S 27 R 2286/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 27 R 2286/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Berücksichtigung weiterer Ersatzzeiten streitig, insbesondere, ob dies zulässigerweise mit einem Widerspruch gegen den ein Anerkenntnis ausführenden Bescheid geltend gemacht werden kann.

Die am 00.00.1923 in M (Polen) geborene Klägerin war mit Herrn K I (im Folgenden: Versicherter) verheiratet, der am 07.01.1911 in Kielce geboren wurde und am 16.06.1997 verstarb. Am 05.06.2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Witwenrente und machte geltend, der Versicherte habe Beitragszeiten im Ghetto nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) zurückgelegt, er habe von Ende März/Anfang April 1941 bis August 1942 im Ghetto Kielce in einem Sägewerk gearbeitet und hierfür Barlohn und etwas Essen erhalten. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30.08.2004 ab. Ghetto-Beitragszeit wären nicht anzuerkennen, da nicht glaubhaft sei, dass der Versicherte eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene und entgeltliche Beschäftigung ausgeübt habe. Die Klägerin erhob Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.04.2005 zurückwies. Hiergegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Düsseldorf, die unter dem Aktenzeichen S 40 R 29/05 anhängig wurde; sie begehrte die Gewährung einer Witwenrente unter Anerkennung vom Beitragszeiten von März 1941 bis August 1942 sowie unter Berücksichtigung von Ersatzzeiten. Mit Urteil vom 12.10.2006 wies das Sozialgericht Düsseldorf die Klage ab. Beitragszeiten nach dem ZRBG lägen nicht vor, da der Versicherte nicht aus eigenem Willensentschluss und entgeltlich gearbeitet habe. Die Klägerin legte gegen das klageabweisende Urteil Berufung zum Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen ein (Az.: L 4 R 203/06). Unter dem 08.06.2009 erkannte die Beklagte die geltend gemachten Beitragszeiten an, sie verpflichtete sich, zur vollständigen Erledigung des Rechtsstreits eine Beitragszeit nach dem ZRBG für die Zeit vom 31.03.1941 bis 24.08.1942 sowie Ersatzzeiten von September 1942 bis 08.04.1947 und vom 01.10.1948 bis 31.12.1949 zu berücksichtigen und hieraus eine Rente zu gewähren. Dies nahm die Klägerin an und erklärte den Rechtsstreit für erledigt. Mit Bescheid vom 02.03.2010 führte die Beklagte ihr Anerkenntnis aus und gewährte der Klägerin große Witwenrente ab dem 01.07.1997. Die Rente sei ab dem 01.07.2008 nicht zu zahlen, die Nachzahlung für die Zeit vom 01.07.1997 bis 30.06.2008 betrage 1.460 EUR. Der Rentengewährung legte die Beklagte Ghetto-Beitragszeiten vom 31.03.1941 bis 24.08.1942 sowie Ersatzzeiten vom 01.09.1942 bis 08.04.1947 und 01.10.1948 bis 31.12.1949 zu Grunde.

Die Klägerin widersprach und begehrte die Berücksichtigung weiterer Ersatzzeiten von September 1939 bis Februar 1941. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.09.2010 zurück. Der Widerspruch sei unzulässig. Ein Widerspruch gegen einen Ausführungsbescheid könne sich nur gegen die Ausführung des Anerkenntnisses richten. Hierüber könne aber nicht die Berücksichtigung weiterer Zeiten außerhalb des Anerkenntnisses begehrt werden. Der Widerspruch sei als Überprüfungsantrag zu werten, worüber die Klägerin gesondert Nachricht erhalte.

Mit ihrer am 01.10.2010 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt.

Während des Klageverfahrens hat die Beklagte zunächst mit Bescheid vom 06.10.2010 weitere Ersatzzeiten vom 23.11.1939 bis 28.02.1941 anerkannt und der Klägerin weitere Rente in Höhe von 134,49 EUR für die Zeit vom 01.01.2006 bis 30.06.2009 nachgezahlt. Mit weiterem Bescheid vom 24.01.2011 hat die Beklagte zusätzlich Ersatzzeiten vom 01.01.1940 bis 31.03.1940 anerkannt. Ab dem 01.07.2011 stünde der Klägerin eine monatliche Witwenrente in Höhe von 24,06 EUR zu, die Nachzahlung für die Zeit vom 01.01.2006 bis 30.06.2011 betrage 2.716,80 EUR.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte könne sie wegen der inzwischen weitestgehend anerkannten Ersatzzeiten nicht auf das Überprüfungsverfahren nach § 44 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X) verweisen. Ihr stehe vielmehr das Recht zu, die weiteren Ersatzzeiten auch mit einem Widerspruch gegen den ersten Rentenbescheid zu verfolgen, der in Ausführung des Anerkenntnisses ergangen sei. Dem Anerkenntnis sei nicht zu entnehmen, dass die Berücksichtigung weiterer Zeiten ausgeschlossen sei. Auch aus dem Amtsermittlungsgrundsatz folge, dass die Beklagte zur Berücksichtigung der weiteren Ersatzzeiten verpflichtet sei. Weiterhin könne sie sich auf § 59 SGB X analog berufen. Sie sehe ihr Klagebegehren auch durch die Rechtsprechung zum Entschädigungsrecht gestützt, wonach der Auslegung der Vorzug zu geben sei, die die Entschädigung am besten verwirkliche. Auf die Geltendmachung der Ersatzzeiten für September und Oktober 1939 werde aber verzichtet.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 02.03.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.09.2010 zu verurteilen, ihr erhöhte Witwenrente unter Berücksichtigung weiterer NS-Ersatzzeiten von November 1939 bis Dezember 1939 und Ghetto-Beitragszeit von Januar 1940 bis Februar 1941 ab dem 01.07.1997 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält den Widerspruch gegen den Ausführungsbescheid weiterhin für unzulässig.

