährung einer Pflegezulage der Stufe I müsse aber gleichwohl erfolgen, weil die anerkannte Gesundheitsschädigung einer Hirnschädigung entspreche. Auf der Stellungnahme des Dr. N. ist vermerkt, dieser habe mündlich geäußert, ein durch eine Hirnschädigung bedingtes Leiden sei gegeben. Mit Bescheid vom 06.09.1976 wurde dem Kläger ab dem Monat der Antragstellung eine Pflegezulage der Stufe I zuerkannt. Ziffer I dieses Bescheids enthielt die Anordnung, dem Kläger werde vom 01.02.1974 an eine Pflegezulage der Stufe I gewährt. Sodann wurden - immer noch unter Ziffer I - die monatlich zustehenden Gesamtbeträge vom 01.02.1974 an mitgeteilt. Ziffer II des Bescheids wies eine Berechnung des Nachzahlungsbetrags auf. Unter Ziffer III des Bescheids waren Mitteilungen zum Zahlungsverfahren zu finden, während Ziffer IV mit "Gründe" überschrieben war. Im Rahmen dieser Gründe erschien folgender Passus:
"Ferner wird gemäß § 35 Abs. 1 vorletzter Satz BVG eine Pflegezulage der Stufe I gewährt, weil eine durch eine postvaccinale Enzephalitis bedingte zentrale Schädigung mit Auswirkungen auf das Hörvermögen vorliegt."
Am 03.03.1980 machte der Kläger eine Leidensverschlechterung geltend, wobei er Konzentrationsschwäche, starke Nervosität und Schwindel als Beschwerden angab. Nachdem ein psychologisches Gutachten erstellt worden war, lehnte der Beklagte den Verschlimmerungsantrag ab (Bescheid vom 01.02.1984). Auch das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos. Im Widerspruchsbescheid vom 01.02.1985 schrieb der Beklagte zur Begründung, bei den vorliegenden Konzentrations- und Motivationsdefiziten handle es sich nicht um Auffälligkeiten, die mit den anerkannten Schädigungsfolgen zusammenhängen würden.
Im Jahr 1988 zog die Familie des Klägers nach Bayern. Am 01.12.1988 wurde der Kläger versorgungsärztlich begutachtet (HNO-Arzt Dr. N.), weil der Beklagte eine Überprüfung von Amts wegen veranlasst hatte (Anlass: Möglicher Entzug der Merkzeichen H, B und G wegen Vollendung des 16. Lebensjahrs). In dem Gutachten wurde festgestellt, ab August 1989 (Abschluss des Berufsfindungsjahrs am Berufsbildungswerk für Hörgeschädigte) seien die Voraussetzungen für Merkzeichen H und eine Pflegezulage nicht mehr gegeben, weil es dann an den Voraussetzungen für Hilflosigkeit fehle. Nach schriftlicher Anhörung (Schreiben vom 10.07.1989) setzte der Beklagte dies mit Bescheid vom 17.08.1989 um. In der Überschrift und im Tenor dieses Bescheids wurde explizit zum Ausdruck gebracht, es handle sich um eine Regelung nach § 48 des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch (SGB X). Im verfügenden Teil erklärte der Beklagte die teilweise Aufhebung der Bescheide vom 06.09.1976 und vom 01.06.1989 - bei diesem handelte es sich um den letzten Neuberechnungsbescheid - vom 01.08.1989 an; weiter wurde die Höhe der monatlichen Versorgungsbezüge ab diesem Zeitpunkt auf 220 DM festgelegt. Auch in der Bescheidsbegründung wies der Beklagte auf § 48 SGB X hin. Weiter schrieb er in der Begründung, eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen sei insoweit eingetreten, als nach Abschluss der Gehörlosenschule im Juli 1989 die Voraussetzungen für die Gewährung einer Pflegezulage der Stufe I vom 01.08.1989 nicht mehr vorlägen. Auf § 44 SGB X wurde an keiner Stelle verwiesen. Dem dagegen eingelegten Widerspruch half der Beklagte nur insoweit ab, als die Pflegezulage erst zum 01.10.1989 entzogen wurde (Widerspruchsbescheid vom 18.10.1989). In der Begründung des Widerspruchsbescheids rückte er in den Mittelpunkt, dass mit Abschluss des Berufsfindungsjahrs am Berufsbildungswerk für Hörgeschädigte die in der Regel bis zur Vollendung des 16. Lebensjahrs bzw. zur Beendigung der Gehörlosenschule bestehende Hilflosigkeit weggefallen sei.
Das bis dato zugebilligte Merkzeichen H wurde dem Kläger mit Bescheid vom 28.09.1989 aberkannt.
Am 20.04.1995 stellte der Kläger erneut einen Verschlimmerungsantrag. Diesen lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 10.07.1996 ab, weil die geltend gemachten Gleichgewichtsstörungen nicht auf die Pockenschutzimpfung zurückgeführt werden könnten. Erneut legte der Kläger Widerspruch ein, der aber erfolglos blieb (Widerspruchsbescheid vom 20.08.1996). Es folgte ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht München (S 29 VJ 2/97). In der mündlichen Verhandlung am 23.03.1999 kam es zu einem Prozessvergleich, wonach die Gesundheitsstörungen wie folgt formuliert wurden: praktische Taubheit beiderseits mit Sprachstörungen, Gleichgewichtsstörungen. Der Beklagte setzte dies mit Bescheid vom 19.05.1999 um, indem er die erwähnten Gesundheitsstörungen ab 01.04.1995 feststellte.
Aus Anlass einer Umschulung wurden mit Bescheid vom 18.03.1998 die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen H nochmals festgestellt; wegen des Abbruchs der Umschulung hob man diese Regelung aber mit Bescheid vom 03.08.1998 wieder auf.
Mit Bescheid vom 31.05.1999 wurde dem Kläger eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 01.03.1999 zuerkannt. Mit Schreiben vom 17.03.2003 teilte der Kläger dem Beklagten mit, da er hirngeschädigt sei, stehe ihm von Amts wegen und auf Antrag eine Pflegezulage ab Beginn seiner Erwerbsunfähigkeit - der Kläger meinte damit die Erwerbsunfähigkeit im Sinn des Rentenversicherungsrecht - zu; er verwies auf die Feststellung des Dr. H. vom 26.03.1976. Nach Einholung einer versorgungsmedizinischen Stellungnahme lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 31.08.2004 den Antrag auf Pflegezulage ab. Er deklarierte diesen Bescheid als Entscheidung nach § 48 SGB X. Zur Begründung wurde lediglich angegeben, eine Hirnschädigung liege nicht vor. Dagegen legte der Kläger am 08.09.2004 Widerspruch ein, wobei er vortrug, bei ihm sei eine Hirnschädigung gegeben; insoweit verwies er auf die Äußerungen von Dr. N. und Dr. H. sowie auf den Bescheid vom 06.09.1976. Weiter gab er an, er wolle keine Neufeststellung, sondern er sei der Auffassung, dass der Bescheid vom 06.09.1976 unverändert fortgelte. Im Widerspruchsverfahren erstattete Prof. Dr. B. S. ein Gutachten nach Aktenlage (Datum 25.10.2004). Dieser kam zum Ergebnis, eine postvakzinale Enzephalitis sei nicht aufgetreten. Es lasse sich kein vertretbarer Beleg für eine Hirnschädigung finden. Daraufhin wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 04.02.2005 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er an, mit Bescheid vom 06.09.1976 sei dem Kläger zwar zu Recht eine Pflegezulage der Stufe I gewährt worden, die Begründung dafür sei jedoch unzutreffend gewesen. Tatsächlich habe dem Kläger eine Pflegezulage wegen taubheitsbegründeter Hilflosigkeit bis zum 16. Lebensjahr zugestanden.
Am 22.02.2005 hat der Kläger beim Sozialgericht München Klage erhoben. Das Sozialgericht hat ein Gutachten nach Aktenlage von Prof. Dr. U. K. (Gutachten vom 18.02.2008 samt ergänzender Stellungnahme vom 12.08.2008) eingeholt. Der Sachverständige hat geschrieben, ein postvakzinaler Ausfall des Gehörs könne im Rahmen einer postvakzinalen Enzephalitis oder isoliert im Sinn einer postvakzinalen Neuritis auftreten. Im Fall des Klägers spreche alles für eine isolierte postvakzinale Neuritis ohne darüber hinausgehende postvakzinale Enzephalitis. Die Anfang der 1980er Jahre festgestellten Konzentrationsstörungen und Nervosität seien mit großer Wahrscheinlichkeit nicht hirnorganisch bedingt, vielmehr habe es sich um eine erworbene, sekundäre Verhaltensstörung gehandelt, die im Gefolge von Überlastung durch Lippenablesen und übermäßigem endogenen und exogenen Motivationsdruck entstanden sei. Auch heute sei eine impfbedingte hirnorganische Konzentrationsschwäche nicht dingfest zu machen. Bei den aktuellen Symptomen handle es sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit um eine erworbene Verhaltensstörung. In Beantwortung der Beweisfragen hat Prof. Dr. K. ausgeführt, beim Kläger liege eine isolierte Schädigung des Nervus vestibulocochlearis im ursächlichen Gefolge der Pockenimpfung vor. Auch wenn dieser Nerv mitunter als "Hirnnerv VIII" bezeichnet werde, sei damit keine "Hirnschädigung" verbunden. Denn die Ganglien (Ursprungszellen) der Hirnnerven III bis XII (also auch des Nervus vestibulocochlearis) lägen zwar im Gewebe der Hirnbasis, sie gehörten aber funktionell nicht zum Gehirn. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte für ein impfbedingtes Hirnschadensereignis (postvakzinale Enzephalitis), das dieser postvakzinalen Neuritis übergreifend vorgeschaltet gewesen wäre; davon könne man mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit ausgehen. Darüber hinaus hat Prof. Dr. K. angemerkt, eine geringfügige, nur begleitende Enzephalitis sei immer denkbar; sie wäre jedoch, falls überhaupt vorhanden gewesen, mangels realistischer, geschweige denn zwingender Belege als unbewiesen und folgenlos einzuordnen.
Das Sozialgericht hat den Beklagten mit Gerichtsbescheid vom 20.10.2008 verurteilt, den Bescheid vom 17.08.1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.10.1989 zurückzunehmen und dem Kläger ab dem 01.01.1999 eine Pflegezulage nach Stufe I gemäß § 35 Abs. 1 Satz 5 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zu gewähren. In der Begründung hat das Sozialgericht zunächst herausgearbeitet, der Beklagte habe dem Kläger mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 06.09.1976 eine Pflegezulage der Stufe I zuerkannt, weil er eine durch eine postvakzinale Enzephalitis bedingte zentrale Schädigung mit Auswirkungen auf das Hörvermögen angenommen habe. Im Entziehungsbescheid vom 17.08.1989 habe er dagegen auf den Wegfall der Altersvoraussetzungen für die Pflegezulage abgestellt. Mit dem Antrag vom 17.07.2003 habe der Kläger beim Beklagten eine umfassende, weitestgehend in die Vergangenheit reichende Überprüfung nach § 44 SGB X beantragt. In der Tat sei der Bescheid vom 17.08.1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.10.1989 rechtswidrig. Der Beklagte habe § 52 Abs. 2 Satz 4 des Bundesseuchengesetzes (BSeuchG) als lex specialis nicht beachtet. Danach hätte eine Anerkennung nach § 52 Abs. 2 Satz 1, 2 BSeuchG nur zurückgenommen werden können, wenn unzweifelhaft festgestanden hätte, dass der Gesundheitsschaden nicht Folge der Impfung gewesen sei. Daneben verbleibe kein Raum für eine Aufhebung nach § 48 SGB X. Die tatsächlichen Verhältnisse, die dem Bescheid vom 06.09.1976 zugrunde gelegen hätten, hätten sich nicht geändert. Denn damit sei dem Kläger die Pflegezulage nicht wegen Hilflosigkeit zuerkannt worden, sondern weil er als erwerbsunfähiger Hirnbeschädigter angesehen worden sei. Der Beklagte sei nicht berechtigt, den Bescheid vom 06.09.1976 noch zurückzunehmen. Dass die Voraussetzungen des § 52 Abs. 2 Satz 4 BSeuchG nicht erfüllt seien, ergebe sich aus dem Gutachten von Prof. Dr. K ... Es stehe gerade nicht unzweifelhaft fest, dass die angenommene postvakzinale Enzephalitis nicht vorliege. Prof. Dr. K. selbst habe ausgeführt, die von ihm festgestellte "weit überwiegende Wahrscheinlichkeit" komme dem zwar sehr nahe, sei aber dennoch nicht damit gleichzusetzen.
Am 17.11.2008 hat der Beklagte Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er eine aktuelle gutachtliche Stellungnahme des Prof. Dr. S. vorgelegt. Der ist erneut zum Ergebnis gekommen, in den Unterlagen, die valide seien, finde man keinen Hinweis auf eine impfbedingte Hirnschädigung. Es sei unzweifelhaft, dass beim Kläger eine postvakzinale Enzephalitis nicht abgelaufen sei.
Mit Bescheid vom 18.01.2010 hat der Beklagte den Gerichtsbescheid vom 20.10.2008 ausgeführt.
Am 20.09.2011 hat bereits mündliche Verhandlung stattgefunden. Diese ist vertagt worden, um weitere Akten der Hauptfürsorgestelle beizuziehen, die es jedoch - wie sich später herausgestellt hat - nicht mehr gibt.
Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 20.10.2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er räumt ein, dass er nicht hilflos sei. Jedoch betont er, die Verhältnisse bei ihm hätten sich seit 1976 nicht geändert, weswegen der Bescheid vom 06.09.1976 weiterhin Gültigkeit habe. Der Beklagte sei daran festzuhalten, dass in diesem Bescheid eine Hirnschädigung eingeräumt worden sei, dass Dr. H. und Dr. N. eine solche bejaht hätten und dass auch die Hauptfürsorgestelle des Öfteren von einer Hirnschädigung gesprochen und niemals die Sonderfürsorgeberechtigung angezweifelt habe. Des Weiteren vertritt der Kläger die Ansicht, bei ihm liege tatsächlich eine Hirnschädigung vor; er beruft sich insoweit auf das Gutachten von Prof. Dr. K ...
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts, insbesondere wegen des Inhalts medizinischer Berichte, Gutachten und Unterlagen, wird auf die Akten des Beklagten - auch der noch vorhandenen Akten der Hauptfürsorgestelle -, des Sozialgerichts in den Verfahren S 29 VJ 2/97 sowie S 33 VJ 1/05 und des Bayerischen Landessozialgerichts verwiesen. Diese haben allesamt vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Beklagten hat Erfolg.
Streitgegenstand ist der vom Kläger behauptete Anspruch, den Bescheid vom 17.08.1989, mit dem die Pflegezulage entzogen wurde, zurückzunehmen mit der Folge, dass der Anspruch auf Pflegezulage damit wieder auflebt.
Die Berufung des Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht der Klage entsprochen. Vielmehr hat es der Beklagte mit Bescheid vom 31.08.2004 und Widerspruchsbescheid vom 04.02.2005 zutreffend abgelehnt, den Bescheid vom 17.08.1989 zurückzunehmen und die Pflegezulage ab 01.01.1999 zu leisten.
Als Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers kommt allein § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X in Betracht. Dieser lautet in der maßgebenden Fassung:
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Entgegen der Ansicht des Beklagten liegt kein Fall des § 48 SGB X vor. Denn der Kläger hat in seinem das Verfahren einleitenden Antrag klar zum Ausdruck gebracht, er beanspruche die Pflegezulage wegen der vermeintlichen Hirnschädigung. Das impliziert, dass er den Bescheid vom 17.08.1989 deswegen beseitigt haben möchte, weil er diesen für von Anfang an rechtswidrig hält; er trägt sinngemäß vor, wegen der unverändert bestehenden Hirnschädigung hätte ihm niemals die Pflegezulage entzogen werden dürfen. Dagegen macht er nicht geltend, seit dem Erlass des Bescheids vom 17.08.1989 seien nachträglich Umstände eingetreten, die nunmehr die Gewährung einer Pflegezulage geboten erscheinen ließen. Dass der Kläger Leistungen erst ab 01.01.1999 beansprucht, vermag daran nichts zu ändern.
Die Rücknahmevoraussetzungen des § 44 SGB X (eine vorherige Anhörung des Klägers ist erfolgt) sind jedoch nicht erfüllt. Denn der Bescheid vom 17.08.1989 erweist sich als rechtmäßig. Insoweit kommt es auf die objektiven Verhältnisse zum Zeitpunkt seines Erlasses an, also auch auf die damalige Rechtslage (Beurteilung anhand der damaligen Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht, vgl. Schütze in: von Wulffen, SGB X, 7. Auflage 2010, § 44 Rn. 10, mit Hinweisen auf die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts [BSG]). Dass der Kläger die Pflegezulage erst ab 01.01.1999 begehrt, ist lediglich § 44 Abs. 4 SGB X geschuldet und führt nicht dazu, dass die Rechtmäßigkeit der mit Bescheid vom 17.08.1989 getroffenen Regelungen anhand später eingetretener Verhältnisse zu prüfen wäre. Die einzig in Betracht kommende Rechtsgrundlage, § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X, lautete damals wie heute:
Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.
Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm lagen bei Erlass des Bescheids vom 17.08.1989 vor.
1. Die Gewährung einer Pflegezulage verkörperte einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung.
2. In den tatsächlichen Verhältnissen, die noch bei Erlass des Bescheids vom 06.09.1976 vorgelegen hatten, trat objektiv eine wesentliche Änderung ein. Die Änderung bestand darin, dass der Kläger im Juli 1989 das Berufsfindungsjahr am Berufsbildungswerk für Hörgeschädigte beendete.
Diese Änderung war für die Gewährung einer Pflegezulage auch wesentlich. Denn einerseits bewirkte die Beendigung des Berufsfindungsjahrs, dass damit die vorher bestehende Hilflosigkeit im Sinn von § 35 BVG entfiel (dazu unten a). Andererseits war der Wegfall der Hilflosigkeit beim Kläger auch leistungsrechtlich relevant. Denn beim Kläger war keine Hirnschädigung gegeben, die ihm den Weg zu einer Pflegezulage unabhängig von der Hilflosigkeit geebnet hätte (dazu unten b). Zu betonen ist, dass es im Rahmen der Prüfung, ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, auf die objektiven rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse ankommt, die beim Erlass des fraglichen Verwaltungsakts tatsächlich vorgelegen haben. § 48 SGB X ist auch dann einschlägige Korrekturnorm, wenn diese Verhältnisse von der Behörde anfangs falsch bewertet und subjektiv dem Erlass des Verwaltungsakts gar nicht zugrunde gelegt worden waren (vgl. Schütze, a.a.O., § 48 Rn. 6).
a) Einerseits führte die Beendigung des Berufsfindungsjahrs dazu, dass die zentrale Tatbestandsvoraussetzung für die Gewährung der Pflegezulage nicht mehr erfüllt war. Denn damit fiel die Hilflosigkeit weg und sie ist in der relevanten Zeit ab 01.01.1999 auch nicht wieder eingetreten.
§ 35 BVG in der 1989 geltenden Fassung regelte, dass eine monatliche Pflegezulage zu gewähren war, solange der Beschädigte infolge der Schädigung so hilflos war, dass er für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang fremder Hilfe dauernd bedurfte. Erwerbsunfähige Hirnbeschädigte erhielten eine Pflegezulage mindestens nach Stufe I, ohne dass es auf die Hilflosigkeit im konkreten Fall ankam. Nr. 22 Abs. 4 lit. a der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit 1983 (AHP 1983) sah konkretisierend vor, dass bei einer angeborenen oder im Kindesalter aufgetretenen Taubheit oder an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit Hilflosigkeit in der Regel bis zum 16. Lebensjahr (Beendigung der Gehörlosenschule) anzunehmen war. Daran hatte sich der Beklagte zu orientieren (zur Bindungswirkung der AHP vgl. Dau in: Knickrehm (Hrsg.), Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Auflage 2012, § 30 BVG Rn. 10). Dafür, dass ab August 1989 abweichend vom Regelfall die allgemeinen Voraussetzungen für die Hilflosigkeit vorlagen, bestehen keine Anhaltspunkte. Bereits Dr. N. hatte in seiner Stellungnahme vom 03.06.1976 Hilflosigkeit verneint. Dr. N. hat in seinem Gutachten keinen Grund gesehen, Hilflosigkeit auch nach Beendigung des Berufsfindungsjahres zu bejahen. Sofern man die Ansicht vertritt, im Rahmen der Prüfung der Rücknehmbarkeit nach § 44 SGB X seien auch nachträglich zugunsten des Betroffenen veränderte Umstände relevant - die Rechtmäßigkeit als solche ist, wie oben ausgeführt, auf jeden Fall anhand der damaligen Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht zu prüfen -, bliebe festzustellen, dass von 01.01.1999 an zu keinem Zeitpunkt Hilflosigkeit wieder eingetreten ist. Denn einerseits hat die Mutter und Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung klar geäußert, Hilflosigkeit liege bei diesem nicht vor. Andererseits wird dies durch den schwerbehindertenrechtlichen Status des Klägers in Bezug auf das Merkzeichen H bestätigt (vgl. HNO-ärztliches Gutachten Prof. Dr. R., Untersuchung am 26.09.2001; dieser hat die medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" verneint).
b) Der Wegfall der Hilflosigkeit ist auch nicht von vornherein rechtlich irrelevant. Denn eine Hirnschädigung, die quasi die Hilflosigkeit fingiert, lag und liegt beim Kläger nicht vor. Einerseits lässt sich nicht mit dem erforderlichen Vollbeweis nachweisen, dass eine Hirnschädigung tatsächlich gegeben ist (dazu unten aa), andererseits kann sich der Kläger nicht aus Vertrauensschutzgründen auf die Feststellung einer Hirnschädigung oder eine Fiktion dessen berufen (dazu unten bb und cc).
aa) Nach dem überzeugenden Gutachten samt ergänzender Stellungnahme von Prof. Dr. K. besteht nur eine äußerst geringe Wahrscheinlichkeit, dass 1989 eine Hirnschädigung vorhanden war. Die Hirnschädigung muss als Gesundheitsschaden jedoch mit Vollbeweis erwiesen sein. Daran fehlt es. Im Gegenteil spricht außerordentlich viel dafür, dass beim Kläger zumindest ab dem Jahr 1989 - mit hoher Wahrscheinlichkeit aber auch schon vorher - keine Hirnschädigung vorlag. Der im Fall des Klägers zweifelsohne betroffene Nervus vestibulocochlearis gehört, wie Prof. Dr. K. überzeugend erläutert hat, funktional nicht zum Gehirn, so dass seine Schädigung allein nicht einer Hirnschädigung gleichgesetzt werden darf. Mit Prof. Dr. K., dessen Feststellungen sich der Senat ausdrücklich zu Eigen macht, sieht der Senat keine tragfähigen Anhaltspunkte für ein impfbedingtes Hirnschadensereignis (postvakzinale Enzephalitis), das der beim Kläger festzustellenden postvakzinalen Neuritis übergreifend vorgeschaltet gewesen wäre. Prof. Dr. K. hat für das Fehlen einer postvakzinalen Enzephalitis eine weit überwiegende Wahrscheinlichkeit gesehen. Wie Dr. H. im Jahr 1976 auf eine postvakzinale Enzephalitis gekommen war, ist für den Senat nicht nachvollziehbar. Das gilt umso mehr, als er sich in seiner Stellungnahme vom 26.03.1976 auf das "Universitäts-Gutachten" vom 11.03.1975 bezog. Dabei hatte Dr. H. das Gutachten - gemeint ist das von Prof. Dr. v. A. - augenscheinlich nur oberflächlich gelesen. Denn dieses hatte keineswegs positiv und konkret eine postvakzinale Enzephalitis beim Kläger bejaht. Im Gegenteil war darin ausgeführt, im vorliegenden Fall handle es sich um einen Erstimpfling, bei dem es offensichtlich ohne postvakzinale Enzephalitis zu einer Ertaubung gekommen sei. Man stößt lediglich auf die allgemeine Aussage, das Vakzinevirus sei geeignet, zu einer postvakzinalen Enzephalitis oder zu anderen isolierten neurologischen Schädigungen zu führen. Dass beim Beklagten in den Folgejahren die falsche Einschätzung des Dr. H. immer wieder "abgeschrieben" worden ist, ohne die Aussage zu hinterfragen, macht sie nicht richtiger. Darüber hinaus hat Prof. Dr. K. angemerkt, eine geringfügige, nur begleitende Enzephalitis sei immer denkbar; sie wäre jedoch, falls überhaupt vorhanden gewesen, mangels realistischer, geschweige denn zwingender Belege als unbewiesen und folgenlos einzuordnen. Diese Aussage des medizinischen Sachverständigen entspricht vollumfänglich den rechtlichen Vorgaben. Dass bei der akuten Enzephalitis nach der Impfung vielleicht sogar das Gehirn in geringem Ausmaß beteiligt gewesen sein mag, ist rechtlich nicht relevant. Es kommt nur auf eine verbliebene Schädigung an. Somit müsste eine Hirnschädigung quasi als Dauerfolge vorliegen. Das war im Jahr 1989 mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht (mehr) der Fall (vgl. Nr. 26.3 AHP 1983, wonach eine Hirnschädigung voraussetzte, dass eine organische Veränderung erlitten worden war und nachweisbar behalten worden ist).