Im Übrigen wird wegen des weiteren Sach- und Streitstandes auf die Gerichts- und von der Beklagten beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist bereits unzulässig. Sie richtet sich gegen einen nicht anfechtbaren Ausführungsbescheid.

Die von der Klägerin erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage setzt nach § 54 Abs. 4 Sozialgerichtgerichtsgesetz (SGG) tatbestandlich voraus, dass sich das Begehren gegen eine in einem Verwaltungsakt getroffene Regelung richtet. Verwaltungsakt ist nach § 31 Satz 1 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X) jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Eine Regelung liegt vor, wenn die Behörde eine potentiell verbindliche Rechtsfolge gesetzt hat, das heißt, durch die Maßnahme ohne weiteren Umsetzungsakt Rechte begründet, geändert, aufgehoben oder verbindlich festgestellt hat oder die Begründung, Änderung, Aufhebung oder verbindliche Feststellung solcher Rechte abgelehnt hat (Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 04.10.1995 – 7 KlAr 1/93 = BSGE 75, 97, 107; von Wulffen-Engelmann, SGB X, 7. Auflage, § 31 Rn. 24). Daran fehlt es bei Bescheiden, die lediglich in Ausführung eines Anerkenntnisses oder eines Vergleiches ergehen. Diese Ausführungsbescheide wiederholen grundsätzlich nur die Regelung, die die Behörde bereits durch das Anerkenntnis oder das dem Vergleich zugrunde liegende Regelungsangebot getroffen hat (BSG, Urteil vom 06.05.2010 – B 13 R 16/09 R, Rn. 30 bei Juris; s.a. von Wulffen-Engelmann, a.a.O., Rn. 30), sie treffen ferner für dort nicht aufgeführte Umstände keine Regelung, weil sie sich hiermit nicht auseinandersetzen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.02.2010 – L 10 R 5941/09 – Rn. 15 bei Juris). So verhält sich beispielsweise ein Rentenbescheid, der eine anerkannte Rente wegen Erwerbsminderung auf Zeit ausführt, nicht zur Rentenberechtigung außerhalb des anerkannten Zeitraums (LSG Baden-Württemberg, a.a.O.). Ausnahmsweise hat das BSG einem Ausführungsbescheid allerdings Regelungswirkung beigemessen, wenn er in Ausführung eines Urteils ergeht, das für die Höhe und die Dauer des Leistungsanspruchs zu unbestimmt ist und daher noch einer Konkretisierung durch eine Regelung bedarf (Urteil vom 02.07.1997 – 9 RV 21/95; Beschluss vom 18.09.2003 – B 9 V 82/02 B).

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Ausführungsbescheid vom 02.03.2010 nicht anfechtbar, da er hinsichtlich der mit der Klage allein begehrten Berücksichtigung weiterer rentenrechtlicher Zeiten keine Regelung trifft. Denn die Beklagte hat bereits im Anerkenntnis vom 08.09.2009 geregelt, dass sie der Klägerin Rente ab dem 01.07.1997 gewährt und welche rentenrechtlichen Zeiten sie der Rentengewährung zu Grunde legt. Einer weiteren Konkretisierung bedurfte es im Ausführungsbescheid insoweit nicht und die Beklagte ist auch nicht von ihrem Anerkenntnis abgewichen. Der Ausführungsbescheid vom 02.03.2010 verhält sich insoweit auch an keiner Stelle zur Berücksichtigung der von der Klägerin mit der Klage begehrten Zeiten. Es ergibt sich auch nichts anderes aus der von der Klägerin angeführten Rechtsprechung zum Entschädigungsrecht. Es mag zutreffen, dass danach der Auslegung der Vorzug zu geben ist, der den Gedanken der Wiedergutmachung am besten verwirklicht. Hier kommt aber keine andere Auslegung des Sozialrechts hinsichtlich des Ausführungsbescheides in Betracht; dieser trifft nach allen in Betracht kommen Auslegungsmethoden des § 31 SGB X keine Regelung.

Ferner folgt auch nichts anderes aus den nach Klageerhebung von der Beklagten erlassenen Änderungsbescheiden vom 06.10.2010 und 24.01.2011. Die unzulässig erhobene Klage ist nicht durch diese Änderungsbescheide zulässig geworden. Denn diese Bescheide sind nicht nach § 96 SGG verfahrensgegenständlich geworden. Nach § 96 SGG wird ein nach Klageerhebung erlassener neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt; letzteres setzt eine Identität des Regelungsgegenstandes voraus (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 96 Rn. 4a). Diese Bestimmung ist hier nicht einschlägig, da der ursprünglich angefochtene Witwenrentenbescheid wegen fehlender Regelung hinsichtlich der allein streitigen weiteren rentenrechtlichen Zeiten kein (anfechtbarer) Verwaltungsakt ist und daher mangels denknotwendig ausscheidender Identität des Regelungsgegenstandes nicht im Sinne von § 96 SGG durch die Änderungsbescheide ersetzt wird. Die Änderungsbescheide sind ferner auf eine andere Rechtsgrundlage gestellt (§ 44 SGB X) und enthalten auch eigenständige Rechtsmittelbelehrungen. Zudem hat die Klägerin diese Änderungsbescheides auch nicht mit dem Klageantrag angefochten.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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