Damit ist festzuhalten, dass der Kläger mit seinem Klagebegehren etwas verlangt, was ihm nach den unmittelbaren medizinisch gelagerten Tatbestandsvoraussetzungen nicht zusteht. Wie im Folgenden (bb und cc) gezeigt wird, kann er sich auch nicht auf einen rechtlichen Bestandsschutz berufen, der ihm die Behandlung als hirngeschädigte Person sichert.
bb) Es sind keine Einzelfallregelungen vorhanden, deren Bindungswirkung es gebieten würde, den Kläger als hirngeschädigte Person zu behandeln. Eine Hirnschädigung ist niemals als Schädigungsfolge festgestellt worden. Zudem hat im Bescheid vom 06.09.1976 die Begründung für die Gewährung einer Pflegezulage nicht an der Regelungswirkung partizipiert; Regelungsgegenstand war nur die Gewährung einer Pflegezulage, nicht aber die Gewährung einer "Pflegezulage wegen einer Hirnschädigung".
Darin weicht der Senat entscheidend von der Rechtsauffassung des Sozialgerichts ab. Nach dessen Gedankengang sei dem Kläger mit Bescheid vom 06.09.1976 nicht nur eine Pflegezulage zuerkannt worden. Vielmehr habe der Beklagte auch verbindlich geregelt, es liege eine Hirnschädigung vor. Das Sozialgericht hat also den Regelungsgehalt im Sinn von "Pflegezulage bei Hirnschädigung" verstanden. Sein Rekurs auf § 52 Abs. 2 Satz 4 BSeuchG zeigt, dass es sogar von einer gesonderten Anerkennung der Schädigungsfolge "Hirnschädigung" ausgegangen ist; denn § 52 Abs. 2 Satz 4 BSeuchG traf Sonderregelungen nur für die Rücknahme der "Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Impfung". Folgerichtig hat das Sozialgericht den Bescheid vom 17.08.1989 nicht als Aufhebung wegen veränderter Verhältnisse, sondern als Rücknahme der ursprünglichen Bewilligung aus dem Jahr 1976 interpretiert. Die vermeintliche Rücknahme im Bescheid vom 17.08.1989 hat es als rechtswidrig erachtet, weil nicht im Sinn von § 52 Abs. 2 Satz 4 BSeuchG unzweifelhaft festgestanden habe, dass der Gesundheitsschaden nicht Folge der Impfung sei; dass eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit dagegen gesprochen habe, genüge nicht, um die einmal ausgesprochene Feststellung einer Hirnschädigung zurücknehmen zu dürfen.
Der Senat teilt nicht die Auffassung des Sozialgerichts, eine Hirnschädigung sei als Schädigungsfolge anerkannt worden. Eine entsprechende Regelung, die gemäß § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG), § 39 SGB X Bindungswirkung entfalten würde, existiert nicht. Der Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts ist durch Auslegung anhand des objektiven Empfängerhorizonts zu ermitteln. Damit ist der "Empfängerhorizont" eines verständigen Beteiligten gemeint, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (vgl. BSG, Urteil vom 08.11.2007 - B 9/9a V 1/06 R, Rn. 22; BSGE 67, 104 ; BSG SozR 3-1200 § 42 Nr. 8, S. 26). Für die Frage, welche Elemente eines Bescheids zur eigentlichen Regelung gehören, ist es unerheblich, wie der jeweilige Empfänger den Bescheid konkret verstanden hat; der sinngemäße Vortrag des Klägers, er sei davon ausgegangen, dass die Feststellung der Hirnschädigung zum verfügenden Teil gehöre, geht damit ins Leere.
Am Maßstab des so definierten objektiven Empfängerhorizonts lässt sich im vorliegenden Fall eine Regelung, welche die Feststellung einer Hirnschädigung mit Bindungswirkung implizieren würde, nicht erkennen. In einem ersten Bescheid vom 11.06.1975 wurde als Schädigungsfolge eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit beiderseits mit fehlender Sprachentwicklung festgestellt; das zeigt, dass der Beklagte damals - wie es auch lege artis ist - die Anerkennung von Schädigungsfolgen ausdrücklich regelte und nicht nur beiläufig Feststellungen traf. Im zweiten Bescheid vom 06.09.1976 sprach er in dem speziellen Teil des Bescheids, der den eigentlichen Verfügungssätzen vorbehalten war, lediglich die Gewährung der Pflegezulage der Stufe I aus, während er anschließend in einem räumlich und gliederungstechnisch klar abgegrenzten und mit "Gründe:" überschriebenen Teil des Bescheids erläuterte, die Pflegezulage werde aufgrund einer zentralen Störung gewährt. Nach dem objektiven Empfängerhorizont war daraus zu entnehmen, dass ausschließlich die Zuerkennung der Pflegezulage als solche Regelungsgegenstand war, nicht aber der Grund dafür. Noch weniger wurde damit eine weitere Schädigungsfolge rechtsverbindlich festgestellt. Der Bescheid vom 06.09.1976 weist eine bewusst gewählte und klar erkennbare Trennung in Verfügungssätze und Begründung auf. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 05.12.1972 - 10 RV 807/71, Rn. 24; Urteil vom 26.02.1986 - 9a RV 36/84, Rn. 14) aber geht die Bindungswirkung eines Bescheids nur von seinem Verfügungssatz aus. Andere Elemente des Bescheids, wie z. B. die Begründung oder die Berechnung der Rentenhöhe, nehmen grundsätzlich an der Bindungswirkung nicht teil (vgl. aus der Literatur U. Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Auflage 2008, § 39 Rn. 26 ff.; Schoch, Nachholen der Begründung und Nachschieben von Gründen, DÖV 1984, S. 401 ). Lediglich ausnahmsweise hat das BSG im Urteil vom 08.11.2007 - B 9/9a V 1/06 R die regelnde Feststellung einer Schädigungsfolge außerhalb des eigentlichen Verfügungssatzes bejaht. Der Wille der Behörde, eine entsprechende Regelung zu treffen, war in jenem Fall aber trotz des Schweigens des verfügenden Teils offenkundig. Hier dagegen präsentiert sich der Bescheid vom 06.09.1976 konsistent und durchdacht; für den objektiven Leser besteht kein Zweifel, dass die vermeintliche Hirnschädigung lediglich Begründungselement sein sollte.
Zwar trifft es zu, dass die Begründung für die Feststellung des Regelungsgehalts durchaus von Bedeutung sein kann. Mitunter mag sie sogar unverzichtbares Auslegungskriterium zur Bestimmung des Inhalts eines Verwaltungsakts sein (vgl. U. Stelkens, a.a.O., Rn. 26). Das kann aber nur dann der Fall sein, wenn der eigentliche Verfügungsteil des Bescheids erkennbar widerspruchsbehaftet oder unvollständig ist. Im vorliegenden Fall jedoch wäre es verfehlt, auf die Begründung zurückzugreifen, um sich den der Bindungswirkung fähigen Regelungsgehalt des Bescheids vom 06.09.1976 zu erschließen. Denn aufgrund der eindeutigen Trennung zwischen Verfügungssatz und Gründen sowie aus den jeweils bewusst gewählten unterschiedlichen Formulierungen in den verschiedenen Bescheidsteilen verbietet sich die Folgerung, das, was in der Begründung stehe, habe auch (mit Bindungswirkung) geregelt werden sollen. Damit würden Sinn und Zweck der Begründung konterkariert. Denn mit der besonderen Regelung der Begründung in § 35 SGB X hat der Gesetzgeber unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass Erläuterungen zu den getroffenen Regelungen gerade nicht zum verfügenden Teil des Verwaltungsakts gehören und damit nicht an dessen Bindungswirkung teilnehmen.
Auch außerhalb des Bescheids vom 06.09.1976 fehlt eine Regelung, wonach entweder eine Hirnschädigung als Schädigungsfolge festgestellt wird oder die "Pflegezulage wegen Hirnschädigung" zugesprochen wird. Die Unterlagen, die der Kläger mit Schriftsatz vom 10.12.2011 vorgelegt hat, besagen nichts Abweichendes. Vorwiegend verweist er dabei auf seine eigenen Schreiben oder interne Vermerke innerhalb des Versorgungsamts sowie zwischen Versorgungsamt und Hauptfürsorgestelle. Insbesondere die Äußerungen der Hauptfürsorgestelle im Rahmen der Sonderfürsorge lassen keinerlei Auslegung dahin zu, damit hätte eine Hirnschädigung als Schädigungsfolge festgestellt werden sollen; das gilt umso mehr, als die Hauptfürsorgestelle - dem verständigen Empfänger erkennbar - dafür zur Gänze unzuständig wäre.
cc) Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auch nicht auf der Grundlage des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes zu. Zwar steht fest, dass der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz auch außerhalb der Rückwirkung von Gesetzen zum Tragen kommt. So drängt sich im vorliegenden Fall die Frage auf, ob die Gewährung der Pflegezulage dadurch rechtlich geboten erscheint, dass durch die erwiesenermaßen falsche Begründung des Bescheids vom 06.09.1976 oder aufgrund anderer "Vorspiegelung falscher Tatsachen" möglicherweise ein berechtigtes Vertrauen begründet worden ist. Das ist jedoch nicht der Fall.
Effektiver Vertrauensschutz in Bezug auf die Bestandsfestigkeit von Verwaltungsakten wird in erster Linie durch § 45 SGB X gewährt. Unmittelbar findet diese Norm aber keine Anwendung. Denn mit dem Erlass des Bescheids vom 17.08.1989 wurde nicht objektiv eine ursprünglich gegebene Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 06.09.1976 korrigiert. Der Bescheid vom 06.09.1976 war vielmehr rechtmäßig. Die darin enthaltene Regelung - die Gewährung einer Pflegezulage - stand objektiv mit dem geltenden Recht in Einklang. Denn der Kläger hatte darauf einen Anspruch, weil er wegen seines kindlichen Alters als hilflos einzustufen war. Dass sich der Beklagte der eigentlichen Gründe, die objektiv zur Gewährung der Pflegezulage berechtigten, seinerzeit nicht bewusst war und dementsprechend eine eklatant falsche Begründung lieferte, spielt keine Rolle. Denn bei der Frage, ob ein Verwaltungsakt im Sinn von § 45 SGB X rechtswidrig ist, kommt es nur auf die objektive Rechtswidrigkeit an (vgl. Schütze, a.a.O., § 44 Rn. 8).
Eine Zusicherung im Sinn von § 34 SGB X, dass die Pflegezulage unabhängig vom Eintritt bestimmter Altersgrenzen gewährt werde, liegt zweifelsohne nicht vor, so dass auch unter diesem Blickwinkel kein Vertrauensschutz greift.
Da der Vertrauensschutz ein verfassungsrechtlich begründetes, im Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten fundiertes Rechtsinstitut verkörpert, bleibt darüber hinaus zu prüfen, ob möglicherweise außerhalb des unmittelbaren Anwendungsbereichs von § 45 SGB X eine vergleichbare Bestandsfestigkeit angenommen werden muss. Dem ist allerdings nicht so.
§ 45 SGB X können keine Wertungen entnommen werden, die sich im vorliegenden Fall zu Gunsten des Klägers auswirken und mittelbar in einen Vertrauensschutz münden. Der durch § 45 SGB X eingeräumte Bestandsschutz ist vergleichsweise stark, was sich vor allem in § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X niederschlägt. Danach darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung grundsätzlich nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden, außer es liegen bestimmte Umstände vor, welche die Schutzwürdigkeit des Vertrauens relativieren oder aufheben. Das bedeutet, dass auch Leistungen für die Zukunft im Prinzip - abgesehen von der Abschmelzung nach § 48 Abs. 3 SGB X - unverändert weiterzuzahlen sind. Nach Ansicht des Senats geht dieser durch das einfache Gesetzesrecht eingeräumte Bestandsschutz für Dauerverwaltungsakte, der allein auf typisiertem Vertrauen aufbaut, über das hinaus, was von Verfassungs wegen an Vertrauensschutz geboten ist. Der im Vergleich dazu deutlich niedrigere Bestandsschutz des § 48 SGB X resultiert daraus, dass Dauerverwaltungsakte von vornherein unter dem Vorbehalt stehen, dass sich die Verhältnisse nachträglich ändern. Diesbezüglich gibt es kein Vertrauen auf (zukünftige) Konstanz. Dieser von vornherein bestehende Vorbehalt des nachträglichen Eintritts geänderter Verhältnisse wird nicht dadurch beseitigt, dass der Adressat des Dauerverwaltungsaktes sich anfänglich gar nicht der leistungsrechtlichen Relevanz bestimmter Umstände bewusst gewesen sein mag. Im Gegensatz dazu darf sich der Betroffene aber definitiv darauf verlassen, sein Begehren sei ursprünglich richtig geprüft und entschieden worden; vor diesem Hintergrund soll eine entsprechende Korrektur des mängelbehafteten Verwaltungsakts durch § 45 SGB X erschwert werden. Der Gesetzgeber sieht also das berechtigte Vertrauen in die anfängliche objektive Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts als besonders schutzwürdig an. Bezüglich eines ursprünglich rechtswidrigen Verwaltungsakts darf der Bürger darauf vertrauen, dass dieser erst gar nicht erst ergeht (vgl. zum unterschiedlichen Bestandsschutz in § 45 und § 48 SGB X grundlegend Bayer. Landessozialgericht, Urteil vom 10.02.2010 - L 13 R 536/08).
Wenn § 45 SGB X das Vertrauen in die objektive Richtigkeit einer regelnden Entscheidung unter besonderen Schutz stellt, liegt der Gedanke nicht fern, dass sich daraus mittelbar ein besonderer Schutz des Vertrauens auf die Fehlerlosigkeit behördlichen Handelns generell ableiten ließe; dabei darf aber nicht aus den Augen verloren werden, dass der durch § 45 SGB X eingeräumte Schutz gemessen an den verfassungsrechtlichen Anforderungen ein überobligatorischer ist. Bei diesem gedanklichen Ansatz könnte man in Erwägung ziehen, der Abänderbarkeit aufgrund nachträglich veränderter Umstände engere Grenzen zu setzen, als sie in § 48 SGB X positiv vorgesehen sind. Der Kläger bringt in diesem Kontext vor, er habe auf die Richtigkeit der vom Beklagten im Bescheid vom 06.09.1976 gegebenen Begründung vertraut. Träfe dies zu, müsste er davon ausgegangen sein, bei ihm liege tatsächlich eine Hirnschädigung vor. Konkretisiert man ein solches Vertrauen weiter, wäre grundsätzlich denkbar, dass der Kläger die Bestandsfestigkeit der Bewilligung der Pflegezulage gegenüber nachträglichen Änderungen falsch eingeschätzt hat: Dadurch, dass er möglicherweise gedacht hat, die Anspruchsvoraussetzungen für die Pflegezulage seien gerade wegen einer Hirnschädigung erfüllt, könnte sich eine falsche Erwartung im Hinblick auf die Relevanz nachträglicher Umstände für das Fortbestehen des Leistungsanspruchs gebildet haben. Denn der Begründung des Bescheids vom 06.09.1976 zufolge war die Hirnschädigung, nicht aber das Alter des Klägers maßgebend für die Leistungsgewährung. Er könnte sogar gedacht haben, eine wesentliche Änderung der subjektiv zugrunde gelegten tatsächlichen Verhältnisse (der Hirnschädigung) sei von vornherein ausgeschlossen gewesen, weil die konkret festgestellte Gesundheitsschädigung, die er fälschlicher Weise als Hirnschädigung einstufte, ihrem Wesen nach keiner Besserung zugänglich war. In der Tat hat der Beklagte mit seinem Rekurs auf die Hirnschädigung im Bescheid vom 06.09.1976 mittelbar falsche Umstände vorgespiegelt, unter denen in Zukunft eine Änderung nach § 48 SGB X vorgenommen werden könnte, und somit eine falsche "Bestandsfestigkeit" vorgetäuscht.
Ein typisierter Vertrauensschutz - also ohne dass es auf die konkrete Vertrauenssituation ankommt - kann dem Kläger aber nicht zuerkannt werden, weil das bei ihm möglicherweise betroffene Vertrauen auf die Unabänderbarkeit wegen Erreichens eines bestimmten Alters dem durch § 45 SGB X geschützten Vertrauen, dass ein von Anfang an rechtswidriger Verwaltungsakt erst gar nicht erlassen wird, nicht gleichgestellt werden kann. Zwar sollte an sich jegliches Verhalten eines Sozialleistungsträgers, auch wenn es nicht der Bestandskraft fähig ist, richtig sein; das gilt auch für die einem Verwaltungsakt beigegebene Begründung. An diesen Gedanken knüpft z.B. der allgemeine Herstellungsanspruch an. Aber auch dieser lässt eine Restitution nur insoweit zu, als dies mit dem geltenden Recht in Einklang zu bringen ist. Würde man jedoch bei einem Dauerverwaltungsakt den in § 48 SGB X manifestierten Vorbehalt der veränderten Verhältnisse dahin einschränken, dass dieser nur mehr nach Maßgabe der dem ursprünglichen Verwaltungsakt beigegebenen Begründung gelten würde, widerspräche dies der Grundentscheidung des § 48 SGB X. Der Vorbehalt der veränderten Verhältnisse gilt vielmehr auch dann im Rahmen der Bestimmungen des § 48 SGB X ohne Einschränkung, wenn die Verhältnisse, welche die objektive Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts begründen (hier das kindliche Alter des Klägers), verkannt werden. Hinzu kommt, dass sicherlich jeder Verwaltungsakt aus sich heraus "proklamiert", er entspreche objektiv dem geltenden Recht; dagegen beinhaltet er keine verbindliche "Vorab-Zusicherung", nur bei nachträglicher Änderung ganz bestimmter leistungsrelevanter Faktoren - nämlich der in der Begründung genannten - sei eine Änderung nach § 48 SGB X möglich.
Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass zwischen dem Vertrauen, das § 45 SGB X sehr weitgehend schützt, und dem, das hier nach Lage der Dinge grundsätzlich denkbar wäre, solche Unterschiede bestehen, dass Rückschlüsse von § 45 SGB X auf den vorliegenden Fall ausgeschlossen sind. Insbesondere lässt sich § 45 Abs. 3 SGB X kein Grundsatz entnehmen, dass sämtliche falschen Annahmen, die bei Erlass eines letztendlich rechtsmäßigen Bescheids seitens der Behörde bestanden haben, nach Ablauf von zwei Jahren so zu behandeln sind, als wären die Annahmen richtig; das gilt auch dann nicht, wenn diese falschen Annahmen Teil der Begründung geworden sind.
Auch unabhängig davon vermag der Senat keine besonderen Umstände zu erkennen, die von Verfassungs wegen gebieten würden, den Kläger so zu stellen, als bestehe bei ihm tatsächlich eine Hirnschädigung. Solche tauchen weder im noch außerhalb des Bescheids vom 06.09.1976 auf. Aus den mitunter gemachten behördlichen Äußerungen - insbesondere der Hauptfürsorgestelle -, der Kläger sei hirngeschädigt, können keinesfalls weitergehende Rechte als aus der falschen Begründung des Bescheids vom 06.09.1976 abgeleitet werden.
Schließlich ist nicht erkennbar, dass beim Kläger überhaupt ein schutzwürdiges Vertrauen vorgelegen hat. Dahin stehen kann, ob der Kläger tatsächlich darauf vertraut hat, bei ihm läge eine Hirnschädigung vor. Dahin stehen kann weiter, ob einem entsprechenden Vertrauen nicht schon von vornherein die Schutzwürdigkeit fehlen muss, weil schlichtweg nur eine förmliche Feststellung durch schriftlichen Bescheid hinsichtlich der Anerkennung von Schädigungsfolgen eine hinreichende Vertrauensbasis verkörpert. Jedenfalls könnte der Kläger nicht aus einem bloßen Vertrauen auf das Vorliegen eines Hirnschadens den von ihm reklamierten Bestandsschutz bezüglich der Pflegezulage ableiten, sondern nur aus einem Vertrauen auf die Unabänderbarkeit des Bescheids vom 06.09.1976 im Hinblick auf das Erreichen eines bestimmten Alters oder generell des Wegfalls der Hilflosigkeit im konkreten Fall. Ein solches Vertrauen war beim Kläger jedoch nicht vorhanden. Wie die Mutter und Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, hat der Kläger 1989, als die Aufhebung erfolgt war, deswegen keine Rechtsmittel eingelegt, weil er gedacht hat, die Bewilligung der Pflegezulage sei von vornherein - trotz der vermeintlichen Hirnschädigung - altersabhängig gewesen. Somit hat die unzutreffende Begründung beim Kläger gerade nicht die irrige Meinung begründet, auf sein Alter und seine Hilflosigkeit generell komme es in Zukunft nicht an. Für die Frage, ob tatsächlich schutzwürdiges Vertrauen bestanden hat, ist der Zeitpunkt 1989 maßgebend (Zeitpunkt der Aufhebung), nicht die erneute Beantragung der Pflegezulage im Jahr 1999. Daher ist es unerheblich, dass der Kläger anders als 1989 - er hat inzwischen in Erfahrung gebracht, dass bei einer Hirnschädigung die Pflegezulage ohne Altersbegrenzung zusteht - jetzt fest davon überzeugt zu sein scheint, aufgrund der Begründung zum Bescheid vom 06.09.1976 stehe ihm eine Pflegezulage zu.
3. Sonderregelungen zu § 48 SGB X, welche die Aufhebbarkeit einschränken, existieren nicht. Insbesondere ist § 52 Abs. 2 Satz 4 BSeuchG nicht einschlägig.
4. Probleme mit den über § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X in Bezug genommenen Fristen gemäß § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 SGB X gibt es nicht. Die Verweisung auf die Zehn-Jahres-Frist des § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X bedeutet, dass zehn Jahre nach einer wesentlichen Änderung eine Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit ausgeschlossen ist (vgl. Steinwedel in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 48 SGB X Rn. 30 ), nicht aber, dass zehn Jahre nach Erlass des Ausgangsbescheids keine Änderung mehr möglich ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wurde nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Das Berufungsverfahren betrifft die Gewährung einer Pflegezulage im Rahmen der Versorgung wegen eines Impfschadens.
Der inzwischen 40-jährige Kläger wurde am 29.10.1973 gegen Pocken geimpft. Postvakzinal kam es zu einem Hör- und Sprachverlust. Nachdem ein Antrag auf Versorgung wegen eines Impfschadens gestellt worden war, fand am 28.11.1974 eine fachpsychologische Untersuchung des Klägers im Klinikum S. der FU B. statt; das Klinikum sah keine Anhaltspunkte für eine geistige Retardierung (Bericht vom 05.12.1974). Unter dem Datum 11.03.1975 erstattete dasselbe Klinikum (Prof. Dr. v. A.) ein HNO-ärztliches Gutachten. Darin wurden eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit beiderseits und eine fehlende Sprachentwicklung festgestellt. Eine gleichzeitige Schädigung des Nervus vestibularis habe nicht nachgewiesen werden können. Daraufhin erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 11.06.1975 folgende Schädigungsfolgen an:
"An Taubheit grenzende Schwerhörigkeit beiderseits mit fehlender Sprachentwicklung, und zwar hervorgerufen durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 51 Bundesseuchengesetz.
Durch diese Schädigungsfolgen ist Ihr Sohn erwerbsunfähig im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes."
Am 20.02.1976 beantragten die Eltern des Klägers die Gewährung einer Pflegezulage. In einer ohrenärztlichen Stellungnahme vom 26.03.1976 teilte der dem ärztlichen Dienst des Beklagten zugehörige Dr. H. mit, gemäß dem Universitätsgutachten vom 11.03.1975 handle es sich um eine Taubheit als Folge einer postvakzinalen Enzephalitis, also einer zentralen Schädigung. Der Kläger sei als hirnbeschädigt anzusehen. Dr. N. - ebenfalls vom ärztlichen Dienst des Beklagten - schrieb unter dem Datum 03.06.1976, Hilflosigkeit liege zwar nicht vor. Die Gewährung einer Pflegezulage der Stufe I müsse aber gleichwohl erfolgen, weil die anerkannte Gesundheitsschädigung einer Hirnschädigung entspreche. Auf der Stellungnahme des Dr. N. ist vermerkt, dieser habe mündlich geäußert, ein durch eine Hirnschädigung bedingtes Leiden sei gegeben. Mit Bescheid vom 06.09.1976 wurde dem Kläger ab dem Monat der Antragstellung eine Pflegezulage der Stufe I zuerkannt. Ziffer I dieses Bescheids enthielt die Anordnung, dem Kläger werde vom 01.02.1974 an eine Pflegezulage der Stufe I gewährt. Sodann wurden - immer noch unter Ziffer I - die monatlich zustehenden Gesamtbeträge vom 01.02.1974 an mitgeteilt. Ziffer II des Bescheids wies eine Berechnung des Nachzahlungsbetrags auf. Unter Ziffer III des Bescheids waren Mitteilungen zum Zahlungsverfahren zu finden, während Ziffer IV mit "Gründe" überschrieben war. Im Rahmen dieser Gründe erschien folgender Passus:
"Ferner wird gemäß § 35 Abs. 1 vorletzter Satz BVG eine Pflegezulage der Stufe I gewährt, weil eine durch eine postvaccinale Enzephalitis bedingte zentrale Schädigung mit Auswirkungen auf das Hörvermögen vorliegt."
Am 03.03.1980 machte der Kläger eine Leidensverschlechterung geltend, wobei er Konzentrationsschwäche, starke Nervosität und Schwindel als Beschwerden angab. Nachdem ein psychologisches Gutachten erstellt worden war, lehnte der Beklagte den Verschlimmerungsantrag ab (Bescheid vom 01.02.1984). Auch das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos. Im Widerspruchsbescheid vom 01.02.1985 schrieb der Beklagte zur Begründung, bei den vorliegenden Konzentrations- und Motivationsdefiziten handle es sich nicht um Auffälligkeiten, die mit den anerkannten Schädigungsfolgen zusammenhängen würden.
Im Jahr 1988 zog die Familie des Klägers nach Bayern. Am 01.12.1988 wurde der Kläger versorgungsärztlich begutachtet (HNO-Arzt Dr. N.), weil der Beklagte eine Überprüfung von Amts wegen veranlasst hatte (Anlass: Möglicher Entzug der Merkzeichen H, B und G wegen Vollendung des 16. Lebensjahrs). In dem Gutachten wurde festgestellt, ab August 1989 (Abschluss des Berufsfindungsjahrs am Berufsbildungswerk für Hörgeschädigte) seien die Voraussetzungen für Merkzeichen H und eine Pflegezulage nicht mehr gegeben, weil es dann an den Voraussetzungen für Hilflosigkeit fehle. Nach schriftlicher Anhörung (Schreiben vom 10.07.1989) setzte der Beklagte dies mit Bescheid vom 17.08.1989 um. In der Überschrift und im Tenor dieses Bescheids wurde explizit zum Ausdruck gebracht, es handle sich um eine Regelung nach § 48 des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch (SGB X). Im verfügenden Teil erklärte der Beklagte die teilweise Aufhebung der Bescheide vom 06.09.1976 und vom 01.06.1989 - bei diesem handelte es sich um den letzten Neuberechnungsbescheid - vom 01.08.1989 an; weiter wurde die Höhe der monatlichen Versorgungsbezüge ab diesem Zeitpunkt auf 220 DM festgelegt. Auch in der Bescheidsbegründung wies der Beklagte auf § 48 SGB X hin. Weiter schrieb er in der Begründung, eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen sei insoweit eingetreten, als nach Abschluss der Gehörlosenschule im Juli 1989 die Voraussetzungen für die Gewährung einer Pflegezulage der Stufe I vom 01.08.1989 nicht mehr vorlägen. Auf § 44 SGB X wurde an keiner Stelle verwiesen. Dem dagegen eingelegten Widerspruch half der Beklagte nur insoweit ab, als die Pflegezulage erst zum 01.10.1989 entzogen wurde (Widerspruchsbescheid vom 18.10.1989). In der Begründung des Widerspruchsbescheids rückte er in den Mittelpunkt, dass mit Abschluss des Berufsfindungsjahrs am Berufsbildungswerk für Hörgeschädigte die in der Regel bis zur Vollendung des 16. Lebensjahrs bzw. zur Beendigung der Gehörlosenschule bestehende Hilflosigkeit weggefallen sei.
Das bis dato zugebilligte Merkzeichen H wurde dem Kläger mit Bescheid vom 28.09.1989 aberkannt.
Am 20.04.1995 stellte der Kläger erneut einen Verschlimmerungsantrag. Diesen lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 10.07.1996 ab, weil die geltend gemachten Gleichgewichtsstörungen nicht auf die Pockenschutzimpfung zurückgeführt werden könnten. Erneut legte der Kläger Widerspruch ein, der aber erfolglos blieb (Widerspruchsbescheid vom 20.08.1996). Es folgte ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht München (S 29 VJ 2/97). In der mündlichen Verhandlung am 23.03.1999 kam es zu einem Prozessvergleich, wonach die Gesundheitsstörungen wie folgt formuliert wurden: praktische Taubheit beiderseits mit Sprachstörungen, Gleichgewichtsstörungen. Der Beklagte setzte dies mit Bescheid vom 19.05.1999 um, indem er die erwähnten Gesundheitsstörungen ab 01.04.1995 feststellte.
Aus Anlass einer Umschulung wurden mit Bescheid vom 18.03.1998 die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen H nochmals festgestellt; wegen des Abbruchs der Umschulung hob man diese Regelung aber mit Bescheid vom 03.08.1998 wieder auf.
Mit Bescheid vom 31.05.1999 wurde dem Kläger eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 01.03.1999 zuerkannt. Mit Schreiben vom 17.03.2003 teilte der Kläger dem Beklagten mit, da er hirngeschädigt sei, stehe ihm von Amts wegen und auf Antrag eine Pflegezulage ab Beginn seiner Erwerbsunfähigkeit - der Kläger meinte damit die Erwerbsunfähigkeit im Sinn des Rentenversicherungsrecht - zu; er verwies auf die Feststellung des Dr. H. vom 26.03.1976. Nach Einholung einer versorgungsmedizinischen Stellungnahme lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 31.08.2004 den Antrag auf Pflegezulage ab. Er deklarierte diesen Bescheid als Entscheidung nach § 48 SGB X. Zur Begründung wurde lediglich angegeben, eine Hirnschädigung liege nicht vor. Dagegen legte der Kläger am 08.09.2004 Widerspruch ein, wobei er vortrug, bei ihm sei eine Hirnschädigung gegeben; insoweit verwies er auf die Äußerungen von Dr. N. und Dr. H. sowie auf den Bescheid vom 06.09.1976. Weiter gab er an, er wolle keine Neufeststellung, sondern er sei der Auffassung, dass der Bescheid vom 06.09.1976 unverändert fortgelte. Im Widerspruchsverfahren erstattete Prof. Dr. B. S. ein Gutachten nach Aktenlage (Datum 25.10.2004). Dieser kam zum Ergebnis, eine postvakzinale Enzephalitis sei nicht aufgetreten. Es lasse sich kein vertretbarer Beleg für eine Hirnschädigung finden. Daraufhin wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 04.02.2005 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er an, mit Bescheid vom 06.09.1976 sei dem Kläger zwar zu Recht eine Pflegezulage der Stufe I gewährt worden, die Begründung dafür sei jedoch unzutreffend gewesen. Tatsächlich habe dem Kläger eine Pflegezulage wegen taubheitsbegründeter Hilflosigkeit bis zum 16. Lebensjahr zugestanden.
Am 22.02.2005 hat der Kläger beim Sozialgericht München Klage erhoben. Das Sozialgericht hat ein Gutachten nach Aktenlage von Prof. Dr. U. K. (Gutachten vom 18.02.2008 samt ergänzender Stellungnahme vom 12.08.2008) eingeholt. Der Sachverständige hat geschrieben, ein postvakzinaler Ausfall des Gehörs könne im Rahmen einer postvakzinalen Enzephalitis oder isoliert im Sinn einer postvakzinalen Neuritis auftreten. Im Fall des Klägers spreche alles für eine isolierte postvakzinale Neuritis ohne darüber hinausgehende postvakzinale Enzephalitis. Die Anfang der 1980er Jahre festgestellten Konzentrationsstörungen und Nervosität seien mit großer Wahrscheinlichkeit nicht hirnorganisch bedingt, vielmehr habe es sich um eine erworbene, sekundäre Verhaltensstörung gehandelt, die im Gefolge von Überlastung durch Lippenablesen und übermäßigem endogenen und exogenen Motivationsdruck entstanden sei. Auch heute sei eine impfbedingte hirnorganische Konzentrationsschwäche nicht dingfest zu machen. Bei den aktuellen Symptomen handle es sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit um eine erworbene Verhaltensstörung. In Beantwortung der Beweisfragen hat Prof. Dr. K. ausgeführt, beim Kläger liege eine isolierte Schädigung des Nervus vestibulocochlearis im ursächlichen Gefolge der Pockenimpfung vor. Auch wenn dieser Nerv mitunter als "Hirnnerv VIII" bezeichnet werde, sei damit keine "Hirnschädigung" verbunden. Denn die Ganglien (Ursprungszellen) der Hirnnerven III bis XII (also auch des Nervus vestibulocochlearis) lägen zwar im Gewebe der Hirnbasis, sie gehörten aber funktionell nicht zum Gehirn. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte für ein impfbedingtes Hirnschadensereignis (postvakzinale Enzephalitis), das dieser postvakzinalen Neuritis übergreifend vorgeschaltet gewesen wäre; davon könne man mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit ausgehen. Darüber hinaus hat Prof. Dr. K. angemerkt, eine geringfügige, nur begleitende Enzephalitis sei immer denkbar; sie wäre jedoch, falls überhaupt vorhanden gewesen, mangels realistischer, geschweige denn zwingender Belege als unbewiesen und folgenlos einzuordnen.
Das Sozialgericht hat den Beklagten mit Gerichtsbescheid vom 20.10.2008 verurteilt, den Bescheid vom 17.08.1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.10.1989 zurückzunehmen und dem Kläger ab dem 01.01.1999 eine Pflegezulage nach Stufe I gemäß § 35 Abs. 1 Satz 5 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zu gewähren. In der Begründung hat das Sozialgericht zunächst herausgearbeitet, der Beklagte habe dem Kläger mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 06.09.1976 eine Pflegezulage der Stufe I zuerkannt, weil er eine durch eine postvakzinale Enzephalitis bedingte zentrale Schädigung mit Auswirkungen auf das Hörvermögen angenommen habe. Im Entziehungsbescheid vom 17.08.1989 habe er dagegen auf den Wegfall der Altersvoraussetzungen für die Pflegezulage abgestellt. Mit dem Antrag vom 17.07.2003 habe der Kläger beim Beklagten eine umfassende, weitestgehend in die Vergangenheit reichende Überprüfung nach § 44 SGB X beantragt. In der Tat sei der Bescheid vom 17.08.1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.10.1989 rechtswidrig. Der Beklagte habe § 52 Abs. 2 Satz 4 des Bundesseuchengesetzes (BSeuchG) als lex specialis nicht beachtet. Danach hätte eine Anerkennung nach § 52 Abs. 2 Satz 1, 2 BSeuchG nur zurückgenommen werden können, wenn unzweifelhaft festgestanden hätte, dass der Gesundheitsschaden nicht Folge der Impfung gewesen sei. Daneben verbleibe kein Raum für eine Aufhebung nach § 48 SGB X. Die tatsächlichen Verhältnisse, die dem Bescheid vom 06.09.1976 zugrunde gelegen hätten, hätten sich nicht geändert. Denn damit sei dem Kläger die Pflegezulage nicht wegen Hilflosigkeit zuerkannt worden, sondern weil er als erwerbsunfähiger Hirnbeschädigter angesehen worden sei. Der Beklagte sei nicht berechtigt, den Bescheid vom 06.09.1976 noch zurückzunehmen. Dass die Voraussetzungen des § 52 Abs. 2 Satz 4 BSeuchG nicht erfüllt seien, ergebe sich aus dem Gutachten von Prof. Dr. K ... Es stehe gerade nicht unzweifelhaft fest, dass die angenommene postvakzinale Enzephalitis nicht vorliege. Prof. Dr. K. selbst habe ausgeführt, die von ihm festgestellte "weit überwiegende Wahrscheinlichkeit" komme dem zwar sehr nahe, sei aber dennoch nicht damit gleichzusetzen.
Am 17.11.2008 hat der Beklagte Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er eine aktuelle gutachtliche Stellungnahme des Prof. Dr. S. vorgelegt. Der ist erneut zum Ergebnis gekommen, in den Unterlagen, die valide seien, finde man keinen Hinweis auf eine impfbedingte Hirnschädigung. Es sei unzweifelhaft, dass beim Kläger eine postvakzinale Enzephalitis nicht abgelaufen sei.
Mit Bescheid vom 18.01.2010 hat der Beklagte den Gerichtsbescheid vom 20.10.2008 ausgeführt.
Am 20.09.2011 hat bereits mündliche Verhandlung stattgefunden. Diese ist vertagt worden, um weitere Akten der Hauptfürsorgestelle beizuziehen, die es jedoch - wie sich später herausgestellt hat - nicht mehr gibt.
Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 20.10.2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er räumt ein, dass er nicht hilflos sei. Jedoch betont er, die Verhältnisse bei ihm hätten sich seit 1976 nicht geändert, weswegen der Bescheid vom 06.09.1976 weiterhin Gültigkeit habe. Der Beklagte sei daran festzuhalten, dass in diesem Bescheid eine Hirnschädigung eingeräumt worden sei, dass Dr. H. und Dr. N. eine solche bejaht hätten und dass auch die Hauptfürsorgestelle des Öfteren von einer Hirnschädigung gesprochen und niemals die Sonderfürsorgeberechtigung angezweifelt habe. Des Weiteren vertritt der Kläger die Ansicht, bei ihm liege tatsächlich eine Hirnschädigung vor; er beruft sich insoweit auf das Gutachten von Prof. Dr. K ...
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts, insbesondere wegen des Inhalts medizinischer Berichte, Gutachten und Unterlagen, wird auf die Akten des Beklagten - auch der noch vorhandenen Akten der Hauptfürsorgestelle -, des Sozialgerichts in den Verfahren S 29 VJ 2/97 sowie S 33 VJ 1/05 und des Bayerischen Landessozialgerichts verwiesen. Diese haben allesamt vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Beklagten hat Erfolg.
Streitgegenstand ist der vom Kläger behauptete Anspruch, den Bescheid vom 17.08.1989, mit dem die Pflegezulage entzogen wurde, zurückzunehmen mit der Folge, dass der Anspruch auf Pflegezulage damit wieder auflebt.
Die Berufung des Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht der Klage entsprochen. Vielmehr hat es der Beklagte mit Bescheid vom 31.08.2004 und Widerspruchsbescheid vom 04.02.2005 zutreffend abgelehnt, den Bescheid vom 17.08.1989 zurückzunehmen und die Pflegezulage ab 01.01.1999 zu leisten.
Als Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers kommt allein § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X in Betracht. Dieser lautet in der maßgebenden Fassung:
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Entgegen der Ansicht des Beklagten liegt kein Fall des § 48 SGB X vor. Denn der Kläger hat in seinem das Verfahren einleitenden Antrag klar zum Ausdruck gebracht, er beanspruche die Pflegezulage wegen der vermeintlichen Hirnschädigung. Das impliziert, dass er den Bescheid vom 17.08.1989 deswegen beseitigt haben möchte, weil er diesen für von Anfang an rechtswidrig hält; er trägt sinngemäß vor, wegen der unverändert bestehenden Hirnschädigung hätte ihm niemals die Pflegezulage entzogen werden dürfen. Dagegen macht er nicht geltend, seit dem Erlass des Bescheids vom 17.08.1989 seien nachträglich Umstände eingetreten, die nunmehr die Gewährung einer Pflegezulage geboten erscheinen ließen. Dass der Kläger Leistungen erst ab 01.01.1999 beansprucht, vermag daran nichts zu ändern.
Die Rücknahmevoraussetzungen des § 44 SGB X (eine vorherige Anhörung des Klägers ist erfolgt) sind jedoch nicht erfüllt. Denn der Bescheid vom 17.08.1989 erweist sich als rechtmäßig. Insoweit kommt es auf die objektiven Verhältnisse zum Zeitpunkt seines Erlasses an, also auch auf die damalige Rechtslage (Beurteilung anhand der damaligen Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht, vgl. Schütze in: von Wulffen, SGB X, 7. Auflage 2010, § 44 Rn. 10, mit Hinweisen auf die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts [BSG]). Dass der Kläger die Pflegezulage erst ab 01.01.1999 begehrt, ist lediglich § 44 Abs. 4 SGB X geschuldet und führt nicht dazu, dass die Rechtmäßigkeit der mit Bescheid vom 17.08.1989 getroffenen Regelungen anhand später eingetretener Verhältnisse zu prüfen wäre. Die einzig in Betracht kommende Rechtsgrundlage, § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X, lautete damals wie heute:
Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.
Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm lagen bei Erlass des Bescheids vom 17.08.1989 vor.
1. Die Gewährung einer Pflegezulage verkörperte einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung.
2. In den tatsächlichen Verhältnissen, die noch bei Erlass des Bescheids vom 06.09.1976 vorgelegen hatten, trat objektiv eine wesentliche Änderung ein. Die Änderung bestand darin, dass der Kläger im Juli 1989 das Berufsfindungsjahr am Berufsbildungswerk für Hörgeschädigte beendete.
Diese Änderung war für die Gewährung einer Pflegezulage auch wesentlich. Denn einerseits bewirkte die Beendigung des Berufsfindungsjahrs, dass damit die vorher bestehende Hilflosigkeit im Sinn von § 35 BVG entfiel (dazu unten a). Andererseits war der Wegfall der Hilflosigkeit beim Kläger auch leistungsrechtlich relevant. Denn beim Kläger war keine Hirnschädigung gegeben, die ihm den Weg zu einer Pflegezulage unabhängig von der Hilflosigkeit geebnet hätte (dazu unten b). Zu betonen ist, dass es im Rahmen der Prüfung, ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, auf die objektiven rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse ankommt, die beim Erlass des fraglichen Verwaltungsakts tatsächlich vorgelegen haben. § 48 SGB X ist auch dann einschlägige Korrekturnorm, wenn diese Verhältnisse von der Behörde anfangs falsch bewertet und subjektiv dem Erlass des Verwaltungsakts gar nicht zugrunde gelegt worden waren (vgl. Schütze, a.a.O., § 48 Rn. 6).
a) Einerseits führte die Beendigung des Berufsfindungsjahrs dazu, dass die zentrale Tatbestandsvoraussetzung für die Gewährung der Pflegezulage nicht mehr erfüllt war. Denn damit fiel die Hilflosigkeit weg und sie ist in der relevanten Zeit ab 01.01.1999 auch nicht wieder eingetreten.
§ 35 BVG in der 1989 geltenden Fassung regelte, dass eine monatliche Pflegezulage zu gewähren war, solange der Beschädigte infolge der Schädigung so hilflos war, dass er für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang fremder Hilfe dauernd bedurfte. Erwerbsunfähige Hirnbeschädigte erhielten eine Pflegezulage mindestens nach Stufe I, ohne dass es auf die Hilflosigkeit im konkreten Fall ankam. Nr. 22 Abs. 4 lit. a der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit 1983 (AHP 1983) sah konkretisierend vor, dass bei einer angeborenen oder im Kindesalter aufgetretenen Taubheit oder an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit Hilflosigkeit in der Regel bis zum 16. Lebensjahr (Beendigung der Gehörlosenschule) anzunehmen war. Daran hatte sich der Beklagte zu orientieren (zur Bindungswirkung der AHP vgl. Dau in: Knickrehm (Hrsg.), Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Auflage 2012, § 30 BVG Rn. 10). Dafür, dass ab August 1989 abweichend vom Regelfall die allgemeinen Voraussetzungen für die Hilflosigkeit vorlagen, bestehen keine Anhaltspunkte. Bereits Dr. N. hatte in seiner Stellungnahme vom 03.06.1976 Hilflosigkeit verneint. Dr. N. hat in seinem Gutachten keinen Grund gesehen, Hilflosigkeit auch nach Beendigung des Berufsfindungsjahres zu bejahen. Sofern man die Ansicht vertritt, im Rahmen der Prüfung der Rücknehmbarkeit nach § 44 SGB X seien auch nachträglich zugunsten des Betroffenen veränderte Umstände relevant - die Rechtmäßigkeit als solche ist, wie oben ausgeführt, auf jeden Fall anhand der damaligen Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht zu prüfen -, bliebe festzustellen, dass von 01.01.1999 an zu keinem Zeitpunkt Hilflosigkeit wieder eingetreten ist. Denn einerseits hat die Mutter und Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung klar geäußert, Hilflosigkeit liege bei diesem nicht vor. Andererseits wird dies durch den schwerbehindertenrechtlichen Status des Klägers in Bezug auf das Merkzeichen H bestätigt (vgl. HNO-ärztliches Gutachten Prof. Dr. R., Untersuchung am 26.09.2001; dieser hat die medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" verneint).
b) Der Wegfall der Hilflosigkeit ist auch nicht von vornherein rechtlich irrelevant. Denn eine Hirnschädigung, die quasi die Hilflosigkeit fingiert, lag und liegt beim Kläger nicht vor. Einerseits lässt sich nicht mit dem erforderlichen Vollbeweis nachweisen, dass eine Hirnschädigung tatsächlich gegeben ist (dazu unten aa), andererseits kann sich der Kläger nicht aus Vertrauensschutzgründen auf die Feststellung einer Hirnschädigung oder eine Fiktion dessen berufen (dazu unten bb und cc).
aa) Nach dem überzeugenden Gutachten samt ergänzender Stellungnahme von Prof. Dr. K. besteht nur eine äußerst geringe Wahrscheinlichkeit, dass 1989 eine Hirnschädigung vorhanden war. Die Hirnschädigung muss als Gesundheitsschaden jedoch mit Vollbeweis erwiesen sein. Daran fehlt es. Im Gegenteil spricht außerordentlich viel dafür, dass beim Kläger zumindest ab dem Jahr 1989 - mit hoher Wahrscheinlichkeit aber auch schon vorher - keine Hirnschädigung vorlag. Der im Fall des Klägers zweifelsohne betroffene Nervus vestibulocochlearis gehört, wie Prof. Dr. K. überzeugend erläutert hat, funktional nicht zum Gehirn, so dass seine Schädigung allein nicht einer Hirnschädigung gleichgesetzt werden darf. Mit Prof. Dr. K., dessen Feststellungen sich der Senat ausdrücklich zu Eigen macht, sieht der Senat keine tragfähigen Anhaltspunkte für ein impfbedingtes Hirnschadensereignis (postvakzinale Enzephalitis), das der beim Kläger festzustellenden postvakzinalen Neuritis übergreifend vorgeschaltet gewesen wäre. Prof. Dr. K. hat für das Fehlen einer postvakzinalen Enzephalitis eine weit überwiegende Wahrscheinlichkeit gesehen. Wie Dr. H. im Jahr 1976 auf eine postvakzinale Enzephalitis gekommen war, ist für den Senat nicht nachvollziehbar. Das gilt umso mehr, als er sich in seiner Stellungnahme vom 26.03.1976 auf das "Universitäts-Gutachten" vom 11.03.1975 bezog. Dabei hatte Dr. H. das Gutachten - gemeint ist das von Prof. Dr. v. A. - augenscheinlich nur oberflächlich gelesen. Denn dieses hatte keineswegs positiv und konkret eine postvakzinale Enzephalitis beim Kläger bejaht. Im Gegenteil war darin ausgeführt, im vorliegenden Fall handle es sich um einen Erstimpfling, bei dem es offensichtlich ohne postvakzinale Enzephalitis zu einer Ertaubung gekommen sei. Man stößt lediglich auf die allgemeine Aussage, das Vakzinevirus sei geeignet, zu einer postvakzinalen Enzephalitis oder zu anderen isolierten neurologischen Schädigungen zu führen. Dass beim Beklagten in den Folgejahren die falsche Einschätzung des Dr. H. immer wieder "abgeschrieben" worden ist, ohne die Aussage zu hinterfragen, macht sie nicht richtiger. Darüber hinaus hat Prof. Dr. K. angemerkt, eine geringfügige, nur begleitende Enzephalitis sei immer denkbar; sie wäre jedoch, falls überhaupt vorhanden gewesen, mangels realistischer, geschweige denn zwingender Belege als unbewiesen und folgenlos einzuordnen. Diese Aussage des medizinischen Sachverständigen entspricht vollumfänglich den rechtlichen Vorgaben. Dass bei der akuten Enzephalitis nach der Impfung vielleicht sogar das Gehirn in geringem Ausmaß beteiligt gewesen sein mag, ist rechtlich nicht relevant. Es kommt nur auf eine verbliebene Schädigung an. Somit müsste eine Hirnschädigung quasi als Dauerfolge vorliegen. Das war im Jahr 1989 mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht (mehr) der Fall (vgl. Nr. 26.3 AHP 1983, wonach eine Hirnschädigung voraussetzte, dass eine organische Veränderung erlitten worden war und nachweisbar behalten worden ist).
Damit ist festzuhalten, dass der Kläger mit seinem Klagebegehren etwas verlangt, was ihm nach den unmittelbaren medizinisch gelagerten Tatbestandsvoraussetzungen nicht zusteht. Wie im Folgenden (bb und cc) gezeigt wird, kann er sich auch nicht auf einen rechtlichen Bestandsschutz berufen, der ihm die Behandlung als hirngeschädigte Person sichert.
bb) Es sind keine Einzelfallregelungen vorhanden, deren Bindungswirkung es gebieten würde, den Kläger als hirngeschädigte Person zu behandeln. Eine Hirnschädigung ist niemals als Schädigungsfolge festgestellt worden. Zudem hat im Bescheid vom 06.09.1976 die Begründung für die Gewährung einer Pflegezulage nicht an der Regelungswirkung partizipiert; Regelungsgegenstand war nur die Gewährung einer Pflegezulage, nicht aber die Gewährung einer "Pflegezulage wegen einer Hirnschädigung".
Darin weicht der Senat entscheidend von der Rechtsauffassung des Sozialgerichts ab. Nach dessen Gedankengang sei dem Kläger mit Bescheid vom 06.09.1976 nicht nur eine Pflegezulage zuerkannt worden. Vielmehr habe der Beklagte auch verbindlich geregelt, es liege eine Hirnschädigung vor. Das Sozialgericht hat also den Regelungsgehalt im Sinn von "Pflegezulage bei Hirnschädigung" verstanden. Sein Rekurs auf § 52 Abs. 2 Satz 4 BSeuchG zeigt, dass es sogar von einer gesonderten Anerkennung der Schädigungsfolge "Hirnschädigung" ausgegangen ist; denn § 52 Abs. 2 Satz 4 BSeuchG traf Sonderregelungen nur für die Rücknahme der "Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Impfung". Folgerichtig hat das Sozialgericht den Bescheid vom 17.08.1989 nicht als Aufhebung wegen veränderter Verhältnisse, sondern als Rücknahme der ursprünglichen Bewilligung aus dem Jahr 1976 interpretiert. Die vermeintliche Rücknahme im Bescheid vom 17.08.1989 hat es als rechtswidrig erachtet, weil nicht im Sinn von § 52 Abs. 2 Satz 4 BSeuchG unzweifelhaft festgestanden habe, dass der Gesundheitsschaden nicht Folge der Impfung sei; dass eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit dagegen gesprochen habe, genüge nicht, um die einmal ausgesprochene Feststellung einer Hirnschädigung zurücknehmen zu dürfen.
Der Senat teilt nicht die Auffassung des Sozialgerichts, eine Hirnschädigung sei als Schädigungsfolge anerkannt worden. Eine entsprechende Regelung, die gemäß § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG), § 39 SGB X Bindungswirkung entfalten würde, existiert nicht. Der Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts ist durch Auslegung anhand des objektiven Empfängerhorizonts zu ermitteln. Damit ist der "Empfängerhorizont" eines verständigen Beteiligten gemeint, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (vgl. BSG, Urteil vom 08.11.2007 - B 9/9a V 1/06 R, Rn. 22; BSGE 67, 104 ; BSG SozR 3-1200 § 42 Nr. 8, S. 26). Für die Frage, welche Elemente eines Bescheids zur eigentlichen Regelung gehören, ist es unerheblich, wie der jeweilige Empfänger den Bescheid konkret verstanden hat; der sinngemäße Vortrag des Klägers, er sei davon ausgegangen, dass die Feststellung der Hirnschädigung zum verfügenden Teil gehöre, geht damit ins Leere.
Am Maßstab des so definierten objektiven Empfängerhorizonts lässt sich im vorliegenden Fall eine Regelung, welche die Feststellung einer Hirnschädigung mit Bindungswirkung implizieren würde, nicht erkennen. In einem ersten Bescheid vom 11.06.1975 wurde als Schädigungsfolge eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit beiderseits mit fehlender Sprachentwicklung festgestellt; das zeigt, dass der Beklagte damals - wie es auch lege artis ist - die Anerkennung von Schädigungsfolgen ausdrücklich regelte und nicht nur beiläufig Feststellungen traf. Im zweiten Bescheid vom 06.09.1976 sprach er in dem speziellen Teil des Bescheids, der den eigentlichen Verfügungssätzen vorbehalten war, lediglich die Gewährung der Pflegezulage der Stufe I aus, während er anschließend in einem räumlich und gliederungstechnisch klar abgegrenzten und mit "Gründe:" überschriebenen Teil des Bescheids erläuterte, die Pflegezulage werde aufgrund einer zentralen Störung gewährt. Nach dem objektiven Empfängerhorizont war daraus zu entnehmen, dass ausschließlich die Zuerkennung der Pflegezulage als solche Regelungsgegenstand war, nicht aber der Grund dafür. Noch weniger wurde damit eine weitere Schädigungsfolge rechtsverbindlich festgestellt. Der Bescheid vom 06.09.1976 weist eine bewusst gewählte und klar erkennbare Trennung in Verfügungssätze und Begründung auf. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 05.12.1972 - 10 RV 807/71, Rn. 24; Urteil vom 26.02.1986 - 9a RV 36/84, Rn. 14) aber geht die Bindungswirkung eines Bescheids nur von seinem Verfügungssatz aus. Andere Elemente des Bescheids, wie z. B. die Begründung oder die Berechnung der Rentenhöhe, nehmen grundsätzlich an der Bindungswirkung nicht teil (vgl. aus der Literatur U. Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Auflage 2008, § 39 Rn. 26 ff.; Schoch, Nachholen der Begründung und Nachschieben von Gründen, DÖV 1984, S. 401 ). Lediglich ausnahmsweise hat das BSG im Urteil vom 08.11.2007 - B 9/9a V 1/06 R die regelnde Feststellung einer Schädigungsfolge außerhalb des eigentlichen Verfügungssatzes bejaht. Der Wille der Behörde, eine entsprechende Regelung zu treffen, war in jenem Fall aber trotz des Schweigens des verfügenden Teils offenkundig. Hier dagegen präsentiert sich der Bescheid vom 06.09.1976 konsistent und durchdacht; für den objektiven Leser besteht kein Zweifel, dass die vermeintliche Hirnschädigung lediglich Begründungselement sein sollte.
Zwar trifft es zu, dass die Begründung für die Feststellung des Regelungsgehalts durchaus von Bedeutung sein kann. Mitunter mag sie sogar unverzichtbares Auslegungskriterium zur Bestimmung des Inhalts eines Verwaltungsakts sein (vgl. U. Stelkens, a.a.O., Rn. 26). Das kann aber nur dann der Fall sein, wenn der eigentliche Verfügungsteil des Bescheids erkennbar widerspruchsbehaftet oder unvollständig ist. Im vorliegenden Fall jedoch wäre es verfehlt, auf die Begründung zurückzugreifen, um sich den der Bindungswirkung fähigen Regelungsgehalt des Bescheids vom 06.09.1976 zu erschließen. Denn aufgrund der eindeutigen Trennung zwischen Verfügungssatz und Gründen sowie aus den jeweils bewusst gewählten unterschiedlichen Formulierungen in den verschiedenen Bescheidsteilen verbietet sich die Folgerung, das, was in der Begründung stehe, habe auch (mit Bindungswirkung) geregelt werden sollen. Damit würden Sinn und Zweck der Begründung konterkariert. Denn mit der besonderen Regelung der Begründung in § 35 SGB X hat der Gesetzgeber unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass Erläuterungen zu den getroffenen Regelungen gerade nicht zum verfügenden Teil des Verwaltungsakts gehören und damit nicht an dessen Bindungswirkung teilnehmen.
Auch außerhalb des Bescheids vom 06.09.1976 fehlt eine Regelung, wonach entweder eine Hirnschädigung als Schädigungsfolge festgestellt wird oder die "Pflegezulage wegen Hirnschädigung" zugesprochen wird. Die Unterlagen, die der Kläger mit Schriftsatz vom 10.12.2011 vorgelegt hat, besagen nichts Abweichendes. Vorwiegend verweist er dabei auf seine eigenen Schreiben oder interne Vermerke innerhalb des Versorgungsamts sowie zwischen Versorgungsamt und Hauptfürsorgestelle. Insbesondere die Äußerungen der Hauptfürsorgestelle im Rahmen der Sonderfürsorge lassen keinerlei Auslegung dahin zu, damit hätte eine Hirnschädigung als Schädigungsfolge festgestellt werden sollen; das gilt umso mehr, als die Hauptfürsorgestelle - dem verständigen Empfänger erkennbar - dafür zur Gänze unzuständig wäre.
cc) Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auch nicht auf der Grundlage des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes zu. Zwar steht fest, dass der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz auch außerhalb der Rückwirkung von Gesetzen zum Tragen kommt. So drängt sich im vorliegenden Fall die Frage auf, ob die Gewährung der Pflegezulage dadurch rechtlich geboten erscheint, dass durch die erwiesenermaßen falsche Begründung des Bescheids vom 06.09.1976 oder aufgrund anderer "Vorspiegelung falscher Tatsachen" möglicherweise ein berechtigtes Vertrauen begründet worden ist. Das ist jedoch nicht der Fall.
Effektiver Vertrauensschutz in Bezug auf die Bestandsfestigkeit von Verwaltungsakten wird in erster Linie durch § 45 SGB X gewährt. Unmittelbar findet diese Norm aber keine Anwendung. Denn mit dem Erlass des Bescheids vom 17.08.1989 wurde nicht objektiv eine ursprünglich gegebene Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 06.09.1976 korrigiert. Der Bescheid vom 06.09.1976 war vielmehr rechtmäßig. Die darin enthaltene Regelung - die Gewährung einer Pflegezulage - stand objektiv mit dem geltenden Recht in Einklang. Denn der Kläger hatte darauf einen Anspruch, weil er wegen seines kindlichen Alters als hilflos einzustufen war. Dass sich der Beklagte der eigentlichen Gründe, die objektiv zur Gewährung der Pflegezulage berechtigten, seinerzeit nicht bewusst war und dementsprechend eine eklatant falsche Begründung lieferte, spielt keine Rolle. Denn bei der Frage, ob ein Verwaltungsakt im Sinn von § 45 SGB X rechtswidrig ist, kommt es nur auf die objektive Rechtswidrigkeit an (vgl. Schütze, a.a.O., § 44 Rn. 8).
Eine Zusicherung im Sinn von § 34 SGB X, dass die Pflegezulage unabhängig vom Eintritt bestimmter Altersgrenzen gewährt werde, liegt zweifelsohne nicht vor, so dass auch unter diesem Blickwinkel kein Vertrauensschutz greift.
Da der Vertrauensschutz ein verfassungsrechtlich begründetes, im Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten fundiertes Rechtsinstitut verkörpert, bleibt darüber hinaus zu prüfen, ob möglicherweise außerhalb des unmittelbaren Anwendungsbereichs von § 45 SGB X eine vergleichbare Bestandsfestigkeit angenommen werden muss. Dem ist allerdings nicht so.
§ 45 SGB X können keine Wertungen entnommen werden, die sich im vorliegenden Fall zu Gunsten des Klägers auswirken und mittelbar in einen Vertrauensschutz münden. Der durch § 45 SGB X eingeräumte Bestandsschutz ist vergleichsweise stark, was sich vor allem in § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X niederschlägt. Danach darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung grundsätzlich nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden, außer es liegen bestimmte Umstände vor, welche die Schutzwürdigkeit des Vertrauens relativieren oder aufheben. Das bedeutet, dass auch Leistungen für die Zukunft im Prinzip - abgesehen von der Abschmelzung nach § 48 Abs. 3 SGB X - unverändert weiterzuzahlen sind. Nach Ansicht des Senats geht dieser durch das einfache Gesetzesrecht eingeräumte Bestandsschutz für Dauerverwaltungsakte, der allein auf typisiertem Vertrauen aufbaut, über das hinaus, was von Verfassungs wegen an Vertrauensschutz geboten ist. Der im Vergleich dazu deutlich niedrigere Bestandsschutz des § 48 SGB X resultiert daraus, dass Dauerverwaltungsakte von vornherein unter dem Vorbehalt stehen, dass sich die Verhältnisse nachträglich ändern. Diesbezüglich gibt es kein Vertrauen auf (zukünftige) Konstanz. Dieser von vornherein bestehende Vorbehalt des nachträglichen Eintritts geänderter Verhältnisse wird nicht dadurch beseitigt, dass der Adressat des Dauerverwaltungsaktes sich anfänglich gar nicht der leistungsrechtlichen Relevanz bestimmter Umstände bewusst gewesen sein mag. Im Gegensatz dazu darf sich der Betroffene aber definitiv darauf verlassen, sein Begehren sei ursprünglich richtig geprüft und entschieden worden; vor diesem Hintergrund soll eine entsprechende Korrektur des mängelbehafteten Verwaltungsakts durch § 45 SGB X erschwert werden. Der Gesetzgeber sieht also das berechtigte Vertrauen in die anfängliche objektive Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts als besonders schutzwürdig an. Bezüglich eines ursprünglich rechtswidrigen Verwaltungsakts darf der Bürger darauf vertrauen, dass dieser erst gar nicht erst ergeht (vgl. zum unterschiedlichen Bestandsschutz in § 45 und § 48 SGB X grundlegend Bayer. Landessozialgericht, Urteil vom 10.02.2010 - L 13 R 536/08).
Wenn § 45 SGB X das Vertrauen in die objektive Richtigkeit einer regelnden Entscheidung unter besonderen Schutz stellt, liegt der Gedanke nicht fern, dass sich daraus mittelbar ein besonderer Schutz des Vertrauens auf die Fehlerlosigkeit behördlichen Handelns generell ableiten ließe; dabei darf aber nicht aus den Augen verloren werden, dass der durch § 45 SGB X eingeräumte Schutz gemessen an den verfassungsrechtlichen Anforderungen ein überobligatorischer ist. Bei diesem gedanklichen Ansatz könnte man in Erwägung ziehen, der Abänderbarkeit aufgrund nachträglich veränderter Umstände engere Grenzen zu setzen, als sie in § 48 SGB X positiv vorgesehen sind. Der Kläger bringt in diesem Kontext vor, er habe auf die Richtigkeit der vom Beklagten im Bescheid vom 06.09.1976 gegebenen Begründung vertraut. Träfe dies zu, müsste er davon ausgegangen sein, bei ihm liege tatsächlich eine Hirnschädigung vor. Konkretisiert man ein solches Vertrauen weiter, wäre grundsätzlich denkbar, dass der Kläger die Bestandsfestigkeit der Bewilligung der Pflegezulage gegenüber nachträglichen Änderungen falsch eingeschätzt hat: Dadurch, dass er möglicherweise gedacht hat, die Anspruchsvoraussetzungen für die Pflegezulage seien gerade wegen einer Hirnschädigung erfüllt, könnte sich eine falsche Erwartung im Hinblick auf die Relevanz nachträglicher Umstände für das Fortbestehen des Leistungsanspruchs gebildet haben. Denn der Begründung des Bescheids vom 06.09.1976 zufolge war die Hirnschädigung, nicht aber das Alter des Klägers maßgebend für die Leistungsgewährung. Er könnte sogar gedacht haben, eine wesentliche Änderung der subjektiv zugrunde gelegten tatsächlichen Verhältnisse (der Hirnschädigung) sei von vornherein ausgeschlossen gewesen, weil die konkret festgestellte Gesundheitsschädigung, die er fälschlicher Weise als Hirnschädigung einstufte, ihrem Wesen nach keiner Besserung zugänglich war. In der Tat hat der Beklagte mit seinem Rekurs auf die Hirnschädigung im Bescheid vom 06.09.1976 mittelbar falsche Umstände vorgespiegelt, unter denen in Zukunft eine Änderung nach § 48 SGB X vorgenommen werden könnte, und somit eine falsche "Bestandsfestigkeit" vorgetäuscht.
Ein typisierter Vertrauensschutz - also ohne dass es auf die konkrete Vertrauenssituation ankommt - kann dem Kläger aber nicht zuerkannt werden, weil das bei ihm möglicherweise betroffene Vertrauen auf die Unabänderbarkeit wegen Erreichens eines bestimmten Alters dem durch § 45 SGB X geschützten Vertrauen, dass ein von Anfang an rechtswidriger Verwaltungsakt erst gar nicht erlassen wird, nicht gleichgestellt werden kann. Zwar sollte an sich jegliches Verhalten eines Sozialleistungsträgers, auch wenn es nicht der Bestandskraft fähig ist, richtig sein; das gilt auch für die einem Verwaltungsakt beigegebene Begründung. An diesen Gedanken knüpft z.B. der allgemeine Herstellungsanspruch an. Aber auch dieser lässt eine Restitution nur insoweit zu, als dies mit dem geltenden Recht in Einklang zu bringen ist. Würde man jedoch bei einem Dauerverwaltungsakt den in § 48 SGB X manifestierten Vorbehalt der veränderten Verhältnisse dahin einschränken, dass dieser nur mehr nach Maßgabe der dem ursprünglichen Verwaltungsakt beigegebenen Begründung gelten würde, widerspräche dies der Grundentscheidung des § 48 SGB X. Der Vorbehalt der veränderten Verhältnisse gilt vielmehr auch dann im Rahmen der Bestimmungen des § 48 SGB X ohne Einschränkung, wenn die Verhältnisse, welche die objektive Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts begründen (hier das kindliche Alter des Klägers), verkannt werden. Hinzu kommt, dass sicherlich jeder Verwaltungsakt aus sich heraus "proklamiert", er entspreche objektiv dem geltenden Recht; dagegen beinhaltet er keine verbindliche "Vorab-Zusicherung", nur bei nachträglicher Änderung ganz bestimmter leistungsrelevanter Faktoren - nämlich der in der Begründung genannten - sei eine Änderung nach § 48 SGB X möglich.
Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass zwischen dem Vertrauen, das § 45 SGB X sehr weitgehend schützt, und dem, das hier nach Lage der Dinge grundsätzlich denkbar wäre, solche Unterschiede bestehen, dass Rückschlüsse von § 45 SGB X auf den vorliegenden Fall ausgeschlossen sind. Insbesondere lässt sich § 45 Abs. 3 SGB X kein Grundsatz entnehmen, dass sämtliche falschen Annahmen, die bei Erlass eines letztendlich rechtsmäßigen Bescheids seitens der Behörde bestanden haben, nach Ablauf von zwei Jahren so zu behandeln sind, als wären die Annahmen richtig; das gilt auch dann nicht, wenn diese falschen Annahmen Teil der Begründung geworden sind.
Auch unabhängig davon vermag der Senat keine besonderen Umstände zu erkennen, die von Verfassungs wegen gebieten würden, den Kläger so zu stellen, als bestehe bei ihm tatsächlich eine Hirnschädigung. Solche tauchen weder im noch außerhalb des Bescheids vom 06.09.1976 auf. Aus den mitunter gemachten behördlichen Äußerungen - insbesondere der Hauptfürsorgestelle -, der Kläger sei hirngeschädigt, können keinesfalls weitergehende Rechte als aus der falschen Begründung des Bescheids vom 06.09.1976 abgeleitet werden.
Schließlich ist nicht erkennbar, dass beim Kläger überhaupt ein schutzwürdiges Vertrauen vorgelegen hat. Dahin stehen kann, ob der Kläger tatsächlich darauf vertraut hat, bei ihm läge eine Hirnschädigung vor. Dahin stehen kann weiter, ob einem entsprechenden Vertrauen nicht schon von vornherein die Schutzwürdigkeit fehlen muss, weil schlichtweg nur eine förmliche Feststellung durch schriftlichen Bescheid hinsichtlich der Anerkennung von Schädigungsfolgen eine hinreichende Vertrauensbasis verkörpert. Jedenfalls könnte der Kläger nicht aus einem bloßen Vertrauen auf das Vorliegen eines Hirnschadens den von ihm reklamierten Bestandsschutz bezüglich der Pflegezulage ableiten, sondern nur aus einem Vertrauen auf die Unabänderbarkeit des Bescheids vom 06.09.1976 im Hinblick auf das Erreichen eines bestimmten Alters oder generell des Wegfalls der Hilflosigkeit im konkreten Fall. Ein solches Vertrauen war beim Kläger jedoch nicht vorhanden. Wie die Mutter und Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, hat der Kläger 1989, als die Aufhebung erfolgt war, deswegen keine Rechtsmittel eingelegt, weil er gedacht hat, die Bewilligung der Pflegezulage sei von vornherein - trotz der vermeintlichen Hirnschädigung - altersabhängig gewesen. Somit hat die unzutreffende Begründung beim Kläger gerade nicht die irrige Meinung begründet, auf sein Alter und seine Hilflosigkeit generell komme es in Zukunft nicht an. Für die Frage, ob tatsächlich schutzwürdiges Vertrauen bestanden hat, ist der Zeitpunkt 1989 maßgebend (Zeitpunkt der Aufhebung), nicht die erneute Beantragung der Pflegezulage im Jahr 1999. Daher ist es unerheblich, dass der Kläger anders als 1989 - er hat inzwischen in Erfahrung gebracht, dass bei einer Hirnschädigung die Pflegezulage ohne Altersbegrenzung zusteht - jetzt fest davon überzeugt zu sein scheint, aufgrund der Begründung zum Bescheid vom 06.09.1976 stehe ihm eine Pflegezulage zu.
3. Sonderregelungen zu § 48 SGB X, welche die Aufhebbarkeit einschränken, existieren nicht. Insbesondere ist § 52 Abs. 2 Satz 4 BSeuchG nicht einschlägig.
4. Probleme mit den über § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X in Bezug genommenen Fristen gemäß § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 SGB X gibt es nicht. Die Verweisung auf die Zehn-Jahres-Frist des § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X bedeutet, dass zehn Jahre nach einer wesentlichen Änderung eine Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit ausgeschlossen ist (vgl. Steinwedel in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 48 SGB X Rn. 30 ), nicht aber, dass zehn Jahre nach Erlass des Ausgangsbescheids keine Änderung mehr möglich ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wurde nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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